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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2572 bis 2574:
2572: Verlorener Mann
2573: Nur einer reitet noch
2574: Blutiges Gras
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 464
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Covermotiv: © Faba/Norma ISBN: 978-3-7517-6539-8 https://www.bastei.de https://www.luebbe.de https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2572
River-City- Marshal
G. F. Unger Western-Bestseller 2573
Jagt Kilrain!
G. F. Unger Western-Bestseller 2574
Golden Gulch
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Contents
River-City- Marshal
Sie jagten mich nun schon den zweiten Tag. In der Nacht hatte ich sie etwas abschütteln können. Sie waren auf meiner Fährte zurückgeblieben, doch nicht sehr lange. Dann war die Nacht sehr hell geworden.
Mir ging es nicht gut, oh, verdammt, ganz und gar nicht.
Denn ich hatte einen Pfeil im Rücken, dessen Schaft ich nicht abbrechen konnte, sodass er ständig wippte. Überdies steckte eine Kugel in meinem rechten Oberschenkel, und ich hatte eine böse Streifwunde an der Seite wie von einem Schwerthieb.
Dass ich überhaupt noch im Sattel sitzen, mich also auf meinem grauen Wallach halten konnte, schien mir ein Wunder zu sein.
Doch ich wollte einfach am Leben bleiben.
Black Buffalo war hinter mir her, und er war ein kleiner Cheyenne-Häuptling, dem jetzt immer noch ein Dutzend Krieger folgten ...
Am Anfang hatte er noch mehr Krieger bei sich gehabt. Einigen hatte ich die Jagd auf mich verdorben. Denn ich hatte mir zuerst den Weg freischießen müssen.
Dann musste ich meine drei Packpferde mitsamt der Pelzausbeute eines langen Jagdwinters zurücklassen. Dabei hatte ich gehofft, dass Black Buffalo sich damit zufriedengeben würde. Doch er wollte mehr, nämlich meinen Skalp.
Ich konnte ihm das nicht übel nehmen. An seiner Stelle wäre ich gewiss ebenso wild geworden und hätte seinen Skalp gewollt.
Dass er so böse und rachsüchtig wurde, lag an Maria. Ein Pater hatte sie mal so getauft. Ihr indianischer Name lautete anders.
Sie war eine Nez Percé, und Black Buffalo hatte sie weiter oben im Norden geraubt. Denn sie war sehr schön.
Aber weil sie Black Buffalo nicht mochte – was ich verstehen konnte, weil ich ihn ja kannte –, lief sie ihm fort, nein, sie ritt ihm fort auf seinem besten Pferd.
Und so tauchte sie eines Tages vor meiner Jagdhütte in den Bergen auf, irgendwo im Yellowstone-Land. Ja, ich pflegte sie zuerst wie ein Bruder, denn sie tat mir leid.
Sie war halb verhungert und krank gewesen.
Als sie dann gesund war mitten im tiefsten Winter, da wurde sie meine Gefährtin. Wir wurden ein Paar.
Doch dann im Frühling geriet sie einem Grizzly in den Weg, der nach seinem Winterschlaf hungrig aus seiner Höhle gekommen war.
Und so wurde ich »Witwer«.
Aber so war das Leben. Sie war vom Schicksal zu mir geführt worden auf ihrer Flucht und das Schicksal hatte sie mir wieder genommen.
Ich machte mich also mit meiner Pelzausbeute auf den Weg nach Fort Buford und geriet Black Buffalo in den Weg, der immer noch nach ihr suchte.
Jetzt hatte er mich fast schon. Denn lange würde ich mich nicht mehr auf meinem Wallach halten können. Er war ein gutes Pferd, doch schon ein wenig zu alt, um den Mustangs der Horde weglaufen zu können.
Ich bereitete mich innerlich darauf vor, mich zum letzten Kampf stellen zu müssen.
Da erreichte ich die Felskante über dem Yellowstone. Er floss dort unten und machte seinem Namen alle Ehre. Denn seine starke Strömung war gelb.
Mein Wallach stemmte die Vorderhufe ein und weigerte sich natürlich. Denn bis dort hinunter waren es ein Dutzend Yards.
Und so rief ich heiser auf seinen Kopf nieder: »Leb wohl, Grauer!«
Dann warf ich mich aus dem Sattel und sprang in die Tiefe.
Zum Glück kam ich mit den Füßen zuerst in den Strom, tauchte tief unter und wurde von der Strömung herumgewirbelt, tauchte irgendwann wieder auf und schnappte nach Luft. Ich kam in die Rückenlage und sah nach oben.
Dort ritt die Horde an der Kante des Steilabfalls entlang.
Black Buffalo winkte mir zu.
Er hoffte gewiss, dass ich ertrinken würde.
Denn das Wasser des Yellowstone war saukalt. Es war ja noch viel Schmelzwasser aus den Bergen heruntergekommen.
Meine Chancen waren so klein wie ein Hundefloh.
Das wusste Black Buffalo.
Deshalb war die Jagd auf mich für ihn nun beendet.
Der Strom trug mich mit einer Geschwindigkeit von fünf bis sechs Meilen in der Stunde abwärts. Aber was bedeutete das schon? Konnte ich es überhaupt länger als eine Stunde in diesem bitterkalten Wasser des Yellowstone aushalten?
Nur eines war nun besser: Der wippende Pfeilschaft war abgebrochen. Ich spürte nur noch die Pfeilspitze in meinem Rücken. Es wippte nicht mehr so schmerzvoll.
Auch die Kugel im Bein schmerzte, ebenso auch die Streifwunde.
Und alle Wunden bluteten gewiss immer noch oder wieder.
Irgendwann würde ich ausgelaufen sein.
Kam also bald das Ende meiner Tage auf dieser Erde?
Ich begriff endlich, dass ich resignieren und aufgeben wollte. Und so begann ich dagegen anzukämpfen. Verdammt, ich war kein Weichei, sondern ein harter Bursche, einer von der Sorte, die man Ironmen nannte.
Und so wurde es endlich Zeit, dass ich wieder zu kämpfen begann.
Bisher hatte es mir ein wenig geholfen, dass in meiner Lederkleidung noch etwas Luft war und mich das gelbe, schlammige Wasser noch trug.
Doch jetzt veränderte sich dieser Zustand. Ich wurde nasser und schwerer. Die Luft entwich aus meiner Kleidung, und das kalte Wasser kam auf meine Haut. Nun musste ich schwimmen und in den Strudeln und Wellen kämpfen.
Nackt hätte ich es leichter gehabt. Denn nasse Lederkleidung ist nun mal schwer.
Drüben am Ufer waren die Cheyennes nicht mehr zu sehen.
Ich war allein. Und ich wurde immer schwächer. Das war kein Wunder nach der langen Jagd, meinem Blutverlust und der Anstrengung in diesem saukalten Strom, der mich jedoch so schnell wie ein trabendes Pferd an Land abwärts trug und mich bald in den Missouri spucken würde.
Ich fühlte mich allein auf dieser Welt, so allein wie noch nie, selbst nicht in meinem Tal in der Hütte, wenn der Blizzard heulte.
Und dann hatte ich plötzlich einen guten Freund neben mir, ja, einen Freund.
Es war ein treibender Baum, der irgendwo in den Yellowstone gefallen war. Dieser treibende Baum wurde zu meinem Lebensretter. Denn meine Kraft war am Ende.
Ich schaffte es noch bis zu ihm.
Er trieb mit dem Wurzelwerk voraus. Ich zog mich auf den Stamm und blieb bäuchlings darauf liegen. Nun konnte ich mich ausruhen und meiner zunehmenden Schwäche endlich nachgeben.
Ich wusste nicht mehr, was mit mir geschah.
Erst später – sehr viel später – erfuhr ich, dass der Yellowstone mich tatsächlich in den Missouri gespuckt hatte und ich auf meinem Baum an Fort Buford vorbeigetrieben war. Niemand dort hatte mich bemerkt.
Und so war ich noch viele Meilen, unterkühlt und halb tot, ohne Bewusstsein und fast erstarrt, abwärts getrieben auf dem Big Muddy, der noch schlammiger war als der Yellowstone. Denn Big Muddy, so nannte man den oberen Teil des Missouri.
Ich erwachte an Bord eines talwärts fahrenden Steamers, der von Fort Benton herunterkam und bis nach Saint Louis wollte. Das Dampfboot war überfüllt von heimkehrenden Goldgräbern, die den harten Winter überstanden hatten, den zweibeinigen Goldwölfen mit ihrer Ausbeute entkommen waren und nun zu den Glücklichen gehörten.
Auch einige Frauen waren an Bord, die sich verkauft hatten und bald ein anderes Leben führen wollten.
Ich erfuhr, dass eine dieser Frauen es war, die mich auf dem treibenden Baum entdeckte und so der Anlass zu meiner Bergung und Rettung wurde.
Sie und ihre Freundin hatten schon in Fort Benton eine Kabine für sich gebucht. Und obwohl sie doch Huren waren, hatten sie nicht die Herzen von Huren. Sie waren mitleidige Samariterinnen. Und so legten sie mich auf eines ihrer Betten und sorgten für mich.
Irgendwann erwachte ich aus meinen Fieberträumen und erkannte dann ihre besorgten Gesichter über meinem.
Ich hörte mich nach einer Weile heiser fragen: »Seid ihr richtige Engel?«
Sie lachten zweistimmig. Dann sprach eine: »Sind wir nicht, mein Freund. Aber wir wollen irgendwann mal in den Himmel und tun deshalb Gutes an dir hier auf Erden, um unsere vielen Sünden zu tilgen.«
Sie lachten wieder zweistimmig jenes sarkastische Lachen von Frauen, denen nichts mehr fremd ist auf dieser Erde.
Dann sprach eine ernst: »Freund, wir werden dich bei der ersten Stadt ausladen, denn es ist niemand hier an Bord, der dir die Pfeilspitze und die Kugel herausholen könnte. Die nächste Stadt ist River City, eine kleine, schäbige und wilde Stadt, eigentlich nur ein Misthaufen am Strom. Doch es soll dort einen Doc geben. Der Kapitän behauptet das jedenfalls. Deine Wunden haben sich schon entzündet. Du würdest bald den Löffel abgeben müssen, bekämst du keine ärztliche Hilfe. Niemand hier an Bord wagt es, dir die bösen Dinger herauszuschneiden. Deine Lunge könnte verletzt und die Ader im Bein vielleicht aufgerissen werden.«
Ich hörte es zuletzt wie aus weiter Ferne.
Als ich irgendwann wieder erwachte, mein Blick wieder klarer wurde und die Schwärze dem Licht wich, da sah ich wieder ein Frauengesicht über mir – diesmal nur eines.
Und es war ein wunderschönes Gesicht, dies begriff ich sofort.
Wir sahen uns eine Weile schweigend an.
Dann lächelte das Gesicht, und eine melodische Stimme sprach auf mich nieder: »Jetzt geht es aufwärts. Sie haben es überstanden. Die entzündeten Wunden beginnen zu heilen. Haben Sie Hunger?«
Ich musste erst eine Weile nachdenken. Und dabei fühlte und lauschte ich in meinen Körper hinein.
Schließlich versuchte ich zu sprechen und schaffte es beim dritten Versuch, hörte mich mit misstöniger Stimme fragen: »Wie lange liege ich schon hier? Und wer sind Sie – vielleicht ein Engel?«
Wieder gebrauchte ich das Wort Engel. Doch das war mir in diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Erst als sie lachte, begann ich mich schwach daran zu erinnern, dass schon mal Frauen über meine Frage, ob sie Engel wären, gelacht hatten.
Diese da, die auf mich niederblickte, hatte grüne Augen. Und ihr Haar leuchtete wie Rotgold.
»Nein«, sagte sie, »ich bin kein Engel. Mein Name ist Daisy Hackett, und diese Stadt bezahlt mich, damit ich Sie pflege. Sie lagen eine ganze Woche im Wundfieber, nachdem der Doc Ihnen die Pfeilspitze aus dem Rücken und die Kugel aus dem Bein herausgeholt hatte. Die tiefe Streifwunde musste genäht werden. Und überdies hatten Sie eine Rippe angebrochen. Haben Sie Hunger?«
Sie fragte es zum zweiten Mal.
Und nun spürte ich tatsächlich meinen Hunger und erwiderte: »Ich könnte einen ganzen Büffel vertilgen. Mein Name ist Hallaran, Pierce Hallaran. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Lady.«
Sie lächelte wieder ihr wunderschönes Lächeln, welches ihr Gesicht so lebendig und noch schöner machte, als es ohnehin schon war.
Und so fragte ich: »Muss ich Mrs oder Miss Hackett zu Ihnen sagen?«
»O Vater im Himmel«, erwiderte sie. »Soeben sind Sie von den Toten auferstanden, und schon wollen Sie wissen, ob ich verheiratet oder ledig bin. Haben Sie keine anderen Sorgen?«
Sie erhob sich vom Bettrand und verschwand.
Weil ich ihr nachsah, konnte ich erkennen, wie prächtig sie gewachsen war und wie leicht sie sich bewegte.
Und so war ich plötzlich froh, dass ich noch am Leben war, noch froher als ohnehin. Denn das Leben hatte trotz aller Not und Schwärze doch auch schöne Momente.
Aber dann fiel mir wieder ein, was für ein armer Hund ich war.
Ich hatte alles verloren bis auf mein Leben.
Und wenn ich wieder gesund war, würde ich tief in der Schuld einiger Leute stehen.
Mir fiel wieder ein, dass Daisy Hackett sagte, sie würde von der Stadt für meine Pflege bezahlt. Also war sie auf Verdienst angewiesen, obwohl sie so wunderschön aussah und sich gewiss jeden reichen Mann hätte angeln können.
Doch ich wusste, es gab Frauen, die wollten das nicht.
Und so wanderten meine Gedanken, indes ich flach lag und der Hunger mich von innen auffressen wollte. Ja, dieser Hunger wurde immer stärker. Mein Körper lechzte nach Säften, die er in Kräfte umwandeln konnte.
Sie ließ mich nicht lange warten und kam mit einer Schüssel herein.
Als sie wieder auf dem Bettrand saß, sagte sie: »Pierce Hallaran, ich muss Sie füttern, denn Sie müssen noch still liegen. Die Wunden könnten sonst wieder aufbrechen. Also machen Sie den Mund auf. Es ist eine gute und kräftige Fleisch- und Mehlsuppe mit Kräutern, eine Schonkost vorerst. Einen Büffel könnten Sie längst noch nicht verspeisen. Waren Sie Pelzjäger? Ihre Lederkleidung – ich musste sie wegwerfen – ließ darauf schließen. Und die Pfeilspitze deutet darauf hin, dass Sie Indianern knapp entkommen konnten.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, schob sie mir den gefüllten Löffel in den Mund. Ich schluckte, und wir waren eine Weile mit meiner Fütterung beschäftigt.
Aber die ganze Zeit sah ich in ihre grünen Augen.
Schließlich konnte ich endlich sagen: »Ja, Black Buffalo war mit einer Horde hinter mir her. Er nahm mir meine Pelzausbeute und die drei Packpferde ab. Die Pelze waren zwischen fünf- und siebentausend Dollar wert. Es waren besonders prächtige Pelze.«
Sie erhob sich mit der nun leeren Schüssel in den Händen.
Dann sprach sie mit einem Klang von verächtlichem Mitleid in der Stimme: »Wie kann man nur stolz auf prächtige Pelze sein, wenn man die Tiere zuvor töten musste, um sie bekommen zu können.«
Mit diesen Worten ging sie hinaus.
Ich aber war plötzlich sehr müde. Das Essen in mir musste verdaut werden. Und so schlief ich wieder ein.
✰✰✰
Eine Woche später wusste ich besser Bescheid – über Daisy Hackett, über die Stadt und eine Menge Dinge mehr.
Daisy war eine junge Witwe.
Ihr Mann war einer dieser wagemutigen Steamer-Kapitäne gewesen.
Aber sein Dampfboot war in die Luft geflogen, weil er ein freier Kapitän und Eigner bleiben wollte und sich dem mächtigen Trust nicht unterwarf, der das Monopol anstrebte auf den Handel auf dem Strom und zu seinen beiden Seiten.
Sie hatten Holzscheite ausgehöhlt und mit Sprengpulver gefüllt.
Und so waren die ohnehin mit gewaltigem Dampfdruck gefüllten Kessel der »Beauty Daisy« in die Luft geflogen.
Nur wenige Passagiere überlebten, darunter auch Daisy.
Sie war eine arme Witwe geworden und blieb in der Stadt hängen, eröffnete einen Schneiderladen und half immer wieder dem versoffenen Doc.
Aber diesen Doc mochte ich eigentlich – und nicht nur, weil er mich am Leben erhielt, obwohl er auch an jenem Tag, als sie mich zu ihm brachten, betrunken gewesen war. Er strömte nämlich etwas aus, was man nicht so einfach beschreiben konnte. Es schien mir aber so etwas wie Nachsicht für diese Welt und die Menschheit zu sein, so wie ein Vater sie für Kinder empfindet, weil er erkannt hat, dass sie nicht wissen, was sie tun, und er das nicht zu ändern vermag.
Nun, es vergingen etwa zwei Wochen. Dann endlich konnte ich mich mithilfe eines Stockes auf den ersten Weg durch die kleine Stadt am Strom machen.
Ich war verdammt dünn geworden. Mir fehlten etwa zwanzig Pfund an Gewicht.
Daisy Hackett hatte mir neue Kleidung besorgt, die mir einigermaßen passte. Es war Kleidung, wie Flößer oder Flussschiffer sie trugen. Und so sah man mir äußerlich nicht an, dass ich eigentlich ein Pelztierjäger war.
Ich stand immer tiefer in der Schuld dieser Stadt und fragte mich manchmal, wie ich diese Schuld begleichen konnte.
Denn noch niemals in meinem Leben war ich jemandem etwas schuldig geblieben, sei es im Guten oder im Bösen. Stets zahlte ich alles zurück.
Und so passte es mir von Tag zu Tag weniger, dass ich einem kranken Hund glich, der nun langsam wieder gesund wurde und zu Kräften kam, weil mitleidige Seelen ihn nicht verrecken ließen.
Ich verhielt einen Moment vor Daisy Hacketts kleinem Haus, in dem ich eine Kammer bewohnte. Vorn befand sich die kleine Schneiderstube mit dem Laden. Im Schaufenster lagen Hemden und Hosen, die von Daisy hergestellt worden waren.
Ich wandte mich nach links und kam zum Generalstore von Paul Brownsfield. Er war klein, aber sehr stämmig und hatte eine Glatze. Er stand in der offenen Tür und rauchte eine Zigarre.
Wir sahen uns an und nickten uns zu.
Er sagte schließlich: »Na, es geht ja schon wieder einigermaßen – oder?«
Ich nickte nur.
Da fragte er: »Wollen Sie etwas? Tabak vielleicht, auch Blättchen? Oder ... «
Er brach ab, weil ich den Kopf schüttelte und dann sagte: »Meine Schulden hier in dieser Stadt sind schon groß genug. Ich möchte sie nicht unnötig größer werden lassen. Und ich frage mich ständig, warum diese Stadt so nobel zu mir ist. Liegt es daran, dass ihr hier besonders gute Christenmenschen seid? Oder seid ihr mal so große Sünder gewesen, dass ihr euch Sorgen macht, nicht in den Himmel zu kommen und deshalb ... «
Er hörte nicht länger zu, sondern wandte sich ab, verschwand im Store und knallte die Tür hinter sich zu.
Und da stand ich nun und begann zu begreifen, dass ich mit meinen Worten wie mit einem Bohrer auf einen Nerv gestoßen war.
Was war mit dieser Stadt los?
Daisy Hackett hatte nicht mit mir darüber gesprochen. Wenn es hier ein Geheimnis gab, dann hatte sie es die ganzen zwei Wochen vor mir verborgen.
Und dabei verstanden wir uns doch eigentlich ganz gut. Für mich war sie eine Krankenpflegerin gewesen, der ich zu Dank verpflichtet war. Und wäre ich gesund und kein kranker Hund gewesen, hätte ich ihr den Hof gemacht. Ja, sie war genau die Frau, von der ich manchmal träumte und glaubte, dass es sie gar nicht gab auf dieser Erde.
Ich ging weiter und gelangte zur Sattlerei.
Der Sattler saß vor der Tür und arbeitete an einem Sattel, dessen Innenpolster besonders sorgfältig eingenäht werden musste.
Er sah zu mir hoch und grinste mich dann stoppelbärtig an.
»Glück gehabt«, sagte er.
Ich nickte und kam dann sofort mit meinen ersten Worten zur Sache, denn ich fragte: »Warum seid ihr alle hier in River City so gute Christenmenschen in dieser erbarmungslosen Welt?«
Er starrte mich eine Weile böse an. Sein Gesicht war eine harte Maske und wirkte verschlossen.
»Mann«, knurrte er dann, »das sollte Ihnen doch scheißegal sein. Hauptsache, wir ließen Sie nicht verrecken. Und damit Sie keine Schuldgefühle bekommen, sage ich Ihnen: Sie sind River City nichts schuldig – gar nichts!«
Die letzten Worte stieß er trotzig und wütend hervor.
Was sollte ich ihm erwidern? Jedes Wort wäre sinnlos gewesen. Das spürte ich genau.
Also ging ich weiter und wusste zugleich, dass es in dieser oder mit dieser Stadt ein Geheimnis gab.
Nun, ich humpelte und hinkte also weiter durch die kleine Stadt. Man nickte mir überall freundlich zu, wechselte Worte mit mir und ließ mich spüren, dass man sich über meine Genesung freute, so als wäre ich ein Bruder oder guter Freund, ein Bürger in ihrer Gemeinschaft und kein Fremder, den ein Steamer ausgeladen hatte, um nicht länger für ihn verantwortlich zu sein.
Ich machte auch nicht wieder den Fehler, jene Fragen zu stellen, die ich schon zweimal gestellt hatte.
Ich gelangte nun an den Uferweg, welcher hoch über dem Strom lag. Abfahrten führten zu den Landebrücken hinunter, welche so konstruiert waren, dass sie bei Hochwasser ebenfalls hochstiegen. Und die Stadt war so hoch oben erbaut, dass auch das schlimmste Hochwasser die Häuser nicht erreichen konnte.
Ich hinkte hinunter, denn unten auf einer der Landebrücken saß ein Angler, der soeben einen großen Fisch an der Angel hatte, mit dem er gewiss schon eine Weile kämpfte. Er konnte ihn nicht herausbekommen, musste befürchten, dass die Angelschnur reißen oder die Angelrutenspitze abbrechen würde.
Neben ihm lag ein Kescher, also ein langstieliges Handfischnetz.
Aber er konnte es nicht greifen, weil er beide Hände zum Halten der Angelrute benötigte.
Und so beeilte ich mich, so gut ich konnte, und half ihm.
Er zog den kämpfenden Fisch über die große Öffnung des Keschers.
Und dann hatten wir den Burschen, der kopfüber im Netz steckte und mit dem Schwanz schlug, auch noch auf den Planken der Landebrücke um sein Leben kämpfte.
Es war ein mächtiger Wels.
Der alte Mann schnitt ihm das Genick durch, und dann zappelte er immer noch eine Weile.
Wir sahen wortlos seinem Todeskampf zu, bis er endlich ruhig lag.
Und dabei wurde uns beiden bewusst, wie gnadenlos die Welt ist. Es gab nur Jäger und Gejagte, Fresser und Gefressene.
Wir sahen uns an.
Der Mann war alt, eisgrau und verwittert. Doch seine Zähne waren noch recht gut. Auch der Blick seiner Augen war fest und klar.
»Ich bekomme im Hotel einen Dollar für ihn«, sprach der Alte. »Aber Ihnen gehört die Hälfte.«
Ich schüttelte nur den Kopf und setzte mich auf einen der Poller, um den die Flussschiffer beim Festmachen des Schiffes die Leinen warfen.
»Ich weiß, wer Sie sind, mein Junge«, sagte der Mann. »Ich bin Drake Mullen, aber man nennt mich hier nur Old Man Drake.«
»Und Sie versorgen die Stadt mit Fisch?« So fragte ich.
»Das ist alles, was ich noch kann.« Er grinste. »Man wird bescheiden und ist froh, wenn die Sonne die steifen Glieder wärmt. Junge, Sie sind in einer erbärmlichen und feigen Stadt gelandet. Hier schämen sich alle bis ans Ende ihrer Tage und können es nicht loswerden.«
Er setzte sich auf den anderen Poller, holte sein Rauchzeug hervor und stopfte sich die Tabakspfeife.
Als er sie anrauchte, sah er mich mit seinen Falkenaugen an.
Ja, es waren Falkenaugen, die Augen eines Jägers. Und so wusste ich plötzlich, dass wir zur gleichen Sorte gehörten. Er war ein Jäger gewesen, wie ich einer war. Und vielleicht hatte auch er mit Indianersquaws lange Winter in einsamen Berghütten verbracht und überall die Fallen aufgestellt. Jetzt musste er Fische fangen.
Ich fragte: »Was ist los mit dieser Stadt? Wollen Sie mir das erzählen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Das hat Zeit«, erwiderte er paffend. »Wenn ich es Ihnen erzählen würde, dann müssten Sie diese Stadt verachten – eine Stadt, die wohltätig zu Ihnen ist. Dann könnten Sie vielleicht von dieser Stadt nichts mehr annehmen.«
Er verstummte hart.
Dann fügte er hinzu: »Und ich bin dankbar, dass ich hier Fische verkaufen kann, und weigere mich, an den kommenden Winter zu denken, so wie Sie sich weigern sollten, an Ihre Zukunft zu denken. Wir beide leben von einem Tag zum anderen.«
Ich nickte und verließ ihn.
Als ich wieder oben auf dem Uferweg war, sah ich etwas abseits ein schönes Haus. Ja, es war gewiss das schönste Haus von River City mit einer Veranda und oben einem umlaufenden Balkon.
Auf der Veranda sah ich einige Frauen, und so wusste ich, dass dieses Haus ein Bordell war, ein Hurenhaus.
Die Mädchen winkten mir zu. Es war ein einladendes Winken, und so ging ich hin. Denn es waren ja kaum hundert Schritte.
Die Mädchen – es waren sechs, und die Siebente war gewiss ihre Chefin – empfingen mich neugierig. Ja, sie strahlten mich an, so als wäre ich ein Freier mit den Taschen voller Geld.
Sie waren keine Schönheiten, gewiss nicht. Doch sie wirkten gepflegt, sehr sauber und erfahren im Umgang mit männlichen Gästen, deren Wünsche ganz eindeutig waren.
Ihre »Prinzipalin« wog so um die dreihundert Pfund, ließ mich an eine Walküre denken, also eine dieser Schlachtenlenkerinnen der nordischen Sage, welche gefallene Helden nach Walhalla begleiten, wo Odin sie empfängt.
Sie sagte zu mir: »Willkommen, mein Freund. Wir waren schon neugierig auf Sie. Doch bei uns bekämen Sie nichts geschenkt, sollten Sie eines Tages Bedürfnisse spüren. Wir gehören nicht zu dieser Stadt, leben hier einige Yards außerhalb ihrer Grenzen.«
Als sie verstummte, da lachten die Mädchen. Es war ein verächtliches Lachen, und ich begriff sofort, dass dieses verächtliche Lachen der Stadt galt.
Ich nickte nur und wollte mich abwenden.
Doch da sagte die Dicke, deren Kopf einem wunderschönen Gemmenkopf glich und der so gar nicht zu ihrem unförmigen Körper passte: »Kommen Sie, mein Freund. Eine Limonade gibt es hier für Sie umsonst.«
Ich zögerte nur ein wenig. Dann folgte ich der Einladung und saß bald inmitten von ihnen auf der Veranda.
Sie alle betrachteten mich forschend, aber zugleich spürte ich so etwas wie Mitgefühl.
Und plötzlich war in mir die Hoffnung, dass ich hier etwas vom Geheimnis dieser kleinen Stadt erfahren würde, in welches mich selbst der alte Angler nicht hatte einweihen wollen.
✰✰✰
Sie betrachteten mich neugierig und irgendwie erwartungsvoll. Dann sagte eines der Mädchen: »Hey, Lederstrumpf, du bist dieser verdammten armseligen Stadt gerade recht gekommen. Du bist doch einer dieser Pelztierjäger gewesen, von denen wir gehört haben, als wir in dieses Land kamen und hier hängen blieben, einer von den Squawmännern, die sich für einen langen Winter eine Squaw kaufen, damit sie gewärmt werden in den kalten Nächten?«
Ich nickte nur und leerte das Glas Limonade, welches sie mir hingestellt hatten.
»Wollt ihr sonst noch was wissen?« Ich fragte es nachsichtig und hatte einen amüsierten Klang in der Stimme.
»Wie sind die roten Mädchen?« Eine fragte es fast gierig.
Ich grinste sie an.
»Meine wurde von einem Grizzly erschlagen«, sagte ich. »Und sie war mir eine treue Gefährtin, auf die ich mich verlassen konnte.«
Sie sahen mich an und dachten nach. Dann fragte eine: »Und der verdammte Grizzly?«
»Ich habe sie in sein Fell gewickelt, als ich sie beerdigte«, erwiderte ich. »Sie hatte es im Bärenfell nicht so kalt in der Erde. Einen Sarg konnte ich ihr nicht machen. Sonst noch was?«
Ich wollte mich nach meinen Worten erheben.
Doch die dicke Bordellchefin drückte mich wieder in den Sessel.
»Langsam, mein Freund, langsam«, schnurrte sie. »Meine Engelchen waren nur neugierig. Und jetzt haben sie kapiert, dass du einer von jenen Burschen bist, die zum Salz der Erde gehören. Und was diese Stadt betrifft, die sich dir gegenüber so christlich verhält, als wäre sie ein Nest der Gutmenschen, kannst du von ihr alle Wohltaten ohne Schuldgefühle annehmen. Denn dieses Drecknest ist voller Sünder, die jetzt in Furcht leben, eines Tages in der Hölle schmoren zu müssen. Und so wollen sie nun Gutes tun, weil sie sich einbilden, Vergebung zu finden.«
Sie verstummte grimmig.
Ich aber fragte entschlossen: »Verdammt, vielleicht erzählt mir jemand mal die ganze Geschichte? Was für eine Schuld liegt auf dieser Stadt? Was für ein Geheimnis ist hier vorhanden?«
Sie sahen mich alle wieder forschend an, und sie kamen mir wie Katzen vor, die einen kranken Wolf umringen.
Eine von ihnen stieß plötzlich hervor: »Sagen wir es ihm also!«
Ihre dicke Chefin nickte und sprach zu mir: »Ich bin Molly Marlowe, und ich war mit meinen Engelchen noch nicht lange in der Stadt, als es passierte.«
Sie machte eine Pause, überlegte noch, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
Dann sprach sie hart: »Es kam ein Dampfboot von Fort Benton herunter. Und es hatte die Cholera an Bord. Von Fort Benton bis zu uns sind es an die tausend Meilen. Sie waren also schon länger als zwei Wochen unterwegs, weil sie nur bei Tageslicht im Strom bleiben konnten. Denn die Nächte waren schwarz. Es gab immer wieder Unwetter. Die Seuche war gewiss von heimkehrenden Goldgräbern aus den wilden Campstädten an Bord geschleppt worden. Cholera, diese Krankheit ist fast so böse wie die Pest und ebenso ansteckend. Sie warfen unterwegs immer wieder die Toten über Bord und waren gewiss in Panik. Die meisten der Passagiere hatten im Goldland ihr Glück gemacht, Gold gefunden oder andere gute Einkünfte gehabt – sei es als Spieler, Geschäftsleute, Händler und auch als Huren. Sie wollten raus aus der Hölle und zu einer neuen Zeit – oder heim zu ihren Familien. Aber sie starben unterwegs wie die Fliegen.
Und eines Tages machte ihr Dampfboot auch hier fest. Sie konnten nicht mehr damit fahren, denn sie alle waren krank und wollten von Bord. Aber die Stadt ließ das nicht zu. Sie wollten die Cholera nicht in ihrer Stadt haben. Und so schossen sie auf die ›Beauty Rosa‹, warfen auch Sprengstoffstangen mit kurzen Lunten auf das Boot. Es trieb stromabwärts und geriet in Brand. Wahrscheinlich gab es keine Überlebenden. Es waren ja sowieso nicht mehr viele gewesen.«
Molly Marlowe verstummte hart. Und ihr schöner Mund war nun hart wie eine Messernarbe. Aber eines der Mädchen sagte: »Wir konnten nichts tun, Lederstrumpf, gar nichts, denn wir waren ja keine richtigen Bürger dieser Stadt. Das alles geschah vor mehr als einem halben Jahr. Und seitdem lebt diese Stadt mit ihrer Schuld. Und die Bürger hier möchten immer nur Gutes tun.«
Als das Mädchen verstummte, da wusste ich endlich Bescheid.
Ich verharrte eine Weile bewegungslos, hielt den Kopf gesenkt und dachte nach.
Sollte ich die Stadt verachten? Oder waren die Bürger hier zu bemitleiden, weil sie ihre Furcht – es musste ja panische Angst gewesen sein – nicht besiegen konnten, um helfen zu können?
Vielleicht hätten nur Heilige den armen Teufeln geholfen.
Eines der Mädchen goss mir einen Brandy ein. »Den braucht er jetzt«, sagte es zu den anderen.
Und ich brauchte ihn wirklich und kippte ihn herunter.
Ich sah sie alle der Reihe nach an.
»Die Furcht vor dem Sterben gehört zum Selbsterhaltungstrieb«, murmelte ich.
Dann erhob ich mich, und als ich zum Strom sah, da kam weiter oberhalb ein Riesenfloss um die leichte Biegung.
Es war ein gewaltiges Floss, bestehend aus einem halben Dutzend Gliedern, sodass es sich wie eine Riesenschlange bewegen konnte. Es war so breit wie eine Straße in New York und gewiss an die dreihundert Yards lang.
Auf den einzelnen Gliedern standen Hütten und lagen kleine Kielboote. Es gab Kochstellen.
Auf dem Riesenfloss waren an die vierzig Männer verteilt. Vorne arbeiteten sechs Mann mit langen Rudern. Die sechs Rudermänner brachten die Spitze des Floßes um die Biegung herum. Und dann sah ich auch am Ende des Riesenfloßes ebenfalls sechs Rudermänner.
Ich hatte bisher nur wenig Kontakt mit Holzfällern und Flößern gehabt, doch ich verspürte stets großen Respekt vor dieser Gilde. Sie waren die härtesten Burschen, die man sich denken konnte.
Und nun kamen sie mit einem Hunderttausenddollarfloss den Strom herunter. Denn die gewaltigen Stämme waren Edelholz, fast so wertvoll wie Golderz.
Ich konnte erkennen, dass die Flößer ihr Riesenfloss aus der Strömung in das ruhigere Wasser hinter der Biegung zu bringen versuchten.
Und die Mädchen neben mir auf der Veranda, die begannen zu jubeln.
Molly Marlowes Stimme aber rief: »Wir bekommen Gäste, meine Küken! Das sind fast vier Dutzend hungrige Wölfe aus den Wäldern. Jetzt bekommt ihr zu tun! Und denkt daran, meine Süßen: Wenn es euch zu viel wird mit einem wilden Kerl, dann gebt ihm unser Zauberpulver in den Drink, damit er bald einschläft.«
Molly Marlowe sah mich nach diesen Worten an.
»Jetzt sind wir wieder im Geschäft«, sagte sie. »Nun würdest du hier stören.«
»Sicher.« Ich grinste und setzte mich mit meinem Stock wieder in Bewegung, ging in die Stadt zurück. Doch dann hielt ich an und sah zu, wie die Flößer das Riesenfloss tatsächlich in das ruhige Wasser der großen Bucht brachten und festmachten.
Ich hörte das Jubeln der Mädchen und die wilden Rufe der Flößer.
Mir wurde auch klar, dass die große Bucht der Stadt und deren Hurenhaus diese Einnahmequelle ermöglichte. Hier konnten Riesenflöße festmachen. Das war nirgendwo sonst so mühelos möglich.
Aber River City hatte noch andere Einnahmemöglichkeiten.
Es war ein Versorgungspunkt der Büffeljäger. Diese brachten mit ihren Häutewagen Tausende gepresster Büffelhäute zum Strom. Von hier wurden sie mit Frachtsteamern hinunter nach Saint Louis gebracht.
Ich ging langsam hinkend in die Stadt hinein.
Und nun betrachtete ich die Häuser, Läden und Lokale mit anderen Augen – auch die Menschen, denen ich begegnete.
Ja, es war eine armselige Stadt, die ihre Furcht vor der Cholera nicht hatte besiegen können.
Als ich wieder die Sattlerei erreichte, saß der Sattler immer noch vor der Tür und nähte am Sattelpolster. Über der Tür stand sein Name. Tate Bennet, Sattlerei, so konnte ich lesen.
Er hielt inne und sah mit einem forschenden und fragenden Blick zu mir hoch.
Er wirkte nun witternd wie ein Fuchs und sah mir wohl auch etwas an.
Dann sprach er: »Sie waren bei Molly Marlowe und deren Mädchen. Die haben es Ihnen erzählt, nicht wahr? Nun wissen Sie, warum die Stadt Sie so gut und nobel behandelt hat, sodass Sie in ihrer Schuld zu stehen glauben. Aber Sie stehen in keiner Schuld, ganz gleich, was Sie fordern würden.«
Nach diesen Worten senkte er wieder den Kopf und nähte weiter.
Ich hinkte wortlos davon. Was hätte ich ihm auch erwidern können?
Als ich in Daisy Hacketts Schneiderladen trat, da stand sie am Zuschneidetisch, hatte eine Papierschablone auf einem Stoff liegen und schnitt nach dieser Vorlage den Stoff zu.
Sie hielt inne und sah mich forschend an.
»Ich weiß jetzt alles«, sagte ich. »Ihr habt nun keine Geheimnisse mehr vor mir zu verbergen.«
»Und?« Sie fragte es nur mit diesem einzigen Wort.
»Es gibt nur wenige Heilige unter uns Menschen«, erwiderte ich. »Damals hätte ich den Grizzly einige Sekunden früher mit dem Messer angreifen können. Dann hätte ich meiner Gefährtin wahrscheinlich eine winzige Chance zum Wegspringen verschafft. Aber ich zögerte zwei winzige Augenblicke zu lang. Auch ich verspüre immer wieder ein Gefühl der Schuld.«
Nach diesen Worten ging ich in meine kleine Kammer und streckte mich auf dem schmalen Bett aus.
Ich schlief sofort ein, obwohl es ja erst Nachmittag war.
Eine weitere Woche verging.
Ich hatte nun einen Job und verdiente drei Dollar am Tag.
Und ich wohnte auch nicht mehr bei Daisy Hackett, sondern im Hotel. Ich hatte keine Pflege mehr nötig. Und Daisy Hackett war eine seriöse Frau.
Ich wusste, wollte ich sie eines Tages bekommen, so musste ich richtig um sie werben. Oh ja, ich wusste inzwischen, sie mochte mich, aber für sie war ich ein Kranker gewesen, der eine Weile hilflos war wie in Baby in den Windeln. Das war mir unangenehm. Und so vermochte ich mich nicht wie ein Eroberer zu fühlen, dessen Selbstvertrauen groß genug war, sich um eine schöne Frau zu bemühen.
Aber ich wusste, dass aus uns etwas werden konnte.
Doch vorerst war ich noch ein armer Hund, der drei Dollar am Tag verdiente. Das war zwar ein guter Lohn für jeden Handwerker zu dieser Zeit, aber es machte mich nicht zu einem erfolgreichen Kerl.
Ja, drei Dollar am Tag bekam ich. Dafür zählte ich für einen Aufkäufer die Büffelhäute, die von der Prärie hereinkamen, zusammengepresst auf den Häutewagen, so als wären sie riesige Tabaksblätter.
Doch sie dufteten nicht wie Tabak, sie stanken gen Himmel.
Und so stank auch ich. Denn ich musste sie zählen, kam also mit ihnen in Berührung. Gewiss, sie waren nicht mehr blutig, sondern trocken. Aber sie stanken.
Es war ein mieser Job, der einen Mann deprimieren konnte.
Natürlich badete ich jeden Abend in einem Fass und gebrauchte reichlich Fliederseife. Doch ich wusste, ich konnte damit meinen Gestank nur etwas mildern.
Und schon gar nicht wagte ich mich so in Daisy Hacketts Nähe.
Auch meine kleine Kammer im Hotel stank nach Büffelhäuten, obwohl ich ständig das Fenster offen hielt.
Ich war also nicht in besonders zufriedener Stimmung.
Und immerzu bedrückte mich das Schuldgefühl gegenüber dieser Stadt. Dabei zählte für mich nicht, dass River Citys Bürger selbst voller Schuldgefühle waren und nur deshalb für mich sorgten.
Es vergingen also weitere Tage. Ich lebte in der Stadt ziemlich isoliert. Nur manchmal, wenn keine Büffelhäute zu zählen waren, da hockte ich neben Old Man Drake Mullen auf einer Landebrücke am Fluss. Wir zogen dann und wann einen großen Fisch aus dem Big Muddy, und ich hockte mich stets auf der Seeseite – also auf der ihm abgewandten Windseite – nieder.
Wir unterhielten uns oft über die Welt und deren Bewohner. Manchmal kam auch Doc Al Ringold zu uns. Dann brachte er stets eine Flasche mit, die wir zu dritt leerten. Der Doc war ein Mann, der sich ständig betrank, um etwas vergessen zu können. Aber er sprach nie darüber. Es blieb sein Geheimnis. Und es hatte ihn wahrscheinlich von irgendwoher nach hier vertrieben, so als wäre diese Stadt gerade richtig für ihn.
Manchmal fragte ich mich in diesen Tagen, wie lange das noch so weitergehen würde mit mir. Ich hatte ja alles verloren. Um im Herbst wieder als Pelzjäger nach Nordwesten ins Yellowstone-Gebiet zu ziehen, musste ich eine Menge investieren. Ich brauchte Ausrüstung, Pferde, Waffen, Munition, Fallen.
Also brauchte ich einen anderen Job.
Ich wusste in diesen Tagen nicht, wie schnell sich plötzlich alles ändern würde, weil das Schicksal es so beschloss und das Spiel in Gang brachte.
Es war an einem späten Nachmittag, als drei Reiter nach River City kamen.
Sie galoppierten bis vor den Saloon, warfen sich mit Gebrüll aus den Sätteln und stürmten hinein.
»Jetzt brüllen sie wieder nach Pumaspucke«, sagte Old Man Drake. »Das sind die Johnstone-Brüder. Sie gehören zu den Bösen auf dieser Erde. Für ihre Ergreifung – tot oder lebendig – sind steckbrieflich Belohnungen ausgesetzt. Aber wer hier in River City will sich mit denen anlegen?« Er verstummte bitter und fügte nach einer Weile hinzu: »Wenn ich noch zwanzig Jahre jünger wäre ... «
Er verstummte mit einem resignierten Klang in der Stimme. Und ich konnte ihn gut verstehen. Seine Zeit war vorbei.
Nun, die drei Johnstone-Brüder waren also im Saloon verschwunden. Einige Gäste, die vor ihnen im Saloon waren, kamen eilig heraus.
Old Man Drake knurrte: »Das ist immer so. Sie wollen den Saloon stets für sich allein haben. Und einer von ihnen wird gleich auf dem Klavier herumhämmern wie ein Irrer. Aber die sind ja alle drei irre.«
Ich starrte hinüber und dachte dabei: Wenn er zwanzig Jahre jünger wäre! Aber ich bin mehr als dreißig Jahre jünger als er, verdammt ...
Dann sah ich Daisy Hackett aus dem Store kommen. Sie trug einen Korb in der Armbeuge und hatte offensichtlich Einkäufe gemacht.
Zu ihrem Schneiderladen musste sie am Saloon vorbei.
Ich konnte erkennen, dass sie einen Moment lang zögerte, ihren leichten und geschmeidigen Schritt etwas verhielt.
Doch dann hob sie stolz den Kopf und ging weiter.
Da und dort standen Bürger der Stadt vor ihren Häusern, Läden und Werkstätten, der Sattler zum Beispiel, der Schreiner – und auch der Besitzer der Waffenhandlung, der zugleich Büchsenmacher war, also Waffen reparierte, vor allen Dingen die Buffalo Sharps der Büffeljäger.
Auch der Storehalter war mit seiner Frau herausgekommen.
Und sie alle sahen, so wie Old Man Drake und ich, wie zwei der Johnstone-Brüder aus dem Saloon kamen und Daisy Hackett packten.
Sie wehrte sich mit aller Kraft, trat ihnen vor die Schienbeine, aber sie hatte keine Chance. Sie zogen Daisy in den Saloon, lachten und johlten dabei wie über einen prächtigen Spaß.
Und die Bürger der Stadt – es standen nun noch mehr vor den Häusern – sahen zu.
Niemand bewegte sich.
Old Man Drake knurrte neben mir. »Jetzt haben sie den Bogen überspannt. Das kann sich die Stadt von den drei irren Wilden nicht bieten lassen.«
Als er verstummte, da hörten wir alle das Hämmern des Klaviers. Es war keine Melodie, nur ein Hämmern. Der Bursche da drinnen konnte kein Klavier spielen, nicht mal wie ein Anfänger, der sich Mühe beim Üben gibt. Er hämmerte nur auf den Tasten herum. Dabei brüllte er vor wilder Freude.
Auch die beiden anderen Brüder brüllten und johlten begeistert.
Und dann hörten wir die gebrüllten Worte. »Hoiii, Süße, tanz mit uns! Und trink mit uns, damit wir ein Fest feiern!«
Es war nun alles ganz eindeutig und klar.
Diese Wilden waren von Sinnen. Sie wollten Spaß, so wie sie Spaß verstanden.
»Die Stadt«, knurrte Old Man Drake neben mir, »ist immer noch eine hilflose und armselige Kröte. Nun versagt sie abermals. Oh, verdammt, sie kneifen alle vor drei irren Wilden. Nun muss ich es wohl versuchen.«
Er wollte sich in Bewegung setzen, wahrscheinlich würde er es mit Worten versuchen. Denn kämpfen konnte er gewiss nicht mehr.
Und so hielt ich ihn an der Schulter zurück und sagte: »Nein, das ist nun meine Sache.«
Und dann ging ich.
Als ich am Saloon vorbeikam, trat einer der Johnstones heraus und blickte die Straße hinauf und hinunter, starrte dann auf mich.
»Hau ab«, sagte er böse. »Schleich hier nicht herum!«
Ich konnte einen Blick durch die offene Tür werfen und erkennen, wie die beiden anderen Kerle Daisy zum Trinken zwangen. Einer hielt sie fest. Der andere hielt ihr eine Flasche an den Mund.
Ich ging weiter.
Nach etwa fünfzig Schritten erreichte ich die Waffenhandlung und hielt vor deren Besitzer inne. Er stand vor der Tür mit zwei anderen Bürgern.
Ich sprach böse: »Geben Sie mir einen guten Colt. Und er muss geladen sein. Schnell, Mister, schnell!«
Sie starrten mich an.
Dann aber reagierte der Waffenmacher.
Ich folgte ihm in den Laden, und dort griff er unter den Ladentisch und brachte einen Waffengurt zum Vorschein, in dessen Holster eine Waffe steckte.
»Sie ist geladen«, sagte er. »Und sie hat keinen Abzug. Man muss den Hammer mit dem Daumen zurücklegen und loslassen. Es war die Waffe eines Revolvermannes.«
Ich nickte nur schweigend, nahm den Waffengurt und schlang ihn mir um die Hüften, band das Holster am Oberschenkel fest.
Dann zog ich die Waffe und wog sie in der Hand.
Dabei sprach ich kein Wort – auch nicht, als ich ging und zum Saloon marschierte. Ich war mir genau bewusst, in was ich mich nun einkaufte.
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Als ich eintrat, da hörte der Mann am Klavier auf und erhob sich. Und die beiden anderen, die mit Daisy beschäftigt waren und offenbar versucht hatten, abwechselnd mit ihr zu tanzen, die ließen von ihr ab und wandten sich mir zu.
»Wen haben wir denn da? Vielleicht einen edlen Ritter?« So johlte einer.
Aber für mich gab es nichts mehr zu sagen.
Sie waren zu dritt gegen mich und trugen Revolver tief unter ihren Hüften, so wie Revolverschwinger diese Waffen trugen.
Ich konnte mich nicht auf einen Wortwechsel mit ihnen einlassen, der gewiss mit einer Schießerei geendet hätte. Und so zog ich und begann zu schießen. Denn nur so hatte ich eine kleine Chance gegen die drei Hurensöhne.
Die Waffe in meiner Faust war mir fremd. Dennoch traf ich mit dem ersten Schuss, auch mit dem zweiten.
Dann aber sah ich das Mündungsfeuer des dritten Gegners. Doch dessen Kugel zupfte nur an meiner Schulterspitze und riss mir die Jacke auf.
Ich traf auch ihn, bevor er zum zweiten Mal auf mich schießen konnte.
Es war vorbei.
Und Daisy Hackett lehnte mit dem Rücken am Schanktisch und hielt sich beide Hände an den Hals, so als könnte sie so einen Schrei abwürgen. Sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, öffnete den Mund und brachte dennoch keinen Ton heraus.
»Komm, Daisy«, sagte ich. »Es ist vorbei. Ich bringe dich heim.«
Ich bot ihr meinen Arm an, denn die Waffe ließ ich indes ins Holster zurückgleiten.
Und so traten wir aus dem Saloon.
Sie standen alle da und staunten. Manche glotzten.
Daisy ging etwas schwankend. Sie hatten ihr schon eine Menge Brandy eingeflößt, diese Mistkerle.
Aber sie fand ja Halt an meinem Arm.
Hinter uns stürmten die Bürger von River City in den Saloon. Und vielleicht schlugen sie die drei Johnstone-Brüder jetzt endgültig tot, sollten sie von mir nur verwundet worden sein.
Aber vielleicht hatte ich den Leuten dies erspart.
Ich verspürte eine tiefe Verachtung gegen die Stadt. Nein, man konnte sie nicht mögen oder gar lieben. Das war nicht möglich.
Ich sagte zu Daisy nieder, die ja einen Kopf kleiner war als ich: »Es ist doch nichts Schlimmes passiert, Daisy. Sie haben dich nur ein wenig betrunken gemacht. Und sie können nie wieder jemandem etwas tun – nie wieder.«
Ich brachte Daisy in ihren Schneiderladen.
Sie konnte immer noch nichts sagen, aber ich sprach zu ihr: »Ich bringe dich hinauf zu deinem Bett. Du musst deinen unfreiwilligen Rausch ausschlafen. Und du kannst ganz ruhig schlafen. Denn ich beschütze dich.«
»Oh, Pierce ... «, flüsterte sie heiser.
Als ich den Colt zum Büchsenmacher zurückbrachte, da sagte der Mann: »Behalten Sie den Revolver. Der ist jetzt Ihre Waffe.«
Und so ging ich bewaffnet zur Landebrücke zurück, wo Old Man Drake mich mit den Worten empfing: »Ja, die steht dir gut, so wie einem Ritter das Schwert. Sie steht dir gut, so als wäre sie für dich gemacht.«
Es war nun Abend geworden.
Old Man Drake und ich, wir saßen uns auf den Pollern gegenüber.
»Diese Stadt«, sagte er, »braucht Hilfe. Sie verachtet sich, weil sie damals aus Angst versagt hat, und traut sich nichts mehr zu. Pierce, dich hat der Himmel hergeschickt.«
»Sicher.« Ich grinste. »Ich fühle mich so richtig wohl als stinkender Häutezähler für drei Dollar Lohn am Tag. Aber ich muss wohl bleiben, bis ich zumindest hundert Dollar gespart habe. Eine Waffe habe ich jetzt wenigstens. Nun brauche ich nur noch ein Pferd und einen Sattel. Dann ... «
Ich brach ab und machte nur noch eine wegwerfende Bewegung mit meiner Rechten.
Im letzten Tageslicht betrachtete ich sie.
Ja, es war meine schnelle Revolverhand.
Wir erhoben uns von den Pollern.
Old Man Drake hatte drei große Fische gefangen. Es waren Flusslachse.
»Ich werde sie räuchern«, brummte er. »Dann bringen sie mehr ein. Und ich möchte dich zu einem Drink einladen, Pierce.«
Wir gingen zum Saloon.
Dort stand eine Gruppe von Bürgern. Ich erkannte den Sattler, den Storehalter, den Schmied und Doc Al Ringold.
Die anderen Männer waren unwichtig.
Von den Frauen der Stadt war nichts zu sehen. Aber das war normal. Frauen hielten sich heraus aus jeder Art von Politik.
Und jetzt ging es um Stadtpolitik.
Denn der Storehalter sagte, als wir vor der Gruppe anhielten, weil diese uns den Eintritt in den Saloon versperrte: »Mister Hallaran, wir haben soeben beraten und wissen jetzt, zu welcher Sorte Sie gehören. Und weil das so ist, möchten wir Sie als Marshal für unsere Stadt haben. Wenn Sie den Posten annehmen, bekommen Sie hundert Dollar im Monat und haben hier alles frei – alles! Wir kleiden Sie ein und geben Ihnen ein gutes Pferd mit Sattel. Sie wohnen im besten Zimmer unseres Hotels und können im Restaurant essen. Wir brauchen Sie, Mister Hallaran.«
Er hatte nun alles gesagt. Und die anderen Männer nickten heftig im letzten Licht des sterbenden Tages.
Dann aber – weil sie mir ansahen, wie sehr ich überlegte – sprach der Schmied gewichtig: »Mister Hallaran, Sie sind ein stolzer Mann. Und weil Sie das sind, muss es Sie die ganze Zeit bedrückt haben, dass Sie unserer Stadt gegenüber in einer Schuld stehen. Jetzt können Sie diese Schuld begleichen. Gegenüber Mrs Hackett haben Sie das ja schon getan. Oder?«
Er war kein fairer Mann, dieser Schmied, denn er erinnerte mich an meine Schuld. Ja, sie hatten mich hier aufgenommen, halb tot wie ich war. Und sie bezahlten für mich den Doc und die Pflegerin.
Dass sie dies aus einem Schuldgefühl heraus taten, betraf mich nicht. Ihre Beweggründe waren ihre eigene Sache.
Ja, ich war dieser Stadt etwas schuldig.
Doch es kam noch etwas hinzu: Als City Marshal war ich wieder wer, nämlich kein stinkender Häutezähler mehr. Ich würde alles frei haben und konnte jeden Monat fast hundert Dollar sparen, wenn ich sparsam lebte.
Und so würde ich im Herbst wieder genug Geld haben, um mich für einen langen Jagdwinter im Yellowstone-Gebiet ausrüsten zu können.
Und ich würde hier in der Stadt noch einige Monate in Daisy Hacketts Nähe bleiben können. Vielleicht konnte ich sie erobern.
Und so wurde ich Marshal von River City, einer jämmerlichen und feigen Stadt voller Schuldgefühle.
Ich würde hier verdammt auf mich gestellt sein.
Oder würde ich diese jämmerliche Stadt ändern können?
Es folgten einige ruhige Tage. Der Büchsenmacher hatte mir in seiner Waffenwerkstatt einen hübschen Messingstern gefertigt, auf den mit Schlagbuchstaben drei Worte eingehämmert waren:
River City Marshal
Und im Store hatte ich mich völlig neu einkleiden können, sodass ich recht ansehnlich wirkte von Kopf bis Fuß, wenn ich durch die Stadt spazierte.
O ja, ich stellte wahrlich etwas dar!
Und dennoch war ich ziemlich einsam in River City. Meine beiden einzigen Freunde – wenn man sie so nennen konnte – waren der alte Drake und der ständig angetrunkene Doc Al Ringold.
Ich hatte mein Office im City House, wo auch der Stadtschreiber die Bücher der Stadt führte. Und in einem Schuppen baute der Schmied zwei Gitterzellen, in die der Schreiber Schlafpritschen stellte.
In diese Zellen sperrte ich in den folgenden Nächten Raufbolde und Betrunkene ein. Sonst gab es keinen Ärger. Es hatte sich herumgesprochen – und auch Fremde erfuhren es schnell –, dass ich ein schneller Revolvermann war, der sogar mit den drei wilden und im ganzen Lande berüchtigten Johnstone-Brüdern zurechtgekommen war.
Und so genoss ich einigen Respekt.
Auch mit Daisy Hackett machte ich Fortschritte.
Denn sie hatte mich schon zweimal zum Abendessen eingeladen, bevor ich meine erste Nachtrunde begann.
Wir saßen dann bei Laternenschein hinter ihrem kleinen Haus auf der Veranda. Sie hatte einen kleinen Gemüsegarten angelegt, in dem auch Blumen waren.
Es war schön, Daisy im Laternenschein zu betrachten.
Und einmal fragte sie: »Du machst dir Hoffnungen, Pierce?«
»Sicher«, erwiderte ich. »Jeder Mann, der sich gut und groß genug fühlt für eine Frau wie dich, der muss es versuchen und hat auch Hoffnungen. Was ist falsch daran? Aber ich will nicht, dass du dich aus Dankbarkeit mir verpflichtet fühlst. Ich möchte, dass du mich mit dem Herzen willst. Und ich kann warten.«
Sie nickte langsam. Dann sprach sie nachdenklich: »Wir lebten bisher in verschiedenen Welten, Pierce. Du warst ein Trapper, Pelztierjäger. Und du hattest Indianerinnen als Frauen. Für mich bist du fast wie ein Mann von einem anderen Stern. Ich aber bin auf dem Mississippi geboren, also ein Kind vom großen Strom, und habe einem Mann vom Strom gehört. Ich bin diesem Mann zum Missouri gefolgt und habe ihn auf dem Missouri verloren. Ich fühle mich immer noch als Kind der großen Ströme. Ja, ich erwarb sogar das Lotsenpatent. Doch der Trust, der unser Schiff in die Luft sprengte und meinen Mann umbrachte, weil er ein freier Eigner und Kapitän bleiben wollte, hat mir gedroht, dass ich mich nie wieder auf dem Strom blicken lassen solle. Das wäre mein Tod, denn ich gehörte zu den Rebellen.«
Sie machte nach diesen Worten eine Pause und goss noch einmal unsere Gläser voll mit rotem Wein. Dann sah sie mich im Laternenschein mit einem Ausdruck des Bedauerns an.
»Wir sind zu verschieden, Pierce«, murmelte sie. »Und noch eines muss ich dir sagen, Pierce.«
»Dann sag es«, erwiderte ich ruhig.
Sie zögerte ein wenig, zuckte dann mit den Schultern und sprach langsam: »Dieser Trust ist erbarmungslos. Er will das Monopol auf alles. Und so muss er auch die Städte und Ortschaften unter seine Kontrolle bringen. Seine Beauftragten arbeiten sich von Saint Louis stromauf. Bald werden sie River City zu übernehmen versuchen, also hier ihren Statthalter einsetzen, dem einige Revolverschwinger dabei helfen. Der Trust wird dir ein Angebot machen. Wenn du es nicht annimmst, ergeht es dir wie meinem Mann. Pierce, es kommt eine Menge auf dich zu. Du weißt es nur noch nicht, kannst es nicht wissen. Auch diese Stadt ist noch zu arglos und hält sich für zu unwichtig. Doch es werden hier Tausende von Büffelhäuten verladen. Es gibt hier einen Holzplatz für die Dampfboote. Wenn die Büffelherden ausgerottet sind und die Armee die Indianer in Reservate eingesperrt hat, ist das Land frei für die Siedler. Man wird hier eine Fähre einsetzen müssen, die bald Tag und Nacht in Betrieb sein wird. Denn River City wird eines der vielen Ausfalltore nach dem Westen werden. Und später müssen hier die Ernten der Siedler verschifft werden. Und der Trust mit seinem Monopol wird die Preise bestimmen. Pierce, kannst du dir jetzt ungefähr vorstellen, was alles sein wird?«
Ich staunte sie an.
Nun musste ich sie anders sehen. Sie war eine erfahrene Frau und sehr viel klüger, als ich bisher dachte. Sie konnte voraussehen, was kommen würde, weil sie den Trust kannte, dieses Imperium, welches von mächtigen Magnaten im Osten gesteuert wurde.
Und ich war nur ein kleiner Marshal in einer jetzt noch unbedeutenden Stadt.
Langsam wurde mir eine Menge klar.
Und so murmelte ich nach einer Weile: »Dann lebe ich lieber als Pelztierjäger in einem einsamen Tal.«
»Mit einer Squaw unter einer Decke, wenn draußen die Blizzards heulen«, sprach sie lächelnd und irgendwie nachsichtig wirkend.
Ich nickte. »Warum nicht?« So fragte ich. »Vielleicht würde dir das auch gefallen, wenn du mich liebst.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin keine Squaw«, murmelte sie. »Pierce, aus uns kann nichts werden. Und es ist gut, dass wir dies jetzt klären konnten. Vielleicht hast du Glück und kannst im Herbst von hier verschwinden, bevor sie hier Fuß gefasst haben. Ja, bis zum Herbst kannst du genügend gespart haben, um dich wieder auszurüsten für eine lange Winterjagd.«
Ich nickte und erhob mich. Denn ich kam mir wie ein Verlierer vor. Aber so ist wohl das Leben. Man kann nicht immer das bekommen, was man sich wünscht.
Und so murmelte ich: »Danke fürs Abendessen, Daisy. Ich muss jetzt meine erste Runde gehen.«
Als ich mich zum Gehen wandte, da sagte sie: »Pierce, ich mag dich. Ich möchte dir eine gute Freundin sein. Ich würde sogar mit dir ins Bett gehen. Aber werden kann nichts aus uns. Das musst du begreifen.«
Was sollte ich ihr erwidern?
Und so ging ich ohne ein Wort und voller Enttäuschung.
Als ich am Saloon vorbeikam, fand drinnen eine Schlägerei zwischen zwei Häutefahrern statt. Ich ging hinein und schlug den beiden Narren meinen Revolverlauf auf die Bumsköpfe. Ja, ich machte es härter, als ich es sonst getan hätte, denn ich musste mich abreagieren. Verdammt, ich war auch nur ein Mensch.
Und als sie zu meinen Füßen lagen, da bedauerte ich meinen Ausbruch. Ich hätte sie auch anders trennen können.
Der Wirt kam mit der Wanne voller Spülwasser und goss es auf ihre blutenden Köpfe. Und so wurden sie bald wieder wach und taumelten hoch.
Ich sagte zu ihnen: »Wenn ihr keine Ruhe gebt, dann werfe ich euch in den Strom. Ein Bad täte euch gut, ihr Stinker.«
Ich ging wieder hinaus und wanderte bis zum Ende der Stadt.
In Molly Marlowes Hurenhaus ging es hoch her. Etwa zwei Dutzend Pferde standen an den Haltestangen. Als ich mir die Tiere ansah, da erkannte ich schnell, dass eine ganze Büffeljägermannschaft gekommen war.
Diese Mannschaften bestanden aus den Schützen und den Abhäutern.
Sie beschäftigten zwar auch Frachtfahrer als Häutefahrer, doch diese Fahrer gehörten nicht zu den Mannschaften.
Molly Marlowes Hausneger kam zu mir und sagte: »Marshal, machen Sie sich keine Sorgen. Molly und deren Mädchen haben die Burschen voll unter Kontrolle. Zurzeit baden sie alle in der großen Badestube, damit sie nicht zu sehr stinken. Sie sind nur etwas übermütig und genießen den Badespaß.«
Ich nickte nur und ging wieder.
Denn auf Molly Marlowe und deren Mädchen konnte ich bauen. Wenn denen die wilden Burschen zu wild wurden, dann bekamen sie gewisse Tropfen in die Drinks und schliefen bald ein.
So einfach war das für erfahrene Huren.
Ich ging wieder in die Stadt hinein.
Die Stadt war nun ruhig und still. Die letzten Gäste verließen den Saloon. Jake Pale kam heraus und witterte nach rechts, links und zum Fluss hinunter.
Ich verließ meinen Platz beim Holzstapel, trat mitten auf den Uferweg und lauschte zu jenem Stadtende hin, wo Molly Marlowes Etablissement stand.
Aber auch dort war es still.
Ich grinste und dachte dabei: Vielleicht haben sie den Büffeljägern Pulver in die Drinks getan, und alle schlafen nach ihrer Orgie.
Ich setzte mich in Bewegung zum Hotel.
Denn auch ich wollte ins Bett. Es war bereits nach Mitternacht.
Als ich am Schneiderladen vorbei wollte, da öffnete sich die Tür.
Daisy Hacketts Stimme flüsterte: »Komm herein, Pierce.«
Mehr sagte sie nicht.
Und ich ging hinein zu ihr, war voller Verlangen. Ich wusste, es würde nur eine Episode sein, also ein vorübergehendes Ereignis.
Daisy war keine Heilige, sondern eine noch junge Vollblutfrau mit Bedürfnissen.
Überdies wollte sie mich beschenken, weil sie meine Einsamkeit begriffen hatte. Sie war ja selbst schon Monate als Witwe eine Einsame in dieser Stadt und kannte dieses Gefühl.
Als ich die Tür hinter mir zustieß, da kam sie in meine Arme und ließ mich ihren geschmeidigen Körper spüren.
Ja, sie war eine Vollblutfrau, keine Heilige. Sie wollte leben.
Und was wir taten, gehörte zum Leben.