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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2542 bis 2544:
2542: Mescalero-Fährte
2543: Quinncannon
2544: Der Sergeant
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 462
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2021 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Faba/Norma
ISBN: 978-3-7517-6437-7
https://www.bastei.de
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https://www.luebbe.de
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2542
Johnny Mahouns Wandlung
G. F. Unger Western-Bestseller 2543
Texas-Richter
G. F. Unger Western-Bestseller 2544
Paradise City
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Contents
Johnny Mahouns Wandlung
Johnny Mahoun ist dabei, mit lässiger Fertigkeit die Karten neu zu mischen. Die Spieler an seinem Tisch verfolgen aufmerksam jede seiner Finger- und Handbewegungen.
Denn sein Glück in der letzten Stunde war zu unwahrscheinlich, so denken sie jedenfalls, und sie sind hartgesottene und erfahrene Pokerspieler.
Aber Johnny Mahoun kommt nicht mehr zum Kartenausteilen.
Der Mexikanerbursche aus Daisy Mullens Angels' House taucht plötzlich neben ihm auf, noch etwas atemlos vom raschen Laufen.
»Señor, Sie werden mir gewiss die Störung verzeihen«, sagte der Junge, »wenn ich Ihnen sage, dass die Patrona mich schickt und es wirklich eilig ist.«
Johnny Mahoun blickt zur Seite.
Er kennt den Jungen und natürlich auch seine Chefin, die Patrona des Angels' House zu Silver City ...
»Was sollst du mir sagen, Chico?« So fragt er sanft und freundlich, wie es seine Art ist. Johnny Mahoun ist ein großer, hagerer, indianerhafter Bursche – aber nicht wie ein Apache indianerhaft. Denn Apachen sind untersetzt, gedrungen. Nein, dieser Johnny Mahoun gleicht einem zu groß geratenen Comanchen. Nur seine hellen Augen lassen gleich auf den ersten Blick erkennen, dass er bestimmt kein Indianer ist.
»Señor, die Bohunkey-Brüder ...«, beginnt der Junge, schluckt etwas aufgeregt und fügt schlicht hinzu: »Sie sind keine Caballeros. Sie haben alle anderen Gäste aus dem Angels' House gejagt und benehmen sich unanständig. Nicht mal vor der Patrona haben sie Respekt.«
Besonders die letzten Worte spricht der Junge mit einem Klang in der Stimme, als wäre für ihn die ganze Welt in Unordnung geraten und hätte er jeden Glauben an die Richtigkeit der Dinge verloren.
Einer der Mitspieler sagt mit einem Klang von Ungeduld und fast schon Drohung in der Stimme: »He, Mahoun, Sie werden doch nicht aufhören, nachdem Sie die letzten Spiele gewannen?«
Aber Johnny Mahoun wirft die gemischten Karten auf den Tisch.
»Vielleicht hätte ich auch diese Runde wieder gewonnen«, sagt er lächelnd, sodass unter seinem sichelförmigen Schnurrbart seine starken, weißen Zähne scharf blinken. »Vielleicht bewahrt das Kommen dieses Jungen die Gentlemen vor weiteren Verlusten. Sie müssen mich jedenfalls für ein Weilchen entschuldigen. Daisy Mullen ist eine alte Freundin von mir. Wenn sie mich um Hilfe bittet, hat sie ganz gewiss einen triftigen Grund. Aber wenn die Gentlemen warten wollen, dann komme ich zurück, sobald die Sache im Angels' House geklärt ist.« Er erhebt sich.
Und noch bevor er geht, sagt ein anderer der Pokerspieler warnend: »He, Mahoun, wir wissen ja alle, dass Sie ein harter Bursche sind – aber die drei Bohunkey-Brüder sind Ihnen zu dritt jedenfalls über. Wenn Sie sich mit denen reiben, werden Sie gewiss eine lange Zeit nicht mehr Poker spielen, wenn überhaupt jemals wieder. Gehen Sie lieber nicht ins Angels' House. Immerhin hat die Stadt einen Marshal, nicht wahr, Mahoun?«
Aber der erwidert nichts mehr, sondern verlässt den Silverlode Saloon, und der Mexikanerjunge läuft ihm voraus, um seiner Patrona zu melden, dass Johnny Mahoun kommt.
Als Johnny Mahoun aus dem Silverlode Saloon ins Freie tritt, hält er einen Moment inne. Er hat seine Jacke aufgeschlagen und seine Daumen in die Ärmellöcher seiner Weste gehängt. Es ist eine wunderbare Brokatweste, unter der er ein gefaltetes Rüschenhemd trägt. Sein dunkler Anzug ist gute Schneiderarbeit, und die Stiefel hat er sich einst in Alabama machen lassen.
Nur der große Colt an seiner linken Seite passt nicht so recht zu seiner eleganten Erscheinung.
In Silver City brennen schon die Lampen und Laternen. Aus fast allen Häusern fällt das Licht in Bahnen quer über die Gehsteige und die Fahrbahn. Diese Lichtbarrieren wirken wie Schranken aus wirbelndem Goldstaub.
Reiter und Fahrzeuge durchqueren diese Barrieren. Und Fußgänger schieben sich da und dort, denn alle Geschäfte und Lokale sind noch geöffnet und werden es bleiben bis lange nach Mitternacht.
Noch ist Silver City klein und kaum mehr als ein Camp. Doch in der Umgebung wird immer mehr Silber gefunden. Und jeden Tag kommen neue Glücksjäger herbei. Sie rüsten sich aus und verschwinden in den Hügeln, suchen dort nach neuen Adern. Und jene, welche »abgebrannt« hier ankommen, sodass ihnen das Geld fehlt, um sich ausrüsten zu können mit Werkzeugen und Proviant, die verdingen sich erst einmal in den Minen als Arbeiter, um etwas ansparen zu können.
Johnny Mahoun weiß, dass die Stadt bald ein Babylon werden – oder aber auch schnell sterben wird. Es wird auf die Größe der Funde ankommen.
Er setzt sich in Bewegung. Und er denkt an Daisy Mullen, welche hier das Angels' House eröffnete. Ja, er kennt sie aus früheren Zeiten, und er ist ihr tatsächlich etwas schuldig.
Das Angels' House liegt etwas außerhalb von Silver City. Doch wenn die Funde anhalten und die Stadt sich weiter entlang des Silver Creeks ausdehnen sollte, wird es bald einer der Mittelpunkte sein.
Vor dem zweistöckigen Haus stehen einige Wagen. Da und dort sind Sattelpferde angebunden an den Haltebalken bei den Wassertrögen.
Eine Männergruppe hockt beim Brunnen. Einige der Gestalten versuchen mithilfe des kühlen Wassers nüchtern zu werden, andere kühlen mit nassen Halstüchern irgendwelche Beulen und Blessuren, wie man sie sich bei einer handfesten Prügelei leicht holt.
Als Johnny Mahoun auftaucht und zum Eingang will, sagt einer der missgelaunten Männer heiser: »He, sind Sie dieser Johnny Mahoun?«
Dieser hält inne. »Und wenn?« So fragt er freundlich.
Sie alle wenden sich ihm nun zu. Selbst jene, denen es offensichtlich nicht gut geht, weil sie zu schlimm verprügelt wurden oder zu sehr betrunken sind, betrachten ihn aufmerksam.
»Daisy Mullen versprach uns, dass wir bald wieder reinkommen könnten, wenn Sie erst da wären und die Sache in die Hand genommen hätten. Aber wie sollen Sie erreichen, was nicht mal wir alle zusammen schafften? Da drinnen sind die drei Bohunkey-Brüder. Und die wollen den ganzen Laden für sich allein haben. Die hauen alles wieder durch die Tür, was auch hereinkommen möge. Ich glaube, Daisy Mullen versprach uns zu viel. Seht, Freunde, dieser Johnny Mahoun sieht auch nicht anders aus als wir.«
»Natürlich nicht.« Johnny Mahoun grinst und setzt sich wieder in Bewegung. Als er an die Tür klopfen will – was man mit einem Messingklopfer besorgen kann, welcher einem Pferdehuf gleicht –, wird die Tür auch schon geöffnet.
Mac Bohunkey wird sichtbar. Er ist rothaarig und nur deshalb als Macholm Bohunkey erkennbar. Er lacht und macht eine einladende Bewegung.
»Wir wissen schon, dass Daisy nach dir schickte, Mahoun. Wenn du gerne rückwärts Purzelbäume bis in den Silverlode Saloon schlagen möchtest, dann versuch nur, durch diese Tür zu kommen. Na komm!«
Johnny Mahoun erwidert nichts, doch er tritt vorsichtig näher.
Er versucht an Mac Bohunkey vorbei ins Haus zu blicken.
Doch er kann nicht viel sehen. Dafür hört er das Kreischen der Mädchen und Daisy Mullens keifende Stimme, die böse ruft: »Ihr Barbaren! Ihr verdammten Schufte! Dass es auf dieser Welt so etwas gibt wie euch, kann doch nur ein Irrtum des Schöpfers sein. Ich ...«
Johnny Mahoun kann nicht mehr hören, denn das wilde Lachen zweier Männer übertönt ihre Worte. Und auch Mac Bohunkey an der Tür lacht dröhnend, so, als wäre sein Oberkörper ein hohles Fass.
Er ist nur wenig mehr als mittelgroß, dieser Mac Bohunkey, doch unwahrscheinlich breit und starkknochig. Er steht fest mit seinen mehr als zweihundert Pfund auf leicht gekrümmten Beinen.
»Na komm schon, Langer«, sagt er zu Johnny Mahoun. »Oder schleich dich wieder dorthin, von wo du gekommen bist. Na?«
Da springt Johnny Mahoun auf ihn zu und trifft ihn wahrhaftig mit einer Geraden am Kinn. Doch Mac Bohunkey zeigt keinerlei Wirkung. Er brüllt auf und stürmt vorwärts.
Es ist der wilde Ansturm eines zweibeinigen Toros. Dabei schlägt er immer wieder nach Johnny Mahoun, versucht ihn mit einem einzigen Schlag von den Beinen zu bekommen. Aber er schafft es nicht. Johnny Mahoun ist unwahrscheinlich leichtfüßig, obwohl auch er ein Schwergewicht von wenigstens hundertachtzig Pfund ist.
Und dann geschieht etwas, womit keiner rechnete.
Johnny Mahoun springt plötzlich an Mac Bohunkey heran, taucht unter dessen gewaltigen Schwingern durch, packt ihn an der Lederjacke vor der Brust und wirft sich nach hinten. Er bekommt seine angewinkelten Füße unter den Leib des Gegners und indes er selbst auf dem Rücken landet, stößt er den brüllenden Mac Bohunkey über sich hinweg.
Der brüllende Mann landet auf dem Brunnen, fällt schon fast hinein, kann sich jedoch auf dem Brunnenrand halten.
Aber bevor er sich auf festen Boden wälzen kann, ist Johnny Mahoun auf den Beinen und schlägt ihm von oben mit einem sogenannten Holzfällerschlag die verschränkten Fäuste auf die Magenpartie.
Und da fällt er in die Tiefe, klatscht unten ins Wasser und beginnt dann in der Tiefe schaurig zu brüllen.
Johnny Mahoun wendet sich schnaufend an die Zuschauer.
»Holt ihn nur nicht heraus«, sagt er.
Sie staunen noch und sie begreifen, dass Mahoun den Gegner absichtlich zum Brunnen lockte, um ihn dort hineinwerfen zu können. Ja, sie staunen fassungslos.
Dann sagt einer: »Den Teufel werden wir tun! Der soll dort im Wasser stehen, bis er einschrumpft und verfault. He, wollen Sie das mit den beiden anderen auch so machen?«
»Mal sehen«, erwidert Johnny Mahoun und setzt sich in Bewegung. Er geht genau auf den Eingang zu, und als er ihn erreicht, ist niemand mehr da, der ihn am Eintreten hindern könnte. Die beiden anderen Bohunkey-Brüder verlassen sich sehr auf ihren Mac.
Im Empfangsraum ist niemand, doch die Tür zum Saloon ist offen. Er kann bald sehen, was dort drinnen vor sich geht.
Bac Bohunkey – er ist braunhaarig und daran als Bacchus Bohunkey von seinen Brüdern zu unterscheiden, denn Mac ist rothaarig und Race schwarz gelockt –, dieser Bacchus Bohunkey steht also hinter der Bar und schenkt immer wieder die Gläser voll.
An der Bar stehen Daisy Mullen und ihre zwölf Mädchen.
Und hinter ihnen steht Race Bohunkey. Er lacht und ruft wieder einmal: »Nun, dann sauft mal schön, ihr Honeys! Sauft! Ihr dürft erst aufhören, wenn ihr so richtig lustig seid! Denn heute geht's andersrum! Heute machen wir euch betrunken und nicht ihr uns. Heute wissen wir, was gemacht wird, und nicht ihr! Aaah, ihr Goldelstern, wir möchten heute mal die Übersicht behalten, und ihr sollt sie verlieren. Das wird ein Spaß! Los, macht die Tassen leer!«
Nun begreift Johnny, was die drei Bohunkey-Brüder im Sinn haben. Wahrscheinlich wurden sie bei ihrem letzten Besuch hier zu schnell betrunken gemacht und dann ausgenommen. Und jetzt kamen sie wieder aus den Silberhügeln ins Camp und machen sich einen Spaß.
Daisy Mullen – obwohl sicherlich schon ziemlich trunken – entdeckt den Ankömmling zuerst im Spiegel hinter der Bar. Und sie wendet sich mit dem halb vollen Glas in der Hand zu Race Bohunkey und gießt ihm den Inhalt ins Gesicht.
Race flucht böse, wischt sich mit dem Ärmel das Gesicht ab und holt dann mit der Hand aus. Aber sein Bruder Bac sagt hinter der Theke: »Warte, Race, da ist einer gekommen, den Mac gewiss nicht freiwillig reingelassen hat. He, wo ist Mac? Und wer bist du?«
Die beiden Fragen sind an Johnny Mahoun gerichtet.
»Mac steht im Brunnen und brüllt«, erwidert Johnny Mahoun. »Und ich bin Johnny Mahoun, Freunde.«
»Und du bist auf der Seite dieser Bienen? Bist du ihr Zuhälter?« Bac Bohunkey fragt es verächtlich.
Aber Johnny Mahoun grinst nur und ist gar nicht beleidigt wegen der letzten Frage. »Ach«, sagt er, »die gute Daisy Mullen ist eine Freundin von mir aus alten Zeiten. Wollt ihr jetzt aufhören mit eurem Spaß und lieber wieder in den Silberhügeln heulen? Oder möchtet ihr auch in den Brunnen?«
Sie staunen. Dann kommt Bac hinter der langen Theke hervor.
Aber Race hebt die Hand. »Halt, Bac, den nehme ich mir zur Brust!«
»Pass nur auf, Race«, warnt Bac. »Denn unser Mac ist gewiss nicht freiwillig in den Brunnen gehüpft. Dieser Hombre hat irgendeinen gemeinen Trick im Ärmel. Pass gut auf, Race.«
»Das werde ich«, grollt dieser und beginnt Johnny Mahoun zu umkreisen.
Als er plötzlich wie ein Stier angreift, weicht Johnny Mahoun wie ein Torero aus, stellt ihm aber rasch noch ein Bein.
Race fällt brüllend, rollt unter den Tisch, reißt diesen um und verliert wertvolle Zeit, bis er aufschnellen kann. Er bekommt einen großen Messingspucknapf mit gewaltiger Wucht über den Kopf gestülpt, in dem er nicht weniger laut zu brüllen beginnt als sein Bruder Mac im tiefen Brunnen.
Auf den zur Decke weisenden Boden dieses Messingkübels schlägt Johnny Mahoun nun mit ziemlicher Wucht einen Stuhl, so wird es sicher, dass Race seinen »Hut« gewiss nicht mehr ohne fremde Hilfe vom Kopf bekommen wird. Man wird eine Blechschere benötigen.
Johnny Mahoun wendet sich Bac zu.
»Willst du es auch probieren?« So fragt er fast freundlich.
»Sicher«, grollt Bac. »Ich halte es für meine Pflicht. Wo kämen wir denn hin, wenn wir Bohunkey-Brüder nicht mehr füreinander einstünden? Natürlich muss ich dich jetzt in Klumpen hauen.«
»Nein, das musst du nicht«, widerspricht Johnny Mahoun. »Ich würde lieber mit dir Frieden schließen, nachdem ich schon zwei von euch geschlagen habe. Was hast du davon, wenn ich euch klein mache?«
Aber da gibt ihm Bac keine Antwort mehr, sondern greift an.
Er hält dabei zwei volle Flaschen Whisky in den Händen, so, als wollte er sie als Keulen benutzen. Aber dann wirft er sie wie Kriegskeulen. Sie verfehlen Johnnys Kopf.
Doch eine greift er und wirft sie schon mit der nächsten Bewegung zurück.
Sie trifft Bac Bohunkey mitten gegen die Stirn, und so hart sein Schädel auch sein mag, er geht zu Boden. Es wirkt lächerlich einfach – doch wer kann schon eine geschleuderte volle Flasche mitten im Flug richtig greifen und sofort zurückwerfen?
Bac Bohunkey kracht schwer auf den Teppich.
Und Johnny Mahoun wendet sich an Daisy Mullen. »War's das?«
Daisy Mullen ist eine mollige Schönheit in den allerbesten Jahren. Sie lacht etwas hektisch. Auch ihre Mädchen lachen wie verrückt. Sie alle sind ja schon ziemlich betrunken, aber noch nicht so sehr, dass sie schon nichts mehr begreifen könnten.
Sie umringen Johnny Mahoun kreischend, küssen ihn ab, drücken ihn, sind begeistert und lieb zu ihm. Er kann sich ihrer nicht erwehren.
Und Daisy Mullens Stimme ruft schrill: »Wenn wir die beiden Barbaren rausgeworfen haben, ist das Haus geschlossen! Und Johnny Mahoun bleibt noch zu unserem Schutz hier, bis die Bohunkeys nicht mehr in der Stadt sind.«
✰✰✰
Als er erwacht und seine Augen öffnet, sticht das Sonnenlicht, welches durch eines der Fenster fällt, in seine Augen. Deshalb schließt er diese schnell wieder und stöhnt leise. Die Erinnerung an alles, was in der Nacht geschah, kommt nach und nach zurück.
Und dann weiß er bald alles.
Ja, er war der einzige Mann im Haus, als Daisy Mullen und deren zwölf Mädchen mit ihm das Fest feierten. Er war ihr Retter, der große Bruder, der Held, der sie beschützt hatte vor den schrecklichen Bohunkey-Brüdern.
Oha, es war ein schönes Fest, voller netter Ausgelassenheit, gutem Essen und erstklassigen Getränken.
Nach einer Weile bewegt er den Kopf dann doch. Rechts von ihm liegt ein Mädchen. Es ist Dolly. Und links von ihm liegt ebenfalls eins, welches sogar zeitweilig zu schnarchen beginnt. Dieses Mädchen heißt Lily, wie er sich erinnern kann. Er fragt sich, was er mit diesen beiden Mädchen gemacht haben könnte. Doch er stellt fest, dass sie beide und auch er angekleidet sind. Mit welchen Absichten sie auch in dieses Zimmer gegangen sein mögen, sie taten letztlich nichts anderes als ihren Rausch ausschlafen. Ja, es wird ihm klar, dass er wie ein Bruder mit dreizehn Schwestern ein Fest feierte.
Aber dann wird ihm klar, dass er nicht ewig hier herumliegen kann. Gestern ist er von einer Pokerrunde fortgegangen und hat gesagt, dass er zurückkommen würde, sobald die Sache im Angels' House geklärt wäre.
Er will sich nicht über eine der beiden Schläferinnen hinwegrollen. Deshalb rutscht er zum Fußende des mächtigen, nobel wirkenden Messingbettes und klettert über das Gitter des Fußendes weg. Drüben in der Ecke steht ein großer Waschtisch. In der Schüssel ist genügend Wasser. Er steckt den Kopf hinein, prustet, nimmt ihn heraus, um Luft zu holen, und wiederholt das alles mehrere Male.
Als er sich dann im Spiegel betrachtet beim Abtrocknen, grinst er sich zu und sagt heiser: »O du blöder Hund, mit dir wird es noch ein böses Ende nehmen, wenn du dich nicht endlich änderst. Spielen, Trinken und immer nur Spaß haben, das bringt einen Mann zu nichts, zu gar nichts. Verdammt, wann endlich wirst du seriös?«
Er reibt sich die Bartstoppeln an den Wangen, überlegt, ob er hier in diesem Zimmer ein Rasiermesser finden würde – aber dann lässt er es bleiben. Er entdeckt seine Alabama-Stiefel halb unter dem Bett. Auch seinen Waffengürtel mit dem Colt entdeckt er über einer Stuhllehne hängend.
Seufzend macht er sich auf den Weg nach unten.
Aus der Küche riecht es nach starkem Kaffee.
Als er eintritt, sieht er Daisy Mullen am Tisch sitzen und hört sie den heißen Kaffee schlürfen. Er setzt sich ihr gegenüber an den Tisch. Sie schenkt ihm wortlos aus der großen Kanne eine Tasse voll und sagt: »Auf dem würde eine Bleikugel schwimmen, da kannst du drauf wetten. Wie geht's dir denn, mein Freund?«
»Gar nicht gut«, erwidert er. »He, wir haben uns betrunken wie ein ganzer Indianerstamm. Freiwillig! Doch als die Bohunkeys euch zum Trinken zwangen, da passte euch das nicht. Aber es wäre auf das Gleiche hinausgekommen, nicht wahr?«
»Nein«, erwidert Daisy Mullen. »Die Bohunkeys wollten uns betrunken machen und dann dieses Haus für die ganze Meute öffnen. Wir aber hatten hier eine geschlossene Feier mit einem einzigen Freund. Wir wollten mal lustig sein, ohne es sein zu müssen für Geld. Verdammt noch mal, verstehst du das nicht? Und wenn du bei uns bliebest, dann ...«
»Nein«, sagt er, »das wäre nichts für mich.«
»Aber wir brauchen einen Beschützer«, spricht Daisy Mullen. »Wir hatten bis vor Kurzem noch Jeff Travetter. Aber dem stach ein Mexikaner ein Messer in den Bauch.«
Johnny Mahoun nickt.
»Daisy, ich saß gestern mit einer Glückssträhne in einer Pokerrunde, aber ich kam her, weil ich dir etwas schuldig war. Jetzt sind wir quitt, nicht wahr? Deine Mädchen sind liebe Dinger. Auch du bist goldig. Aber ein Mann muss irgendwann etwas Großes versuchen. Sag selbst, würde ich das hier bei euch?«
Sie gibt ihm darauf keine Antwort.
Eine Weile schweigen sie und schlürfen den Kaffee aus den Tassen. Dann sagt Daisy Mullen: »Eigentlich sind wir immer noch nicht quitt, mein Lieber. Wenn ich damals nicht geschworen hätte, dass der andere Mann zuerst zum Colt griff, hätten sie dich ...«
»Schon gut«, murmelt er. »Ich bin dir also noch etwas schuldig. Aber ich werde hier nicht euren Leibwächter ...«
»Nein, du sollst etwas anderes für uns tun«, unterbricht sie ihn.
»Was?«
»Der Wagenzug für Silver City«, sagt sie nur.
Und Johnny Mahoun zuckt leicht zusammen.
»Waaas?« So fragt er ahnungsvoll. »Du willst doch wohl nicht, dass ich mich wegen des Wagenzugs mit Barton Queensberry und dessen Gilde anlege? Wenn die den Frachtzug für Silver City nicht ins Land lassen, um hier ...«
»Ich habe zwei Wagen dabei«, unterbricht ihn Daisy Mullen. »Zwei Wagen mit Schnaps, Proviant und vielen anderen notwendigen Dingen, die wir hier haben müssen, um dieses Haus rentabel zu halten. Ich will mich nicht aushungern lassen von diesem Barton Queensberry. Er will Anteile von allen Geschäften in Silver City, vor allen Dingen von der Frachtlinie. Er will sich zum Boss des ganzen Silberlandes machen. O Johnny, ich möchte doch nur unsere zwei Frachtwagen mit der für uns hier so wichtigen Ladung. Du weißt ja, dass die Mädchen hier alle am Gewinn beteiligt sind – aber auch an den Verlusten. Und sie waren doch so nett zu dir diese Nacht. Du hattest bei ihnen die Wahl, ob du ihr Bruder oder ...«
»Schon gut«, unterbricht er Daisy und beugt sich vor. »Ihr seid doch schlaue Elstern«, knurrt er. »Die Sache mit den Bohunkeys war wohl nur eine Art Probestück. Damit ihr sehen konntet, was ich so auf dem Kasten habe. Und nun ...«
»Ja«, unterbricht ihn die mollige, aber noch recht ansehnliche Daisy Mullen. »Jetzt sollst du dein Meisterstück machen. Und du wirst es für die ganze Stadt machen. Du kannst uns alle, die wir Barton Queensberry keine Anteile an unseren Geschäften geben wollen, vor der Abhängigkeit retten. Sorge dafür, dass der Wagenzug durchkommen kann! Das ist wahrhaftig eine Aufgabe für einen ganz besonderen Mann – für einen, wie es unter Tausend keinen zweiten gibt.«
»Du schmierst mir Schmalz um die Backen«, murrt er. »Und das habe ich nicht so gern. Ich bin doch nicht verrückt. Bisher war ich froh, dass Barton Queensberrys harte Jungs mich zufriedenließen. Ich spucke ihnen doch nicht ins Bier. Nein ...« Er erhebt sich und geht hinaus.
Daisy Mullen folgt ihm, um die Haustür hinter ihm wieder abriegeln zu können.
»Dann geh doch wenigstens zu Barton Queensberry und bitte ihn, wenigstens unsere beiden Wagen durchzulassen«, verlangt sie. »Wenn er dich so sehr respektiert, dass er seine harte Jungs nicht auf dich loslässt, um bei dir Anteile von deinen Spielgewinnen kassieren zu lassen, dann wird er vielleicht auch dieser Bitte entsprechen, wenn du sie ihm nur richtig vorträgst. Na?«
Aber Johnny Mahoun knirscht nur einen Fluch, tritt hinaus in die Spätmittagssonne und setzt sich in Richtung zu seinem Hotel in Bewegung.
Ein Reiter, den er schon beim Heraustreten auf dem Wagenweg kommen sah, holt ihn nun ein und trabt neben ihm her. Er wirft nur einen müden Blick schräg nach oben auf den Reiter – aber dann schnell einen zweiten, und dieser ist nicht mehr müde, sondern plötzlich hellwach und staunend, so als könnte er nicht glauben, was er sieht. Denn der Reiter ist kein Reiter, sondern eine Reiterin.
Johnny Mahoun blickt in zwei Augen, wie er sie noch niemals in seinem ganzen bewegten Leben sah. So mies er sich auch soeben noch fühlte, jetzt hat er es vergessen. Denn diese Augen befinden sich in einem Gesicht, welches ihm schon oft in seinen Träumen erschien.
»Heiliger Rauch«, sagt er zu der Reiterin hinauf. »Wer sind Sie denn? Sind Sie vielleicht ein Engel, den man aus dem Himmel schickte, um die Erde netter zu machen?«
Sie schüttelt ärgerlich und unwillig den Kopf.
»Sie sind ja schon wieder sehr locker mit dem Süßholzraspeln«, spricht sie zu ihm nieder, »obwohl Sie doch soeben aus diesem Haus da kamen. Angels' House steht da auf dem Schild. Waren da keine Engel drin? Sagen Sie mir lieber, wo der Marshal oder Sheriff sein Office hat.«
»Im Silverlode Saloon«, erwidert er. »Um diese Zeit wird er noch nicht betrunken sein, Lady. Aber selbst wenn er nüchtern wäre, sollten Sie sich nicht an ihn wenden, wenn Sie irgendwie Hilfe brauchen. Dann sollten Sie sich besser gleich an Mister Barton Queensberry wenden. Brauchen Sie Hilfe?«
Sie hält nun ihr graues Reittier an. »Wie kommen Sie darauf, Mister, dass ich Hilfe brauche?«, fragt sie spröde.
Er zeigt auf ihr graues Reittier. »Sie reiten auf einem Maultier«, sagt er. »Und am Sattelhorn hängt eine zusammengerollte Maultiertreiberpeitsche. Ich denke mir, Sie gehören zu jenem Wagenzug, welcher etwa dreißig Meilen von hier nicht über die alte Spanier-Brücke am Lon Creek kommt.«
»Aaah, das also ist in der Stadt bekannt«, stellt sie herb fest. »Nun, dann müsste doch wohl auch diese Stadt daran interessiert sein, dass sie Nachschub an Waren jeder Art erhält. Oder lebt die Stadt nicht vom Handel, von Geschäften? Ich will zum Marshal, damit dieser ein Aufgebot zusammenstellt, welches uns zu Hilfe kommt.«
»Das wird der Marshal nicht ohne Mister Queensberrys Erlaubnis tun. Und Mister Queensberry ist der Mann, der die Stadt aushungern und den Wagenzug von euch möglichst billig kaufen möchte. Verstanden, Lady Grünauge?«
Sie blickt ihn böse und zornig an. Dann reitet sie entschlossen weiter.
Er aber steht mitten im Staub der Fahrbahn und kratzt sich am Kopf, denkt dabei: Heiliger Rauch, was für ein Mädchen! So habe ich sie mir stets vorgestellt. Und auch ihre Stimme. Verdammt, kann man solch ein Mädchen ohne Hilfe lassen?
Plötzlich aber erschrickt er. Denn seine nächsten Gedanken sind: He, ist sie überhaupt noch ein Mädchen? Ist sie überhaupt noch zu haben? Hat sie nicht schon einen Mann und ist schon Frau?
Aber letztere Frage kann er sich beantworten. Es ist sein Instinkt, der ihm sagt, dass sie keine Frau in festen Händen ist.
Indes er dies denkt und mitten auf der Fahrbahn verharrt, blickt er ihr nach. Sie hält vor dem Silverlode Saloon an, sitzt ab und geht entschlossen hinein. Heiliger Rauch, denkt er, was die zu sagen hat, würde ich gerne hören.
Er setzt sich eilig in Bewegung. Und er fragt sich, wie dieses schöne, rassige und energische Mädchen heißt.
✰✰✰
Als Esther Rudy vor dem Saloon hält, wird sie von einigen auf der Veranda herumlungernden Gestalten betrachtet. Und plötzlich werden sie alle richtig wach. Keiner döst mehr.
Vom Sattel aus fragt sie zu ihnen hinüber: »He, Gentlemen, finde ich Mister Queensberry dort drinnen?«
Ihre dunkle, kehlige Stimme geht ihnen unter die Haut, und zugleich begreifen sie, dass dieses Mädchen eine selbstsichere Frau ist, die daran gewöhnt ist, sich unter Männern zu behaupten.
Einer von ihnen sagt: »Sicher, schöne Lady. Dies hier ist Mister Queensberrys Hauptquartier. Ich werde Sie bei ihm anmelden. Kommen Sie nur und bringen Sie den Sonnenschein in diese Burg!«
Der Mann verschwindet im Saloon. Sie aber lenkt ihr Maultier an die Haltestange und sitzt ab. Sie alle erfreuen sich an ihren geschmeidigen Bewegungen.
Sie muss auf diesem Maultier weit geritten sein. Das sieht man dem Tier und auch ihr an. Und dennoch bietet sie immer noch einen prächtigen Anblick und bewegt sich geschmeidig wie eine Indianerin. Sie verschwindet im Saloon.
Esther Rudy wird sofort schon von jenem Manne, der ihr vorauseilte und sie drinnen anmeldete, durch eine Tür gewinkt. Esther Rudy tritt in das große und für diese Campstadt sehr nobel eingerichtete Zimmer, welches eine Mischung von Wohnraum und Arbeitszimmer ist.
Drei Männer befinden sich im Raum. Einer sitzt hinter einem mächtigen Schreibtisch. Ein zweiter Mann sitzt auf der breiten Fensterbank. Und der dritte Mann liegt mehr als er sitzt in einem bequemen Sessel. Dieser Mann trägt den Blechstern eines Town Marshals.
Esther Rudy nimmt ihren flachkronigen Hut ab und schüttelt ihr rotgoldenes Haar. Und bei diesem Anblick werden die drei Männer mächtig munter. Sie erheben sich, grinsen und machen sogar mehr oder weniger deutlich erkennbare Verbeugungen.
»Was verschafft mir die Ehre und das große Vergnügen?« So fragt der Mann hinter dem Schreibtisch. Er ist ein helläugiger, weißblonder, sommersprossiger und asketisch wirkender Typ von unbestimmbarem Alter.
»Sind Sie Mister Queensberry?« So fragt sie geradeheraus, und ihr grünäugiger Blick ist fest auf ihn gerichtet.
Er nickt. »Ja, ich bin Barton Queensberry, Lady. Dies ist unser Marshal Jake Hallderan. Und dies ist Mister Mike Baretter. Was also kann ich für Sie tun, Lady?«
Sie gibt noch keine Antwort, sondern betrachtet auch die beiden anderen Männer ebenso fest und intensiv wie zuvor Queensberry.
Der Marshal ist ein rothaariger, bulliger Typ. Sie hat Erfahrung mit solchen Typen. Sie sind primitiv und neigen zu Gewalttätigkeiten. Und sie brauchen stets einen Boss, der ihnen sagt, was sie zu tun haben. Solch einem Boss dienen sie dann mit Treue, denn er gibt ihnen Halt.
Dieser Marshal ist also nur ein Handlanger. Auch weiß sie, dass solch ein Town Marshal nicht mit einem richtigen US Marshal vergleichbar ist. Ein Town Marshal ist kein richtiger Gesetzesmann. Wenn die Stadt schlecht ist, die ihm den Stern gab, dann kann er selbst nicht besser sein, denn er muss stets die Interessen der Stadt vertreten. Sonst wird er gefeuert. Und die Stadt hier, die sich Silver City nennt, ist offenbar Barton Queensberrys Stadt.
Der dritte Mann ist kaum mittelgroß und hager. Er hat schräge und gelbfarbene Augen, welche stets verschleiert wirken. Esther Rudy weiß, dass sie in die gelben Augen eines Revolvermannes sieht, hinter denen alles, was dieser Mann denkt und fühlt, verborgen ist wie hinter einem gelben Schleier. Aber er strömt die gefährliche und lauernde Bereitschaft eines Wolfes aus. Das spürt sie deutlich.
»Mir gehört der Wagenzug am Lon Creek«, sagt sie. »Man lässt mich mit den Wagen nicht über die Steinbrücke. Aber sie ist für Wagen der einzige Übergang. Es gab sogar schon Tote.«
Nach diesen Worten schluckt sie etwas mühsam.
»Tote?« Barton Queensberry fragt es mit einem Klang von Teilnahme in der Stimme.
Ihre grünen Augen sprühen zornig. Aber sie bekommt sich dann wieder unter Kontrolle.
»Mein eigener Bruder ...«, beginnt sie, bricht dann ab und macht eine heftige Handbewegung. »Mister Queensberry, Sie sollen hier der mächtige Mann sein. Also lassen Sie bitte meinen Wagenzug passieren. Wir bringen ja Waren aller Art für die ganze Stadt und alle Minen und Camps der Umgebung – auch für Sie. Es ist sogar ein Klavier für diesen Saloon dabei. Also ...«
Er schüttelt den Kopf. »So mächtig bin ich auch nicht«, sagt er. »Ich bin nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, den sich hier viele andere Geschäftsleute als Teilhaber und Geldgeber wünschten. Deshalb bin ich da und dort beteiligt. Aber was dort draußen im weiten Land dreißig Meilen von hier passiert ...« Er bricht ab, breitet die Arme aus und lässt sie mit einer hilflos wirkenden Geste fallen. Er kommt um den Schreibtisch herum und deutet auf einen Sessel.
»Setzen Sie sich doch, Lady«, sagt er. »Ich möchte Ihnen eine Erfrischung anbieten. Sie haben einen langen Ritt hinter sich. Was darf es sein? Einen guten Whisky vielleicht?«
Sie sieht ihn an und nickt. Denn sie kann wirklich einen scharfen Schluck vertragen. Sie setzt sich, und indes er aus einer geschliffenen Kristallkaraffe bernsteinfarbenen Whisky in ein Glas für sie und sich eingießt, sagt er: »Wissen Sie, Lady, das alles ist sehr schwierig. Da wollen offenbar ein paar Banditen ein gutes Geschäft machen. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag, Miss. Aaah, ich weiß nicht mal Ihren Namen.«
»Ich bin Esther Rudy«, murmelt diese. »Und das wissen Sie schon längst.« Sie nippt vom Whiskyglas und fragt dann: »Was für einen Vorschlag haben Sie, Mister Queensberry?«
»Ach«, lächelt dieser. »Sie sollten den ganzen Wagenzug einfach an mich verkaufen. Dann sind Sie aller Sorgen ledig und mit den Banditen würde ich mich irgendwie einigen können. Na, was ist der Wagenzug wert?«
Nach diesen Worten prostet er ihr mit seinem Glas zu.
Als der Marshal nach der Karaffe greifen will, um auch für sich ein Glas einzuschenken, sagt er hart: »Du nicht, Jake. Dies ist Whisky für Kenner. Der ist zu gut für deine Gurgel. Den schmeckst du nicht mehr.«
Da flucht der Town Marshal, erhebt sich aus dem Sessel und stampft hinaus. Er muss wahrscheinlich jetzt einen scharfen Drink nehmen, denn als Säufer konnte er nicht zusehen, wie Whisky eingeschenkt und getrunken wurde, ohne selbst nicht ebenfalls zu trinken.
Er wirft die Tür hinter sich zu.
Esther Rudy aber sagt langsam: »Der Wagenzug ist alles in allem gewiss fünfzigtausend Dollar wert.«
»Ich werde zwanzigtausend zahlen«, spricht Barton Queensberry trocken. »Und das auch nur, weil Sie eine so reizvolle Frau sind und ich Ihnen helfen möchte. Halt! Wenn Ihnen der Preis zu gering erscheint, dann bedenken Sie bitte, dass ich mich ja auch noch mit den Banditen einigen muss. Die wollen auf ihren möglichen Gewinn nicht verzichten. Na? Wollen Sie es sich erst noch überlegen? Drüben im Hotel lasse ich Ihnen das beste Zimmer freimachen. Und im Restaurant könnten wir gemeinsam zu Abend essen. Ich würde Ihnen sogar ein wunderschönes Kleid besorgen, damit Sie die Stunden bei Kerzenlicht so richtig genießen können mit mir.«
Sie starrt in seine hellen Augen. Und sie weiß, dass er sie vernaschen würde wie ein Wolf einen besonders feinen Bissen. Er ist ein Mann, der stets alles nimmt und nichts dafür gibt, gar nichts. Ihr Instinkt sagt es ihr mit untrüglicher Sicherheit. Er wollte von Anfang an den Wagenzug. Die sogenannten Banditen sind seine Handlanger. Und nun, da er sie gesehen hat, will er auch sie.
Sie bedauert, dass sie überhaupt hergekommen ist. Ja, sie hat geglaubt, dass sie die Bürger dieser Stadt zu Hilfe rufen könnte, dass man ein Aufgebot zusammenstellen würde. Doch nun weiß sie Bescheid. Jetzt versteht sie auch besser, dass man sie allein über die Steinbrücke am Lon Creek ließ.
Sie erhebt sich und geht wortlos zur Tür.
»Auf ein gemeinsames Abendessen mit Ihnen, Mister, lege ich keinen Wert«, sagt sie über die Schulter, indes sie die Tür öffnet und wieder in den großen Gastraum des Saloons tritt.
Und hier ein Schanktisch stehen mehr als ein Dutzend Männer. Auch Johnny Mahoun gehört zu diesem Dutzend. Sie alle hören ihre spröden und abweisenden Worte. Es wird ihnen klar, dass Barton Queensberry soeben eine Abfuhr erhielt.
Leichtfüßig und geschmeidig geht sie auf ihren zierlichen und ziemlich hochhackigen Reitstiefeln hinaus.
Hinter ihr erscheint Barton Queensberry, so als wollte er ihr etwas nachrufen. Doch beim Anblick der neugierigen Männer an der langen Theke lässt er es sein.
Sein Blick fällt auf Johnny Mahoun, welcher sich mit einem Glas Bier in der Hand am Freiimbisstisch bedient.
»Kommen Sie mal rein, Mahoun«, sagt Queensberry, wendet sich um und lässt die Tür hinter sich für Johnny Mahoun offen.
Johnny Mahoun tritt ein. Er drückt die Tür hinter sich mit den Schultern zu und bleibt dagegen gelehnt stehen. So wartet er, und seine rauchgrauen Augen betrachten abwechselnd die beiden Männer. Er hat kein gutes Gefühl, aber das sieht man ihm nicht an.
»Passen Sie mal auf, Spieler«, spricht Queensberry, »bisher habe ich Sie hier wursteln lassen und abgewartet, was aus Ihnen wird in dieser Stadt. Nun aber haben Sie sich nicht nur als glückhafter Spieler erwiesen, der den hartgesottenen Pokerbullen die Dollars abnimmt – nein, Sie mischten sich gestern auch noch in meine Geschäftsinteressen ein. Mann, ich hätte große Lust, Ihnen das Fell gerben zu lassen. Verstanden?«
»Nein«, erwidert Johnny Mahoun. »Ich verstehe nichts, gar nichts. Warum soll ich den Mitspielern kein Geld abnehmen, wenn ich die besseren Karten habe – und in welche von Ihren Geschäftsinteressen habe ich mich eingemischt?«
Die beiden Männer betrachten ihn hart. Der Revolvermann Mike Baretter erhebt sich von der Fensterbank. Als er langsam näher kommt, zeigt es sich, dass er leicht hinkt mit dem linken Bein.
Er sagt: »Mit dem bekommen wir Schwierigkeiten, wenn ich ihm nicht gleich die Ohren lang ziehe. Soll ich?«
Es mutet schon merkwürdig an, diesen Mike Baretter so reden zu hören. Denn er ist einen ganzen Kopf kleiner als Mahoun und wiegt gewiss mehr als vierzig Pfund weniger als dieser.
Er strömt jedoch keine großspurige Arroganz und Überheblichkeit aus, sondern die lauernde Gefährlichkeit eines Wolfes.
Johnny Mahoun betrachtet ihn kurz.
»Mein lieber Freund«, murmelt er kauend, »jetzt habe ich aber Angst bekommen. Wie können Sie mich nur so erschrecken mit solch harten Worten? Ist das fair?« Er grinst und sieht Queensberry fragend an.
Dieser sagt: »Die Bohunkey-Brüder – sie sollten im Angels' House ein wenig Wirbel machen, damit die liebe Daisy Mullen begreift, wie sehr sie Schutz braucht in dieser Stadt. Aber leider hat sie sich den falschen Beschützer geholt, nämlich Sie. Mahoun, Sie sind mir in die Quere gekommen. Ich wollte Daisy Mullens Teilhaber und mächtiger Beschützer werden. Sie haben das für ein paar Tage verhindert. Aber ich billige Ihnen zu, dass Sie sich dessen nicht bewusst waren. Deshalb erkläre ich Ihnen das jetzt alles so geduldig. Kommen Sie mir nur nicht mehr in die Quere. Und von Ihren Spielgewinnen bekomme ich den halben Anteil. Gestern waren es etwas mehr als fünfhundert Dollar. Rechnen wir also fünfhundert, denn ich bin nicht kleinlich. Legen Sie also zweihundertfünfzig dort auf den Tisch. Und dann können Sie entweder aus der Stadt verschwinden oder bleiben. Aber wenn Sie bleiben, dann nur zu meinen Bedingungen. Verstanden?«
Johnny Mahoun leert erst das Bierglas. Dann nickt er. »Genau«, sagt er. »Und wenn ich die zweihundertfünfzig Bucks nicht zahle, dann bekomme ich es mit dem da zu tun, ja?«
»Genau«, nickt Mike Baretter. »Und darauf warte ich.«
Johnny Mahoun sagt eine Weile nichts. Er betrachtet die beiden Männer abwechselnd. In ihren Augen erkennt er die unversöhnliche Härte.
Johnny Mahoun nickt langsam. Er tritt an den Schreibtisch, stellt sein Bierglas ab und holt Geld aus seinen Taschen. Es sind zwei Hundertdollarnoten und eine Fünfzigdollarnote, die er schweigend hinlegt.
Als er sich umwendet, sagt Baretter: »Nimm das Bierglas mit!«
Johnny Mahoun tut es. Er geht mit dem Bierglas hinaus und schließt sachte die Tür hinter sich.
Die beiden Männer blicken noch eine Weile auf diese Tür.
Dann sagt Mike Baretter: »Glaub nur nicht, dass der dir jetzt aus der Hand frisst, Barton, der nicht. Ich weiß, dass ich ihn töten muss, weil wir füreinander bestimmt sind. Ich weiß es! Das habe ich bei einem Mann immer von Anfang an gewusst.«
✰✰✰
Johnny Mahoun geht langsam über die Straße zu seinem Hotel hinüber. Niemand sieht ihm den Zorn ab, der tief in seinem Kern wie ein heißes Feuer brennt. Erst als er das graue Maultier vor dem Hotel am Wassertrog stehen sieht, beginnt er wieder Zeit an andere Gedanken zu verschwenden. Denn das Maultier gehört ja jener schönen Lady, welche so zornig aus Queensberrys Office kam. Sie muss also dort drinnen im Hotel sein, vielleicht im Restaurant.
Er entschließt sich und geht hinein, und er sieht sie an einem kleinen Ecktisch sitzen.
Als er eintritt, blickt sie ihn an. Drei leere Tische mit den ebenso leeren Stühlen sind noch zwischen ihnen. Aber ihre Blicke treffen sich dennoch scharf und fest.
Er nähert sich langsam. »Ich möchte mit Ihnen über die Steinbrücke am Lon Creek reden«, sagt er. »Und über die Kerle, die jene Brücke für den Wagenzug sperren. Darf ich mich zu Ihnen setzen, Lady?«
Sie sieht ihn drei Atemzüge lang forschend an.
Auf den ersten Blick wirkt er auf sie wie einer jener Spieler, welche allein nur von ihrem Kartenglück leben und die man oftmals nur »Kartenhaie« nennt. Sie weiß auch, dass viele dieser berufsmäßigen Spieler vor dem Krieg eine andere Existenz hatten. Nicht wenige dieser Spieler waren vor nicht langer Zeit noch Offiziere, die man dann plötzlich nicht mehr benötigte.
Sie ist zwei Atemzüge lang versucht, auch diesen Mann für einen Burschen dieser Sorte zu halten. Doch dann – indes sie den dritten Atemzug macht – sieht sie etwas in seinen rauchgrauen Augen. Es ist ein Funkeln. Sie kann es natürlich nicht genau deuten, aber ihr Instinkt gibt ihr ein Zeichen. Sie spürt irgendwie, dass sie diesen Mann zum Platznehmen auffordern sollte.
Und irgendwie – dies gesteht sie sich widerwillig ein – gefällt er ihr. Sie hatte eine Mischung aus Verachtung und Mitleid verspürt bei seinem Anblick, als sie ihn fragte, wo sie den Marshal von Silver City finden konnte. Aber plötzlich ist sie sich nicht sicher ob sie ihn am Anfang richtig eingeschätzt hat. Ja, irgendwie gefällt er ihr. Und so deutet sie auf den freien Stuhl auf der anderen Seite des Tisches.
Er setzt sich und sieht sich nach der herantretenden Bedienung um.
»Für mich das Gleiche wie für die Lady«, verlangt er.
»Sie müssen noch etwas warten«, sagt die füllige Frau. »Die Küche macht jetzt erst Feuer im Ofen. Es dauert noch ein wenig. Nur Wein kann ich schon mal bringen.«
Sie geht wieder.
»Ich bin Johnny Mahoun«, spricht dieser zu seinem reizvollen Gegenüber.
»Esther Rudy«, sagt sie kurz und stellt dann die Frage: »Und was interessiert Sie so am Frachtwagenzug bei der Brücke am Lon Creek und dessen Problemen?«
Er lächelt scharf. In seinen Augen funkelt es wieder.
»Ach«, sagt er, »ich habe soeben eine Menge schlucken müssen und ich würde daran ersticken, wenn nicht auch mal die andere Seite ein wenig zu schlucken bekäme.«
Sie betrachtet ihn ernst. »Ihr Stolz wurde also verletzt«, murmelt sie.
Er erwidert nichts, nickt nicht mal, wartet nur.
Die Bedienung bringt den roten Wein. Er nippt vom Glas, sieht Esther Rudy unverwandt an und wartet.
Sie entschließt sich und spricht: »Ich bekomme hier in dieser Stadt keine Hilfe. Der Frachtwagenzug gehörte meinem Bruder und mir. Aber mein Bruder wurde auf der Brücke mit einer Kugel aufgehalten, als er uns mit einigen unserer Fahrer den Weg freikämpfen wollte. Gestern starb er an der Kugel. Die Banditen ließen mich über die Brücke, obwohl sie damit rechnen mussten, dass ich Hilfe holen wollte. Aber sie wussten, dass ich hier keine Hilfe bekommen würde. Es sind sieben Mann. Ein entschlossenes Aufgebot könnte sie zum Teufel jagen. Aber ...« Sie verstummt bitter und nippt von ihrem Glas ein wenig Wein. »Ich werde essen und zurückreiten, sobald sich mein Pferd etwas ausgeruht hat.«
Sie spricht diese Worte wie jemand, der verloren hat, dies einsieht und aufgeben will.
»Ich werde mit dem Frachtzug irgendwohin fahren und versuchen, all die Waren woanders loszuwerden. Es sind zwar alles bestellte Waren, aber vielleicht gibt es ähnliche Städte mit gleicher Umlandstruktur. Zum Teufel, ich wollte eigentlich in Silver City den Endpunkt meiner Frachtlinie gründen. Silver City und das ganze Umland wären angeschlossen worden an Santa Fe und von da aus nach Kansas City. Doch Queensberry wollte mir den Frachtzug mitsamt den Waren für einen Bettellohn abkaufen.«
Johnny Mahoun nickt.
»Ich mache Ihnen die Brücke frei«, sagt er. »Und wenn sie frei ist, werden Sie dann auch herüberfahren?«
Sie begreift jäh, auf welche Konsequenz seine Frage hinausläuft. Und abermals betrachtet sie ihn prüfend. Sie kennt sich aus mit Männern, weil sie unter rauen Burschen aufwuchs. Schon ihr Vater war ein Frachtwagenzugboss. Sie blickt lange in Johnny Mahouns Augen, und was sie darin erkennt, lässt in ihr ein Gefühl entstehen, so als würde sie diesen Mann schon viele Jahre kennen.
»Aber Sie sind doch nur ein berufsmäßiger Spieler ...«, beginnt sie.
»Und ein ziemlich berüchtigter Revolverheld aus Laredo«, vollendet er etwas spöttisch. »Ich bin wirklich nicht das, was man einen seriösen Mann nennt, Lady. Aber ich würde Ihnen den Weg über die Brücke freimachen.«
»Und dann wird Queensberry Ihnen das Fell abziehen lassen«, spricht sie herb.
Da grinst er. »Mal sehen, ob er das schafft«, murmelt er.
Sie entschließt sich ganz plötzlich. Sie tut das gegen jede Vernunft und nur aus dem Instinkt heraus.
»Mein Bruder«, sagt sie, »ist tot. Und ich würde gerne herausfinden, was Queensberry tun wird, wenn ich den Wagenzug in die Stadt bringe und hier meine Niederlassung gründe als Endpunkt meiner Frachtlinie. Ob er auch mich töten lassen würde?«
Sie verstummt hart und spröde. Und einen Moment lang kann er in ihren Augen den Zorn erkennen, den sie bisher verborgen hielt.
Er denkt: Sie spürt den gleichen Zorn wie ich und sie wird deshalb ebenso entschlossen gegen Queensberry kämpfen wie ich.
✰✰✰
An diesem Abend noch verlässt Johnny Mahoun die Stadt und reitet nach Norden. Barton Queensberry weiß bald darüber Bescheid.
Er grinst verächtlich und sagt: »Na schön, dann soll er doch abhauen.«
Aber sein Revolvermann Mike Baretter schüttelt den Kopf.
»Da bin ich noch nicht sicher, ob der wirklich aus dem Land reitet. Es würde einfach nicht zu ihm passen. Und wie wir soeben hörten, hat er sein Hotelzimmer nicht gekündigt. Ich sollte ihm nachreiten. Ich frage mich, wohin er reitet.«
Sie denken beide eine Weile nach.
»Er hat mit dieser Esther Rudy zusammen im Restaurant an einem Tisch ein frühes Abendessen gegessen«, spricht Mike Baretter nach einer Weile wieder. »Und sie ist nur eine halbe Stunde früher als er aus der Stadt geritten. Wir sollten nicht zu sorglos sein, Bart.«
»Ach was«, winkt dieser ab. »Was soll er uns schon schaden können – ein einzelner Mann, ein Spieler? Ich denke immer noch, dass er einfach abgehauen ist und seine Sachen nur im Hotel ließ, um die Rechnung nicht bezahlen zu müssen. Wir werden sehen.«
»Ja, das werden wir«, murmelt Mike Baretter skeptisch.
Indes verlässt Johnny Mahoun nach drei Meilen stetigen Reitens den Wagenweg und biegt in einen flachen Canyon ein, an dessen Steilhang ein kleines Pueblo angebaut wurde. Ein großes Feuer brennt vor dem indianischen Bauwerk. Es gibt einige Corrals mit Pferden, Eseln und Ziegen darin. Hunde kommen bellend auf den Reiter zu.
Ein Dutzend der Pueblo-Indianer versammeln sich am Feuer und blicken dem Reiter entgegen.
Sie erkennen ihn wieder. Er war schon einige Male hier bei seinen Ausritten, unterhielt sich mit ihnen und zauberte ihren Kindern Geldstücke aus der Nase, wenn sie ihre kleinen Hände darunter aufhielten.
Die Pueblos sind friedliche Indianer. Sie betrachten ihn mit vorsichtiger Zurückhaltung. Denn bei diesen Weißen aus der nahen Stadt und aus den umliegenden Minen kann man nie wissen ...
Er lehnt sich im Sattel vor, und er sitzt überhaupt wie ein Rindermann im Sattel, nämlich fast stehend in den Steigbügeln.
»Ich möchte zu eurer Juana«, spricht er. »Ich brauche ihre Hilfe. Es ist wichtig.«
Sie alle verharren einige Atemzüge lang. Ihr stummes Misstrauen – welches nicht persönlich, sondern den Weißen überhaupt gilt – strömt gegen ihn. Aber dann nickt ihr Ältester und gibt einem der größeren Jungen einen kurzen Befehl.
Johnny Mahoun sitzt ab und folgt dem Jungen über die Leiter hinauf zur oberen Plattform und von dieser wieder innerhalb des Bauwerks in die Tiefe. In einem großen Raum brennt ein Feuer, dessen Rauch irgendwohin abzieht. Auf einem bunten Teppich sitzt eine verhutzelte Alte und sie starrt ins Feuer, so als könnte sie dort drinnen irgendwelche Geheimnisse erkennen.
»Ich grüße dich, Juana«, murmelt Johnny Mahoun sanft, »und wenn du etwas von deiner kostbaren Zeit an mich verschwenden würdest, dann wäre ich dir sehr dankbar.«
Nachdem er dies gesagt hatte, tritt er näher an die Alte heran und legt drei Beutel Durham-Tabak und eine Handvoll Zigarren neben sie auf die bunte Decke.
Der junge Indianer, welcher ihn hergebracht hat, zieht sich in den Hintergrund zurück.
Johnny Mahoun muss eine lange Zeit warten. Doch er tut es geduldig auf der anderen Seite des Feuers, hockt sich nach Cowboyart auf die Absätze.
Nach einer langen Zeit bewegt sich die alte Juana endlich und nimmt die Geschenke in die Hand. Mit einem Messer schneidet sie sachkundig eine der Zigarren an. Abbeißen könnte sie die Zigarrenspitze nämlich nicht. Ihr Mund ist zahnlos. Und deshalb sind auch ihre Worte nur schwer verständlich, als sie nuschelt: »Was willst du, weißer Mann?«
»Ach«, sagt Johnny Mahoun, »ich möchte von dir eines deiner wirksamen Pulver. Es soll die Verstopfung eines Ochsen lösen, muss also ziemlich stark sein. Bitte gib mir eine reichliche Portion davon, ja? Ich werde redlich dafür zahlen.«
Sie sieht ihn nicht an, starrt nur ins Feuer und pafft an der Zigarre, nebelt ihren Mumienkopf mit Rauch ein. Plötzlich stößt sie einen trockenen Husten aus – aber es ist kein Husten, sondern ein Lachen. Und dann sagt sie: »Es sind sieben Ochsen, und sie hocken dort an der alten Steinbrücke, die damals unsere Vorfahren als Sklaven für die spanischen Hidalgos bauen mussten. Ja, dort hocken sieben Ochsen. Und du möchtest, dass sie sich entleeren müssen, bis ihre Körper nur noch leere Hüllen sind. Du möchtest, dass der Frachtzug über die Brücke kann, nicht wahr? Ich will von diesem Frachtzug einen großen Sack Zucker.«
»Du wirst zwei bekommen, und ich werde sie dir persönlich bringen«, sagt er.
Sie nickt. Dann deutet sie auf einen von vielen Tonkrügen und sagt etwas, das für den Jungen im Hintergrund bestimmt ist. Der Junge bewegt sich eilfertig, tritt zu dem Krug und holt dort einen kleinen Beutel heraus, den er zu Johnny Mahoun bringt.
✰✰✰
Johnny Mahoun trifft im Morgengrauen beim Camp an der Steinbrücke des Lon Creek ein. Vier Gestalten liegen noch in den Decken, die Köpfe auf die Sättel gebettet. Ein fünfter Mann hockt am Feuer und ist dabei, dieses wieder anzufachen. Zwei Mann fehlen. Wahrscheinlich sind sie bei der Brücke, um diese zu bewachen.
Drüben auf der anderen Seite des Lon Creek erkennt man die Planen der Wagen im Morgengrauen, und nun werden auch dort die Feuer angefacht.
Der Mann im Camp starrt zu Johnny Mahoun empor, als dieser ans Feuer geritten kommt.
»Na, was willst du denn? He, bist du nicht der Spieler aus dem Silverlode Saloon?«
»Jetzt nicht mehr«, erwidert Johnny Mahoun. »Queensberry hat mir mein Geld abgenommen und jetzt bin ich ihm sogar noch etwas schuldig. Ich muss es hier gewissermaßen abarbeiten. Deshalb bin ich gekommen.« Seine Worte sind sehr doppelsinnig. Doch dies vermag der Mann am Feuer nicht zu unterscheiden.
Der Mann erhebt sich schnell aus der Hocke und sagt: »Aaah, der Boss schickt uns also Verstärkung. Das wurde auch mächtig Zeit. Aber wir brauchen noch mehr als nur einen Mann. Wenn die Frachtfahrer dort drüben – aaah, da fällt mir ein, dass die Neuen stets den Koch machen müssen. Na los, dann lass uns nicht zu lange warten. Ich lege mich noch ein wenig aufs Ohr.«
Der Mann entfernt sich wieder zu seinen Decken und dem Sattel, liegt bald darauf neben den vier anderen Gestalten und beginnt zu schnarchen.
Johnny Mahoun macht sich daran, Frühstück zu machen. Er kocht Kaffee, brät Pfannkuchen mit Speck und wärmt auch die Bohnen von gestern im Kessel auf. Und alles bestreut er kräftig mit dem grauen Pulver der alten Juana vom Pueblo. Er würzt sehr großzügig. Aus welchen Substanzen das Pulver besteht, weiß er nicht, sicherlich aber ist trockene und zu Pulver zerriebene Fuchsleber dabei.
Als er dann fertig ist, klatscht er in die Hände und ruft: »Na los, Jungs! Kommt und holt es euch! Die Sonne steht am Firmament! Zum Teufel mit jedem Reiter, welcher jetzt noch pennt!«
Eine ärgerliche Stimme fragt böse: »He, wer hat denn hier so ein großes Maul mitten in der Nacht?«
»Aaah, ich bin nur euer Koch«, erwidert Johnny Mahoun. »Und wenn ihr lieber schlafen als frühstücken wollt – na schön.«
Er hockt sich nieder und beginnt, den einzigen Pfannkuchen mit Speck zu vertilgen, welcher nicht mit dem Pulver gewürzt wurde.
Aber nun erheben sie sich doch alle, dabei mehr oder weniger fluchend und mürrisch, und kommen ans Feuer.
Sie mampfen alles schweigend in sich hinein, starren manchmal zur Brücke hin, so als hofften sie, dass etwas passieren möge.
Schließlich gehen dann zwei von ihnen aus dem Camp, um die bisherigen Brückenwächter abzulösen. Letztere kommen auch schon bald ins Camp. Sie starren Johnny Mahoun an, doch auch sie zweifeln nicht daran, dass er von Queensberry geschickt wurde, um sie zu verstärken. Offenbar hat man ihnen schon vor Tagen Verstärkung versprochen, vielleicht sogar Ablösung.
Indes kam die Sonne heraus, und bald schon werden die Nebel aufgefressen vom Sonnenlicht. Der Tag wird klar. Man kann nun über den Creek sehen und jede Einzelheit dort drüben im Wagencamp erkennen.
Zum ersten Mal sieht Johnny Mahoun den Frachtwagenzug von Esther Rudy. Er zählt ein Dutzend Wagen, und zu jedem dieser Wagen gehören sicherlich acht Maultiere.
Die Entfernung zum Wagencamp jenseits des Creeks beträgt kaum mehr als eine Viertelmeile. Johnny Mahoun kann nun auch Esther Rudy sehen. Sie steht mit einem älteren Mann an einem der Feuer und schlürft Kaffee aus einem Zinnbecher. Dabei blickt sie über den Creek. Wahrscheinlich kann sie Johnny Mahoun gut erkennen.
Er würde ihr über die Entfernung hinweg am liebsten zuwinken. Doch er lässt es bleiben. Was ihn jetzt nur noch interessiert, ist, wie lange das Pulver der alten Juana braucht, um zur Wirkung zu kommen.
Die Männer im Camp sind ohne jede Freundlichkeit – auch untereinander. Sie sind schon zu lange tatenlos beieinander.
Johnny Mahoun will es sich gemütlich machen. Doch einer der Männer, der hier offenbar der Anführer ist, sagt zu ihm: »He, Spieler, geh zur Brücke und löse dort Slim ab. Du bist doch wohl nicht hier, um als Neuer auf der faulen Haut zu liegen – oder?«
»O nein, Amigos«, erwidert Johnny Mahoun grinsend.
Er setzt sich in Bewegung, nimmt sein Gewehr mit, wie es auch die anderen Wachposten taten. Die beiden Kerle bei der Brücke sehen ihm entgegen. Er sieht den langen Mann an. »Wenn du Slim bist«, sagt er, »dann soll ich dich ablösen.«
»Das ist gut«, sagt jener Slim. »Denn ich bekomme solch ein merkwürdiges Gefühl in den Bauch. Es fängt richtig an zu beißen.«
»Na, du wirst doch wohl keinen Typhus bekommen«, ruft Johnny Mahoun deutlich erschrocken. »Wir haben nämlich in Silver City einige verdächtige Fälle, aus denen vielleicht Typhus werden könnte.«
Er betritt die Brücke und macht einige Schritte auf ihr, bis er sich über die Steinbrüstung lehnen und ins Wasser spucken kann. Er blickt zu den Frachtwagen hinüber, und als er erkennen kann, dass auch Esther Rudy nach ihm blickt, nimmt er seinen Hut ab und schwingt ihn.
Drüben sammeln sich die Frachtfahrer zu einer Gruppe. Sie spähen herüber. Esther Rudy spricht zu ihnen.
Johnny nimmt abermals seinen Hut ab und schwingt ihn auf gleiche Art wie schon zuvor.
Der Bursche, welcher hier bei ihm als zweiter Wächter ist, sagt ärgerlich: »Bist du vielleicht irgendwie beknackt? Stimmt was nicht in deinem Kopf? Warum machst du das eigentlich?«
Johnny Mahoun grinst ihn an.
»Sie ist ein verdammt schönes Mädchen, nicht wahr, Bruderherz? Und bei einem schönen Mädchen schwenke ich immer meinen Hut. Was ist daran beknackt?«
Aber der Mann schüttelt nur den Kopf und dreht sich dann eine Zigarette.
Johnny Mahoun setzt sich auf die Brückenmauer.
Der andere Mann hat nun seine Zigarette angezündet.
»He, was machen die denn da drüben?«, sagt er plötzlich. Er hat über den Creek geblickt und die Veränderung drüben im Wagencamp erkannt. »Die spannen ja ihre Wagen an und brechen ihr Camp ab. Wollen die vielleicht über die Brücke, obwohl sie wissen, dass sie dann gegen unsere Kugeln fahren?«
»Oder sie geben auf und verschwinden«, erwidert Johnny Mahoun.
Der Mann wiegt skeptisch seinen Kopf.
Johnny Mahoun blickt in Richtung des Camps der Queensberry-Reiter. Die sechs Mann dort lungern noch herum.
Mahoun verspürt eine gewisse Ungeduld, doch er ist fest überzeugt, dass Juanas Pulver bald wirken wird.
Er wendet den Blick und sieht hinüber auf die andere Seite. Dort im Wagencamp ist nun Bewegung. Sein Hutschwenken war für Esther Rudy das Zeichen. Das hatten sie so besprochen beim Essen im Restaurant gestern.
Sie lässt anspannen, um bereit zu sein. Sie vertraut also voll auf seinen Erfolg. Und bisher hat ja auch alles wunderbar geklappt, ganz und gar so, wie er es sich ausdachte.
Doch nun kommt alles auf die baldige Wirksamkeit des Pulvers an.
Seine Ungeduld wird immer stärker.
Aber als er den anderen Mann bei der Brücke wieder einmal forschend betrachtet, da erkennt er an ihm endlich jene Zeichen von innerer Unruhe, die schon bald zu größter Bedrängnis werden könnte.
Dem Mann schmeckt die erst halb aufgerauchte Zigarette nicht mehr. Er lässt sie zu Boden fallen und betastet mit beiden Händen seinen Leib.
Dann sieht er Johnny Mahoun vorsichtig an und fragt: »Was hast du da vorhin erzählt? In Silver City gibt es Verdacht auf Typhus?«
Johnny Mahoun nickt.
»Ja, viele Menschen dort haben Durchfall, Fieber, Benommenheit. Und so fängt eine Typhuserkrankung an. Das kommt von ...«
»Hör auf«, stöhnt der Mann und krümmt sich plötzlich wie unter einem Anfall von Bauchkrämpfen. »Verdammt, hör auf, so zu reden. Mich zerreißt es innen, ja, mich zerreißt es plötzlich!«
Johnny Mahoun blickt hoffnungsvoll zum Camp der Queensberry-Reiter hin. Und seine Hoffnung wird nicht enttäuscht. Auch dort im Camp herrscht nun Unruhe. Die sechs Männer krümmen sich auf die gleiche Art wie sein Wachpostenpartner hier bei der Brücke.
Johnny Mahoun denkt zufrieden: Das ist wirklich ein gutes Pulver. Oh, wenn man doch alle Streitigkeiten und Kriege der Welt auf diese Weise lösen könnte.
Der Mann neben ihm am Brückenanfang keucht nun böse: »Die haben uns mit dem Proviant, den sie uns aus der Stadt schickten, angesteckt mit dieser verdammten Seuche! Die sollen doch alle krepieren dort, die verdammten Hurensöhne!«
Die böse Wut des Mannes ist verständlich.