G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 62 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 62 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

3 spannende Westernromane lesen und sparen!

G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!

Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2533 bis 2535:

2533: Die Ruhelosen
2534: Die Slatermans
2535: Die mächtigen Vier

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 475

Veröffentlichungsjahr: 2023

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G. F. Unger
G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 62

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2021 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Norma/Faba

ISBN: 978-3-7517-4745-5

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 62

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

G. F. Unger Western-Bestseller 2533

Nebraska-Fehde

G. F. Unger Western-Bestseller 2534

Hope City

G. F. Unger Western-Bestseller 2535

Die Rechtlosen

Guide

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Contents

Nebraska-Fehde

Es war ein kalter Regentag, und ich fror unter meiner Ölhaut. Diese nasse Kälte drang durch bis auf die Knochen. In den letzten Tagen war ich dauernd geritten, immer nur geritten. Und die Camps waren einsam, kalt, nass und freudlos gewesen.

Doch solche Camps war ich gewohnt, ich, Johnny Kisco.

Wer damals meinen Namen kannte, der wusste, warum ich einsame Camps aufsuchte, auf verborgenen Fährten ritt und wie ein einsamer Wolf lebte.

An jenem kalten, nassen und schon sterbenden Regentag war ich nach Chance unterwegs. Chance war eine kleine Stadt in den Hügeln der Arapahoe-Prärie westlich vom Elkhorn River. Dort sollte ich Jason Barney treffen.

Gestern war ich schon auf die breite Fährte von Jason Barneys großer Schafherde gestoßen, und mir war von Anfang an klar, dass diese Fährte im kalten Regen nicht weniger stank als bei trockenem Wetter. Im Gegenteil, es kam mir so vor, als wäre der Gestank noch schlimmer und das ganze Land würde auch noch in hundert Jahren nach Schafen stinken ...

Ich mochte Schafe nicht – gar nicht! Das konnte ich nicht leugnen. Zu Schafen gehörten Männer, die stets zu Fuß gingen. Das war seit alten Zeiten so.

Und ich war ein Reiter.

Schafe fraßen das Gras bis zu den Wurzeln ab, sodass die schützende Grasnarbe eines prächtigen Weidelandes sehr schnell von der Witterung zerstört wurde und ein Land sich so in wertlose Steppe verwandelte. Darauf schwor ich, denn ich war als Rindermann aufgewachsen. Es gab noch viele andere Gründe, warum ich Schafe und Schäfer nicht mochte. Doch es würde hier zu viel Zeit kosten, jetzt gleich am Anfang alles aufzuzählen.

Ich will zur Sache kommen.

Als ich die Lichter des Ortes in der Nacht durch den Nieselregen erkennen konnte, schnaufte mein Pferd zufrieden und begann schneller zu trotten.

Aber ich kannte Chance einigermaßen. Dieser Ort war schon immer eine lausige Burg gewesen, in der ein Mann von meiner Sorte schneller Verdruss bekommen konnte als Läuse in einem Indianerzelt.

Hier in den Arapahoe-Hügeln war stets die letzte Zuflucht einiger hartgesottener Hombres, die immerzu mit einem Auge über die Schulter schielen mussten, weil sie Schatten auf ihrer Fährte hatten. Und wenn man mich erst erkannte – oha, dann würde vielleicht der eine oder andere Bursche glauben, ich wäre seinetwegen hergekommen.

Aber ich musste nach Chance hinein.

Jason Barney hatte mich wissen lassen, dass er mich im Red Cloud Saloon erwarten würde. Da musste ich hin, das war klar. Denn Jason Barney – nun, ich hatte schon als kleiner Junge an seinem Ziegenbart gerissen. Er war der beste Freund meines Vaters gewesen. Als man damals meinen Vater und meine beiden älteren Brüder in der Fehde totschoss, hatte Barney mich zu sich genommen wie einen Sohn – zumal er selbst zwei Söhne verloren hatte.

Später war ich dann ausgebrochen und meiner Wege geritten. Ich hatte den bitteren Ruhm eines Revolvermannes erlangt.

Na schön, es gab damals nichts, auf das ich besonders hätte stolz sein können. Denn zu den Narren, die jene unheilvolle Revolverschnelligkeit für das einzig erstrebenswerte Ziel hielten, gehörte ich längst nicht mehr.

Aber meine Erkenntnis war zu spät gekommen.

Als ich zwischen den verwitterten Holzhäusern in den Ort ritt, erregte ich vorerst kein Aufsehen. Wer mich sah, der hielt mich wahrscheinlich für einen dieser Reiter, die von irgendwoher aus den Hügeln in den Ort kamen und bald wieder verschwanden.

Vor dem Red Cloud Saloon standen etwa ein Dutzend Sattelpferde, halb von einem Vordach überragt, das die Gäule jedoch nur unvollkommen schützte. Unter diesen Pferden befand sich ein zähes Maultier mit dem B-im-Kreis-Brand. Als ich es sah, wusste ich, dass drinnen Jason Barney auf mich wartete. Der B-im-Kreis-Brand war schon immer sein Zeichen gewesen. Und Maultiere ritt er lieber als Pferde.

Mein Pinto schnaubte vorwurfsvoll, als ich es an den Haltebalken band. »Es tut mir leid, Freund«, sagte ich, »doch ich kann dich noch nicht in den Stall bringen.«

Ich ging über die knarrenden Verandadielen zur Schwingtür und war etwas nervös. Zwischen den Schulterblättern hatte ich ein ungutes Gefühl. Es war mir fortwährend so, als wenn jemand mit einem Gewehr auf mich zielte.

Aber das ging vorbei, als ich aus der nasskalten Dunkelheit in den Saloon trat. Hier waren Licht und Wärme – und für manchen Mann auch Freundlichkeit, zumindest aber wohltuende Duldung, wenn man ihn kannte. Mich kannte man nicht – noch nicht.

Sie starrten mich an und es waren alles hartgesottene Burschen, das war mir sofort klar. Sie waren im Saloon verteilt und sie gehörten auch ganz gewiss nicht zusammen wie eine Mannschaft. Das da waren Einzelgänger oder auch zwei- oder dreiköpfige Partnerschaften.

Aber ihr Misstrauen und ihr scharfes Forschen trafen mich wie eine Strömung. Sie glichen einem Rudel Wölfe, das Witterung nimmt, um herauszufinden, ob der Neue ein Artgenosse oder ein Feind ist.

Bei meinem Eintreten hatte ich einen Luftzug gespürt. Ich war ein erfahrener Wolf und so wusste ich auch, was der Luftzug zu bedeuten hatte. Jemand war zur Hintertür hinaus. Ganz gewiss war es ein Bursche oder mehrere, die jeden Fremden zur Vorsicht erst einmal von Freunden »abtasten« ließen, bevor sie sich ihm zeigten.

Nun, mir sollte das gleich sein. Ich war gekommen, um Jason Barney zu treffen, und ich war spät dran. Drei Tage wollte er hier auf mich warten. Heute war der letzte Tag.

Jason Barney saß in einem Hinterzimmer, dessen Tür zum Schankraum offen stand. Von seinem Platz aus konnte er am Schanktisch vorbei zur Vordertür sehen.

Er hatte mich sofort erkannt, obwohl ich mich seit damals verändert hatte. Aus einem wilden Jungen war ein Mann geworden.

Er winkte mir zu und paffte dann ruhig an seiner Zigarre, bis ich zu ihm in den Raum trat, neben der Tür lehnte und ihn ansah.

»Da bin ich, Onkel Jason«, sagte ich. »Ich hätte niemals gedacht, dass du eines Tages mit einer stinkenden Schafherde durch das Land ziehen würdest. Wo ist die Herde jetzt?«

Jason Barney hatte immer noch seinen Ziegenbart. Sein Gesicht war aber nicht mehr ganz so hager und asketisch. Das Alter hatte es etwas aufgeschwemmt. Es war voller Leberflecken, voll scharfer Linien und Falten. Er war schon immer ein harter Mann gewesen, vergleichbar mit einem narbigen Wüstenwolf. Jetzt grinste er.

»Zwanzig Meilen weiter nördlich«, erwiderte er. »Ich ließ sie weiterziehen, während ich hier auf dich wartete. Ja, du hast recht. Schafe sind hilflos und stinken. Sie sind nichts für stolze Männer. Dennoch sind sie für unseren Zweck gut.«

»Welchen?«, fragte ich ruhig, obwohl ich innerlich gar nicht so ruhig war, denn ich ahnte bereits, was der alte Wolf in Gang bringen wollte.

Er erklärte es mir. »Wir erobern damit unsere Weide zurück«, sagte er. »Wir zeigen es der Cantrell-Sippe. Und wir rächen uns endlich nach vielen Jahren. Du deinen Vater und deine Brüder – und ich meine Söhne. Ich habe Jahre gebraucht, um genügend Geld für eine Schafherde und eine Revolvermannschaft zusammenzubekommen. Jetzt habe ich beides. Wir kehren zurück auf die Heimatweide. Komm, mein Junge!«

Nach diesen Worten erhob er sich.

Da krachte ein Schuss!

Es war ein Gewehr. Der Schütze schoss von der Veranda durch die geöffnete Schwingtür des Saloons und durch die offene Tür des Hinterzimmers – und er traf Jason Barney in die Brust.

Ich wirbelte herum, hatte meinen Colt in der Hand und beeilte mich sehr. Aber bei der Schwingtür roch ich nur den Pulverrauch – und draußen jagte ein Reiter auf einem schnellen Pferd aus dem Ort.

Sollte ich ihm folgen?

Auf meinem müden Pinto würde ich nicht die geringste Chance haben.

Ich kehrte zu Jason Barney zurück. Er lebte noch. Doch es ging mit ihm zu Ende.

Der Wirt und einige Gäste hatten sich eingefunden. Alle betrachteten Jason Barney. Aber er sah nur mich an.

Dann sagte er: »Jetzt hat der alte Nelson Cantrell auch mich erwischt. Er hat uns alle erwischt – alle bis auf dich, Johnny! Und du wirst ganz bestimmt nicht kneifen, du nicht! Du wirst es mit ihm und mit seinen Jungs aufnehmen. Das weiß ich. Greif in meinen Mantel, Johnny! Dort findest du alle nötigen Papiere. Johnny Kisco, es geht nicht um Rache und Vergeltung. Nein! Es geht um Gerechtigkeit! Es darf nicht sein, dass sich die Cantrells für Halbgötter halten, dass sie selbstherrlich über Leben und Tod entscheiden, dass sie ...«

Jason Barney konnte nicht mehr sprechen. Er beugte sich etwas weiter vor, als wollte er mir über den Tisch hinweg noch besonders wichtige Dinge sagen. Aber dann war plötzlich kein Leben mehr in seinen Augen, und er atmete nicht mehr.

Jason Barney war tot.

Und ich stand da und spürte, wie nun alle mich ansahen. Sie wussten jetzt, wer ich war. Jason Barney hatte meinen Namen genannt.

Johnny Kisco! Diesen Namen kannten sie alle.

Doch sie wussten auch, dass ich hinter keinem Mann her war, der hier lebte oder hier vorbeikommen würde. Sie wussten jetzt, dass ich mich nur mit Barney hier treffen wollte und dass es sich um eine alte Fehde handelte, von der man sich Legenden erzählte.

Ich spürte nicht länger den Anprall ihres Misstrauens. Einige von ihnen begriffen, dass ich jetzt der letzte und einzige Überlebende einer alten Fehde war, die zwischen den Cantrells einerseits und den Kiscos andererseits bestand.

Ich nahm den Mantel, der über einer Sessellehne hing. Es war ein Lammfellmantel, dessen Wolle kurz geschoren war und innen das warme Futter bildete. Der Mantel hatte zwei Innentaschen, die man zuknöpfen konnte.

Ich fand zwei Dinge: Eine Urkunde über den Kauf von fünftausend Schafen und eine Landbesitzurkunde, zu der eine Anzahl von Quittungen über gezahlte Grundsteuern gehörten. Es waren zwei Arten von Quittungen, nämlich für den Landbesitz der Barneys und der Kiscos. Jason Barney hatte also auch die Grundsteuern für unser Land bezahlt, für mein Erbe, um das ich mich nie gekümmert hatte.

In der anderen Manteltasche fand ich Geld. Ich zählte es nicht. Erst später stellte ich fest, dass es über achthundert Dollar waren.

Bei all dem Zeug lag ein beurkundetes Dokument. Es war Jason Barneys Testament, das mich zu seinem alleinigen Erben bestimmte.

In wenigen Minuten war mir alles klar. Jason Barney war tot, aber er hatte mich zu seinem Erben gemacht.

Hatte er geahnt, dass er sterben würde? Wusste er, dass Nelson Cantrell einen Mörder ausschicken würde, um ihn erst gar nicht bis zu den Grenzen des Cantrell-Reiches kommen zu lassen?

Hatte Jason Barney mich deshalb nach Chance bestellt?

Auf diese Frage würde es gewiss eines Tages eine Antwort geben.

Was mir jetzt endgültig klar war, erschreckte mich irgendwie: Ich war der Besitzer von fünftausend Schafen geworden! Und da Jason Barney wahrscheinlich tragende Muttertiere gekauft hatte, hatten sich die fünftausend Schafe gewiss erheblich vermehrt. Man konnte um diese Frühlingszeit mit Lämmern rechnen. Jeden Tag wurden Dutzende geworfen.

Ich besaß also eine mächtige Herde von Tieren, deren Gestank ich nicht ertragen konnte und die ich auch sonst nicht mochte, weil sie so hilflos waren und deshalb einen Mann zu ihrem Sklaven machten.

Für hilflose Wesen muss man stets mit ganzer Kraft sorgen, sich mühen und kümmern, aufpassen, beschützen, lenken, leiten – ah, so eine hilflose Herde beanspruchte den Besitzer mit Haut und Haar. Es durfte für ihn nichts anderes auf der Welt mehr geben. Schafe mit ihrer Hilflosigkeit bestimmten sein Leben.

Jetzt besaß ich mehr als fünftausend Stück. Ich hatte auch das Recht, auf die Heimatweide zurückzukehren. Da die Grundsteuern bezahlt worden waren, gehörte mir das Land immer noch. Ich besaß außerdem eine Revolvermannschaft, denn auch die erbte ich von Jason Barney, zusammen mit der Herde, bei der sie sich befand.

Oh, was sollte ich tun?

Die Männer im Raum beobachteten mich noch immer.

Einer sagte schließlich mit einem begehrlichen Blick auf das Geld, das ich mit den anderen Papieren in der Hand hielt: »Für fünfzig Dollar bringe ich diesen alten Mann ordentlich auf unserem Boothill unter die Erde. Ich bin der Schreiner und Leichenbestatter, müssen Sie wissen, Johnny Kisco.«

Ich sah auf Jason Barney nieder. Und dann schätzte ich, wie weit der Weg zur Heimatweide war. Es waren etwas mehr als hundertzwanzig Meilen. Und ich war plötzlich der Meinung, dass Jason Barney ein Recht darauf hatte, bei seinen Söhnen und seiner Frau beerdigt zu werden. Deshalb sagte ich: »Einen Sarg brauche ich. Und einen leichten Wagen.«

Sie sahen mich immer noch an und begriffen, was ich vorhatte. Sie waren auch mit der Geschichte der Nebraska-Fehde genügend vertraut. Was ich vorhatte, gefiel ihnen.

»Ja«, sagte der Wirt. »Jeder Mann hat das Recht, daheim begraben zu werden – selbst wenn man ihn einst von dort vertrieb.«

Damit hatte er gesagt, was ich dachte.

✰✰✰

Am nächsten Morgen war ich unterwegs.

Jason Barneys Maultier zog den Wagen. Meinen Pinto hatte ich hinten angebunden. Auf dem Wagen stand der Sarg. Es war der beste Sarg, den der Leichenbestatter in seinem Schuppen vorrätig hatte.

Die Fährte der Schafherde war breit und leicht zu verfolgen. Sogar in der tiefsten Nacht hätte ich ihr mithilfe meiner Nase folgen können. Dieser Geruch war ständig vorhanden.

Bei der Herde mussten sich drei Wagen befinden. Zwei davon waren zweirädrige Hirtenwagen. Der Dritte aber war groß und schwer. Schon daran konnte ich erkennen, dass eine starke Mannschaft bei der Herde sein musste, die mit den Schafhirten wenig gemein hatte.

Auf diese Mannschaft war ich neugierig. Es sollte eine Revolvermannschaft sein. Jason Barney hätte sich keine Bluffer ausgesucht. Ich konnte sicher sein, dass ich die härtesten Nummern vorfinden würde. Es war jetzt meine Mannschaft. Ich hatte sie geerbt wie alles andere auch.

Oh, ich machte mir wenig Illusionen! Wenn die Mannschaft so hart und rau war, wie Jason Barney sie bei seinen Plänen und Absichten nötig hatte, so würde ich gleich am Anfang mit einigen dieser Burschen Verdruss bekommen.

Das war immer so.

Ich fuhr den ganzen Tag und hielt nur an, um den Tieren die notwendigen Rastpausen zu gönnen. Aber ich verzichtete auf ein Feuer und aß gegen Mittag von meinem kalten Proviant.

Das Land war aufgeweicht. Die Herde hatte alles zertrampelt. Ich kam manchmal nur schwer vorwärts. In einem angeschwollenen Creek hatte ich mit dem Wagen sogar eine Menge Mühe. Die Strömung riss mir fast den Sarg herunter.

Als es dunkel wurde, bekam ich den Schafgeruch stärker und penetranter in die Nase. Bald darauf hörte ich Hundegebell – und fast zugleich das jämmerliche Blöken der Tiere.

Es gab so leicht nichts auf dieser Welt, was dümmer, hilfloser und kläglicher war als diese Tiere. Wären sie sich selbst überlassen, so würden sie dem Raubwild zum Opfer fallen. Sie würden giftige Kräuter fressen oder im nächsten Creek ersaufen.

Rinder konnte man sich selbst überlassen. Sie konnten überall für sich sorgen und wurden so wild, dass sie sich selbst vor Wölfen und Pumas nicht fürchteten. Auch mit Pferden war es ähnlich. Aber Schafe ...

Ich konnte Jason Barney nicht verstehen. Er war doch auch einmal ein Rindermann gewesen wie mein Vater. Wir waren alle Rinderleute. Aber Schafe ...

Ich sah bald darauf das Campfeuer in der Nacht. Eigentlich waren es drei Feuer, und ich wusste, was sie zu bedeuten hatten.

Ein Feuer war für die Hirten. Am zweiten Feuer hielt sich die Revolvermannschaft auf, die sich nicht mit den Schäfern abgab, weil diese wahrscheinlich indianischer Abstammung waren.

Das dritte Feuer gehörte dem Koch. Wenn es ein richtiger, typischer Herdenkoch war, so durfte ihm beim Feuer niemand in die Quere kommen.

Ich fragte mich, ob die Jungs dort wachsam waren und wie lange es wohl dauern würde, bis man mein Kommen merkte und der erste Anruf erfolgte.

Er kam im nächsten Moment.

Ich hielt an und erwiderte: »Ich bin Kisco, Johnny Kisco, und ich bringe Jason Barney.«

Der Posten, der mich angerufen hatte, trat aus der Dunkelheit des Baumschattens. Er hielt ein Gewehr bereit. Der Regen hatte aufgehört. Da und dort funkelten Sterne durch die Wolkenlöcher.

Im Sternenlicht blickte der Mann auf den Sarg.

»Aha«, sagte er. »Warum wollte dieser alte Narr, dass wir die Schafe und nicht ihn schützen? Vielleicht hat er in Chance zu lange warten müssen.« Seine letzten Worte enthielten einen Vorwurf.

Ich fuhr schweigend weiter bis an das große Feuer.

Sie hockten und standen nicht dort herum, wie es eine gewöhnliche Mannschaft in ihrem Camp getan hätte. Bis auf einen Mann, der beim Feuer stand, hatten sie sich alle zurückgezogen und hielten sich außerhalb des Feuerscheins in Deckung der Wagen und einiger Bäume und Büsche.

Erst als sie erkannten, dass ich allein auf dem Fahrersitz des Wagens saß und einen Sarg brachte, dass hinter dem Wagen nur ein lediges Sattelpferd angebunden war, kamen sie zum Vorschein.

Ich saß still und sah sie mir an – Mann für Mann, so wie sie in den Feuerschein traten, scheinbar lässig, doch in Wirklichkeit wachsam und lauernd.

Oh, sie waren ein böses, hartes und gefährliches Rudel. Das konnte ich schon bald erkennen. Jason Barney, der gegen die mächtige Cantrell-Sippe kämpfen und die Heimatweide zurückerobern wollte – und das auch noch mit Schafen –, hatte sich ein Rudel zusammengeholt, das einer Sprengladung glich, für die der kleinste Funke genügte.

Auch sie betrachteten mich.

Dann sagte einer, der mich kannte: »Das ist Johnny Kisco. Ich erkenne ihn. Ich sah ihn in Fort Worth mit den Slater-Brüdern kämpfen. Das ist er.«

Ihre Spannung löste sich etwas, denn nun wussten sie, wer ich war. Einer fragte: »Für wen ist der Sarg gedacht – für Nelson Cantrell?«

Ich schüttelte den Kopf. »Im Sarg liegt Jason Barney«, sagte ich. Und dann erzählte ich ihnen mit wenigen Worten, was in Chance geschehen war. Als ich es gesagt hatte, schwiegen alle.

Ich wartete darauf, wer von ihnen zuerst sprechen würde. Ein Bursche würde der Leitwolf dieses Rudels sein. Das war klar. Alle würden ihm das erste Wort überlassen.

Ich wusste schon vorher, wer es sein würde. Ich kannte ihn flüchtig. Da und dort hatte ich ihn schon mal in wilden Städten gesehen – in Fort Worth, Wichita, Abilene, Dodge City, Kansas City. Überall war er mir schon über den Weg gelaufen. Wenn ich mich nicht irrte, hieß er Jonas Shalacko. Er hatte einen üblen Ruf als Revolverheld und war dafür bekannt, dass er lieber auf der Seite der Schäfer gegen Rinderleute kämpfte als umgekehrt.

Ja, er war einer von der Sorte, die man für Revolverlohn anwerben konnte. Alle hier am Feuer waren von der Sorte.

Die Schafhirten am anderen Feuer zählten nicht.

Jonas Shalacko sagte nach einer Weile: »Na, sie haben den alten Narren also schon erwischt, bevor er ihnen auch nur näher kommen konnte. Sie müssen alles, was er tat, genau gewusst haben. Na gut, dann ist es beendet, bevor es überhaupt anfing. Ich schlage vor, wir begraben den Alten hier und treiben die Schafe dorthin, wo wir einen guten Preis dafür bekommen. Wir teilen das Geld unter uns auf und reiten wieder unsere eigenen Wege. Gut so?«

Er sah sich fragend um, und er tat es auf eine Art, die nur Zustimmung und keine andere Meinung hören wollte. Er ließ deutlich erkennen, dass er bereit war, jedem Mann auf die Zehen zu treten, der ihm nicht beipflichten würde.

Was er sagte, gefiel ihnen jedoch auch ohne jeden Nachdruck. Sonst wären einige Burschen gewiss bereit gewesen, mit ihm darüber zu streiten. Und jene Männer, die sofort beifällig nickten, waren gewiss seine besonderen Freunde.

Ich sah mir das alles von meinem höheren Sitz aus an und wusste schnell über diese Mannschaft Bescheid.

Jonas Shalacko wandte sich zu mir um.

»Auf Sie hatte Jason Barney eine Menge Hoffnungen gesetzt«, sagte er. »Doch das ist wohl alles vorbei und erledigt, nicht wahr?«

»Nein«, sagte ich. »Es fängt erst richtig an. Jason Barney setzte mich als seinen Erben ein. Damit trete ich an seine Stelle. Für euch ändert sich vorerst nichts. Ihr bekommt eure Befehle jetzt von mir. Was Jonas Shalacko soeben sagte, vergesst ihr sofort wieder. Shalacko führt auch nur Befehle aus, nämlich meine. Er hat nichts zu sagen – nicht mehr als jeder von euch. Gibt es noch Fragen?«

Sie schwiegen. Wieder überließen sie Jonas Shalacko die Sache.

Shalacko grinste nur. Er war groß, dunkel und hager wie ich. Er war ein Zweirevolvermann und fürchtete keinen Gegner, denn er war ein Bursche von jener Sorte, die sich durch Kühnheit behauptet. Aber er war auch erbarmungslos wie ein Wolf. Shalacko kannte keine Duldsamkeit. Er hielt sie für Schwäche.

So weit war ich mir über ihn vollkommen klar.

Er grinste mich an und sagte: »Johnny Kisco, ich sah dich da und dort schon wie einen stolzen Tiger herumspazieren und ich habe mich dann immer gefragt, ob du wirklich so großartig bist. Du kommst mit dem toten Jason Barney hier an und krähst von dem Wagen herunter wie ein Hahn vom Misthaufen. He, ich glaube nicht, dass der Alte dich zu seinem Erben machte. Du willst dir nur die Schafherde unter den Nagel reißen. Aber ...«

Ich ließ ihn nicht weiterkommen.

Er hatte sich bei seinen Worten einige Schritte genähert. So konnte ich ihn mit einem einzigen Sprung erreichen. Das hatte er nicht erwartet. Wir waren beide Revolverkämpfer – wenn auch verschiedener Art, und unter Revolvermännern waren Faustkämpfe selten. Aber ich brauchte Jonas Shalacko noch. Ich wollte ihn nicht töten.

So sprang ich vom Wagen hinab auf ihn, riss ihn dabei zu Boden und war eine Idee schneller auf den Beinen.

Als er hochkam, schlug ich rechts nach seinem Kopf. Er riss seine Fäuste zur Deckung hoch, und da konnte ich ihm eine Linke auf die Leberpartie rammen.

Es war einer von diesen Schlägen, die vernichtend wirken, weil sie so unheimlich präzise und genau kommen und dabei mit explosiver Kraft geschlagen werden.

Jonas Shalacko hatte gewiss das Gefühl, von einem Maultier getreten worden zu sein. Er warf sich gegen mich, versuchte, mich zu umklammern, sich an mich zu hängen. Aber ich konnte ihm ausweichen. Er stolperte an mir vorbei und stürzte.

Als er am Boden lag, hoffte ich, dass er sofort wieder aufspringen würde. Aber den Gefallen tat er mir nicht. Er war zu erfahren. Er lag zusammengekrümmt auf der Seite und beobachtete mich nur. Hier an der Grenze wurde zumeist auf unfaire Art gekämpft. Es war üblich, einen am Boden liegenden Mann mit den Füßen zu bearbeiten. Hier an der Grenze kämpfte man, um zu überleben und den Gegner für immer zu erledigen. Oha, die feine englische Art kannte man hier nicht.

Aber ich konnte so nicht kämpfen. Deshalb musste ich warten.

Jonas Shalacko lag so lange am Boden, wie man braucht, um bis zwanzig zu zählen. Dann hatte er den Haken auf die Leber verdaut, spürte keine Schmerzen mehr und war bereit.

Als er hochkam, grinste er.

Seine Revolver hatte er verloren – wie ich auch.

Wir umkreisten uns.

Shalacko keuchte: »Das kannst du haben, Johnny Kisco! Ich mache dich so klein wie einen Mäuserich. Diesen Kampf kannst du haben!«

Und dann sprang er mich an.

Oh, er war schnell! Ich konnte ihm nicht ganz ausweichen – und ich wollte es auch nicht. Ich stellte mich, und so standen wir Fuß bei Fuß und schlugen mit aller Kraft und Härte aufeinander ein.

Ich musste Jonas Shalacko schlagen! Nichts anderes zählte.

Nun, ich besiegte ihn damals an jenem Campfeuer. Er schlug mich viermal zu Boden. Ich aber schaffte das bei ihm fünfmal.

Dann konnte er nicht mehr aufstehen, obwohl er sich alle Mühe gab. Er kam jedoch nur noch auf Hände und Knie, hielt sich so einige Sekunden und fiel dann mit dem Gesicht auf die zerwühlte nasse Erde.

Ich erwachte wie aus einem bösen Rausch. Ich begriff, dass ich einen Kampf gewonnen hatte, aber dass es ein bitterer Sieg war, weil mein ganzer Körper schmerzte.

Ich war krank geschlagen worden. Gewiss, ich stand auf den Beinen und Shalacko lag am Boden. Aber es war kein großer Unterschied zwischen uns. Ich hatte nur ein wenig mehr Zähigkeit und Kraft gezeigt.

Und dennoch – oha, ich spürte die Blicke des Rudels. Ich hatte ihren besten Mann geschlagen, sogar auf eine ziemlich faire Art.

Ich ging zum Wagen, in dem sie ihre Ausrüstung und Vorräte hatten. An der Seite war ein großes Wasserfass angebracht. Ich hielt den Holzeimer unter das Loch und zog den Holzspund heraus.

Sie sahen zu, wie ich den Eimer füllte und mich wusch, denn ich war mit Dreck und Blut verschmiert.

Als ich mir das Gesicht und die Hände gesäubert hatte, lag Shalacko immer noch bewegungslos da. Er hatte gekämpft, bis er nichts mehr aus sich herausholen konnte.

Ich hätte mich am liebsten neben ihn gelegt. Es war mein größter Wunsch, mich ausruhen zu können. Doch ich durfte noch nicht. Erst mussten noch ein paar Dinge geklärt werden.

Als ich ans Feuer trat, gab ich mir alle Mühe, nicht erkennen zu lassen, wie schlecht es mir ging. Ich fand auch meinen Colt am Boden, hob ihn mit steifen Fingern auf und schob ihn ins Holster.

Nur mit Härte konnte ich ihnen imponieren. Und weil sie genau wussten, wie schlecht es mir nach diesem Kampf gehen musste, imponierte ihnen meine Härte. Das allein war meine Chance bei ihnen.

Ich sah sie an. Sie hatten mir gegenüber am Feuer eine Gruppe gebildet.

»Na schön«, sagte ich, »leider kann ich mich hier nicht länger aufhalten und die Dinge gründlich in Ordnung bringen. Ich will euch sagen, wie die Sache läuft. Der alte Mann dort im Sarg – ich bringe ihn heim, dorthin, wo seine Frau und seine Söhne beerdigt sind. Er hat ein Recht auf einen letzten Platz bei seiner Familie. Ich bringe ihn mitten hinein ins Land der Cantrell-Sippe. Wenn ich ihn beerdigt habe, komme ich zurück. Sagt Jonas Shalacko, dass er die Herde genau nach Norden führen soll. Ich werde in vier oder fünf Tagen wieder zu euch stoßen. Dann muss die Herde vierzig oder fünfzig Meilen gewandert sein. Sagt es Shalacko!«

Nach diesen Worten ging ich zum Wagen. Sie aber schwiegen. Mir war es gleich, ich konnte einfach nicht mehr. Meine Kraft reichte gerade noch aus, um auf den Sitz zu klettern und die Zügel in die Hand zu nehmen.

Langsam fuhr ich in die Nacht, dorthin, wohin auch die Herde getrieben werden sollte. Würde sie das? Was hatte das Schweigen der Männer zu bedeuten?

Mir war das in jener Stunde vollkommen gleichgültig.

Ich war nur froh, dass ich allein durch die Nacht fahren konnte, dass mich niemand mehr sah. Wie ein Indianer wollte ich in diesem kranken und zerschlagenen Zustand allein sein. Und zu einem Viertel war ich ein Indianer – ein Comanche.

✰✰✰

Ich fuhr in dieser Nacht nur so weit vom Lager fort, dass den Männern dort meine körperliche Not verborgen blieb. Ich fand einen Bach, an dessen Ufer ich mich ins Gras legte, um mein zerschlagenes Gesicht und die Schwellungen, Abschürfungen und Quetschungen zu kühlen.

Einige meiner Rippen waren angebrochen. Oh, ich würde Jonas Shalackos Zeichen mein ganzes Leben lang behalten.

Aber auch er würde sich immer wieder an unseren Kampf erinnern müssen, sobald er in einen Spiegel blickte.

Während ich so in der Nacht am Bach lag, dachte ich darüber nach, ob dies alles einen Sinn gehabt hatte.

Ich wusste es nicht – noch nicht, denn es kam alles auf Jonas Shalacko an. Ich hatte ihn in einem fairen Kampf geschlagen. Und dann hatte ich Befehle für ihn hinterlassen – Befehle, die ihn an die Spitze der Mannschaft stellten und alles, was Jason Barney mir vererbt hatte, seiner Obhut überließ. Jonas Shalacko hatte es jetzt in der Hand, mir einen schlimmen Streich zu spielen.

Würde er das tun? Würde er so schuftig sein, um für eine Niederlage auf diese Art Rache zu nehmen? Oder würde er anerkennen, dass ich fair mit ihm gekämpft hatte?

Es hing alles von seinem Stolz ab.

Darauf musste ich vertrauen. Es gab keinen zweiten in der Mannschaft, mit dem ich dieses Experiment hätte wagen können.

✰✰✰

Drei Tage später hatte ich die Gegend des Niobrara und seiner zahlreichen Nebenflüsse erreicht. Es war ein Land, in das man durch die Ausläufer der Great Sand Hills kam, und es war ein Land der Espen und grünen Weiden, der kleinen Creeks und Seen.

Wir Kiscos hatten die Weidegründe bei den Wildcat Hills besessen. Die Barney-Sippe hatte westlich der Wildcat Hills gelebt. Und genau dorthin führte mein Weg.

Es wurde Zeit, dass der tote Jason Barney unter die Erde kam. Ich konnte ihn nicht ewig in seinem Sarg durch die Gegend fahren. Zum Glück war die Witterung kalt.

Mir ging es an diesem dritten Tag schon viel besser. Ich hatte die Nachwirkungen meines Kampfes mit Shalacko überwunden.

Ich hielt abends zum letzten Mal an. Jason Barneys Maultier, das zäh und stetig den Wagen gezogen hatte, brauchte noch einmal zwei Stunden Ruhe. Dann würde es bis zur einstigen Barney Ranch durchhalten.

Ich hatte Hunger wie ein Wolf nach einem Fünftage-Blizzard. Deshalb suchte ich mir eine geschützte Stelle und machte mir dort ein Kochfeuer an. Ich briet mir ein halbes Dutzend Maispfannkuchen und drei Scheiben durchwachsenen Speck, dazu kochte ich mir Kaffee.

Als ich mit dem Essen zur Hälfte fertig war, bekam ich Besuch.

Und er war nicht gekommen, um meine Kochkünste zu bewundern.

Nein! Dieser Besucher kam aus anderen Gründen. Und er war mir kein Fremder. Irgendwie hatte ich erwartet, schon bald auf ihn zu stoßen.

Er kam langsam an mein Feuer geritten. Zuvor hatte er sich mit einem kurzen Ruf angekündigt, so wie es in diesem Land üblich war. Dann hielt er sein Pferd an, blieb im Sattel und blickte auf mich herab.

»Möchtest du einen Schluck Kaffee, Vance?«, fragte ich ihn und blieb am Feuer hocken. Mein Revolvergurt mit dem Colt im Holster lag neben mir.

Aber ich war ein vorsichtiger Mann. Ich wusste, dass ich im Cantrell-Land und an diesem Feuer Besuch bekommen würde.

Ich hatte einen Derringer im Ärmel. Einen von diesen kleinen, doppelläufigen Colt-Derringern, die so klein waren, dass sie in einer ausgewachsenen Männerhand verschwanden und von einem Spieler in der großen Westentasche untergebracht werden konnten. Und einem Spieler glich ich jetzt. Ich hatte mich auf ein höllisches Spiel eingelassen.

Vance Hardcastle – so hieß mein Besucher – hatte sich in den Jahren meiner Abwesenheit nicht sehr verändert. Vielleicht hatte er drei oder vier Pfund an Gewicht zugenommen. Und in seinem kantigen Gesicht waren einige neue harte und tiefe Linien hinzugekommen.

Aber sonst war er immer noch der gleiche Vance Hardcastle, der Erste Vormann der Cantrell-Sippe. Er war der Mann, den der alte Nelson Cantrell seinen eigenen Söhnen vorzog. Ohne diesen Mann hätten die Cantrells damals den Weidekrieg nicht gewinnen können.

Vance Hardcastle hatte meinen Bruder Burt im Kampf getötet – in einem fairen Zweikampf. Mein Bruder Burt war nicht schnell genug gewesen.

Diesen Vance Hardcastle fragte ich also, ob er einen Schluck Kaffee haben wolle.

Er erwiderte nichts. Er sah nur vom Sattel aus auf mich nieder.

Dann knurrte er, als hätte er meine Frage gar nicht gehört: »Johnny, warum bist du heimgekommen? Halt, schwätz jetzt nicht vom toten Jason Barney dort im Sarg auf dem Wagen! Wir wissen schon seit zwei Tagen, dass du mit Jason Barneys Leiche unterwegs bist. Unser Nachrichtensystem ist besser denn je. Es geschieht nichts auf mehr als zweihundert Meilen in der Runde, das wir nicht erfahren. Also, Johnny ...« Er verstummte gedehnt, und es war ein Klang in seiner Stimme, der mich zwang, die Wahrheit zu sagen. Er war selbst gekommen. Er wollte mit mir von Mann zu Mann reden.

Nun, das konnte er haben.

Ich schlürfte erst mit gespitzten Lippen vom heißen Kaffee, blieb am Feuer hocken und sah zu ihm auf. Ich saß im Indianersitz und hatte meine Ellbogen auf die Oberschenkel gestemmt.

Mit dem linken Daumen deutete ich kurz über die Schulter auf den Wagen mit dem Sarg darauf.

»Dieser alte Mann«, sagte ich ruhig, »hatte eine Idee. Es war sicherlich eine schlechte Idee. Sie war närrisch. Er wollte mit einer Schafherde das Land der Barneys und der Kiscos zurückerobern. Ja, es war eine sehr närrische Idee. Ich hätte wahrscheinlich gar nicht mitgemacht, denn meinen Vater und meine Brüder könnte ich dadurch nicht wieder lebendig machen. Nur neues Blutvergießen und Tote würde es geben. Nein, diese Idee war nichts anderes als eine Ausgeburt des Hasses und des Wunsches nach Rache und Vergeltung. Vance, ich habe längst herausgefunden, dass Hass in die Hölle führt. Wahrscheinlich hätte ich versucht, Jason Barney seine Idee auszureden. Aber ich kam gar nicht zu Wort. Er wurde aus der Nacht heraus mit einem Gewehr durch zwei offene Türen hindurch ermordet. Ja, es war Mord – ein heimtückischer, erbärmlicher ...«

Ich verstummte und winkte nur verächtlich ab. Ich wusste, dass jeder Gefühlsausbruch und jedes Wort der Beschimpfung oder Verachtung völlig sinnlos waren. Mit Vance Hardcastle konnte man nur ganz kühl und sachlich reden.

»Jetzt bringe ich ihn heim. Er ließ damals auf dem Friedhof bei seiner Ranch seine Frau und seine Söhne zurück. Er hat ein Recht darauf, heimzukommen.«

Vance zögerte und starrte mich an. Selbst im rötlichen Feuerschein konnte man erkennen, wie aschblond sein Haar war und wie farblos seine Augen erschienen – bis man in diese Augen hineinsehen musste. Dann wurde man sich darüber klar, dass gefrorenes Eis auch ziemlich farblos ist.

Nach einer Weile nickte er.

»Und dann?«, fragte er. Nach zwei Atemzügen fügte er hinzu: »Die Schafherde bewegt sich jeden Tag um zehn Meilen nach Norden, also auf die Cantrells zu. Ich erhielt heute diese Nachricht. Obwohl Jason Barney tot ist und auch du nicht bei der Herde bist, rückt sie weiter nach Norden vor. Es muss ein Mann dort sein, der einen Befehl ausführt. Hast du diesen Befehl gegeben?«

Da hatte er mich also festgenagelt. Ich musste ihm eine Antwort geben, und er wusste, dass ich nicht lügen würde. Aber ich war dennoch zufrieden. Die Schafherde war auf dem Weg nach Norden. Das bedeutete, dass Jonas Shalackos Stolz so groß war, wie ich gehofft hatte. Irgendwie musste er begriffen haben, was ich von ihm erwartete und warum ich gerade ihm das Kommando übergeben hatte.

Ich schlürfte wieder vom heißen Kaffee. Mein Blick war nachdenklich auf Vance Hardcastle gerichtet.

Dann sagte ich: »Vance, wenn du mir Jason Barneys Mörder bringst, mir zumindest seinen Namen nennst und ich Gelegenheit bekomme, mir den Burschen zu holen, dann – und nur dann, Vance! – ziehe ich mit der Schafherde auf eine andere Weide. Halt, sprich noch nicht! Ich gebe dir erst mein Wort, dass ich nicht komme, um Rache für die Opfer jener Fehde zu nehmen. Wenn ich komme, dann nur wegen dieses heimtückischen Mordes. Damals, als wir Barneys und Kiscos mit euch Cantrells um dieses Land kämpften, als eine Fehde entstand, die mit jedem neuen Toten schlimmer und schrecklicher wurde, da hatten wir noch kein Gesetz westlich des Missouri. Die Armee war in Wyoming und Montana noch mit den Indianern beschäftigt und steckte gerade die großen Niederlagen ein. Hier in Nebraska galt nur das Gesetz des Stärkeren. Aber jetzt ist es anders. Seitdem ihr Cantrells das Land beherrscht, gibt es sogar einen Sheriff! Mit eurer Hilfe und mit euren Stimmen wurde er gewählt. Dennoch schickt ihr Mörder aus, die einen alten Mann aus dem Hinterhalt abknallen, nur weil er eine Schafherde in dieses Land zu bringen drohte. Das ist schlecht. Vance, ich will den Mörder! Oder ich nehme den Kampf gegen euch auf, weil es nicht sein darf, dass heuchlerische Mörder mit ihrer Schlechtigkeit durchkommen. Wie willst du es haben, Vance?«

Er gab mir nicht sogleich eine Antwort. Erst saß er ab, und ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Vance Hardcastle machte keine halben Sachen. Stets brachte er alles richtig zu Ende.

Als er auf der mir gegenüberliegenden Seite ans Feuer trat, blieb ich immer noch hocken.

»Du möchtest also die Welt verbessern?«, fragte er kühl.

Ich schüttelte den Kopf. »Diese Welt wird gut und schlecht sein bis in alle Ewigkeit«, sagte ich. »Die Menschen sollten gut sein. Doch sie sind es nicht. Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Ich kann die Welt nicht verbessern. Aber ihr habt einen alten Mann umgebracht, obwohl er mit seiner Schafherde noch zehn Tagestrecks von eurem Land entfernt war, obwohl er vorerst nur seine Pläne erkennen ließ und die Ausführung noch recht fraglich war. Ich will den Mörder! Und wenn ihr ihn nicht ausliefert, sollt ihr alle mit ihm in die Hölle fahren!«

»Und wenn ich dir schwöre, dass wir keinen Mörder schickten? Wenn ich dir mein Wort gebe, dass Jason Barney nicht auf unser Konto geht?«

In Vance Hardcastles Stimme war ein merkwürdiger Klang gekommen. Obwohl ein sichelförmiger Schnurrbart – wie ihn damals die Texaner trugen – über seine Mundwinkel hing, konnte ich erkennen, wie sehr diese Mundwinkel arbeiteten.

»Ich würde deinem Wort glauben, dass du ihn nicht erschossen hast und auch nicht den Befehl dazu gegeben hast«, murmelte ich. »Aber du kannst nicht für die Cantrell-Sippe einstehen.«

»Doch«, sagte er. »Sie ist ehrenwert – sie nahm sich zwar hier das Land mit dem Recht des Stärkeren. Doch diese Chance hattet ihr Kiscos und Barneys auch. Johnny, steh auf und leg den Waffengurt an! Wir wollen herausfinden, wer von uns schneller ist.«

Ich sah ihn an, blieb sitzen und schüttelte den Kopf.

»Reite zu Nelson Cantrell«, sagte ich. »Melde ihm, dass ich den Mörder haben will – selbst dann, wenn er die Cantrell-Sippe als seine Auftraggeber bloßstellen sollte. Ich will den Mann. Du bekommst keinen Kampf mit mir, Vance – heute nicht.«

»Ich könnte dich einfach abschießen«, sagte er, und in seine hellen Augen kam ein gefährliches Glitzern.

Wieder schüttelte ich den Kopf.

»Vielleicht muss ich dir so etwas zutrauen«, erwiderte ich, »denn du reitest für einen Schuft und mit Mördern. Doch auch ich hätte dich längst abknallen können.«

Ich zeigte ihm den Colt-Derringer, den ich mit einer leichten und lässigen Handbewegung aus dem Ärmel in meine Hand schüttelte.

Er starrte auf das kleine Teufelsding.

»Du hast in den vergangenen Jahren eine Menge Tricks gelernt«, brummte er. »Du bist wahrhaftig ein erfahrener Wolf geworden, der überall jagte und lernte. Es war gut, dich zu sehen und sprechen zu hören. Ich will dir einen Gefallen tun, Johnny. Ich will zu Nelson Cantrell reiten.«

Er wandte sich ab, saß auf und ritt in die Nacht hinaus.

Ich aber löschte mein Feuer. Es war mir zu gefährlich, denn jener hinterhältige Gewehrschütze konnte vielleicht schon in der Nähe sein. Ja, ich glaubte immer noch fest daran, dass die Cantrells diesen Mörder ausgesandt hatten.

✰✰✰

Während der nächsten zwei Stunden passierte nichts. Vance Hardcastle war tatsächlich allein gekommen. Aber ich befand mich schon im Machtbereich der Cantrell-Sippe.

Nachdem sich Jason Barneys Maultier wieder so weit erholt hatte, dass es den Wagen noch zehn Meilen ziehen konnte, fuhr ich weiter.

Zweimal hörte ich Reiter in der Ferne. Mehrmals vernahm ich die Geräusche von Rindern. Die Cantrell-Rinder mussten hier überall in Rudeln über das Land verstreut sein, und als ich daran dachte, was sein würde, wenn erst Schafe ihren Gestank auf diese Weide brachten, konnte ich nicht grinsen. Im Gegenteil, ich hatte ein schlechtes Gefühl in der Magengegend.

Als ich die ehemalige Barney Ranch erreichte, begann der Himmel im Osten heller zu werden. Aus dem Kamin der alten Ranch stoben Funken. Jemand machte drinnen also das Feuer an, um Wasser für den Kaffee aufzusetzen.

Als ich über den Hof zum Brunnen fuhr, um dort das Maultier und auch mein Sattelpferd zu tränken, kam der Mann, der Feuer angezündet hatte, mit zwei Eimern aus dem Haus.

Er sah mich nicht richtig, denn es war noch nicht hell genug. Er fragte mürrisch: »Larry, bringst du endlich Vorräte von der Hauptranch? Die Jungs hier glaubten schon, dass ihr uns vergessen hättet und wir hier wie Indianer von der Jagd leben müssten.«

Während er mürrisch sprach, war der Mann näher gekommen. Nun blieb er stehen, etwas erschrocken und verblüfft. Er hatte den fremden Wagen entdeckt.

»He«, sagte er, »he, was soll das? Sie können doch nicht einfach hergefahren kommen, als wären Sie hier daheim! In diesem Land meldet man sich mit lautem Zuruf an. Verstanden?«

Ich erkannte ihn jetzt. Es war Pete Sharon, ein alter Cowboy. Er war für die Sattelarbeit wohl nicht mehr gut genug und machte deshalb auf diesem Vorwerk der Cantrell Ranch den Koch.

Ja, die einstige Barney Ranch war ein Vorwerk der Cantrell Ranch geworden. Pete kochte für die drei oder vier hier stationierten Reiter und kümmerte sich um die Pferde in den Corrals. Es waren etwa zwei Dutzend Tiere hier.

»Hallo, Pete«, sagte ich nur.

Er kam noch drei Schritte näher. Doch wahrscheinlich erkannte er mich mehr an der Stimme. Er schnappte nach Luft und sagte: »Heiliger Rauch, du bist doch nicht gar Little Johnny?«

Ich grinste bitter. Little Johnny, das war vor Jahren mein Name gewesen, denn ich war der Jüngste aller Kiscos. Meine Brüder waren älter. Deshalb war ich Little Johnny, und weil meine Brüder mich so nannten, wurde ich auch von den anderen Leuten so genannt. Vielleicht war das auch einer der vielen Gründe, warum ich schon als sehr junger Bursche den heißen Ehrgeiz hatte, besonders schnell ein harter Mann zu werden.

»Ja, ich bin Johnny Kisco«, sagte ich zu Pete und kletterte vom Wagen. Er kam noch näher und erkannte den Sarg.

»Heiliger Rauch«, brummte er, »was hast du mit dem Sarg da vor?«

»Jason Barney liegt darin«, erwiderte ich. »Die Cantrells haben ihn hundertzwanzig Meilen von hier abschießen lassen – einfach so aus dem Hinterhalt mit einem Büffelgewehr. Pete, du kannst stolz darauf sein, für die Cantrells zu arbeiten.«

Er stand still da und dachte nach.

»Das kann ich nicht glauben«, murmelte er dann, füllte am Brunnen seine beiden Eimer und wandte sich zum Gehen. Aber er hielt noch einmal an. »Ich habe hier nicht viel zu sagen«, brummte er. »Doch inzwischen werden die Jungs drinnen munter geworden sein. Ich muss ihnen erzählen, dass Besuch gekommen ist. Und dann ...«

Er schlurfte mit den gefüllten Eimern davon.

Ich tränkte ruhig die beiden Tiere und erfrischte mich etwas, denn ich war von der langen Fahrt übernächtigt.

Dann fuhr ich zum kleinen Ranch-Friedhof hinüber. Unterwegs hielt ich beim halb offenen Schuppen an, um eine Hacke und eine Schaufel auf den Wagen zu laden.

Als ich bei den Gräbern der Barney-Sippe anlangte, wurde es Tag. Ich sah, dass man auf dem kleinen Friedhof nichts getan hatte. Alle Gräber waren verwildert. Zwei der Grabsteine waren sogar umgefallen.

Eine Weile stand ich so da und erinnerte mich an all die Männer – an die drei Barney-Brüder, an die Freunde und die Reiter, die mit ihnen geritten waren und gegen die Cantrells gekämpft hatten. Ich sah sie plötzlich alle nach und nach vor mir.

Die alte Zeit stand noch einmal vor meinen Augen.

Ich nahm Hacke und Schaufel aus dem Wagen und begann zu graben.

Einige Minuten später war ich nicht mehr allein. Die Männer der Cantrells waren aus dem alten Ranchhaus herübergekommen. Es waren drei, und sie gehörten zu der Sorte, die mit dem Revolver noch besser umgehen kann als mit dem Lasso. Es waren beinharte Burschen, deren Aufgabe es war, die Macht der Cantrells in diesem Teil des Landes aufrechtzuerhalten.

Pete Sharon zählte nicht.

Sie sahen mir eine Weile zu, und ich dachte schon, dass sie klug genug seien, um mich gewähren zu lassen. Doch sie waren es nicht. Einer von ihnen sagte plötzlich barsch: »Mann, hast du eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Du kommst einfach hergefahren und beginnst ein Loch zu graben. Wenn jeder Mensch auf den Einfall käme, Särge herzuschaffen! Hast du die Erlaubnis von Old Nelson Cantrell? Oder wenigstens von Vance Hardcastle?«

»Nein«, sagte ich. »Aber es ist gut, dass ihr gekommen seid. Ihr könnt mir helfen, den Sarg vom Wagen zu heben und dann in die Grube zu lassen.«

Das verblüffte sie, und sie staunten eine Weile. Aber dann wurden sie böse. Sie, die Vertreter einer mächtigen Sippe, fühlten sich missachtet.

»Pack dich!«, sagte ihr Sprecher. »Hier werden keine Leichen abgeladen. Warum auch?«

Ich stieß die Schaufel in die Erde und trat einen Schritt zurück.

»Warum auch?«, knurrte ich. »Nun, das will ich euch in aller Freundlichkeit erklären. Ihr wart die ganze Zeit hier auf dieser Ranch Gast des jetzt toten Jason Barney. Ihr habt euch hoffentlich wohl gefühlt in dem Haus, das er mit seiner Familie baute. Jason Barney hat von allen Menschen das größte Recht darauf, hier für immer bleiben zu dürfen. Habt ihr mich verstanden, Freunde?«

Vielleicht betonte ich das Wort »Freunde« etwas zu stark. Vielleicht wollten sie auch nicht länger schwätzen, sondern glaubten, für ihren Lohn etwas tun zu müssen. Auf jeden Fall aber bildeten sie sich ein, dass es gut wäre, mir die Revolver unter die Nase zu halten. Deshalb schnappten sie wie auf ein geheimes Kommando fast gleichzeitig nach ihren Waffen. Es sah aus, als hätten sie das schon oft auf diese Art getan.

Aber da kamen sie bei mir gerade richtig.

Auf diese Spiele verstand ich mich gut. Ich schlug sie im Ziehen schnell und leicht. Gewiss, sie waren schnell. Sie waren Revolverschwinger, die sich fortwährend im Ziehen übten. Aber ich konnte schon als halbwüchsiger Bengel meinen Revolver schneller herausholen als solche Revolverschwinger.

Sie hatten ihre Läufe noch nicht aus den Holstern, als sie schon in meine Mündung blickten. Sie hielten den Atem an und erstarrten. Erst jetzt wussten sie richtig, zu welcher Sorte ich gehörte.

In die Stille hinein sagte Pete Sharon vorwurfsvoll aus dem Hintergrund: »Warum habt ihr mir vorhin nicht richtig zugehört und gewartet, bis ich ausgesprochen hatte? Dann hättet ihr auch seinen Namen besser verstanden. Das ist Johnny Kisco!«

Nun wussten sie es endlich. Sie standen da wie drei verwilderte Hunde, die jäh einem richtigen Wolf begegnet waren.

»Jungs«, sagte ich, »macht mir keinen Ärger. Jemand von den Cantrells hat Jason Barney durch einen Mörder aus dem Hinterhalt mit einem Büffelgewehr erschießen lassen, denn Jason Barney wollte mit einer Schafherde zurück auf seine Heimatweide. Es ist keine gute Art, jemanden einfach so umzulegen. Ihr werdet verstehen, dass ich es euch gern zurückzahlen möchte. Auch ihr seid Cantrell-Reiter. Vielleicht ist einer von euch sogar dieser heimtückische Schütze. Jetzt hebt den Sarg vom Wagen! Vorwärts!«

Sie ließen ihre Colts los wie heiße Kartoffeln. Dann gehorchten sie. Und als ich ihnen sagte, dass sie abwechselnd das Grab ausheben sollten, gehorchten sie auch.

Nur einmal sagte einer von ihnen zu Pete hinüber: »Du alter Pfannenschwenker, warum hast du uns seinen Namen nicht zuerst genannt und dann die Geschichte vom Sarg erzählt?«

»Ihr wart alle zu hastig«, erwiderte Pete, der sich still und ruhig im Hintergrund hielt. Aber nach einer Weile fragte er heiser: »Johnny, du bist wahrhaftig der Meinung, dass die Cantrells einen Mörder schickten, der Jason Barney aus dem Hinterhalt abknallte?«

Als die Frage verklungen war, hielten die drei anderen Männer in der Arbeit inne. Sie wollten meine Antwort hören.

Ich fragte zurück: »Wer sonst hätte verhindern wollen, dass Jason Barney mit fünftausend Schafen und einer Revolvermannschaft auf seine Heimatweide zurückkommt? Rechnet euch das doch selbst einmal aus. Mit einem einzigen Schuss war das Problem zu lösen, nicht wahr? Ein toter Barney konnte nicht auf seine Weide zurückkommen. Ihr reitet für eine Sippe, die Männer anwirbt, die in der Nacht mit Gewehren herumschleichen und durch offene Türen auf einen Mann schießen, der ahnungslos an einem Tisch sitzt. Ihr könnt stolz sein auf euer Brandzeichen. Die Grube ist nun tief genug. Wir lassen den Sarg hinunter.«

Sie gehorchten schweigend. Dann schickte ich sie fort und blieb noch eine Weile am offenen Grab stehen. Ich wusste nicht, ob ich beten sollte oder was für ein Gebet für Jason Barney gepasst hätte.

Da meine Mutter sehr früh gestorben war, hatte ich in meinem Leben nicht viel gebetet. Ich überlegte und sagte dann in das offene Grab hinunter: »Old Jason, ich weiß nicht, was du gut oder schlecht, richtig oder falsch gemacht hast in deinem Leben. Aber ich bin sicher, dass es im Jenseits fairer zugehen wird als hier auf der Erde. Und so wirst du deinen Teil bekommen, Jason – ob gut oder schlecht, es wird ein fairer Teil sein.«

Dann warf ich das Grab langsam zu.

Das also war Jason Barneys Ende, dachte ich immer wieder.

Was aber würde jetzt sein?

Ich dachte darüber nach, als ich zum Brunnen ging, um mich dort zu waschen.

Ja, ich war immer noch entschlossen, Jason Barneys Mörder zu finden.

Obwohl mein Magen knurrte, hielt ich mich nicht länger auf der ehemaligen Barney Ranch auf. Ich kümmerte mich auch nicht weiter um die hier stationierten Männer.

Ich war plötzlich neugierig auf Rainbow Hill.

✰✰✰

Aus der Siedlung am Fuß des Regenbogenhügels war eine kleine Stadt geworden. Sie lag zu meinen Füßen, als ich am späten Vormittag aus den Wildcat Hills in das flache Rainbow Valley hinunterfuhr.

Unterwegs wollte ich immer wieder meinem Verlangen nachgeben, in die Wildcat Hills abzubiegen, um meine Heimatranch zu besuchen.

Aber ich wusste, dass auch die Kisco Ranch zu einem Vorwerk der Cantrells geworden war und dass ich dort wieder auf einige ihrer harten Burschen stoßen würde.

Es hatte keinen Sinn, sich mit all diesen Kerlen auseinanderzusetzen, die für Lohn Befehle ausführten, denn Old Nelson Cantrell war mein Mann. Nach ihm stand Vance Hardcastle auf der Rangliste. Nach Hardcastle kamen Old Nelsons Söhne James und Phil. Nach ihnen gab es noch eine Handvoll Verwandte, Onkel, Vettern und angeheiratete Schwäger. Aber es würde nur auf Old Nelson ankommen, das war klar. Er war der King, der Patriarch.

Rainbow Hill bestand jetzt aus gut zwei Dutzend Wohn- und Geschäftshäusern mit den dazugehörenden Nebengebäuden. An einem Haus sah ich ein Schild hängen, auf dem »Cantrell-Bank« stand. Da wusste ich, wie die Sippe jetzt das Land beherrschte und all die vielen kleinen Drei-Cent-Rancher und Siedler unter Kontrolle hatte.

Ich hielt beim Saloon an, kletterte vom Wagen und ging hinein.

Für ein Mittagessen war es noch zu früh. Beim Saloon aber hing ein Schild, auf dem man lesen konnte, dass man im Saloon ab Ein-Dollar-Zeche Freiimbiss hatte.

Den Mann hinter dem Schanktisch kannte ich nicht. Ich bestellte ein Bier und versorgte mich am Imbisstisch. Es gab kaltes Bratfleisch, gekochte Eier, Brot und saure Gurken.

Mein Magen knurrte vernehmlich, und der Mann hinter der Bar sagte warnend: »Freund, wenn Sie glauben ...«

Ich winkte ab. »Vielleicht werden wir Freunde«, sagte ich kauend, »vielleicht auch nicht. Ich bin Kisco, Johnny Kisco. Ja, ich bin hungrig wie ein Wolf. Aber wenn ich vorausbezahlen soll, dann sagen Sie es nur, Mister.«

»Nein«, erwiderte er und grinste breit. »Mister Kisco, Sie sehen wie ein abgerissener Tramp aus«, sagte er dann entschuldigend.

Ich nickte, kaute munter weiter und trank zwischendurch das Bier. Dabei musste ich an meinen Kampf mit Jonas Shalacko denken. Ja, dieser Kampf hatte meine Kleider ziemlich mitgenommen. Ich war unrasiert, und mein Gesicht war immer noch etwas verfärbt und geschwollen.

»Ja, so sehe ich aus«, sagte ich und betrachtete den Mann.

Er wirkte wie ein ehemaliger Preiskämpfer, der seine geringen Ersparnisse in diesem Saloon angelegt hatte. Er musste auch den Cantrells sehr ergeben sein. Sonst hätten sie es ihm nicht erlaubt, in ihrer Stadt einen Saloon zu führen.

Als ich mich am Freiimbiss noch einmal bedienen wollte, klang draußen donnernder Hufschlag. Ein Reiter galoppierte wie ein verrückter Indianer in die Stadt. Draußen vor dem Saloon riss er sein Pferd auf die Hinterhand, sodass es erschrocken wieherte.

Ich konnte von meinem Platz beim Imbisstisch aus dem Fenster blicken.

Der Reiter war kein anderer als Phil Cantrell. Er und ich, wir hatten uns schon immer geprügelt.

Wie würde es jetzt sein? Nun, ich würde es gleich wissen.

Er kam im nächsten Moment durch die Schwingtür, deren Flügel er aufstieß wie ein gereizter Bulle. Sein Blick suchte mich.

Ich grinste ihn kauend an, denn ich erinnerte mich daran, dass mein Anblick ihn seit dem Tag wild und wütend machte, an dem ich ihm zwei Vorderzähne herausgeschlagen hatte, sodass er von da an lispeln musste.

Als er den Mund aufmachte, lispelte er immer noch wie vor fünf Jahren.

»Johnny, mein Vater verbot mir, dich abzuschießen. Ich soll dich nur zu ihm bringen. Kommst du freiwillig mit?«

Ja, das war so ganz und gar seine Art. Und er war offenbar noch großspuriger und selbstbewusster geworden. Aber er war dabei nicht dumm.

Wir waren von gleicher Größe. Doch er wog gewiss zweihundert Pfund, also fast zwanzig Pfund mehr als ich. Dieses Mehrgewicht waren nur Muskeln und Knochen. Ich konnte mich nicht nochmals auf einen solchen Kampf wie mit Shalacko einlassen.

Deshalb sagte ich möglichst freundlich: »Nach dem Mittagessen gehe ich in eine Badewanne und lege mich danach einige Stunden im Hotel aufs Ohr. Ich werde deinen Vater morgen besuchen. Bestell ihm das. Aber es genügt auch schon, wenn du mir den Namen des Mörders nennst, den ihr ausschicktet, um Jason Barney zu erledigen.«

Als ich das gesagt hatte, explodierte Phil Cantrell.

Ich war selbst daran schuld, denn ich hätte nicht so zu ihm reden dürfen. Er war zu stolz auf die Cantrells, obwohl er nach dem Vormann Vance Hardcastle und seinem älteren Bruder James nur den dritten Platz in der Rangordnung einnahm.

Aber bei den Cantrells war auch der letzte Mann stolz darauf, ein Cantrell-Reiter zu sein. Deshalb waren meine Worte eine besondere Beleidigung für ihn. Ich hatte ja soeben in aller Öffentlichkeit gesagt, dass die Cantrells einen Mörder gedungen und ausgeschickt hatten, um Jason Barney zu erledigen.

Phil war ein Bursche, der sich lieber auf seine Kraft und die mächtigen Fäuste verließ. Und so stürmte er auf mich los.

Meine angeknacksten Rippen waren noch längst nicht wieder in Ordnung. Phil Cantrell hätte mich in Stücke schlagen können.

Ich glitt zur Seite und gab ihm was mit dem schweren Bierkrug auf die Nuss. Der Bierkrug war nicht nur schwer, sondern auch noch halb gefüllt, und er war etwas, wofür auch Phils Eisenkopf nicht hart genug war. Natürlich ging der Bierkrug zum Teufel. Phil fiel auf die Knie und umschlang meine Beine, um sich so an mich zu klammern und die Not zu überstehen. Doch ich stieß ihn mit dem Knie, und dann lag er plötzlich rücklings auf den mit Sägespänen bestreuten Dielen des Saloons.

Er war nicht bewusstlos. Sein Kopf war zu hart. Er war nur benommen und ohne Gleichgewichtsgefühl.

Aber die Schwäche oder Übelkeit überwand er schnell.

Als er sich langsam erhob, grinste er breit. Wer ihn so grinsen sah, der traute ihm zu, dass er zwischen den Zähnen Steine zu feinem Pulver zermahlen konnte. An ihm war alles besonders hart, stark und eisern.

»Du kannst nicht mehr wie in alten Zeiten kämpfen«, knurrte er kehlig und kam langsam näher. »Du bist einer von diesen Revolverschwingern geworden, die ständig Angst um ihre Hände haben. Wenn du auf mich schießen solltest, werden sie dich am Hals aufhängen. He!«

Als er das letzte Wort ausstieß, sprang er mich wieder an.

Ich hatte meinen Colt herausgeschnappt, während er sprach und sich mir näherte. Meine Hoffnung, dass er sich beim Anblick meines Colts beruhigen würde, ging nicht in Erfüllung. Er griff mich an, als hielte ich nur ein Stück Wurst in der Linken. Aber dieses blindwütige Losstürmen passte zu ihm.

Was sollte ich tun?

Schießen?

Ich glitt abermals zur Seite und traf ihn mit dem Revolverlauf auf den Kopf. Aber er warf sich herum, bekam mich um die Hüften zu fassen und riss mich zu Boden.

Und dann gab er es mir. Ich war halb ohnmächtig vom Sturz. Phil Cantrell war schwer. Meine angebrochenen Rippen konnten ihn nicht aushalten. Er traf mich rechts und links – und ich konnte immer noch nicht abdrücken. Aber dann war es auch dafür zu spät, denn er schlug mir den Colt aus der Hand. Ich hatte schon fast das Bewusstsein verloren. Sein Gewicht lastete auf meinen Rippen wie ein Felsbrocken von Büffelgröße. Ich bekam einfach keine Luft.

Plötzlich fühlte ich mich wieder frei.

Nach einer Weile konnte ich dann darüber staunen, dass Phil Cantrell neben mir auf dem Rücken lag – still und friedlich.

Ich richtete mich mühsam auf, zog mich am Messinggeländer des narbigen Schanktisches auf die Beine und sah mich um.

Aber außer dem Mann hinter der Bar war niemand da. Wir waren nur zu dritt, Phil Cantrell, der Barmann und ich.

Ich sah den Barmann an.

»Was war das?«, fragte ich.

Er grinste und zuckte mit den massigen Schultern.

»Ich bin Mike Banner – der Besitzer dieses Ladens. Und wenn ich Ihnen sage, dass ich Fachmann für Faustkämpfe bin, so können Sie mir das glauben. Aus dem reichen Schatz meiner Erfahrungen möchte ich annehmen, dass der Schlag mit dem Bierkrug seine richtige Wirkung erst später zeigte. Vielleicht ist durch die Anstrengung in Phils Kopf ein Äderchen geplatzt. Phil Cantrell hätte sich nach diesem Schlag nicht weiter wie ein Rasender benehmen dürfen.«

Mike Banner sprach mit trockener Sachlichkeit. Aber in seinen Augen erkannte ich ein Funkeln. In den Fältchen der Augenwinkel steckte etwas.

Ich wusste plötzlich genau, dass er log. Und es machte ihm Spaß.

Ich grinste verzerrt.

»Freund«, sagte ich, »Sie haben ihn hoffentlich nicht so auf den Kopf geschlagen, dass er eine zweite Wunde findet ...«