G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 76 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 76 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

3 spannende Westernromane lesen und sparen!

G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!

Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2575 bis 2577:

2575: Mort Cabes Gesetz
2576: River-City-Marshal
2577: Jagt Kilrain!

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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EPUB
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Seitenzahl: 466

Veröffentlichungsjahr: 2025

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G. F. Unger
G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 76

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2022 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Faba/Norma

ISBN: 978-3-7517-7718-6

https://www.bastei.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

G. F. Unger Western-Bestseller Sammelband 76

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

G. F. Unger Western-Bestseller 2575

Die Chancenlosen

G. F. Unger Western-Bestseller 2576

Mit dem Teufel verbündet

G. F. Unger Western-Bestseller 2577

Der Wildpferdjäger

Guide

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Contents

Die Chancenlosen

Es beginnt in Saint Louis, als Ben Yates nach jahrelanger Suche einem Spieler gegenübersitzt, auf dessen linkem Handrücken ein Skorpion eintätowiert ist.

Der Spieler hat wie tot und leblos wirkende Fischaugen, ein hartes Gesicht und eine fahle Hautfarbe, so wie fast all diese Kartenhaie, die ihre Nächte an den Pokertischen verbringen und die Tage im Bett, sich also selten Licht und Sonne aussetzen.

Seine Hände sind geschmeidig. Sie sind das einzige Ausdrucksvolle an ihm.

Denn diese Hände können gewiss zaubern.

Der Mann gewinnt immer wieder, obwohl die vier anderen Spieler – darunter auch Ben Yates – erfahrene und mit allen Wassern gewaschene Männer sind, die sich bisher in jeder Pokerrunde behaupten konnten.

Aber gegen diesen Mann verlieren sie stetig.

Und so löst sich die Pokerrunde kurz nach Mitternacht auf.

Nur Ben Yates bleibt bei dem bleichen Spieler am Tisch sitzen, lehnt sich weit zurück und dreht sich eine Zigarette ...

Der bleiche Spieler betrachtet ihn mit stumpf wirkenden Augen, in deren Hintergrund jedoch ein Glitzern stärker zu werden beginnt. Ja, sein Fischblick, der bisher während des Spiels keine Empfindungen verriet, wird immer funkelnder.

Nach einer Weile fragt er Ben Yates: »Sie haben an mich am wenigsten verloren, nicht wahr? Aber Sie gehören nicht zu meiner Gilde?«

»Nein«, erwidert Ben Yates.

Mehr sagt er nicht.

Er betrachtet den Spieler noch einmal ernst und lässt dabei nichts erkennen, weder Abneigung noch die Bereitschaft zu Freundlichkeit.

Dennoch verspürt der Spieler etwas. Er vermag es noch nicht zu bestimmen, aber seine Nasenflügel vibrieren, so als würde er Witterung zu nehmen versuchen.

Sein Instinkt beginnt ihn zu warnen, obwohl er noch keine Anhaltspunkte für eine Gefahr erkennen kann.

Ben Yates erhebt sich plötzlich und verharrt mit der Zigarette zwischen den harten Lippen. Seine Hände hat er mit den Daumen hinter den Hosengürtel gehakt.

Er ist ein großer Mann von mehr als sechs Fuß und zwei Zoll. Bei aller Hagerkeit wiegt er an die hundertachtzig Pfund, denn er besteht aus starken Knochen und sehnigen Muskeln. Sein braunes Gesicht wirkt indianerhaft, ebenso sein schwarzes Haar.

Vielleicht ist ein Viertel Indianerblut in ihm.

Nur seine Augen sind hellgrau.

Er nickt dem Spieler noch einmal zu und verlässt den Pokertisch.

Der Spieler aber bleibt sitzen, streicht die Karten zusammen und beginnt eine Patience auszulegen, so als hoffte er auf eine Antwort der Karten auf seine Fragen, die nun aus seinem Kern aufsteigen.

Aber die Patience will nicht aufgehen.

Sie will keine Fragen beantworten, und so steigt in ihm die Unsicherheit an.

Der Mann heißt Jack Donovan.

Er blickt wieder auf seine Hände, die jetzt abermals die Karten zusammenstreichen. Dabei sieht er natürlich auch die Tätowierung auf seinem linken Handrücken, aber er bringt sie nicht in Zusammenhang mit den leisen Warnsignalen seines Instinkts.

Da keine weiteren Spieler an seinen Tisch treten und sich deshalb keine neue Pokerrunde bilden kann, erhebt er sich mit einem Ruck, geht zum Schanktisch hinüber und lässt sich noch einen Drink geben.

Dabei überlegt er, durch welche Tür er die Spielhalle des Saloons verlassen soll.

Es gibt da drei Möglichkeiten für ihn.

Er wählt den unscheinbaren Seitenausgang in die schmale Gasse.

Bevor er diese Tür öffnet und in die dunkle Nacht hinaustritt, verharrt er drei Atemzüge lang mit geschlossenen Augen, sodass sich die Augen schneller an die Dunkelheit gewöhnen können.

Doch es nützt ihm nichts. Als er die Tür hinter sich schließt, da bekommt er es erbarmungslos auf den Hut.

Und dann weiß er eine Weile nicht, was mit ihm geschieht.

✰✰✰

Jack Donovan erwacht etwa eine halbe Stunde später und bleibt erst einmal bewegungslos liegen, so als wäre er immer noch ohne Besinnung.

Doch er lauscht mit immer wacher werdenden Sinnen, hört also nicht nur den Strom rauschen, sondern riecht ihn auch.

Ja, er riecht den Missouri, nicht den Mississippi.

Wer ihn auch in der Gasse niedergeschlagen hat, er schaffte ihn weiter stromauf. Und der Missouri riecht anders als der Mississippi. Jack Donovan weiß es längst.

Er hört nun den Mann neben sich sagen: »Du hast die Wahl, mein Freund.«

Das letzte Wort klingt nicht freundlich, denn der Klang der Stimme verrät eine böse Gnadenlosigkeit.

Jack Donovan hat die Stimme sofort wiedererkannt. Er versucht herauszufinden, ob er noch bewaffnet ist. Doch er spürt die Waffe im Schulterholster und auch den kleinen Derringer im Ärmel nicht mehr. Und so weiß er, dass auch das Messer im Stiefelschaft unter der Hose nicht mehr vorhanden sein wird.

Erst nach einer Weile fragt er: »Welche Wahl habe ich?«

»Ob ich dich schnell und schmerzlos oder langsam und schmerzvoll umbringen werde. Oder ob ich dir die Gnade eines fairen Duells zubillige.«

Als Jack Donovan dies hört, beginnen seine Gedanken zu jagen.

Denn eines weiß er nun: Etwas aus seiner Vergangenheit muss ihn eingeholt haben. Der Mann neben ihm hätte ihn schon in der Gasse ausrauben können.

Was also hat ihn jetzt eingeholt?

Und da wäre eine Menge möglich.

Und so fragt er: »Was hätte ich zu tauschen?«

Der Mann neben ihm lacht grimmig. Dann sagt er: »Es geschah vor fünf Jahren im letzten Kriegsjahr. Ich bin sicher, dass du dich nun erinnern kannst.«

Als Jack Donovan das hört, da atmet er schneller.

Dann fragt er: »Und so lange hast du nach einem von uns gesucht? Oder bin ich der letzte Mann von uns?«

»Nein, der Erste. Und ich will die anderen. Verrate mir, wo ich sie finden kann. Dann gebe ich dir eine Chance.«

Jack Donovan schweigt einige lange Atemzüge.

Dann setzt er sich stöhnend auf und hält sich den Kopf, wo seine tastenden Fingerspitzen eine dicke Beule berühren.

»Wie hast du mich gefunden?«

»Zufällig, mein Freund, zufällig. Ich hatte die Suche schon vor zwei Jahren aufgegeben. Doch dann saß ich an deinem Spieltisch und sah die Tätowierung auf deinem linken Handrücken. Ich weiß, dass es nur noch fünf von euch gibt. Wo finde ich die anderen?«

Wieder denkt Jack Donovan nach, und er weiß, dass er es mit einem harten Mann zu tun hat. Er saß ihm ja einige Stunden beim Poker gegenüber und konnte ihn studieren und abschätzen. Also gibt er sich keinen Illusionen hin. Überdies brummt ihm der Schädel.

Aber nach einer Weile fragt er: »Und du gibst mir die Chance zu einem Duell?«

»Wenn du mir verrätst, wo ich die anderen finde.«

»Und du würdest mir glauben? Ich könnte dir sonst was erzählen.«

Wieder schweigen sie eine Weile, hören nur den Fluss neben sich und riechen das schlammige Wasser, welches aus den Bergen von Montana kommt, fast dreitausend Meilen weit stromauf.

Aber man nennt den Oberen Missouri ja auch Big Muddy, also Großer Schlammfluss. Und diesen Geruch hat er auch hier an der Mündung in den Mississippi noch, wenn auch viel schwächer.

Im Strom plätschern Fische, und der Geruch des schlammigen Wassers mischt sich mit dem der Erde, des Grases und der Büsche. Auch Holz vom letzten Hochwasser liegt da und dort.

Jack Donovan wird sich in diesen Minuten all dieser Düfte und Gerüche bewusst. Denn sie lassen ihn begreifen, wie prächtig doch das Leben ist, wenn man davonkommen könnte. Er möchte dieses Leben nicht verlieren. Und vor allen Dingen will er noch oft mit Frauen im Bett liegen, ganz gleich, ob er sie sich kaufen muss oder sie es freiwillig tun, weil sie einen Mann wollen.

Er fand immer welche, die sich mit ihm einließen. Denn er war stets ein erfolgreicher Spieler, der den Frauen etwas bieten konnte.

Jetzt wird er sich in der sterbenden Nacht bewusst, wie sehr er dieses Leben liebte.

Ben Yates murmelt nun neben ihm: »Wenn du mich im Duell schlagen kannst, kann es dir gleich sein, dass du deine Kumpane verraten hast. Und wenn du von mir getötet wirst, dann kannst du ziemlich sicher sein, dass sie dir in die Hölle folgen. Also?«

Abermals schweigt Jack Donovan lange. Nun sieht er die Bilder von damals vor seinen Augen. Er hatte das schreckliche Geschehen schon fast vergessen und hätte niemals gedacht, dass es ihn nach fünf Jahren wieder einholen würde.

Endlich fragt er: »Und woher weißt du, dass du uns an den Tätowierungen erkennen kannst? Es gab doch keine Überlebenden damals, als wir in das prächtige Herrenhaus der Plantage eindrangen, in dem deine Familie lebte. Wir ließen damals keine Lebenden zurück. Wie konntest du alles erfahren? Ich will und muss das wissen.«

»Es gab einen kleinen Küchenjungen, der unserer Köchin half. Der war so klein, dass er sich verstecken konnte, wo niemand einen Menschen vermutete, nämlich hinter der Holzkiste neben dem Ofen. Er sah und hörte alles. Ihr wart ja so stolz darauf, dass ihr die letzten fünf überlebenden Skorpione wart. Und der Krieg war beendet. Ihr wolltet alle nach Norden, wo man euch nicht kannte. Also, wo sind die anderen?«

Jack Donovan stößt nun einen seltsamen Laut aus.

Dann murmelt er: »Es ging uns eine lange Zeit dreckig. Wir konnten lange keine Beute mehr machen. Als wir von den Goldfunden in Montana hörten, wollten wir hin. Aber ich blieb hier bei einer Frau hängen und habe nie wieder etwas von den vier anderen gehört. Du musst sie weiter im Norden suchen, vielleicht im Goldland oder als Büffeljäger irgendwo auf der Prärie – oder gar bei der Armee. Wir waren damals völlig abgebrannt und wurden gesucht im Süden. Damals gingen viele von unserer Sorte zur Armee. Die nahm jeden Mann, der gegen die Indianer kämpfen konnte, und fragte nicht nach seiner Vergangenheit. Mehr kann ich dir nicht sagen. Ich wurde in den fünf Jahren ein erfolgreicher Spieler.«

»Und die Frau, bei der du geblieben bist?«

»Die gebar mir einen toten Sohn und starb selbst dabei.«

Jack Donovan verstummt kalt, fast mit einem verächtlichen Klang in der Stimme. Dann fügt er hinzu: »Aber sie vererbte mir mehr als tausend Dollar, die sie sich als Hure verdiente, bevor sie mich traf und ich sie von meinen Einkünften als Spieler unterhielt. Ich trage jetzt fast fünftausend Dollar mit mir herum, teils in meinem Geldgürtel, aber auch in meinen Taschen verteilt. Du kannst alles haben, wenn du mich vergisst.«

»Das kann ich auch so«, murmelt Ben Yates. »Ihr habt meine Familie getötet und zuvor meine Frau und meine Schwester vergewaltigt.«

Er erhebt sich nach diesen Worten und wirft den kurzläufigen Revolver, den er aus Jack Donovans Schulterholster nahm, zu Boden.

Dann tritt er einige Schritte zurück und lässt seine Revolverhand neben seiner Waffe hängen. Sein Daumen berührt leicht den Revolverkolben.

So wartet er.

Jack Donovan aber zögert noch.

Er fragt sich, ob er eine Chance hat oder chancenlos ist gegen diesen Mann aus Alabama, der damals noch nicht daheim war, als sie die Plantage mit dem schönen Herrenhaus überfielen, deren Sklaven weggelaufen waren, weil sie ja die Freiheit besaßen.

Jack Donovan möchte nicht sterben.

Aber dann muss er das Duell gewinnen.

Und so erhebt er sich und hebt dabei den Revolver vom Boden auf.

Er starrt auf Ben Yates und sieht, dass dieser seine Hand immer noch neben dem Revolverkolben hängen hat.

Jack Donovan richtet sich auf, hält den Revolver neben seinem Bein mit dem Lauf nach unten, sodass die Mündung zu Boden zeigt. Er muss den Revolverlauf nun nur noch heben und die Mündung auf Yates richten.

Aber Yates muss ziehen und ist scheinbar im Nachteil.

Und da wagt es Jack Donovan.

Als er abdrückt, stößt ihn die Kugel des Gegners schon. Er stirbt stehend und drückt dabei noch ab, schießt aber daneben.

Die Schüsse hallen nicht, denn aus dem Strom steigen Nebel.

Ben Yates blickt stromauf zur Stadt hin. Dort werden die Lichter im Morgengrauen wieder zahlreicher.

In Ben Yates ist kein Gefühl des Triumphes, eher ein Gefühl der Bitterkeit.

Er hat getan, was ein Mann tun muss, wenn er keine Chance auf die Hilfe des Gesetzes hat. Durch Zufall – oder war es der Wille des Schicksals? – stieß er auf einen der Mörder seiner Familie.

Was konnte er anderes tun?

Auch ihn hat die Vergangenheit eingeholt und in die Pflicht genommen.

Ja, er spürt immer stärker die Pflicht, auch die vier anderen Mörder nicht davonkommen zu lassen. Das darf nicht sein.

Er holt sich nun das viele Geld aus den Taschen des Toten, und er verspürt keine Gewissensbisse dabei, fühlt sich nicht als Leichenfledderer.

Denn diese Mordbande ist ihm mehr schuldig. Schon allein der wertvolle Familienschmuck, den sie mitnahmen, war sehr viel mehr wert.

Er wirft den Toten über das Ufer in den Strom, wo ihn die Strömung mitnimmt.

Dann tritt er an das Pferd, auf welchem er den Toten aus der Gasse und ein Stück weit weg aus der Stadt schaffte.

Es ist nicht sein Pferd. Das Tier stand in der Gasse neben einem betrunken schlafenden Mann, der es nicht mehr in den Sattel schaffte.

Yates sitzt auf und reitet zurück.

Der Schläfer in der Gasse schnarcht immer noch und wird bei seinem Erwachen gar nicht merken, dass sich jemand sein Tier für etwas mehr als eine Stunde ausgeliehen hatte.

Das Dampfhorn eines Steamers prustet den gewaltigen Ton in die sterbende Nacht hinaus. Nach dem dritten, gewaltigen Dröhnen wird er ablegen.

Ben Yates macht sich auf den Weg und verzichtet darauf, sein weniges Gepäck aus der kleinen Kammer des billigen Hotels zu holen.

Er kann an den Landebrücken leicht jenen Steamer erkennen, der sogleich losmachen und ablegen wird. Denn aus den beiden Schornsteinen des Dampfbootes fliegen Funken.

Von der Stadt kommen einige eilige Passagiere angelaufen.

Und eine junge Frau am Ende der Schlange schleppt einen Koffer und eine Reisetasche. Sie bleibt immer mehr zurück, doch Ben Yates holt sie ein und nimmt ihr wortlos das Gepäck ab, sieht sie jedoch nur flüchtig von der Seite an und eilt ihr mit langen und geschmeidigen Schritten voraus.

Das mächtig brüllende Dampfhorn erfüllt zum dritten Mal den nebligen Morgen. Doch weit im Osten gibt es schon die ersten Lichtexplosionen der Sonne am Himmel.

Die junge Frau, welche hinter Yates herhastet und mit ihren eleganten Schuhen immer wieder stolpert, hält plötzlich inne, lässt einen deftigen Fluch hören und entledigt sich der unbequemen Fußbekleidungen, nimmt sie in die Hände.

Dann aber kann sie wie ein Reh laufen und springen. Sie holt Yates schnell ein und stößt etwas keuchend hervor: »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mister.«

Sie erreichen die Landebrücke und sind die letzten Passagiere, die an Bord gelassen werden. Zwei Decksmänner ziehen die Gangway hoch.

Und das Dampfboot lässt das Schaufelrad am Heck patschend drehen und geht schräg in den Strom.

Die junge Frau und Yates warten geduldig, bis der Zahlmeister sich ihrer annehmen kann und höflich fragt: »Haben Sie Ihre Passage schon bezahlt im Office der Reederei oder ...?«

»Für mich wurde von der Armee eine Kabine gebucht«, unterbricht ihn die junge Frau. »Mein Name ist Judy Logan.«

Der Zahlmeister legt seine Hand an den Mützenschirm und gibt einem der Decksmänner einen Wink. Dieser nimmt das Gepäck der jungen Frau auf.

»Folgen Sie dem Mann, Lady«, spricht der Zahlmeister höflich. »Willkommen an Bord der ›General Grant‹.«

Sie nickt dankend, aber bevor sie dem Mann und ihrem Gepäck folgt, sieht sie Ben Yates kurz an.

Und auch dieser blickt nun endlich voll in ihr Gesicht und bekommt ein Lächeln geschenkt, welches ihn für Sekunden all das Bittere dieser Nacht vergessen lässt.

Denn es ist ein Gesicht, welches den grauen Morgen schöner macht. Selbst nach diesen wenigen Sekunden, in denen sie ihm ihr Lächeln schenkt, wird er dieses Gesicht nicht mehr vergessen, selbst wenn er es nie wieder sehen sollte.

Sie wendet sich ab.

Der Zahlmeister tritt zu ihm.

»Und Sie?« So fragt er.

»Wenn Sie keinen Kabinenplatz haben, bin ich auch mit einem Decksplatz zufrieden«, spricht Yates ruhig.

»Sie hatten es wohl sehr eilig, denn Sie sind ohne Gepäck.«

Die Stimme des Zahlmeisters verrät eine Spur von Argwohn und Misstrauen.

Ben Yates erwidert ruhig: »Es gibt immer wieder einen Mitspieler, der beim Poker nicht verlieren kann.«

»Aha«, macht der Zahlmeister. »Wohin wollen Sie?«

»Bis nach Fort Lincoln.«

»Da habe ich noch einen Kabinenplatz frei. Den müssen Sie sich mit einem anderen Spieler teilen.«

»Wenn er nicht schnarcht«, sagt Yates und grinst, »ist mir das recht.«

✰✰✰

Er sieht Judy Logan etwa eine Stunde später beim Frühstück im Salon wieder. Inzwischen hat er sich im Bord-Store mit einigen notwendigen Dingen versehen, wozu auch Rasierzeug und ein frisches Hemd gehören.

Auch den anderen Kabinenpassagier lernte er kennen. Es ist ein ziemlich kleiner, rothaariger und irgendwie fuchsgesichtiger Mann unbestimmbaren Alters, der sich als Jim Spears vorstellte und Ben Yates dabei forschend anblickte, so als erwartete er etwas von ihm, irgendeine Reaktion – zum Beispiel ein Staunen oder eine Frage.

Aber Ben Yates hat den Namen Jim Spears noch nie gehört. Und überdies wirkt der Mann auf den ersten Blick ziemlich unscheinbar.

Ben Yates vergisst Jim Spears jedoch vorerst. Denn am langen Tisch der Kabinenpassagiere sitzt ihm die junge Frau, die dem Zahlmeister der »General Grant« ihren Namen nannte, genau gegenüber.

Judy Logan heißt sie also, denkt Ben Yates.

Er kann sie nun so richtig in Ruhe betrachten, ihr voll ins Gesicht sehen und dabei nach all den Zeichen suchen, die ihm mehr über sie verraten können.

Denn fast jede Frau lässt für einen erfahrenen Mann Zeichen erkennen. Und sein Instinkt sagt ihm, zu welcher Sorte sie gehört.

Sie erwidert seinen Blick mit blaugrün leuchtenden Augen. Es ist ein gerader und fester Blick, der ihm ihr Selbstbewusstsein verrät. Also ist sie eine Frau, die sich unter Männern behaupten lernte. Er spürt ihre kraftvolle Vitalität und traut ihr eine Menge nüchterne, praktische Klugheit zu.

Dabei ist sie mehr als nur hübsch, sie ist eine Schönheit. Aber nicht nur das. Denn sie besitzt eine Ausstrahlung, welche ahnen lässt, dass tief in ihr die Fähigkeit zu starken Gefühlen vorhanden ist.

Ja, das alles spürt er irgendwie mit seinem Instinkt, indes er sie ansieht.

Sie löffelt die Suppe wie eine Lady, und manchmal fährt ihre Zungenspitze über ihre vollen Lippen. Ihr Mund ist lebendig und ausdrucksvoll. Doch gewiss kann er auch hart und beherrscht sein, sodass die Lippen schmal werden.

Ihr Haar ist von einem besonderen Rotgoldschimmer.

Ben Yates fragt sich nun, welchem Mann sie wohl gehört. Oder sollte sie frei sein?

Wenn Letzteres der Fall sein sollte, dann nur, weil sie sich getrennt hat. Denn eine Frau wie sie gehört zumeist einem besonderen Burschen.

Außer ihnen sitzen noch ein Dutzend Kabinenpassagiere am langen Tisch. Doch sie wirken alle irgendwie missmutig und verdrossen, verschlafen noch in der grauen Morgenstunde. Es ist eine zusammengewürfelte Gesellschaft, zu der auch zwei junge Frauen gehören, denen man ihr Gewerbe ansehen kann, die aber dennoch nicht zu der primitiven Sorte gehören, sondern zu der »gehobenen«, die man Edelhuren nennt.

Judy Logan lässt nun den Löffel in den leeren Teller sinken und lächelt Ben Yates an. Es ist ein wissendes und zugleich nachsichtiges Lächeln.

Dann spricht sie mit diesem Lächeln auf ihren Lippen: »Nun haben Sie mich lange genug angesehen und zu erforschen versucht. Gewiss kennen Sie meinen Namen, haben sich ihn gut gemerkt, als ich ihn dem Zahlmeister nannte. Vielleicht nennen Sie mir nun endlich Ihren. Sie sind ja mein Retter. Ohne Ihre Hilfe hätte ich es nicht rechtzeitig an Bord geschafft. Mein Koffer war zu schwer.«

»Ich bin Ben Yates«, sagt er und lächelt zurück. »Und ich freue mich, dass ich Ihnen ein wenig helfen konnte. Kleine Freuden machen das Leben schöner.«

Sie schenkt ihm wieder jenes Lächeln. Doch ihre Augen werden dabei schmaler. Auch ihre Farbe wird dunkler, ist nun grün.

Er spürt, dass er ihr keine weiteren Komplimente machen sollte. Das würde ihn in ihren Augen abwerten, ihn zu einem Süßholzraspler machen.

Und so fragt er: »Wohin reisen Sie? Oder sollte ich das nicht fragen? Ihre Kabine wurde von der Armee gebucht. Aber ich halte Sie nicht für die Frau eines Offiziers.«

»Warum nicht?« Ihre Frage kommt fast hart und herausfordernd.

Er legt nun ebenfalls den Löffel in den Teller zurück und hebt die breiten Schultern, lässt sie wieder sinken.

»Sie wirken nicht wie eine Offiziersfrau«, spricht er dann nachdenklich. »Sie wirken frei und sehr selbstständig. Die Frauen der Armee gehören zu einer besonderen Kaste.«

»Was für eine Kaste?« Sie fragt es noch schärfer.

Wieder hebt er die Schultern und lässt sie sinken.

»Es ist die Kaste der Treuen, Geduldigen, stets an die Karriere ihrer Männer denkenden, welche bereit sind, in den einsamen Grenzforts hier im Westen zu verdorren wie eine Blume in der Wüste. Und sie leben ständig mit der Sorge, dass sie von einem Tag zum anderen Witwen werden könnten. Ja, es ist eine Kaste, vor der ich Respekt habe. Aber ...«

Er bricht ab.

Und ihre Augen werden nun wieder groß und weit.

»Aber was?« So fragt sie immer noch hart.

Er überlegt einige Atemzüge lang. Denn er will nichts sagen, was sie beleidigen oder zornig machen könnte.

Und so spricht er endlich ruhig: »Vielleicht fanden Sie noch keinen Mann, bei dem Sie auch in der Hölle bleiben würden. Vielleicht liebten Sie noch keinen Mann stark genug.«

Nun hat er alles gesagt.

Und ihre grünen Katzenaugen werden wieder schmal.

»Mister Yates«, spricht sie mit trügerischer Sanftheit, »Sie kennen sich wohl gut aus.«

Nach diesen Worten erhebt sie sich und verlässt den Speiseraum der »General Grant«. Der Steamer ist zugleich Postdampfer der Regierung, und vielleicht trägt er deshalb diesen stolzen Namen.

Jener Jim Spears, der neben Judy Logan saß, sieht Ben Yates über den Tisch hinweg scharf an. Und als dieser den Blick erwidert, da bekommt er eine andere Meinung von dem bisher so unscheinbar wirkenden Mann.

Denn er sieht in zwei Falkenaugen, scharf und kieselhart.

Nein, das sind keine Fuchsaugen, mögen Fuchsaugen auch schlau und listig blicken. Dieser kleine Mann, der beim ersten Blick an einen Fuchs denken lässt, ist anders – eher ein Jagdfalke.

Yates hört Spears ruhig sagen: »Sie war eine Offiziersfrau. Lieutenant Jones Logan wurde vor einem halben Jahr von den Oglalas umgebracht. Nur wenige Männer seiner Patrouille entkamen damals nach Fort Lincoln. Sie hatten ihn unterwegs beerdigen müssen mit anderen Soldaten. Und die Armee hat lange gebraucht, um seine Frau irgendwo im Osten ausfindig zu machen. Vielleicht ist sie jetzt unterwegs zu seinem Grab. Das wäre sie ihm wohl schuldig. Immerhin bekommt sie nun die Witwenpension einer Offiziersfrau.«

Ben Yates staunt den kleinen, falkenäugigen Mann an.

Er fragt: »He, wer sind Sie? Wie kommt es, dass Sie so gut informiert sind?«

Jim Spears grinst ihn an und zeigt dabei gesunde Zähne, die ihn jünger erscheinen lassen.

»Das ist eine lange Geschichte«, spricht er. »Wenn Sie lange genug an Bord der ›General Grant‹ bleiben, dann erzähle ich sie Ihnen vielleicht mal.«

Er erhebt sich und geht ebenfalls hinaus auf das Kabinendeck.

Andere Passagiere folgen ihm.

Neben Ben Yates sitzt ein Mann, der wie ein Geschäftsmann wirkt, ein Händler oder Büffelhautaufkäufer.

Dieser Mann wendet sich an Yates. »Das war Jim Spears, Mister. Und den kennen Sie nicht?«

»Nein«, erwidert Yates. »Kennen Sie ihn?«

»Der ist fast so berühmt wie Jim Bridger, und Jim Bridger ist Ihnen wohl ein Begriff, oder?«

»Ja, Mister. Der ist ein berühmter Scout und Indianerkämpfer, Wagenzugführer und was weiß ich noch was.«

»Jim Spears ist Chefscout bei General Custer. Und Custer kommandiert in Fort Lincoln das Siebente Kavallerieregiment. Freund, Sie saßen hier einem berühmten Mann gegenüber, der einmal in die Geschichte der Indianerkriege eingehen wird. Und vielleicht wird er eines Tages an Custers Seite sterben.«

Der Mann verstummt grimmig.

»Und woher wissen Sie das alles?« Ben Yates fragt es misstrauisch.

Der Mann grinst ihn an. »Ich bin Louis Bullock«, spricht er. »Ich habe einen Vertrag mit der Regierung und beliefere die Indianerreservate mit all den Dingen, die den Roten vertraglich zugesichert wurden, damit sie in den Reservaten bleiben. Doch das tun nur wenige Dörfer unter friedlichen Häuptlingen. Die meisten Stämme wollen frei bleiben. Wir werden einen großen Krieg bekommen, vielleicht schon im nächsten Jahr. Dann wird es ein gewaltiges Abschlachten geben – und darin ist General Custer, der jetzt nach dem Krieg in der verkleinerten Armee nur noch den Rang eines Lieutenant Colonels hat, der große Meister. Den wird man auf die Roten loslassen, um das weite Land freizumachen für die Flut der Weißen. Wohin wollen Sie denn, Mister? Vielleicht zu den Goldfundgebieten in Montana in die Last Chance Gulch?«

»Ich weiß es noch nicht«, erwidert Yates und geht ebenfalls hinaus.

Als er an der Reling steht, riecht er wieder den schlammigen Strom, dessen Geruch vom Morgenwind gemildert wird.

Er befindet sich auf Steuerbordseite, hat also den Blick nach Osten.

Und er sieht die Weite des gewaltigen Landes, über dem nun die Morgensonne steht und den Tag wunderschön macht.

Er wandert nach vorn und blickt stromauf.

Und er fragt sich, was dort im Norden auf ihn wartet.

Dann denkt er wieder an jenen Jack Donovan, den Spieler mit der Tätowierung auf dem linken Handrücken, auf den er durch Zufall stieß – oder weil das Schicksal es so wollte. Wird er auch die vier anderen Mörder finden können nach so langer Zeit?

Er will es versuchen.

Denn er ist ja jetzt nach langer Zeit völlig unabhängig, muss seinen Lebensunterhalt nicht verdienen, kann viele Monate suchen.

Das Geld des Spielers verhilft ihm zur Rache.

Er geht in die Kabine zurück und legt sich angekleidet auf das schmale, kojenähnliche Bett. Denn es ist Zeit für einen Schlaf.

✰✰✰

Als er erwacht, ist es Nachmittag. Jim Spears sitzt am kleinen Tisch dicht beim Fenster und reinigt seinen schweren Revolver. Er hat die Trommel herausgenommen und hält den Lauf mit der Mündung zum Fenster, blickt prüfend hindurch.

Yates setzt sich langsam auf und bleibt auf dem Bettrand sitzen.

Spears sieht zu ihm her. »Ausgeschlafen?«

»O ja, jetzt geht es wieder«, erwidert Yates und setzt hinzu: »Ich weiß jetzt, wer Sie sind. Ein gewisser Bullock klärte mich auf. Aber wenn Sie Custers Chefscout sind, was machten Sie in Saint Louis? Dort gibt es keine wilden Indianer.«

Er fragt es lächelnd und nimmt so seinen Worten den Spott.

»Ach«, erwidert der Scout, »ich hatte eine Pfeilspitze im Rücken, dicht neben der Wirbelsäule. Die Armeeärzte wagten keine Operation. Irgendwelche Nervenstränge hätten beschädigt werden und mich zu einem Gelähmten machen können. Doch der General hat Verbindungen überall. Und so machte er den berühmten Chirurgen ausfindig, der mich in Saint Louis von diesem Miststück befreite. Nun bin ich wieder unterwegs zum General. Denn der wird mich im Frühjahr verdammt nötig haben.«

Sie schweigen eine Weile, hören nur das patschende Rattern des Schaufelrades und spüren das Vibrieren und ständige Klopfen der »General Grant«. Denn der Steamer kämpft mächtig gegen die starke Strömung des Big Muddy an.

»Ich hörte es schon«, spricht Yates. »Es soll im nächsten Frühjahr den großen Indianerkrieg geben. Ja, haben die Roten denn überhaupt eine Chance?«

»Letztlich nicht«, erwidert Spears. »Aber sie werden diesen letzten Kampf austragen, um bessere Friedensverträge zu bekommen. Die Sioux, Cheyennes und Arapahoes haben in den letzten Monaten viele Waffen bekommen, eine Menge Munition und dazu große Pferdeherden. Sitting Bull ist ständig unterwegs zu allen Stämmen und deren Dörfern. Er bespricht sich mit den maßgebenden Häuptlingen, mit Gall, Two Moons, Crazy Horse und anderen. Dass sie nun alle gemeinsam Pläne machen, ist ungewöhnlich. Sonst geht jeder Stamm seine eigenen Wege – aber jetzt ...«

Spears macht eine Pause.

Dann spricht er hart: »Wenn sie im Frühsommer oder Sommer loslegen, werden sie mehr als fünftausend Krieger auf ihre bunten Pferde bringen. Und dann hat das Siebente Regiment keine Chance. Denn das Siebente wird es als erstes Regiment mit ihnen zu tun bekommen. Vielleicht kann ich Custer gut genug beraten – und vielleicht wird er auf meinen Rat hören. Doch er will wieder General werden. Und das macht alles so gefährlich.«

Er schweigt nun eine Weile. Dann fragt er wie aus heiterem Himmel: »Und hinter wem sind Sie her, Yates?«

Ben Yates starrt Spears an. Dann erkennt er, dass er diesem Mann nichts vormachen kann. Einen kurzen Moment gerät er in Versuchung, dem Mann zu sagen, dass er sich um seine eigenen Sachen kümmern solle, doch dann denkt er daran, dass ein Mann wie Spears ihm vielleicht bei der Suche nach den Mördern seiner Familie behilflich sein kann.

Und so erzählt er ihm seine Geschichte.

✰✰✰

Die »General Grant« arbeitet sich Meile um Meile den mächtigen Strom hinauf, einen bösen und mächtigen Strom. Sie schafft sechs bis sieben Meilen in der Stunde, und von Saint Louis bis Fort Lincoln, wo das Siebente Regiment stationiert ist, sind es mehr als eintausendsechshundert Meilen.

Es wird also eine lange Reise, denn nur bei sehr hellen Nächten und ungefährlichen Strecken bleibt die »General Grant« im Strom.

Doch weil der Steamer ja auch ein Postboot ist, welches Regierungspost befördert, legt sie immer wieder an.

Als sie am nächsten Tag nach einhundertundfünfzig Meilen den kleinen Ort am Osage River erreichen, machen sie für eine Stunde fest, denn es ist erst Nachmittag. Der Steamer kann bis Nachtanbruch noch mehr als zwanzig Meilen weiter stromauf schaffen.

Einige Passagiere gehen an Land, um sich eine Stunde lang nicht mehr so sehr in der Enge zu fühlen.

Auch Ben Yates und Jim Spears verlassen den Steamer.

Während Spears zu dem kleinen Ort hinübergeht und dort im Saloon verschwindet, geht Ben am Ufer entlang. Es gibt hier einen schmalen Weg zu einer Sägemühle. In der kleinen Bucht ist ein großes Floß festgemacht. Die Sägemühle ist in Betrieb. Offenbar werden die Stämme des mächtigen Floßes zu Bahnschwellen verarbeitet.

Auf diesem Uferweg sieht er Judy Logan dahergeschritten kommen. Offenbar ist sie bis zur Sägemühle gegangen und kommt nun wieder zurück.

Er geht ihr entgegen und bewundert dabei ihren leichten Gang, ihre Bewegungen und Kopfhaltung.

Sie ist wunderschön, denkt er. Ihre Ausstrahlung umgibt ihre Schönheit wie ein goldener Rahmen ein schönes Bild.

Sie halten nun voreinander. Weil sie einen ganzen Kopf kleiner ist als er, obwohl für eine Frau etwas mehr als mittelgroß, muss sie zu ihm aufsehen.

Er nimmt den Hut ab. Sein schwarzes Haar bewegt sich im leichten Wind. Und sie sieht in seine hellen, rauchgrauen Augen und spürt dabei, wie sehr sie ihm gefällt.

Aber das spürt sie bei allen Männern, denen sie begegnet. Sie kennt längst die verschiedenen Sorten. Einige Sorten verachtet sie, andere behandelt sie mit Vorsicht, und vor einigen fürchtet sie sich und lässt es sich dennoch nicht anmerken.

Denn längst hat sie begriffen: Wenn sie an den falschen Mann gerät und diesem zu sehr vertraut, dann geht sie unter. Und so versteht sie es längst, ihre Schönheit zu nutzen wie eine Spielerin ein gutes Kartenblatt.

Ihre Lippen lächeln ein wenig, und in ihren grünen Katzenaugen erkennt er ein Abwarten. Und so sagt ihm sein Instinkt, dass er sich bei dieser Frau Zeit nehmen muss.

Aber wahrscheinlich hat er keine Zeit.

Denn er befindet sich auf einer Fährte.

Er sagt: »Es tut jetzt schon gut, wieder an Land einen kleinen Spaziergang zu machen, nicht wahr? Und bis Fort Lincoln sind es noch an die fünfzehnhundert Meilen. Es ist schön, Sie anzusehen.«

Sie lacht leise, und in ihren Augen funkelt es.

»Bei der Armee nennt man das leichtes Geplänkel«, spricht sie nachsichtig. »Doch irgendwann kommt es dann zum Angriff. Ist das Ihre Taktik, Mister Yates?«

»Ich habe von Ihnen geträumt«, erwidert er. »Und in meinem Traum nannten Sie mich schon Ben, nicht Mister Yates. Das hat mir im Traum gut gefallen, denn in diesem Land hier und auf dem Strom gelten nicht mehr so sehr die steifen Regeln der vornehmen Gesellschaft.«

Er tritt an ihre Seite und bietet ihr den Arm.

Sie zögert eine Sekunde lang, dann nimmt sie ihn.

Dabei fragt sie etwas kühl: »Mister Yates, machen Sie mir den Hof?«

Er lacht leise, und indes sie sich in Bewegung setzen, spricht er: »Frauen sind das Beste und Schönste auf dieser Erde. Deshalb ist in allen Männern ein Verlangen, was weder Himmel, noch Erde, Musik oder irgendein Glück erfüllen können, auch kein schöner Sonnenuntergang zum Beispiel. Oder die Erfüllung anderer Wünsche. Denn einen schönen Sonnenuntergang kann man nicht in die Arme nehmen, nur eine Frau. Wissen Sie, Judy, eine Frau ist ein Gottesgeschenk, manchmal süß, dann wieder wild. Eine Frau ist ...«

»Hören Sie auf«, unterbricht sie ihn und nimmt ihren Arm wieder aus seiner Armbeuge. »Sie wollen mir wie ein Künstler und Poet den Hof machen, sozusagen auf höherem Niveau. Verdammt, alle Männer wollen von einer Frau nur eines.«

Sie haben nun die Landebrücke erreicht und gehen an Bord. Sie eilt leichtfüßig vor ihm her, und als sie den Niedergang vom Kabinendeck hinaufsteigen, eilt sie abermals voraus, sodass er ihre zierlichen Füße bewundern kann.

Sie trägt ein elegantes, flaschengrünes Reisekostüm.

Oben verschwindet sie in ihrer Kabine und wirft keinen einzigen Blick zurück auf ihn. Yates tritt an die Reling und blickt zur kleinen Stadt hinüber, wo aus dem Saloon nun die ersten Landgänger kommen.

Auch der Armeescout Jim Spears ist dabei.

Aber Yates ist mit seinen Gedanken noch bei Judy Logan. Und so denkt er: Ich habe wohl nicht das Recht, mich enttäuscht zu fühlen. Ich war ein Narr, sie so schnell erobern zu wollen. Dabei wusste ich doch, dass ich mir bei ihr Zeit nehmen muss.

Jim Spears kommt nun herauf und stellt sich neben ihn an die Reling.

Eine Weile schweigen sie.

Dann murmelt Spears: »Sie haben Glück, Yates.«

»Wobei, Spears?«

»Dass ich Armeescout bin, mit Ihnen auf der ›General Grant‹ fahre und der Wirt wusste, als ich ihn fragte, wo Sie die Skorpione finden können, die Sie suchen.«

»Waaas?« Yates dehnt das Wort, wendet sich dem Scout zu und starrt ihn fest an. Denn der kleine Mann sieht zu ihm hoch, sodass sie sich in die Augen sehen können.

»Wo?« Yates fragt es hart.

»In der D-Kompanie des Siebenten Regiments«, spricht Spears trocken. »Ich war mit diesen Männern oft auf Patrouille. Und die D-Kompanie wurde bis vor einem halben Jahr noch von First Lieutenant Logan geführt. He, Yates, Sie haben keine Chance. Denn die vier Skorpione gehören der Armee. Und was sie auch als Zivilisten getan haben mögen, bei der Armee zählt das nicht. Verstehen Sie?«

Er verstummt ernst.

Und Ben Yates hebt die Hand und wischt sich übers Gesicht. Was Spears ihm soeben sagte, vermag er nicht so einfach zu glauben.

Aber er träumt ja keinen verrückten Traum. Alles ist wirklich. Und so gibt es eigentlich nur eine einzige Erklärung: Es ist Schicksal.

Ja, ein Spiel des Schicksals will es so.

Natürlich gibt es oft die unmöglichsten Ereignisse auf der Welt, geschehen manchmal Dinge, die es gar nicht geben dürfte.

Er sieht Jim Spears lange an. Aber dieser weicht seinem Blick nicht aus. Und so beginnt Yates zu glauben, dass er die Mörder seiner Familie gefunden hat – die Mörder seiner Eltern und Schwestern.

Er legt seine Hand auf den Arm des Scouts.

»Erzählen Sie mir mehr über die Kerle. Wie sind deren Namen? Und warum wurden sie Soldaten und dienen nun in der D-Kompanie des Siebenten Regiments?«

Spears antwortet nicht sogleich. Er kennt ja Ben Yates' Geschichte schon in groben Zügen. Dann fragt er: »Sie waren gewiss in der Rebellenarmee des Südens, nicht wahr? Welchen Rang hatten Sie?«

»Captain.«

Der Scout nickt. »Das dachte ich mir. Und nun wollen Sie die vier Kerle umbringen. Denn vor einem Gericht hätten Sie keine Beweise. Die Kerle würden alles abstreiten. Und jenen Jungen von damals, von dem Sie mir erzählten, den würden Sie gewiss nicht mehr finden. War es ein schwarzer Junge, von einer Sklavin geboren? Ich habe gehört, dass man im Süden die männlichen Sklaven ›Böcke‹ nannte, welche Nachwuchs produzieren mussten. Es war wohl so ähnlich wie Schaf- oder Rinderzucht – nur mit Menschen. Denn jeder Säugling wurde größer und hatte dann seinen Wert. Wie viele Sklaven hatte Ihre Familie?«

Die Frage kommt hart und mit einem deutlich erkennbaren Klang von Verachtung. Dann starren sie sich beide in die Augen.

Nach einer Weile erwidert Ben Yates: »Etwa dreihundert. Und der Klang in Ihrer Frage, diese Verachtung in Ihrer Stimme – oho, auf was sind Sie so stolz? Sie sind Scout in einer Armee, welche an den Indianern Völkermord begeht. Und jener General Custer, dem Sie offenbar wie ein treuer Hund dienen, ist einer der größten und gnadenlosesten Indianermörder. Verdammt, unsere Sklaven hatten es bei uns besser als jetzt in Freiheit. Kommen Sie von Ihrem hohen Ross herunter, Spears.«

Jim Spears will hart erwidern. Man erkennt es in seinen nun kieselhart wirkenden Augen. Doch er presst den Mund zusammen, lässt nichts heraus.

Erst nach einer Weile murmelt er: »Was wissen Sie schon von meinem Verhältnis zum General und von dem, was ich kommen sehe, weil es unumstößlich sein wird.«

»Dann sagen Sie es mir, erklären Sie es mir.«

Der Scout hebt die Hand und wischt sich übers Gesicht.

Dann starrt er Yates irgendwie bitter und traurig wirkend an und spricht langsam Wort für Wort: »Das Siebente Regiment ist eine Truppe von Chancenlosen. Man wird Custer auf die Indianer hetzen. Und er will wieder seinen alten Bürgerkriegsrang erwerben und deshalb abermals siegen, so wie damals, als er der jüngste General der ganzen Unionsarmee war. Und er wird mit dem Regiment in die Hölle reiten, wenn ich ihn nicht davon abhalten kann. Deshalb kehre ich jetzt nach meiner Operation zu ihm zurück. Denn mit ihm werden all die armen Teufel sterben, welche unter seinem Befehl stehen und ihm folgen müssen in diese Hölle – auch jene vier Skorpione. Denn auch sie gehören zu den Chancenlosen. Yates, ich mache Ihnen einen Vorschlag.«

»Welchen?«

»Warten Sie ab, was geschehen wird. Sollten meine bösen Vorahnungen nicht eintreffen und die Kerle am Leben bleiben, dann helfe ich Ihnen, sie zu töten. Denn das wird nicht so leicht sein. Sie gehörten damals zur D-Kompanie von Lieutenant Logan und waren auch mit ihm auf Patrouille. Es war eine starke Doppelpatrouille, und sie waren die einzigen Überlebenden außer einem Sergeant. Aber der war verschollen und kam von einem Ausgang hinüber nach Bismarck nicht mehr zurück. Man fand ihn später ertrunken einige Meilen weiter unterhalb der Stadt. Mrs Logan, die Ihnen offensichtlich so gut gefällt, wird nur von diesen Kerlen die Grabstätte ihres Mannes erfahren können. Denn sie beerdigten ihn, bevor sie in einem Blizzard entkamen und zum Glück auf eine andere Patrouille, die nach ihnen suchte, stießen. Sie wurden halb tot ins Fort gebracht.«

Er verstummt, merkwürdig sanft, was den Klang seiner Stimme betrifft.

Ben Yates lehnt sich über die Reling und spuckt ins Wasser.

Dann aber fragt er: »Mrs Logan musste von der Armee erst gesucht werden, nicht wahr? Warum hatte sie sich von ihrem Mann getrennt und ging ihrer eigenen Wege? Wissen Sie das auch? Sie wissen überhaupt eine Menge, Spears.«

»Richtig.« Dieser grinst. »Ein Scout muss stets alles wissen oder in Erfahrung bringen. Und der Klatsch in der Armee ist riesengroß, besonders in den Grenzforts, die ja abgeschnitten sind und alles mit wochenlanger Verspätung erfahren. First Lieutenant Jones Logan wurde strafversetzt. Er hatte die Frau eines Vorgesetzten verführt, also mit der Frau eines höherrangigen Kameraden ein Verhältnis gehabt. Deshalb hat man ihn ins Indianerland verbannt. Man sagt, dass er eine ganz andere Laufbahn vor sich hatte, nicht dort, wo Blut und Schweiß vergossen wird, sondern wo sich die Offiziere auf dem Parkett der Diplomaten als Attachés bewegen. Ich habe ihn mal mit seiner Truppe durchs Land geführt. Er war ein auch hier an der Grenze noch sehr elegant wirkender Bursche, dem die Frauen nur so zuflogen. Der brauchte nur mit dem Finger zu schnippen. Ich kann verstehen, dass seine Frau mit ihm fertig war.«

Er hat nun alles gesagt und sieht Ben Yates noch einmal an.

»Jetzt haben Sie eine Menge nachzudenken«, sagt er, grinst und wirkt in diesem Moment etwas schadenfroh.

Bevor er sich abwendet, betrachtet er Ben Yates noch einmal abschätzend.

»Ein Captain der Konföderierten waren Sie also, ein Mann, der kämpfen musste und gewiss dabei eine Menge Erfahrung gewann. Custer würde Sie gewiss sofort als Sergeant in sein Regiment einstellen. Offiziere darf er ja nicht ernennen, jedoch Sergeants. Die befördert er und degradiert er nach seinem Belieben. Es gibt Sergeants in seinem Regiment, die wurden schon mehrmals degradiert und wieder befördert.«

»Offenbar ist er ein arrogantes Arschloch, Ihr Exgeneral und Indianerfresser.«

Yates spricht es grimmig. Dann geht er nach vorn, um voraus über den Strom blicken zu können und auch den frischen Fahrtwind zu genießen.

In seinem Kopf jagen sich die Gedanken.

Und er fragt sich, was das Schicksal wohl mit ihm vorhat.

Denn das alles kann doch kein Zufall sein, schon gar nicht, dass er mit Custers Chefscout eine Kabine teilt und sie sich irgendwie menschlich näherkamen.

Er weiß noch nicht, ob Spears und er Feinde oder Freunde sein werden.

Nur eines weiß er: Spears und er wurden vom Schicksal zusammengeführt.

Und diese Judy Logan ...

Eine Ahnung sagt ihm, dass Judy auch vom Schicksal in dieses Spiel einbezogen wurde wie eine wichtige Figur auf einem Schachbrett.

Er wendet den Kopf, als sie neben ihn tritt, und sieht sie an, so wie sie es bei ihm tut. Dann lächeln sie sich zu. In ihren Augen funkelt es.

»Ich weiß immer noch nicht so richtig, wohin Sie wollen, Ben Yates«, spricht sie, und ihre goldblonden Haare fliegen im Wind.

»Ich will zumindest bis Bismarck«, erwidert er. »Dann bin ich gar nicht weit von Ihnen entfernt. Denn Fort Lincoln liegt ja nur fünf Meilen entfernt auf der anderen Seite. Sie wollen doch nach Fort Lincoln zu Custer?«

»Nicht zu Custer«, erwidert sie. »Die Armee hat mich eingeladen. Wenn ich will, bettet die Armee meinen Mann um, holt das, was von ihm übrig blieb, von der Prärie zum Fort und gibt ihm die ehrenvolle Bestattung eines Offiziers. Und überdies soll ich die Nachlassenschaft von ihm übernehmen, mitsamt der Flagge, die jede Offizierswitwe bekommt. Oh, verdammt!«

Es ist ein plötzlicher Ausbruch, wobei sie mit dem Fuß aufstampft.

»Es geht auch um meine Witwenrente«, fügt sie hinzu.

Dann wendet sie sich ab und geht an der Reling entlang an den Kabinen vorbei nach achtern, wo das mächtige Schaufelrad sich patschend dreht und die »General Grant« gegen die Strömung vorwärtstreibt.

Indes sie den Strom abwärts blickt über das rauschende Schaufelrad hinweg, da ist es ihr, als blickte sie über ihr bisher vergangenes Leben zurück.

Doch dann wird ihr schnell klar, dass sie besser voraus und in die Zukunft blicken sollte. Und diese Zukunft soll in Fort Lincoln beginnen.

Doch sie wird es geschickt anfangen müssen.

Denn dort bei der Truppe gibt es einige Männer, die das Geheimnis kennen. Ja, es gibt ein Geheimnis. Der First Sergeant ihres Mannes, der mit wenigen Männern der Doppelpatrouille überlebte, schrieb es ihr. Dieser Brief wurde ihr immer wieder zu neuen Anschriften nachgesandt, ebenso die traurige Nachricht der Armee, dass sie sich melden sollte. Denn sie war ja ständig unterwegs von einer Stadt zur anderen. Sie war damals mittellos, als sie sich von ihrem Mann trennte, ihn einfach verließ, weil sie sich betrogen und gedemütigt fühlte.

Sie musste für sich sorgen.

Und das Leben war hart.

Sie wendet sich wieder nach vorn. Denn sie will nicht zurückblicken. Die letzten Monate waren schlimm.

Als sie wieder auf dem Kabinendeck nach vorn geht, kommt ihr Ben Yates entgegen.

Und abermals fragt sie sich, was für ein Mann er wohl ist und wohin sein Weg ihn führt. Sie weiß, dass er ein gebildeter Südstaatler ist, der gewiss während des Krieges Offizier war.

Ja, er gefällt ihr, und sie ist eine noch junge Frau, welche längst weiß, dass die Jahre schnell vorbei sind. Sie verlangt noch eine Menge von ihrem Leben.

Sie verhalten nun voreinander. Es sind noch andere Passagiere im Freien. Sie lehnen über der Reling oder spazieren in der Runde um die Kabinenaufbauten.

Doch Yates und Judy vergessen diese Menschen. Sie halten voreinander und sehen sich an. Es ist, als würden sie schweigend etwas austauschen, ihre Gedanken und Gefühle erraten oder spüren können.

Plötzlich sagt sie ziemlich biestig: »Verdammt, Ben Yates, ich kenne Sie nicht gut genug. Und ich vertraue keinem Mann mehr. Hören Sie auf!«

»Womit?« Er fragt es mit einem nachsichtigen Lächeln.

»Das wissen Sie genau«, erwidert sie. »Sie kommen mir wie ein Wolf vor, der um eine Beute schleicht und sicher ist, dass sie ihm nicht mehr entkommen kann. Gehen Sie zum Teufel!«

Sie geht an ihm vorbei, erreicht nach wenigen Schritten ihre Kabine und verschwindet in ihr.

Er sieht ihr nach. Und er spürt eine gewisse Verwirrung.

✰✰✰

Die Reise den Strom hinauf geht immer weiter. Das Wetter wird schlechter. Der Winter lauert schon im Norden und schickt die kalten Winde voraus, auch den prasselnden Regen, der sich bald in Schnee verwandeln wird.

Der Indianersommer währte dieses Jahr lange.

Die »General Grant« hat inzwischen schon zwölfhundert Meilen geschafft und nur noch etwa vierhundert vor sich bis Fort Lincoln oder Bismarck.

Doch die Tage werden kürzer. Sie müssen fast jeden Abend irgendwo anhalten und festmachen.

An einem dieser Abende tritt Judy Logan nach dem Abendessen noch einmal hinaus an die Reling.

Die »General Grant« hat in einer Bucht festgemacht, in der eine leichte Strömung dreht und wo an Land die Lichter einiger Hütten gegen die schwarze Nacht und deren Geheimnisse anzukämpfen versuchen.

Auf dem Strom steigen Nebel auf.

Der Big Muddy ist wärmer als die Luft. Und auch der Wasserstand ist angestiegen, denn oben in Montana muss es starke Regenfälle gegeben haben. Und nun kommt das Wasser mit sechs Meilen in der Stunde abwärts.

Judy Logan fröstelt und zieht sich das Umhängetuch fester um Schultern und Rücken. Sie denkt an Ben Yates.

Und dann steht er plötzlich neben ihr an der Reling.

Sie schweigen eine Weile. Ihre Arme berühren sich leicht, und so spüren sie ihre Nähe. Aber eigentlich waren sie sich all die Tage und Nächte bewusst, dass sie gewissermaßen auf engem Raum eingesperrt sind. Sie begegnen sich immer wieder, können sich nicht ausweichen, sitzen sich bei den Mahlzeiten im Saloon gegenüber.

Judy Logan spricht plötzlich: »Ben Yates, was wollen Sie?«

Er erwidert: »Judy, wir schleichen jetzt schon viele Tage umeinander. Warum ergibst du dich nicht endlich? Vergiss dein Misstrauen. Wir leben in einer Welt und in einer Zeit, wo alles sehr schnell vorbei sein kann. Versuch es mit mir. Wir könnten uns gegenseitig beschenken und die Welt für uns verändern – nur für uns allein.«

Als er verstummt, da schweigt sie lange.

Dann aber spricht sie heiser: »Dann komm, Ben Yates, komm!«

Sie stößt das letzte Wort fast wild hervor.

Sie zieht ihn in ihre Kabine hinein, die sie allein belegt.

Und er denkt in diesen Sekunden: Ja, sie ist auch nur eine Frau mit Wünschen, so wie wir sie alle haben in dieser Welt. Sie ist einsam und möchte Wärme. Die werde ich ihr geben, Wärme und Zärtlichkeit.

✰✰✰

Die Tage vergehen. Und weil sie immer kürzer werden, die Nächte immer schwärzer, können sie auf dem gefährlichen Strom manchmal nur an die sechzig Meilen schaffen.

Ben Yates verbringt nun jede Nacht bei Judy.

Und am zweiten Tag, als er in seine Kabine kommt, die er mit Jim Spears belegt hat, steht der kleine Scout halb nackt vor dem blassen Spiegel und versucht seinen Rücken zu betrachten, was ihm aber nicht gelingt, so sehr er den Oberkörper auch zu drehen versucht.

»Ah, gut dass Sie kommen«, sagt er. »Ich kann die Narbe nicht richtig begutachten, die der Schnitt des Chirurgen hinterließ. Es war eine böse Pfeilspitze, die mich gewiss bald erledigt hätte. Der große Künstler in Saint Louis sagte mir, dass nur die Breite eines Messerrückens gefehlt habe, und das Metall hätte einen der Nervenstränge geritzt. Die Armeeärzte verstehen sich nur auf Schusswunden, Säbelhiebe und Knochenbrüche. Custer wird schon auf mich warten.«

Er verstummt so richtig stolz.

Dann aber fragt er: »Wie sieht die Narbe aus?«

Yates tritt näher an ihn heran, und im Licht des Fensters betrachtet er das Ding.

»Es ist eine gut verheilte, halbmondförmige Narbe«, stellt er fest. »Juckt sie?«

»Manchmal«, kichert Jim Spears. »Aber der schönen Judy Logan juckt es gewiss auch irgendwo, hahaha! Sonst würden Sie nicht bei ihr die Nächte verbringen dürfen. Aber ich gönne es Ihnen, mein Junge, obwohl ich etwas neidisch bin. Denn für mich gab es meistens nur eine Squaw.«

Er steht halb nackt vor Yates.

Dieser sieht jetzt, wie gut dieser noch nicht mal mittelgroße Mann proportioniert ist. Dieser Scout kann es gewiss mit jedem anderen Mann aufnehmen.

Spears kleidet sich wieder an und sagt dabei: »Bald sind wir in Fort Lincoln oder Bismarck. Wo werden Sie aussteigen? Die bösen Jungs, deren Skalpe Sie haben wollen, sind in Fort Lincoln, dienen in der D-Kompanie. Vielleicht sollten Sie Soldat werden. Dann sind Sie ihnen nahe. Ich wette, Custer stellt Sie als Sergeant ein, wenn er erfährt, dass Sie ein Rebellencaptain waren. Der hat Respekt vor den Konföderierten, weil er durch seine Kämpfe gegen sie berühmt wurde. Hahaha, das wäre was – Sie und die vier Skorpione in einer Kompanie. Und sie wüssten nicht, was sie eingeholt hat. Hahaha, das wäre was!«

Er verstummt mit wilder Freude. Dann aber fragt er: »Ist sie gut im Bett? Oder ist ihr Äußeres nur ...«

»Halten Sie den Mund«, unterbricht ihn Ben Yates. »Sie müsste mich verachten, wenn ich über intime Dinge mit anderen redete. Sie ist keine Squaw.«

»Was wissen Sie schon über Squaws?« So fragt der Scout zurück. »Sie wissen gar nichts über diese wunderbaren Frauen. Besonders die Nez-Percé-Squaws sind ein Geschenk des Himmels.«

Er geht hinaus.

Ben Yates aber setzt sich auf den Rand seiner schmalen Schlafgelegenheit und wird sich bewusst, dass er nun schon zweimal nicht hier schlief.

Und er fragt sich, was aus ihm und Judy werden wird.

✰✰✰

Auch die längste Reise unter widrigen Umständen den Big Muddy hinauf geht einmal zu Ende.

Und so erreicht die »General Grant« schließlich am siebenten November 1875 Fort Rice, dessen Kommandant Captain Benteen ist.

Der Steamer legt aber nur kurz an, um Post und einige Pakete auszuladen. Das Fort ist ein ziemlich unwichtiger Stützpunkt und ein Handelsplatz, etwa sechs Meilen von Fort Lincoln entfernt, wo die Hauptmacht des Siebenten Regiments stationiert ist.

Ben Yates lehnt an der Reling und sieht zu, was auf der Landebrücke und an Land passiert. Er blickt auch zum Fort hinüber und sieht dort kleine Soldatenabteilungen beim Drill. Das erinnert ihn wieder an seine Zeit in der Konföderiertenarmee. Dort fand der gleiche Drill statt. Denn die Offiziere waren ja alle auf gleiche Art ausgebildet worden. General Lee, der Oberkommandierende der Konföderiertenarmee, war ja zuvor der Chef der Akademie West Point gewesen, also für die Ausbildung aller Offiziere verantwortlich. Und dieses Offiziers-Corps teilte sich dann auf in der Unionsarmee des Nordens und der Konföderiertenarmee im Süden.

Ben Yates weiß, dass er sofort den Dienst in der jetzigen Armee aufnehmen könnte ohne Anpassungsprobleme.

Der Scout Jim Spears tritt neben ihn. Sie schweigen eine Weile und beobachten stumm das Leben und Treiben an Land.

Dann aber fragt Jim Spears: »Wo wirst du aussteigen, mein Junge – in Fort Lincoln oder erst fünf Meilen weiter stromauf in Bismarck?«

Weil Ben Yates ihm noch keine Antwort gibt, fügt der Scout hinzu: »Bismarck liegt auf der anderen Seite. Aber es gibt eine Fähre. Die Soldaten des Forts – wenn sie Ausgang haben – vergnügen sich oft in Bismarck. Dort gibt es Saloons, Spielhallen und Hurenhäuser. Es ist eine böse Stadt – auch voller Büffeljäger, Flößer und Frachtfahrer. An den Landebrücken stinken Zehntausende von Büffelhäuten gen Himmel. Und bald wird man sie nicht mehr verladen können. Der Winter kann jeden Tag hereinbrechen. Wo also wirst du aussteigen?«

Ja, sie sind sich nähergekommen. Altersmäßig könnte Jim Spears fast Ben Yates' Vater sein, und deshalb nimmt Yates es hin, wenn Spears ihn manchmal Junge nennt. Er spürt, dass ihn der Scout mag.

Doch er gibt ihm immer noch keine Antwort, sondern »lauscht« tief in sich hinein, so als müsste er seinen Instinkt befragen.

Jim Spears lacht leise: »O ja, du könntest in Bismarck auf die vier Skorpione warten, wenn diese mal wieder Ausgang haben und sich in der wilden Stadt amüsieren wollen. Du könntest dich an sie heranmachen und sie einzeln umbringen und in den Strom werfen. Dann erginge es ihnen wie jenem Sergeant Ken Ballard, der damals mit ihnen im Schneesturm entkam, der dafür sorgte, dass First Lieutenant Jones Logan irgendwo da draußen im Indianerland beerdigt wurde und der seiner Witwe einen persönlichen Brief schrieb, der die letzten Worte ihres Mannes enthielt. Sergeant Ballard hat mir von diesem Brief erzählt, als wir uns vor seinem Verschwinden in der Sergeantkantine betranken. Und dann war er plötzlich verschwunden, bis man ihn weiter stromabwärts ertrunken am Ufer fand, weil der Strom ihn gewissermaßen ausspuckte. Ja, du könntest sie tatsächlich nach und nach umbringen. Doch du müsstest dabei eine Menge Glück haben. Denn sie trennen sich nie. Du wirst keinen von ihnen einzeln erwischen können. Aber ich könnte dir helfen.«

»Wie denn?« Ben Yates fragt es skeptisch und misstrauisch zugleich. Dabei starrt er in die funkelnden Falkenaugen des Scouts.

Dieser hebt den rechten Zeigefinger und erwidert: »Custer wartet schon lange auf meine Rückkehr. Ich bin immer noch sein Chefscout. Und ich kann meine Gehilfen selbst einstellen. Verstehst du? Ich kann Custer auch vorschlagen, dich als Sergeant einzustellen und dich der D-Kompanie zuzuteilen. Custer hört auf mich. Und es würde ihm sehr gefallen, einen einstigen Rebellencaptain als Sergeant unter sich zu haben. Der mag solche verrückte Sachen, weil er ja selbst sehr exzentrisch ist. Das ist die Würze in seinem Leben.«

Er verstummt mit einem Klang von grimmigem Lachen in der Kehle.

Yates sieht den Chefscout an.

»Ich spüre irgendwie, dass du ihn nicht magst, aber ihm dennoch dienst wie ein getreuer Hund. Was ist zwischen euch?«

Der kleine Scout hebt die Schultern und lässt sie wieder sinken.

Dann murmelt er: »Ich kenne eine alte Indianerin, die hat Custer aus der Hand gelesen und auch sonst einigen Zauber gemacht. Und dann hat sie mir verraten, was sie ihm nicht gesagt hatte. Custer gehört zu den Chancenlosen. Sein Weg geht zu Ende. Und ich will das miterleben. Ich will wissen, ob sich die Weissagung erfüllt. Custer hat als Kommandeur schon so viele Menschen umbringen lassen und auch selbst getötet, dass ich sein Ende miterleben will, ohne mit ihm zu sterben. Also, mein Junge, was wirst du tun?«

»Ich steige in Bismarck aus«, erwidert Ben Yates. »Und ich werde dich bald im Fort besuchen.«

»Gut.« Spears grinst. »Gut. Das alles wird ein interessantes Spiel, denke ich. Und das Schicksal mischt die Karten. Ich mag solche Spiele. Die Welt wäre sonst zu eintönig. Doch noch etwas: Was weißt du über Custer?«

»Nur, dass er während des Krieges mal General war, der jüngste in der Geschichte. Und jetzt ist er der Kommandeur des Siebenten Regiments im Range eines Lieutenant Colonel.«

»Das stimmt nicht so ganz«, klärt ihn Spears auf. »Custer wurde nach dem Krieg in der reformierten und verkleinerten Armee zum Captain zurückgestuft und diente zuerst im Fünften Kavallerieregiment. Später wurde er dem Siebenten Regiment, damals in Fort Riley, zugeteilt. Dessen Kommandeur war Colonel Andrew J. Smith und ist es eigentlich immer noch. Custer ist nur stellvertretend der Kommandeur von Fort Lincoln, weil der Colonel vorübergehend mit anderen Aufgaben betraut wurde. Vielleicht wurde der Colonel auch abgezogen, um für Custer die Möglichkeit zu schaffen, wieder einmal unter den Indianern ein Blutbad anrichten zu können. Denn das kann kein anderer Offizier so gut wie er. Er ist der Bluthund, den gewisse Kreise – mächtige Drahtzieher im Osten – immer wieder wüten lassen, um durch Völkermord an den Indianern das Land freizumachen. Denn wenn das Land erst frei ist für den Ansturm der Weißen, dann lässt sich eine Menge Geld verdienen. Das Töten der Büffel gehört auch dazu. Erst die Büffel und dann die roten Völker. Und Custer, der für seinen Ruhm und seinen Ehrgeiz, wieder General zu werden, alles zu tun bereit ist, wird ein zuverlässiges Werkzeug sein.«