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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2530 bis 2532:
2530: Der wilde Clan
2531: Verlorene Fährte
2532: Eine Kugel für den Sheriff
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 469
Veröffentlichungsjahr: 2023
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2021 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2023 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Norma/Faba
ISBN: 978-3-7517-4744-8
https://www.bastei.de
https://www.sinclair.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2530 - Western
Die Slatermans
G. F. Unger Western-Bestseller 2531
Die mächtigen Vier
G. F. Unger Western-Bestseller 2532
Der Stern im Norden
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Contents
Die Slatermans
Es war schon Nacht, als ich die Reiter kommen hörte. Zuerst glaubte ich, dass es meine Brüder wären, die mit unserem Onkel früher als sonst aus der Stadt zurückkämen, aber dann erkannte ich, dass es sehr viele Reiter waren. Mehr als zwei Dutzend mussten es sein, und sie ritten rau.
Ich fühlte mich unbehaglich, machte mir Sorgen und begriff, dass es dieser trommelnde Hufschlag in unserem Canyon war, der mich alarmierte.
Aber was hätte ich schon tun können?
Ich war damals gerade siebzehn und hatte mir vor einiger Zeit beim Zureiten eines Wildpferdes das Bein gebrochen. Der Bruch war noch nicht richtig verheilt, sodass ich mithilfe einer Krücke herumhumpeln musste. Deshalb war ich auch nicht mit meinem Onkel und meinen Brüdern in die Stadt geritten, sondern daheim bei Mom geblieben. Mom schlief schon oder hatte sich jedenfalls zur Ruhe gelegt. Aber wahrscheinlich würde sie jetzt wach werden.
Ich blieb auf der Bank vor unserem Haus sitzen. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Überdies hatte ich ein gutes Gewissen. Aber es wurde mir klar, dass dort in der Nacht ein Aufgebot ritt. Hinter wem mochte es her sein?
Ich versuchte, meine unguten Gefühle zu unterdrücken, doch es gelang mir nicht. Sie wurden stärker und stärker, je näher der trommelnde Hufschlag kam. Und eines begriff ich endlich: Das Ziel dieser Reiter war unser Anwesen.
Das konnte nicht anders sein, weil sie sonst ihre Pferde nicht so wild gejagt hätten. Sie hatten die Kraft und Zähigkeit ihrer Tiere nur bis zu uns berechnet. Weiter brauchten die Tiere nicht zu laufen. Sie würden hier eine Verschnaufpause bekommen.
Deshalb ritten sie im schnellsten Galopp.
Die Nacht war hell. Mond und Sterne warfen ihr silbernes Licht in den Canyon.
Bald schon konnte ich die dunkle Traube der Reiter erkennen. Sie war dicht zusammengedrängt und veränderte ständig ihre Form.
Ich dachte einen Moment daran, meinen Colt oder das Gewehr aus dem Haus zu holen. Irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl, mich bewaffnen zu müssen.
Doch dann ließ ich es.
Wenn dieses große Aufgebot etwas von uns wollte, dann war es besser, unbewaffnet zu sein.
Denn ich war ziemlich hitzköpfig, und wenn ich auch erst siebzehn war, so war ich doch ein echter Slaterman, nämlich hitzköpfig, stolz, wild – und schnell mit der Waffe zur Hand.
Ich konnte mit einem Colt in der Hand zaubern, jawohl, zaubern.
Aber gegen ein starkes Aufgebot würde ein Colt natürlich ein denkbar schlechtes Argument sein.
Denn so langsam ahnte ich, dass dieses Rudel wegen meiner Brüder angesaust kam.
Ich erhob mich, schob mir eine Krücke unter die Achsel und trat bis an den Rand der Veranda, sodass ich nicht mehr im Schatten des Daches saß, sondern im Mond- und Sternenlicht zu erkennen war.
Dann jagten sie auch schon heran. Sie kamen nicht alle auf unseren Hof. Das taten nur fünf oder sechs von ihnen.
Die anderen Reiter umzingelten unsere Farm.
Und damit war für uns alles klar, ja, auch für Mom. Denn sie trat nun ebenfalls aus dem Haus. Sie hatte sich ihren alten Morgenmantel über das Nachthemd geworfen. Sie war eine kleine, schon etwas vom Alter gebückte Frau. Aber es war ja auch nicht einfach gewesen für sie, vier Söhne großzuziehen ohne Mann.
Denn unseren Vater hatten sie vor mehr als einem Dutzend Jahren eingesperrt. Er hatte zwanzig Jahre bekommen. Bei einem seiner vielen Fluchtversuche hatten sie ihn dann erschossen.
Ja, solch eine Familie waren wir. Jawohl!
Mom stand mehr als zwei Köpfe kleiner neben mir. Ich war bei meiner Länge noch sehr dünn.
Einige der Reiter kannten wir gut, die anderen weniger gut.
Am besten kannten wir den Sheriff und den wohl reichsten und mächtigsten Mann unseres Countys, Mr Parradine.
Letzterer war es auch, der die Befehle gab, und dem Sheriff hatte er schon immer Befehle gegeben, weil dieser zuvor bei ihm Vormann gewesen war. Der Sheriff war also gewöhnt, Mr Parradines Befehle auszuführen.
Barsch wandte sich Parradine dann vom Sattel aus an uns: »Wo sind sie? Wo sind diese verdammten Mörder?«
Meine Mom schien neben mir ein ziemliches Stück größer zu werden.
»Mister Parradine«, sagte sie mit ihrer ruhigen, klaren und niemals ungeduldig klingenden Stimme. »Mister Parradine, Sie sind offensichtlich sehr erregt. Ich kenne den Anlass dazu nicht. Doch was es auch sein mag, Ihre Frage kann ich beantworten. Hier gibt es keine Mörder. Hier leben nur meine Söhne und mein Schwager Clint Slaterman. Wenn Sie Mörder suchen, Mister Parradine, dann ist dies nicht der richtige Ort.«
Aber Parradine gab ihr keine Antwort. Er rief vielmehr laut genug, sodass es alle Reiter hören konnten: »Also durchsucht diese Wolfshöhle. Durchsucht alles genau! Los, Jungs!«
Überall schwangen sich die Reiter aus den Sätteln.
Drei von ihnen wollten an uns vorbei ins Haus.
Ich stellte mich ihnen in den Weg – aber das war dumm, denn einer gab mir einen Stoß vor die Brust, dass ich mitsamt meiner Krücke fast nach hinten einen Purzelbaum schlug und hart gegen die Hauswand knallte.
Ich war halb betäubt und lag einige Atemzüge lang regungslos da. Als meine Sinne dann wieder klarer wurden, hörte ich Mom mit fester Stimme sagen: »Sheriff, was bedeutet das? Ist dieser Mister Parradine ...«
»Adam hat seinen Sohn erschossen«, sprach der Sheriff hart dazwischen. »Es gibt Augenzeugen, Mae Slaterman. Ja, ich unterstütze alles, was Mister Parradine in Gang bringt – alles! Damit müssen Sie sich abfinden. Schon Ihr Mann war ein Mörder, der mit zwanzig Jahren glimpflich davonkam. Nun ist es auch einer Ihrer Söhne. Ich denke, dass wir diese Wolfshöhle wirklich ausräuchern müssen.«
Ich rappelte mich langsam hoch, nahm meine Krücke, stemmte sie mir wieder unter den Arm und trat neben meine Mom.
Verdammt, ich konnte ihr nicht helfen. Ich war ein Junge von siebzehn Jahren und noch nicht erwachsen. Aber sie hätte jetzt einmal mehr einen reifen und erfahrenen Mann gebraucht, einen Mann, bei dem sie Schutz finden und sich geborgen fühlen konnte, einen Mann, der genau wusste, was zu tun war.
Die Kerle schlugen in unserem Haus alles kurz und klein, rissen alles auseinander. Es war klar, sie waren hergekommen, um zu zerstören, und nicht so sehr, um zu durchsuchen. Denn sie hatten sich ausrechnen können, dass außer Mom und mir sonst niemand daheim war.
Sie wollten zerstören.
Das war es.
Der Sheriff und Parradine saßen noch in den Sätteln.
Sie warteten. Ihre Männer waren auch drüben bei den Corrals, in den Ställen und der großen Scheune. Die Pferde trampelten auch in Moms Gemüsegarten herum.
Wir konnten nichts tun.
Mein Bruder Adam sollte den Sohn eines mächtigen Mannes getötet haben.
Nun wurden wir klein gemacht. Und der Sheriff machte mit, weil er Parradines Mann war und wieder gewählt werden wollte.
Ich wusste plötzlich, dass unsere Farm in dieser Nacht vernichtet werden würde. Ja, darauf lief es hinaus.
Mom stand noch immer kerzengerade auf der Veranda. Unter ihrem Morgenmantel schaute das weiße Nachthemd hervor. Ihre nackten Füße steckten in viel zu großen Pantoffeln, und ihr graues Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der ihr auf den Rücken hing. Sie war eine unscheinbare Frau – aber jetzt wirkte sie so stolz, wie ich sie noch niemals in meinem ganzen Leben gesehen hatte.
»Mister Parradine«, sagte sie laut und klar, »Sie zerstören mein Heim. Sie begehen jetzt Landfriedensbruch.«
»Sicher«, sagte Parradine, »sicher, Mae Slaterman. Aber ich habe meinen einzigen Sohn verloren. Adam erschoss ihn von hinten, weil er nicht verlieren wollte. Mit dem zweiten Schuss schoss er ihn bei einem Wettritt aus dem Sattel. Ja, Mae Slaterman, ich lasse alles zerstören – alles, was die Slatermans hier noch im Land hält. Und Ihre Söhne, Mae Slaterman, werde ich um die ganze Erde jagen lassen, bis es keinen mehr von ihnen gibt. Ich will sie tot am Boden sehen wie meinen Sohn.«
Seine Stimme knirschte.
Und endlich begriff ich, dass er sich kaum noch beherrschen konnte. Er war angefüllt von einem bösen Vernichtungswillen und Schmerz. Sein Sohn war tot. Er kannte den Schuldigen und wollte Rache an dessen ganzer Familie.
Er war nicht mehr zurechnungsfähig. Aber er war der mächtigste Mann im Lande. Er konnte handeln wie ein Despot. Niemand hielt ihn auf. Und der Sheriff war sein Mann.
Ich hörte mich sagen: »Mister, wenn Sie alle Slatermans töten wollen, dann fangen Sie bei mir an. Ich stehe unbewaffnet vor Ihnen. Sie können mich leicht von den Beinen schießen.«
»Ja, das kann ich!« Er stieß es knurrend aus und zog seinen Colt.
Aber da trat meine Mom vor mich.
Und auch der Sheriff sagte: »Mister Parradine, der war bestimmt nicht mit dabei. Der kann doch nur mithilfe der Krücke gehen. Er kann noch nicht reiten und ist noch ein Junge.«
»Ein junger Wolf ist er«, knurrte Parradine. »Der ist nicht anders als die ganze Slaterman-Bande. Und vielleicht wird er eines Tages der böseste Bursche von ihnen sein, wenn wir nicht alle erwischen und erledigen.«
Aber er steckte nach seinen Worten die Waffe wieder weg.
Da er meinen Bruder und den Onkel nicht bei uns finden konnte, trieb ihn die Ungeduld nach Rache wieder an. Er begriff plötzlich, dass er hier wahrscheinlich nur Zeit verschwendete.
Und so zog er sein Pferd herum, ritt umher und trieb mit scharfer Stimme seine Männer an.
In der Scheune war plötzlich Feuer.
Meine Mom sah zum Sheriff hin, der immer noch im Sattel saß, und sagte hart: »Sie krummer Hund. Sie tragen einen Stern und lassen das zu. Sie sind ein verdammter Bastard, Ben Miller!«
Aber er gab ihr keine Antwort, sondern zog sein Pferd herum, sodass er uns den Rücken zukehrte.
Nun ritt auch er über den Hof.
Hinter uns kamen die Männer aus unserem Haus. Ich roch auch hier Feuer.
»Ihr Schweine«, sagte ich zu einem der herausdrängenden Männer.
Aber er grinste nur und stieß mich vor die Brust, sodass ich über das Verandageländer hinunter in den Hof fiel.
Stöhnend blieb ich dort liegen. Mein kaum zusammengewachsenes Bein schmerzte, als wäre es erneut gebrochen. Aber ich rappelte mich hoch. Ich wollte Mom beim Löschen helfen.
Doch sie hatten drinnen im Haus die Lampe umgekippt. Das brennende Öl hatte sich schon überall verteilt.
Eine alte Frau und ein einbeiniger Junge konnten da nicht viel machen mit Wasser, welches sie erst in Eimern aus dem Brunnen holen und schleppen mussten. Wir hatten keine Chance.
✰✰✰
Als es Tag wurde, wärmten uns die glühenden Reste unserer Farm.
Wir hatten ein wenig von unserer persönlichen Habe und vom Hausrat gerettet.
Nun saßen wir herum und wussten nicht recht, was wir tun sollten.
Aber dann sahen wir im Morgengrauen zwei Reiter kommen. Es waren zwei Männer, die oft genug hier als Freunde meiner Brüder zu Gast waren. Sie besaßen weiter in den Hügeln eine kleine Farm. Doch hauptsächlich brannten sie in einem verborgenen Camp Whisky.
Einer von ihnen sagte: »Mae Slaterman, Ihr Schwager und Ihre Söhne kamen bei uns vorbei. Sie waren auf der Flucht und baten uns, uns um Sie, Mae, und um den Kleinen zu kümmern. Sie sagten, wir sollten Ihnen helfen, alle Habe, die Sie mitnehmen wollen, auf einen Wagen zu laden. Und dann sollen Sie mit dem Kleinen nach Westen fahren, immer nur nach Westen. Und hier sind hundert Dollar.«
Mom nahm die hundert Dollar und nickte.
Und dann sagte sie: »Ja, ich will nach Westen fahren mit Mike. Ja, ich will es tun, damit ich sie alle noch einmal wiedersehen und ihnen noch etwas sagen kann. Ja, ich will noch einmal auf den langen Trail gehen.«
✰✰✰
Der Wagentreck, mit dem wir zogen, war ziemlich zusammengewürfelt. Es gab kleinere Gemeinschaften, Sippen, die mit mehreren Wagen unterwegs waren, aber auch kleine Familien, die nur einen Wagen besaßen, also nur aus dem Elternpaar und Kindern bestanden. Es gab viele Kinder in unserem Treck.
Einige Reiter gehörten ebenfalls dazu. Es waren die größeren Söhne der Teilnehmer, aber auch Männer, die angeworben worden waren als Helfer und Scouts. Zu dem Wagenzug gehörte auch Vieh. Eine Pferde- und eine Maultier-Remuda wurden mitgetrieben. Dies alles machte Helfer zu Pferde notwendig.
Und überdies ritten einige Reiter mit uns, die nicht allein nach Westen reiten wollten, sondern lieber Gesellschaft hatten.
Ein solcher Reiter war auch Pete Skinner.
Er stieß eines Tages zu uns, sprach mit unserem Treckboss, gab Auskunft über sich und wurde akzeptiert. Von nun an blieb er bei uns. Er half, wo er konnte, machte sich durch sein ruhiges und freundliches Wesen beliebt und schloss sich mehr und mehr meiner Mom und mir an, sodass er bald jeden Abend an unserem Feuer saß und Mom für ihn mitkochte. Dafür nahm er ihr alle anderen Arbeiten ab – und manchmal, wenn ich mal einige Stunden im Sattel sitzen wollte, da fuhr er auch unseren Wagen. Er verstand sich gut mit Mom.
Eigentlich war dieser Pete Skinner ein unscheinbarer Bursche, nicht groß, eher ein Leichtgewicht, mit sandfarbenem Haar, einer ziemlichen Stirnglatze und blauen Kinderaugen. Sein Bartwuchs war spärlich. Seinen Revolver trug er ganz normal. Er sagte, dass er Gehilfe in einer großen Saatgut- und Futtermittelhandlung gewesen wäre und nun in den Westen wolle, um vielleicht dort eine Farm zu gründen. Aber dies wäre wohl für einen Mann ohne Frau sehr schwer. Er hätte jedoch bis jetzt noch kein Mädchen finden können, vielleicht deshalb, weil es ihm nicht so leicht falle, Bekanntschaften mit Mädchen zu schließen.
Mom und ich, wir glaubten, dass er sich deshalb diesem Wagenzug angeschlossen hatte. Denn hier waren eine ganze Anzahl heiratsfähiger Girls. Eine der großen Familien hatte sogar sieben Töchter, die hinter jedem Burschen her waren.
Aber leider waren sie so hässlich, dass alle Burschen vor ihnen wegliefen.
Mom lachte dann immer und sagte: »Lass uns mal weiter westlich des Mississippi sein, dort, wo die Frauen seltener sind. Dann werden diese sieben Girls in den Augen der Burschen jeden Tag schöner. Ich wette, die bekommen alle ihre Männer. Und auch Pete sollte sich eine von ihnen aussuchen. Denn sie sind tüchtig. Sie können arbeiten wie Ochsen. Und solche Frauen braucht ein Siedler, jawohl.«
Sie sagte das ohne Bitterkeit – aber ich wusste, dass sie wie zwei Ochsen gearbeitet hatte. Denn als mein Vater eingesperrt wurde, hatte sie vier Söhne satt zu machen. Es war schon viel Arbeit für sie, uns in Trab zu halten. Denn meine Brüder und auch unser Onkel Clint, die hielten nicht viel von der Arbeit. Sie gingen lieber auf die Jagd oder fischten am Fluss. Und wenn sie das nicht taten, brannten sie Schnaps.
Pete Skinner war da ein anderer Bursche. Er machte sich überall beliebt, half, wo er konnte – und wahrscheinlich hätte sich Mom ihre Söhne so gewünscht wie ihn.
Indes vergingen also viele Tage. Wir zogen nach Westen, immer weiter nach Westen. Das Land senkte sich vom Cumberland Plateau zu den Flüssen nieder. Unsere Zugtiere brauchten kaum lange Steigungen hinauf. Eines Tages erreichten wir bei Sonnenuntergang die Furt des Tennessee River.
Es war der größte Fluss, den ich bisher in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Aber er führte um diese Jahreszeit nicht viel Wasser.
Deshalb setzten wir an diesem Abend nicht gleich über, sondern blieben diesseits. Das war eigentlich gegen die Regel. Denn die Flüsse wurden von Wagentrecks zumeist sofort durchfurtet, weil sich ja der Wasserstand manchmal binnen weniger Stunden ändern konnte.
Es wurde ein schönes Camp.
Die Kinder – und nicht nur diese – badeten bald in dem recht warmen Wasser. Tiere und Menschen genossen die Rast am Fluss. Die Frauen begannen noch Wäsche zu waschen.
Auch Pete Skinner und ich badeten, indes wir unsere Tiere tränkten.
Ich sah, dass er einige Narben hatte. Sie sahen aus wie Kugelnarben. Ich kannte mich damit aus, weil auch mein Onkel und meine Brüder solche Narben hatten. Aber woher sollte ein Mann wie Pete Skinner, der auf mich sehr friedfertig und durchaus nicht abenteuerlich wirkte, solche Kugelnarben haben?
»Warst du Soldat? Bist du verwundet worden?«, fragte ich ihn geradezu.
Er nickte ruhig – und zum ersten Mal entdeckte ich in seinen sonst so sanften blauen Kinderaugen ein Funkeln.
»Ja, ich war im Krieg«, sagte er. »Und ich wurde mehrmals zusammengeschossen. Es war schrecklich. Ich möchte es vergessen.«
Ich nickte nur stumm, denn bei ihm konnte ich verstehen, dass er nicht über den Krieg und seine Verwundungen reden wollte.
Meine Brüder hätten damit geprahlt.
✰✰✰
Auch diese Nacht am Tennessee River schlief ich wieder unter unserem Wagen. Ich wusste, dass es meiner Mom so recht war. Sie hatte mich dann stets in Rufnähe und konnte mich auch durch Klopfen auf den Wagenboden wecken oder auf etwas aufmerksam machen.
Sie lag oft viele Stunden wach. Manchmal hörte ich sie lange husten. Dieser Treck nach Westen war gewiss nicht leicht für sie. Ich machte mir Sorgen, wie es mit ihr sein würde, wenn wir schlechteres Wetter bekamen.
Auch in dieser Nacht schlief ich sofort ein. Pete Skinner schlief in unserer Nähe auf der anderen Seite unseres verglühenden Feuers. Das ganze Wagencamp war nun zur Ruhe gekommen. Nur manchmal bellte ein Hund oder weinte in einem der Wagen ein kleines Kind.
Und die Nachtwächter machten ruhig ihre Runden, redeten manchmal mit den Tieren.
Es waren die üblichen Geräusche, die diesmal nur durch das leise Plätschern des Flusses etwas anders waren als sonst.
Ich musste bis eine Stunde nach Mitternacht geschlafen haben, als ich plötzlich keine Luft mehr bekam. Ich erwachte und begriff, dass jemand mir Mund und Nase mit der Hand zuhielt.
Doch bevor ich zu kämpfen beginnen konnte, zischte mir eine leise Stimme ins Ohr: »Sei still, Kleiner – ich bin es, George!«
Heiliger Rauch, dachte ich, das ist ja mein Bruder George.
Ich drehte mich auf die Seite und sah ihn nun dicht neben mir. Er war zu mir unter den Wagen gekrochen und presste sich dicht an mich, sodass wir in der Dunkelheit wie ein einziger Körper wirkten.
»O George ...«, sagte ich voller Freude, aber er hielt mir wieder den Mund zu, denn ich war in meiner Freude wohl zu laut.
»Bist du verrückt, so zu brüllen ...«, zischte er mir ins Ohr.
Von oben fragte Moms Stimme durch den Wagenboden zu mir nieder. »Mike, was ist mit dir? Mike, mit wem redest du?«
Ich gähnte zuerst. Dann sagte ich verschlafen: »Ach, Mom, ich träumte von George. Ich hab im Schlaf sicherlich geredet. Schon gut, Mom. Es ist nichts.«
Dann verhielten wir uns eine Weile still.
Endlich krochen wir dann leise unter dem Wagen hervor und glitten zum Fluss hinunter. Zwischen zwei Büschen hielten wir an.
»Du Brüllaffe«, sagte George – aber er sagte es milde und gab mir dabei eine leichte Kopfnuss.
Ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Ich war fast außer mir vor Freude. Endlich war ich mit Mom nicht mehr allein. Nun würde ich gleich zu hören bekommen, wo sich Onkel Clint und meine anderen Brüder befanden.
»Ich bin hier«, sagte George auch schon, »um euch noch etwas Geld zu bringen und dir zu sagen, dass ihr weiter nach Westen müsst – immer nach Westen, bis nach Colorado. In den Bergen von Colorado werden wir uns wohl fühlen wie daheim in Tennessee. Die Luft dort wird auch gut sein für Mom. Ich wette mit dir, dass unsere Mom in Colorado nicht mehr so schlimm husten wird. Und wir werden ein schönes Haus bauen. Es soll ihr an nichts fehlen. Alles wird besser werden als daheim in Tennessee.«
Ich war bereit, ihm dies alles zu glauben.
Er drückte mir einige Geldstücke in die Hand. Ich konnte schon am Gewicht erkennen, dass es fünf goldene Zwanzigdollarstücke waren, sogenannte Double Eagle.
Wir hatten unser Geld noch längst nicht ausgegeben, obwohl wir Proviant und einige andere notwendige Dinge kaufen mussten und auch einen kleinen Betrag in die Treck-Kasse unseres Wagenzuges zahlten.
Nun aber waren wir schon fast reich.
Aber ich scheute mich, George zu fragen, woher wir plötzlich eine solche Menge Geld hatten. Ich wusste zu genau, dass es nicht redlich erworben sein konnte. Sie hätten es höchstens finden können. Doch wer fand schon im rechten Moment eine Menge Geld?
Dafür fragte ich: »Wie war das mit Adam und Tom Parradine? Sein Vater sagte, Adam hätte ihn von hinten aus dem Sattel geschossen, weil er einen Wettritt nicht verlieren konnte. Wie war das wirklich, George? Du musst es mir sagen. Mom und ich, wir müssen endlich die Wahrheit wissen. Also, wie war es?«
Er zögerte. »O Kleiner ...«, murrte er.
»Los, erzähle«, forderte ich, »erzähle, verdammt! Was glaubst du, wie sich Mom darüber sorgt, ob Adam ein Mörder ist oder nicht.«
Er zögerte immer noch.
Dann nickte er. »Na gut, es war ein Wettritt über sieben Meilen, den Adam und Parradines Sohn Tom unternahmen. Tom hatte Adam im Saloon herausgefordert, weil Adam gerade laut genug mit den Shannigan-Jungs über die Vorzüge seines Schecken redete. Tom Parradine sagte, dass Adams Schecke nicht viel taugte und er auf seinem Braunen jeden Wettritt gegen Adam gewinnen könne. Er würde jederzeit fünfhundert Dollar auf seinen Sieg setzen. Und er hätte gerade fünfhundert Dollar in der Tasche, weil er in die Stadt gekommen wäre, um die Monatsrechnungen der Parradine Ranch zu bezahlen. Aber er würde das Geld gern einsetzen, wenn wir was dagegen zu bieten hätten. Er wüsste ja, dass wir Slatermans arme Schlucker wären, doch ihm würden auch unsere Pferde mitsamt den Sätteln und Onkel Clints schöner Colt genügen. Nun, Mike, was sollten wir tun? Er hatte uns herausgefordert und wollte uns klein machen. Wir Slatermans sollten unsere Pferde und Sättel verlieren und vollends Hungerleider werden. Aber Adam glaubte an seinen Pinto, diesen prächtigen Schecken. Er glaubte an ihn bis in die Hölle und zurück. Er überredete uns. Deshalb nahmen wir die Wette an. Der Ritt führte den Creek entlang bis zur Teufelssprung-Brücke, auf der anderen Seite wieder zurück und durch die Furt in die Stadt herauf bis vor den Saloon.«
Wieder machte er eine Pause, zögerte. Ich hatte das Gefühl, als überlegte er, ob er mir den Rest überhaupt erzählen sollte.
»Weiter, George – wie ging es aus?«, drängte ich.
Immer noch zögerte er.
Dann sprach er weiter: »Adam war vor Tom Parradine an der Teufelssprung-Brücke. Er konnte also den Sprung zuerst wagen und hatte dadurch einen Vorsprung. Tom Parradine war etwa dreißig Yards hinter ihm. Sein Brauner holte nicht mehr auf. Da schoss Tom Parradine. Die Kugel streifte Adam dicht über dem Gürtel an der Taille. Es war nur ein leichter Streifschuss, doch er fiel vom Pferd, weil der Schmerz ihn unachtsam reiten ließ. Sein Schecke blieb sofort stehen, so wie er es gelernt hatte. Adam kam schnell wieder in den Sattel. Nun hatte er etwa fünfzig Yards aufzuholen, denn nun war Parradine vorne.
Aber Tom Parradine wandte sich im Sattel um und schoss zurück. Er wollte den Ritt gewinnen, koste es, was es wolle. Da schoss auch Adam. Mit dem zweiten Schuss traf er Tom Parradine. Als er an diesem vorbeiritt, da sah er, dass er tot war. Nun kam es darauf an, das Geld zu bekommen. Denn es war ja klar, dass wir uns vor Parradines Rache zu fürchten hatten und alle weg mussten. Adam kam als Sieger in die Stadt geritten. Tom Parradines Pferd kam ohne Reiter zur Furt und später dann in die Stadt getrottet. Adam lachte darüber und rief den Leuten zu, dass Tom Parradine unterwegs aus dem Sattel fiel, als sein Pferd am nassen Creekufer ausrutschte. Alles lachte und grinste. Der Saloonwirt zahlte uns die fünfhundert Dollar aus. Jeder hatte Verständnis dafür, dass wir nicht auf Tom Parradine warten wollten. Man wusste, dass es da nur Streit gegeben hätte. Also ließ man uns reiten, und wir ritten schnell. Wir kamen nicht mal mehr heim, denn Adam hatte bemerkt, dass er und Tom Parradine beobachtet worden waren. Es waren Heumacher auf einer Wiese oberhalb des Creeks gewesen, die dort das Blaugras schnitten. Wir konnten uns alles ausrechnen. Nun weißt du also alles, Kleiner. Adam ist kein Mörder. Er hat nur zurückgeschossen. Aber das nimmt ihm keiner ab, schon gar nicht Parradine. Für den zählt nur, dass sein einziger Sohn von einem Slaterman getötet wurde. Deshalb möchte er uns alle zur Hölle schicken. Bei dir hätte er angefangen, wenn du etwas älter gewesen wärest.«
Er schwieg nun eine Weile. Auch ich hatte nachzudenken. Ich stellte mir den Wettritt vor, auch den Sprung über die Teufelssprung-Brücke. Es war keine Brücke, sondern zwei Felsen, die sich zueinander krümmten, sodass es wie eine Brücke aussah, deren Mitte herausgebrochen war. Ja, ich konnte mir alles vorstellen, auch, wie sie dann aufeinander schossen, weil keiner verlieren wollte. Tom Parradine konnte nicht verlieren, weil sein Vater ihn sonst in Stücke geschlagen hätte wegen der verlorenen fünfhundert Dollar. Und Adam durfte nicht verlieren, weil dann alle Slatermans ohne Pferde gewesen wären.
George begann nun wieder zu sprechen. Er beugte sich zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter.
»Du musst Mom nach Colorado bringen«, sagte er. »Wir dürfen uns noch nicht in eurer Nähe blicken lassen, denn Parradines Revolvermänner sind noch immer hinter uns her. Er hat Kopfpreise ausgesetzt. Auf Adams Kopf zahlt er zehntausend Dollar. Ich möchte wetten, dass du und Mom ständig beobachtet werdet. Wahrscheinlich ist einer von Parradines Leuten ständig in eurer Nähe. Denk mal nach, wer nach euch zu diesem Treck gestoßen ist – ein einzelner Reiter vielleicht, der sich dem Treck angeschlossen hat und ganz harmlos wirkt, aber er sucht deine Nähe und hilft dir dann und wann. Na, gibt es solch einen Burschen?«
Ich dachte sofort an diesen Pete Skinner.
Doch der war bestimmt kein Revolvermann von Parradine – auch kein Spitzel, nein, niemals. Pete Skinner war harmlos, und ich mochte ihn. Er war gewiss doppelt so alt wie ich, doch wir waren schon so etwas wie Freunde. Ich hatte in diesen Tagen eine ganze Menge von ihm lernen können. Er war ziemlich gebildet und konnte über viele Dinge reden, von denen ich bisher nichts wusste.
»Nein, es gibt solch einen Burschen nicht«, erwiderte ich auf Georges Frage. »Mir fiel jedenfalls keiner auf.«
»Es gibt bestimmt einen«, murrte George störrisch. »Denn Parradines Leute wissen genau, dass wir uns früher oder später mit euch in Verbindung setzen werden. Es liegt klar auf der Hand, dass einer von ihnen bei euch in der Nähe sein und euch genau beobachten wird. Vielleicht ist er sogar schon in der Nähe. Oh, keine Sorge, er wird mir nichts tun. Auch er würde mich verfolgen, um herauszufinden, wo Onkel Clint und meine Brüder sind, besonders Adam, dessen Tod zehntausend Dollar einbringt. Überlege doch mal – zehntausend Dollar! Eine gewaltige Summe, ausgesetzt von einem Mann, der uns hasst, uns hassen wird bis in die Hölle und zurück. Überleg mal, Kleiner.«
Wieder dachte ich an Pete Skinner. Aber ich schüttelte den Kopf. Nein, es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein.
George legte wieder seine Hand auf meine Schulter. »Ich reite jetzt. Mein Pferd habe ich drüben auf der anderen Seite des Flusses. Das Wasser wird euch morgen nur bis zu den Radnaben reichen. Wenn ihr westlich des Mississippi seid, werden wir euch noch mal besuchen. Wohin geht dieser Treck?«
»Nach Kansas. Dort ist jetzt viel Land frei geworden«, sagte ich. »Die Kansas-Bahn soll Nebenlinien erhalten. Große Land- und Bodenverwertungsgesellschaften holen die Siedler und Farmer ins Land und geben Kredite.«
»Aber ihr zieht weiter nach Colorado«, sagte er, klopfte mir noch einmal meine Schulter und verschwand.
Ich hörte ihn dann im Wasser plätschern.
Langsam ging ich zurück zu unserem Wagen.
Ich wollte wieder unter den Wagen in meine Decken kriechen – aber dann sah ich dorthin, wo jenseits des schon fast verglühten Feuers Pete Skinner liegen musste.
Er lag nicht mehr dort. Die Nacht war hell genug, dass ich dies mühelos erkennen konnte.
Ich ging hin.
Er war fort.
Nun machte ich mich auf die Suche nach seinem Pferd. Es musste mit unseren Tieren nur ein kleines Stück weg zwischen einigen Bäumen in einem Seilcorral stehen.
Aber auch seine graue Stute war weg.
Nun beeilte ich mich.
Und wenige Minuten später ritt ich bewaffnet durch die Furt zur anderen Seite des Tennessee Rivers.
Ich blieb auf dem Wagenweg, denn ich hatte die Staubfährte von Reitern in der Nase. Ich konnte mich nicht irren. Nur mein Bruder George und dieser Pete Skinner waren hier geritten, hatten den Staub aufgewirbelt.
Nachdem ich zwei Meilen hinter mich gebracht hatte und die Flusshügel durchquerte, hörte ich zwei Schüsse. Sie waren ziemlich weit entfernt. Ich gab meinem Pferd die Sporen, und ich musste nochmals weiter als eine Meile reiten.
Der Wagenweg führte durch eine Senke. Es gab einen kleinen See dort unten, aber auch einige Bäume und Gebüsch.
Eine mächtige Burreiche mit gewaltigen Ästen überschattete den Wagenweg.
Unten stand ein Pferd.
Ein Mann lag am Boden.
Und ein anderer Mann stand daneben und wandte sich mir zu. Er hielt einen Colt schussbereit.
Es war mein Bruder George.
Als ich absaß, fragte er hart: »Kennst du den hier?«
Ich kniete neben dem Mann am Boden nieder.
Es war Pete Skinner.
Heiliger Rauch, was war ich erschüttert.
Hinter mir sagte mein Bruder: »Er verfolgte mich, doch ich war vorsichtig. Ich schickte mein Pferd allein weiter und blieb hier in Deckung der Eiche. Als er kam, fragte ich ihn, warum er mich verfolgte. Er sagte, dass Parradine ihn dafür bezahlen würde und es nur eine Frage der Zeit sei, bis man Parradine Adams Skalp brächte. Und dann zog er seine Waffe. Ich war schneller.«
✰✰✰
Als das Camp erwachte und wir alle unseren gewohnten Arbeiten nachgingen, da fragte Mom schon bald nach Pete.
»Ich weiß nicht, wohin er geritten ist, Mom«, sagte ich. »Er hat nichts zu mir gesagt. Ich weiß auch nur, Mom, dass er weg ist.«
Sie hatte auch für ihn das Frühstück mitgekocht. Nun hatte sie zu viel Pfannkuchen und Speck gebraten.
Sie packte dann alles weg, denn Pete kam nicht, und der Treck brach auf. Wir mussten uns mit unserem Wagen einreihen, denn jeder Wagen hatte seinen bestimmten Platz im Treck. Das war genau eingeteilt.
Wir kamen an der Burreiche vorbei, unter der Pete Skinner begraben lag. Ich sah hinüber.
Nichts war zu sehen.
Ein Kopfgeldjäger war gestorben – und niemand würde je wieder etwas von ihm hören.
✰✰✰
Einige Tage später fragte niemand mehr nach Pete Skinner.
Ich dachte manchmal, dass es doch schnell geht in dieser Hinsicht.
Es begann dann die Zeit, da ich mit dem Mädchen näher bekannt wurde.
Sie hieß Virginia Hill, und sie gehörte zu dem Wagen, der seit einiger Zeit hinter unserem fuhr, weil zwei Wagen ausgeschieden waren.
Das Mädchen kam an einem Abend zum Creek, als ich mich dort gerade gewaschen und angekleidet hatte. Sie wollte einen Eimer Wasser holen und sagte zu mir, der ich noch barfuß im Creek stand: »Holst du mir einen Eimer Wasser heraus?«
Ich sah sie an, und ich hatte sie mir schon oft angesehen. Denn sie gefiel mir.
Sie war ein oder zwei Jahre jünger als ich, also etwa fünfzehn oder sechzehn.
Damit war sie schon fast im heiratsfähigen Alter. Denn diese Siedlermädchen heirateten sehr früh. In unserem Treck waren auch welche, die mit sechzehn schon Kinder hatten. So mancher Ehemann und Vater war kaum älter als ich.
Das war eben so üblich bei den Siedlern.
Ich schöpfte einen Eimer voll Wasser aus dem Creek und reichte ihn ihr hinauf.
»Warum bist du eigentlich immer so ernst?«, fragte sie, indes sie den Eimer nahm, absetzte und die Hände in die Taille stemmte.
Oh, sie war ein kesses Ding, blondhaarig und grauäugig. Sie konnte einen mit ihren rauchgrauen Augen sehr fest und gerade ansehen.
Ich verspürte plötzlich den Wunsch, mich mit ihr zu unterhalten und sie näher kennenzulernen. So ganz unerfahren mit Girls war ich nicht. Daheim hatte ich schon mit einigen zu tun gehabt, sogar mit einer, die älter war als ich und mir ein paar Dinge beibrachte, die ich zuvor nur vom Hörensagen kannte, wenn meine Brüder sich über Mädchen und Frauen und ihre Erlebnisse mit diesen unterhielten.
Seit Tagen grinste ich zum ersten Mal wieder.
»Ich bin immer so ernst«, sagte ich, »weil es dann für ein Mädchen eine schöne Aufgabe sein muss, mich aufzuheitern. Wäre das nicht vielleicht auch was für dich, Grauauge? Hast du schon mal einen Jungen geküsst?«
Sie staunte, und sie begriff wohl in diesem Moment, dass sie mich falsch eingeschätzt hatte.
Dann holte sie tief Luft und bekam ein zorniges Funkeln in die Augen.
»Oh, du bist wohl ein ganz frecher Schlurch«, sagte sie. »Oder du gehörst zu der Sorte, die das Maul so voll nimmt und in Wirklichkeit gar nicht so toll ist. Und merk dir eines, du sommersprossiger Feuerkopf! Ich habe noch keinen Jungen geküsst, aber Jungen wollten mich küssen – jede Menge. Nur lass ich mich nicht von jedem küssen.«
»Das ist richtig«, sagte ich zu ihr. »Ich wette jedoch, dass du noch gar nicht richtig küssen kannst. Wenn du nach Anbruch der Nacht herkommst, dann zeige ich es dir. Ich warte dort drüben bei der großen Weide – ja?«
Sie holte abermals tief Luft, so als wollte sie ein Feuerwerk von verächtlichen Worten loslassen. Das Funkeln in ihren Augen war nun auch noch stärker. Ja, sie war wütend. Ich hatte sie herausgefordert.
Aber dann brachte sie nur hervor: »Du bist mir ja einer ...« Sie nahm den Eimer auf. Ich konnte sehen, dass sie zwar zierlich, doch sehr geschmeidig und bestimmt auch kräftig war. Es war alles an ihr richtig. Sie gefiel mir immer besser.
Sie betrachtete mich immer noch ungläubig.
Und da begriff ich plötzlich, dass ich ehrlich sein musste.
»Ach«, sagte ich und grinste entschuldigend. »Ich bin gar nicht so schlimm, wie ich rede. Du kannst es wirklich mit mir versuchen.«
Nun wurde ihr funkelnder Blick nachdenklich.
Sie ging ohne ein weiteres Wort mit dem Eimer davon.
✰✰✰
Es wurde eine laue und linde Nacht. Ich wartete unter der großen Weide am Creek. Da und dort in der Nähe waren andere Pärchen, die sich aus dem großen Wagencamp geschlichen hatten, um sich im Dunkeln zu lieben.
Ja, es gab viele Mädchen und Jungen, die sich trafen. Der Wagenzug bestand aus fast hundert Wagen.
Eigentlich glaubte ich nicht, dass dieses grauäugige Mädchen kommen würde.
Doch dann kam sie doch.
Ich erkannte sie schon an der zierlichen Gestalt. Und ihre Stimme fragte: »Bist du der sommersprossige Rotschopf?«
»Komm nur, Grauauge«, sagte ich. »Hier ist ein guter Platz für uns.«
Sie kam auch wirklich und setzte sich neben mich. Ich legte meinen Arm um sie und hielt sie fest. Ich selbst lehnte am Stamm der Weide.
Das Mädchen vibrierte leicht.
»Heißt du nicht Virginia?«, fragte ich, denn ich erinnerte mich, dass ihre Eltern sie so riefen.
»Ja, ich bin Virginia Hill. Und du bist Mike Slaterman, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich und drehte sie so weit herum zu mir, dass wir uns küssen konnten. Zuerst wollte sie sich sträuben.
Doch ich murmelte: »Zu was bist du denn hergekommen, Virginia?«
Da ließ sie es zu.
Oh, sie konnte schon küssen. Sie konnte es verdammt gut.
Und sie war ein Mädchen, welches sich nach Wärme und Geborgenheit sehnte, welches gestreichelt werden wollte wie ein Kätzchen.
Aber so erging es mir ja auch.
Auch ich war ein junger Mensch in einer unheilen Welt, der sich ein wenig vor der Zukunft fürchtete, in die wir jeden Tag hineinfuhren. Sie suchte etwas, was ihr die Eltern nicht mehr geben konnten.
Und auch meine Mom konnte mir nicht mehr geben, was ich haben wollte.
Die Zärtlichkeit eines Mädchens, ja, die war gut für einen Jungen, der sich ein wenig verloren fühlte in dieser miesen Welt.
Diese Zärtlichkeit von Virginia war gewiss nicht geheuchelt. Ich spürte das.
Ich war froh, diese Virginia gefunden zu haben. Sie half mir. Ich konnte nun für eine gewisse Zeit alle Sorgen vergessen.
Und ich wünschte mir, dass wir noch sehr lange auf diesem Treck zusammensein würden.
In der nächsten Woche schlug das Wetter um. Alles, was bisher so schön glatt gegangen war, bestand nun nur aus vielen kleinen Schwierigkeiten. Es regnete unaufhörlich. Kalte Winde wehten. Der Boden wurde immer weicher und schlammiger.
Als wir den Mississippi erreichten, führte dieser schon Hochwasser, und er schien uns in seiner gewaltigen Breite unüberwindlich.
Heiliger Rauch, wie sollten wir jemals über diesen Strom kommen?
Nun, wir kamen über den Strom, denn wir waren ja nicht der erste Wagenzug, der hinüber nach Westen rollte. Es gab schon eine Stadt am Fluss, deren Einwohner darauf spezialisiert waren, Wagenzüge überzusetzen. Es gab hier eine ganze Anzahl von breiten Fähren. Man zog sie an Seilen von Ufer zu Ufer.
Schon kurz nach unserer Ankunft machte man sich trotz Hochwassers an die Arbeit. Wir schlugen ein großes Camp auf. Ich machte mir Sorgen um Mom, denn seit das Wetter umgeschlagen war und es so höllisch regnete, wurde ihr Husten immer schlimmer. Als ich ihr sagte, dass sie in die Stadt ins Hotel gehen und sich dort für zwei oder drei Tage ein Zimmer nehmen sollte, lehnte sie das sehr schroff ab.
»Das kostet zu viel«, sagte sie. »Und wir brauchen jeden Dollar. Nein, Mike, mein Kleiner, ich bleibe. Und wenn wir erst weiter im Westen sind und die Sonne wieder scheint, dann wird auch mein Husten wieder besser werden.«
Ich widersprach ihr nicht, denn ich kannte Mom. Sie ließ sich nichts sagen, und vielleicht war ich damals auch noch zu jung und zu dumm, um energischer zu werden.
Wir kamen dann zwei Tage später an die Reihe. Unser Wagen wurde von mir als letztes Fahrzeug auf die Fähre gefahren. Außer unserem Wagen waren noch drei andere darauf – und natürlich auch unsere Pferde und die Reservetiere.
Ich winkte Virgi und deren Eltern zu, die als nächster Wagen an der Reihe sein würden. Ich hoffte, dass es noch vor Anbruch der Nacht sein konnte. Denn morgen war der Strom bestimmt noch mehr angestiegen.
Virgi winkte so heftig zurück, als hätte sie Angst, mich nie mehr wiederzusehen.
Ich bekam dann an Bord alle Hände voll zu tun, um unsere Pferde ruhig zu halten. Auch die Männer und Jungen von den anderen drei Familien hatten viel Mühe.
Unsere Tiere waren solche Dinge nun mal nicht gewöhnt.
Der Strom gurgelte, rauschte, schmatzte. Die Wellen waren hoch. Immer wieder schwappte das schmutzige Hochwasser über. Der Wind wurde immer stärker, je weiter wir in den Strom hinausgezogen wurden von dem Seil, welches am anderen Ufer über eine Winde lief.
Wind und Regen trommelten gegen die Wagen, auf Menschen und Tiere. Die Pferde wurden immer unruhiger.
Wir Männer und Jungen kämpften, ja, wir kämpften, und die Frauen beruhigten die kleinen Kinder und sorgten dafür, dass die Bremsen fest blieben und nichts vom Wind in den gewaltigen Mississippi geweht werden konnte. Denn an den Wagen hing ja so allerlei Zeug – Holzeimer, Schaufeln, Lassos, Peitschen.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis wir endlich in den Windschatten einer Landzunge und bald darauf an das westliche Ufer des Stromes kamen.
Als ich zurück zum Ostufer blickte, brach dort schon die Dämmerung herein.
Und das schlechte Wetter würde gewiss noch Tage anhalten.
Ich ließ die Pferde an Land und kletterte zu Mom auf den Bock. Sie hustete wieder schlimm.
Indes ich die Zügel nahm und hinter den anderen Wagen an Land fuhr, löste sich in mir die Spannung, die mich noch während der Überfahrt erfüllt hatte.
Ich sagte zu Mom: »Wir haben noch etwas trockenes Holz in dem Sack unter dem Wagen. Du legst dich gleich hin und deckst dich warm zu. Ich koche dir deinen guten Tee, der dich dann schon wieder warm machen und weniger husten lassen wird.«
Sie erwiderte nichts.
Und daran erkannte ich, wie sehr sie am Ende war. Ja, sie wollte von selbst in ihr Bettlager drinnen im Wagen, kaum dass wir im diesseitigen Wagencamp unseren Platz eingenommen hatten.
Ich baute unter dem Wagen einen schützenden Winkel für mich und machte das Feuer an. Eine Kanne Tee war schnell gekocht.
Auch ich trank eine Tasse, indes ich bei Mom hockte. Im Schein der Stalllaterne sah ich, wie müde und erschöpft sie war.
Plötzlich spürte ich eine Wut auf meine Brüder und Onkel Clint. Dieser Treck nach Westen würde Mom vielleicht umbringen. Und sie waren daran schuld mit ihrer blöden Wette, dass alles so gekommen war. Adam hätte sich von diesem Tom Parradine nicht herausfordern lassen dürfen.
Mom trank zwei Tassen von dem Tee, der von den Hügeln in Tennessee stammte.
Sie sagte dann müde zu mir: »Du bist ein guter Junge, Mike. Und du magst wohl dieses Mädchen vom Wagen hinter uns sehr?«
Ich nickte. »Ja, Ma, ich mag Virgi. Sie mag mich auch. Ihre Eltern wollen auch nach Colorado hinüber.«
Ich sah, wie sie müde wurde, und ließ sie allein.
Als ich aus dem Wagen kletterte, war es Nacht. Der Regen peitschte immer noch mitleidlos gegen alle aufragenden Dinge. Der Wind pfiff über den Fluss. Ich hoffte, dass Virgi nun mit der Fähre herübergekommen war.
Doch als ich zum Fluss hinunterkam, herrschte dort größte Aufregung. Die Männer an der Dampfwinde fluchten wie die Wilden. Das Seil war gerissen. Die Fähre musste flussabwärts getragen worden sein. Aber sie hing eigentlich noch am anderen Seil, welches vom anderen Ufer zu ihr führte.
In der Nacht konnte man nicht weit sehen. Die Lichter der Fähre verschwanden ganz plötzlich. Jemand rief es durch die Stimmen der sich sammelnden Menge.
Dann schrie eine andere Stimme: »Wenn sich die Fähre losgerissen hat, wird sie drei Meilen weiter unterhalb bei der großen Biegung an Land geworfen. Der Strom wird sie an Land werfen. Wenn sie nicht umgekippt ist, stößt sie drei Meilen unterhalb an Land!«
Als ich das hörte, lief ich zurück ins Camp und holte mein Pferd. Ich sattelte es binnen kürzester Zeit und ritt los.
Ja, ich hatte Angst um Virgi. Mit mir ritten andere Männer. Wir hielten uns dicht am Wasser, und nach etwa drei Meilen kamen wir an die Landzunge, bei der der Fluss alles an Land werfen musste, was schon diesseits der Strommitte war.
Wir fanden bald auch die Trümmer der Wagen und die umgekippte Fähre. Tote Pferde, die noch im Geschirr hingen, zertrümmerte Wagen, die umgekippte Fähre. Das alles bildete ein Durcheinander. Irgendwie waren die festgekeilten Wagen auf der Fähre ins Rollen gekommen und hatten sie auf einer Seite unter Wasser gedrückt. Der Fluss und der heftige Wind hatten dann leicht den Rest besorgen können.
Ich rief nach Virgi, und längst schon saß ich nicht mehr im Sattel, sondern lief am Strand entlang.
Hinter mir liefen andere Männer.
Und wir fanden bald einige angetriebene Körper. Sie lagen zumeist im flachen Wasser mit dem Gesicht nach unten.
Virgi war nicht dabei.
Ich lief immer weiter und weiter und brüllte fortwährend ihren Namen.
Und endlich bekam ich Antwort.
Ich fand sie zitternd und nass, weinend. Sie war ein Stück weiter unterhalb aus dem Fluss gekrochen.
✰✰✰
In dieser Nacht kochte ich noch einmal Tee und brachte ihn zu Virgi in den Wagen, in dem sie nun bei Mom lag.
Sie weinte immer noch.
Dann aber schlief sie ein. Es war zu viel für sie.
Als ich dann wieder draußen war und mich zu den Leuten gesellte, da wurde uns allen klar, dass Virgi der einzige Mensch war, der lebend geborgen werden konnte oder besser gesagt, der sich hatte retten können.
Wahrscheinlich konnte sie als Einzige auf dem ganzen Fährprahm schwimmen. Vier Wagen, einige Pferde und Maultiere und fast zwanzig Menschen – Männer, Frauen und Kinder – waren im Mississippi ertrunken.
Dies wurde uns allen in der zweiten Hälfte der Nacht klar, als der Regen langsam nachließ, sich die dichte Wolkendecke öffnete und zeitweilig der Mond und ein paar Sterne etwas Licht auf die Erde warfen.
Virgi hatte ihre Eltern verloren.
Es war für mich klar, dass sie bei uns bleiben würde.
Aber konnte ich das verantworten?
Ich begann über meine Brüder und Onkel Clint nachzudenken.
Taugten sie so viel, dass wir alle in Colorado einen neuen Anfang finden konnten? Waren wir gut genug für Virginia?
Mom, die war gewiss gut genug. Virgi würde keine bessere Ersatzmom bekommen können. Aber wir Slaterman-Jungs ...
Oh, da hatte ich so meine Zweifel.
Aber ich nahm mir in dieser Nacht vor, dass ich für Virgi alles tun würde, was in meiner Macht stand, dass sie in eine Familie kam, derer sie sich nicht schämen musste.
✰✰✰
Wir fuhren durch Missouri. Tag um Tag. Das Wetter blieb trocken. Mom hustete nicht mehr so schlimm. Virginias Nähe machte ihr immer wieder Freude. Sie sah in ihr wohl doch schon fast eine Tochter. Sie konnte manchmal wieder lachen und Geschichten aus ihrer Mädchenzeit erzählen.
Eines Tages rasteten wir in der Nähe einer Stadt.
Ich ritt mit einigen anderen Männern hin, um Einkäufe zu machen. Wir brauchten so allerlei.
In der Stadt war es sehr abwechslungsreich. Ich ging sogar mit in den Saloon, kaufte mir ein Bier und sah dann zwei Billardspielern zu, die das Spiel wie echte Künstler beherrschten.
Die anderen jungen Männer begannen sich mehr oder weniger zu betrinken. Aber das wollte ich nicht. Ich dachte zu sehr an Mom und Virgi, und so ging ich bald schon wieder aus dem Saloon und schwang mich auf das Pferd, welches schon mit zwei kleinen Säcken und einem Packen beladen war. Langsam ritt ich durch den Ort und strebte dann dem Wagencamp zu, welches sich etwa drei Meilen weiter an einem Creek befand.
Jetzt war es Nacht. Doch es herrschte keine Finsternis. Diese Nacht war mond- und sternenhell, mit einem dunkelblauen Himmel, der einen begreifen ließ, was für ein winziges Staubkörnchen doch unsere Erde im Weltall ist.
Ich ritt langsam und dachte daran, dass ich für Virginia ein paar nette und wichtige Dinge gekauft hatte, die sie brauchen würde, weil sie doch im Fluss alles verloren hatte. Andere Familien, welche Töchter hatten, die etwa so groß wie Virginia waren, hatten ihr mit Kleidung ausgeholfen. Sie besaß sogar einen warmen Mantel. Und dennoch fehlten ihr ein paar Dinge, die ein Mädchen brauchte.
Und so hatte ich ihr einen Kamm, eine Haarbürste, einen Spiegel und ein Stück duftende Seife gekauft.
Ich freute mich schon darauf, ihr das alles geben zu können. Und dennoch ritt ich langsam, um diese Vorfreude auskosten zu können.
Hinter mir kamen Reiter von der Stadt her. Ich blickte mich nicht um, denn ich vermutete, dass es Reiter von unserem Wagenzug waren, die wie ich zu ihren Familien zurück wollten, um ihnen die Einkäufe zu bringen.
Als sie dann rechts und links neben mir auftauchten und ihre Pferde meinem Tempo anpassten, da war ich noch immer ganz arglos und glaubte, sie wollten mit mir gemächlich weiterreiten und sich unterhalten.
Aber dann erkannte ich, dass es fremde Reiter waren, die ganz gewiss nicht zu unserem Wagenzug gehörten. Denn wenn ich auch nicht alle Leute unseres Wagenzuges mit Namen kannte, gesehen hatte ich sie alle schon oft genug, um sie auch in einer hellen Nacht erkennen zu können.
Diese beiden Reiter waren Fremde. Es waren harte Burschen – von der Sorte meiner älteren Brüder. Es waren Reiter, die lässig in den Cowboysätteln saßen und ihre Revolver tief trugen.
Ich hielt an, und ich ahnte, dass sie mich nicht rechts und links eingekeilt hatten, um mir meine Einkäufe und das Geld abzunehmen, welches ich vielleicht noch in den Taschen haben könnte.
Auch sie hielten an. Ich konnte immer nur einen von ihnen beobachten, denn immer noch verhielten sie rechts und links von mir.
»Was wollt ihr?«, fragte ich spröde.
»Du bist doch der kleine Slaterman?«
»Na und?«, gab ich scharf zurück – und ich war jetzt ein gereizter, kleiner Bursche, der sich eingekeilt fühlte. In mir kam jetzt eine Menge hoch, was in meinen wilden Brüdern und auch Onkel Clint immer wirksam war.
»Wir sind hinter deinem Bruder Adam her«, sagte der andere Mann. »Wo wollt ihr denn auf deine Brüder treffen? Wohin fährst du denn mit deiner Mom?«
In mir verkrampfte sich etwas. Bitterste Resignation lähmte mich. Es ging mir wie einem Schwimmer in einem weiten Meer, der schon endlos lange schwamm und noch immer kein Land erreichte und der nun glaubte, dass alles keinen Sinn mehr hat, dessen Kräfte erlahmen und der nun aufgeben will.
Denn wir waren nun schon viele Wochen unterwegs, und unsere Hoffnung, dass uns die Vergangenheit nicht mehr einholen konnte, war gewiss sehr groß.
Aber nun musste ich erkennen, dass wir den Dingen längst noch nicht entkommen waren. Parradines Arm war lang. Zehntausend Dollar Kopfpreis für Adam war zu viel Geld. Das war gewaltig viel Geld. Dafür bekam man eine große Ranch.
Und diese beiden Männer, die mich jetzt zwei Meilen von unserem Wagencamp entfernt eingekeilt hatten, wollten sich die zehntausend Dollar verdienen, so wie es auch Pete Skinner wollte.
»Na, dann gib schon Antwort, Junge!«, sagte der erste Sprecher drohend.
Ich kämpfte mich aus der Resignation. Ich musste etwas sagen, und ich wusste, dass es sinnlos war, weil sie sich ausrechnen konnten, wie sehr ich lügen würde. Was ich auch sagen würde, sie glaubten es mir ganz gewiss nicht.
Und so sagte ich: »Ach, wir sind nach Oregon unterwegs, und ...«
Sie ließen mich den angefangenen Satz gar nicht beenden. Jener Mann, der rechts von mir sein Pferd gegen meines drängte, zog einen Schwinger herum, der mich am Kopf traf.
Ich wäre vom Pferd gefallen, wenn auf der anderen Seite nicht der Partner des Schlägers gewesen wäre. Er schlug mich auf die gleiche Art, und so ließ ich mich nach vorn fallen und umklammerte den Hals meines Pferdes. Das Tier wurde unruhig. Es begann zu tanzen und schaffte sich so etwas Raum. Da ich aber halb bewusstlos war, konnte ich mich auf dem unruhig und nervös tanzenden Tier nicht halten. Ich fiel, nein, glitt herunter, wobei ich mich bis zuletzt am Hals festhielt.
Erst als ich auf dem Büffelgras lag, wurde mein Kopf wieder klarer, gewann ich wieder Herrschaft über meine Sinne.
Da lag ich nun, keuchte vor Wut und fühlte mich hilflos.
Ich wusste, sie würden mich verprügeln, bis ich ihnen eine Antwort gab, die ihnen einleuchtete.
Einer sagte: »Mit deiner alten Mom kommst du nicht bis Oregon. Das ist ein zu weiter Weg. Den schafft die nicht mehr. Es ist also ausgeschlossen, dass ihr euch im fernen Oregon treffen wollt. Gib uns eine vernünftige Antwort, die wir dir glauben können. Sonst machen wir dich richtig klein und halten uns dann an deine alte Mom. Hast du verstanden? Du kannst deine alte Mom retten, wenn du deinen Bruder Adam verrätst. Wer ist dir denn lieber? Und bevor du dein Maul aufmachst, solltest du Folgendes bedenken: Wenn du uns zu einem falschen Ort schicken solltest, kommen wir zurück. Und dann büßt es deine Mom. Hast du verstanden?«
Ich lag noch immer im Büffelgras.
Und ich hatte verstanden.
Sie waren erbarmungslos und kannten keine Gnade.
Sie drohten mir unmissverständlich, und sie verlangten, dass ich meinen Bruder Adam verriet, um unsere Mom zu retten.
Aber selbst wenn ich Adam hätte verraten wollen, ich konnte es gar nicht. Denn ich wusste nicht, wo er sich aufhielt mit Onkel Clint und den anderen Brüdern.
Colorado war groß.
Aber selbst wenn ich es gewusst hätte, ich würde ihn nicht verraten haben.
Niemals!
Und auch Mom würde das nicht büßen müssen. Nein!
Denn es gab noch eine andere Möglichkeit.
Es war mein Colt.
Ich habe es wohl bisher noch nicht erwähnt, aber ich war mit dem Colt schneller als meine Brüder, was das Ziehen und Schießen betraf. Ich konnte auch bei aller Schnelligkeit gut treffen.
Es hatte mir Spaß gemacht, meinen älteren Brüdern wenigstens in einer Fertigkeit über zu sein. Es hatte mich stolz gemacht, in dieser Hinsicht neben ihnen nicht der Kleine zu sein.
Und so hatte ich immer wieder geübt, hatte ihnen selbst immer wieder zugesehen, wenn sie sich ihre Tricks zeigten und ausprobierten, wie man die Waffe wohl am schnellsten herausbekam und am sichersten schoss.
Besonders Onkel Clint kannte da alle Tricks.
Aber ich war schneller als sie.
Das lag an meinen Reflexen. Es war eine natürliche Begabung. Und ich hatte jenes Gefühl, welches auch Zauberkünstler und Jongleure dazu befähigt, Kunststücke einzuüben, die normale Menschen trotz intensivsten Übens niemals schafften.
Ich hatte jetzt in meiner Not nur einen einzigen Nachteil: Ich hatte in meinem ganzen Leben noch niemals auf einen Menschen geschossen.
Indes ich noch am Boden lag, wurde mir klar, dass ich nun auf Menschen schießen musste, auf Gegner, die kein Erbarmen kannten, die aber dennoch Menschen waren.
Ich würde vielleicht töten müssen.
Wieder wollte die Resignation von mir Besitz ergreifen. Ich suchte verzweifelt nach Auswegen.
Doch es gab keine.
Da saßen die beiden Hartgesottenen in den Sätteln, warteten und fühlten sich sehr sicher, dass ich ihnen nicht gewachsen war. Denn in ihren Augen war ich ja nur ein Junge, dem die Härte zu einem Mann noch fehlte.
Ich erhob mich langsam, und tief in meinem Kern wurde das Unausweichliche zur bitteren Gewissheit.
Ich würde schießen müssen – und töten. Denn ein Kunstschütze, der die Gegner absichtlich nur verwundete, war ich nicht. Das war mit unseren damaligen Colts auch gar nicht möglich. Da musste man bei der Schnelligkeit, mit der man ziehen und schießen musste, froh sein, wenn man überhaupt traf.
Heiliger Rauch, wie sehr steckte ich in dieser Nacht in Missouri in der Klemme!
Einer der beiden Reiter sagte: »Jetzt hast du lange genug nachdenken können, Junge, um zu wissen, was gut für dich und deine Mom ist. Jetzt sag uns was! Los, wo können wir Adam finden?«
Nun war es so weit.
Ich öffnete meine ziemlich lange Jacke, sodass man meinen ziemlich hoch geschnallten Colt sehen konnte. Ich schob die Jacke weit zurück, sodass sie sich hinter dem Holster und dem Griff des Colts wölbte.
Dann sagte ich heiser und vielleicht auch ein wenig schrill, weil ich ja verzweifelt war: »Passt auf, ihr Schufte! Es ist nicht so leicht mit mir. Ich warne euch. Mit dem Colt bin ich gut. Am besten wäre es, wenn ihr einfach fortreiten und mich vergessen würdet.«
Da lachten sie schallend wie auf Kommando.
Doch ich spürte, dass dieses schallende Lachen nur eine Tarnung war. Ich sah auch, dass ihre Körperhaltung lauernd wurde.
Dass sie noch im Sattel saßen, war ihr Nachteil. Sie würden nicht ganz so schnell ziehen können wie ich.
Doch sie unterschätzten mich immer noch und glaubten, mir auch vom Sattel aus im Ziehen und Schießen überlegen zu sein.
Obwohl sie noch lachten, zogen sie wie auf ein geheimes Kommando. Sie waren ein gut aufeinander eingespieltes Paar.
Auch ich zog, kaum dass sich ihre Schultern bewegten, denn dieses Schulterbewegen war das erste Zeichen. Das wusste ich von Onkel Clint.
Ich zog also und wusste, dass nun nichts mehr aufzuhalten war.
Ich zog aber nicht mehr bewusst, denn so schnell wie meine Reflexe konnte kein Gedanke mehr sein.
Mein Denken holte mich erst wieder ein, als der Revolver krachend in meine Faust stieß, als die Mündungsfeuer zuckten – und als der Pulverrauch mich einzuhüllen begann.
Ich begriff, dass ich viermal geschossen hatte – und dies so schnell wie noch niemals zuvor.
Endlich sah ich wieder klarer.
Einer der Männer fiel gerade vom Pferd. Der andere saß vornüber gesunken und hielt sich am Sattelhorn fest. Sein Colt war ihm entfallen. Ich hörte ihn stöhnen.
»Ihr Narren«, hörte ich mich spröde sagen. »Oh, ihr Narren!«
✰✰✰
Mom sah ihre Söhne und ihren Schwager am Arkansas River, den wir an einem Abend als siebenundfünfzigster Wagen des Trecks durchfurteten.
Als ich unsere Pferde in der Dämmerung am Fluss tränkte, da kamen einige Reiter herangeritten. Sie fielen kaum auf in dem Durcheinander, denn es war ja schon fast Nacht.
»Hallo, Kleiner«, sagte eine Stimme.
Ich hatte sie lange nicht gehört, und sie gehörte Ben, meinem ältesten Bruder, den man daheim in Tennessee einfach nur Bull-Ben genannt hatte, weil er so stark wie ein Bulle war und bei irgendwelchen Festen jeden Wettbewerb, bei dem es auf Körperkraft ankam, gewann.
Ich sah, dass außer Ben auch noch George, Adam und Onkel Clint gekommen waren.