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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2563 bis 2565:
2563: Riverman-Poker
2564: Bannisters letzte Jagd
2565: Sterben in Red Bluff
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 466
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2022 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Faba/Norma
ISBN: 978-3-7517-6536-7
https://www.bastei.de
https://www.sinclair.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2563
Keine Chance in Jericho
G. F. Unger Western-Bestseller 2564
Big-Muddy-Wolf
G. F. Unger Western-Bestseller 2565
Kerrigan
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Contents
Keine Chance in Jericho
Als ich die Wasserstelle erreichte, da wusste ich genau, dass noch zwei Apachen hinter mir her waren, um ihre drei Vettern zu rächen, die es nicht geschafft hatten, mich zu erledigen. Denn als sie auf meine Fährte stießen, waren sie fünf gewesen. Sie hatten mein Pferd und meine Waffen gewollt, wahrscheinlich auch meinen Proviant. Als sie mich in meinem Camp überfielen, hatte ich die Gefahr im allerletzten Moment erkannt. Ich schoss mir den Weg frei und warf mich auf mein ungesatteltes Pferd. Ja, ich entkam.
Aber zwei von ihnen folgten mir. Ob ich die drei anderen getötet hatte, wusste ich nicht. Doch zumindest konnten sie mir nicht mehr folgen.
Mir ging es ziemlich schlecht. Denn auf meinem sattellosen Pferd und ohne Stiefel war ich schon drei Tage und drei Nächte unterwegs. Bald würde die vierte Nacht beginnen.
Und ich wusste, sie waren irgendwo in meiner Nähe und wollten immer noch mein Leben. Mein einziger Freund war mein Colt. Aber auch mit diesem Ding hatte es einen Haken, denn er war nicht mehr voll geladen ...
Die Wasserstelle erkannte ich an dem frischeren Grün zwischen den roten Felsen. Ich war fast verdurstet, und auch mein gutes Pferd fiel gewiss bald um. Dennoch verhielten wir und witterten hinüber.
Mein grauer und narbiger Wallach war ein Kriegspferd, das von Comanchen geschult und abgerichtet wurde. Aber das war schon einige Jahre her.
Was mich warnte, war die Tatsache, dass aus dem frischen Grün zwischen den roten Felsen keine Vögel aufflogen bei unserer Annäherung. Sie mussten also schon vorher fortgeflogen sein. Ja, es war wahrscheinlich, dass die beiden Apachen vor mir dort angekommen waren und nun auf mich warteten. Denn ich musste zum Wasser. Wenn ich und mein Pferd dort drüben kein Wasser bekommen konnten, würden wir im Laufe des nächsten Tages umkommen.
Ich wollte mich gerade dazu entschließen, abzusitzen und mich neben meinem Pferd zu Fuß der Wasserstelle zu nähern, immerzu bereit, in Deckung zu gehen oder sonst wie reflexartig zu reagieren, als die beiden Apachen angriffen.
Ich warf mich vom Pferderücken, rollte von meinem Grauen weg und kniete dann. Sie schossen im Anreiten mit ihren Gewehren auf mich.
Und ich schoss mit meinem Colt zurück. Einen traf ich, denn ich sah ihn im Sattel schwanken. Dann traf ich den Zweiten. Er fiel vom Pferd. Das Pferd des anderen lief mit seinem Reiter weiter.
Ich erhob mich schnaufend.
Das war es also. Ich hatte gewonnen. Der Weg zum Wasser war für mich frei. Der einzige noch überlebende Apache war verwundet und hatte die Flucht ergriffen.
Ich hätte eigentlich Grund zum Jubeln gehabt. Aber das tat ich nicht. Endlich begann ich nachzudenken. Dass die Apachen mich nicht in sicherer Deckung erwartet, sondern plötzlich angegriffen hatten, war geradezu blödsinnig gewesen von ihrem Standpunkt aus. Deshalb mussten sie einen bestimmten Grund für diese Ungeduld und Eile gehabt haben, denn allgemein waren sie geduldig und konnten warten.
Ich konnte an diesem sterbenden Tage nicht mehr so gut nachdenken, denn ich war erschöpft, fast verdurstet und ziemlich am Ende. Doch endlich begriff ich es. Es kamen Reiter, wahrscheinlich welche von meiner Hautfarbe. Deshalb konnten die Apachen nicht länger warten. Sie hatten noch einmal mit einem allerletzten Angriff ihr Glück versucht. Anders konnte es nicht sein.
Ich trat zu meinem Pferd und klopfte ihm gegen den Hals. Dann ging ich zu den Felsen und dem Grün hinüber. Das Tier folgte mir wie ein Hund.
Es gab dort zwischen den Felsen eine Quelle, die eine natürliche Wanne füllte, die so groß und tief war, dass man darin hätte schwimmen können. Ich trank und goss mir mithilfe des Hutes immer wieder Wasser über den Kopf. Dann sah ich den Reitern entgegen, die von der anderen Seite zwischen den Felsen sichtbar wurden.
Sie kamen mit schussbereiten Waffen, waren vorsichtig, aber entschlossen. Sie hatten natürlich die Schüsse gehört und wahrscheinlich auch den flüchtenden und verwundeten Apachen gesehen.
Es waren vier Reiter auf drei Pferden. Einer der Männer musste unterwegs sein Pferd verloren haben, denn er ritt bei einem anderen Mann mit. Und einer der Reiter hatte seinen Sattel bei sich auf dem Pferd.
Ich stand nun am Rand des Wassers und sah den Ankömmlingen entgegen. Es waren Hartgesottene, dies erkannte ich sofort. Ich erfasste es instinktiv, etwa so, wie man beim Anblick eines Wolfsrudels sofort erkennt, dass man es nicht mit einer Hundemeute zu tun hat.
Ja, es waren Hartgesottene. Sie strömten etwas aus, was schwer zu beschreiben war. Es war nicht nur verwegene Kühnheit, sondern zugleich auch eine Strömung von Gnadenlosigkeit, die nur den eigenen Vorteil kennt.
Auch sie betrachteten mich.
Aber eigentlich gab es ja keinen Grund für Verdruss mit ihnen.
Oder doch?
Selbst wenn sie Banditen waren – bei mir gab es nichts zu erbeuten.
Oder doch?
Zum zweiten Mal fragte ich mich das.
Denn mir wurde klar, dass einer dieser Reiter kein Pferd mehr besaß. Ich aber hatte eins, wenn auch ohne Sattel. Doch sie hatten ja einen überzähligen Sattel bei sich.
Noch indes sie tranken, sich erfrischten und auch ihren Pferde die Tränke ermöglichten, wurde ich mir darüber klar, dass es Verdruss geben würde, wenn sie Banditen waren.
Aber ich konnte nichts anderes tun als warten.
Nach einer Weile kamen sie auf meine Seite. Einer sagte: »Nun, Verdruss gehabt mit den Apachen?«
Ich nickte nur und betrachtete den Mann, der kein Pferd mehr besaß und hinter einem der Reiter mit auf einem Pferd gesessen hatte. Auch er sah mich an, indes er sich näherte. Er trug noch seine Sporen. Sie klingelten leise.
Er war blond und blauäugig. Aber seine Augen standen schräg, und er hatte einen dünnlippigen, harten Mund, über dem ein sichelförmiger Bart hing, der jedoch nicht blond, sondern rot war.
Er grinste plötzlich und sagte aus dem Mundwinkel zu den anderen Männern: »Ich sehe ihm an, dass er schon etwas wittert. Könnt ihr es ihm auch ansehen?«
Sie nickten, indes sie mich aufmerksam betrachteten und prüften.
Einer sagte: »Vance, der gehört zu unserer Sorte, denke ich.« Es klang irgendwie vermittelnd und warnend zugleich.
Doch jener Vance schüttelte unwillig den Kopf und sah mich fest an. »Wer bist du? Woher kommst du? Und wohin willst du?« So fragte er knapp.
Ich grinste ihn an und erwiderte: »Amigo, das geht dich einen Dreck an.«
Aber auch er grinste und nickte dann.
»Ja, das stimmt wohl«, sagte er. »Na schön, machen wir es kurz. Ich habe mein Pferd verloren. Und unser Weg ist noch weit. Ich möchte nicht mehr hinter meinem Partner hocken und dessen Pferd überlasten. Deshalb werde ich mir dein Tier nehmen, verstanden? Was dagegen?
»Sicher«, erwiderte ich, »eine Menge sogar. Aber ich hätte wohl kaum eine Chance. Gibst du wenigstens zu, dass dies Pferdediebstahl ist und du ein Pferdedieb bist?«
Er grinste. Sie alle grinsten. Dann sagte er: »Oha, wenn's nur das ist – wir sind schlimmere Burschen als nur Pferdediebe. Du bist also einverstanden, dass ich dein Pferd nehme?«
»Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Aber ich kann wohl im Moment wenig dagegen tun und ...«
»Hoiii, du hast doch einen Colt! Und soeben hast du noch gegen Apachen gekämpft. Du könntest eine Menge dagegen tun, dass ich dein Pferd nehme. Denn die Sache betrifft nur dich und mich. Und wenn du mich von den Beinen schießen kannst, dann brauchte ich dein Pferd nicht mehr, nicht wahr, hahaha.«
Sein Lachen klang heiser. Und in seinen schrägen Augen funkelte es. Er war ein Bursche, der keinem Kampf aus dem Weg ging und sich immer wieder beweisen musste, dass er der Größte war.
»Mein Colt ist leer«, sagte ich. »Die Apachen jagten mich schon vor drei Tagen aus meinem Camp. Ihr seht doch, dass ich keinen Sattel, kein Gepäck und nicht mal Stiefel an den Füßen habe. Mein Colt ist leer. Vorhin verschoss ich die letzte Kugel.«
Nach diesen Worten wartete ich.
Sie staunten. Aber dann begannen sie zu grinsen.
»Dein Pech, Hombre«, sprach jener Vance dann. »Aber das ist fast immer so. Wenn man erst mal in eine Pechsträhne gerät, dann hält das eine Weile an. Aber diesmal ist es kein Pech mehr, dass du einen leeren Colt hast. Es ist dein Glück. Wahrhaftig. Denn ich bin Vance Vansitter. Mich besiegt keiner im Duell mit dem Colt. Und weil das so ist, steht mir dein Pferd zu. Verstanden?«
Wieder schüttelte ich den Kopf.
»Du hältst dich also für einen Auserwählten, nur weil du schneller als andere Männer ziehen und schießen kannst?« So fragte ich ihn.
Er nickte und grinste dabei.
»Das ist Naturgesetz«, erwiderte er. »Sieh dich um unter allen Lebewesen. Die stärksten Exemplare überleben. Na, vielleicht wirst auch du es überleben, wenn du dich hier lange genug ausruhst. Meinen Namen kennst du. Ich bin in Jericho zu finden. Aber komm lieber nicht dorthin. Du hättest keine Chance in Jericho. Also bleib weg von Jericho.«
Nach diesen Worten wandte er sich ab.
Er holte seinen Sattel, den einer der Reiter zu Boden geworfen hatte. Er nahm ihn und trat zu meinem Wallach. Dieser legte die Ohren an und wirkte wie ein tückisches Maultier.
Und wenn ich gepfiffen hätte, würde er ausgekeilt haben. Aber es hätte ihm wenig genutzt. Sie hätten ihn bald eingefangen und ihm gezeigt, wie schnell er auf die Nase fallen konnte. Das wollte ich ihm ersparen. Und so ließ ich alles geschehen.
Niemand sprach noch etwas. Sie erfrischten sich und ihre Pferde an der Wasserstelle. Dann ritten sie davon. Und der letzte Mann drehte sich im Sattel noch einmal um und sagte nachdrücklich: »Du hättest wirklich keine Chance in Jericho. Bleib weg von dort.«
Dann waren sie fort. Und ich stand da ohne Stiefel und mit einem leeren Colt in der Holster.
Aus Jericho waren sie also, und das musste eine Banditenstadt sein, in der es kein Gesetz gab. Überhaupt der Name Jericho. Ich hatte einmal von der uralten befestigten Stadt Jericho gelesen, die im Jordantal unweit vom Toten Meer lag. Sie wurde von Josua zerstört und gelangte unter Herodes dem Großen wieder zu neuer Blüte.
Aber das war ja wohl um die Zeit, da Christus geboren wurde, wenn ich mich richtig an das erinnern konnte, was ich mal las.
Und nun gab es hier in diesem Land ein Nest, das sich ebenfalls Jericho nannte. Und es war offenbar ein Banditennest.
✰✰✰
Ich war schon den zweiten Tag unterwegs. Mehrmals hatte ich meine Fußlappen neu umbinden müssen, weil ich sie immer wieder durchlief. Der Hosenstoff war nicht besonders haltbar, wenn man ihn als Schuhwerk benutzte.
In meinen Füßen steckten Dornen. Die Beine bis zu den Knien hinauf waren voller Schnitte. Sie bluteten. Der Weg nach Jericho wurde für mich mehr und mehr zu einem mühsamen Kampf ums Überleben.
Als es dann zum dritten Mal Mitternacht wurde, da sah ich das Feuer in der Nacht.
Ja, da unten in der Senke brannte ein Feuer.
Wahrscheinlich gab es dort eine Wasserstelle. Denn warum sonst würde dort jemand lagern und ein Feuer in Gang halten, welches meilenweit zu sehen war?
Ich hielt an und blickte zu jenem roten Auge hin, welches das Feuer war. Und dann hörte ich etwas. Es war ein vielstimmiges, wie zitternd klingendes Bähen.
Schafe! Dort am Feuer waren Schafe! Heiliger Rauch, ich war auf eine wandernde Schafherde gestoßen.
Sie rastete dort, und wahrscheinlich gab es dort wirklich Wasser und ein wenig Grün, also Futter.
Ich verließ den alten Wagenweg und ging auf das Feuer zu.
Bald hörte ich das fortwährende Bähen der Tiere lauter und klarer. Dann tauchte ein Hund vor mir auf. Es war ein großes, zottiges Tier, das es gewiss auch mit einem Wolf aufnehmen konnte. Der Hund bellte nicht, aber sein leises Knurren sagte mir, dass er mich anspringen würde, wenn ich noch einen einzigen Schritt vorwärts machte.
Und so rief ich mit heiserer Stimme durch die Nacht und das Bähen der Tiere: »Hoiii, Leute, hier ist jemand, der zum Wasser möchte! Hört ihr mich? Holt den Hund von mir weg!«
Einen Moment lang blieb es still. Sogar das vielstimmige Bähen der Tiere schien leiser zu werden.
Dann tönte eine Frauenstimme, deren Klang dunkel und kehlig war: »Komm her, Beißer! Komm her!«
Ich staunte über die Frauenstimme. Denn sie ließ mich von Anfang an glauben, dass ihre Besitzerin etwas Besonderes war, jung noch, selbstbewusst, energisch und von jener Schönheit, die nicht oberflächlich ist, sondern mehr von innen, von der Persönlichkeit, heraus kommt.
Der Hund knurrte noch einmal. Dann wandte er sich ab und lief zum Feuer. Ich folgte ihm langsam, und so durstig und erschöpft ich auch war, ich verspürte eine ungeduldige Neugier und Erwartung, wollte unbedingt so schnell wie möglich die Besitzerin der Stimme sehen.
Und dann sah ich sie. Sie stand neben dem Feuer, hatte eine Hand auf den Kopf des großen Hundes gelegt und betrachtete mich.
Ich vergaß meine Not noch mehr und sah sie ebenfalls bewegungslos an. So verharrten wir einige Atemzüge lang.
Was ich im Feuerschein erkennen konnte, übertraf meine Erwartungen. Ja, sie war jung noch, aber doch schon eine Frau. Sie mochte fünfundzwanzig sein, war also an die fünf Jahre jünger als ich. Und sie war für eine Frau mittelgroß und wog gewiss kaum mehr als hundertzehn Pfund.
Ihr Haar leuchtete bei Tag gewiss wie reifer Weizen. Aber ihre Augen schienen dunkel zu sein, vielleicht sogar schwarz.
Sie strömte aus, was eine reizvolle Frau nur ausströmen kann an all den Dingen, die einen Mann anziehen und die Erfüllung seiner Wünsche werden konnten.
»Sie hatten wohl eine Menge Pech?« So fragte sie, und wieder berührte mich das dunkle, kehlige und dennoch so melodisch klingende Timbre ihrer Stimme.
»Ja, ein wenig«, erwiderte ich.
Sie nickte. Dann streckte sie ihre Hand aus und sagte: »Solange Sie in diesem Camp sind, möchte ich Ihren Colt. Bitte geben Sie ihn mir.«
Da konnte ich nur schief grinsen. »Der ist leer«, sagte ich.
»Trotzdem«, beharrte sie. »Und ich sollte Ihnen auch sagen, dass Paco dort drüben bei seinem Hirtenwagen steht und Sie über seinen Gewehrlauf betrachtet.«
Ich wandte den Kopf. Ja, dort drüben stand ein zweirädriger Hirtenwagen, wie ihn die Schafhirten mexikanischer Abstammung benutzten auf ihren Wanderungen mit den Herden. Im Schatten dieses Wagens sah ich einen kleinen Mann.
Und der große Hund neben der jungen Frau begann wieder drohend zu knurren, so als hätte er jedes Wort verstanden.
Ich seufzte, nahm dann vorsichtig den Colt mit zwei Fingern heraus und warf ihn ihr zu. Sie fing ihn geschickt auf, und ich konnte erkennen, dass sie mit einer Waffe gewiss gut umzugehen vermochte.
Sie trug einen geteilten Rehlederrock zu Stiefeln und eine Flanellbluse. In der Tasche dieses Reitrocks hatte sie ganz gewiss eine kleine Waffe stecken.
Ich kümmerte mich nicht mehr um sie, um den Hund oder jenen Paco. Ich ging zum Wasser hinüber, und als ich den Tümpel erreichte, ging ich weit genug hinein. Denn an den Rändern hatten die Schafe alles verunreinigt.
Das Wasser reichte mir in der Mitte des Tümpels bis zu den Hüften. Ich legte mich hinein, tauchte unter, und dann trank ich. Das Wasser war warm, wärmer jedenfalls als die Nacht. Ich befreite mich von Staub und getrocknetem Schweiß und fühlte mich bedeutend besser, als ich wieder ans trockene Ufer stieg.
Nun erst roch ich den penetranten Geruch der Schafe und ihres Kots. Und nun erst wurde mir bewusst, wie wenig ich Schafe mochte.
Als ich an das Feuer trat, um meine nasse Kleidung ein wenig trocknen zu lassen, da knurrte mein Magen vernehmlich.
»Sie haben wohl einen gewaltigen Hunger?«, fragte die gelbhaarige Frau.
»Ich könnte einen ganzen Hammel essen«, erwiderte ich. »Seit vier Tagen bekam ich nur dann und wann etwas Wasser in den Bauch, ein paar Mesquitebohnen und Kakteenmark. Hätten Sie etwas zu essen für mich?«
Sie deutete auf den großen Topf beim Feuer. »Da sind noch Bohnen und etwas Rauchfleisch«, sagte sie und warf mir mit einer plötzlichen und völlig unerwarteten Bewegung meinen Colt wieder zu.
Ich fing die Waffe mit einem schnellen Reflex, und ich fing sie am Kolben, sodass sie schussfertig in meiner Hand lag – wenn, ja wenn sie geladen gewesen wäre. Das alles ging so schnell, dass mich erst dann meine Gedanken wieder einholten.
Aber nun begriff ich, wie erfahren sie war im Umgang mit Männern, die einen Colt trugen wie ich. An der Art, wie ich reflexartig reagierte und den Colt richtig fing, sodass er schussbereit in meiner Hand lag, erkannte sie, dass ich ein Revolvermann war.
Ich steckte meine Waffe weg, hockte mich beim Feuer nieder und begann, aus dem Topf zu essen.
Sie fragte nach einer Weile, indes sie mir den Kaffeebecher füllte und dann reichte: »Sind Sie aus Jericho?«
»Nein«, sagte ich kauend. »Doch da will ich hin. Wie weit ist es denn bis nach Jericho?«
»Zehn oder zwölf Meilen«, erwiderte sie. »Aber so genau weiß ich das nicht. Vielleicht sind es zwanzig. In diesem verdammten Land ist nichts sicher.«
Mir wurde indes etwas besser. Die ersten Bissen Nahrung in meinem Magen beruhigten diesen, und es war mir, als strömten schon neue Säfte und damit auch Kräfte in meinen Körper.
»Sie haben wohl kein Pferd für mich?« So fragte ich und fügte schnell hinzu: »Ich kann dafür zahlen. Dass ich nicht mal Stiefel an den Füßen habe, hat nichts damit zu tun, dass ich mir keine kaufen könnte. Wissen Sie, mich jagten Apachen aus meinem Camp, als ich mir gerade die Stiefel auszog. Verstehen Sie?«
Sie nickte und betrachtete mich im Feuerschein mit neuem Interesse.
»Nein, wir haben kein Pferd hier«, sagte sie. »Und das Maultier, das den Hirtenwagen zog, wurde mit den anderen Reit- oder Zugtieren gestohlen. Dieses Land ist verdammt unsicher. Mein Bruder ist hinter den Dieben her. Deshalb warten wir hier.«
Der Hirte, der mich ständig mit dem Gewehr unter Kontrolle hielt, näherte sich nun dem Feuer. Ich blickte ihn über die Schulter hinweg an. Er war ein alter, krummbeiniger Mexikaner, und er roch zehn Schritte gegen den Wind nach Schafen. Er betrachtete mich aufmerksam. Ich sah, dass er einer dieser erfahrenen und unwahrscheinlich genügsamen Hirten war, die mit ihren Herden lebten und nichts anderes kannten als die Sorge um ihre Schafe.
Er hielt das Gewehr in der Armbeuge. Es war ein sehr altes Gewehr, doch ich war sicher, dass er damit vortrefflich umgehen konnte. Denn um die Schafe zu beschützen, musste er oft auf Wölfe und Coyoten schießen, auch auf Pumas.
»Was wollen Sie in Jericho?« So fragte die gelbhaarige Frau nach einer Weile.
Ich überlegte kauend, ob ich ihr Auskunft geben sollte. Aber als ich ihre Augen im Schein des Feuers sah, da erkannte ich darin etwas, was mich dazu brachte, zu ihr zu sagen: »Ach, man hat mir mein Pferd gestohlen. Und der Pferdedieb will in Jericho auf mich warten.«
Sie begriff die ganze Sache sofort.
»Diese Stadt«, sagte sie, »wurde einst von guten Menschen errichtet. Aber dann kamen Bandoleros über die Grenze und machten sie klein. Später dann kam ein gewisser Tabor Quiney und baute die Stadt wieder auf. Tabor Quiney ließ schon viele Menschen umbringen. Jericho ist eine Banditenstadt. Und dennoch ist sie für alle Menschen auf hundert Meilen in der Runde – auch für die Menschen jenseits der Grenze – die einzige Möglichkeit, sich zu versorgen. Und damit wird Jericho zu einer Falle. Für alle, die nach Jericho kommen, gibt es keine Chance, auch nur einigermaßen ungerupft zu bleiben.«
Ich nickte und überdachte die Sache. Aber es war wohl so, dass ich gar keine andere Wahl mehr hatte, als nach Jericho zu gehen. Es war der nächste Ort. Ohne Stiefel, zu Fuß und bar jeder Ausrüstung musste ich Jericho als meine einzige Chance ansehen – obwohl man mir genau das Gegenteil prophezeite. Und dann fiel mir endlich ein, dass die Frau, deren Namen ich noch nicht kannte, ja ebenfalls nach Jericho wollte. Mit einer Schafherde. Oder sollte ich mich täuschen? Mich interessierte plötzlich sehr, wie sie wohl heißen mochte. Und so sagte ich: »Mein Name ist Carmile, Ben Carmile. Wollen Sie mit Ihren Schafen nicht auch nach Jericho?«
Sie lächelte ernst. Ihre weißen Zahnreihen blitzten zwischen ihren Lippen. Ich glaubte plötzlich, dass sie bei aller äußerlichen Herbheit und Beherrschung tief in ihrem Kern einen Lebenshunger verborgen hielt, der vielleicht manchmal ein brennendes Feuer war. Ja, sie war unter ihrer beherrschten Oberfläche ein Vollblutweib. Ich glaubte, das an diesem blinkenden Lächeln erkennen zu können. Sie war hungrig nach Dingen, die sie in diesem Land gewiss nicht bekommen konnte.
»Ich bin Stella Hannagan«, sagte sie. »Und wir wollen nicht direkt nach Jericho, sondern zu den Minen in der Umgebung. Wir glaubten, uns gewissermaßen hinschleichen zu können. Die Herde da besteht nur aus Hammeln. Es sind fünfhundert Tiere, und sie wären normalerweise keine zweitausend Dollar wert. Doch den Minen fehlt Frischfleisch. Man kann keine Rinder so hoch in die Berge treiben, nur Ziegen oder Schafe. Es fehlt ja unterwegs auch zu sehr an Wasser. Schafe sind genügsamer. Die Minen zahlen bis zu zwanzig Dollar in Gold für einen ausgewachsenen Hammel. Und wir wollten ein gutes Geschäft machen. Dies schien uns das Risiko wert zu sein. Aber wir wurden entdeckt. Man stahl uns die Reitpferde und auch das Maultier von Pacos Wagen. Mein Bruder ist nach Jericho, um sich dort mit Tabor Quiney zu einigen. Wir werden ihm die Hälfte des Erlöses abgeben müssen. So einfach ist das!«
Sie hatte mir nun alles gesagt. Ja, jetzt wusste ich Bescheid. Und wenn ich nach Jericho ging, würde ich wirklich keine Chance haben. Doch wohin hätte ich sonst gehen können?
✰✰✰
Noch vor Tagesanbruch war ich wieder unterwegs. Ich hatte etwa zwei Stunden geschlafen, und es ging mir besser, weil ich mir ja den Bauch mit Bohnen und Rauchfleisch gefüllt hatte.
Ich trank noch einen Becher Kaffee am Feuer, bevor ich mich auf den Weg machte. Stella Hannagan richtete sich aus ihren Decken auf und sagte: »Viel Glück, Ben Carmile. Vielleicht treffen Sie meinen Bruder unterwegs. Wenn er die Pferde und das Maultier zurückbekommen haben sollte, müsste er auf dem Rückweg sein.«
Ich nickte und stellte den leeren Becher zu Boden. Einige Atemzüge lang verhielt ich und starrte über das Feuer hinweg auf Stella Hannagan. Ich spürte deutlich eine Strömung, die von ihr ausging und mich irgendwie fortwährend berührte.
Vielleicht ging es ihr umgekehrt ebenfalls so. Ja, es war etwas zwischen uns. Von Anfang an hatte sie mir gefallen. Noch nie war ich solch einer Frau begegnet.
Bevor ich ging, sagte ich: »Vielleicht kann ich wieder einmal an Ihr Feuer kommen, Stella Hannagan, ja?«
Sie antwortete nicht sogleich. Doch dann sah ich sie nicken und hörte sie sagen: »Ja, Ben Carmile, ich würde mich freuen, wenn wir uns wiedersehen könnten und wir beide keinen Verdruss oder ähnliche Probleme mehr am Hals hätten. Ja, ich würde mich freuen.«
An ihre Worte dachte ich dann unterwegs immerzu. Mich freute ihre Offenheit. Sie war eine Frau, bei der man stets genau wissen würde, woran man war. Sie wurde sich nie verstecken mit ihren Gefühlen und Interessen. Und an mir als Mann, den sie noch nicht richtig kannte, war sie interessiert. Das war mir jetzt klar.
Und mit jeder Meile, die ich zurücklegte in dieser sterbenden Nacht und dann am Morgen, der allmählich heißer wurde, da freute ich mich auf ein Wiedersehen mit Stella Hannagan.
Es war schon Mittag, als ich Jericho zu sehen bekam.
Ich war die letzten fünf Meilen durch einen Canyon gelaufen, der in einen Talkessel mündete. In diesen Talkessel mündeten noch weitere Canyons und schmale Schluchten. Und wer auch aus irgendeiner Himmelsrichtung in irgendeine andere wollte, der musste durch diesen Talkessel, der fast kreisrund war und einen Durchmesser von etwa drei Meilen hatte.
Es gab zwei Creeks, welche aus südlicher und westlicher Richtung kamen, in einen kleinen See flossen und als Überläufe dann nach Osten und Norden in den Canyons verschwanden. Es gab viel Grün, reichlich Baumgruppen und eine Missionskirche aus der Spanierzeit, um die sich Adobebauten scharten. Um die heiße Mittagszeit war jetzt kaum eine Bewegung zu erkennen.
Ich warf mich wenig später in das Wasser des kleinen Sees. Er war tief genug, um darin schwimmen zu können.
Ich fragte mich, was für Menschen wohl hier in Jericho lebten. Waren sie dumm? Feige vielleicht? Und deshalb hilflos? Waren sie zu bedauern? Oder war das alles hier eine einzige Bande?
Die Stadt war einst von mexikanischen Banditen zerstört worden. Und dann hatte sie ein gewisser Tabor Quiney wieder aufbauen lassen.
Aber dann sah ich etwas, was mir die Sache schon etwas mehr erklärte. An vielen der Adobehäusern erkannte ich eine besondere Art von Rosen. Es waren sogenannte »Jerichorosen«, Korbblütler, die also Blätter rings um die Blüten haben. Vielleicht waren diese Rosen die Ursache für den Namen des Ortes und nicht das biblische Jericho.
Ich stieg aus dem Wasser und ging hinüber zu den ersten Häusern.
Die kleine Stadt im Grün des wasserreichen und fruchtbaren Talkessels schien im tiefsten Schlaf zu liegen. Nur ein Huhn gackerte irgendwo. Und die Fliegen summten in der Stille.
Auf der Veranda eines Hauses lag ein alter Mann im Schaukelstuhl. Er hatte die Augen offen und sah mich an.
Ich verhielt. »Gibt es hier einen Store?«, fragte ich ihn.
Er war angloamerikanischer Abstammung und ließ mich eine Weile auf seine Antwort warten. Aber dann sagte er müde: »Ein Stück weiter auf der rechten Seite des Platzes. Wo kommst du denn her, mein Junge? Doch wohl nicht zu Fuß aus der Apachenwüste?«
»Doch«, erwiderte ich. »Und ich suche einen alten Bekannten, der sich Vance Vansitter nennt. Wo könnte ich ihn finden?«
Der alte Mann richtete sich im Schaukelstuhl etwas auf und bekam schmale Augen.
»Aha«, sagte er. »Vance Vansitter kam gestern nicht auf seinem Pferd in die Stadt. Er ritt ein fremdes Tier. Oh, mein Junge, wenn du dich für eine harte Nummer halten solltest, dann vergiss das auf der Stelle. Betrachte es als Ehre, dass du Vansitter dein Pferd geben und zu Fuß gehen konntest. Als Ehre, verstehst du?«
»Wo finde ich ihn?« So fragte ich ganz ruhig, fast sanft.
Er setzte sich noch gerader auf, betrachtete mich aus schmalen Augenschlitzen. Er war ein alter, erfahrener und gewiss sehr schlauer Bursche.
»Ach«, erwiderte er dann, »der liegt jetzt nach der langen Nacht im Saloon gewiss mit Nancy im Bett und wartet auf die nächste Nacht. Und Nancy – nun, die ist nur eines von Red Cats Mädchen.«
»Danke, Onkel«, sagte ich und wollte weiter.
Aber er sagte: »Ich bin hier der Doc. Und wenn es dich etwas beruhigen kann, dann will ich dir verraten, dass ich mich besonders auf Schusswunden und Knochenbrüche verstehe. Wenn Vansitter also noch ein wenig von dir am Leben lässt, dann kannst du hoffen, dass ich dir helfen werde. Kannst du dafür zahlen? Vielleicht solltest du mir schon mal zehn Dollar als Anzahlung hierlassen, ja?«
Ich grinste ihn nur an. Dann ging ich weiter.
Er war also hier der Doc, aber ob er wirklich einer war, der studiert hatte, war längst nicht sicher. Auf jeden Fall war er ein schlauer Mann, der sofort an geringfügigen Anhaltspunkten Zusammenhänge erkennen konnte.
Ich kam endlich zum Platz und fand den Store. Ich ging hinein.
Es kam jemand aus dem Hintergrund. Und wieder war es ein alter Mann, wie vorhin schon jener, der sich Doc nannte. Er blickte mich misstrauisch und traurig an.
Aber ich legte ein Zwanzig-Dollar-Stück auf den Ladentisch und sagte ihm, was ich alles haben wollte, nämlich Stiefel, Socken, eine Hose und ein Hemd. Und dann legte ich noch fünf Dollar hin und verlangte Munition für meinen Colt – also Zündhütchen, Pulver und Kugeln. Ich holte noch meine leere Reservetrommel aus der Hosentasche und begann wenig später auch die zu füllen.
Erst dann wählte ich Stiefel und das andere Zeug aus.
✰✰✰
Während ich mich dem Saloon näherte, begegnete ich keinem Menschen. Die Mittagshitze flimmerte erbarmungslos über allen Dingen.
Der Saloonbau war ein stattliches Gebäude, und nachdem ich es zwei Sekunden betrachtet hatte, wurde mir klar, um was für ein Bauwerk es sich handelte. Dieser Bau war einst gewiss eine Residenz gewesen, vielleicht der Wohnsitz eines spanischen oder später mexikanischen Gouverneurs oder Statthalters.
Um das Gebäude herum war dann das Dorf entstanden, aus dem schließlich die Stadt Jericho wurde. Und auch dieses Gebäude war zerstört worden, obwohl es gewiss schwer war, hier Schaden anzurichten. Doch ich erkannte einige Ausbesserungen, die erst wenige Jahre alt waren. Und auch das Dach war jünger als die Mauern. Aber nun war der einstige Prachtbau eine Mischung von Saloon, Bodega und Fonda.
Ich ging die Stufen zur Veranda hinauf. Der Haupteingang war offen. Langsam trat ich ein.
Die einstige gewaltige Wohnhalle war zum Gastraum umgebaut worden. Es gab eine lange Bar. Durchgänge führten zu Nebenräumen. Diese Durchgänge wurden durch Vorhänge von Holzperlenketten ein wenig verdeckt.
Eine breite Prachttreppe führte im Bogen nach oben zur Galerie, von der aus man zu den Zimmern des Obergeschosses konnte. Aber von der Brüstung dieser Galerie konnte man hinunter in die große Wohnhalle blicken wie aus Theaterlogen auf das Parkett und die Bühne. Die lange Bar war hier gewissermaßen die Bühne.
Ich dachte: Oha, welch ein Amüsierpalast in dieser Gegend!
Ich erinnerte mich an die Worte des alten Mannes, der sich mir als Doc ausgegeben hatte und zehn Dollar Vorschuss haben wollte für den Fall, dass ich seine Hilfe benötigen würde.
Er hatte mir gesagt, dass jener Vance Vansitter wahrscheinlich mit einem Mädchen, welches Nancy hieß, im Bett liegen würde. Aber dort oben gab es gewiss viele Zimmer, in denen Mädchen mit männlichen Gästen lagen.
Wie konnte ich das Zimmer finden, in dem Vance Vansitter, der Mann, der mir mein Pferd nahm, mit jener Nancy den Tag verbrachte?
Als ich mich zur Treppe wandte, bewegte sich in einer dunklen und gewiss kühlsten Ecke des Raumes ein gewaltiger Schaukelstuhl.
Und eine warm und herzlich klingende Frauenstimme fragte: »Nun, Amigo, was soll's denn sein?« Man hörte schon der Stimme an, dass deren Besitzerin zumindest stattlich an Figur sein musste.
Ich trat ein wenig näher – und mit jedem Schritt war die Frau deutlicher im Halbdunkel zu erkennen.
Ich sah eine Frau im Schaukelstuhl liegen, die auf mich wie eine fette, träge Katze wirkte, eine schnurrende Katze mit grünen Augen und rotem Fell. Denn die Frau hatte rote Haare.
Eingewickelt war sie in einen grünen Morgenmantel, dessen Grün vielleicht mal die Farbe ihrer Augen gehabt hatte, jetzt jedoch verwaschen war.
Ich trat näher.
»Ma'am«, sagte ich, »verzeihen Sie mir, dass ich Sie nicht bemerkte und deshalb nicht grüßte. Aber das hole ich jetzt nach.« Ich machte eine leichte Verbeugung. Einen Hut trug ich nicht. Sonst würde ich ihn gewiss gezogen und geschwenkt haben. Denn mir war sofort klar, dass dies die Patrona des Hauses war, jene Red Cat, die der Doc erwähnte.
Sie betrachtete mich schweigend, und ich wusste, sie ließ sich durch meine nagelneue Kleidung nicht täuschen. Sie sah mir an, woher ich kam und was alles hinter mir lag.
Und dann bewiesen mir ihre Worte, wie sehr man hier in Jericho über alles Bescheid wusste, selbst über kleine und nebensächliche Dinge. Hier in dieser Stadt blieb nichts verborgen.
Sie nickte. »O ja«, sagte sie, »ich weiß schon Bescheid. Vance Vansitter sagte, dass er einem barfüßigen Burschen, dessen Colt leer war, das Pferd weggenommen hätte. Sind Sie dieser Mann?«
Ich staunte nicht sehr, denn ich kannte den manchmal sehr merkwürdigen Stolz und Ehrgeiz dieser ruhmsüchtigen Schießer – mochten sie nun Banditen sein oder auf der Seite des Gesetzes stehen. Es war ein eitler Stolz. Und dieser Vance Vansitter besaß ihn offensichtlich in einem hohen Maße. Denn er hatte mit der Möglichkeit gerechnet, dass ich kommen würde.
Ich nickte. »Ja, Ma'am«, sagte ich, »dieser Mann bin ich. Und ich möchte Ihnen in dieser Mittagshitze wirklich keine Mühe bereiten. Es genügt mir, wenn Sie mir sagen, in welchem Zimmer ich diesen Vance Vansitter finden kann.«
Sie lachte leise. Dann winkte sie mich mit dem gekrümmten Zeigefinger näher heran. Sie betrachtete mich aus nächster Nähe. Ihre Augen hatten eine suggestive Kraft. Ihr Katzengesicht war rassig und schön zugleich. Sie war eine außergewöhnliche Frau, dies konnte ich jetzt noch stärker spüren als zuvor.
Und ihr üppiger Körper war bei aller Üppigkeit geschmeidig, nicht träge, sondern jetzt einfach nur bequem ruhend. Aber wie eine richtige Katze war sie gewiss blitzschneller Reflexe fähig.
»Amigo«, murmelte sie, »überschätzen Sie sich auch nicht? Vance Vansitter ist eine der allerersten Nummern in diesem Land. Oder haben auch Sie einen besonderen Kriegsnamen und Ruf?« Als sie die Frage stellte, kam in ihren Blick ein fast gieriger Ausdruck.
Ich grinste schief.
»Nein«, sagte ich, »einen besonderen Kriegsnamen oder Ruf habe ich nicht. Ich bin nur ein Wildpferdjäger, der mit knapper Not den Apachen entkam und dann von diesem Vance Vansitter bestohlen wurde. Wo also ...«
»Nicht so schnell«, unterbrach sie mich. »Kommen Sie noch einen Schritt näher, Amigo, und zeigen Sie mir Ihre Hände. Die Handflächen. Ich will die Linien Ihrer Hände sehen. Ich will ihr Schicksal lesen.«
Es war etwas in ihrer Stimme, was mich wortlos gehorchen ließ. Denn irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl, dass sie wahrhaftig aus der Hand lesen und die Zukunft voraussagen konnte.
Sie nahm meine Hände in ihre, und ihre Hände waren im Gegensatz zu ihrem Körper schlank und geschmeidig. Es waren die schönen Hände einer Künstlerin.
Sie betrachtete lange die Linien meiner Hand. Dann lehnte sie sich wieder im Schaukelstuhl zurück, mich gleichzeitig freigebend. Aber sie sagte mir nicht, was sie in meinen Handlinien erkennen konnte oder aus ihnen zu lesen vermochte. Sie sah mich nur an.
Und ich fragte sie nicht. Nein, ich wollte es plötzlich gar nicht wissen. Denn hätte sie mir einen raschen und baldigen Tod vorausgesagt, dann wäre ich vielleicht vor Furcht davongeschlichen.
»Also, wo ist er?« So fragte ich nun hart. »Oder soll ich ihn in jedem Zimmer suchen? Ma'am, ich will Ihnen wirklich keinen Ärger bereiten, aber ...«
»Schon gut«, unterbrach sie mich. »Gehen Sie hinaus. Warten Sie auf der Plaza. Vance Vansitter wird in wenigen Minuten aus diesem Haus kommen. Ich möchte nicht, dass hier drinnen – verstehen Sie, Amigo? Und meine Mädchen könnten sich erschrecken. Warten Sie draußen, ja?«
Ich nickte nur, wandte mich ab und ging.
»Viel Glück, Amigo«, sagte sie hinter mir her.
Da hielt ich an und wandte mich halb um.
»Warum wünschen Sie mir Glück, Ma'am? Ist dieser Vansitter hier kein guter Gast und Freund?«
Sie lächelte. »Doch, das ist er«, erwiderte sie. »Doch mein Herz schlägt stets für den Tapferen, dessen Chancen geringer sind. Ich bin mit dem Herzen stets bei denen, die wahrscheinlich verlieren werden, weil alles gegen sie ist.«
Da zeigte ich ihr die Handflächen.
»Haben Sie das herausgelesen?« So fragte ich.
»Ich habe mich da auch schon mal geirrt«, erwiderte sie.
Da ging ich hinaus. Und ich wusste, es würde ein schrecklicher Kampf werden.
✰✰✰
Mitten auf der Plaza stand ein gewaltiger Baum, eine Burreiche, die ihre Wurzeln gewiss auf unterirdischen Wasseradern sitzen hatte. Der Riesenbaum warf einen weiten Schatten. Und es gab auch einen gemauerten Brunnen dort, der mit Planken zugedeckt war, damit keine Blätter oder Staub hineinfallen konnten. Die Wassertröge vor dem Brunnen waren gefüllt. Es gab auch einige steinerne Bänke.
Als ich in den Schatten dieses Baumes trat, um auf Vance Vansitter zu warten, da sah ich einen Mann auf einer der Bänke sitzen.
Er sah mich an, und er kam mir irgendwie bekannt vor. Plötzlich begriff ich, was mir an ihm so bekannt vorkam. Er war die männliche Ausgabe von jener Stella Hannagan. Er musste ihr Bruder sein.
Und weil man ihnen ja alle Reit- und Zugtiere gestohlen hatte, war er den Weg nach hier zu Fuß gegangen wie ich. Doch er war dafür besser ausgerüstet gewesen. Er trug Stiefel und hatte eine Wasserflasche neben sich auf der Bank.
Wir betrachteten uns. Er war ungefähr in meinem Alter und sicherlich zäh und erfahren. Auch trug er einen Colt. Aber er war hergekommen, um sich einem gewissen Tabor Quiney zu unterwerfen.
Ich fragte mich, ob ihn dieser Tabor Quiney hier warten ließ, um ihn ein wenig im eigenen Saft schmoren zu lassen – oder ob dieser Tabor Quiney, der der Herr dieser Stadt und dieses Landes sein sollte, gar nicht in Jericho war.
Ich nickte ihm zu und sagte: »Sie sind gewiss Hannagan. Ich war diese Nacht noch am Campfeuer Ihrer Schwester. Sie gab mir Speise und Trank. Es ist ein weiter Weg bis nach Jericho, nicht wahr?«
Er nickte, aber bevor er etwas sagen konnte, erhaschte ich aus dem Augenwinkel auf der Veranda des zum Vergnügungshaus umgewandelten Baues eine Bewegung.
Ich wandte mich in die Richtung zurück, aus der ich kam.
Dort drüben stand Vance Vansitter.
Er war aus dem Haus auf die Veranda getreten wie ein Wolf aus seiner Höhle, und er blinzelte noch ein wenig in der Sonne, rückte seinen Waffengurt mit dem Colt zurecht und band das Holster am Oberschenkel fest.
Dann sah er zu mir herüber, denn ich war aus dem Schatten des Baumes getreten und stand nun in der Sonne wie er.
Es war immer noch Mittag. Die Sonne stand hoch über uns.
Langsam kam Vance Vansitter die Veranda herunter und näherte sich mir. Er ging leicht und geschmeidig über den harten Platz, von dem der sanfte Wind nur wenig Staub wehen konnte.
Hinter ihm auf der Veranda kamen noch weitere Männer heraus. Und einige Fenster öffneten sich. Frauenköpfe wurden sichtbar. Auf einem Balkon erschien Red Cat, deren Nachnamen ich noch nicht kannte. Auch in den Straßen, die auf den Platz mündeten, war nun Bewegung. Es war, als hätte in dieser merkwürdigen Stadt ein geheimes Signal überall die Siesta beendet.
Ich konzentrierte mich auf Vance Vansitter.
Er war mir jetzt nahe genug.
Nur acht Schritte etwa trennten uns.
Und er war bereit, das sah ich ihm an. Er starrte zu mir herüber und sagte dann heiser: »Willst du es wirklich so haben, Bruderherz? Lohnt es sich, für seinen verdammten Stolz zu sterben?«
Ich sah ihn an und nickte.
»Ich bin kein händelsüchtiger Schießer«, sagte ich. »Doch wer mir das Pferd stiehlt und mich barfuß und mit einem leeren Colt durch die Apachenwüste laufen lässt, der ...«
Ich kam nicht weiter, und ich wusste nicht, was in ihm vorgegangen war in den wenigen Sekunden, die ich sprach.
Vielleicht hatte er plötzlich die Alarmsignale seines feinen Instinkts gespürt. Vielleicht besaß ich eine Ausstrahlung in diesem Moment im Zusammenhang mit meiner Stimme und dem Blick meiner hellen Augen, dass er jetzt erst richtig begriff, in was er sich eingelassen hatte, als er mir das Pferd nahm und großspurig vor seinen Partnern verkündete, wo er mir Genugtuung geben würde.
Nun war ich gekommen. Nun musste er inmitten dieser Stadt unter seinen Artgenossen zeigen, dass er zu seinen Worten stand. Aber er konnte an mir keine Furcht erkennen, nicht einmal spüren.
Ja, das irritierte ihn. Und nun wollte er keine Zeit verlieren. Irgendwie hatte er plötzlich jenes ungute Gefühl in sich, das irgendwann einmal jeder Revolvermann zu verspüren bekommt. Denn eine drohende Niederlage kann man spüren. Fast jeder Revolverkämpfer, der einmal geschlagen wurde, behauptete das.
Er zog sehr überraschend für mich, denn ich redete ja noch zu ihm. Aber ich erkannte die Bewegung im Ansatz an seiner zuckenden Schulter.
Von diesem Moment an handelte ich nicht mehr dem Verstand nach, befolgte nicht mehr irgendwelche Befehle meines Hirns – nein, jetzt war mein Handeln und Reagieren nur noch reflexartig.
Ich zog und schoss. Dabei sah ich in sein Mündungsfeuer und spürte schmerzvoll seine Kugel. Ich schoss weiter – und ich sah auch in seine nachfolgenden Mündungsfeuer. Wir schossen ziemlich gleichzeitig.
Und wir trafen uns auch gleichzeitig.
Als würde es darauf ankommen, wer genauer traf.
Oder würden wir uns gegenseitig töten?
Die Frage holte mich plötzlich ein, nachdem ich zum dritten Mal meinen Colt abfeuerte.
Ich sah ihn schwanken und sich zur Seite drehen. Er schoss eine vierte Kugel irgendwohin – nur nicht mehr in meine Richtung.
Und dann fiel er.
Auch ich schwankte. Ich musste mich setzen und erinnerte mich an die steinernen Bänke beim Brunnen.
Und so wandte ich mich schwerfällig mit dem noch rauchenden Colt in der Hand und versuchte einige Schritte.
Ich schaffte es wahrhaftig.
Dann saß ich da, hielt immer noch den Colt in der Hand, spürte, wie mir das Blut aus den Wunden rann – und fragte mich bitter, zu was das nun alles gut gewesen war. Mein Stolz und der Wunsch nach Genugtuung kamen mir nun reichlich dumm vor. Denn ich war angeschossen. Ich hatte meinen Schaden noch größer gemacht. Und ich hatte Vance Vansitter von den Beinen geschossen. Mehr nicht. Verdammt noch mal.
Stellas Bruder stand plötzlich neben mir.
»Mann«, sagte er, »Sie können sich hier nicht ausruhen, bis Sie verblutet sind. Stehen Sie auf. Ich helfe Ihnen zu Doc Hiob Banner. Die zweihundert Schritte bis zu ihm schaffen Sie gewiss mit meiner Hilfe. Kommen Sie!«
Er war ein guter Bursche, dies begriff ich.
Obwohl er einen bösen Verdruss am Hals hatte und hergekommen war, um sich dem Boss dieses Landes, Tabor Quiney, zu unterwerfen, wollte er mir beistehen, helfen. Das konnte gewiss gefährlich für ihn werden, weil ich ja mit einem von Tabor Quineys Freunden oder Vasallen gekämpft und ihn auch besiegt hatte. Eine Parteinahme für mich konnte ihm also nur Schwierigkeiten bringen.
Dennoch wollte er mir helfen.
Und ich wollte mir nicht helfen lassen. Denn da war mein dummer Stolz – und da war das Wissen, dass er nur Schwierigkeiten bekommen würde.
Deshalb knirschte ich zwischen den Zähnen: »Schon gut, Hannagan. Aber ich werde es sicherlich allein schaffen. Und das ist gewiss besser für Sie. Danke für das Angebot, ja, danke.«
Während der letzten Worte erhob ich mich von der Bank. Ich glaubte, den Schock überwunden zu haben. Dennoch wollte mich ständig Panik erfassen. Denn aus drei Wunden verlor ich Blut. Es konnten keine lebensgefährlichen Wunden sein. Dennoch bluteten sie heftig. Meine ladenneue Kleidung wurde schon wieder ruiniert. Denn Blut ließ sich nur schwer herauswaschen, das wusste ich zu gut.
Ich stand nun und setzte mich in Bewegung.
Aber mein Bein knickte unter mir weg. Ich hatte eine Kugel im Oberschenkel. Fast fiel ich, Hannagan wollte mich auffangen. Doch ich schaffte es, auf den Beinen zu bleiben.
Dann machte ich etwa zwanzig Schritte.
Ich wandte mich dabei nach rechts in Richtung der Straße, in der jener Doc sein Haus hatte und auf seiner Veranda im Schaukelstuhl döste. Doch jetzt tat er das hoffentlich nicht mehr.
Die Schüsse mussten überall gehört worden sein. Eigentlich musste er jeden Moment auftauchen – wenn, ja, wenn er ein richtiger Doc war, der seinen Eid ernst nahm. Ja, dann musste er schon unterwegs sein, um Leben zu retten und zu erhalten.
Ich sah links von mir Vance Vansitter am Boden liegen. Red Cat und einige Männer umstanden ihn oder knieten bei ihm.
Ob er tot war?
Mir wurde plötzlich schwarz vor Augen. Und meine Knie wurden weich. Der Erdboden kam mir entgegen.
✰✰✰
Ich erwachte, als der Doc mir mit einem Instrument die Kugel aus dem Oberschenkel holte. Meine Brust war schon durch einen Verband eingeengt, der meine Rippen wie ein Korsett stützte. Und auch meine Schulter, hoch oben über dem Schlüsselbein, war versorgt.
Der alte Doc mit seinem Seehundsgesicht grinste und ließ braune Zähne sehen, als er erkannte, dass ich wieder bei Sinnen war.
»Na, habe ich nicht gesagt, dass Sie meine Hilfe brauchen würden, mein Junge? Und weil Sie nicht vorausgezahlt haben, nehme ich jetzt zehn Dollar mehr, hahaha!«
Ich konnte nicht mitlachen.
Und überdies wurde mir jetzt bewusst, in was für einem Bett ich lag.
Heiliger Rauch, es war ein Luxusbett aus starken und verschnörkelten Messingstäben oder -rohren. Und es hatte an den Pfosten dicke Kugeln. Das Bettzeug war allerbeste Qualität. Ich verstand nicht viel davon, aber ich hielt es für feinsten Damast. Auch das Zimmer war dementsprechend eingerichtet. Oben an der Decke war ein Gemälde. Er stellte offenbar jenen Paris dar, der im Schönheitswettbewerb der Göttinnen Schiedsrichter war, und auf diesem Bild gerade Venus den Apfel reichte.
An den Wänden waren frivole Bilder, die ein großer Künstler malte.
Und dann sah ich Red Cat auf der anderen Seite des Bettes.
Ich begriff, dass dies ihr Bett und ihr Zimmer war. Sie hatte mich zu sich schaffen lassen.
Warum nur?
Heiliger Rauch! In was war ich jetzt hineingeraten? Denn dass ich in etwas hineingeraten war, dies begriff ich sofort.
Sie lächelte auf mich nieder, und wieder wirkte sie auf mich wie eine Katze, die bei aller Fähigkeit zum Einschmeicheln und zärtlichen Umherstreichen doch sehr individualistisch und jederzeit bereit war, die Krallen zu zeigen.
Ja, dies alles spürte ich instinktiv bei ihr.
Der Doc war nun fertig und packte seine Siebensachen in eine alte Tasche. Ich hörte Red Cat sagen: »Ich bezahle das, Doc, lege es für ihn aus. Denn ich konnte in seinen Taschen nicht mehr genug Geld finden.«
Sie ging mit ihm hinaus.
Aber bald kam sie wieder und brachte eine Schnabeltasse mit, aus der sie mich trinken ließ. Es war ein bitterer Tee. Sie sagte: »Der wird das zu erwartende Fieber drücken.«
Ich schluckte brav.
Aber dann sah ich ihr fest in die schrägen grünen Katzenaugen und fragte:
»Und warum liege ich in diesem Bett, Ma'am?«
»Mein Name ist Sue, Sue Sullivan«, sagte sie. »Und da wir gute Freunde werden wollen, solltest du mich einfach nur Sue nennen. Wie war dein Name, mein Freund?«
Ich wusste nicht, ob ich ihr meinen Namen überhaupt schon genannt hatte, wahrscheinlich jedoch nicht. Aber ihre Worte verblüfften mich so sehr, dass ich sagte: »Mein Name ist Carmile, Ben Carmile.«
Und erst nachdem ich dies gesagt hatte, begann mein Verstand wieder richtig zu arbeiten. Vielleicht machte mir auch der Tee, dessen Wirkung einsetzte, wieder einen klaren Kopf und ließ mich den Blutverlust besser ertragen.
Und so kam ich auf den wesentlichen Punkt zurück.
»Warum liege ich in deinem Bett, Sue?«, fragte ich knapp.
Sie setzte sich auf den Bettrand.
Wir waren uns nun sehr nahe, und sie ließ mich wieder ihre starke, katzenhafte Ausstrahlung spüren.
»Vance Vansitter«, sagte sie langsam, »war der schnellste und gefährlichste Revolverkämpfer im ganzen Land zu beiden Seiten der Grenze. Er war ein Großer mit dem Colt. Aber du hast ihn besiegt im fairen Duell. Ja, er zog sogar zuerst. Nun bist du der größte Revolverkämpfer in diesem Land. Und weil das so ist, möchte ich deine Freundschaft, deinen Schutz, deine Hilfe. Halt! Entscheide dich noch nicht! Werde erst mal gesund. Und lern mal die Verhältnisse hier besser kennen. Erst dann sollst du dich entscheiden. Und bis dahin lass uns gute Freunde werden, ja?«
Nun wusste ich es also genau.
Vansitter war hier der große, zweibeinige Tiger gewesen. Und wahrscheinlich war er ganz und gar ein Mann von Tabor Quiney. Jetzt war er tot. Ja, es konnte nicht anders sein. Ich hatte ihn getötet.
Und deshalb wollte mich Red Cat Sue Sullivan auf ihrer Seite haben.
»Warum?« So fragte ich. Ich sprach nur dieses eine Wort, indes ich in Sue Sullivans grüne Augen sah. »Warum?«
Und sie begriff sofort den Sinn meiner Frage. Sie las alles andere in meinem Blick. Und sie deckte ihre Karten auf.
»Ich bin hier Tabor Quineys Gefangene«, sagte sie schlicht. »Ich komme hier nicht fort. Mir geht es hier wie einer Katze im goldenen Käfig. Und deshalb brauche ich einen Freund, vor dem sie sich alle fürchten.«
Nun wusste ich es genau.
Ich wollte protestieren oder wie man es auch nennen mochte – aber nun war ich plötzlich zu müde. Wahrscheinlich war vor allem der Tee daran schuld, nicht nur der Blutverlust.
Ich konnte nicht mehr länger wach bleiben.
✰✰✰
Als ich erwachte, biss mich der Hunger in den Eingeweiden wie ein böses Tier. Ich hatte lange geschlafen. Draußen war der Morgen des anderen Tages. Der Tee hatte mich offenbar in einen Tiefschlaf versetzt.
Doch ich hatte wahrscheinlich kein Fieber – und wenn, dann nur sehr geringes.
Das Fenster war offen. Frische Luft drang herein.
Dann kam Sue Sullivan ins Zimmer.
Wieder trug sie den verblichenen grünen Morgenmantel. Aber so verblichen er auch war, er war nicht schmuddelig. Sue wirkte frisch gebadet. Und ihr rotes Haar war unter einem Handtuch verborgen. Ich roch, dass sie vorhin erst gebadet und sich auch das Haar gewaschen hatte. Denn sie strömte frische Sauberkeit aus.
Sie kam mit einem Tablett herein, auf dem allerlei Schüsseln, Kannen und Dinge standen.
Einen Moment verhielt sie und sah auf mich nieder.
»Ja, dir geht es besser«, stellte sie fest. »Dieser Tee ist von einer alten Medizinfrau der Yaquis. Ich wette, du hast Hunger wie ein Wolf nach einem langen Blizzard. Also frühstücken wir zusammen, nicht wahr, mein Freund. Auch ich habe gewaltigen Hunger. He, sag mir, findest du mich zu dick?«
Ihr Lachen machte die Frage zu einem Scherz.
Sie stellte das Tablett auf einen Tisch und diesen dann dicht ans Bett.
»Nein«, sagte ich, »du bist nicht zu dick. Denn du bewegst dich wie eine geschmeidige Katze.«
Nach diesen Worten grinste ich.
Und sie fragte: »Über was grinst du?«
»Da gab es einen Maler«, sagte ich. »Von dem sah ich einmal Bilder in einem Kunstbuch. Rubens hieß der Maler, und er ist schon mehr als zweihundert Jahre tot. Der malte mal das Bild ›Amazonenschlacht‹, und du hättest ihm für seine Amazonen Modell stehen können.«
»Ich kenne das Bild«, erwiderte sie schlicht. »Und du hast mir soeben ein Kompliment gemacht. Ich sehe, dass wir wirklich dabei sind, Freunde zu werden. Und nun werde ich dich füttern. Beweg dich nicht. Umso schneller verharschen die Wunden. Besonders die Wunde über deiner Rippe bedarf völliger Bewegungslosigkeit, damit sie heilen kann. Du musst Geduld haben, mein Freund.«
Sie begann mich zu füttern. Es gab gebratenes Huhn, Reis und Apfelmus, dazu einen roten Wein. Ihre Ausstrahlung berührte mich ständig, und ich hatte nichts dagegen. Denn sie gefiel mir.
Ich wollte sie gerade nach jenem Tabor Quiney fragen, als die Tür aufging und ein Mann eintrat, als wäre er hier der Hausherr und käme in sein eigenes Schlafzimmer. Oha, ich wusste sofort, dass dieser Mann nur Quiney sein konnte.
Er war äußerlich einer dieser stets sieghaft wirkenden Typen.
Blond, blauäugig, blinkend lächelnd, scheinbar offen und geradeaus wirkend, ganz und gar ein Mann, dessen Wort gilt und dessen Händedruck allein schon sympathisch ist und jeden für ihn einnimmt, so trat er ein und verhielt erst am Fußende des Bettes.
Eine Weile betrachtete er uns wortlos und sein Lächeln wirkte gar nicht mehr so warm und herzlich, wie es am Anfang bei seinem Eintreten schien.
Dann sagte er: »Und du meinst, Sue, er wird auf deiner Seite sein, nicht auf meiner, so wie Vance Vansitter? Du meinst, ich werde ihn ungeschoren lassen, obwohl er Vance tötete, der mir von allen Männern in diesem Land am nächsten stand?«
»Vorerst ist er mal wehrlos«, erwiderte sie. »Und als er Vance Vansitter als Pferdedieb stellte, gab er ihm jede Chance. Vansitter zog zuerst. Er begann den Kampf. Du könntest ihn – wenn er wieder gesund ist – nur aus dem Hinterhalt abschießen oder abschießen lassen. Er wäre im Zweikampf schneller als jeder von euch. Dein Prestige, deine stolze Pose in diesem Land, aaah, das alles würde mächtig leiden, mein Bester, wenn ...«
»Schon gut«, unterbrach er sie und richtete seinen Blick auf mich.
»Ein Mann kam nach Jericho«, murmelte er, »der eigentlich keine Chance hatte, wäre er nur ein durchschnittlicher Bursche gewesen. Ein Mann, der sich als Großer mit dem Colt erwies, forderte Genugtuung von einem anderen Großen dieser Gilde. Und weil sie es im Duell auskämpften, muss es wohl nun unter uns Großen der Gilde ausgetragen werden wie unter Rittern. Na gut, wir werden sehen. Sue, er liegt jetzt in deinem Bett. Wird er auch noch darin bleiben können, wenn er gesund ist?«
Seine Worte bekamen durch den Tonfall seiner Stimme einen fast brutalen Klang.
Aber sie lachte nur.
»Das wird sich finden«, erklärte sie dann herausfordernd. »Und wenn es so kommen sollte, dann könntest du ihn ja herausfordern, wenn es dir nicht gefallen sollte, oder?«
»Du meinst, er wurde um dich kämpfen?« So fragte er, aber er wartete nicht auf ihre Antwort. Er lachte plötzlich schallend und ging wieder hinaus. Aber er ließ die Tür hinter sich offen.
Sue Sullivan ging hin und schloss die Tür.
Als sie wieder zu mir kam, sich auf den Bettrand setzte, um mich weiter zu füttern, da schwiegen wir beide eine Weile. Endlich sagte sie: »Verstehst du nun alles, mein Freund?«
Ich nickte kauend.
Und ich wusste, ich saß in der Falle.
Ich war nach Jericho gekommen und hatte einen Großen getötet. Damit hatte ich mich gewissermaßen als ein Bursche qualifiziert, den die anderen Großen dieses Landes persönlich annehmen mussten wie Platzhirsche einen neuen Artgenossen.
Denn jene ungeschriebenen Gesetze galten immer noch unter den letzten Revolverkämpfern. Sie durften sich keiner Handlanger oder irgendwelchen Tricks bedienen. Nur wenn sie in den Augen ihrer »Untertanen« die Großen blieben, konnten sie mit deren Respekt rechnen.
So etwa war es zu verstehen.
Und Sue Sullivan wollte das ausnutzen.
Sie hatte mich vorerst nur als Kranken in ihrem Bett.
Aber sie wollte mich für eine Weile ganz und gar auf ihre Seite bekommen, um sich von Tabor Quiney befreien zu können.
»Wo würdest du denn hinwollen, wenn du von hier wegkommen könntest?« So fragte ich sie.
Und da betrachtete sie mich staunend.
»New Orleans«, sagte sie dann. »Dies wäre der Ausgangspunkt, New Orleans. Und dann hinüber nach Europa, nach Paris. Ja, das würde ich gern tun. Ben, wenn ...«
Sie brach ab. Denn es hatte wohl wenig Sinn, schon jetzt über die ungewisse Zukunft zu reden.
Erst musste ich gesund werden.
Und dann?
Würde Sue Sullivan mich dann mit Haut und Haaren beherrschen, auf ihrer Seite haben? Konnte sie mir als Frau wirklich so viel geben, dass ich für sie eine Art Befreier wurde? Und würde sie sich dann darauf verlassen können, dass es ihr bei mir nicht so erging wie bei Tabor Quiney?
Es war alles ziemlich verrückt.
Und dennoch, wir lebten in einem Land und in einer Zeit, in denen sehr viele verrückte Dinge möglich waren.
Ich war schon wieder müde. Und bald schlief ich, obwohl draußen ein heller Sonnentag war.
✰✰✰
Als ich erwachte, war es später Nachmittag. Ich erkannte es am Stand der Sonne, deren Schein durch das Fenster fiel.
Ich war nicht allein.
Sechs Mädchen waren in meinem Zimmer, aber diese Mädchen waren zwar ausgesucht hübsche, doch überaus erfahrene und mit allen Wassern ihrer Zunft gewaschene Frauen.
»Er ist wach«, sagte eine.
»Hallo, Ben Carmile«, sagte eine andere.
»Hey, Schwestern.« Ich grinste. »Wollt ihr mal einen Krankenbesuch machen?«
Sie starrten mich an – und sie alle wirkten irgendwie erwartungsvoll.
Und dann sagte eine: »Seht ihn euch gut an, Schwestern. So sieht der Mann aus, der uns hier befreien wird, wie in einem Märchen der Prinz die verwunschenen Prinzessinnen. He, Ben Carmile, wir setzen alle unsere Chips auf ...«
Die Tür ging auf.
Sue Sullivan kam herein.
»Raus hier, meine Engel«, sagte sie ruhig, aber ihre Stimme duldete keinen Widerspruch oder gar Auflehnung.
Sie gingen an ihr vorbei hinaus.
»Wir wollten ihn doch nur mal aus der Nähe sehen«, sagte eine.
Dann war ich mit Sue allein. Sie schloss die Tür.
»Also die soll ich auch befreien«, sagte ich. »Die werden also auch hier als Gefangene festgehalten?«
»Sicher«, erwiderte sie. »Sonst könnte Tabor Quiney sich doch nicht in diesem Land jene Mannschaft halten, die er nötig hat, um alles zu beherrschen. Er muss seinen Männern etwas bieten – etwas, was sie im Umkreis von fünfhundert Meilen nicht bekommen könnten. Und das sind wir hier in diesem Haus. Aber wir alle sind Gefangene. Wir kämen hier nicht fort.«
Ich dachte plötzlich an die Geschwister Hannagan. Und so fragte ich: