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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2548 bis 2550:
2548: Paradise City
2549: Sallys Mine
2550: Ruhelose Camps
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 474
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2021/2022 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Faba/Norma
ISBN: 978-3-7517-6531-2
https://www.bastei.de
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https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2548
Wyoming-Falke
G. F. Unger Western-Bestseller 2549
Arizona-Fehde
G. F. Unger Western-Bestseller 2550
Die bittere Stunde
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Contents
Wyoming-Falke
Es ist Mitternacht in Laramie, als Ty Jones sie zum ersten Mal sieht.
Ihre Stimme geht allen Zuhörern unter die Haut und ihre sparsamen Bewegungen auf der Bühne der Vergnügungshalle verraten ein kaum gebändigtes Feuer. Man sieht es ihr an und man glaubt es auch aus ihren Liedern heraushören zu können, dass sie ein Vollblutweib ist.
Ihr rotgoldfarbenes Haar leuchtet im Lampenschein. Und ihre Augen sind von einem unwahrscheinlichen Grün. Ja, sie ist etwas, wovon die vielen männlichen Zuhörer nur träumen können. Äußerlich jedenfalls entspricht sie den allerhöchsten Vorstellungen. Und sie schlägt die Burschen in ihren Bann, macht Betrunkene nüchtern und bringt Nüchterne dazu, sich zu betrinken. Sie singt von einsamen Männern, die auszogen, das Glück zu finden, und von treuen Frauen, die daheim auf sie warten.
Und immer wieder wird der Beifall erst dann leiser und wandelt sich zu atemloser Stille, wenn klar ist, dass sie noch eine Zugabe gewährt ...
Auch Ty Jones hat in einsamen Nächten schon von solch einer Frau geträumt. Er fragt sich, indes er wie alle anderen Gäste dem Klang ihrer dunklen, ein wenig herben und doch so melodischen Stimme lauscht, wie sie als Mensch ist, ob sie gut oder schlecht ist, schwach oder stark, dumm oder klug, glückhaft oder vom Pech verfolgt.
Ja, er würde sie gerne näher kennenlernen.
Doch er weiß, dass solche Frauen nicht für einen Burschen wie ihn bestimmt sind.
Er lehnt mit dem noch halb vollen Glas in einer und der halb aufgerauchten Zigarre in der anderen Hand an der Wand wie viele andere Gäste und Zuhörer, die keinen Platz mehr fanden in der Jackson's Hole Hall.
Und als sie dann ihr allerletztes Lied gesungen hat und zu keiner Zugabe mehr bereit ist, verlässt er bald darauf den Vergnügungs- und Tingeltangel-Laden.
Er glaubt nicht, dass er diese Ginger Lane – der Name steht auf den bunten Plakaten rechts und links des Eingangs – noch einmal wiedersehen wird.
Aber er wird sie wiedersehen.
Als er sich nach rechts dreht, prallt er mit einem Mann zusammen, welcher sofort ärgerlich knurrt, einen halben Schritt zurückweicht und ihm dann die Faust in die Magengegend hämmern will.
Doch im allerletzten Moment hält der schon ziemlich betrunkene Bursche inne und schaut überrascht.
»Oha, du bist das ja, Ty, du verdammter Pferdestehler! Komm mit, wir machen alle Fässer leer – auch die mit den toten Hunden. Ich zahle alles, auch die Honeybees! Das ganze Bienenhaus kaufe ich uns! Komm nur, alter Lederstrumpf. Ich bin reich! Junge, ich bin so reich an Gold wie ein Indianerhund an Flöhen ist. Na komm, komm schon! Oder sind wir nicht mehr dicke Freunde? Lass dir einen ausgeben vom großen Glückspilz Berni Hammer, ja?«
Der bullige Bursche umarmt ihn nun glücklich und brüllt ihm die Worte ins Ohr.
Dann ziehen sie beide davon. Denn sie sind alte Freunde und waren einige Male schon Jagdpartner langer Winter im Yellowstone-Land. Aus den Augen verloren sie sich vor zwei Jahren, als Berni Hammer ein Arapahoe-Mädchen heiratete und ein sogenannter Squawman wurde, der mehr bei den Indianern lebte als bei den Weißen.
Nun aber ist dieser Berni Hammer in Laramie und hat die Taschen voller Gold, gibt es aus mit vollen Händen.
Und es ist kein Goldstaub, nein, was Berni Hammer da immer wieder zum Vorschein bringt, ist pures Gold, losgebrochenes Adergold.
Und alle, die ihn kennen, werden in dieser Nacht von ihm freigehalten.
Als Ty Jones einmal zu ihm sagt: »He, Berni, willst du denn alles auf den Kopf hauen und dir nicht etwas für schlechte Zeiten zurücklegen?«, da lacht ihn Berni Hammer nur aus und erwidert stolz, so stolz und einfältig, wie nur ein Betrunkener sein kann: »Oh, du alter Pferdestehler, wo diese Brocken herkommen, ist noch mehr, noch sehr viel mehr. Denn ich habe das ›Goldene Vlies‹ * entdeckt. Hörst du, Bruderherz? Das Goldene Vlies!«
»Ich höre«, erwidert Ty Jones bitter. »Und ich bin erstaunt darüber, wie gebildet du bist. Und wo liegt denn dieses Goldene Vlies, he?«
Da lacht Berni Hammer trunken und wild.
»Dadadadas sage ich nininicht mal dir«, kichert er schließlich. »Denn du, du warst mimimit mir schon mal dort. Aberaberaber dadadamals waren wir beide so bliblablind wie Maulmaulwürfe, hahahahaha!«
Er will sich ausschütten vor Lachen.
Und Ty Jones macht sich immer größere Sorgen um ihn.
Denn er ist schon lange nicht mehr mit Berni Hammer allein. Sie ziehen nun einen ganzen »Rattenschwanz« von Burschen mit sich, wohin sie auch gehen. Berni Hammer kennt eine Menge Leute, und die meisten sind Wyoming-Satteltramps, Fallensteller und Scouts wie er. Auch Ty Jones kennt die meisten, denn auch er gehört ja irgendwie zu dieser Gilde.
Ty Jones ist davon überzeugt, dass Berni Hammer bald schon – wenn er nur noch etwas betrunkener ist – jedem Frager verraten wird, wo die Goldader liegt. Und weil er ein wirklicher Freund von Berni Hammer ist, möchte er das natürlich verhindern.
Deshalb wendet er das allerletzte Mittel an.
Er reicht Berni an der Bar des Silvertip Saloons eine halb volle Flasche Whisky und sagt: »Ich wette, dass du nicht mehr stehen kannst, wenn du die mit einem Zug leer getrunken hast. Hörst du, Berni, ich wette mit dir!«
Berni Hammer schwankt schon auf den Sohlen, und er muss sich mit der Hand am Schanktisch festhalten. Er starrt grinsend in die Runde.
»Habt ihr das gehört?« Er fragt es jetzt, ohne zu stottern. »Habt ihr das gehört, ihr Läuseknacker? Der will mich umfallen sehen. Doch ich vertrage noch einen ganzen Eimer voll Pumaspucke. Einen ganzen Eimer! Aaah, gib schon her! Aber wenn ich dann noch stehe, bist du an der Reihe. Oha!«
Er nimmt die Flasche, setzt sie an und beginnt zu schlucken. Denn er ist nun mal ein Bursche von jener Sorte, die sich in betrunkenem Zustand zu den unsinnigsten Dingen herausfordern oder animieren lässt.
Als er die Flasche geleert hat, grinst er stolz und zeigt sie in die Runde.
Dann stellt er sie noch auf den Schanktisch.
»Ich stehe noch«, sagt er ganz deutlich und klar. »Jetzt bist du an der Reihe, alter Pferdestehler. He, Jungs, wisst ihr eigentlich, warum ich ihn immer Pferdestehler nenne? Wir haben nämlich damals den Cheyennes von Red Wolf ...«
Weiter kommt er nicht.
Seine klare Sprechweise täuschte zuletzt alle über seinen Zustand.
Denn sein Arm und seine Hand, mit denen er sich am Schanktisch festhält und abstützt, zittern plötzlich.
Dann fällt er nach vorn – und in Ty Jones' Arme.
Ty Jones bückt sich mit einer raschen Bewegung unter ihn, lädt ihn sich auf und hat ihn über der Schulter liegen.
Einer der vielen Mitzecher sagt: »Der hat im Jackson's Hole Hotel das nobelste Zimmer. Wenn wir ihn richtig zu Bett bringen wollen, müssen wir ihn dorthin bringen, nicht wahr?«
Ty Jones setzt sich sofort in Bewegung. Und er verspürt eine grimmige Zufriedenheit. Er hat dafür gesorgt, dass Berni Hammer bewusstlos wurde und deshalb auch nicht mehr reden und sein Geheimnis verraten kann.
Niemand mehr kann Berni Hammer jetzt noch ausfragen.
Und am nächsten Tag – nun, dann wird er sicherlich wieder bei Verstand sein.
Aber eigentlich ist es ja jetzt schon fast wieder Tag. Es muss drei oder vier Stunden nach Mitternacht sein.
Berni wird sicherlich seinen gewaltigen Rausch erst in zehn oder zwölf Stunden überwunden haben.
Sie legen ihn also auf das Bett und ziehen ihm die Stiefel aus.
Einer der Männer, die mitgekommen sind, fragt misstrauisch: »Und du willst wohl jetzt bei ihm bleiben wie eine gute Mami, ja, Jones?«
Ty Jones grinst nur. Er drängt das ganze betrunkene Rudel aus dem Zimmer auf den Gang, und er weiß, dass sie sich alle und sie alle ihn belauern.
Er schließt die Tür von außen ab – und als sie dann alle auf den Schlüssel in seiner Hand starren, da bückt er sich und schleudert mit einer geschickten Bewegung seiner Finger den Schlüssel unter dem Türspalt hindurch in Berni Hammers Zimmer zurück.
»Irgendwann wird er ihn finden und von innen aufschließen«, sagt er, drängt sich durch die Gruppe und geht die Treppe hinunter.
Sie folgen ihm. Der Nachtportier hinter dem Anmeldepult betrachtet sie böse und missmutig. Denn sie stören seinen Schlaf.
Erst draußen sagt einer der Burschen: »He, Jones – Berni sagte, dass ihr schon mal gemeinsam dort gewesen wäret, wo er das Gold fand. He, Jones, wo war das wohl? Willst du uns das verraten? Oder möchtest du dich allein dorthin schleichen?«
Ty Jones schüttelt fast mitleidig den Kopf.
»Berni und ich«, sagt er, »waren mehrere Winter Jagdpartner im Yellowstone-Land, und wir jagten jedes Jahr in einem anderen Gebiet. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass die Indianer jeden Narren totschlagen, der den Bozeman-Weg verlässt. Berni aber war in den vergangenen Jahren ein Squawman. Er lebte bei den Indianern. Ich glaube nicht, dass wir dorthin gelangen können, wo er hergekommen ist. Schlagt euch das aus dem Kopf.«
Nach diesen Worten geht er davon. Und sie blicken ihm grimmig und bitter hinterdrein.
Einer sagt: »Man müsste ihm auf den Fersen bleiben, ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Dann ...«
Aber ein anderer Mann lacht verächtlich. »Oh, du heilige Einfalt! Shane, was bist du doch für ...«
»Keine Beleidigungen! Sonst bekommst du was aufs Maul!«
»Na schön, keine Beleidigungen, Shane. Aber ich glaube, du kennst Ty Jones nicht richtig. Wenn der nicht will, dass ihm jemand folgt, dann geht das auch nicht. Weißt du nicht, wie man ihn nennt? He, weißt du das nicht?«
»Wyoming-Falke – na und?« Jener Shane schnauft es.
Die anderen betrachten ihn fast mitleidig.
Dann gehen sie in verschiedenen Richtungen davon.
Und auch jener Shane gibt sich vorerst zufrieden. Er wird sich wieder an Berni Hammer hängen, wenn dieser seinen Rausch ausgeschlafen hat.
✰
Drei Tage später – nach einem langen Tagesritt – erreicht Ty Jones mit seinen beiden Packpferden die Post-Station bei den Medicine Springs.
Unterwegs dachte er mehrmals an seinen einstigen Jagdgefährten Berni Hammer, doch er sah ihn nicht mehr in Laramie.
Er dachte auch einige Male an die schöne Sängerin Ginger Lane, die er auf der Bühne im Jackson's Hole Saloon erlebte.
Aber dann verdrängte er alles im Verlaufe des langen Tagesrittes.
Er ist unterwegs zu seinem Jagdgebiet im Yellowstone-Land. Dort wird er bis zum kommenden Frühjahr wertvolle Pelztiere jagen – und er wird dort allein sein in dieser Welt.
Aber als er noch seine drei Tiere tränkt, sieht er die Postkutsche kommen.
Zuerst steigt dann jene Ginger Lane aus. Er erkennt sie sofort wieder, obwohl sie jetzt für eine solche Reise sehr praktisch gekleidet ist und nicht jenes wunderschöne grüne Seidenkleid trägt wie auf der Bühne der Jackson's Hole Hall.
Die Postkutsche bekommt ein neues Gespann.
Indes vertreten sich die Passagiere ein wenig die Beine. Einige, darunter eine andere Frau, gehen in die Gaststube der Station, wo es Kaffee und belegte Brote gibt.
Ginger Lane tritt zu Ty Jones an die von einer Mauer eingefasste Quelle.
Sie macht das Tuch nass und wäscht sich damit das Gesicht.
Dann blickt sie im roten Schein der Abendsonne auf Ty Jones und fragt: »Mister, sind Sie ein Trapper – ein Scout – ein Gebirgsläufer?«
»Zurzeit bin ich das, Ma'am«, erwidert er und greift an seinen alten Hut.
Sie deutet nach Norden zu dem Bozeman-Weg hinauf.
»Ist es wirklich so gefährlich, den Bozeman-Weg zu verlassen?«
Er nickt. »Ja, das ist gefährlich. Die Indianer haben Wind bekommen von dem bevorstehenden Bahnbau, der ihr Büffelland in zwei Teile trennen wird. Es gibt einen Friedensvertrag, der uns Weißen freien Durchgang durch das Indianerland nach den Goldfundgebieten von Montana garantiert. Aber wer den Bozeman-Weg verlässt, begibt sich in große Gefahr. Doch in dieser Postkutsche sind Sie einigermaßen sicher. Der große Indianerkrieg wird sicherlich erst im nächsten Jahr ausbrechen. Dann nämlich werden die Roten herausgefunden haben, dass man sie wieder einmal mit Verträgen eingelullt und hinterrücks betrogen hat.«
Ginger Lane nickt.
Dann sagt sie: »Aber Sie sind doch Trapper. Sie verlassen doch ganz gewiss diesen Weg und reiten durch das Indianerland. Fürchten Sie sich nicht?«
»Doch – etwas«, sagt er. »Aber mich erwischen die Roten nicht so leicht. Überdies kenne ich viele ihrer maßgebenden Anführer. Es gab mal eine Zeit, da gehörte Fort Laramie noch nicht der Armee, sondern weißen Händlern. Und in dieser Zeit lebten die Roten und Weißen hier friedlich beieinander und trieben Handel. Mein Vater war solch ein Händler. Mich töten sie hier in diesem Land aus den verschiedensten Gründen nicht so schnell wie jeden anderen Weißen, der die Verträge verletzt.«
Sie nickt ernst, betrachtet ihn sehr sorgfältig. Er spürt ihre Ausstrahlung, und er weiß, dass sie eine erfahrene Frau ist, eine Abenteurerin und Glücksjägerin.
Ihr Instinkt tastet an ihm, versucht in ihn einzudringen.
»Ich habe Sie auf der Bühne gesehen und singen gehört«, murmelt er. »Sie sind eine sehr reizvolle Frau, Ginger Lane. Was wollen Sie im Norden? Halt, ich frage Sie das, um Ihnen vielleicht einen guten Rat geben zu können. Ich will nicht aufdringlich sein.«
Aber sie lächelt. »Ach«, sagt sie, »da Sie wissen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene, werden Sie auch verstehen, dass ich gerne dorthin möchte, wo man an Sangeskunst keine großen Ansprüche stellt und dennoch gute Gagen zahlt. Und im Goldland von Montana soll der Dollar leichter rollen, wird der Goldstaub leichter ausgegeben. Es ist reiner Geschäftssinn, Mister. Wie ist Ihr Name?«
»Ty Jones«, sagt er. »Und ich wünsche Ihnen Glück. Wahrscheinlich werde ich von Ihnen träumen in meinem einsamen Camp. Sie sind sehr schön, Ginger Lane, eigentlich zu schön für das raue Goldland dort im Norden. Nur die ganz Harten überwintern dort.«
Sie nickt. »Das glaube ich«, erwidert sie. »Und ich gehöre wahrscheinlich auch zu dieser Sorte.«
Sie betrachtet ihn noch einmal mit einem nachdenklichen und zugleich forschenden Blick und wendet sich dann ab, weil der Fahrer ruft: »Leute, es geht weiter, denn die Nacht wird mondhell und sternenklar. Steigt in die Kutsche, Leute! Ich fahre gleich los!«
Wenig später blickt Ty Jones der Kutsche nach, lauscht auf den allmählich verklingenden Lärm, den sie in der sonst so stillen Nacht macht – auf den leiser werdenden Hufschlag, das Knallen der Peitsche, das Rufen des Fahrers und das Knarren der Ledergehänge.
Der Stationsmann und dessen Gehilfe bringen nun das ausgeschirrte Gespann zu den Corrals. Der Stationsmann sagt zu Ty Jones, den er gut kennt: »Ob die durchkommen, ist noch längst nicht sicher. Und vielleicht haue ich hier bald ab mit meiner Familie. Ich hab noch ein paar Freunde unter den Roten, die werden mich warnen. Es ist irgendein Mist am Stinken. Die Roten werden sich langsam darüber klar, was der bevorstehende Bahnbau für sie an Nachteilen bringen wird. Wahrscheinlich wird es bald wieder Friedensgespräche geben. Und wenn die Roten dann merken, dass man sie einmal mehr reingelegt hat, werden sie verrückt werden wie Hornissenschwärme, in deren Nestern man mit Stöcken stochert. Diese Rothaarige war schön, nicht wahr? Aber die andere Frau, welche in die Gaststube kam, stand ihr nicht viel nach, nicht wahr?«
»Ich habe diese zweite Frau nicht richtig gesehen«, erwidert Ty Jones und fügt hinzu: »Ich ruhe mich ein paar Stunden bei dir aus, Rosco. Dann reite ich weiter.«
✰
Die Sonne scheint noch, als er nach etwa fünfundzwanzig Meilen die nächste Relaisstation der Post- und Frachtlinie erreicht. Unterwegs hat er mehrmals an die schöne Ginger Lane denken müssen, aber einmal hat er amüsiert gelacht – so sehr, dass seine Pferde schnaubten –, als er sich vorstellte, dass er eine Frau wie Ginger Lane mit in die Einsamkeit nehmen würde und sie dort nicht viel anders als eine Squaw leben müsste.
Als er mit seinen Pferden um die Scheune biegt, da sieht er die Kutsche.
Ja, sie steht dort vor dem Stationshaus. Warum?, denkt er.
Und auch Ginger Lane sieht er wieder, dazu noch die anderen Passagiere.
Es sind noch fünf – und einer dieser Passagiere ist ebenfalls eine Frau. Nun sieht er sie richtig, und er denkt an Roscos Worte. Ja, auch diese zweite Frau ist von besonderer Art.
Ihr blondes Haar leuchtet wie reifer Weizen. Sie hat es hinter dem Nacken mit einem Samtband zusammengebunden. Obwohl sie blond ist, gehört sie zu den stets gebräunt wirkenden Typen, und ihre Augen sind schwarz.
Indes er seine Pferde verhält, denkt er bei sich: Heiliger Rauch, die hat blonde Haare, ist fast so dunkel wie eine Indianerin und hat auch noch schwarze Augen. Was für eine Mischung!
Als er mit seinen Gedanken so weit ist, sieht er sich nach dem Stationsmann, dem Fahrer der Kutsche und dessen Begleitmann um. Aber er sieht keinen der Männer. Und überdies sind außer zwei müden Kutschpferden keine anderen Tiere zu sehen. Die Corrals sind leer.
»Was ist passiert?« So fragt er, denn ihm ist klar, dass etwas passiert sein muss.
Einer der vier männlichen Fahrgäste, der neben der Tür an der Hauswand lehnt und an einem Stück Holz schnitzt, sagt lässig: »Pferdediebe. Sie waren mit allen Tieren noch gar nicht lange fort. Der Stationsmann, der Fahrer, der Begleitmann und einer von uns Passagieren nahmen auf den ausgespannten Kutschpferden die Verfolgung auf. Der Stationsmann war allein hier. Seine indianische Frau ist ihm mit den Kindern fortgelaufen. Er sagte, das wäre kein gutes Zeichen. Wir warten hier schon ein paar Stunden.«
Ty Jones nickt. Er lässt die Leinenenden der beiden Packtiere einfach fallen. Dann blickt er noch einmal in alle Gesichter, und ganz besonders interessiert er sich für die vier Männer unter den sechs Passagieren.
Er fragt sich, warum nicht noch wenigstens zwei mitgeritten sind. Denn es sind ja noch zwei Kutschpferde vorhanden.
Mann für Mann betrachtet er die vier Fahrgäste.
Jenen, der am Holz herumschnitzt, hält er sofort für einen Townwolf, einen Spieler und Revolverhelden also.
Der zweite Mann mag früher vielleicht einmal Preiskämpfer gewesen sein. Die Narben in seinem Gesicht und die Blumenkohlohren verraten das. Und gerade an diesen Mann kann er sich gut erinnern. Er hat ihn, Berni Hammer und das ganze Rudel von Berni Hammers Schmarotzern in einer Bar bedient. Er hat Berni auch ein halbes Pfund Gold gegen Dollars eingetauscht und mitgetrunken, wenn Berni einen ausgab.
Jetzt ist dieser Barkeeper unterwegs ins Goldland.
Ty Jones sieht nach den beiden anderen Männern.
Und er sieht die gleiche Sorte. Auch diese beiden hält er für Townwölfe, also für Burschen aus den Saloons, Spieler, Revolverhelden.
Einer von ihnen lässt ihn an einen sandfarbenen Wolf denken – der andere Bursche ist sehr ansehnlich, blond, scharfgesichtig. Aber er ist zu dandyhaft gekleidet, zu nobel. Und er trägt zwei Revolver in den Schulterholstern unter der offenen Jacke. Seine Weste ist mit Brokat bestickt. An seinen keinen Fingern blitzen Brillantringe.
Zuletzt blickt er auf die beiden Frauen.
Und da fällt ihm sofort der Unterschied auf.
Die blonde Schöne, deren Namen er noch nicht kennt, wirkt sehr unruhig, nervös. Ihr Blick weicht seinem aus. Jene Ginger Lane aber wirkt beherrscht, so als hätte sie mehr Format als die Blondine.
Er will anreiten, doch da fragt ihn der Mann, welcher immer noch am Holzstück herumschnippelt: »Wohin, Lederstrumpf – wohin?«
Ty Jones' Augen werden schmal, denn in der Stimme des Mannes ist ein Ton, der ihm nicht gefällt. Aber er beherrscht sich und sagt ruhig: »Nun, ich reite ihnen nach. Vielleicht kann ich ihnen ein wenig behilflich sein, wenn sie irgendwo dort in den Hügeln die Fährte verlieren sollten.«
Aber der Mann an der Hauswand schüttelt den Kopf.
»Die brauchen keine Hilfe, Lederstrumpf. Denn da kommt Haggerty schon mit den Pferden zurück. Na, ist das nicht schön?«
In seiner Stimme ist zuletzt ein höhnender Klang.
Ty Jones ist plötzlich wie von einem jähen Schrei alarmiert. Er duckt sich lauernd im Sattel – aber er erkennt, dass er keine Chance hätte. Denn die vier männlichen Passagiere der Kutsche lauern ebenfalls. Sie sind bereit zu schnellen Reflexen.
Er glaubt jetzt, dass sie alle zusammengehören – und dass sie allesamt Revolverschwinger sind, vielleicht sogar Banditen.
Oh, er traut sich zu, zwei von ihnen mit auf die Reise ins Jenseits zu nehmen. Doch auch er würde dann tot sein.
Und so hält er es für besser, erst einmal zu warten und mehr herauszufinden.
Er sieht dann dem Reiter entgegen, welcher auf einem der Kutschpferde reitet und die drei anderen Tiere treibt. Dabei fällt ihm sofort auf, dass der Mann in einem Armeesattel sitzt, während die drei anderen Tiere Packsättel tragen.
Ty Jones' Gedanken beginnen sich sofort mit der doch recht merkwürdigen Tatsache zu beschäftigen.
Denn es ist ja wohl recht merkwürdig und unglaubhaft, dass der Fahrer der Postkutsche, sein Begleitmann und der Stationsmann auf Packsätteln hinter den Pferdedieben her geritten sein sollen.
Und überhaupt: Wo sind sie jetzt? Warum kommt dieser dunkle Bursche, den einer der vier Männer Haggerty nannte, allein mit den Pferden zurück?
In Ty Jones ist alles alarmiert.
Haggerty wirft einen langen Blick auf Ty Jones.
Dann fragt er zu Ginger Lane gewandt: »Ist er das?«
Sie nickt nur und befeuchtet dann mit der Zunge ihre Lippen.
Ty Jones betrachtet den Mann, und er weiß schon nach drei Sekunden, dass dieser Haggerty der gefährlichste Bursche von ihnen ist, wahrscheinlich der Anführer.
An Haggerty ist alles dunkel – auch die Augen – und auch die Kleidung. Es gibt nichts Helles an ihm. Seine Wangen schimmern gewiss auch nach einer sorgfältigen Rasur bläulich.
»Hallo«, sagt er zu Ty Jones. »Da hast du wohl eine Menge nachzudenken, Freund, nicht wahr? Da hast du wohl schon gewittert, dass hier etwas krummer ist als ein Hundebein – oder?«
Ty Jones nickt.
»Was ist mit den drei Männern, die mit dir geritten sein sollen, Freund? Auf Packsätteln geritten, oha! Was ist mit ihnen?«
Nun grinsen sie alle fünf, und nun zeigen sie ganz deutlich, wie sehr sie zusammengehören. Wahrscheinlich gehört auch Ginger Lane zu ihnen. Nur die blonde Frau, deren Unruhe und Furcht nun erklärlich ist, gehört nicht zu ihnen.
So weit ist für Ty Jones schon mal alles klar.
Aber eine ganze Menge weiß er noch nicht.
Haggerty deutet mit dem Daumen über seine Schulter in Richtung Hügel, aus denen er mit den Pferden kam.
»Es ist alles ganz einfach«, sagt er. »Die Pferde der Post- und Frachtlinie wurden wirklich von indianischen Pferdedieben gestohlen. Diese töteten auch den Gehilfen des Stationsmannes und entführten seine indianische Frau. Ihn ließen sie für tot liegen, aber er lebte noch lange genug, um uns alles erklären zu können. Die jungen und ehrgeizigen Krieger einiger Stämme spielen verrückt und wollen jetzt schon Krieg machen. Sie hören nicht mehr auf die alten Häuptlinge, die erst noch abwarten wollen. Nun, unser Fahrer und dessen Begleitmann wollten umkehren, also zurück nach Laramie. Doch das wollten wir nicht. Wir haben dann mit unseren Colts abgestimmt. Der Fahrer und dessen Begleitmann haben verloren. Ich habe mit diesen Pferden die Toten weggebracht und dort in den Hügeln verschwinden lassen. Ist so weit alles klar und verständlich, Bruder?«
Ty Jones nickt. Aber als er dann fragt: »Und warum wollt ihr nicht umkehren und zurück nach Laramie?«, da beweist er, wie sehr er das Problem begriffen hat. In seinen Gedanken beginnt sich die Sache mosaikartig zusammenzusetzen.
Haggerty sitzt immer noch wie Ty Jones im Sattel, und er grinst.
Er deutet auf den Mann an der Hauswand, der jetzt nicht mehr am Holzstück herumschnitzt.
»Kennst du ihn wieder, Lederstrumpf?«
Ty Jones nickt. »Der war Barmann im Silvertip Saloon. Der bediente uns, als Berni Hammer schon fast nicht mehr wusste, ob er ein Männchen oder ein Weibchen war. Der hat Berni auch Gold in Dollars umgewechselt.«
»Richtig«, nickt Haggerty. »Und dann hat er uns Bescheid gesagt. Wir haben den guten Berni noch in derselben Nacht aus dem Hotelzimmer geholt und über die Außentreppe dorthin gebracht, wo wir mit ihm ungestört waren. Oha, er war wirklich eine harte Nuss. Er war nicht so leicht zum Reden zu bringen. Aber dann hatten wir ihn doch so weit. Und so erzählte er uns sogar von seiner Goldader und verriet uns seinen Trick mit der Bratpfanne.«
Er macht eine Pause und eine Handbewegung zu einem der Männer.
»He, Jago, zeig ihm die Bratpfanne, das gute alte Stück. Zeig es ihm! Und damit es sich der Lederstrumpf in aller Ruhe ansehen kann, werden wir zwei jetzt absitzen und uns dort auf die Bank an der Hauswand setzen. Na?«
Ty Jones blickt noch einmal in die Runde. Doch sie haben ihn eingekreist. Sie sind fünf üble Killer, die hier schon getötet und dann ihre Opfer fortgeschafft haben. Er hat vorerst keine Chance.
Und so sitzt er langsam ab.
Als er von seinem Pferd wegtritt, haben zwei von ihnen schussbereite Colts in den Händen, und ein Dritter tritt zu ihm und holt sich seinen Revolver und das schwere Green-River-Messer. Dann darf er sich auf die Bank setzen. Haggerty nimmt neben ihm Platz.
Und einer der Männer reicht ihm eine alte Bratpfanne.
Ja, es ist Berni Hammers alte Pfanne. Ty Jones erkennt sie wieder.
Als er sie umdreht und ihren Boden betrachtet, da sieht er es.
Berni hat etwas eingekratzt. Es sind Landmarken eines bestimmten Gebietes. Und zwei Linien, die von diesen Markzeichen ausgehen, kreuzen sich.
Ty Jones kennt diese Zeichen. Es sind bestimmte Berg- und Felsspitzen. Ja, er erinnert sich wieder an Berni Hammers Worte, als dieser ihm sagte, dass sie dort, wo er später die Goldader fand, schon einmal gejagt hätten und blind gewesen wären wie Maulwürfe.
Die fünf Männer beobachten ihn scharf und gierig.
Und auch Ginger Lane, welche näher kam, hat funkelnde Augen.
Nur die blonde Frau bewegt sich nicht. Sie gehört offensichtlich nicht dazu und fürchtet sich.
Haggerty fragt scharf: »Na, was ist?«
Ty Jones' Verstand arbeitet schnell. Er weiß, dass er nur am Leben bleiben wird, wenn sich diese fünf Mörder Hoffnungen machen können auf das Gold.
Wenn er jetzt den Kopf schüttelt und ihnen sagt, dass er mit der in die Bratpfanne eingeritzten Zeichnung nichts anzufangen weiß, dann werden sie ihn erst mal rau hernehmen, um vielleicht seine Einstellung zu ändern. Und wenn sie zu der Auffassung kommen sollten, dass er ihnen wirklich nicht helfen kann, dann ist er tot.
Und so nickt er. »Ja, das ist ein kleines Tal im Yellowstone-Land. Berni und ich, wir haben dort schon mal gejagt. Aber damals fanden wir die Goldader nicht. Berni muss später noch mal dorthin geritten sein. Er war mit einer Indianerin verheiratet. Ja, richtig verheiratet nach Indianerbrauch. Er war damit ein Arapahoe geworden. Nun, ich habe wohl nur eine Chance, wenn ich euch zu diesem Ort führe, nicht wahr?«
Er blickt sich nach dieser Frage um.
Sie nicken alle – auch Ginger Lane. Er deutet auf die Blonde.
»Und was ist mit ihr?«
»Die hatte das Pech, zufällig mit in der Kutsche zu sitzen«, sagt Haggerty neben ihm hart. »Und wir überlegen noch, ob wir sie mitnehmen sollen oder nicht. Denn sie könnte uns hinderlich sein, nicht wahr? Es wäre für sie auch kein Pferd da, wenn wir die Kutsche zurücklassen müssen und ...«
»Doch, eines meiner Packpferde könnte sie reiten. Wenn ich euch führen soll, dann hätte ich einige Bedingungen. Und die erste Bedingung ist, dass ihr dieses Mädchen nicht umbringt. Wir nehmen sie mit. Und sie wird sich schon nützlich machen können. Also?«
Sie nicken.
Und nun sieht man ihnen an und spürt es auch, dass sie von hier wegkommen wollen.
Ty Jones fragt noch: »Ihr habt auf mich gewartet?«
Haggerty nickt. Er deutet auf Ginger Lane.
»Sie gehört zu mir«, erwidert er. »Und sie hatte eine Unterhaltung mit dir. Harry hat dich auch als den Mann wiedererkannt, der mit Berni Hammer zu ihm an die Bar kam. Uns wurde klar, dass wir dich brauchen könnten. Es war geradezu schicksalhaft, dass wir dich bei der letzten Station trafen. Kannst du diese sechsspännige Kutsche fahren?«
Ty Jones nickt.
»Von euch Townwölfen kann das wohl keiner«, sagt er. »Ihr werdet in den nächsten Wochen noch eine Menge lernen müssen.«
»Sicher.« Haggerty grinst. »Doch wir haben ja einen guten Lehrer.«
✰
Sie bleiben auf dem Wagenweg, denn dies ist die schnellste Art, um über die Laramie-Prärie nach Norden zu kommen.
Zu ihrer Linken zieht sich die Medicine-Bow-Kette im leichten Bogen von Süd nach Nord. Zur Rechten wird die Laramie-Prärie von den Laramie Mountains begrenzt.
Und im Norden vor ihnen, da gibt es zwischen den Black Mountains und den Sweetwater Mountains einen »Durchbruch« zum Powder River Land und den Rattlesnake Mountains. Es ist dies alles Ty Jones' Heimat, sein großes, weites Jagdgebiet.
Als sie nach dreißig Meilen die nächste Relaisstation erreichen, macht er keinen Fehler. Er weiß zu gut, dass die fünf Revolverschwinger ein Blutbad anrichten würden, sollte er auch nur den Versuch machen, seine Situation wahrheitsgemäß zu erklären.
Denn der Stationsmann und dessen Gehilfe wollen natürlich wissen, warum die Kutsche mit so großer Verspätung eintrifft und warum Ty Jones der Fahrer ist.
Ty Jones sagt bitter: »Nun, Bob Gifford, indianische Pferdediebe haben alles niedergemacht. Der Fahrer und dessen Begleitmann sind ihnen gefolgt – aber sie ritten in einen Hinterhalt. Ich kam später hinzu. Ich war unterwegs zu meinem Jagdgebiet. Und nun fahre ich erst mal die Kutsche. Ich konnte doch die beiden Ladys nicht im Stich lassen. Auch ihr seid hier nicht mehr sicher. An eurer Stelle würde ich hier abhauen.«
»Und warum kehrt ihr dann nicht um?« Der Stationsmann fragt es etwas verstört.
Aber jener Haggerty, der neben Ty Jones auf dem hohen Bock saß und nun am Boden neben ihm steht, sagt: »Weil wir ins Goldland wollen und uns von ein paar Roten nicht davon abhalten lassen. Wäre Ty Jones nicht zufällig gekommen, wären wir auch ohne ihn weiter nach Norden gefahren.«
Der Stationsmann sagt nichts zu Jesse Haggertys Worten, aber er blickt Ty Jones an.
Ty Jones bekommt plötzlich Angst um die Leute dieser Station.
Er weiß zu gut, was diese Mordbanditen mit dem Fahrer und dessen Begleitmann machten, als diese nach Laramie zurückfahren wollten.
Und so sagt er schnell: »Aaah, Bob, ich bringe diese Kutsche schon durch. Du weißt ja, ich kenne die Indianer, bin seit meiner Jugend mit den meisten der maßgeblichen Häuptlinge befreundet. Wir kommen schon durch nach Norden. Aber ihr solltet nach Laramie zurück. Die roten Pferdediebe kommen vielleicht auch bald zu euch, sobald sie ihren Raub in Sicherheit gebracht haben. Haut ab hier.«
Er spricht die letzten Worte hart.
Und dann gibt es nicht viel mehr zu sagen.
Sie bekommen ein neues Gespann, frischen Kaffee und ein paar belegte Brote.
Als Ty Jones wieder auf den hohen Fahrersitz klettert, fährt er sofort los. Denn er spürt, dass Bob Gifford immer misstrauischer wird und bald eine Frage stellen könnte, die ihn das Leben kosten würde.
Als sie weit genug sind, blickt Haggerty über die Schulter noch einmal zurück und sagt dann zu Ty Jones: »Wenn du noch eine einzige Minute geblieben wärest, hätte auch dieser Hammel gewiss was gemerkt. Bruder, du hast ihm und seinen Leuten das Leben gerettet. Ja, das hast du. Wir hätten nicht gerne geschossen. Bestimmt nicht. Denn nur so zum Spaß tötet keiner von uns. Doch ...«
Er bricht ab, macht nur eine vielsagende Handbewegung.
Ty Jones schweigt.
Er fährt das neue Sechsergespann nicht besonders schnell, lässt nur manchmal traben.
Sie fahren noch etwa fünfzehn Meilen. Dann treffen sie auf einige Reiter. Und diese Reiter sind Indianer.
Jesse Haggerty auf dem Bock neben Ty Jones ruft sofort zur Seite nieder in die Kutsche hinein: »Hoiii, Jungs, da sind ein paar Rote auf dem Weg! Wenn wir sie wegputzen müssen, dann macht es richtig!«
Ty Jones macht sich indes bereits eine Menge Sorgen.
Gewiss, sie gaben ihm seinen Colt zurück. Er trägt ihn im Holster wie immer. Doch die Waffe ist nicht geladen. Sie ließen sie ihm nur zum Schein.
Jetzt hätte er gerne eine geladene Waffe, aber er weiß, dass sie ihm auch jetzt keine geben würden.
Und so sagt er trocken und hart zur Seite: »Ich kenne den Anführer dieser Indianer. Lass mich nur reden, dann braucht ihr auch nicht zu schießen. Also haltet euch zurück.«
»Das wird sich finden«, knurrt Jesse Haggerty.
Ty Jones hält nun die Kutsche an. Es sind acht Indianer, die den Weg versperren. Und ein Blick auf ihre Pferde verrät alles. Die Tiere tragen nämlich das Brandzeichen der Post- und Frachtlinie.
Es handelt sich bei diesen Indianern also um die Pferdediebe, welche die vorletzte Relaisstation heimsuchten.
Ty Jones hält den Bremsbalken mit dem Fuß fest und behält auch die sechs Zügel in den Händen.
Er nickt dem Anführer der Indianer zu und sagt ruhig in ihrer Sprache: »Hokahey, ich sehe dich, Redhorn. Die Jahre vergehen schnell. Weißt du noch, wie wir im Laramie Creek das Schwimmen lernten als Knaben?«
Seine Frage ist eine kleine Tücke. Denn er erinnert ihn damit zugleich daran, dass Redhorn damals ertrunken wäre, hätte er ihn nicht aus dem tiefen Loch geholt, in dem sich bei Hochwasser die Strudel drehten.
Redhorns Augen werden auch sofort noch schmaler, als sie es ohnehin schon sind, ein Zeichen dafür, wie sehr er sich erinnert und die Anspielung versteht.
Aber dann grinst Redhorn mit seinem breiten Mund von einem Ohr zum anderen.
Und er hebt beide Hände und zeigt friedlich seine Handflächen.
»Hokahey, Wyoming Falcon«, sagt er in recht gutem Englisch. »Was willst du mit diesen Wasicuns in unserem Land, Wyoming Falcon? Warum fährst du sie den Bozeman-Weg hinauf? Sind nicht schon genug von ihnen dort im Norden? Fühlst du dich denn wohl in diesem Land, wenn es immer mehr werden?«
Es ist eine doppelbödige Frage, denn ein Mann wie Ty Jones, der hier geboren wurde und dem dieses Land die Heimat ist, der müsste eigentlich so denken wie ein Indianer.
Und nach allem, was er von seiner Rasse weiß, kann er über das Nahen der sogenannten Zivilisation nicht glücklich sein.
Was also soll er sagen?
Er zuckt mit den Schultern.
Und weil er nichts zu sagen weiß als Antwort, hebt er die Zügel, so als wollte er wieder anfahren, und spricht dabei wie entschuldigend: »Also, Redhorn, ich fahre jetzt weiter den Bozeman-Weg hinauf. Ich wünsche dir Gesundheit, ein langes Leben und viele Söhne. Es war erfreulich, dich wiederzusehen.«
Er will also anfahren.
Doch da gibt Redhorn seinen Kriegern ein unmissverständliches Zeichen.
Und diese sieben Krieger legen ihre Waffen an.
Oh, sie sind gut bewaffnet. Alle besitzen sie Gewehre.
Redhorn will nun sagen, dass Wyoming Falcon mit seiner Kutsche umkehren möge. Und er will ihm auch sagen, dass er ihn mit seinen Fahrgästen ausnahmsweise davonkommen lässt ihrer alten Knabenfreundschaft zuliebe – doch dann bricht die Hölle los.
Denn Jesse Haggerty und dessen vier Killer lassen sich nicht von einem kleinen Rudel Oglala-Sioux aufhalten.
Haggerty springt blitzschnell vom Bock der Kutsche, und noch bevor er am Boden landet, beginnt er schon zu schießen.
Auch Ty Jones wirft sich vom hohen Bock in das Büffelgras neben den Radfurchen des Weges. Er entgeht dadurch zwei Kugeln, denn er ist so schnell wie ein Wildkater auf Mäusefang.
Überall fliegen nun die Kugeln. Denn Haggertys Partner springen zu beiden Seiten aus der Kutsche. Sie tun das schießend. Ja, sie sind Revolverschwinger, richtige Townwölfe, die sich in jedem Saloon und jeder Town behaupten konnten.
Die Indianer sind ihnen nicht gewachsen.
Redhorn stirbt zuerst. Drei seiner Krieger fallen wie er von den Pferden.
Von den vier anderen, welche entkommen können, werden drei ziemlich böse verwundet. Nur einer bleibt unverletzt.
Dann ist es vorbei.
Eines der Pferde des Sechsergespanns fällt auf die Knie. Es wurde von einer Kugel getroffen.
Und von den fünf Revolvermännern ist nur Keith Stone leicht am linken Oberarm verletzt.
Die beiden Frauen in der Kutsche lagen auf dem Wagenboden. Sie hörten nur Kugeln durch das Holz pfeifen. Eine blieb im Lederpolster stecken.
Und zehn Minuten später fährt die Kutsche weiter.
Hinten sind nun zwei weitere Reservepferde zu den anderen drei Tieren angebunden. Eines der erbeuteten Tiere wurde gegen das verletzte Gespannpferd ausgetauscht.
Als sie zwei Meilen gefahren sind, sagt Ty Jones zu Haggerty: »Nun gut, ihr seid also fünf harte Nummern, wenn es darum geht, mit den Colts die Hölle loszulassen. Haggerty, erzähl mir was über dich und deine Partner. Halt! Das ist keine Neugierde! Ich muss wissen, was ich euch zumuten kann – und was hoffnungslos wäre. Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Was habt ihr in den letzten Jahren gemacht? Könnt ihr alle überhaupt richtig reiten und endlose Meilen durch raues Land im Sattel bleiben? Haggerty, ich muss das alles wissen, wenn ich euch möglichst vollzählig ans Ziel bringen will. Na?«
Haggerty überlegt eine Weile.
Dann murmelt er: »Wir kamen vom Big Muddy herüber, und vorher arbeiteten wir am Mississippi. Das war im vergangenen Jahr kurz nach dem Krieg. Du wirst wohl schon erkannt haben, dass unser Jago Mig ein ehemaliger Preiskämpfer ist. Doch er war nie ein besonders guter, eigentlich nur mäßiger Durchschnitt. Von seiner Sorte gab es viele. Wer auf diese Sorte wettete, verlor zumeist sein Geld. Aber wenn er mal gewann, dann – oha, dann gab es manchmal hundert für einen Dollar oder noch mehr. Wir ließen ihn stets den ersten Kampf verlieren. Aber den zweiten gewann er dann immer, weil wir seinen jeweiligen Gegnern begreiflich machten, dass sie ihn entweder gewinnen lassen müssten oder bald sterben würden. Wir machten gute Wettgeschäfte. Natürlich gab es immer wieder Interessengruppen, die lieber ihren Mann als Sieger sehen wollten. Wir hatten überall Verdruss. Aber in diesem Sommer konnte Jago Mig nicht mehr kämpfen. Sein Mittelhandknochen brach schon bei einem leichten Schlag. Seine Siege wirkten immer unglaubwürdiger – und überdies bekamen wir die Macht des Trustes zu spüren. Weißt du, was ich meine, wenn ich Trust sage?«
Ty Jones grinst.
»Ein Trust«, sagt er, »ist eine Art Verein, der nichts neben sich duldet und ein Monopol ausübt.«
»Richtig«, grinst Haggerty. »So dumm bist du also nicht, Lederstrumpf. Und dieser Trust beherrscht mehr und mehr jede geschäftliche Tätigkeit auf den Strömen, angefangen von den Frachtpreisen bis – nun, bis zu dem Gewinn an Preiskämpfen. Wir bekamen Ärger, weil wir nichts abgeben wollten. Und so jagten sie uns ins Landesinnere. Wir fassten in Laramie Fuß, um auf den bevorstehenden Bahnbau zu warten. Wir verteilten uns in der Stadt. Deshalb wurde Jago Mig Barkeeper. Wir wollten auch einen Trust bilden, denn wir hatten ja hinzugelernt. Und unsere Ginger betörte die Kerle und machte sich zur Königin. Nun, dann kam dieser Berni Hammer mit seinem Gold. Und jetzt wollen wir es haben. Das ist schon alles, was du über uns wissen solltest. Wir sind harte Nummern. Wir können kämpfen. Ja, auch reiten können wir. Aber wir sind keine Lederstrümpfe. Es ist ein Glück, dass wir dich haben.«
Er verstummt mit einem teils höhnenden und teils erbarmungslosen Beiklang in der Stimme.
Und er fügt nach einigen Atemzügen hinzu: »Eigentlich ist es ganz gut, dass wir diesen blonden Engel mitgenommen haben. Sue Sheridan heißt die Biene. Weißt du, was mit ihr passiert, wenn du dich in einer finsteren Nacht in einem finsteren Camp auf die Socken machen solltest?«
In seiner fragenden Stimme ist ein böses Knirschen.
Ty Jones weiß jetzt schon ziemlich sicher, dass er diesen Haggerty wird töten müssen. Wahrscheinlich wird er sie alle töten müssen, wenn er mit dieser Sue Sheridan davonkommen will.
Er sagt Meile um Meile kein Wort mehr.
Dann aber, als der Boden sehr felsig wird, lenkt er die Postkutsche vom Wagenweg herunter in westlicher Richtung.
Haggerty fragt sofort misstrauisch: »Jetzt schon? Kämen wir auf dem Wagenweg nicht schneller vorwärts? Oder liegt das Gold dort im Westen?«
Ty Jones lacht grimmig.
»Oha«, sagt er, »bis wir Berni Hammers Goldader erreichen – wenn sie dort liegt, wo es nach der Bratpfannenzeichnung zu vermuten ist –, werden wir zehn harte Tage und Nächte hinter uns haben. Denn wir müssen ins Yellowstone-Land. Und bis dorthin sind es mehr als dreihundert Meilen. Und ob ihr dreißig Meilen pro Tag schaffen werdet, müssen wir erst noch herausfinden, wenn ich euch nicht mehr wie Paschas durch das Land fahren kann. He, was meinst du denn, was die Indianer tun werden, die ihr entkommen ließet? Wenn wir Glück haben, waren sie weit, weit weg von ihrem Dorf. Aber wenn wir Pech haben, dann ...«
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Als die Nacht stockdunkel wird, hält Ty Jones an.
Aus einem Spalt einer Felswand sprudelt Wasser, aber sie können die Felswand nicht sehen. Sie hören nur das Sprudeln des Wassers.
Der Himmel ist von Wolken verhangen.
Ty Jones' Stimme klingt durch die Dunkelheit. »Nun, ihr angehenden Lederstrümpfe, vielleicht kann einer von euch ein Feuer machen. Wir sind in einem kleinen Kessel und nach allen Seiten gut geschützt. Man würde unser Feuer eher riechen als sehen. Und zwei von euch müssen mir bei den Pferden helfen.«
»Wir werden dir was aufs Maul hauen, wenn du uns herumkommandieren willst, als wärest du hier der Boss«, sagt einer der Kerle. Wahrscheinlich ist es Jago Mig, der Ex-Preiskämpfer.
Auch die anderen fluchen.
Aber Ty Jones' Stimme klingt noch eine Spur härter und kühler, als er sagt: »Na gut, dann klären wir das mal, ihr harten Nummern! Und hört mir gut zu. Wenn wir unsere schwachen und winzigen Chancen nicht völlig zunichtemachen wollen, dann müssen wir eine Mannschaft sein, in der jeder sein Bestes gibt und sich nicht drückt. Hier ist wildes Indianerland. Unsere Pferde aber sind unser kostbarster Besitz. Ohne Pferde sind wir so gut wie verloren. Also los jetzt! Ich brauche zwei Mann, um die Pferde zu versorgen. Wir müssen sie abreiben, durchmassieren, tränken – und ihnen auch Futter verschaffen. Glaubtet ihr denn, es würde ein Spaziergang werden zu Berni Hammers Goldader?«
Sie fluchen wieder. Er ist ihr Gefangener, und wenn sie wollten, könnten sie ihm die Haut abziehen oder sonst was mit ihm machen. Es passt ihnen nicht, dass er ihnen Befehle erteilt – aber sie ahnen schon, dass sie auf ihn hören müssen.
Haggerty sagt plötzlich: »Also los, tut, was er sagt. Harry und Stapp, ihr helft ihm. Wir anderen kümmern uns um das Feuer, um das Essen und das Camp.«
Ty Jones spannt die beiden Führungspferde aus und führt sie zur Quelle. Es gibt einen kleinen Tümpel. Auch etwas Gras und grüne Büsche wachsen hier.
Die beiden Banditen kommen nun mit den vier anderen Gespannpferden.
Ty Jones sagt: »Im Gepäckkasten der Kutsche sind einige Decken, sicherlich auch große Lappen. Nehmt die Lappen und reibt die Tiere damit ab. Die sind ziemlich erledigt. Wascht ihnen gut die Beine. Entfernt all die Kletten, vielleicht auch Dornen. Fühlt alles ab, wenn ihr es nicht gut genug sehen könnt. Aber es wird noch eine Laterne im Gepäckkasten sein. Und ...«
Er gibt noch einige Anordnungen und Ratschläge.
Die beiden Männer knurren und brummen manchmal unwillig. Doch sie gehorchen.
Als sie noch mit den Pferden beschäftigt sind, doch schon einige Tiere versorgt haben und weiden lassen rings um den Tümpel, da bringt jemand die fünf Tiere, welche hinten an die Kutsche angebunden waren. Drei der Tiere gehören Ty Jones. Die beiden anderen nahmen sie den Indianern ab. Ein drittes Tier mussten sie ja mit einem verletzten Pferd des Gespanns austauschen.
Im Schein des Feuers und der Laternen erkennen die Männer, wer die fünf Pferde bringt. Zuerst halten sie den Helfer für einen von sich, also für einen Mann.
Doch so zierlich und fast knabenhaft ist keiner von ihnen.
Sie halten inne. Einer der Banditen stößt einen leisen Pfiff aus und sagt dann mit einem heiseren und überraschten Klang in der Stimme: »Hoiii, wen haben wir denn da! Oha, das ist ja unsere gelbhaarige Honeybee! Seht, sie hat Hosen an, Hosen wie ein Mann, sodass man erkennen kann, wie lang ihre Beine sind. Seht, sie hat verdammt lange Beine. Meint ihr nicht auch?«
Die beiden Kerle verharren.
Sue Sheridan aber wendet sich an Ty Jones.
»Wenn es Ihnen recht ist, Mister, versorge ich diese Tiere. Und Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass ich etwas falsch mache. Ich verstehe mich auf Pferde. Wir haben daheim in Kentucky welche gezüchtet.«
Ty Jones nähert sich ihr einige Schritte. Er kann sie im Lichtschein gut betrachten.
Ja, auch er sieht nun, dass sie sich in der Postkutsche umgezogen haben muss. In ihrem Gepäck muss sich dieser Reitanzug befunden haben. Es ist ein Wildlederanzug. Sie trägt auch Stiefel. Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein schlanker Knabe. Aber dann entdeckt man an ihr doch gewisse Rundungen an Stellen, wo sie bei einer Frau sein müssen. Ihre Bewegungen sind ebenfalls nicht männlich, sondern recht weiblich.
Ty Jones möchte ihr sagen, dass sie sich besser wieder ihr Reisekostüm anziehen sollte, denn selbst in diesem sehr weiblichen Kostüm wirkte sie nicht so reizvoll weiblich wie jetzt in diesem Anzug.
Er weiß jetzt schon ziemlich sicher, dass es Ärger geben wird. Sue ist zu schön und zu reizvoll.
Aber er sagt nichts von seinen Gedanken und Befürchtungen. Er nickt ihr zu und murmelt: »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Miss, dass Sie mir helfen und überdies Pferdeverstand besitzen. Denn die Gentlemen da verstehen von Pferden so viel wie von christlicher Liebe. Sie nehmen zwar beide gerne in Anspruch, wenn sie ...«
»Nur keine Beleidigungen, Lederstrumpf«, grollt Stapp Finch drohend in seine Rede. »Denke nur nicht, wir wären blöd und nicht lernbereit. Du wirst dich noch wundern, wie schnell wir lernen. Und vielleicht – hahaha – lernen wir auch noch christliche Liebe. Mit diesem Honey hier würde ich gerne Liebe lernen. Na, wie wär's denn mit uns, Kleine? Soll ich dich wärmen in dieser kalten Nacht?«
Seine Frage gilt Sue Sheridan, und in seiner Stimme ist ein verletzender Klang.
Ihre Stimme klingt ganz sachlich und beherrscht, als sie erwidert: »Mister, ich habe natürlich begriffen, dass ich euch ausgeliefert bin. Ich weiß auch, dass ihr zu jener Sorte gehört, der so viel fehlt, dass sie sich dieses Mangels gar nicht mehr bewusst werden kann. Deshalb wäre es zwecklos, bei euch an etwas zu appellieren, was ihr nicht besitzt. Dennoch warne ich euch. Denn wenn ich keine andere Wahl habe, versetze ich euch alle in einen Zustand, dass ihr um mich kämpft und euch gegenseitig umzubringen versucht. Lasst mich in Ruhe!«
In ihre Stimme kommt zunehmend Härte.
Und Ty Jones begreift in diesem Moment, dass dieses Mädchen aus Kentucky eine Kämpferin ist. Ja, sie ist schön und reizvoll. Sie kann diese fünf Kerle verrückt machen.
Aber Stapp Finch lacht nur. Er ist nicht bereit, über das, was sie ihm ziemlich unmissverständlich andeutete, nachzudenken.
Und so gleitet er auf sie zu und greift nach ihr.
Sie wehrt sich nicht. Sie verhält sich steif und gefühllos wie eine Figur aus Holz.
Er lacht und knurrt kehlig: »Aaah, diese Sorte kenne ich! Auch dir werde ich ein Feuer entfachen, das dich in Hitze bringt. Ich habe noch jede Honeybee feurig gemacht!«
Die letzten Worte ruft er selbstbewusst, und dann presst er seine Lippen auf ihren Mund. Er ist ein äußerlich sehr vorteilhaft aussehender Bursche, weißblond, blauäugig und kühngesichtig. Und vielleicht hatte er wirklich überall große Erfolge bei den Flittchen und Tingeltangel-Girls seines bisherigen Lebensbereiches.
Aber dann hört er Ty Jones sagen: »Lass sie los, du Hurensohn – oder ich schlage dir deinen dummen Schädel ein!«
Stapp Finch hört es staunend, indes er immer noch Sue Sheridan küsst und vergeblich darauf wartet, dass er bei ihr irgendwelche Regungen spürt oder sie zumindest zu kämpfen und zu zappeln beginnt.
Aber sie scheint sich wirklich in eine Holzfigur verwandelt zu haben.
Da gibt er sie mit einem Fluch frei, schiebt sie mit einer Armbewegung zur Seite und schnappt den Colt heraus.
Aber noch bevor er abdrückt, tritt Sue Sheridan von der Seite her gegen seinen Unterarm. Und die Kugel, welche Ty Jones treffen sollte, geht ins Leere.
Und dann holt den unbeherrschten Stapp Finch endlich wieder sein Verstand ein. Er begreift jäh, dass er sich und seine Partner soeben fast um Berni Hammers Goldader gebracht hätte.
Denn nur Ty Jones kann sie hinführen.
Wenn er ihn erschossen hätte, wären seine vier Partner wie wilde Wölfe über ihn hergefallen.
Und so lacht er nur böse und stößt den Colt wieder ins Holster.
Er will etwas sagen, doch er kommt nicht mehr dazu.
Ty Jones zeigt ihm, wie wenig er bereit ist, ein williger, duldsamer oder gar furchtsamer Gefangener zu sein. Denn er springt auf ihn zu und knallt ihm eine Rechte unter das Kinn.
Stapp Finch schwankt rückwärts, rudert mit den Armen, steht einen Moment lang nur auf seinen Absätzen.
Und da bekommt er die Linke. Selbst der ehemalige Preiskämpfer Jago Mig hätte es nicht besser machen können.
Stapp Finch geht zu Boden und krümmt sich dort vor Schmerz. Er ist ein großer, harter und schwergewichtiger Bursche, der sich bisher in jedem wilden Saloonkampf behaupten konnte. Doch gegen Ty Jones hatte er soeben keine Chance.
Die anderen vier Männer kommen herbeigesprungen.
Und noch bevor Ty Jones etwas sagen kann, tönt Jesse Haggertys Stimme über das Camp: »Was war das?«
»Er wollte mich erschießen, weil ich ihn einen Hurensohn nannte. Fast hätte er euch um eine Goldader gebracht. Zumindest hättet ihr nach Laramie zurückgemusst, um euch einen anderen Mann zu suchen, der euch ins Yellowstone-Land führt und die richtigen Landmarken kennt, welche Berni Hammer auf seiner Bratpfanne einritzte. Dieser Hurensohn hätte euch fast um alles gebracht, was dort im Nordwesten auf euch wartet. Und ...«
»Er hat sich an die Kleine rangemacht«, mischt sich Harry Lafonte ein, der in der Nähe mit den Pferden beschäftigt war und alles genau mitbekam. »Wir sollten diesen verdammten Bock kastrieren. Wenn er unseren Lederstrumpf erschossen hätte ...«
Er heult die letzten Worte voller Bitterkeit heraus.
Dann treten sie alle zu Stapp Finch, der seine Not jetzt einigermaßen überwunden hat und sich stöhnend aufsetzt.
Sie treten bedrohlich nahe zu ihm. Und Jesse Haggerty spricht zu ihm nieder: »Pass auf, Stapp, ich will es dir wie ein guter Onkel erklären. Wir wollen die Goldader dieses Berni Hammer finden. Und dazu brauchen wir diesen Lederstrumpf. Wir haben ihn fest in der Hand, solange wir auch dieses Honeygirl in unseren Händen haben. Denn er weiß, was wir mit dem süßen Kind machen, wenn er abhaut – zum Beispiel in solch einer dunklen Nacht wie jetzt. Es würde für sie sehr viel schlimmer werden als der Tod. Wir brauchen also ihn und wir brauchen das Honeygirl. Und wenn du dich noch einmal mit ihnen anlegen solltest, dann machen wir dich alle. Wir lassen uns nicht um eine Goldader bringen, nur weil du ein Girl vernaschen willst, du verdammter Hurensohn.«
Er spricht das letzte Wort mit deutlicher Herausforderung, die zugleich auch eine Demütigung ist.
Denn Stapp Finch hat sie alle gegen sich.
Doch da meldet sich noch eine Stimme.
Sie gehört der zweiten Frau im Camp. Ginger Lane tritt zu ihnen, und sie tut es mit ruhigen, doch geschmeidig gleitenden Bewegungen.
Auch sie hat sich in der Kutsche aus ihrem Gepäck andere Kleidung geholt. Nun trägt sie einen rehledernen geteilten Reitrock, Stiefel, eine Lederjacke und einen Revolvergürtel mit einem Colt.
»Der größte Fehler, den ihr machen könnt«, spricht sie mit ihrer dunklen und so melodischen Stimme, »wäre der, dass ihr euch zu hassen beginnt und Feinde werdet. Dann seid ihr in diesem verdammten Indianerland gewiss bald verloren. Wir alle sollten versuchen, fair miteinander auszukommen. Solch große Narren könnt ihr doch gar nicht sein, um das nicht einsehen zu können.«
Nach diesen Worten bewegt sie sich wieder, schreitet auf Ty Jones zu und verhält vor ihm.
»Wenn es nach mir ginge, Ty Jones«, sagt sie, »würden Sie hier nicht als Gefangener bei uns sein, sondern als Partner. Wir brauchten nur Ihr Wort, dass Sie uns ein guter und redlicher Partner sein wollen, und dann nehmen wir Sie herein in unser Geschäft.«
Sie wendet sich plötzlich zur Seite und sagt zu Jesse Haggerty: »Ja, mach ihm dieses Angebot. Tu es, Jesse! Setz das durch! Denn sonst – oh, sonst könnte er uns gewiss so manchen Stein in den Weg legen. Der könnte mit uns noch Katze und Maus spielen – und nicht er wäre die Maus.«
Die Männer starren ihn an im Feuer- und Laternenschein. Er spürt ihr Misstrauen, ihr Zögern und auch ihre Feindschaft. Sie hassen es, von ihm abhängig zu sein, obwohl er ihr Gefangener ist. Und dennoch spürt Ty Jones in ihnen die Tendenz, sich mit ihm zu arrangieren.
Aber das ist nicht sein Wunsch, nicht seine Absicht. Er hasst sie, verachtet sie.
Er sagt: »Ich werde euch zu Berni Hammers Goldader führen. Und dann werden wir weitersehen. Und wenn ihr meine Meinung über euch hören wollt – nun, ich halte euch allesamt für Geschwüre am Körper dieser Erde, für Ungeziefer, das man mit Schwefel vernichten müsste. Ihr seid es nicht wert, auf dieser Erde leben und atmen zu dürfen. Nur weil ich Berni Hammers Goldader finden möchte wie ihr, haben wir die gleichen Interessen. Sonst ...«
Er spricht nicht weiter, sagt ihnen nicht, was sonst sein würde.
Er wendet sich ab, tritt wieder zu den Pferden und arbeitet weiter.
Auch Harry Lafonte folgt seinem Beispiel. Und Stapp Finch, der sich indes erhoben hat, betastet stöhnend sein Kinn mit der einen und die Leberpartie mit der anderen Hand.
Doch er sagt nichts mehr.
Der ganze Verdruss ist vorerst beigelegt.
Als Ty Jones mit seinen Tieren fertig ist, tritt er zu Sue Sheridan, die mit seinem braunen Wallach – seinem Sattelpferd – beschäftigt ist.
»Danke, Schwester«, sagt er. »Die Kugel hätte mich sonst getroffen. Auf Sie kann man sich also verlassen. Es ist gut, dass ich das weiß. Aber ich musste diese Sache mit der Bande austragen, damit sie sich endgültig darüber klar wird, dass sie mich braucht und ohne mich verloren wäre. Jetzt wird es leichter.«
»Ja, ich habe sofort begriffen, was Sie ein für alle Mal klären wollten«, erwidert sie. »Doch fast wäre es schief gegangen. Wollen Sie die Mörder wirklich bis zu jener Goldader führen?«
»Sicher«, sagt er. »Denn wenn Berni Hammer einen Erben hat, dann bin ich das. Seine indianische Frau ist mitsamt dem Kind bei der Geburt gestorben. Das erzählte er mir, als wir uns in Laramie betranken. Ich war sein alter Freund und Jagdpartner. Ja, ich glaube, dass es ihm recht wäre, wenn ich sein Erbe würde.«
Sue Sheridan steht still neben dem Pferd, den großen Lappen in der Hand, mit dem sie das Tier abrieb.
Dann aber sagt sie leise: »Aber das bedeutet, dass Sie die Bande niederkämpfen müssen, Ty Jones, nicht wahr? Auch Ginger Lane, denn sie ist nicht ungefährlicher als die Männer.«
»Ich weiß«, murmelt er. »Aber man nennt mich unter Trappern, Soldaten und Indianern Wyoming-Falke. Dies hier ist mein Jagdgebiet, mein Land. Ich bin hier daheim, gewissermaßen der Fisch im Wasser. Mach dir keine Sorge, Schwester. Ich passe auf dich auf!«
»Ja, Bruder«, erwidert sie ernst. »Daran will ich glauben, und es wird mir so manches leichter werden.«
Sie sind irgendwann fertig mit den Pferden und waschen sich an der Quelle, und sie sind die Letzten am Feuer.
Ginger Lane hat Pfannkuchen, Speck und Kaffee zu bieten.
Sie sagt zu Sue gewandt: »So geht das nicht, Sue. Du kannst keine Männerarbeit machen. Die Jungs sind beim Kochen verdammt ungeschickt. Hilf mir also beim Kochen, ja?«
Sue Sheridan nickt kauend.
Sie hat einen guten Appetit, das sieht man ihr an.
Aber dann sagt sie, nachdem sie den Bissen herunterschluckte: »Doch beim Kochen können die Männer nicht so viel verderben wie bei den Pferden. Ich habe außer Ty Jones hier als einzige Pferdeverstand. Und von den Pferden wird vielleicht noch unser Leben abhängen. Du solltest dich also mit männlichen Helfern abfinden. Das wäre für uns alle besser.«
Sie starren Sue Sheridan im Feuerschein an. Und sie wundern sich über die Veränderung, die mit ihr vorging.
Ginger Lane gibt nach. Wahrscheinlich ist Ginger Lane klüger als die Männer.
»Sicher, Sue, wenn es so ist ...«, sagt sie, um dann die Frage zu stellen: »Woher hast du deinen Pferdeverstand, Sue Sheridan?«
»Auf unserer Pferderanch wurden die besten Pferde von ganz Kentucky gezüchtet«, erwidert Sue Sheridan stolz. »Bei uns gab es die beste Blaugras-Weide der ganzen Welt. Wisst ihr, was Blaugras ist? Aaah, woher solltet ihr das wissen? Blaugras enthält die besten Mineralien für die Zucht von Pferden. Der Phosphorgehalt des Bodens ist sechsmal höher als in den fruchtbarsten Gebieten anderswo in den Staaten und Territorien. Deshalb sind bei uns die Fohlen bereits nach achtzehn bis zwanzig Monaten ausgewachsen.«
Sie verstummt plötzlich, als hätte sie sich dabei ertappt, ein Klatschmaul zu sein.
Aber Ginger Lane hakt nach.
Sie fragt: »Und warum warst du in der Postkutsche? Warum wolltest du ursprünglich ins Goldland von Montana?«
Einen Moment sieht es so aus, als würde Ginger Lane keine Antwort bekommen.
Sue Sheridan spürt die Blicke – und auch Ty Jones' Blick ist fragend. Vielleicht gibt sie seinetwegen Antwort.
Sie sagt: »Mein Vater und meine Brüder waren während des Krieges auf der Seite der Konföderation. Unions-Guerillas überfielen unsere Ranch. Sie machten alles nieder und dem Erdboden gleich. Sie stahlen alle Pferde. Unsere berühmte Pferdezucht war für immer vernichtet. Nur ein Bruder kam aus dem Krieg heim, und er fand nichts vor, was er hätte aufbauen können. Nur Steuerschulden für den Landbesitz. Er ging ins Goldland von Montana, um ...«