G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 60 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 60 E-Book

G. F. Unger

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

3 spannende Westernromane lesen und sparen!

G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!

Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2527 bis 2529:

2527: Geh nicht, Jesse!
2528: Einsam im Sattel
2529: Eine Kutsche voller Dollars

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
Jetzt herunterladen und sofort sparen und lesen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 468

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



G. F. Unger
G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 60

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2021 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Prieto

ISBN: 978-3-7517-4743-1

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 60

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

G. F. Unger Western-Bestseller 2527 - Western

Verlorene Fährte

G. F. Unger Western-Bestseller 2528 - Western

Eine Kugel für den Sheriff

G. F. Unger Western-Bestseller 2529 - Western

Die Ruhelosen

Guide

Start Reading

Contents

Verlorene Fährte

Der Marshal steht bewegungslos da und blickt zum Saloon hinüber. Er wirkt nachdenklich – und sehr einsam.

Aus dem Saloon ruft eine wilde Stimme: »Hoi, Kinkaid, alter Knabe! Komm nur herein, Bruderherz! Ich werde dir einen warmen Empfang bereiten! Denn hier ist eine geschlossene Gesellschaft! Hier trinkt Mister Billy Hackmoore mit Mister Billy Hackmoore! Und wir haben einen solchen Spaß, wir zwei Gentlemen, dass wir uns nicht stören lassen wollen! Hoi, wer wagt es, den Löwen zu reizen?« Die Stimme klingt schrill und betrunken.

Der Marshal wendet sich plötzlich um. Sein Blick schweift über die Menge.

»Ich brauche eine kleine Hilfe«, sagt er. »Ich möchte Billy Hackmoore nicht erschießen müssen, deshalb brauche ich Hilfe. Wie ist es mit dir, Larry King?«

Er blickt einen der Reiter an, die hinter der Zuschauermenge halten. Doch der Reiter schüttelt schweigend den Kopf.

»Und du, Saba Sage?«

Wieder schüttelt einer der Reiter den Kopf.

Als der Marshal nun die Zuschauerversammlung betrachtet, ziehen sich alle zurück ...

Jim Carmody, der eben erst in die Stadt geritten kam und wie ein Satteltramp wirkt, betrachtet das narbige Gesicht des Marshals. Er glaubt nicht, dass der Mann Furcht hat. Es wird wahrhaftig so sein, dass er Hilfe haben möchte, weil er den wilden Jungen dort drinnen nicht erschießen, sondern ihm auf eine andere Art beikommen will. Denn dieser Billy Hackmoore scheint ein heißes Eisen zu sein.

Jim Carmody denkt daran, dass er einige Dollars gebrauchen könnte und dass vor allen Dingen sein Pferd neue Hufeisen haben muss.

Der Marshal blickt noch einmal zu den wartenden Reitern, und als er nun Jim Carmodys Blick begegnet, da hält er mit seinem schweifenden Blick inne. Er blickt Carmody fest an.

Carmody hat die Hände über dem Sattelhorn liegen. Nun hebt er die Linke und bewegt den Zeigefinger. »Für zehn Dollar helfe ich Ihnen, Marshal. Und für fünfzig Dollar hole ich ihn allein heraus – ohne jede Hilfe.«

Als seine ruhige Stimme verklingt, haben sich ihm alle Gesichter zugewandt. Und alle Augen betrachten ihn.

Aus dem Hintergrund sagt eine heisere Stimme: »Oha, ein Satteltramp, den der Hunger so sehr in den Bauch beißt, dass ihm jede Gelegenheit recht ist, einige Dollars verdienen zu können.«

Und damit hat der Sprecher im Hintergrund die Sache ziemlich genau eingeschätzt.

»So ist es«, sagt Jim Carmody. »Ich bin abgebrannt. Aber ich fürchte mich nicht. Ich bin auch kein Bürger dieser Stadt. Deshalb helfe ich dem Marshal nur für Geld.«

Seine Worte treibt einigen Männern die Schamröte in die Gesichter.

Der Marshal aber sagt: »Steigen Sie ab, Cowboy. Ich muss Sie als meinen Gehilfen vereidigen. Ich stelle Sie für diese Amtshandlung für zehn Dollar Lohn ein. Gehen Sie zur Hintertür des Saloons, stoßen Sie diese auf und schießen Sie in den Raum, ohne sich sehen zu lassen. Wenn Sie dreimal geschossen haben, hören Sie auf, denn ich springe dann durch die Vordertür in den Saloon. Was dann sein wird, kann man noch nicht voraussagen. Ist alles klar?«

Jim Carmody nickt. Und dann blickt er noch einmal vom Sattel aus auf die Menschenansammlung.

Einer der Reiter neben ihm sagt jedoch: »Marshal, das ist nicht fair. Dieser Satteltramp weiß sicherlich nichts von Billy Hackmoores großem Bruder.«

Der Reiter, den der Marshal mit Larry King angeredet hatte, wendet sich nun direkt an Jim Carmody.

»Bruder«, sagt er zu Jim Carmody, »du musst wissen, dass dieser Billy Hackmoore, der dort drinnen den wilden Affen spielt, einen großen Bruder hat. Im Vergleich zu diesem Bruder ist er ein kleiner, bösartiger, giftiger Pinscher, der jeden ins Bein beißt. Und dieser große Bruder ist kein anderer als Logan Hackmoore, für den etwa zwei Dutzend besonders harte Nummern reiten. Logan Hackmoore glaubt an seinen Bruder wie eine gute Mami an den missratenen Sohn. Und er zieht jedem Narren das Fell ab, der den lieben Billy beim Ohr nimmt. Das ist ein harter Job für zehn Dollar, Bruder. Wenn du knapp bei Kasse bist, so könnte ich dir einige Dollars borgen.«

»Danke«, murmelt Jim Carmody. »Ich habe aber dem Marshal schon zugesagt.«

Er setzt sein Pferd in Bewegung und reitet durch die Gasse, die die Zuschauer für ihn öffnen. Er reitet bis zur Ecke des Saloons, sitzt hier ab und geht zu Fuß in die Gasse hinein, die an der Seitenfront des Saloons entlangführt.

Als er die Hinterseite erreicht hat, schwenkt er ohne Zögern ein und gelangt über einen Hof, auf dem einige Schuppen stehen, zur Hintertür. Er öffnet sie, betritt einen Flur, von dem aus einige Türen in irgendwelche Räume führen. Er findet schnell die richtige Tür, denn er hört Billy Hackmoore dahinter singen:

»Als die Mexikaner vor Alamo lagen,

Da hatte kein Texaner Furcht!

Nur Jim Bowies Papagei,

Der legt vor Angst ein grünes Ei!«

Billy Hackmoore bricht nach dieser Strophe in ein wildes Gelächter aus. Dann beginnt er zu schießen. Und immer nach jedem Schuss klirrt es splitternd. Er schießt auf Flaschen, die sich in einem Regal befinden.

Jim Carmody öffnet die Tür einen winzigen Spalt. Doch so winzig der Spalt auch ist und so vorsichtig er die Tür auch öffnete, der betrunkene Wilde dort drinnen scheint einen besonderen Sinn zu haben. Denn es pfeift nun eine Kugel dicht über Jims Kopf durch den Spalt. Und da Jim sich blitzschnell aus der Schusslinie bringt, sich also neben der Tür an die Wand presst, trifft ihn die zweite Kugel, die tiefer gezielt wurde, zum Glück nicht.

Drinnen kreischt der Betrunkene: »Zeig mir noch einmal deine Nasenspitze! Hoi, zeig sie mir! Und du wirst sehen, wie schnell ich sie treffen kann!«

Es folgt nun ein gellendes Gelächter. Und es ist völlig klar, dass der wilde Junge dort drinnen einen Vollrausch hat, der ihn unzurechnungsfähig macht.

Und trotz dieser Volltrunkenheit schießt er gefährlich genau und schnell.

In Jim Carmody ist eine tiefe Bitterkeit. Er spürt seinen beißenden Hunger, und er macht sich nun bittere Vorwürfe, dass es mit ihm nun so weit gekommen ist, dass er für zehn Dollar an solchen Dingen teilnimmt.

Aber zehn Dollar sind für ihn jetzt ein riesiges Vermögen. Er kann davon einige Tage leben und sich eine Arbeit suchen. Ja, er will wieder einer geregelten Tätigkeit nachgehen. Die Fährte, der er schon viele Jahre folgte, hat sich wieder einmal verloren.

Doch diesmal wird er nicht wieder nach neuen Spuren suchen, nach Anhaltspunkten und Möglichkeiten.

Nein, er hat nun genug. Er will sich jetzt die zehn Dollar verdienen, die für ihn der erste Schritt zu einem geregelten Leben werden sollen.

Und so stößt er mit dem Fuß die Tür auf, hält sich in Deckung und schiebt nur den Revolverlauf um den Türrahmen herum in den Gastraum. Er beginnt zu schießen, und er hofft, dass seine Kugeln keinen besonderen Schaden anrichten.

Als er zum dritten Mal abdrückt, wird sein Feuer erwidert. Und der Trunkenbold stößt wilde Schreie aus. Das Holz splittert vor Jims Gesicht vom Türrahmen.

Jim zählt die Schüsse, doch er hat den Burschen nun schon mehr als sechsmal schießen gehört. Das beweist, dass Billy Hackmoore zumindest zwei Revolver zur Hand hat.

Die Vordertür – es ist eine doppelte Schwingtür – kracht nun auf. Die beiden Türflügel prallen gegen die Wände. Jim kann von seinem Standpunkt zwar nicht den Schanktisch und den wilden Billy sehen, wohl aber doch den Marshal, der sich durch die Tür schleudert, auf dem Boden landet und sich zwischen die Stühle und Tische rollt.

Billy Hackmoores Revolver krachen mehrmals, und dann liegt der Marshal plötzlich still.

Jim begreift, dass der Marshal getroffen wurde. Er fühlt sich irgendwie mitschuldig daran. Es kommt ihm so vor, als hätte er nicht genug getan, um dem Marshal beizustehen. Und es geht ihm jetzt nicht mehr um die zehn Dollar Lohn.

Ein Mann verließ sich auf seinen Beistand. Und dieser Beistand war offensichtlich nicht gut genug.

Er hört den wilden Billy kreischend rufen: »Ich habe ihn getroffen! Hoi, er wollte mich angreifen, doch ich habe es ihm besorgt! Niemand schießt so gut wie Mister Billy Hackmoore! Wer will es noch probieren? Wer will noch mal und hat noch nicht? He, du Bursche dort an der Hintertür! Willst du es versuchen? Du kannst einen fairen Kampf bekommen! Steck deine Kanone ins Holster und komm zum Vorschein. Auch ich werde meine Waffe im Holster haben! Also komm, Bursche!«

Jim Carmody überlegt, und er glaubt jedes Wort. Denn dieser betrunkene Bursche ist großspurig und siegesgewiss. Der will jetzt ganz auf Revolverkämpfer machen und fühlt sich prächtig in dieser Pose, nachdem er den gewiss gefährlichen Marshal ausschalten konnte.

Jim Carmody steckt seinen Revolver weg und ruft: »Also gut, Billy! Ich komme!«

»Komm nur! Ich bin neugierig, wen ich da zu sehen bekomme!«

Jim tritt durch die Hintertür ein.

Billy Hackmoore ist ein rotköpfiger, sommersprossiger, nicht sehr großer, drahtiger und krummbeiniger Bursche. Und er ist herausgeputzt wie Buffalo Bill Cody, wenn dieser in seinem Zirkus auftritt, mit dem er zurzeit die ganze Welt bereist.

Ja, Billy Hackmoore trägt einen roten Knebelbart, und seine roten Haare sind leicht gelockt und hängen ihm bis über den Jackenkragen. Seine Jacke ist aus hellem Rehleder und befranst wie das Lederhemd eines Indianerhäuptlings. Er trägt eine schwarze Lederhose und bunt bestickte Maßstiefel aus San Antonio.

Billy Hackmoore hat seinen Revolver tatsächlich im Holster und lehnt lässig an einem Schanktisch.

Hinter der Theke sind Spiegel, Ölbilder und Flaschenregale. Einige Flaschen wurden zerschossen.

Und Billy Hackmoore hielt sich genau an sein Versprechen.

Doch er hält noch eine zweite Waffe in der Hand, hielt sie bis jetzt seitlich an seinem Körper verborgen. Wahrscheinlich ist es die Waffe des Saloonbesitzers, die hinter dem Schanktisch griffbereit lag. Er richtet die Mündung nun auf Jim Carmody und grinst böse.

»Ich lege immer noch jeden Burschen rein«, sagt er schrill, »der sich für einen Schlaukopf hält. Doch gegen mich seid ihr alle Dummköpfe. Ich bin Billy Hackmoore. Ich bin nicht nur der kleine Bruder von Logan Hackmoore – ich bin ich, verstehst du? Ich bin ich, Billy Hackmoore!«

Jim Carmody versteht es gut. Oh, er versteht mit einem Mal, dass dieser Billy im Schatten eines großen Bruders lebt und sich jeden Tag aufs Neue gegen diesen Bruder wie ein lächerlicher Wicht vorkommt, der nichts taugt, nie etwas taugen und niemals auch nur halb so groß und beachtlich wie der große Bruder sein wird.

Ja, das ist Billys Problem. Jim Carmody erkennt es sofort. Denn er hatte ebenfalls solch einen Bruder. Und er war nicht immer ein Satteltramp.

Jim Carmody atmet langsam aus. Dann sagt er: »Billy, ich möchte keinen Streit mit dir. Aber ich bekomme vom Marshal zehn Dollar für meine Hilfe. Und zehn Dollar sind für mich zurzeit ein ganzer Berg Geld. Ich habe die Schüsse genau gezählt. Der Colt im Holster ist leer. Und auch die Waffe in deiner Hand muss leer sein. Du solltest also ...«

»Sie ist nicht leer«, sagt Billy Hackmoore heftig und ganz mit dem Eigensinn Betrunkener. »Ich bin nicht so betrunken, dass ich nicht mehr weiß, wie viel Schuss ich abgegeben habe. Ich habe noch eine Kugel zur Verfügung. Und die reicht für dich. Bring mir deinen Revolver! Nimm ihn mit den Fingerspitzen aus der Holster! Leg ihn auf den Schanktisch und stoß ihn zu mir! Vorwärts!«

Seine Worte kommen immer mühsamer und unbeholfener. Seine Trunkenheit nimmt noch zu.

Aber er ist immer noch gefährlich. In seinen rötlichen Augen leuchtet es gefährlich. Er ist ein Bursche, der sich sonst sehr klein und gering fühlt und der sich berauscht, um sich groß und gewaltig zu fühlen. Er gibt niemandem eine Chance.

In Jim Carmody ist nun ein kalter Zorn darüber, dass er sich so reinlegen ließ. Aber vielleicht machte ihn der Hunger etwas leichtsinnig.

Er zieht seinen Revolver mit den Fingerspitzen. Denn sein Bluff, dass Billy Hackmoores Colt leer wäre, führte zu keinem Erfolg. Er wirft die Waffe nun in die Luft und fängt sie am Lauf wieder auf.

»Du hast gewonnen, Billy«, sagt er, und er sieht nun, wie sich der Marshal unter den Tischen und Stühlen bewegt. Er hört ihn stöhnen. Und auch Billy Hackmoore hört es.

Unwillkürlich bewegt er den Revolver, den er auf Jim gerichtet hat, in die Richtung des Marshals.

Das genügt für Carmody. Der Revolver, den er am Lauf gepackt hält, macht einen Salto. Carmody kann das so geschickt wie ein Jongleur.

Jim Carmody fängt den Revolver am Kolben. Und fast gleichzeitig kracht der Schuss. Die Kugel zerschlägt Billy Hackmoores Arm. Und er lässt den Revolver fallen, fällt auf die Knie und wird bleich und fast grün im Gesicht.

»Du lieber Gott ...«, ächzt er.

Und dann fällt er aufs Gesicht. Seine Trunkenheit, der heftige Schrecken, den seine Verwundung ihm einjagte, und natürlich auch die einsetzenden Schmerzen, sie machten ihn bewusstlos.

Jim Carmody seufzt bitter.

Er hält den Revolver noch schussbereit in der Hand und blickt sich um. Der Marshal kommt nun unter den Tischen hervor. Als er sich langsam und stöhnend aufrichtet, sieht Jim an der Schläfe des Mannes Blut. Der Marshal bekam also einen Streifschuss, und die Kugel wirkte wie ein Keulenhieb.

»Glück gehabt, Marshal«, sagt Jim. Und als er erkennen kann, dass der Mann bei Verstand ist, fügt er hinzu: »Ich habe es eilig, die zehn Dollar zu bekommen, sehr eilig!«

Der Marshal steht nun vor ihm. Er greift in die Westentasche und reicht Jim ein Zehndollarstück.

»Kommen Sie nachher in mein Office und quittieren Sie mir den Betrag für die Abrechnung bei der Stadtkasse«, sagt er gepresst, denn er hat schlimme Kopfschmerzen.

Jim Carmody betrachtet den Marshal auf eine nachdenkliche Art. Es ist, als suchte er in seiner Erinnerung.

»Wie ist Ihr Name, Marshal?«, fragt er.

»Kinkaid, Sol Kinkaid. Und Ihrer?«

»Carmody. Jim Carmody aus dem Franklin County in Nevada«, murmelt Jim sanft, doch sein Blick ist scharf und forschend. »Waren Sie schon einmal in Nevada, Kinkaid?«, fragte er sanfter noch als zuvor.

In Kinkaids Gesicht hatte sich nichts bewegt. Und auch jetzt zeigt sich kein Ausdruck in diesem narbigen Gesicht.

»Nein«, sagt er. Er wendet sich ab, nimmt sein Halstuch, geht damit hinter den Schanktisch und taucht es in die Spülwanne. Als er es dann gegen die blutende Schläfe presst, schnauft er erleichtert.

Durch die Schwingtür kamen indes einige Bürger der Stadt.

»Holt den Doc«, sagt Sol Kinkaid bitter. »Dieser wilde Affe wurde in den Arm geschossen. Und er hatte noch Glück. Er kam noch gut davon.«

Jim Carmody geht langsam hinaus. Er muss sich gegen den Strom eintretender Männer drängen.

Draußen stehen noch mehr Leute, auch Frauen und größere Kinder.

Sie betrachten ihn stumm.

Er aber nimmt sein Pferd und geht die Straße zurück zu der kleinen Imbissstube, an der er vorbeigeritten war, als er in die Stadt kam. Er lässt sein Pferd an einem Tränktrog stehen und geht in die Imbissstube.

Das Gastzimmer ist leer. Auch hinter dem Anrichtetisch ist niemand. Aus der Küche hört er das Klappern von Geschirr. Irgendwelche Genüsse braten in Pfannen, wie Jim riechen und auch hören kann.

»Hallo, Bedienung!«, ruft er ziemlich scharf, denn sein Hunger ist bösartig und setzt ihm so sehr zu, dass er es kaum noch aushalten kann.

»Ich komme gleich!« Dies erwidert ihm eine Frauen- oder Mädchenstimme auf eine ruhig-fröhliche Art. Dann hört er, wie in einer großen Pfanne Steaks umgedreht werden.

Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen, und er glaubt einen Moment, von einem Wolf in den Magen gebissen zu werden. Er muss immerzu schlucken. Aber als dann das Mädchen aus der Küche tritt, vergisst er für einen Moment seinen rasenden Hunger.

»Sie müssen warten«, sagt sie zu ihm. »Ich kann erst in einer halben Stunde meinen Gästen etwas vorsetzen. Speisen müssen kochen oder braten. Und ein Abendbrot ist ein Abendbrot und kein spätes Mittagessen. Die Sonne steht immer noch eine Handbreit über den Hügeln.«

Nachdem sie ihm dies sagte, will sie mit einer raschen Wendung in die Küche zurück. Er aber sagt schnell: »Madam, ich habe fast zwei Tage nichts gegessen. Vielleicht ...«

Er verstummt, denn es widerstrebt ihm, nun offensichtlich um etwas zu bitten. Er richtet sich gerade auf und wendet sich ab.

»Schon gut«, murmelt er. »Ich kann noch eine Weile warten. Ich sehe ein, dass Speisen erst gar sein müssen.«

Er will hinaus. Doch sie hat ihn inzwischen schärfer und sorgfältiger betrachtet. Vielleicht konnte sie erkennen, dass er kein gewöhnlicher, abgerissener Satteltramp ist.

»Sie können etwas Rauchfleisch und Brot haben«, sagt sie. »Sozusagen als Vorspeise. Und Kaffee hätte ich auch schon fertig.«

Sie lächelt auf eine gute Art, und er begreift, dass sie sich auf Männer versteht und erkannt hat, dass er nach einem langen und harten Ritt vor Hunger fast bewusstlos wird.

Sie deutet auf einen Tisch dicht bei der Anrichte.

»Warten Sie einen Moment, Cowboy. Sie sind doch ein Cowboy?«

Sie hat es zwar eilig, dies sieht man ihr an. Und dennoch betrachtet sie ihn auf eine sorgfältige Art. Es ist leichter Zweifel in ihrem Blick zu erkennen.

»Ich warf früher das Lasso«, murmelt er, und er kann sehen, wie ihr Blick sich nun auf seinen Revolver richtet, wie sie sich wie unter dem Einfluss einer bestimmten Erkenntnis strafft und ihr Blick und ihre ganze Art kühler werden.

Aha, denkt er bitter, sie hat nun erkannt, was ich bin. Und sie mag keine Revolverschwinger, nein, die mag sie nicht.

Sie geht wortlos in die Küche zurück. Jim aber setzt sich an den kleinen Tisch. Er bekommt wenig später die versprochenen Dinge vorgesetzt, und der heiße Kaffee ist stark und schwarz, so wie ihn die Männer hier in diesem Land gern haben.

Wenige Minuten später kommt ein Mann herein. Es ist jener Reiter, den der Marshal Larry King nannte, den er um Hilfe bat und der diese Hilfe verweigerte.

Nun erkennt er Jim, hält bei ihm an und sagt: »Ich würde mich nicht länger als zwei Stunden in Starbow aufhalten, Bruder. Denn sonst kommt Logan Hackmoore und bricht dir alle Knochen im Leib.«

Beim Klang seiner Stimme erscheint das Mädchen wieder in der Küchentür. Er wendet sich zu ihr, deutet mit dem Daumen auf Jim und sagt: »Der Marshal hat Billy Hackmoore mithilfe eines Fremden aus dem Saloon geholt. Der Marshal bekam einen Streifschuss, doch der Fremde schoss den wilden Billy in den Arm. Und das ist der Fremde. Er bekam zehn Dollar für diesen Job, und er setzt einen Teil davon bei dir in Nahrung um, Susan.«

Da sie wahrscheinlich nicht aus der Küche konnte, hatte sie wohl diesen Larry King gebeten, ihr über den Verlauf der Dinge Bericht zu erstatten.

Nun betrachtet sie Jim Carmody sehr forschend.

»Dieser Billy Hackmoore«, spricht sie langsam und kehlig, »hat vor einigen Wochen meinen Bruder getötet. Es ist wie ein Witz, dass er nun vom Marshal verhaftet wurde, weil er in einem Saloon betrunken randalierte. Es ist ein Witz. Doch in dieser Stadt und in diesem Land ...« Ihre dunkle und kehlige Stimme wurde zum Schluss schrill und spröde.

Nun bricht sie ab. Sie winkt nur mit der Hand ab und geht in ihre Küche zurück. Sie will sich nicht mehr ärgern. Ihre Erregung wurde zu stark.

Jim betrachtet Larry King. Dieser blickt bitter und mit offensichtlichem Bedauern auf den Durchgang zur Küche. Dann erinnert er sich wieder an Jim Carmody.

»Logan Hackmoore wird dir den Kopf abreißen, Bruder«, sagt er. »Du musst verschwinden.«

Jim schüttelt den Kopf.

»Mein Pferd muss neue Eisen haben«, sagt er. »Ich komme sonst keine zehn Meilen weit.«

Larry King betrachtet ihn mit einem staunenden Ausdruck. Er öffnet schon seine schmalen und ziemlich hart wirkenden Lippen, um einige heftige Worte zu sagen. Doch er schließt den Mund wieder, atmet einige Male durch die Nase und murmelt dann gewollt lässig: »Es geht mich ja auch gar nichts an. Jeder Mann ist sein eigener Hüter.«

Er geht nach diesen Worten langsam auf die Straße hinaus.

Jim ist mit dem Essen fertig. Er hat seinen ersten Hunger gestillt. Nun fühlt er sich etwas besser. Er erhebt sich und ruft zur Küche zurück: »Ich gehe mit meinem Pferd zur Schmiede. Ich komme später zum Abendbrot wieder, Miss.«

»In Ordnung, Mister«, tönt es zurück.

Als er dann draußen sein Pferd die Straße hinauf zur Schmiede führt, ist es schon recht dunkel geworden. Die Sonne versinkt mit einer roten Farbenpracht im Westen, und man könnte denken, es hätte sich dort das Tor der Hölle geöffnet, und der Widerschein des Höllenfeuers leuchtet am Himmel.

Als er die Schmiede erreicht, macht man hier gerade Feierabend. Der Schmied wäscht sich in einem großen Trog beim Brunnen. Und der Junge holt mit dem Eisenspieß den großen Schlackenkuchen aus dem Feuer und wirft ihn zu der anderen Schlacke unter die Esse.

Jim wartet, bis der Schmied seinen nassen Oberkörper abtrocknet, und sagt dann: »Ich würde mir gerne mein Pferd selbst beschlagen. Was müsste ich für die vier Roheisen und das Benutzen der Werkzeuge bezahlen?«

Der Schmied betrachtet ihn irgendwie geringschätzig. Dann betrachtet er das Pferd, und obwohl die Beleuchtung hier auf dem Hof schon sehr schlecht ist, erkennt er die Klasse dieses Pferdes und schnaubt mit der Zunge. »Ein echter Criollo«, sagt er. »Ich gebe Ihnen ein gutes Rinderpferd und noch vierzig Dollar dafür, Cowboy.«

»Nein«, sagt Jim sanft.

Der Schmied nickt. »Nun gut, ich nehme drei Dollar für die Eisen und die Benutzung der Werkzeuge. Aber das mache ich nur, weil Sie einen echten Criollo reiten, Cowboy.«

Er wendet sich an seinen Jungen. »He, Jerry, du wirst ihm helfen, und er wird dir einen halben Dollar geben. Ich gehe zum Abendessen.«

Nach diesen Worten hält er Jim die offene Hand hin.

»Ich habe nur dieses Zehndollarstück«, sagt Jim sanft.

Und nun erkennt ihn der Schmied. Jim kann sehen, wie er zusammenzuckt und dann einen Schritt zurücktritt.

»He«, sagt der Schmied. »Sie sind doch jener Fremde, der dem Marshal half und dem Billy Hackmoore den zerschossenen Arm verdankt?«

»Das stimmt«, murmelt Jim.

»Dann verlassen Sie sofort mein Grundstück«, erklärt der Schmied. »Sie können Ihren Gaul hier nicht beschlagen.«

Jim Carmody steht still da und betrachtet den Schmied. Er erinnert sich wieder daran, dass selbst der Marshal keine Hilfe erhalten hatte. Und nun erhält auch er keine Hilfe. Er darf sein Pferd nicht beschlagen. Es ergeht ihm nun so ähnlich wie dem Marshal.

»Diese Stadt hier«, murmelt er, »ist wohl feige?«

Der Schmied schnauft böse. Doch dann sagt er gepresst: »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Cowboy, so würde ich zweihundert Meilen reiten, ohne anzuhalten. Oder ich würde zusehen, auf dem abfahrenden Abendzug zu entkommen. Und jetzt gehen Sie!«

Jim Carmody verliert kein weiteres Wort mehr. Er nimmt sein Pferd und geht wieder davon.

Plötzlich fällt ihm ein, dass er zum Marshal kommen soll, um dort für die zehn Dollar zu quittieren.

Das Marshal's Office befindet sich an der Ecke des Gerichtsgebäudes, und als Jim durch die offene Tür tritt, schlägt er leicht mit der Hand gegen den Türrahmen.

Der Marshal sitzt in der Ecke hinter dem Schreibtisch.

»Ich soll für die zehn Dollar eine Quittung unterschreiben«, sagt Jim. »Und ich müsste mein Pferd beschlagen. Gibt es hier nur eine Schmiede?«

»Ja«, sagt der Marshal und öffnet ein Buch. Er macht eine Eintragung und dreht das Buch dann herum.

»Quittieren Sie hier«, sagt er. Seine Hände und das Buch liegen nun im Lichtkreis der Lampe. Jim betrachtet die Hände, und er sieht nun, dass diese Hände leicht zittern.

»Es gibt nur diese eine Schmiede«, sagt der Marshal, indes Jim unterschreibt. »Der Schmied wird schon Feierabend gemacht haben.«

»Er hat mich fortgeschickt, weil ich der Mann bin, der Ihnen half«, sagt Jim langsam. »In dieser Stadt fürchtet man sich offensichtlich vor Billy Hackmoores großem Bruder. Ich kann mein Pferd in dieser Stadt nicht beschlagen. Wo könnte ich es in der näheren Umgebung?«

Der Marshal lehnt sich zurück.

»Ich glaube, wir sollten zusammenhalten«, sagt er langsam. »Wenn Sie von hier nicht fortkommen können, Jim Carmody aus dem Franklin County in Nevada, dann sollten wir zusammenhalten.«

»Und warum?«, fragt Jim langsam, obwohl er den Grund ziemlich sicher weiß und nun auch sicher ist, die Ursache zu kennen, die die Hände des Marshals zittern lässt.

»Die Hackmoores«, sagt der Marshal bitter. »Wir haben uns beide mit den Hackmoores angelegt. Ich, weil ich den Stern trage und selbst vor den Hackmoores nicht kneifen konnte, und Sie wegen zehn Dollar, die Sie so nötig brauchten wie ein Ertrinkender Grund unter den Füßen. Aber es spielt keine Rolle mehr, aus welchen Gründen wir uns mit den Hackmoores anlegten. Sie kommen nicht mehr fort, Jim Carmody. Es sei denn, Sie riskieren es, die Hufe Ihres Pferdes zu ruinieren. Doch das tun Sie nicht. Also müssen wir zusammenhalten, wenn Logan Hackmoore in die Stadt kommt.«

Jim steht wieder still da. Dies gehört zu seiner Art, wenn er Dinge hört oder erkennen muss, die ihn zu irgendwelchen Entscheidungen zwingen.

Der Marshal erhebt sich langsam. Sie stehen sich nun gegenüber, nur von dem alten Schreibtisch getrennt.

»Was wird dieser Logan Hackmoore tun?«, fragt Jim schließlich.

Der Marshal hebt die hageren Schultern.

»Bei Logan Hackmoore weiß man nie, was er tun wird«, sagt er dann. Er macht eine kleine Pause, schluckt dann und strafft sich wie unter dem Einfluss eines plötzlichen Entschlusses. »Ich habe von dieser Stadt vertraglich das Recht, Deputys ernennen zu dürfen. Ich kann Ihnen einen Job anbieten, Jim Carmody. Sie können für fünfzig Dollar und freie Wohnung mein Deputy werden.«

Jim betrachtet ihn ernst, und trotz des Halbdunkels in der Ecke des Raumes kann er den Schweiß auf des Marshals Gesicht erkennen.

Und da weiß er es genau: Sol Kinkaid ist angefüllt mit Furcht.

Aber er ist gewiss kein Feigling. Die Art, wie er sich in den Saloon schleuderte, um Billy Hackmoore unschädlich zu machen, war mutig und völlig furchtlos. Dieser Marshal ist ohne Zweifel ein Kämpfer. Und dennoch hat er nun Furcht.

Jim Carmody fragt sich plötzlich, wie dieser Mann wohl ausgesehen haben mag, bevor ihm ein Pferdehuf so übel das Gesicht zerschlug.

Der Marshal setzt sich wieder, und er wirkt müde.

»Zwanzig Meilen westlich auf der Wagenstraße gibt es eine Pferdewechselstation der Fracht- und Postlinie«, sagt er. »Dort können Sie sicherlich Ihr Pferd beschlagen. Verschwinden Sie so schnell wie möglich aus der Stadt, Jim Carmody.«

Seine Worte drücken deutlich genug aus, dass er keine Hoffnung mehr darauf hat, Jim könnte die angebotene Stellung als Deputy Marshal annehmen.

Jim steht noch unschlüssig da.

Er murmelt dann: »Ich half Ihnen, Marshal. Nun könnten Sie vielleicht mir helfen. Ich suche einen Mann, dem ich etwas schuldig bin. Der Mann nennt sich Clay Diamond, hat blonde Haare, trägt zwei Revolver und ...«

»Ich kenne ihn«, unterbricht ihn der Marshal. »Ich habe seinen Steckbrief unter all den vielen anderen Steckbriefen in der Schublade liegen. Er ist ein berüchtigter Revolverheld und wird in einigen Staaten gesucht. Er ist etwa so groß und schwer wie ich, nur gut zehn Jahre jünger. Und er hat auf dem Bild ein recht wohlgeformtes Gesicht. Warum sind Sie hinter ihm her, Jim Carmody?«

Der schüttelt den Kopf. »Ich habe seine Fährte längst verloren«, murmelt er. »Ich bin oder war Jahre hinter ihm her. Aber ich habe seine Fährte verloren. Diese Steckbriefe müssen ziemlich alt sein. Er ist wie verschollen. Manchmal glaube ich, dass er vielleicht irgendwo verunglückt ist, gestorben oder umgekommen, und niemand weiß davon oder hatte ihn erkannt.«

Er zuckt leicht zusammen, und sein Blick kommt wie aus weiter Ferne zurück. Er wendet sich zur Tür.

»Ich glaube nicht, dass ich in dieser Stadt Deputy Marshal werden möchte«, sagt er. »Mir ist ein Dreißig-Dollar-Job als Cowboy lieber als ein Fünfzig-Dollar-Job als Marshal, obwohl ...«

Er verstummt bitter.

Er ist schon mit einem Fuß aus dem Office, als ihn die Stimme des Marshals einholt.

»Vielleicht könnte ich Ihnen sagen, wo dieser Clay Diamond zu finden ist, Carmody. Vielleicht hat der Zufall Sie zum richtigen Mann geführt. Vielleicht haben Sie die verlorene Fährte wiedergefunden. Aber als Gegenleistung brauche ich Ihre Hilfe.«

Wieder steht Jim Carmody auf seine stille und reglose Art da. Im Türrechteck wirkt er besonders groß. Und bei aller Hagerkeit wiegt er sicherlich an die zweihundert Pfund.

Man sieht, dass er über die Worte des Marshals nachdenkt.

Doch dann geht er plötzlich davon.

✰✰✰

Sol Kinkaid starrt eine Weile auf das leere Rechteck der Tür. Dann erhebt er sich und tritt in die Ecke. Es gibt hier einen Waschständer und einen Spiegel an der Wand.

Sol Kinkaid betrachtet im Spiegel sein narbiges Gesicht. Er blickt sich in die Augen.

»Zum Teufel, auf welcher Seite des Zaunes ich auch reite«, sagt er, »es gibt immerzu Verdruss.«

Er betastet Stirn und Schläfe, wo er ein Pflaster trägt. Seine Kopfschmerzen sind jedoch erträglich. Er geht in die andere Ecke und stellt sich auf eine besondere Art hin.

Und dann zieht er mehrmals zur Probe seinen Revolver. Es wirkt wie Zauberei, so schnell bekommt er die Waffe in Anschlag.

Leise schnaufend geht er dann zu einem alten Ledersofa und streckt sich darauf aus. Er hat den Revolver in der Hand behalten, und er kann von seinem Platz aus durch die offene Tür auf die Straße sehen.

Sol Kinkaid liegt still da. Er denkt an Billy Hackmoore, dem der Doktor den Arm verband, nachdem er die Kugel entfernt hatte. Billy Hackmoore liegt drinnen im Zellenraum in einer der vier Gitterkäfigzellen.

Und bald wird sicherlich sein großer Bruder kommen.

Was wird dann geschehen?

Die Frage wirkt in Sol Kinkaid brennend. Er fragt sich dann aber weiter: Warum bleibe ich? Warum ergreife ich nicht die Flucht?

Und er denkt in diesem Zusammenhang: Zum Teufel mit dieser Stadt! Zum Teufel mit diesem Marshalposten! Es war dumm von mir, es einmal auf dieser Seite des Zauns zu versuchen, ja, sehr dumm! Aber warum ergreife ich nicht die Flucht?

Er vermag sich die Frage nicht zu beantworten. Doch seine Gedanken gehen nun zurück in die Vergangenheit. Er erinnert sich wieder an einen jungen Burschen, der fast so schlimm wie Billy Hackmoore war.

Dieser Bursche hieß Jesse – Jesse Carmody!

Und er war Jim Carmodys Bruder, jawohl! Oh, Sol Kinkaid weiß sehr genau, warum Jim Carmody hinter einem Clay Diamond her ist. Er weiß genau, warum Jim Carmody die Fährte verlieren musste. O ja.

Er setzt sich wieder auf, denn in liegender Stellung hämmert sein Kopf stärker.

Und so verharrt er sitzend länger als eine Stunde. Er ruht sich aus und denkt an Dinge der Vergangenheit und an Dinge der Gegenwart.

Als dann eine Reiterschar wild und rau in die Stadt geritten kommt, da hebt er den Kopf.

Eine Stimme ruft scharf: »Der Marshal ist im Office!«

Und dann wird es still. Denn die Stadt hatte bis jetzt ihre Geräusche, die verschiedenster Art waren und die sich zu einem brausenden Summen vereinigten.

Jetzt ist es still. In den Lokalen ist jetzt Ruhe. Es spielen keine Klaviere oder Kapellen mehr. Und es herrscht kein Kommen und Gehen.

Sol Kinkaid hört, wie auf der Straße eine tiefe und kehlige Stimme ruhig ruft: »Sol, komm heraus! Komm heraus, Sol Kinkaid!«

Der Marshal erhebt sich. Er steckt den Revolver ins Holster und nimmt eine Schrotflinte aus dem Regal. Er lädt sie auf und nimmt sie unter den Arm.

Und nun tritt er auf die Straße.

Einige Reiter – etwa ein Dutzend – haben sich hier auf dem Platz verteilt, über den die Straße führt.

Und genau zwanzig Schritte vor dem Office sitzt Logan Hackmoore auf seinem Riesenpferd. Sol Kinkaid erkennt ihn sofort trotz der Dunkelheit und des trügerischen Lichtscheines, der aus den Häusern und Geschäften fällt.

Der riesige Rapphengst, auf dem Logan Hackmoore sitzt, steht still wie ein Denkmal. Auch Logan Hackmoores massige Gestalt bewegt sich nicht im Sattel. Da er stets schwarze Lederkleidung trägt, wirkt er so dunkel wie der Rappe, auf dem er sitzt.

Und er wirkt wie die Verkörperung eines Unheils, einer zerstörerischen Kraft. Es geht ständig etwas von ihm aus, was jeden Menschen wie ein körperlicher Anprall trifft, zwingend, lähmend, drohend. Und es gibt nicht wenige Männer, die haben dann das Gefühl, als würden sich ihre Nackenhaare aufrichten.

So ist das mit Logan Hackmoore.

Er lässt Sol Kinkaid wohl eine volle Minute vor sich stehen und warten. Es ist eine endlos lange Minute, unheilschwanger und belastet von all den vielen gewalttätigen Legenden, die zu diesem Logan Hackmoore gehören.

Als diese Minute um ist, fragt Logan Hackmoore mit seiner tiefen und kehligen Stimme, die in ihrer Ruhe sogar recht angenehm klingt: »Wie geht es Billy?«

»Er schläft und hat ein wenig Fieber«, erwidert Sol Kinkaid. »Doch der Doc hat alles bestens in Ordnung gebracht und sagt, dass Billy im schlimmsten Fall eine leichte Steifheit im Arm zurückbehalten würde.«

Sol Kinkaids Stimme klingt ruhig und gedehnt.

Aber irgendwie spürt man, dass seine lässige Selbstsicherheit gespielt ist. Es ist ein kaum bemerkbarer Unterton in seiner Stimme, ein Klang, der sich so anhört, als klänge eine zu straff gespannte Stahlsaite mit.

Als er verstummt, wartet Logan Hackmoore wieder eine lange Zeit.

Dann sagt er laut: »Cimarron! Jube! Holt Billy heraus! Setzt ihn in einen Wagen und bringt ihn heim!«

Er hat es kaum gesagt, als zwei Reiter, die in seiner Nähe hielten, schon in Bewegung sind. Sie reiten zum Office hinüber und sitzen rechts und links von Sol Kinkaid ab.

Und Sol Kinkaid steht nun vor der schwersten Entscheidung seines Lebens. Oh, er hat schon oft genug vor schwerwiegenden Entscheidungen gestanden. Er hat sich nie davor gefürchtet, und wenn er seine Entscheidung getroffen hatte, dann hielt er stets durch.

Doch jetzt ...

Noch nie spürte er solche Zweifel. Noch nie spürte er so viel Unheil und Gefahr. Und die Schrotflinte unter seinem Arm und der Revolver tief unter seiner Hüfte erschienen ihm mit einem Mal bedeutungslos.

Er erschrickt tief in seinem Kern, als er erkennt, dass er Furcht hat. Es ist eine heiße Furcht. Er ahnt, dass diese Furcht schnell zu einer wilden Verzweiflung werden könnte, zu einem einzigen, mächtigen, heißen Wunsch nach Schonung seines Lebens.

Denn er kennt Logan Hackmoore.

Jeder Mensch in diesem Land kennt ihn.

Er zerbricht schnell, dieser so harte und sonst so furchtbare Sol Kinkaid. Jetzt, wo er sich Logan Hackmoore keine zwanzig Schritte gegenüber befindet, verspürt er zum ersten Mal in seinem Leben Furcht vor einem Mann und gibt auf.

»Nun gut«, murmelt er. »Nehmt ihn mit, doch er hat im Saloon eine Menge Schaden angerichtet.«

»Wenn Billy sich besser fühlt, werde ich ihn fragen«, unterbricht ihn Hackmoore ruhig. »Und wenn er sagt, dass er Schaden angerichtet hat, werde ich ihn bezahlen.«

Indes sind die beiden Reiter abgesessen und rechts und links neben Sol Kinkaid vorbei ins Office gegangen.

Das Schweigen dauert wieder an, und es ist lastend und drückend. Andere Reiter waren zum Mietstall geritten. Sie kommen nun mit einem leichten Wagen herbei, der sicherlich dort im Hof bereit war. Denn so schnell hätte der Wagen gar nicht angespannt werden können.

Die beiden Burschen bringen nun den fluchenden und stöhnenden Billy heraus.

»Er hat mir den Arm zerschossen! Ich war betrunken und konnte mich nicht verteidigen! Da schoss mich dieser Tramp in den Arm! Bruder, du musst ihm die Haut abziehen! Ich konnte mich nicht verteidigen, und er zerschoss mir den Arm! Oh, ich werde mein ganzes Leben lang ein Krüppel sein! Logan, so hältst du dein Versprechen, welches du unserer guten Mom gegeben hast! So ...«

»Sei still, Billy«, sagt Logan Hackmoore mit einer Ruhe, die unerschütterlich wirkt.

Und Billy verstummt nun auch. Er sitzt im Wagen, und einer der beiden Burschen fährt damit los. Der andere folgt und nimmt das ledige Sattelpferd mit.

Es wird wieder still. Beim Store, vor dem Hotel und auch vor dem Saloon stehen einige Menschengruppen und warten schweigend.

An den Rändern des weiten Platzes haben sich einige Neugierige eingefunden. Doch sie alle halten einen weiten Abstand.

Sol Kinkaid steht immer noch vor seinem Office. Er hat immer noch die Schrotflinte unter dem Arm, und er fühlt sich als der einsamste Mensch auf dieser Erde. Und er schämt sich – vor sich selbst und wegen seiner Furcht.

Hackmoore hält immer noch auf seinem Rappen vor ihm, scheint zu überlegen oder eine grimmige Vorfreude zu genießen.

Sol Kinkaid sagt plötzlich heiser: »Billy schoss auf mich und verwundete mich am Kopf. Er hätte mich fast totgeschossen. Und auch meinen Gehilfen hätte er ...«

»Es ist gut, Sol«, sagt Logan Hackmoore sanft. »Du musstest als Marshal für Ordnung sorgen. Es ist gut.«

Und nun kann man sehen, wie Sol Kinkaid ausatmet und wie sich in ihm eine Spannung löst. Er wirkt nun, als wäre er prall mit Luft gefüllt gewesen und als würde nun etwas von dieser Luft ausgeblasen.

Doch er hält schon unter der Tür inne. Denn er hört Logan Hackmoore sagen: »Los, Jungs! Sucht den Burschen, der Billys Arm zerschoss! Sucht ihn und bringt ihn zu mir!«

✰✰✰

Jim Carmody hat seit vielen Tagen oder gar Wochen zum ersten Mal wieder eine richtige Mahlzeit an einem Tisch gegessen. Es schien ihm sogar, als hätte er besonders große Portionen bekommen. Oh, es ist fast unwahrscheinlich, was ein großer und hungriger Mann alles essen kann.

Er nimmt sich Zeit beim Essen, sehr viel Zeit, und als er fertig ist und zum Kaffee eine Zigarette raucht, ist das Lokal schon fast wieder leer. Er beobachtet das Mädchen, welches nun überall das leere Geschirr abräumt. Sie hat nun seit mehr als zwei Stunden ohne Pause rasch und behände gearbeitet. Sie hat die Arbeit eines Kochs, einer Kellnerin und einer Geschirrwäscherin verrichtet.

Und dabei war sie zu allen Gästen freundlich.

Jetzt sieht man ihr die Erschöpfung an. Und als sie dann Jims Tisch abräumt, hält sie einige Sekunden inne, stützt sich mit beiden Händen auf die Tischkante und betrachtet ihn ernst.

»Ich werde nicht richtig schlau aus Ihnen«, murmelt sie dann. »Sie waren früher sicherlich ein Cowboy. Aber Sie sind dann ein Revolvermann geworden. Die Art, wie Sie den Colt tragen, ist bezeichnend dafür. Ich frage mich, wie ein Revolvermann zu einem Satteltramp werden kann. Sind Sie auf der Flucht?«

»Würden Sie mir dann helfen?«, fragt er.

Sie tritt einen Schritt zurück und betrachtet ihn nur zornig.

»Scherzen Sie nicht«, sagt sie herb. »Verschwinden Sie lieber aus der Stadt, bevor Logan Hackmoore Sie erwischt. Mein Bruder wurde von Billy Hackmoore getötet. Man sagt, es wäre ein fairer Revolverkampf gewesen. Vielleicht war es das. Doch mein Bruder wäre auch ein toter Mann gewesen, wenn er Billy Hackmoore besiegt hätte. Logan Hackmoore wäre nämlich gekommen und hätte seinen kleinen Bruder gerächt.«

Sie nimmt nun das Geschirr und trägt es fort. Als sie wieder in den Gastraum kommt, will Jim zahlen.

Doch sie winkt ab. »Sie waren mein Gast«, sagt sie. »Sie haben Billy Hackmoore zurechtgestutzt. Sie waren mein Gast, kein Kunde, der bezahlen muss. Doch jetzt sollten Sie sich wirklich beeilen, aus der Stadt zu kommen. Die Nacht wird Ihre Flucht begünstigen.«

»Ich danke Ihnen«, sagt Jim und geht hinaus. Seine Worte könnten auf mehr als eine Art ausgelegt werden, und auch das Mädchen ist sich wohl nicht völlig klar darüber, wofür er gedankt hat, für das Essen oder für den Ratschlag, die Flucht zu ergreifen.

Er besitzt seine zehn Dollar immer noch, als er in den Store tritt, der in solchen Städten stets bis spät in die Nacht hinein geöffnet ist. Er kauft sich ein neues Hemd, Unterzeug und etwas Proviant. Er behält dann nur noch Geld für etwas Tabak übrig – und natürlich drei Dollar, um vielleicht an einem anderen Ort sein Pferd beschlagen zu können.

Jim packt die erstandenen Dinge alle in sein Bündel und schnallt dieses wieder hinter dem Sattel fest.

Als er aufsitzen will, erscheint eine Reiterschar auf dem Platz. An der Weise, wie diese Burschen in die Stadt reiten, erkennt er, dass es sich um ein raues und hartbeiniges Rudel handelt. Und noch bevor er hört, was sich einige Leute zurufen, weiß er, dass nun jener Logan Hackmoore gekommen ist, der für viele Leute der große Mann zu sein scheint, gewissermaßen der große King im ganzen Land.

Jim Carmody bleibt bei seinem Pferd vor dem Store stehen und beobachtet alles. Er erlebt all jene Dinge, die zuvor schon geschildert wurden, mit und sieht, wie der harte Marshal, der vorhin so furchtlos war, Logan Hackmoores Willen nicht standhalten kann und irgendwie innerlich zerbricht.

Und er hört einen Bürger zu einem anderen sagen: »Sol Kinkaid ist doch nicht der Mann, für den wir ihn hielten. Er hat vor Logan Hackmoore gekniffen. Und ich sage, dass es auf der ganzen Welt keinen Mann gibt, der nicht vor Logan Hackmoore kneift. Ihm fressen die härtesten Burschen aus der Hand. Er hat damals den Indianerhäuptling, der vor ihm in diesem Land der Boss war, erschlagen. Dadurch machte er sich zu dessen Nachfolger. Er ist immer noch der Häuptling, der nach seinen eigenen Regeln lebt und handelt.«

Jim Carmody hört dies alles.

Und dann, als er aufsitzen will, um zu verschwinden, da schwärmen Logan Hackmoores Reiter plötzlich aus. Einer kommt vor den Store geritten, betrachtet die hier stehenden Bürger und Gäste der Stadt und fragt dann scharf: »Ist dieser Bursche, der Billy Hackmoores Arm zerschoss, hier unter euch?«

Es ist eine scharfe und unduldsame Frage.

Er erhält keine Antwort.

Aber Jim, der den Kopf gewandt hat und die Leute auf der Storeveranda betrachtet, kann trotz der schlechten Beleuchtung erkennen, dass einige auf ihn blicken.

Auch der Reiter blickt nun auf ihn. »He«, sagt der Mann vom Sattel aus auf ihn nieder.

»Ich bin der Mann, der dem Marshal half«, sagt Jim langsam.

»Dann komm mit zu Logan Hackmoore«, befiehlt der Reiter trocken, und in seiner Stimme liegt kalter Spott.

Jim überlegt und es ist ihm klar, dass die raue Mannschaft ihn wie einen Hasen jagen, erwischen und an den Ohren vor den Boss schleifen würde. Er kennt sich zu gut aus mit solchen rauen Rudeln. Dies ist keine normale und durchschnittliche Cowboy-Mannschaft.

Jim Carmody entschließt sich. Er steigt wortlos in den Sattel und reitet über den Platz auf Logan Hackmoore zu. Der Reiter hält sich rechts hinter ihm, und es kommen noch weitere Reiter herbei, die sich zu einem Halbkreis hinter ihm formieren.

Logan Hackmoore aber zieht seinen Rappen herum und blickt Jim entgegen.

Logan Hackmoores Stimme klingt vielleicht noch eine Spur tiefer und kehliger als zuvor, als er sagt: »Nun gut! Warum haben Sie sich eingemischt, Mann?«

»Es war ein Job für zehn Dollar«, erwidert Jim. »Ein Marshal brauchte Hilfe gegen einen betrunkenen Randalierer, der wie verrückt mit dem Revolver schoss. Ich habe gehört, dass es Ihr Bruder ist. Nun, er war verrückt. Er musste gebändigt werden. Als ich ihm gegenübertrat, hatte ich die Waffe in den Holster, und er hatte seine in der Hand und auf mich gerichtet. Als ich dann meine Chance bekam, hätte ich ihn töten können. Aber ich weiß, wie das ist. Ich habe einmal selbst einen solchen wilden Bruder, den immerzu der Teufel ritt, verloren, als der Dummkopf an einen Revolvermann geriet. Ich kenne das! Man hofft immerzu, dass der wilde Junge eines Tages anders werden und zur Vernunft kommen würde. Und man will ...«

»Sie reden zu viel, Fremder«, sagt Logan Hackmoore hart und kommt nun neben Jim geritten. Ihre Pferde stehen dicht beieinander und könnten sich gegenseitig in die Flanken beißen oder die Schwänze um die Ohren schlagen. Die Steigbügel der Reiter berühren sich.

Die beiden Männer betrachten sich, und Jim ist etwas überrascht, einen noch ziemlich jungen Mann zu sehen, kaum älter als er selbst, also wenig älter als dreißig Jahre.

Jim Carmody sah noch nie ein härteres Männergesicht, dunkelbraun wie das eines Indianers, mit dem Ausdruck einer schonungslosen Härte, die tief im Kern dieses Mannes sitzt, so tief, dass sie zur treibenden Kraft wurde, die diesen Mann beherrscht und all seine Handlungen beeinflusst.

»Satteltramp«, sagt Logan Hackmoore kehlig, »ich muss meinen kleinen Bruder auf meine Art schützen. Ich kann ihn nicht einsperren oder anbinden. Und so muss ich dafür sorgen, dass man sich fürchtet, ihm auch nur ein Härchen zu krümmen. Verstehst du das, Satteltramp?«

»Es ist verrückt, und es macht diesen Giftpilz nur noch schlimmer«, sagt Jim langsam.

»Möglich.« Logan Hackmoore nickt. »Doch es gibt für mich keinen anderen Weg.«

Als er dies ganz ruhig sagt, ist Jim Carmody immer noch arglos. Er war vorsichtig und wachsam. Doch nun glaubt er, dass man mit Logan Hackmoore reden kann.

Aber da kommt die Rechte, gerade in diesem Moment.

Sie kommt wie ein Hammer. Jim Carmody bekommt sie auf Ohr und Schläfe. Sie fegt ihn aus dem Sattel, und er handelt rein instinktiv, als er die Füße noch aus den Steigbügeln zieht.

Er kracht schwer in den Staub des Platzes, und er ist ein großer, sehniger Mann mit einem festen Knochenbau, mit langen, ausdauernden Muskeln, langen, muskulösen Beinen, schmalen Hüften und einem breiten Brustkorb. Er wiegt trotz seiner Hagerkeit fast zweihundert Pfund.

Aber nun wurde er mit einem einzigen Schlag aus dem Sattel gefegt. Wie schwer er getroffen wurde, erkennt man daran, wie hart er aufprallt.

Und er bleibt liegen und gelangt erst langsam wieder zu Bewusstsein. Er liegt dann still und regungslos auf dem Rücken, hält die Augen geschlossen und durchdenkt alles noch einmal in seiner Erinnerung.

Das alles dauert fast eine Minute.

Dann öffnet er die Augen um einen winzigen Spalt. Und er sieht Logan Hackmoore zu seinen Füßen stehen, einen breiten und großen Mann, an dem alles sehr genau stimmt, der also so wundervoll proportioniert ist wie einer der steinernen Athleten, wie man sie oft die Balkone von Prachtbauten tragen sieht. Logan Hackmoore ist gewiss nicht größer als Jim. Er ist auch bestimmt nicht mehr als zwanzig Pfund schwerer als dieser. Und dennoch wirkt er sehr viel beachtlicher, imposanter, gewaltiger. Dies wird selbst jetzt in dieser schwachen Beleuchtung klar.

In Jim Carmody ist ein heißer Zorn. Dieser Zorn ergreift von ihm Besitz und verdrängt jeden Gedanken an Vorsicht, an Schonung. Dieser Zorn lässt ihn alle Wagnisse verachten und alle Zweifel überwinden.

Es ist ein zerstörerischer Zorn, und die Narben in Jim Carmodys Gesicht sind Zeichen dieser Schwäche, ja, Schwäche, denn solch ein Zorn ist niemals Stärke, kann es nicht sein, weil er einen Mann blindwütig macht. Schon oft kämpfte Jim Carmody in diesem Zorn gegen Männer.

Jim Carmody erhebt sich langsam.

»Das war nicht fein, Mister«, sagt er gepresst. »Das war so hinterhältig wie ein Biss ins Bein von einem Halunken!«

Er steht nun, und er steht leicht auf den Fußballen und ist nun nicht mehr so leicht zu überraschen. Er ist auch erfahren, denn er hat überall in wilden Camps, in rauen Städten und auf rauen Wegen gekämpft. Er hat sich überall behaupten können.

Deshalb reagiert er nun genau richtig, als Logan Hackmoore auf ihn zuspringt und ihm den Kopf nochmals von den Schultern zu schlagen versucht. Hackmoores Faust radiert nur über Jims Hinterkopf, denn Jim duckte den Schlag gedankenschnell ab.

Er wirft sich gegen Hackmoore und hämmert diesem die Linke auf die Leberpartie und schlägt, zurückweichend, einen Aufwärtshaken, der Hackmoores Kinn trifft und ihm den Kopf weit zurückstößt.

Und dann trifft er ihn wieder in die Magenpartie.

Es ist ein wilder, heftiger und kraftvoller Ausbruch von Jim Carmody. Er ist zwar ein Mann, der viele Tage oder gar Wochen sehr einseitige und schlechte Nahrung bekam und der deshalb bestimmt nicht im Vollbesitz seiner Fähigkeiten ist. Doch er kämpft explosiv, trotz Unterernährung.

Logan Hackmoore ist ihm in dieser Beziehung ganz gewiss im Vorteil. Und dennoch muss Hackmoore nun zu Boden.

Nun steht Jim Carmody zu seinen Füßen, keucht vor Anstrengung und fragt dann heiser: »Nun, Mister, wie gefällt Ihnen das? Und es war ein ehrlicher Angriff, der nicht so unerwartet kam wie Ihrer. Stehen Sie auf, damit wir weitermachen können!«

»Keine Sorge«, murmelt Logan Hackmoore. »Sie sind ziemlich gut, das muss ich zugeben. Doch jetzt weiß ich besser Bescheid!«

Er erhebt sich noch langsamer, als Jim es tat.

Doch noch bevor er sich richtig zu voller Größe aufgerichtet hat, stürmt er los.

Diesmal erwischt er Jim, fasst ihn um die Hüften und hebt ihn auf wie eine leichte Last. Jim kämpft wild. Er umklammert die Handgelenke, aber Logan Hackmoore beginnt, sich zu drehen. Er macht mit Jim Carmody nach Preiskämpferart die »Mühle«, und als er ihn dann wirft, muss Jim den Griff von den Handgelenken lösen. Er muss zusehen, nicht so schwer auf den Boden zu krachen.

Doch es gelingt ihm nicht, wie eine Katze auf allen vieren zu landen, wie man so sagt.

Er fällt krachend mit der ganzen Seite in den Staub des Platzes. Als er aufspringt, ist Logan Hackmoore bei ihm und erwischt ihn mit erbarmungslosen Schlägen.

Jim Carmodys heißer Zorn ist wieder stärker als alle Vernunft. Er stellt sich zu diesem Schlagabtausch. Und so stehen sie nun Fuß bei Fuß und schlagen aufeinander ein, mit aller Kraft und Härte, die sie aufbringen können.

Auf dem Platz ist es sonst still. Die Reiter sitzen bewegungslos auf ihren Pferden. Und auch die anderen Zuschauer, die in Gruppen vor dem Saloon, vor dem Hotel und vor dem Store stehen – also noch weiter zurück als die Reiter –, bewegen sich nicht.

Sie alle vernehmen das Klatschen der Schläge, das Keuchen und Knurren der beiden Kämpfer. Und eines wird ihnen allen klar: Es kam ein Mann nach Starbow, gegen den sogar der gewaltige Logan Hackmoore seine Mühe hat.

Aber sie wissen nicht, wie schlimm es für diesen Fremden ist. Für Jim Carmody ist es nämlich erschreckend zu erleben, wie seine harten und mit aller Kraft geführten Schläge an diesem Logan Hackmoore wirkungslos bleiben.

Und zugleich spürt er Hackmoores Schläge, spürt, wie sie ihn wie Huftritte treffen, ihn zu zerschlagen drohen, richtig zu zerhämmern.

Er kann nicht länger standhalten. Dieser Mann ist körperlich härter und stärker. In Jim Carmody ist für einen Moment ein heftiges Gefühl der Panik. Er möchte sich umdrehen und zu laufen beginnen. Aber er überwindet den Schock. Er muss zwar zurückweichen, doch er kämpft immer noch, hält sich auf den Beinen und trifft Logan Hackmoore immer wieder hart und schmerzvoll.

Er liefert einen gewaltigen Kampf.

Aber irgendwann, es kommt ihm wie eine Ewigkeit vor, kann er dann nicht mehr. Er ist ausgehöhlt, völlig erledigt. Er bekommt die Fäuste nicht mehr hoch, es ist ihm, als hingen Zentnergewichte daran.

Und so steht er nur noch da und wartet.

Logan Hackmoore schlägt ihm einen Schwinger an den Kopf. Doch Jim taumelt nur einige Schritte zur Seite.

Er fällt nicht. Ein grausamer Wille, der aus einem sicherlich jetzt selbstmörderischen Stolz geboren wird, beherrscht ihn.

Und es erweist sich, dass Logan Hackmoores Kraft nun doch nicht mehr ausreicht, ihn von den Beinen zu bringen.

Dies ist für alle Zuschauer unfassbar. Diese Art von Widerstand erscheint ihnen gewaltig. Denn sie erkennen nun, dass auch dem großen und legendären Logan Hackmoore Grenzen gesetzt sind. Er ist im Grunde doch kein Übermensch.

In dieser Nacht und hier auf diesem Platz schwindet etwas von Logan Hackmoores großem Nimbus.

Denn nun muss er aufhören. Nun bekommt auch er seine Fäuste nicht mehr hoch. Als er den letzten Schlag machte, schwankte er vor Anstrengung dabei.

Sie sehen alle, wie er innehält. Sie hören ihn schnaufen.

Und dann senkt er plötzlich den Kopf und wendet sich ab. Er geht zu seinem Pferd.

Als er sich in den Sattel schwingen will, schafft er es nicht gleich. Und beim zweiten Versuch schafft er es ziemlich kläglich, denn es sieht so aus, als würde er auf der anderen Seite wieder auf den Boden fallen.

Er reitet langsam aus der Stadt. Seine Reiter folgen ihm schweigend.

Jim Carmody aber steht immer noch breitbeinig und mit hängenden Armen und gesenktem Kopf da.

Doch dann, als die Reiter fort sind, fällt er langsam auf die Knie und dann auf sein Gesicht.

✰✰✰

Er erwacht nach etwa vierundzwanzig Stunden, und er kann von seinem Lager aus durch das offene Fenster den Sternenhimmel sehen. Es vergeht dann eine lange Zeit, bis er sich alle Dinge wieder in die Erinnerung rufen konnte.

Es erscheint ihm alles wie ein böser Traum.

Als er versucht, sich aufzusetzen, da stöhnt er vor Schmerz. Doch er hält durch, und als er dann im Bett sitzt, ist er schweißüberströmt und erschöpft.

Durch das Fenster kommt genügend Helligkeit herein. Er kommt zu der Auffassung, dass er sich in einem Hotelzimmer befindet. Er erschrickt darüber, denn er kann einen längeren Hotelaufenthalt nicht bezahlen. Er muss befürchten, dass man sein Pferd pfändet.

Ich muss hier raus, denkt er. Ich habe nur drei Dollar, und die brauche ich, um Pepe beschlagen zu lassen. Ich kann mir keinen Hotelaufenthalt leisten.

Er betastet sich nun vorsichtig, und nun entdeckt er, dass er von einem Arzt behandelt worden sein muss. Er ist mit Pflastern und Verbänden versehen worden. Vielleicht musste man ihm sogar einige schlimme Risse zunähen.

Ich kann doch auch keinen Arzt bezahlen, denkt er bitter. Sie werden sicher meinen Pepe pfänden oder verkaufen. Schon der Schmied wollte ihn haben. Aber ...

Er schiebt nun seine Füße aus dem Bett, und es ist eine schreckliche Quälerei für ihn, bis er seine verkrampften Muskeln und den schmerzenden Körper so bewegt hat, dass er am Fenster steht.

Ja, er befindet sich in dem Hotel, welches am Platz gegenüber dem Saloon liegt.

Und nun endlich hört er auch den unbeschreiblichen Lärm. Es ist ein Lärm besonderer Art. Er kennt ihn, denn er hat ihn schon in anderen Treibherdenstädten gehört.

So brüllen einige tausend Longhorn-Rinder in Verladecorrals.

Es ist also eine oder es sind sogar mehrere Treibherden hier in Starbow eingetroffen, sicherlich die ersten in diesem Frühjahr. Denn die Treibwege sind lang, und man musste ja überall im Rinderland erst die Frühjahrs-Roundups durchführen.

Doch nun werden die Treibherden dicht auf dicht folgen. Sie werden das Gras in weiter Runde abfressen, und in der Stadt werden alle Sünden zu haben sein.

Jim Carmody wendet sich ins Zimmer zurück. Krumm und schief geht er zum kleinen Tisch, findet Zündhölzer neben der Lampe und steckt diese an. Er will in die Ecke zum Spiegel, der über einer Kommode hängt, auf der eine Waschschüssel steht.

Doch da öffnet sich die Zimmertür.

Sol Kinkaid tritt ein. Er hat ein Paket unter dem Arm und wirft es aufs Bett. Es öffnet sich, und Jim erkennt eine dunkle Cordhose, ein Paar neue Stiefel, eine Lederjacke und einen schwarzen Hut.

Es sind noch einige andere Kleinigkeiten dabei, auch das Unterzeug und das Hemd, das er sich gekauft hatte und das sich in seinem Bündel hinter dem Sattel befunden hatte.

Sol Kinkaid setzt sich an den Tisch.

Jim betrachtet ihn. Dann geht er doch zum Spiegel in der Ecke und betrachtet sich selbst. Er seufzt bitter.

»Solch ein Kampf bringt nie etwas ein«, sagt er. »Und dies alles habe ich für zehn Dollar bekommen. Es war keine gute Idee von mir, Ihnen gegen diesen Billy Hackmoore zu helfen, Sol Kinkaid.«

»Er bekam einen Kampf wie noch nie«, sagt Sol Kinkaid langsam. »Und dies alles, nachdem ich gekniffen hatte und die ganze Stadt einmal mehr von ihm beeindruckt worden war. Jim Carmody, ich schämte mich schon, als ich kniff. Doch jetzt schäme ich mich noch mehr. Und die ganze Stadt schämt sich. Ein Satteltramp, der sich zehn Dollar verdienen musste, hat uns allen gezeigt, dass ein Mensch kein Halbgott sein kann.«

Jim Carmody geht wieder zum Bett und setzt sich. Er wird sich jetzt erst richtig bewusst, dass er nackt ist bis auf die Verbände.

Er zieht sich die Bettdecke über die Schultern und wirkt nun fast wie ein Indianerhäuptling.

»Sol Kinkaid«, sagt er, »was wollen Sie von mir?«

In dem narbigen Gesicht des Marshals zuckt es. Er fährt sich über den grauen Schnurrbart, und in seinen hellen Augen sind seltsame Lichter.

»Ich habe Ihnen gestern ein Angebot gemacht«, sagt er. »Ich deutete Ihnen an, dass ich Ihnen vielleicht sagen könnte, wo Sie diesen Clay Diamond finden könnten, hinter dem Sie her sind. Doch Sie erwiderten darauf nichts. Sie gingen davon. Jim Carmody, ich brauche Ihre Hilfe.«