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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2536 bis 2538:
2536: Der Stern im Norden
2537: Nebraska-Fehde
2538: Hope City
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 467
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2021 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Faba/Norma
ISBN: 978-3-7517-6435-3
https://www.bastei.de
https://www.sinclair.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2536
Ein Mann kommt geritten
G. F. Unger Western-Bestseller 2537
River Lady
G. F. Unger Western-Bestseller 2538
Mescalero-Fährte
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Contents
Ein Mann kommt geritten
Matt Wagoner hört sporenklirrende Schritte näher kommen. Er wendet den Kopf, und weil er am Fuß der Veranda steht, muss er zu Jim Tucker aufsehen, denn dieser bleibt auf der obersten Stufe stehen, hakt die Daumen in den Kreuzgurt und grinst. Es ist ein böses, kaltes und mitleidloses Grinsen.
Tucker greift mit der Linken lässig an seine protzige Uhrkette, die aus purem Gold ist und an der ein seltsamer Anhänger baumelt.
»Das ist ein Stück Blei, Mister«, erklärt er grinsend. »Ich habe es in Gold fassen lassen, weil es das erste Stück Blei war, das ich auffangen musste. Ich möchte mein Glück wahrhaftig noch einmal versuchen, Bruderherz.« Er grinst wieder grausam. In seinen Augen tanzen kalte Lichter.
Matt Wagoner tritt langsam drei Schritte zurück. Seine Revolverhand hängt bewegungslos hinter dem Walnussgriff seines großen Colts. Es ist ein einfacher Colt. Jim Tuckers Waffen dagegen haben Griffe aus Elfenbein.
Matt Wagoner sagt sanft - und es ist eine stählerne und tödliche Sanftheit: »Nun gut, Mister! Dann versuch dein Glück!«
Es ist eine Herausforderung.
Auch die anderen Männer, die sich auf der Veranda der Indianer-Agentur befinden, spüren die Gefahr. Sie weichen zur Seite. Einer der Männer sagt drängend: »Jim, lass dich jetzt nicht in eine andere Sache ein. Schieb es auf, Jim!«
Auch Matt Wagoner hört die Worte.
Aber er nimmt seinen Blick nicht von Jim Tucker.
Und nach einigen Sekunden erkennt er an Tucker den Ausdruck einer tiefen Nachdenklichkeit. Jim Tucker ist also auch nicht mehr jener wilde und höllische Bursche, der sich nur von Instinkten und Wünschen leiten lässt. Tucker ist nun ebenfalls ein Mann, der es gelernt hat, stets über eine Sache nachzudenken.
Und deshalb verschränkt Tucker jetzt seine Arme über der Brust und drückt damit aus, dass er nicht kämpfen will.
Er fragt: »Matt, was führt dich in dieses Land?«
»Ich wollte schon immer mal nach Wyoming«, erwidert Matt sanft.
Jim Tucker betrachtet ihn mit wachsender Nachdenklichkeit. Dann schüttelte er leicht den Kopf und murmelt: »Well, lassen wir alles ruhen. Es war wohl nur ein Zufall, dass du gerade jetzt in diesen Ort geritten kamst. Oder nicht?«
»Das Schicksal denkt sich immer einen Spaß aus.« Matt Wagoner lächelt. Er wendet sich plötzlich um, dreht Jim Tucker den Rücken und geht über die Poststraße zum Saloon hinüber.
Er hört hinter sich einen der Männer fragen: »Jim, wer ist dieser stolze Heldensohn?«
Und er hört Jim Tuckers bissige Antwort: »Das geht dich einen Dreck an, Lefty!«
Dann ist Matt Wagoner außer Hörweite. Er stößt die Schwingtür des Saloons auf. Bis auf den Mann hinter der Bar ist der Raum leer. Matt Wagoner späht noch einmal über die Schulter, bevor er die Türflügel hinter sich zuschwingen lässt.
Jim Tucker steht immer noch unbeweglich auf der Veranda der Agentur. Rechts und links von ihm stehen je zwei schwergewichtige Burschen.
Matt tritt vollends ein.
Der Barmann betrachtet ihn vorsichtig und abschätzend. Dann erwidert er Matts Gruß mit einem Nicken und stellt eine Flasche und ein Glas auf den Schanktisch.
»Das ist guter Whisky«, sagt er. »Kein Handelswhisky.«
»Dann stellen Sie auch für sich selbst ein Glas auf den Tisch.«
Matt grinst, und sein sonst so kantiges und hart wirkendes Gesicht verändert sich durch dieses Grinsen seltsam. Es wirkt irgendwie jungenhaft und verrät eine Menge trockenen Humor.
Er blickt auf die Uhr hinter dem Schanktisch.
Es ist zehn Minuten vor siebzehn Uhr. In zehn Minuten also findet drüben in der Agentur die Versteigerung des Clear Water Valley statt.
Die beiden Männer trinken. Und dann nickt Matt zufrieden.
»Es ist wirklich guter Whisky«, sagt er. Er deutet mit dem Daumen über seine Schulter hinweg zur Tür.
»Dort drüben sah ich Jim Tucker. Für wen arbeitet er? Und warum ist er hier?«
Der Barmann betrachtet Matt abermals vorsichtig. Er zögert unmerklich, aber dann sagt er: »Jim Tucker ist Wego McKeenzies großer Tiger. Er ist vor einer Stunde mit viel Schwierigkeiten hier angekommen. Wahrscheinlich wird er für McKeenzie das Regierungstal kaufen wollen.«
Matt Wagoner nickt. Er schenkt beide Gläser wieder voll. Und er fragt wieder: »Und sonst ist niemand hier im Land an diesem Tal interessiert?«
Der Barmann trinkt erst sein Glas leer. Dann zögert er wieder und murmelt widerstrebend: »Es gibt genügend Interessenten. Aber die meisten besitzen nicht die notwendigen Geldmittel. Überdies ist es hier im Land so, dass sich niemand um Dinge bemüht, die Wego McKeenzie haben möchte. Nur einer würde es vielleicht versuchen, aber ...«
Er bricht ab. Von draußen hört man das Räderrollen eines leichten und schnellen Wagens. Das Gespann muss sehr schnell und feurig sein.
»Da kommt Oven Harris«, schnauft der Barmann. »Zum Teufel, das Mädel hat ihn wirklich nicht von der Idee abbringen können. Ah, dieser furchtlose Junge wird jetzt ...«
Der Barmann läuft eilig hinter dem Schanktisch hervor und zur Tür. Matt Wagoner folgt ihm. Sie treten hinaus.
Ein leichter Zweispänner hält soeben vor der Agentur – aber der Fahrer fährt plötzlich wieder an, wendet das Gefährt auf der Straße und hält vor dem Saloon an.
»Du wirst hier warten, Caroline«, sagt er zu dem Mädchen neben sich.
»Yeah, Oven«, sagt das Mädchen ernst.
Matt Wagoner und der Barmann können alles gut hören. Es sind ja nur drei lange Schritte bis zum Wagen. Matt betrachtet das Paar aufmerksam. Der Mann ist so groß wie er, aber blond, blauäugig und muskulöser. Er hat ein kühn geschnittenes Profil. Er ist einige Jahre jünger als Matt, und obwohl er äußerlich ruhig, beherrscht und selbstsicher wirkt, entgeht Matt nicht, dass seine Backenmuskeln verkrampft sind und er auch sehr oft schlucken muss, als säße ihm ein Kloß im Hals.
Er klettert aus dem Wagen, wendet sich nach den beiden Männern um und starrt Matt scharf an. Dann sagt er zu dem Barmann: »Pat, ich möchte einen Whisky.«
»Die Flasche steht auf dem Tisch, Oven«, murmelt der Barmann. »Aber ich würde an deiner Stelle keinen Whisky trinken. Ich würde mich höllisch schnell verdrücken. Du siehst doch Jim Tucker und seine vier Bullen genauso gut wie ich, nicht wahr? Was für eine Chance hast du dir eigentlich ausgerechnet?«
»Sie werden es nicht wagen«, flüstert der junge Mann heftig und verschwindet im Saloon.
Der Barmann und Matt Wagoner betrachten nun das Mädchen, das gerade und aufrecht im Wagen sitzt. Sie blickt eine Weile zur Agentur hinüber. Jim Tucker lehnt oben am Geländer. Seine vier schwergewichtigen Reiter haben sich nebeneinander auf die oberste Treppenstufe gesetzt. Sie füllen die Treppenbreite voll aus.
Matt Wagoner sieht, wie das Mädchen innerlich erschauert.
Das muss Angst sein.
Dann wendet sie den Kopf und sieht ihn und den Barmann an.
»Helfen Sie mir, Gentlemen«, sagt sie schnell. »Verhindern Sie bitte, dass Oven Harris den Saloon verlässt.«
»Oven würde mich in Stücke reißen, wenn ich das versuchte«, murmelt der Barmann.
Das Mädchen sieht nun fest in Matt Wagoners Augen.
Matt hält unwillkürlich den Atem an.
Denn das Mädchen gefällt ihm. Sie ist nicht schön, aber auf eine besondere Art hübsch. Ihr Gesicht ist vielleicht sogar etwas unregelmäßig – aber sie ist dennoch hübsch, frisch und prächtig gewachsen. Die Art, wie sie den Kopf trägt und sich bewegt, verrät Stolz und Rasse.
Und Matt Wagoner, der fest in ihre Augen blickt, kommt zu der Erkenntnis, dass ihm noch nie ein Mädchen auf den ersten Blick so gut gefallen hat.
Matt Wagoner greift an die Hutkrempe und verbeugt sich leicht.
»Gehören Sie zu Jim Tucker, Fremder?«, hört er sie fragen.
»Nein, Madam.«
»Würden Sie dafür sorgen, dass Oven Harris im Saloon bleibt, bis alles vorbei ist?«
»Nein, Madam.«
»Und wenn ich Sie von ganzem Herzen darum bitte?«
»Es tut mir leid, Madam.«
»Haben Sie Furcht?«
»Vielleicht, Lady.«
Sie starrt ihn nun sehr aufmerksam an und prüft ihn nochmals. Dann seufzt sie und schüttelt den Kopf. Aber sie sagt nichts mehr. Sie bittet nicht mehr, sondern wendet wieder den Kopf und blickt zu Jim Tucker und seinen Männern hinüber.
Die Schwingtür des Saloons wird aufgestoßen. Oven Harris kommt heraus. Er nickt dem Mädchen zu und sagt etwas heiser: »Es wird nicht lange dauern, Caroline. Mach dir nur keine Sorgen. Ich lasse mich nicht bluffen – und wenn Tucker das erst erkennt, wird er aufhören. Schließlich kann der Agent ja auch nicht tatenlos zusehen, wie dieser Revolverheld alle anderen Interessenten mit Gewalt von der Versteigerung fernhält, nicht wahr?«
Oven Harris rückt seinen Colt zurecht und betritt hinter dem Wagen die Straße. Er geht mit langen Schritten zur Agentur hinüber.
Der Barmann steht unbeweglich neben Matt Wagoner. Und er seufzt heiser und flüstert bitter: »Dieser Junge hat Mut – aber sie werden ihn jetzt zerbrechen. Schade um ihn.«
Matt Wagoner bewegt sich plötzlich. Er tritt neben den Wagen und blickt zur Agentur hinüber.
Oven Harris hat jetzt den Fuß der Treppe erreicht, auf deren oberster Stufe die vier schwergewichtigen Cowboys sitzen. Alle vier sind gewiss schlimme Schläger.
Es ist still im kleinen Ort.
Der Agent ist irgendwo in seinem Büro verborgen und lässt sich nicht blicken. Und doch müssen er und Landkommissar die Worte der Männer genauso hören wie Matt Wagoner hier auf der anderen Straßenseite.
Denn Oven Harris sagt laut und scharf zu den vier Burschen: »Gebt die Treppe frei! Ich will zur Versteigerung!«
Aber die vier Muskelmänner grinsen ihn nur an und sagen kein Wort. Sie haben sicherlich von Jim Tucker, der auf der Veranda etwas seitlich von ihnen steht und sich an einen Stützbalken des Daches lehnt, genaue Anweisungen erhalten.
Oven Harris' Hand klatscht plötzlich hörbar gegen den Coltgriff. Seine scharfe Stimme klingt nun etwas schrill.
»Den Weg zur Tür frei, vorwärts!«
Aber die vier Burschen bewegen sich nicht. Sie grinsen nur, und es ist, als wären sie der Landessprache gar nicht mächtig und hielten Oven Harris' Worte für einen freundlichen Gruß.
Es wird wieder sehr still. Nur irgendwo hinter den Holzhäusern gackert ein erschrecktes Huhn. Sogar die Sattelpferde, die drüben an der Haltestange stehen, verhalten sich vollkommen unbeweglich.
Matt Wagoner sieht nur Oven Harris' Rücken. Aber er kann erkennen, wie Harris leicht erschauert und wie sich seine gestrafften Schultern für einige Sekunden senken. Aber er resigniert doch noch nicht ganz. Er strafft sich wieder und wendet sich an Jim Tucker.
»Du willst einen Kampf?«
»Nein, mein Junge«, sagt Tucker präzise und mit kalter Stimme langsam und laut. »Ich will keinen Kampf. Du willst ihn, mein Junge, nur du willst Verdruss. Ich will dir etwas sagen, mein Freund. Setz dich wieder in den Wagen und verschwinde. Du hast eine prächtige Freundin, und du solltest nicht noch mehr vom Leben verlangen. Du möchtest gern ein großer Mann werden, aber das schaffst du nicht. Lass dich von dem Mädel trösten. Verschwinde!«
Ganz zuletzt klingt Jim Tuckers Stimme kalt und mitleidlos. Es ist die unbarmherzige Stimme eines Revolvermannes, der sich für den Herrn über Leben und Tod hält.
Das Mädchen im Wagen bewegt sich plötzlich hastig. Matt Wagoner wirft einen schnellen Blick auf sie. Und er sieht, dass sie ein Gewehr unter dem Sitz hervorholen will.
»Lassen Sie diese Dummheit!«, sagt er leise, scharf und trocken. »Ihr Freund wird gleich kneifen. Es hat keinen Zweck, dass Sie ihm helfen.«
»Er wird nicht kneifen«, flüstert das Mädchen scharf und lässt die Waffe wieder los. »Das ist ja das Schlimme! Er wird nicht kneifen. Gleich ist er tot. Warum helfen Sie ihm nicht, Fremder?«
»Er hat mich nicht darum gebeten, Lady. Er würde mich hassen, wenn ich ihm helfen würde. Haben Sie denn noch nicht begriffen, Mädel, dass er Ihnen nur imponieren will? Er hat Jim Tuckers Vorbereitungen für einen Bluff gehalten und glaubte, dass dieser Bluff zusammenbrechen würde. Aber er kennt Jim Tucker nicht. Der blufft nämlich nicht und lässt sich auch nicht von anderen Männern bluffen. Oven Harris muss jetzt kämpfen oder aufgeben.«
»Und er bekommt von nirgendwo Hilfe, weil diese Welt nur aus Feiglingen besteht«, flüstert das Mädchen bitter.
»Er wird gleich aufgeben – und das ist besser für ihn«, murmelt Matt nachdenklich. »Er hat nicht das richtige Format für Jim Tucker. Wenn ich mir die Sache richtig zusammensetze, läuft es wohl darauf hinaus, dass Oven Harris das Regierungstal kaufen möchte. Nun, dieser Kauf wäre zwecklos, wenn er mit Jim Tucker und diesen Bullen dort schon jetzt nicht fertig werden kann. Er müsste diese Sache hier hinter sich bringen. Sonst wäre es schade um das viele Geld, das er für das Tal ausgeben würde.«
Das Mädchen sieht ihn an. In ihren Augen sind Angst und Sorge, Furcht und Empörung.
Aber er erwidert ihren Blick nicht, denn er beobachtet die Dinge vor der Agentur.
Er hört sie jedoch sagen: »Sicher. Sie haben ebenfalls Furcht vor Jim Tucker. Und Sie gehören auch nicht zu jenen Männern, die überall und an jedem Ort für eine gerechte Sache eintreten.«
»Nein«, murmelt er, »ich trete nicht für Narren ein, die es mit einem Bluff versuchen und sich vorher im Saloon mit Whisky Mut antrinken müssen, Miss. Ihr Freund ist sicherlich ein netter Junge. Aber mehr ist er nicht.«
»Aber Sie – Sie sind ein Mann, nicht wahr?«
»Ich bin ein ziemlich harter Bursche«, murmelt Matt Wagoner.
Inzwischen sind einige Minuten vergangen – lange, bange Minuten, in denen Oven Harris mit sich kämpfte und einsam und allein seine Entscheidung treffen musste.
Jim Tucker sprach die ganze Zeit kein Wort. Er wartete nur grinsend und beobachtete den jungen Rancher auf seine kalte und mitleidlose Art.
Und die vier muskelbepackten Burschen auf der Treppe bewegten sich ebenfalls nicht, sondern starrten Oven Harris nur grinsend an.
Und Oven Harris musste sich entscheiden.
Ganz plötzlich lässt er den Kopf sinken. Seine gestrafften Schultern senken sich. Sein Seufzen ist überall zu hören.
Dann wendet er sich um und kommt zum Wagen zurück. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, und sein Gesicht ist sehr blass und nass vor Schweiß.
Er ist zerbrochen.
Sein Bluff hatte keine Wirkung – und was übrig blieb, das ist nicht mehr Stolz, Selbstbewusstsein und Kühnheit. Was übrig blieb, ist nur ein netter Junge, der eine Lektion bekommen hat und erkennen musste, dass er doch kein harter und furchtloser Mann ist.
Auch das Mädchen im Wagen seufzt – aber es ist ein befreites und erlöstes Seufzen.
Sie sagt: »All right, Oven! Nur ein Narr hätte sich totschießen lassen! Es ist keine Schande, denn du bist nun einmal kein Revolvermann, der für Geld Menschen ermordet.«
Oven Harris hat angehalten. Er starrt zu dem Mädchen hoch. Er hebt schon den Fuß, um in den Wagen zu klettern. Aber dann wird er plötzlich tiefrot im Gesicht. Er wendet sich ab, läuft mit schnellen Schritten um den Wagen herum und verschwindet im Saloon.
Schon in der Tür ruft er über die Schulter: »Warte nicht auf mich, Caroline!«
Caroline Kelland will vom Wagen herunter. Sie will dem jungen Mann folgen.
Aber da sieht sie, wie sich der Fremde in Bewegung setzt und über die Straße geht. Matt Wagoner tritt fast genau in Oven Harris' Fußstapfen, die im Straßenstaub zu sehen sind.
Drüben hält er an, wendet sich an Jim Tucker und sagt trocken, so trocken, wie es ein harter Texaner nur sagen kann: »Jetzt bin ich an der Reihe, Jim Tucker. Sag diesen vier Mondgesichtern, dass sie die Treppe räumen sollen!«
Die Worte klingen deutlich über die Straße.
Das Mädchen – der Barmann – einige andere Leute – und die zahmen Indianer, die vor dem Handelsstore sitzen, hören sie genau.
Aber niemand bewegt sich oder mischt sich ein.
Oven Harris kommt aus dem Saloon. Auch er muss etwas gehört haben. Er hält eine Whiskyflasche in den Händen.
Jim Tucker stößt sich endlich langsam vom Stützpfosten ab. Er hat lange, sehnige und leicht gekrümmte Beine, die in sehr engen Hosen stecken, die wiederum in sehr schmiegsamen und engen Stiefelschäften verschwinden.
»Verschwindet«, sagt Jim Tucker mit plötzlicher Heftigkeit zu den vier Burschen auf der Treppe.
Und die vier Kerle gehorchen auch sofort.
Sie erheben sich und weichen bis zum äußersten Ende der Veranda aus. Dort bilden sie eine aufmerksame Gruppe.
Jim Tucker tritt an ihre Stelle auf die oberste Treppenstufe.
»All right«, sagt er, »jetzt weiß ich ganz genau, Mister, warum du hergekommen bist. Well, machen wir es also kurz: Du willst das Tal kaufen? Für dich selbst?«
»Yeah, mein Bester. Ich will endlich sesshaft werden.«
»Dann musst du aber eine Menge Geld besitzen, Matt.«
»Genug für meine Zwecke!«
Jim Tucker nickt nachdenklich.
Dann beugt er sich leicht vor, spreizt die Beine und öffnet die Hände hinter den Coltgriffen.
»Well«, sagt er.
Und dann schnappen seine langen und geschmeidigen Hände nach den Waffen und reißen sie heraus. Er schwingt die Mündungen hoch und drückt ab.
Aber während des Abdrückens wird er von Matt Wagoners Kugel zurückgestoßen.
Er fällt die Treppe herunter und landet vor Matt Wagoners Füßen.
Matt wendet sich den vier Kerlen zu. Sein Colt raucht noch.
Heiser sagt er: »Legt ihn auf sein Pferd und bringt ihn zu seinem Boss. Habt ihr mich verstanden?«
Die vier Kerle zögern.
Aber dann gehorchen sie.
Matt Wagoner steckt den Colt ins Holster. Er betastet seinen blutenden Arm, und fühlt, dass es nur eine Fleischwunde ist.
Langsam geht er die Treppe hinauf, öffnet die Tür und tritt in das Büro des Landkommissars ein.
Er sieht ein kleines, vertrocknetes und glatzköpfiges Männlein, dem ein lächerlicher Kneifer auf der Nase sitzt. Das Männlein hat jedoch listige Augen und einen kalten Blick.
»Die Versteigerung des Clear Water Valley kann beginnen«, sagt Matt zu dem Männlein. »Wie viel fordert die Regierung der Vereinigten Staaten?«
Der Mann starrt ihn eine halbe Minute schweigend an. Dann deutet er auf die Tür.
»Was war da draußen?«
»Ich habe soeben in Notwehr einen Revolverhelden erschossen, auf dessen Kopf dreitausend Dollar Belohnung ausgesetzt sind«, erwidert Matt Wagoner knapp. Und er fährt sanfter und bitterer zugleich fort: »Wenn es in diesem Land keinen Sheriff gibt, Mister, so sind Sie hier wohl der einzige Gesetzesvertreter, nicht wahr? Machen Sie einen Bericht, dass der gesuchte Jim Tucker hier ...«
»Das geht mich alles nichts an«, unterbricht ihn der Agent. »Das Reservat wird aufgelöst. Wenn das Tal verkauft ist, ist meine Mission hier beendet. Ich will mit den Dingen hier im Land nichts zu tun haben. Zwanzig Meilen von hier liegt die Stadt Rimson. Sie wird der Sitz der noch zu wählenden County-Behörde. Ich eröffne jetzt die Versteigerung. Die Regierung verlangt dreißigtausend Dollar für das Tal. Haben Sie das Geld bei sich?«
»Draußen in meinen Satteltaschen« sagt Matt Wagoner.
»Dann erhalten Sie den Zuschlag, da keine weiteren Gebote gemacht werden.«
Der Agent nimmt einen kleinen Hammer und klopft dreimal auf den Tisch. Und er sagt: »Dreißigtausend Dollar zum ersten – zum zweiten – und zum dritten! Holen Sie Ihr Geld herein, Mister ...«
»Matt Wagoner ist mein Name.«
Matt geht hinaus. Und er winkt dem Barmann und dem Mädchen zu, die drüben immer noch bewegungslos verharren und zu ihm blicken. Oven Harris ist verschwunden.
Matt löst gerade seine Satteltasche, als der Mann und das Mädchen neben ihn treten.
Er sagt zu ihnen: »Ich habe soeben das Clear Water Valley gekauft. Bitte unterschreiben Sie doch als Zeugen die Urkunde.«
Er blickt das Mädchen ernst an, wendet sich dann um und geht ins Büro hinein. Hinter dem Barmann und dem Mädchen drängen sich aber auch andere Menschen herein.
Draußen ruft eine Stimme: »He, seht euch das an! Ein Mann kam angeritten und hat das Clear Water Valley gekauft! Seht euch das an!«
Es kommen mehr als zwölf Männer herein. Der Schmied dieser Niederlassung und Handelsstation ist auch dabei, und er hält sogar noch seinen Hammer in der Faust. Es sind Frachtkutscher, der Händler aus dem Store mit seinen Gehilfen, die Leute aus dem Hotel und andere.
Sie alle starren Matt Wagoner an, der die Satteltasche geöffnet hat und eine Menge Geld auf den Tisch zählt. Dann unterschreibt er die Urkunde und sieht das Mädchen an. Sie erwidert seinen Blick. Eine innerliche Erregung hat rote Flecken auf ihre von der Sonne gebräunten Wangen gezaubert. Sie atmet ziemlich rasch.
»Ich habe begriffen«, sagt sie langsam, und sie beobachtet die anderen Leute gar nicht. »Ich habe es begriffen. Es musste ein wirklicher Mann in unser Land geritten kommen. Denn hier gibt es keinen, der mit Jim Tucker fertig geworden wäre und der mächtigen Stirrup Ranch das Tal hätte wegnehmen können.«
Sie nimmt den Federhalter und unterschreibt als Zeugin den Vertrag.
Auch der Barmann unterschreibt.
Dann geht Matt Wagoner mit der Satteltasche, in der sich immer noch ein Rest seines Geldes befindet, hinaus. Als er die Tasche wieder festschnallt, tritt das Mädchen neben ihn.
»Was werden Sie jetzt tun, Fremder?«
»Mein Name ist Matt Wagoner. Und ich will mir ein Heim schaffen. Aber vorher hole ich Oven Harris aus dem Saloon. Er wird schon schlimm betrunken sein. Können Sie das ertragen?«
»Ich habe schon genug betrunkene Männer gesehen«, sagt sie bitter.
Er folgt ihr mit dem Pferd. Dann geht er in den Saloon. Es dauert eine Weile, dann bringen er und der Barmann den vollkommen betrunkenen Oven Harris heraus.
»Er hat eine regelrechte Vergiftung«, sagt der Barmann bitter. »Dieser Junge hat in seiner Not zwei Pullen Whisky binnen weniger Minuten bis auf einen kleinen Rest geleert. Der hat sich mit Alkohol vergiftet. Zum Teufel, dabei ist es wahrhaftig keine Schande, dass er vor Jim Tucker gekniffen hat!«
Sie legen den Bewusstlosen, der nur schwache Lebenszeichen von sich gibt, hinten in den Wagen. Das Mädchen nimmt die Zügel des Gespanns, löst die Bremse und fährt davon.
Matt Wagoners Arm blutet immer noch. Er reißt sich den Hemdsärmel auf, nimmt sein Halstuch ab und reicht es dem Barmann.
»Bitte binden Sie mir das um die Wunde!«
Der Barmann untersucht die Wunde. Ein Kreis von Zuschauern bildet sich wieder.
»Die Wunde ist nicht schlimm«, sagt der Barmann und bindet dann das Tuch um Matts linken Oberarm. Dann ist Matt fertig. Er geht zu seinem Pferd, hinter dessen Sattel ein Bündel festgeschnallt ist. Er sitzt langsam auf. Seine Blicke schweifen noch einmal in die Runde. Dann nickt er dem Barmann zu, greift in die Tasche und wirft ihm ein Geldstück zu.
»Danke, Freund! Ihr Whisky ist wirklich gut!«
Und dann zieht er sein Pferd herum und folgt dem Wagen, der schon längst die Siedlung verlassen hat und hinter einer Biegung der Poststraße verschwand.
Und die Menschengruppe sieht dem Reiter eine Weile stumm und regungslos nach.
✰✰✰
Nach zwei Meilen, die Matt Wagoners Stute im Galopp hinter sich bringt, holt Matt den Wagen ein. Die Sonne steht nun schon sehr tief im Westen. Matt reitet dicht neben den Fahrersitz und sieht das Mädchen an.
»Haben wir den gleichen Weg, Madam?«
»Ich bin Caroline Kelland. Oven Harris und ich, wir sind Ihre Nachbarn. Unsere kleinen Ranches liegen südöstlich Ihres Tales, Matt Wagoner. Wir müssen auf dieser Poststraße bis zum Ende der Bergkette fahren und dann nach Osten abbiegen. Ihr nördlicher Nachbar ist Wego McKeenzie. Weiter im Osten gibt es einige Siedler und Drei-Kühe-Rancher. Aber die wird McKeenzie bald vertrieben haben. Bei der Stadt Rimson, zu der die Poststraße führt, gibt es ein Siedlercamp. Diese Leute bekommen ständig Zuzug. Wenn sie sich stark genug fühlen, werden sie auf die freie Weide ziehen und ihre Siedlerstätten errichten. Und dann wird es schlimme Kämpfe geben, weil Wego McKeenzie die freie Weide nicht ohne Kampf räumen wird. Aber zuerst wird Wego McKeenzie mit seinem Rudel auf Sie losgehen, Matt Wagoner. Sie haben seinen Revolvermann getötet und das Regierungstal gekauft.«
»Ist das Tal sehr wichtig für Wego McKeenzie?«, fragt Matt Wagoner mit ruhiger Stimme.
»Es ist für uns alle wichtig. Bisher war dieses Tal, das den Reservations-Indianern als Weide zur Verfügung stand, eine Art Sperrzone zwischen uns kleinen Ranchern und der mächtigen Stirrup Ranch. Wego McKeenzie konnte sich nach unserer Seite nicht ausbreiten. Er konnte dieses Tal nicht überspringen. Deshalb wollte er es jetzt kaufen. Sie haben das verhindert, Matt Wagoner. Warum?«
Bei dieser Frage hält das Mädchen den langsam rollenden Wagen endgültig an. Sie richtet den Blick fest und gerade auf den Reiter. Er lächelt seltsam.
»Ein Freund, der aus diesem Land kam, erzählte mir von diesem Tal«, erwidert er. »Er berichtete mir auch von den Schwierigkeiten in diesem Land. Ich wusste, dass niemand außer McKeenzie auf das Tal bieten würde. Und ich konnte mir ausrechnen, dass dieses Tal deshalb zum Taxpreis zu haben sein würde. Eine wirkliche Versteigerung hätte den doppelten Preis eingebracht. Nun, ich wollte ein schönes Stück Land für möglichst wenig Geld erwerben. Deshalb kam ich her.«
Das Mädchen bekommt einen Ausdruck des Staunens in die Augen. Auch ihr Gesicht drückt Verwunderung aus. Sie betrachtet Matt Wagoner noch einmal sehr sorgfältig.
Dann schüttelt sie leicht den Kopf.
»Der Landkommissar stand auf Wego McKeenzies Seite«, murmelt sie. »Bentley war darauf vorbereitet, dass McKeenzie das Tal zum Taxpreis kaufen wurde. Er muss einen tüchtigen Schock bekommen haben, sonst hätte er es Ihnen nicht verkauft. Er hätte die Versteigerung verschieben können, weil Sie McKeenzies Vertreter Jim Tucker getötet haben und außer Ihnen keine weiteren Interessenten vorhanden waren. Aber er hat es nicht getan.«
»Jim Tucker war ein Mörder, auf dessen Kopf eine Belohnung ausgesetzt ist«, murmelt Matt bitter. »Bentley wusste das. Und als Jim Tucker plötzlich tot war, hatte Bentley vor McKeenzie keine Angst mehr, sondern fürchtete sich vor mir. Yeah, ich habe sehr billig ein ganzes Tal eingekauft, das bald den doppelten Preis wert sein wird. Und deshalb kam ich in dieses Land. Ich hatte eine bestimmte Ahnung, dass ich hier eine Chance bekommen würde, mein Geld gut anzulegen.«
Das Mädchen blickt ihn immer noch unverwandt an.
Dann flüstert sie fast angstvoll: »Sie haben ein herrliches Tal gekauft, Matt Wagoner. Aber sie haben sich Wego McKeenzie, der Ihr nördlicher Nachbar ist, zum Todfeind gemacht. McKeenzies Mannschaft besteht aus zwei Dutzend schlimmen Burschen. Das ganze Land lebt in ständiger Furcht vor ihm und seiner mitleidlosen Macht. Mister, mit diesem Tal haben Sie sich auch den Tod gekauft. Wego McKeenzie lässt sich das von einem einzelnen Mann nicht bieten. Oder besitzen auch Sie eine starke Mannschaft, die bald eintreffen wird?«
»Ich bin allein.« Matt lächelt. »Ich war mein ganzes Leben lang allein. Ich bin ein einsamer Wolf. Und ich wusste schon vorher, dass ich, wenn es mir gelingen sollte, das Tal zu kaufen, hier einige Kämpfe hinter mich bringen muss. Aber das ist immer so im Leben. Man bekommt nichts geschenkt.«
Das Mädchen wendet den Kopf und blickt hinter sich in den Wagen. Auch Matt blickt vom Sattel hinein. Oven Harris liegt dort auf einer Decke und bewegt sich nicht. Der viele Alkohol hat ihn einfach betäubt wie der Schlag einer Keule über den Kopf.
»Das ist sicherlich sonst ein prächtiger Junge«, murmelt Matt leise. »Er liebt Sie, nicht wahr?«
»Yeah, er liebt mich«, erwidert das Mädchen sanft. Und weil ihre Augen plötzlich feucht werden, wischt sie mit der Hand darüber.
»Er wollte Ihretwegen ein großer Mann sein, der sich vor nichts fürchtet«, spricht Matt Wagoner ruhig weiter. »Aber er ist nun einmal vorläufig nichts anderes als ein großer Junge. Ich war auch mal solch ein Junge.«
»Sie sind nur wenige Jahre älter als Oven Harris!«
»Das Alter zählt nicht, Caroline. Ein Junge muss in diesem Land erst einmal mitten durch die Hölle und wieder zurück, bevor er ein Mann wird, der kämpfen kann. Die meisten Jungen zerbrechen in der Hölle.«
»Aber Sie sind nicht zerbrochen, Matt Wagoner?«
»Nein! Sonst wäre ich nicht hergekommen, um dieses Tal zu kaufen. Sonst wäre ich nicht in Wego McKeenzies Land gekommen, Caroline.«
»Yeah, ich habe gesehen, wie Sie mit Jim Tucker kämpften. Sie haben ihn getötet. Oh, es war wohl Notwehr, und das Recht war auf Ihrer Seite. Aber auch Sie sind wohl nur ein Revolvermann. Oder?«
Matt Wagoner gibt keine Antwort auf diese Fragen. Er lächelt nur bitter und schüttelt leicht den Kopf, als gefiele ihm etwas nicht.
»Ich suche keinen Kampf«, murmelt er. »Ich verteidige nur meine Rechte und lasse mich nicht in den Boden treten. Das ist alles, Caroline. Lieben Sie diesen Jungen?«
Er deutet auf den Betäubten.
Das Mädchen starrt nachdenklich auf Oven Harris nieder.
»Nein – ich habe ihn gern, das ja. Er ist ein guter Junge. Und er war ein unzertrennlicher Freund meines Bruders. Nein, ich liebe ihn nicht. Ich habe ihn nur gern. Er hat vor einigen Wochen eine Erbschaft gemacht. Ja, er wollte dieses Tal kaufen und sich eine Revolvermannschaft anwerben. Er wollte mir zeigen, dass er mehr ist als nur ein Junge. Ich konnte ihn nicht daran hindern. Und nun hat Jim Tucker ihn vor meinen Augen zerbrochen. Das wird er nie überwinden. Ich glaube, er wird durch eine Art Hölle müssen.«
»Genau das«, nickt Matt. Und nach einer kurzen Pause fragt er: »Warum ist Ihr Bruder nicht mitgefahren, Caroline? Sie sprachen doch eben davon, dass Sie einen Bruder haben.«
»Mein Bruder wurde vor einem knappen Jahr erschossen. Seitdem bewirtschafte ich unsere kleine Ranch allein. Ohne Oven Harris' Hilfe hätte ich es nicht geschafft.«
Sie sagt es mit bitterer Härte. Dann treibt sie das Gespann wieder an. Matt Wagoner reitet neben dem Wagen. Es wird Nacht. Die Sterne erscheinen am Himmel.
Nach einigen Meilen erreichen sie auf der Poststraße die Abzweigung eines Weges. Das Mädchen lenkt den Wagen auf diesen Weg. Matt reitet nun hinter dem Wagen. Bald kommen sie durch eine Hügellücke in ein großes Tal.
Im Sternenlicht erkennt Matt die Bergrücken und Hügelkämme in der Runde. Sie alle sind mit Wald bedeckt. Es riecht noch nach warmer Erde, nach Fichten, Gras und Wasser. Es ist ein guter Geruch für einen Mann, der sich eine Ranch aufbauen will. Es ist der gute Geruch einer prächtigen Weide nach einem sonnigen und warmen Tag.
Das Mädchen hält den Wagen an.
»Dies ist Ihr Tal, Matt Wagoner. Dort drüben ist die ehemalige Militärstation. Die wenigen Gebäude sind arg beschädigt, denn seit fünf Jahren sind hier keine Soldaten mehr stationiert. Das Tal diente den Indianern der Reservation nur als Weide. Man siedelt die Indianer jedoch jetzt um, da diese kleine Reservation zu viele Kosten verursachte. Nun, das ist Ihr Tal, Matt Wagoner.«
Sie fährt weiter. Nach etwa vier Meilen tauchen einige niedrige Gebäude in der Nacht auf. Ein Creek plätschert vorbei.
Das Mädchen hält wieder an.
»Sie sind am Ziel, Matt. Viel Glück!«
Sie will davonfahren, aber Matt fragt: »Kommen Sie mit Oven zurecht?«
»Ich fahre den Wagen vor sein Haus«, erwidert sie. »Ich lasse Oven darin liegen und werfe nur eine Decke über ihn. Dann nehme ich mir eines seiner Pferde. Ich komme schon zurecht, Matt.«
Als sie die letzten Worte spricht, wird ihre Stimme irgendwie warm. Dann fährt sie davon.
Der Mann bleibt regungslos im Sattel und lauscht noch lange in die Nacht. Als die Geräusche des Wagen verklingen, da seufzt er leise. Sein Sattel knarrt, als er sich bewegt und das Pferd zu den Gebäuden lenkt. Der Mond kommt über die Berge und wirft bleiches Licht ins Tal.
Matt kann die drei Gebäude nun besser betrachten.
Ja, es war eine kleine Militärstation während der Indianerkämpfe. Diese Station gehörte einst zu der Kette kleiner Stützpunkte, die zwischen Laramie und den Forts am Powder River errichtet wurden. Damals war die Indianergefahr noch sehr groß. Aber jetzt sind die Stämme der Sioux und Cheyennes bis zur Montana-Grenze verdrängt worden. In zwei Jahren wird sich die Kunde verbreiten, dass General Custer mit seinem Regiment von den Sioux oben am Little Bighorn bis auf den letzten Mann vernichtet worden ist.
Aber damit wird dieses Land hier nichts mehr zu tun haben.
Hier gibt es jetzt schon Rinderzüchter, Farmer und Siedler.
Matt reitet um die Gebäude herum.
Das Haupthaus ist aus Steinen errichtet. Es enthält vier Räume und die Fenster sind nur kleine Löcher, die oft als Schießscharten dienten. Dann gibt es ein aus Holz errichtetes und ziemlich lang gestrecktes Stallgebäude, in dem früher die Kavalleriepferde des hier stationierten Kommandos untergebracht waren. Das dritte Gebäude ist ein Mittelding zwischen Vorratsschuppen und Mannschaftsunterkunft. Die Reste einiger Corralzäune sind im Mondlicht zu erkennen.
Das ist alles.
Und alles ist sehr reparaturbedürftig. Die Dächer müssen erneuert werden. Die Türen hängen kaum noch in den Angeln.
Matt Wagoner sitzt langsam ab.
Und er greift schnell nach seinem Colt und schmiegt sich dicht an sein Pferd, als er aus dem Dunkel des Hauses eine Stimme sagen hört: »Ja, wer kommt denn da? Wer ist denn der liebe Besuch?«
Es ist eine lässige und leicht ironische Stimme. Sie ist etwas heiser. Der Sprecher ist bestimmt älter als Matt.
»Komm heraus, mein Freund«, sagt er ruhig.
Ein leises Lachen ist die Antwort. Dann sagt der Mann trocken: »Ich bin schon ziemlich alt geworden – weil ich so vorsichtig wie eine Maus bin. Ich möchte auch gern hundert Jahre alt werden, und das ist sehr schwer in dieser Welt. Wer bist du, Bruder?«
»Seit einigen Stunden gehört mir dieses Tal«, erwidert Matt leicht belustigt. »Und du hast dich in meinem Haus einquartiert, Fremder.«
Nun kommt der Mann aus der Tür. Es ist ein kleiner Mann – aber er ist unwahrscheinlich breit. Er hat krumme Beine. Da er ohne Hut ist, leuchtet seine Glatze mit dem Mond um die Wette.
»Ich bin ein ganz friedlicher Mensch«, sagt er und bleibt drei Schritte vor Matt stehen. »Ich bin nur ein Satteltramp, der hier eine ruhige Nacht verbringen wollte. Wenn ich Sie störe, Mister, so reite ich gern ein Stück weiter. Es macht mir nichts aus. Die Nacht ist so schön. Vor dreißig Jahren habe ich in solch einer Nacht zum ersten Mal ein Mädel geküsst. Nun, ich habe mein Pferd im Wohnzimmer stehen, weil es meinen Schlaf bewachen sollte. Die Welt ist voll von schlechten Brüdern.«
Matt grinst. Seine weißen Zähne leuchten im Schatten der Hutkrempe. Er führt sein Tier bis an die Tür und sattelt ab.
»Bleib hier im Hof, Eva«, sagt er zu seiner Stute. Als er Sattel und Gepäck aufnimmt, geht der Fremde vor ihm ins Haus.
»Ich mache Licht, Mister«, sagt er dabei.
Und richtig, als Matt Wagoner in den ersten Raum tritt, beginnt drüben in der Ecke ein Kerzenstummel zu leuchten.
Aber hinter der Tür, durch die Matt einritt, stand ein zweiter Mann. Und dieser Mann drückt ihm die Mündung eines Gewehrs auf die Niere.
Da Matt Wagoner seine Hände nicht frei hat, sind seine Aussichten denkbar ungünstig.
»Das ist ein schlechter Scherz«, sagt er trocken und starrt den viereckigen Mann an, der die Kerze inzwischen in eine alte Stalllaterne gesteckt hat. Der Mann schließt das Fensterchen der Laterne und hängt sie an einen Haken, der an einem Strick von der Decke herabbaumelt. Nun endlich wendet er sich Matt zu, tritt vor ihn und sieht zu ihm auf.
Er ist mehr als einen Kopf kleiner als Matt, aber bestimmt nicht leichter als dieser. Er wirkt wie ein Klotz. Seine Glatze ist spiegelnd glatt und haarlos. Aber seine Augenbrauen sind buschig, und sein Gesicht ist kühn geschnitten. Er hat trotz seiner Glatze etwas Verwegenes an sich. In seinen Augenwinkeln sind kleine Fältchen, die einen gewissen Humor verraten. Auch sein Lächeln verrät Humor, denn es ist kein böses Lächeln.
Er sagt zu Matt: »Tut mir leid, Mister. Ich hatte ganz vergessen zu sagen, dass ich noch einen Partner bei mir habe. Das Leben ist schwer und voller Enttäuschungen. Wir haben in Laramie unser letztes Geld verspielt und haben unterwegs auch ein Pferd verloren. Mister, wir werden Sie jetzt etwas erleichtern und uns dann auf die Socken machen.«
Nachdem Matt Wagoner dies gehört hat, weiß er, dass er zwei Satteltramps in die Hände gefallen ist, denen das Wasser, wie man so sagt, bis zum Hals steht.
Er wendet langsam den Kopf und blickt auf den Mann hinter sich.
Das ist ein noch sehr junger Bursche, bestimmt noch keine zwanzig Jahre alt, groß, knochig und sehr mager. Der Junge hat trotzige Augen, in deren Hintergrund bei allem Trotz dennoch der Ausdruck von geheimer Angst und Verzweiflung zu erkennen ist.
Matt Wagoner kennt sich plötzlich aus. Er weiß Bescheid, denn früher war er selbst solch ein Junge.
Er wendet den Kopf wieder und sieht den älteren Mann an.
»Wie viel Geld braucht ihr?«
Der Mann kratzt nachdenklich seinen Stoppelbart. Dann blickt er auf Matts Satteltaschen und das übrige Gepäck.
»Wir brauchen alles«, sagt er trocken. »Wir sind ziemlich in Druck, Mister! Lassen Sie die Sachen fallen und heben Sie die Hände.«
Matt gehorcht. Er wirft Sattel, Satteltaschen, Deckenrollen und Wasserflasche nacheinander vor die Füße des Breiten. Dann hebt er die Hände, denn der Druck der Gewehrmündung in seinem Rücken verstärkt sich plötzlich.
Der Breite tritt vor ihn, nimmt ihm den Colt weg und schiebt ihn zu seiner Waffe in den Hosenbund. Dann tritt er wieder zurück und starrt auf die Satteltaschen.
»Ihr habt Glück gehabt«, sagt Matt sanft. »In der braunen Satteltasche sind zehntausend Dollar drin. In der schwarzen ist Proviant.«
Der unwahrscheinlich breite und dünnbeinige Mann zuckt überrascht zusammen. »Zehntausend Dollar?«
»Yeah.«
»He, bist du ein Bankräuber? Wie kann ein Mensch eine solche Menge Geld besitzen und auch noch mit sich herumschleppen?«
Indes Matt diese Worte hört, spürt er, wie der Junge hinter ihm zusammenzuckt und leicht erzittert.
»Zehntausend Dollar!«, krächzt dann auch der Junge. »Sam, wir sind reich! Wir können ...«
Er verstummt, denn ihm wird jetzt wohl auch bewusst, dass er und sein älterer Partner noch eine ganze Menge tun müssen, um in den Besitz des Geldes zu kommen.
»Nur langsam, Chip«, murmelt der Breite und bückt sich langsam nach der braunen Satteltasche. Er hebt sie auf, öffnet sie und greift hinein.
Er holt ein Ledersäckchen heraus, in dem Goldstücke klingeln. Und dann hält er einige Geldscheinbündel ins Licht.
Matt Wagoner spürt den heißen Atem des Jungen am Ohr. Er weiß, dass der Junge nun mit aufgerissenen Augen auf das Geld starrt.
Und da handelt er.
Er macht eine blitzschnelle Körperdrehung, sodass der Gewehrlauf an seiner Hüfte vorbei ins Leere stößt. Seine erhobenen Hände greifen weit zurück, bekommen den Kopf des Jungen zu fassen – und dann zieht er den Burschen mit jähem Einsatz seiner Kräfte über die Schulter.
Er wuchtet ihn auf den breiten Mann, der nicht schnell genug zur Seite gleiten kann.
Und dann macht er es hart.
Der Junge rollt kreischend von seinem Partner weg, und als dieser sich aufstemmt und hochschnellt, trifft ihn Matt auf den Halsknoten.
Das ist ein fürchterlicher Schlag. Aber der Mann wirft sich knurrend mit ausgebreiteten Armen gegen ihn.
Es ist sein Pech. Er wirft sich in einen Aufwärtshaken hinein, der ihn wieder gerade auf die Beine stellt und ihm fast den Kopf von den Schultern reißt. Und als er auf den Absätzen einige Schritte rückwärts schwankt, springt Matt Wagoner ihm nach und jagt ihm die gestreckte Rechte über der Gürtelschnalle in den Leib.
Das ist genug.
Matt wirbelt herum und sieht den Jungen, der sich zu dem entfallenen Gewehr gerollt hat und die Waffe gerade auf Matt richten will.
Matt hechtet quer durch den Raum. Seine ausgestreckten Hände bekommen das lange und wirre Haar des Burschen zu fassen. Er reißt den Kopf heftig herunter, löst eine Hand aus dem Haar und schlägt zu. Er trifft von jeder Seite her Ohr und Kinn des Jungen. Dann springt er auf, zerrt den Jungen auf die Beine und verprügelt ihn tüchtig. Als er endlich loslässt, fällt der Junge auf Hände und Knie und bleibt schluchzend am Boden hocken.
Matt geht zu dem alten Mann. Der liegt mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. Matt nimmt seinen Colt an sich. Er untersucht die Waffe des Bewusstlosen und stellt überrascht fest, dass sie nur mit leeren Hülsen geladen ist.
Da geht er zu dem Gewehr, hebt es auf und öffnet die Kammer.
Es ist ungeladen.
Die beiden Männer hatten also nicht einmal Patronen.
Matt schüttelt grimmig den Kopf. Er tritt in die Tür, die zu den Nebenräumen führt. In diesem Raum findet er ein jämmerliches Pferd. Es ist ein altes, narbiges Tier, das nur aus Fell und Knochen besteht. Es hat ein Bündel Gras und einen halb leeren Wassereimer neben sich stehen und starrt ihn vorwurfsvoll an.
Matt untersucht die anderen Räume. Er verbraucht einige Zündhölzer. Aber er findet nichts anderes mehr. Als er zu den beiden Männern zurückkommt, hat sich der Breite inzwischen aufgesetzt. Er keucht noch schwer nach Luft und massiert seinen Hals und den Bauch.
Nach einer Weile sieht er Matt an und sagt trocken: »Das war saubere Arbeit, Mister. Ich werde alt – und Chip ist noch zu jung. Well, wir haben verloren.«
Matt nickt. Er sieht sich nach dem Jungen um. Der hat sich inzwischen erhoben und lehnt erschöpft an der Wand. Sein Gesicht schwillt zusehends an.
Matt sagt: »Geh hinaus und hole Brennholz. Wir wollen uns jetzt ein Abendbrot machen.«
Der Junge starrt ihn staunend an, öffnet den Mund – schließt ihn jedoch wieder und taumelt hinaus.
Indes steckt der Breite seinen kleinen Finger ins Ohr und schüttelt heftig die Hand. Als er den Finger herauszieht, knallt es hörbar.
Der Mann richtet den Blick auf Matt und fragt schnaufend: »Habe ich eben richtig gehört, Mister? Sie sagten eben, dass wir uns ein Abendbrot machen?«
»Ihr Narren«, sagt Matt grinsend und leckt dann kurz an seinen zerschlagenen Handknöcheln. »Ihr Narren«, wiederholt er. »Ich habe schon erkannt, wie abgerissen ihr seid. Und wie lange habt ihr schon nichts gegessen?«
»Drei Tage«, seufzt der Mann bitter. »Wir mussten Laramie ziemlich plötzlich verlassen. Der Junge heißt Chip Dunn. Ich sah ihn in Laramie zum ersten Mal. Wir gehörten zu einer Pokerrunde. Der Junge verlor ständig. Er war mit seinem Jahreslohn nach Laramie gekommen und hielt sich für einen tüchtigen Pokerspieler. Das war er wohl auch, denn er erwischte den Bankhalter bei einem Trick. Der Hundefloh tauschte unter dem Tisch mit dem Kartengeber Karten aus. Der Junge schoss einen Burschen nieder. Und da ich das Baby nicht im Stich lassen wollte, hob ich den ganzen Tisch hoch und warf ihn auf den anderen Kerl. Dann mussten wir flüchten, denn die Freunde des Kartenkünstlers jagten uns wie Hasen – fünfzig lange Meilen weit. Wir konnten ihnen dann zu Fuß in der Nacht entkommen, denn sie hatten uns eingekreist. Wir kletterten in die Berge. Da die Bande zu faul war, uns im Klettern zu schlagen, gaben sie die Jagd auf. Wir fanden dann irgendwo in einem Tal dieses arme Pferd nebenan. Gewiss hat es jemand davongejagt. Wir konnten sogar abwechselnd manchmal ein Stück auf diesem Tier reiten. Aber das war auf dem nackten Pferderücken auch kein Vergnügen. Wir kamen auch an einigen Siedlerstätten vorbei, aber die Menschen waren alle ziemlich ärgerlich und ungastlich. Nur einmal bekamen wir durch ein Fenster ein Stück Brot gereicht. Nun, wir sehen ja auch ziemlich übel aus. Kurz vor der Dunkelheit kamen wir dann an diesen Ort hier. Als wir Sie kommen hörten, Mister, waren wir zu allem entschlossen. Das ist alles.«
Er erhebt sich langsam. Er massiert immer noch seinen Hals und betastet seinen Leib.
»Sie haben einen fürchterlichen Schlag, Mister«, sagt er. »Mein Name ist Sam Logan. Was haben Sie mit uns vor? Bringen Sie uns zu einem Sheriff? Hier in der Nähe soll es ja die Stadt Rimson geben, nicht wahr?«
Matt Wagoner gibt keine Antwort. Er kniet bei seinem Gepäck am Boden und packt Proviant und Geschirr aus – eine Bratpfanne und eine Kaffeekanne.
Jetzt hält er inne und sieht den breiten Mann noch einmal an.
Ja, dieser Hombre ist abgerissen und halb verhungert. Aber er hat Cowboystiefel an den Füßen, und seine Handrücken weisen jene Narben auf, die nur von einem Lasso erzeugt werden.
Lassonarben und Cowboystiefel, abgewetzte Hosen, über denen vor kurzer Zeit noch Lederchaps getragen wurden. Man sieht es an den abgeschabten Stellen.
Matt hat noch nie einen so breitschultrigen Cowboy gesehen. Wenn dieser Klotz nicht so entkräftet wäre, hätte er ihn nicht so leicht von den Beinen schlagen können.
»Wo kommen Sie her, Cowboy?«, fragt Matt interessiert.
»Ich gehörte zu einer Treibherdenmannschaft. Als wir unsere Treibherde in Laramie verkauft hatten, waren wir alle arbeitslos, denn wir waren nur für dieses Treiben angeworben«, murmelt Sam Logan.
Der Junge kommt mit einem Arm voll Brennholz herein. Er wirft einen gehetzten Blick auf Matt Wagoner. Dann geht er zu dem gemauerten Herd, kniet davor nieder und beginnt, Feuer zu machen.
Matt deutet auf die Kaffeekanne und sieht Sam Logan an.
»Wir brauchen Wasser.«
Der Mann gehorcht wortlos. Als er verschwunden ist, wendet sich der Junge um.
»Sie haben mich schlimm verprügelt«, sagt er heiser. »Verdammt, ich bin in meinem Leben noch nie von einem Mann so verprügelt worden!«
Matt sieht ihn fest und zwingend an. Dann nickt er.
»Sicher, Chip – es war deine erste Tracht Prügel. Und du hast dich sicherlich schon für einen mächtig großen und harten Burschen gehalten. Ich sehe dich heute zum ersten Mal – aber ich kenne dich sehr gut, weil ich hundert andere Burschen von deiner Sorte schon kennenlernte. Du bist noch keine zwanzig Jahre – und seit sechs oder acht Jahren musst du schon selbst für dich sorgen, nicht wahr?«
»Ich bin achtzehn Jahre, und als ich zwölf Jahre alt war, lief ich meinem Vater davon. Er war der größte Trunkenbold einer kleinen Stadt. Und ich musste für ihn stehlen und betteln. Jawohl, ich lief davon. Ich dachte immer, dass es in dieser Welt Menschen gibt, die einem Jungen eine faire Chance geben. Aber ich kam überall vom Regen in die Traufe. Ich hasse die ganze Welt, Mister. Und Sie haben mich verprügelt.«
Matt Wagoner nickt wieder bedächtig. Sein scharfes Gesicht bleibt unbewegt, doch in seinen grauen Augen blitzt es einmal seltsam auf. Aber dann sind seine Gefühle wieder tief verborgen.
Er sagt: »Ich kenne deinen Weg, Chip! Diesen Weg kenne ich, denn ich ging ihn einmal selbst. Du kamst von einer schlechten Gesellschaft zur anderen. Du hast auf deinem Weg gestohlen, betrogen, gebettelt und oft gehungert. Du warst ein kleiner, streunender Wolf. Du bist mit Buschräubern, Viehdieben und Maverickjägern geritten – mit Revolvermännern und Gaunern. Ich kenne deinen Weg, Junge. Ich war wie du.«
»Aber dann gab Ihnen jemand eine Chance«, sagt der Junge heiser, und in seinen unruhigen Augen flackert es seltsam.
»Nein«, sagt Matt Wagoner hart, »es gab mir niemand eine Chance. Ich musste aus eigener Kraft den Weg zurück finden. Aber inzwischen war ich ein Revolvermann geworden. Dieser Weg war noch schlimmer. Nun, Chip, es kommt auf dich selbst an. Wahrscheinlich wirst du eines Tages schnell zur Hölle fahren. Nur wenige Jungen kämpfen sich auf den Weg zurück und werden Männer – und lassen sich nicht mehr von den Dingen einfach treiben, sondern bringen ihren Weg unter Kontrolle. Vielleicht lernst du es eines Tages noch, Junge.«
Chip Dunn schüttelt den Kopf.
»Man wird schon als schwarzer Bock geboren«, murmelt er. »Man trägt schon als Säugling das Zeichen. Und bald gehört man zu den Verlorenen. Und weil man gehasst wird, hasst man ebenfalls. Dann macht es sogar Freude, richtig schlecht zu sein. Mister, was haben Sie mit uns vor? Wir wollten Sie ausrauben. Werden Sie uns einem Sheriff übergeben? Hier in der Nähe soll es doch ...«
»... eine Stadt geben«, unterbricht ihn Matt und vollendet Chips begonnenen Satz. »Hier ist Speck, Junge. Schneide ihn in dünne Scheiben und brate ihn in der Pfanne.«
Der Junge gehorcht. Sam Logan kommt mit dem Wasser zurück. Er hat sich lange Zeit gelassen. Matt Wagoner weiß, dass der Mann draußen mit sich kämpfte.
Er lächelt Sam Logan seltsam an.
»Sie sind klug, Cowboy«, sagt er. »Meine Stute hätte Sie bis zum Mond gefeuert. Sie duldet keinen fremden Reiter, schon gar nicht, wenn sie ungesattelt ist.«
»Ich dachte es mir«, murmelt Sam Logan. »Und ich will das Baby nicht allein lassen.«
Der Junge fährt am Herd herum.
»Kümmere dich nur nicht um mich! Ich war immer allein!«
»Aber auch du hast es nicht mit dem Pferd da draußen versucht«, grinst Sam Logan.
Er sieht auf Matt Wagoner nieder, der am Boden kniet und Vorbereitungen trifft, einen Pfannkuchenteig zuzubereiten.
»Lassen Sie mich das machen, Mister«, sagt Sam Logan sofort. »Vor zwanzig Jahren war ich ein berühmter Koch.«
Matt erhebt sich sofort und überlässt ihm die Arbeit. Er setzt sich auf die Türschwelle und starrt zu den Sternen hinauf. Drüben bewegt sich sein Pferd bei dem Tränktrog am Brunnen.
Er pfeift es herbei und sagt wie zu einem Menschen: »Geh auf die Weide, Eva! Such dir Futter! Aber komm bald zurück!«
Das Pferd schnaubt, streckt seinen Kopf aus und bläst dem Mann warmen Atem ins Gesicht. Dann trottet es davon.
Hinter Matt ist es still im Raum. Er wendet den Kopf und erkennt, dass die beiden Satteltramps erstarrt sind vor Verwunderung.
»He«, sagt Sam Logan, »vielleicht ist das gar kein Pferd, sondern ein Mensch in Pferdegestalt?«
»Vielleicht!« Matt grinst dabei. Dann blickt er wieder in die Nacht hinaus zu den Sternen empor.
Er spürt eine gewisse Unruhe in sich. Zweifel nagen in ihm. Er denkt daran, dass er sich jetzt hier in diesem Tal festgesetzt hat und bald kämpfen muss. Dieser Kampf wird unvermeidlich sein. Er hat Wego McKeenzie noch nie im Leben gesehen. Aber er hat schon von ihm gehört. Und er kannte Jim Tucker gut genug. Ein Mann, der sich Schießer wie Jim Tucker als Handlanger hält und sich ihrer rücksichtslos bedient, solch ein Mann ist gefährlich, kennt keinerlei Grenzen und lässt sich durch nichts aufhalten.
Aber dieses Tal ist vielleicht in zwei Jahren schon hunderttausend Dollar wert. Matt Wagoner hat es unwahrscheinlich billig erwerben können – billig, was den Geldpreis betrifft.
Wie teuer aber wird der andere Preis sein, den er dafür zu zahlen hat?
Seine Rechte berührt vorsichtig den abgegriffenen Coltkolben. Sofort verspürt er das Gefühl bitteren Widerwillens in sich. Er muss daran denken, dass er vor wenigen Stunden einen Mann getötet hat. Es geschah zwar in Notwehr, und Jim Tucker war ein steckbrieflich gesuchter Mörder – aber dennoch, in Matt Wagoner ist eine bestimmte Bitterkeit, und er spürt sie immer nach einem Revolverkampf.
Er möchte ein anderes Leben führen können. Und deshalb will er sich hier ein kleines, eigenes Reich schaffen. Dies hier soll sein letzter Kampf sein. Und diesmal kämpft er nicht für andere Leute, sondern für sich.
Das ist es!
Dies hier ist sein eigener Kampf. Hier handelt es sich nicht um eine wilde Stadt, die er als Marshal bändigen muss. Hier handelt es sich auch nicht um eine Treibherde, die er als Herdenboss für einen Rinderkönig ans Ziel bringen soll. Dies hier ist auch kein Wagenzug auf dem Santa-Fe-Trail, den er führt.
Nein, zum ersten Mal kämpft er hier nicht für die Interessen irgendwelcher Auftraggeber.
Dies hier ist sein eigener Kampf. Und wenn er ihn gewinnen kann, wird er für die ganze Zukunft friedlich in diesem Tal leben.
Es soll keine Fehden, wilde Städte, Treibherden, Wagenzüge und heiße Fährten mehr geben. Er will ein Haus, Rinderherden und Pferde – und vielleicht auch eine Frau – und Kinder. Das ist sein Wunsch.
Er denkt auch an Caroline Kelland, und er stellt sie sich als seine Frau vor. Er denkt darüber nach, wie ein Leben mit ihr wohl sein könnte. Plötzlich lächelt er skeptisch und schüttelt unwillkürlich den Kopf.
Hinter ihm sagt Sam Logans heisere Stimme frohlockend: »Das Mahl ist angerichtet! Darf ich die Lordschaften und Exzellenzen zur Tafel bitten?«
Matt erhebt sich und geht hinein. Er setzt sich auf seinen Sattel und bekommt gebratenen Speck und Pfannkuchen auf seinen Blechteller, dazu starken Kaffee.
Sam Logan isst aus der Pfanne, und Chip Dunn benutzt die kleine Schüssel als Essnapf.
Der Junge isst gierig, und der hungrige Glanz in seinen Augen ist auch dann noch vorhanden, als seine Portion verschwunden ist.
Sam Logan isst bedächtig. Aber auch er seufzt schließlich und sagt: »Als Vorspeise war das gerade richtig. Ich wünsche mir jetzt einen gebratenen Ochsen.«
Matt zuckt bedauernd mit den Schultern.
»Tut mir leid – es war mein letzter Proviant.« Er holt seinen Tabakbeutel hervor, dreht sich eine Zigarette und reicht den Beutel dann weiter.
Als sie alle drei rauchen, starren die beiden Tramps auf Matt. Sie haben schon längst erkannt und begriffen, dass sie an einen besonderen Mann geraten sind. Sie haben ihn jetzt richtig abgeschätzt.
»Jetzt, wo das Hungergefühl etwas erträglicher geworden ist«, murmelt Sam Logan, »erkenne ich erst richtig, welch komplette Narren wir waren. Nun gut, Mister – wie geht es nun weiter?«
Matt Wagoner zieht seine Satteltasche zu sich. Er greift hinein, öffnet einen der kleinen Lederbeutel und nimmt eine Handvoll Zwanzigdollarstücke heraus. Er zählt zehn Stück ab und wirft dann je fünf vor den beiden Tramps auf den Boden.
»Für jeden hundert Dollar«, sagt er knapp. »Ein Pferd mit einem gebrauchten Sattel bekommt ihr sicherlich in Rimson schon für vierzig Dollar. Dann hat jeder von euch noch sechzig Dollar und kann sich ausrüsten. Ihr könnt gehen.«
Die beiden Tramps starren ihn an. Der Junge hat einen ungläubigen Ausdruck in seine misstrauischen Augen bekommen.
Sam Logan hebt wie segnend die Hände. »He, wir haben Sie überfallen. Wir wollten Sie ausplündern! Und jetzt beschenken Sie uns und lassen uns laufen?«
»Ich habe euch verprügelt. Das genügt mir. Es gibt noch keinen Sheriff in Rimson. Ihr würdet auch nicht besser werden, wenn ich euch zu einem Sheriff brächte. Verschwindet nur. Hundert Dollar sind für jeden von euch eine kleine Chance. Alles liegt jetzt bei euch. Geht nur! Das alte Pferd könnt ihr hier lassen. Es ist hier besser aufgehoben. In der Stadt würde es der Abdecker des Fells wegen töten.«
Die beiden Tramps erheben sich. Sie haben das Geld genommen. Und sie staunen immer noch.
Dann nehmen sie ihre kümmerlichen Bündel und die leeren Waffen.
Der Junge verschwindet wortlos in der Nacht.
Der massige Cowboy aber dreht sich in der offenen Tür noch einmal um.
»Danke«, sagt er heiser.
Dann folgt er dem Jungen.
Matt Wagoner aber bereitet sich sein Lager. Das Feuer im Herd erlischt. Eva, die Grulla-Stute, kommt an die Tür, schiebt ihren Kopf herein und schnaubt leise.
Das alte Pferd im Nebenzimmer erwidert dieses Schnauben.
Matt Wagoner schläft ein.
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Matt Wagoner verlässt den Creek und reitet nach Nordwesten. Bald stößt er auf einen Weg. Er folgt ihm, kommt zu einer Hügelbarriere, durchreitet sie und steht bald am Rand einer weiten Senke.
Unter ihm liegt die Stadt Rimson. Hinter der Stadt, genau im Westen, erhebt sich ein gewaltiger Bergrücken.
Matt reitet hinunter. Es ist schon fast Mittag, als er in die kleine Stadt einreitet.
Er hält vor der Bank an, geht hinein und sitzt wenige Minuten später vor dem Bankier. Er ist ein mittelgroßer, hagerer Mann mit einem Prinz-Albert-Rock und langen Bartkoteletten. Sein Blick ist klug und abwägend.
»Ich habe bei der Versteigerung das Clear-Water-Valley erworben«, sagt Matt lässig. »Ich werde eine Ranch aufbauen und Rinder züchten. Vorerst möchte ich bei Ihnen ein Konto eröffnen. Mein Name ist Matt Wagoner.«
Milton Baker, so heißt der Bankier, nickt langsam.
»Wir haben hier in der Stadt schon von Jim Tuckers Tod gehört«, sagt er. »Sie werden einige Schwierigkeiten haben, Mister Wagoner. Es ist gut, dass Sie über einige Barmittel verfügen. Denn vorläufig würde Ihnen hier niemand Kredit geben – obwohl die ganze Stadt sehr daran interessiert ist, dass ihr Landkreis dichter besiedelt wird.«
»Ich weiß schon Bescheid.«
Wenige Minuten später verlässt er mit einem Scheckbuch in der Tasche die Bank.
Er reitet vor den großen General Store, sitzt ab und entdeckt an der Hausecke drei kleine Buben, die ihn unverwandt anstarren.
Er lächelt und ruft: »He, Cowboys, wer holt meinem Pferd einen Hut voll Hafer?«
»Ich!«, rufen alle drei im Chor, und sie reißen sich die Hüte von den Köpfen und kommen herbei.
Matt grinst. Er wirft in jeden Hut einen Dollar.
»Aber nähert euch meinem Pferd nur von vorn. Es hat schon zwei Pumas und einige Wölfe getötet.«
Die drei Buben laufen eilig davon. Sie wirbeln den Staub der Fahrbahn auf und verschwinden im Hof der Futtermittelhandlung.
Matt betritt den Store.
Ein älteres Ehepaar steht hinter dem Ladentisch. Matt stellt sich vor und verlangt ein Blatt Papier und einen Bleistift. Dann beginnt er zu schreiben.