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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2587 bis 2589:
2587: Das Gold der Schwarzen Berge
2588: Sioux River
2589: Hunter
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 453
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2022 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Faba/Norma
ISBN: 978-3-7517-8038-4
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https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2587
Sun Pass
G. F. Unger Western-Bestseller 2588
Sonora Hombre
G. F. Unger Western-Bestseller 2589
Gunfighter Story
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Contents
Sun Pass
Jones Gall sieht die Express-Postkutsche kommen. Er hat seinen Platz im Speisehaus gut gewählt. Das Gespann der Kutsche hält neben dem Fenster. Er sieht die drei Shannahans nacheinander aus der Kutsche klettern.
Oldman Shannahan lässt die schwere Reisetasche, in der sich mehr als vierzigtausend Dollar in Scheinen und zehntausend Dollar in Zwanzigdollarstücken befinden, nicht aus der Hand.
Jones Gall nimmt seinen Revolver heraus und legt ihn auf den Oberschenkel. Dann lehnt er sich zurück und wartet. Sein gesenkter Kopf befindet sich außerhalb des Lichtscheins der Lampe. Nur der Kopfverband leuchtet weiß. Doch der Verband verändert ihn auch.
Jetzt erscheint eine junge Frau in einem grünen Reisekostüm, das gut zur Kupferfarbe ihres Haares passt. Als sie in das Licht der Lampe tritt und sich nach einem geeigneten Platz umsieht, bemerkt Jones Gall ihre seltsam anziehenden grünen Augen. Es ist auch sonst eine Menge an ihr zu bestaunen, doch darauf kann Jones Gall jetzt nicht achten.
Als fünfter Fahrgast kommt ein grauhaariger Mann herein, dem Jones auf den ersten Blick den ehemaligen Armeeoffizier ansieht. Er und die junge Frau gehören offenbar nicht zusammen, denn er bittet um Erlaubnis, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Doch das sieht Jones Gall nur mit einem flüchtigen Seitenblick.
Seine Aufmerksamkeit gilt den drei Shannahans. Dabei wirkt er nicht sonderlich angespannt, obwohl er den schussbereiten Colt unter der Tischplatte verborgen hält ...
Zuerst kommt Oldman Shannahan herein, die Tasche in der Rechten. Er trägt seinen Revolver links. Und er würde niemals den Fehler begehen, die wertvolle Tasche in die Linke zu nehmen.
Oldman Shannahan erinnert an einen alten Wolf, der schon voller Narben ist – und der dennoch mit seiner Klugheit und Erfahrung jedes Rudel bei der Jagd führen kann.
Sein Blick gleitet scharf in die Runde. Doch er kann Jones Gall in der Ecke nicht erkennen. Das Licht der Lampe blendet ihn und seine beiden Söhne noch zu sehr. Denn sie kommen aus der dunklen Postkutsche herein. Und die Beleuchtung draußen vor der Tür ist schwach.
Oldman Shannahan entscheidet sich für den Tisch neben der Tür.
Seine Söhne Ollie und Rowdy setzen sich gleichfalls. Sie wirken wachsam und misstrauisch. Vielleicht wittern sie instinktiv eine Gefahr, die sie nur noch nicht erkennen.
Dann werden sie von der Serviererin abgelenkt, die ihnen schon die Suppe bringt.
Als sie schlürfend löffeln, da geschieht es plötzlich.
Ihre Augen haben sich an das Licht gewöhnt.
Und überdies hat sich Jones Gall an seinem Ecktisch vorgebeugt. Sein Kopf ist nun in den Schein des Lampenlichts geraten.
Oldman Shannahan lässt plötzlich den Löffel fallen. Er zischt den Söhnen seine Befehle zu und will sich erheben.
Doch Jones Gall sagt laut in den Raum: »Zu spät, Oldman Lobo, zu spät, Amigos!«
Die drei erstarren.
»Da ist ja Jones Gall«, murmelt Ollie Shannahan staunend. »Hat der denn Flügel wie eine Fledermaus?«
»Ja, wie kommt er denn hierher?«, staunt sein Bruder Rowdy. »Oder ist das am Ende gar nicht Jones Gall, sondern ein anderer Knabe, der ihm ähnlichsieht wie ein Wildkater dem anderen?«
Es ist nun still im Raum. Das Klappern des Bestecks und das Klirren des Geschirrs verstummen.
Oldman Shannahan sagt in die Stille: »Jones Gall, hast du dich wegen uns so mächtig beeilt? Du hast den kürzeren Weg durch die Sawatch-Kette genommen und dabei gewiss fast das Pferd zuschanden geritten, nicht wahr? Und auch du musst halb tot sein!«
Oldman Shannahan bekommt keine Antwort darauf. Jones Gall sagt vielmehr pulvertrocken: »Bring es mir, Oldman Shannahan! Bring mir, was du Nick Barton abgenommen hast!«
Einige der Gäste, die der Tür nahe sind, verlassen den Raum. Andere, darunter auch das so ungleiche Paar am Nebentisch, das mit den Shannahans gekommen ist, ziehen sich in die andere Ecke zurück.
»Du bist ja verrückt, mein Junge«, sagt Oldman Pierce Shannahan endlich kalt. »Nick Barton ist tot. Es war ein ehrlicher Zweikampf. Ich bin sein Erbe, denn wir haben um den Erlös seines Wagenzuges gekämpft. Du hast Barton nicht schützen können. Du warst noch nicht mal die paar Dollar wert. Und was willst du denn noch?«
Jones Gall nickt.
»Richtig«, sagt er. »Nick Barton hat mich angeworben. Er hatte mein Wort. Das gilt noch immer! Ich hatte den Auftrag, das Geld sicher ans Ziel zu bringen. Sein Tod ändert nichts an meinem Auftrag. Deine Jungs hätten mich im Mietstall von Grand Junction nicht mit der Radspeiche niederschlagen dürfen, sondern töten müssen. Und jetzt her damit!«
»Du bist ja verrückt, Jones Gall!«, erwidert Oldman Shannahan. Seine Stimme klingt nun gepresst. »Du wirst dabei draufgehen, Jones, mein Junge. Ich will dir etwas geben – ja? Fünftausend Dollar? Und dann trennen wir uns als Freunde. Denn sonst – oha, Junge, sonst gibt es hier ein bitteres Sterben! Du gehst drauf – vielleicht auch ich oder einer meiner prächtigen Jungs. Warum wollen wir uns gegenseitig ...«
»Du redest zu viel, Oldman Shannahan«, unterbricht ihn Jones Gall. Dabei entgeht ihm nicht, dass Ollie Shannahan, der sich neben seinem Bruder Rowdy zumindest halb gegen Galls Sicht gedeckt glaubt, inzwischen seinen Revolver gezogen hat.
Rowdy wirft sich plötzlich mitsamt seinem Stuhl nach hinten. Und Ollie schießt auch wirklich unter dem Tisch hindurch.
Doch im selben Moment wird er getroffen. Er sieht nicht mal mehr, dass seine Kugel Gall verfehlt.
Er erlebt auch nicht mehr, wie sein brüllender Bruder Rowdy am Boden die Waffe freibekommt – und wie auch sein Vater die Waffe herausschnappt.
Dieser Oldman Shannahan ist noch immer ein gefährlicher Revolvermann.
Die Schüsse krachen dumpf. Der Pulverdampf breitet sich aus, beißt in den Augen.
Als Jones Gall seinen Revolver leer geschossen hat, verharrt er unter dem Tisch, unter den er sich hat fallen lassen. Und er kann nichts anderes tun als warten.
Er hört die stöhnenden Atemzüge der Gegner. Und dann hört er Oldman Shannahan mühsam sagen: »Hölle, warum musstest du ihm die Treue halten? Ich hätte dir auch zehntausend Dollar gegeben. Denn jetzt – oh, jetzt hat keiner mehr etwas von dem Geld – keiner ...«
Jones Gall hört das noch.
Dann wird er selbst bewusstlos.
Er hat gegen drei der gefährlichsten Banditen und Revolvermänner auf tausend Meilen in der Runde gekämpft.
Gegen die Shannahans hat noch nie ein einzelner Mann bestehen können.
✰✰✰
Als er erwacht, da weiß Jones Gall, dass er gewonnen hat.
Er begreift, dass er in einem Bett liegt. Jemand hat ihn entkleidet und seine Wunden versorgt.
Jones Gall seufzt erleichtert. Denn jetzt endlich spürt er die Freude, am Leben zu sein, atmen zu können.
Jones Gall bemerkt plötzlich, dass er nicht allein ist.
Am Fußende seines Bettes steht ein Mann. Jones erkennt ihn wieder. Es ist der wie ein ehemaliger Colonel aussehende Reisende aus der Postkutsche.
Der Mann betrachtet Jones ernst.
»Die Wunden sind nicht schlimm«, sagt er dann. »Es war wohl mehr die Erschöpfung, die Sie umgeworfen hat. Und diese alte Platzwunde am Kopf sieht mir so aus, als ob Sie mit einer Gehirnerschütterung jenen Ritt durch die Sawatch-Kette geschafft haben, den die meisten Männer im gesunden Zustand nicht vollbringen. Sie brauchen nur zwei oder drei Tage Ruhe. Kann ich noch etwas für Sie tun, Gall?«
Dieser schließt einen Moment die Augen. Er kann so besser nachdenken.
»Das Geld in der Reisetasche von Oldman Shannahan«, murmelt er schließlich. »Wo ist die Reisetasche?«
»Unter Ihrem Bett«, erwidert der Fremde. »Ich habe mir gedacht, dass Sie großen Wert darauf legen werden, nicht umsonst gekämpft zu haben. Ich habe schon alles geregelt. Ich bin Colonel T.B. Brennan.«
»Wenn Sie ein Pater wären, würde ich Sie wahrhaftig für einen Menschenfreund halten«, grinst Jones Gall verzerrt. »Aber Sie sind nicht mal Reverend. Also warum helfen Sie mir? In der Reisetasche sind fünfzigtausend Dollar. Und ich liege angeschossen in einem Bett. In dieser Siedlung gibt es kein Gesetz! Sind Sie wahrhaftig ein ehrenwerter Wohltäter? Gibt es das in diesem Land, wenn fünfzigtausend Dollar so leicht zu bekommen sind?«
Colonel T.B. Brennan lächelt seltsam. Es ist eine Mischung aus Weisheit, Bitterkeit und Nachsicht in diesem Lächeln. Er zeigt zwei gesunde Zahnreihen und wirkt dabei einige Jahre jünger. Wahrscheinlich ist er trotz seines grauen Haars nicht älter als fünfzig Jahre. Auch seine Bewegungen sind noch vital und voller Spannkraft.
»Gall«, sagt er, »man darf von Menschen nicht zu viel erwarten. Jeder ist sich mehr oder weniger selbst der Nächste und achtet darauf, dass man ihn nicht betrügt. Vielleicht wäre ich mit Ihren fünfzigtausend Dollar auf und davon – wenn ich nicht mit Ihnen ein Geschäft machen wollte, das mehr einbringt – viel mehr. Aber darüber reden wir in ein oder zwei Tagen. Ich hole Ihnen etwas zu essen, nicht wahr?«
Mit diesen Worten verlässt er das Zimmer.
Jones Gall staunt.
Was kann das für ein Geschäft sein, das mehr einbringt als fünfzigtausend Dollar?
Übrigens gehören ihm diese fünfzigtausend Dollar gar nicht! Die muss er an die Familie eines Toten schicken, dem er sein Wort gegeben hat. Er konnte nicht verhindern, dass dieser Mann getötet wurde. Aber er konnte ihm treu bleiben.
Als die Tür sich öffnet, da glaubt er, dass Colonel Brennan zurückkommt. Doch es ist nicht Brennan.
Die junge Frau aus der Postkutsche tritt ein. Sie hat sich umgekleidet. Sie setzt sich an den Bettrand.
»Hallo, Engel!«, sagt Jones Gall. »Sie habe ich doch vor einiger Zeit in einem Restaurant beim Abendessen gesehen. Wieso sind Sie mit mir im Himmel? Sind Sie ein richtiger Engel?«
»Bestimmt nicht«, lächelt sie. Dann beugt sie sich vor und holt die Reisetasche unter dem Bett hervor. Sie öffnet sie ohne Zögern und sieht hinein.
»Ist noch alles in der Tasche?«, fragt er. »Es müssen fünfzigtausend Dollar sein.«
Sie zuckt nur mit den Schultern. Aber sie greift hinein und wühlt in den Geldbündeln, betastet auch die ledernen Beutel mit den Goldstücken.
»Es kann schon stimmen«, sagt sie. »Die Shannahans jedenfalls hatten nur wenige Dollars in den Taschen. Diese fünfzigtausend Dollar bedeuten Ihnen wohl sehr viel, ja?«
»Nicht mir. Aber der Mann, dem sie gehörten, hinterlässt eine große Familie und hat, um dieser Familie eine sichere Existenz zu schaffen, eine Menge Schulden gemacht. Doch das ist eine lange Geschichte, Ma'am Grünauge. Sind Sie auch an den fünfzigtausend Dollar interessiert?«
Sie schließt die Tasche und schiebt sie unter das Bett auf den alten Platz zurück.
»In gewissem Sinne ja«, lächelt sie. »Ich wollte vor allen Dingen wissen, ob das Geld noch vorhanden ist. Denn dieser Colonel sucht überall nach Hammeln, denen er das Fell abziehen kann. Ich wunderte mich wirklich, dass er die günstige Gelegenheit noch nicht wahrgenommen hat.«
Jones Gall sieht sie an. Er spürt, dass sie nicht übertreibt und jedes Wort ernst meint.
»Ich bin Eartha Overland. Und ich lasse den Colonel nicht mehr aus den Augen, bis Sie wieder selbst auf sich achten können, Gall.«
Er grinst. Und nun wird der Hunger in seinem Magen immer böser. Vielleicht funkeln seine Augen deshalb schon wieder recht lebendig.
»Sie kennen also den Colonel ...«
»Er weiß nicht, wie gut ich ihn kenne«, unterbricht sie ihn schnell und erhebt sich vom Bettrand. »Es kann sein«, sagt sie dann nachdenklich, »dass dieser Colonel Ihnen ein Geschäft vorschlägt. Dann wird er von Ihnen verlangen, über den Sun Pass zu reiten und dort oben einiges zu riskieren.«
»Und dann?«, fragt Jones Gall nachdenklich.
»Ich kannte einen Mann«, murmelt sie, »der ritt für den Colonel zum Sun Pass hinauf und starb dort oben. Nun, wir werden sehen. Wenn Sie schlau sind, dann sagen Sie dem Colonel nichts davon, dass ich auf Ihrer Seite bin. Betrachten Sie mich als Trumpfkarte im Ärmel.«
»Herz-Dame«, grinst Jones Gall und versucht eigentlich nur seine Verwirrung zu tarnen.
Sie lächelt. »Manchmal fehlt auch eine kleine Zwei zum Flush, nicht wahr?«
Sie geht zur Tür und öffnet sie.
Jones Gall kann vom Bett aus sehen, dass der Colonel draußen steht. Er trägt ein Tablett. Und vielleicht hat ihn dieses Tablett mit den Schüsseln, der Kanne und der Tasse gehindert, das Ohr an die Tür zu legen.
»Hallo, Miss Overland!«, sagt er forsch. »Haben auch Sie nach dem Mann sehen wollen, der mit den drei gefährlichsten Banditen und Revolverhelden zurechtgekommen ist? Sind Sie am Ende deshalb nicht mit der Kutsche weitergefahren?«
Sie sieht ihn an und nickt.
»Während des Krieges war ich Krankenschwester in einem Militärlazarett. Und es hätte doch sein können, dass unser Patient Fieber bekommt. Aber nun sieht es so aus, als könnte er morgen schon wieder aufstehen. Ich sehe Sie gewiss später unten in der Gaststube, Colonel?«
Sie lässt ihn vorbei, geht dann hinaus und schließt die Tür. Der Colonel steht noch eine Weile mit dem Rücken zur Tür und lauscht auf die sich entfernenden Schritte. Dann sieht er unter das Bett.
»Die Tasche liegt jetzt anders«, sagt er.
»Sie wollte wissen, ob das Geld noch vorhanden ist«, erwidert Jones Gall. »Doch wie lange wollen Sie mich noch hungern lassen, Colonel?«
Dieser setzt das Tablett ab, kommt zu ihm ans Bett, stopft ihm ein paar Kissen in den Rücken und setzt ihm dann das Tablett auf die Oberschenkel.
»Sie ist schön«, sagt er nachdenklich, während er hinter das Fußende des Bettes tritt, die beiden Messingkugeln umklammert und zusieht, wie Jones Gall die Fleischsuppe aus der Schüssel zu löffeln beginnt.
»Sie ist eine schöne Frau – aber sie kommt aus den Saloons. Vielleicht war sie während des Krieges einmal Krankenschwester – aber danach war sie es nicht mehr. Jones, sie ist eine Abenteurerin, eine Spielerin. Sie kann jedem Mann den Kopf verdrehen. Was werden Sie mit dem Geld tun, Jones Gall?«
Dieser betrachtet ihn kauend.
»Sind die Shannahans tot?«, fragt er.
Der Colonel nickt.
»Sie sind tot«, sagt er. »Oldman Shannahan starb sofort, seine Söhne innerhalb weniger Stunden. Es gibt ja hier keinen Doc weit und breit. Ich denke, dass im Arizona- und New-Mexico-Territorium Belohnungen ausgesetzt sind für die Shannahans. Aber dann müssten wir Zeugenaussagen sammeln und sie vom hiesigen Postagenten bestätigen lassen.«
»Ich will keine Kopfprämie kassieren«, unterbricht ihn Jones Gall. Seine Wunden sind hoch an der rechten Schulter und dicht über der rechten Hüfte. Er wird seine rechte Seite eine Weile schonen müssen. Sein Kopf schmerzt zum ersten Mal seit Tagen nicht mehr.
»Könnte Ihnen diese Schöne nicht den Kopf verdrehen, Colonel?«, fragt Jones nach einer Weile und trinkt dann die Milch. Er schüttelt sich, denn er mag keine Milch. Aber die Vernunft befahl ihm, doch welche zu trinken. Denn er will möglichst schnell wieder im Vollbesitz seiner körperlichen Fähigkeiten sein.
»Mir auch«, gibt der Colonel zu. Er geht zum Fenster und setzt sich dort auf den Stuhl.
»Sie müssen nicht warten, Colonel«, murmelt Jones Gall. »Sie können mir schon jetzt sagen, was für ein Geschäft es ist und warum Sie gerade mich für den richtigen Partner halten.«
Der Colonel denkt eine Weile nach. Er nimmt eine Zigarette und zündet sie an.
»Es geht um eine Million in Gold«, sagt er schließlich. »Eine Million! Was sind dagegen schon fünfzigtausend Dollar? Nichts! Nicht mal der Sperling in der Hand im Vergleich zur Taube auf dem Dach sind fünfzigtausend Dollar, zumal sie Ihnen nicht gehören und Sie offenbar die feste Absicht haben, das Geld den Erben Ihres einstigen Bosses zu übergeben. Und damit kommen wir auch zu dem Grund, warum ich gerade Sie für den geeigneten Partner halte. Sie halten Ihr Wort! Sie halten sogar einem Toten gegenüber Ihr Wort. Das ist eine Basis, auf die man alles stellen kann – alles! Dazu kommt, dass Sie in der Lage sind, mit drei so gefährlichen Revolvermännern wie den Shannahans zurechtzukommen, und das ist fast ebenso wichtig. Ich müsste mich sonst mit einer ganzen Mannschaft verbünden. Doch dann müsste ich mit vielen Männern teilen. Habe ich Ihre Frage einleuchtend beantworten können?«
Er fragt es mit schief geneigtem Kopf. Seine graugrünen Augen sind schmal.
Jones Gall leert nun den Teller mit Apfelmus.
»Ja, das leuchtet mir alles ein«, sagt er. »Sie suchen einen Partner, der sein Wort schon allein aus Selbstachtung halten und Sie nicht eines Tages betrügen wird. Sie suchen auch einen Revolverkünstler der allerersten Garnitur, denn solch ein Mann passt in den Plan viel besser als ein ganzes Rudel hartbeiniger Burschen, die dann vielleicht noch um ihre Anteile an der Million kämpfen würden. Colonel, wo ist diese Million zu holen? Ich hoffe doch, dass Sie mir nicht zumuten, eine Bank zu berauben oder einen Geldtransport zu überfallen? Wenn Sie dafür einen Partner suchen, dann sind Sie hier falsch!«
Der Colonel lacht.
»Langsam, Jones – langsam. Erst muss ich Ihr Wort haben, dass Sie mir so treu sind wie jenem Nick Barton. Erst müssen Sie mir schwören, dass wir Partner sein werden – nur Sie und ich. Und selbst dann, wenn Sie mitmachen werden, muss ich Ihr Wort haben, dass Sie alles vergessen und zu keinem Menschen darüber reden. Sie müssen mir schwören bei allem, was Ihnen heilig ist. Nur dann werde ich Sie einweihen!«
Jones Gall ist fertig mit dem Essen. Er schweigt.
Der Colonel beobachtet ihn aus erfahrenen Augen. Er weiß, dass dieser Revolvermann Jones Gall nun auf die feinen Zeichen seiner Ahnung lauscht.
Der Colonel gibt sich Mühe, freundlich zu denken, nur gute Gefühle in sich zu haben. Denn ein Mann wie Jones Gall kann solche Ströme auffangen.
»Sie haben mein Wort, Colonel«, sagt dieser dann leise. »Doch ich warne Sie. Mit mir macht man keine krummen Sachen. Und wer glaubt, mich reinlegen zu können, dem bekommt das nicht. Sie haben mein Wort auf alle Bedingungen. Und nun los! Was ist mit der Million? Wem gehört sie? Und wo befindet sie sich?«
»Dazu muss ich etwas weiter ausholen«, murmelt der Colonel. Und als er zu sprechen beginnt, da geschieht dies aus Erinnerungen heraus, die sein Gesicht verhärten und ihn so verändern, dass man endlich erkennt, wie hart dieser Mann ist.
»Es war im dritten Kriegsjahr«, berichtet er, »da erhielt ich als Captain den Auftrag, mit einer ausgesuchten, doch zahlenmäßig kleinen Abteilung an der Mündung des Big Sandy Creek in den Arkansas einen Goldtransport zu übernehmen, der aus Colorado kam. Das heutige Colorado-Territorium gehörte ja damals zu Kansas, und ich war ursprünglich in Kansas City, das früher Westport Landing hieß, stationiert und hatte die Aufgabe, die Guerilla-Abteilungen der Konföderation zu bekämpfen.«
»Da hätten wir miteinander Ärger haben können«, grinst Jones Gall. »Denn ich war Leutnant bei den Brazos-Guerillas. Sie nannten uns Buschräuber, nicht wahr? Und wir haben euch Yankees so viel Pferde gestohlen, dass wir einige Regimenter damit aufstellen konnten.«
»Wir haben auch nicht wenig von euch erwischt«, grinst der Colonel hart. »Aber wir wollen das besser vergessen, nicht wahr? Ich sollte damals an der Big-Sandy-Mündung eine Million in Gold übernehmen. Das Gold kam aus den Fundgebieten rings um den Pikes Peak. Und es wurde gespendet von vielen Minern, Goldsuchern und Geschäftsleuten, die alle auf der Seite der Union waren und nicht wollten, dass die Rebellen den Krieg gewinnen.«
Jones Gall sagt trocken: »Ich wette, die Million ist nie an der Big-Sandy-Mündung angekommen – oder?«
»So ist es«, gibt Brennan ebenso trocken zurück. »Es kam nur ein verwundeter Scout, der bald darauf in meinen Armen starb. Dieser Mann, der den Geldtransport durch die Berge zur Big-Sandy-Mündung führen wollte, konnte mir zwar nicht mehr viel sagen, doch es reichte aus, dass ich mich mit meiner kleinen Abteilung auf die Fährte der Goldräuber setzte. Ich ritt mit achtzehn Männern nach Colorado hinein, immer am Arkansas entlang, am alten Pueblo vorbei in den großen Canyon. Wir brauchten viereinhalb Tage für diesen Gewaltritt. Dann fanden wir die Reste der Mannschaft, die das Gold aus den Bergen hatte bringen sollen. Es hatte ein böser Kampf stattgefunden, bei dem auch die angreifenden Goldräuber starke Verluste erlitten.«
Der Colonel macht eine kleine Pause und fährt dann fort:
»Es waren nur noch drei oder vier Mann, zum Teil verwundet. Und sie mussten mehr als zweitausend Pfund Gold transportieren. Eine ganze Tonne Gold auf Packtiere verteilt – oha, das macht Arbeit mitten in der Wildnis. Und sie mieden alle Wege, hielten sich fern von allen Siedlungen und Camps. Und sie wurden von anderen Goldwölfen verfolgt. Sie mussten immer wieder kämpfen. Wir fanden Tote auf dieser Goldfährte. Es war mir schon bald klar, dass die Goldräuber durch die Rocky Mountains nach Westen wollten – nach Utah und von dort wahrscheinlich weiter über Nevadas Bergketten an die Küste nach Kalifornien. Und irgendwo zwischen den Elk Mountains und der Grand Mesa gingen sie in die Falle. Sie zogen zum Sun Pass hinauf, der damals noch keinen Namen hatte. Über den Pass hinweg kamen sie in ein weites Tal. Es ist riesengroß, von Hügelketten und Wäldern durchzogen, mit tiefen Bergfalten und Sackcanyons. Es gibt keinen Weg aus dem Tal. Man kann nur über den Sun Pass hinein und wieder heraus. Natürlich könnte man zu Fuß die Berge überwinden, aber nicht mit Pferden oder Maultieren. Die Goldräuber ritten also in die Falle. Sie konnten nicht mehr umkehren, denn sie wussten genau, dass ihre Verfolger inzwischen den Pass gesperrt hatten.«
Der Colonel betrachtet die weiße Asche seiner Zigarre.
Jones Gall sagt in die Stille hinein: »Spannende Geschichte! Aber Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass die Million in Gold immer noch in dem Tal jenseits des Sun Pass ist?«
»Doch«, sagt der Colonel. »Es kann nicht anders sein. Doch lassen Sie mich weiter berichten. Als die drei oder vier überlebenden Goldräuber merkten, dass sie in der Falle saßen und mit ihrer Packtierkolonne nicht über die Berge kommen konnten, versteckten sie das Gold. Sie hatten drei oder vier Tage und Nächte Zeit dazu, und sie konnten es in einem Gebiet von etwa fünfzig Quadratmeilen verbergen. In tausend Schluchten, Spalten, Löchern, Seen, Creeks, Waldstücken. Und als sie das Gold versteckt hatten, nahmen sie ihre Lassos und Ausrüstung und kletterten über die Berge. Sie ließen ein paar Reitpferde und fünfzehn Maultiere zurück. Aber keinen Krümel Gold! Vielleicht hat sich jeder von ihnen ein paar Pfund mitgenommen, doch mehr nicht. Die zweitausend Pfund Gold müssen noch dort sein!
Als ich damals mit meiner Abteilung zum Sun Pass hinaufritt, fand ich oben auf der Wasserscheide die Verfolger der Goldräuber. Es war ein gewisser Athos Clutchette mit seinen Söhnen Bart und John. Sie hatten noch einen Halbindianer bei sich, der sich Fleeta Drumgo nannte. Natürlich stritten sie ab, jemanden verfolgt zu haben. Sie gaben sich als Trapper und Goldsucher aus. Und Athos Clutchette sagte mir, dass er dieses herrliche Tal erschließen wolle. Er wollte mit seinen Söhnen eine Straße über den Sun Pass ins Tal bauen und dafür sorgen, dass fleißige Siedler kämen, die dort unten ein Paradies schaffen könnten, eine Oase des Friedens und des Glücks.
Er redete viel, dieser Athos Clutchette, aber ich wusste, dass er nur die Falle schließen wollte. Ich konnte jedoch seine Behauptungen nicht widerlegen. Ich hatte keine Beweise. Natürlich ritt ich mit meinen Männern ins Tal hinunter. Wir fanden dort auch die Pferde und die Maultiere. Wir fanden eine Menge Spuren, doch keine Goldräuber mehr und auch kein Gold. Wir suchten über zwei Wochen. Ich musste endlich zurück zu meiner Einheit. Wir waren schon längst überfällig. Und unterwegs ritten wir auch noch in einen Hinterhalt von Guerillas, die uns fast völlig aufrieben. Ich selbst wurde dabei schlimm verwundet. Später gab ich in meinem Bericht an, dass Guerillas des Südens den Goldtransport geschnappt hätten. Und damit war für das Oberkommando die Sache erledigt. Aber ...«
Jones Gall unterbricht ihn trocken: »Colonel, ich glaube, Sie haben sich von Anfang an ausgerechnet, dass man die Million in Gold wahrscheinlich später holen kann. Die Goldräuber müssten das Gold irgendwann holen. Die Clutchettes lauerten im Pass darauf – und irgendwie muss das viele Gold ja mal zum Vorschein kommen. Eine Tonne Gold kann man nicht in der Hosentasche wegschleppen. Da braucht man ein Dutzend Packtiere oder einen Wagen. Wie man es drehen und wenden mag, es kommt vor allen Dingen auf die Clutchettes an. Ich wette, die sitzen immer noch am Pass, nicht wahr? Der Krieg ist schon drei Jahre vorbei. Das Gold muss deshalb schon an die fünf Jahre jenseits des Sun Pass liegen. Glauben Sie nicht, Colonel, dass man es schon zehnmal hätte fortschaffen können?«
»Nein«, sagt der Colonel da überzeugt. »Denn ich habe einen erstklassigen Mann dort, der die ganze Zeit aufgepasst hat. Die Clutchettes liegen nicht allein auf der Lauer. Es ist ja auch inzwischen ziemlich lebendig geworden dort oben. Auf der Wasserscheide haben die Clutchettes ein Gasthaus errichtet. Ihre Privatstraße führt als einzige ins Tal und wieder heraus. Sie erheben einen Wegezoll. Dafür halten sie die Passstraße in Ordnung. Und sie haben auch ziemlich viel Mühe, besonders im Winter.
Das Tal selbst ist besiedelt. Es gibt die kleine Stadt Sun Pass, dazu ein halbes Dutzend Ranches, ein paar Farmen und Siedlerstätten. Die Hauptsache aber sind die Gold- und Silberminen. Es gibt mehr als ein Dutzend davon. Frachtwagen verkehren in beiden Richtungen. Einmal in der Woche kommt eine alte Postkutsche nach Sun Pass. Und irgendwann wird man das Gold über den Pass schaffen – vielleicht gerade in diesem Augenblick. Vielleicht erst in einem Jahr. Die Clutchettes passen auf. Ihnen entgeht nichts. Und wir müssen auf die Clutchettes achten. Ist das alles klar?« Er starrt zu Jones Gall hinüber.
»Noch längst nicht«, sagt dieser. »Doch das wird sich alles noch ergeben. Und nun erzählen Sie mir mal, wie viele Männer Sie schon zu den Clutchettes geschickt haben. Ich bin gewiss nicht der Erste, mit dem Sie es versuchen. Und es ist doch völlig klar, dass wir zumindest mit den Clutchettes um das Gold kämpfen müssten – ganz abgesehen von den Männern, die es holen, nicht wahr?«
Colonel T.B. Brennan nickt.
»Die Clutchettes sind Mörder«, sagt er heiser. »Die Clutchettes sind wie die drei Shannahans, nur klüger und gefährlicher. Es gibt kein Gesetz in Sun Pass, nur das Gesetz der Clutchettes. Wenn man sie niederkämpft ...«
»Langsam, Mister, langsam«, murmelt Jones Gall. »Ich werde das alles überschlafen. Und selbst wenn ich mich auf diese Sache einlasse: Erst reise ich mit den fünfzigtausend Dollar nach Denver und sende das Geld von dort an Nick Bartons Familie. Nick war ein Händler, der mit seinem Wagenzug überall hinzog. Seinen letzten Wagenzug brachte er nach Grand Junction und verkaufte alles, bis auf das letzte Maultier. Es war ein sehr wertvoller Wagenzug. Mit dem Erlös wollte Nick das Heim seiner Familie schuldenfrei machen. Colonel, ich erzähle Ihnen von diesem Nick Barton, dem ich treu bin, weil er ein anständiger Mann war. Ich bin mir noch nicht darüber klar, ob auch Sie so anständig sind. Wen also schickten Sie schon vor mir zu den Clutchettes hinauf?« In Jones Galls Stimme ist nun ein hartes Fordern.
Brennan zögert nur kurz. »Otis McGillen war es«, murmelt er. »McGillen aus Durango. Er schaffte es nicht. Fleeta Drumgo hat ihn erledigt!«
»Und wo ist Ihr Vertrauensmann in Sun Pass, Colonel?«
Zu dieser Frage grinst Brennan. Und dann sagt er hart: »Dies bleibt vorerst mein Geheimnis. Diese Karte behalte ich allein im Ärmel, ob Ihnen das passt oder nicht, Jones!«
Gall murmelt etwas Unverständliches. Er dreht sich auf die andere Seite. Von einem Atemzug zum anderen schläft er ein.
Der Colonel verlässt langsam das Zimmer.
Später im Speisesaal setzt er sich zu Eartha Overland an den Tisch.
»Ich habe Sie noch gar nicht gefragt«, murmelt er nach einer Weile, »wohin die Reise eigentlich gehen sollte, die Sie hier unterbrochen haben.«
Sie lächelt ihn an und trinkt einen Schluck Wein, der rot im Glas funkelt. Es ist inzwischen wieder Abend in Sawatch View.
»Ich steige in Leadville um auf die Nebenlinie«, erwidert sie. »Ich bin nach Sun Pass unterwegs.«
»Nach Sun Pass, du lieber Himmel, nach Sun Pass? Was macht eine Frau wie Sie in Sun Pass? Das ist doch, als ob eine Taube ...« Ihm fällt kein treffender Vergleich ein. Er ist viel zu überrascht.
Ihr Lächeln ist plötzlich herb.
»Ich bin keine Taube«, sagt sie. »Ich bin gewiss das Gegenteil. Ich reise gern in abgelegene Reviere. Ich bin Red Queen, das wissen Sie doch längst, Mister, nicht wahr? Ich wette, Sie haben Jones Gall vor mir gewarnt. Er glaubt vielleicht schon, dass ich wegen der Dollars hier meine Reise unterbrochen habe. Und Sie glauben weiter, dass ich ihn bald wieder auf seinem Zimmer besuchen werde, um vielleicht etwas abzubekommen von dem vielen Geld?«
Brennan sieht sie an.
Dann schüttelt er den Kopf. Und als er spricht, bekommt er die Zähne kaum auseinander, so sehr sitzt der Grimm in ihm.
»Da Sie nach Sun Pass wollen«, murmelt er, »werden wir uns wiedersehen. Ja, ich kenne Sie, Eartha Overland. Man nennt Sie in den Saloons und Spielhallen der Goldgräberstädte Red Queen. Aber Sun Pass ist keine Stadt. Und der Dollar rollt dort noch nicht.«
»Oh, das ändert sich gewiss«, sagt sie. »Vielleicht stößt man dort bald auf eine Goldader und andere reiche Goldvorkommen. Vielleicht ist in Sun Pass bald eine Million in Gold im Umlauf.«
Er zuckt zusammen, und seine Augen werden schmal, sein Gesicht verhärtet sich wieder.
»Ja«, sagt er, »es kommt ja überall vor, dass man in den Bergen auf Goldadern stößt oder in den Flüssen die Körner aus dem Sand herauswaschen kann. Viel Glück, Red Queen!«
Sie lächelt, doch ihre Lippen, die so rot und weich wirken können, sind nun herb und angespannt.
»Ja, viel Glück, Colonel«, sagt sie.
✰✰✰
Am nächsten Vormittag besteigen sie die Postkutsche nach Denver.
Die Kutsche ist gut besetzt. Eartha und Jones müssen ganz eng beisammensitzen. Er spürt ihren geschmeidigen Körper.
Jones muss sich eingestehen, dass ein Zauber von ihr ausgeht. Er spürt eine gewisse Erregung, und er fragt sich, ob er sie leicht bekommen könnte. Er hält sie nicht für eine Frau, die man leicht bekommen kann. Aber vielleicht ist es bei ihm anders.
Manchmal sieht sie ihn an. Und zumeist lächelt sie dann unmerklich. In ihren Augen erkennt er das Einverständnis.
»Wir sehen uns wieder – in Sun Pass«, sagt sie, bevor die Kutsche in Leadville hält. Jones Gall hilft ihr beim Aussteigen, obwohl seine Wunden noch schmerzen.
Er denkt dann lange über sie nach, während die Kutsche weiter in Richtung Denver fährt.
In Denver geht es dann schnell. Von dieser wilden Minenstadt fahren dreimal am Tag Postkutschen nach Osten zur Kansasbahn. Und alle Geldtransporte sind versichert. Diese Sicherheit wollte Jones Gall haben.
Er sendet das Geld mit einem Brief zusammen ab.
Und nun endlich ist er wieder ein freier Mann.
Schon zwei Tage später befinden sich Jones Gall und Colonel Brennan auf der Rückreise nach Leadville.
Zwischen Jones Gall und Colonel Brennan besteht schon bald ein merkwürdiges Verhältnis. Obwohl sie beide ständig zusammen sind, reden sie nicht viel miteinander.
Aber am dritten Tag, als sie in Leadville auf einer Saloonveranda sitzen und auf die Postkutsche der Nebenlinie warten, da sagt Jones Gall: »Mein Pferd steht noch im Corral bei Sawatch View. Ich hätte Lust, es kommen zu lassen. Und vielleicht sollte ich überhaupt allein nach Sun Pass reiten. Die Clutchettes müssen sich dort an Sie erinnern, Colonel. Sie sind den Clutchettes doch von damals noch als der Captain einer Abteilung der Unions-Armee bekannt. Wenn die Clutchettes Sie in Sun Pass entdecken, dann wissen sie sofort, dass ...«
»Sie werden mich nicht erkennen«, unterbricht ihn der Colonel. »Ich glich damals einem halb verhungerten und ungepflegten Sattelstrolch in Armee-Uniform. Die Verfolgung hatte uns alle an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Nein, es ist kein Vergleich zwischen damals und heute möglich. Machen Sie sich da nur keine Sorgen, Gall. Die erkennen mich nicht. Natürlich werden wir getrennt marschieren. Es gibt ja zwei Orte, nämlich Sun Pass oben auf der Wasserscheide und Sun Pass Foot am Beginn des Aufstieges. Ich werde als berufsmäßiger Spieler auftreten und Verbindung zu meinem Vertrauensmann aufnehmen. Vielleicht weiß er inzwischen schon eine Menge mehr. Sie, Jones, können sich in Sun Pass Foot ein Pferd beschaffen und mal über den Pass reiten. Wenn Sie mit mir Verbindung aufnehmen wollen, finden Sie mich gewiss an einem der Spieltische in Sun Pass oder Sun Pass Foot. Alles klar?«
Jones Gall nickt nur.
Dann sehen sie die alte, klapprige Postkutsche kommen, die sie auf der beschwerlichen Nebenlinie nach Sun Pass bringen soll.
✰✰✰
Die Kutsche fährt auf schlechten Wegen immer weiter in die Berge hinein und höher hinauf.
Und dann endlich, als der Tag in die Nacht übergeht, erreichen sie die Mesa-Station.
Jones Gall steigt als Letzter aus der Kutsche. Er sagt zu Brennan, der draußen auf ihn wartet: »Ich gehe nicht mit hinein. Ich lege mich dort drüben im Schuppen ins Heu. Wenn es weitergeht, dann wecken Sie mich.«
Langsam geht er davon und steuert einen halb offenen Schuppen an, aus dem der Duft von Heu treibt. Als er sich ins Heu legt, sagt eine Stimme neben ihm: »He, wer bist du, Kamerad – ein Miner oder ein Reiter, ein Farmer oder ein Tramp? Bist du mit dieser morschen Kutsche gekommen?«
»Ja«, erwidert Jones Gall einsilbig. Er lässt die erste Frage unbeantwortet. Er streckt sich neben dem Sprecher aus, und hört ihn nur eine Armlänge neben sich atmen.
Und dann hört er das unverkennbare Geräusch eines Revolvers, dessen Hahn wieder entspannt wird, ganz sacht und leise. Er weiß plötzlich, dass der Mann im Heu mit einem Colt auf ihn gezielt hat und bereit zum Abdrücken war.
Jones ist plötzlich hellwach und fragt: »Warum so vorsichtig, Freund? Wirst du verfolgt? Dann lege ich mich lieber im Gasthaus auf eine Bank.«
»Ich komme aus dem Sun Pass Valley«, sagt der Fremde neben ihm. »Und wer dort am Leben bleiben will, der muss vorsichtig sein! Willst du dorthin? Ja? Dann pass gut auf dich auf, Hombre! Dort wird es immer schlimmer. Und das Übelste, was einem dort geschehen kann, ist, dass man Gold findet. Dann ist man seines Lebens nicht mehr sicher.« Er verstummt mit einem leisen, kehligen und doch triumphierenden Lachen.
»Wird denn viel Gold gefunden?«, fragt Jones Gall.
»Das weiß man nicht so genau. Sicher, es wird welches gefunden, nur weiß man nicht wie viel. Jeder hält es geheim. Selbst die größeren Minen verschweigen die Höhe ihrer Ausbeute. Denn ...« Er bricht ab.
»Was wolltest du noch sagen, Kamerad?«, fragt Jones Gall.
»Nichts! Gar nichts mehr. Ich will schlafen. Ich bin mit meinem Maultier den ganzen Tag gewandert. Ich muss jetzt schlafen.«
Da sagt Jones Gall nichts mehr. Aber er weiß nun, dass sein Schlafnachbar misstrauisch ist wie ein Eichhörnchen auf einer Fensterbank – und dass er sich fürchtet!
Sicher hat er ein paar Pfund Gold aus einem Creek gewaschen und ist nun damit auf der Flucht vor Leuten, die es in jedem gesetzlosen Goldland gibt, denen das mühsame Goldwaschen zu unbequem ist.
Jones Gall wünscht, dass sein Nachbar keinen Verdruss mehr bekommt und den Goldwölfen entkommen wird. Er spürt die zunehmende Müdigkeit wie eine wohlige Erleichterung. Seine verletzte Seite schmerzte zuletzt ziemlich schlimm.
Er sinkt in einen Halbschlaf, aus den ihn sein Unterbewusstsein beim geringsten Geräusch in jähes Wachsein zurückholen wird.
Er weiß nicht, wie lange er so schläft. Doch er spürt die zunehmende Kühle und ist froh, im wärmenden Heu zu liegen. Er wühlt sich sogar tiefer hinein – und immer ist er sich seines Nachbars bewusst. Er hört ihn dann und wann leise schnarchen.
Dann sind plötzlich Reiter vor der Station. Stimmen klingen durch das Stampfen und Schnauben der Pferde.
»Wo ist er?«, fragt jemand.
Und von irgendwo kommt Antwort.
Dann kommen die Reiter auch schon herüber. Sie umstellen den Heuschuppen.
Eine scharfe Stimme ruft: »He, Pinky Brown, komm heraus! Los, Pinky, komm heraus! Oder wir zünden das Heu an!«
Jones Gall hört seinen Nachbarn fast lautlos fluchen. Dann hört er ihn flüsternd sagen: »Tut mir leid, Nachbar, dass du jetzt mit mir in der Falle sitzt. Aber ich habe ein Pfund Gold bei mir – und diese Goldwölfe wollen es haben. Doch ich gebe es nicht kampflos heraus. Ich kämpfe!«
Und er beginnt zu schießen.
Er trifft den Reiter vor dem Schuppen mit dem ersten Schuss. Vielleicht ist es nur ein Glücksschuss – vielleicht ist er aber auch ein harter Bursche, der mit dem Colt gut umgehen kann.
Dann springt er aus dem Heu hinaus ins Freie.
Die beiden Reiter an den Seiten des Schuppens schießen nun einfach drauflos. Die Kugeln pfeifen neben Jones Gall ins Heu.
Andere treffen jenen Pinky Brown, der sich draußen zum Kampf gestellt und mit seinem Mündungsfeuer den eigenen Standort verraten hat.
Von der Station her fällt jetzt Lichtschimmer herüber, der die Reiter und Pinky Brown zumindest als Silhouetten erkennen lässt.
Einer der Reiter fällt getroffen aus dem Sattel. Doch der andere erledigt Pinky Brown und springt dicht bei ihm vom Pferd.
Während er ihm Jacke und Hemd aufreißt und ihm den mit Gold gefüllten Gürtel abnimmt, wobei er zufrieden flucht, richtet sich einer der beiden getroffenen Goldräuber am Boden auf und keucht: »Hilf mir in den Sattel, Charly! Ich muss auf das Pferd kommen – oder ...«
»Nur keine Sorge«, knurrt der unverwundet gebliebene Bandit und feuert dann zwei Schüsse zur Station hinüber, in der alle Lichter verlöschen.
»Ich habe das Gold – und nun helfe ich dir in den Sattel, Hogjaw! Ich muss auch noch nach Larry sehen. Den müssen wir auf jeden Fall mitnehmen. Also ...«
»Kann ich euch helfen?«, fragt Jones Gall aus dem Schuppen. Und er fügt sehr schnell und scharf hinzu: »Nur ruhig, Hombres! Ich schieße besser als Pinky Brown. Ich sehe euch auch gut genug! Wollt ihr also meine Hilfe oder heißes Blei?«
Die Goldwölfe verharren erschreckt. Vielleicht hat jener, der noch kämpfen kann, gar keine Kugel mehr im Revolver.
Er ist es auch nun, der heiser sagt: »He, Bruderherz, du möchtest dich wohl auf diese Art in unser Geschäft einkaufen, nicht wahr? Na los, dann komm schon zum Vorschein. Hilf mir, damit wir hier wegkommen. Dort drüben im Stationshaus sind genug Männer, um uns einzuheizen. Komm schon!«
Jones Gall folgt der Aufforderung. Er ist ein Mann, der blitzschnell seine Chance erkennt und sich im selben Moment auch schon entscheidet.
Pinky Brown war nicht mehr zu helfen.
Und wenn die Clutchettes Sun Pass beherrschen, dann arbeiten alle Goldräuber hier mit ihrem Einverständnis.
Das hat Jones Gall blitzschnell erkannt.
Und deshalb hilft er nun diesem Charly, die beiden anderen Banditen wegzubringen.
Von Colonel Brennan wollte er sich ja ohnehin schon bald trennen. Und der Colonel wird klug genug sein, um alles zu begreifen.
Wenn die Clutchettes die Freunde oder gar Bosse der Goldräuber sind, so kann er am besten über diese Banditen an sie herankommen und ihr Vertrauen erwerben.
Jones Gall steigt bald darauf in den Sattel jenes Mannes, den Pinky Brown zuerst getroffen hat. Der noch unverwundete Bandit hebt den Toten hoch. Jones fasst vom Sattel aus mit an, und so bekommen sie die Leiche quer vor Jones auf das Pferd.
Dem Verwundeten hilft Charly in den Sattel. Er sitzt selbst auf. Und dann reiten sie in die Nacht.
Flüche und ein paar Kugeln folgen ihnen.
Die Männer in der Station – darunter auch die männlichen Fahrgäste – haben endlich Mut gefasst. Doch es ist zu spät.
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Irgendwo auf der Wagenstraße halten sie dicht an einem Abgrund. Charly, der bisher geführt hat, sitzt ab. Er zieht den Toten von Jones Galls Pferd und schleift ihn die zwei Schritte zum Abgrund. Er lässt ihn hinuntergleiten. Gleich darauf löst sich eine Gerölllawine, die dem Toten in die Tiefe folgt.
»Das ist aber keine schöne Beerdigung«, murmelt Jones Gall, nachdem der Lawinenlärm verklungen ist und die Pferde wieder ruhiger werden.
Der zweite Bandit, es ist der immer wieder schmerzvoll aufstöhnende Hogjaw, sagt gepresst: »Tot ist tot, und Larry merkt nichts mehr. Der ist nun begraben unter einigen Dutzend Tonnen Geröll. Und niemand wird ihn finden. Larry hätte es mit jedem von uns genauso gemacht. Hölle, ich verblute allmählich. Wollt ihr hier Wurzeln schlagen?«
»Nein, es geht weiter«, murmelt Charly. Doch er tritt noch an Jones Galls Pferd.
»Wer bist du eigentlich?«, fragt er.
»Ach, ich bin Jones, einfach nur Jones«, sagt Gall. »Und da Larry nun tot ist, kommen wir vielleicht ins Geschäft, oder? Ihr werdet einen Nachfolger für Larry brauchen. Ich hätte euch umpusten können, nicht wahr? Du wärst jetzt auch mausetot, Charly.«
Charly schweigt. Er geht wieder zu seinem Pferd, sitzt auf und reitet weiter. Sie folgen ihm. Auch der verletzte Hogjaw, der ein harter Bursche sein muss, hält sich noch aus eigener Kraft im Sattel.
Etwa gegen Mitternacht erreichen sie eine halb in den Berg hinein gebaute Hütte. Sie halten an.
Charly ruft: »Wir haben Hogjaw hier. Er hat eine Kugel in der Schulter. Also kümmert euch um ihn. Deine Frau, diese Indianerhexe, wird ihm schon helfen, nicht wahr? Also los, Jennison!«
In seine Stimme kommt zuletzt ein wildes, kaum noch beherrschtes Drängen. Und dieser Jennison kennt ihn offenbar gut genug. Denn er knurrt: »In Ordnung, Charly! In Ordnung!«
Und wenig später kommt er auch aus der Steinhütte. Eine Frau folgt ihm. Sie haben in der Hütte eine Lampe angezündet. Licht fällt durch die offene Tür.
Die Indianerin ist noch jung und rassig. Es muss eine Navajo sein. Der Mann ist blond, hager und wirkt gefährlich.
Er hilft Hogjaw aus dem Sattel und führt ihn in die Hütte.
Charly und Jones reiten wortlos weiter.
Aber unterwegs hält Charly, der seinen Revolver längst nachgeladen hat, unvermittelt an und richtet die Waffe auf Jones Gall.
»Du bist wohl einer der ganz schlauen und geriebenen Burschen«, murmelt er, »die glauben, sich immer ganz elegant einkaufen zu können. Doch hier ist das nicht so einfach. Hier muss man Referenzen haben. Hast du welche?«
»Eine Menge«, sagt Jones Gall trocken und zeigt ihm nun selbst den Colt, den er bisher auf der dem Banditen abgewandten Seite verborgen gehalten hat.
»Ich habe eine Menge Empfehlungen«, wiederholt er. »Und wenn es mir nur um eine leichte und schnelle Beute gegangen wäre, hätte ich dich längst umpusten können. Doch ich will Mitglied werden in einem netten Verein. Ich suche sozusagen Familienanschluss, weil es sich im Schutz einer Familie leichter, besser und sicherer lebt. Wie bist du denn zu dieser Familie gekommen, Charly? Sehr viel anders als ich? Und was ist also falsch daran, wenn ein Bursche von unserer Sorte sich einkaufen will?«
Charly schweigt eine Weile und denkt nach. Schließlich steckt er seinen Revolver weg.
»Sie werden dir schon auf den Zahn fühlen«, murmelt er. »Und wenn du nicht zur richtigen Sorte gehörst, dann machen sie dich schnell klein. Auf jeden Fall ist es wohl besser, wenn ich dich mitnehme. Also komm, Jones, oder wie du sonst heißen magst. In einer Stunde sind wir da.«
✰✰✰
Es ist schon lange nach Mitternacht, als sie die Lichter von Sun Pass Foot erkennen. Die Stadt ist noch voller Betrieb. Es ist eine Minenstadt, die aus einem Goldgräbercamp entstanden ist.
Die Hauptstraße ist von Wagen aus den umliegenden Minen und Camps verstopft, in denen durstige Goldgräber und Minenarbeiter in die Stadt gekommen sind. Es gibt auch viele Sattelpferde.
Überall in den Lokalen ist lärmender Betrieb.
Sie halten ihre Pferde an.
Charly nickt Jones Gall zu und sagt: »Den Gaul von Larry kannst du vorläufig behalten. Kümmere dich vorerst nicht um mich. Sieh dir die Stadt an und mach es dir bequem. Du wirst von uns hören.«
»He«, sagt Jones Gall, »warum kann ich nicht mitkommen zu dem Burschen, bei dem du die Beute ablieferst? Ich erwarte auch einen kleinen Anteil! Schließlich habe ich dir bei Larry und Hogjaw geholfen, nicht wahr?«
Charly grinst ohne jede Freundlichkeit.
»Immer langsam«, sagt er. »Wir lassen dich schon nicht aus den Augen. Du kannst dich in Sun Pass frei bewegen. Hier hast du fünfzig Dollar. Und jetzt troll dich, Bruderherz!«
Jones Gall nimmt das Geld.
Dann reitet er weiter.
Und als er vor der Colorado Hall sein Pferd an die Haltestange bindet und einen Blick dorthin wirft, wo er eben noch mit Charly gestanden hat, da ist der schon verschwunden.
Wahrscheinlich wird er jetzt schon beobachtet. Charly hat lange genug mit ihm auf der Straße gehalten. Vielleicht hat Charly auch irgendwelchen Männern, die nur er kennt, ein Zeichen gegeben.
Jones Gall geht in die Colorado Hall hinein.
Es ist ein Tingeltangel wie viele andere in den Goldgräber- und Minenstädten, die kaum mehr sind als wilde Camps.
An der Bar stehen die durstigen Kehlen drei Glieder tief. Und ein Dutzend Mädchen dreht sich mit mehr oder weniger angetrunkenen Männern zu den lärmenden Klängen einer Kapelle.
Es riecht nach Tabakrauch, nach Feuerwasser der verschiedenen Sorten, nach Schweiß, Leder – und nach dem Parfüm der Tanzgirls.
Jones kauft sich über die Köpfe einiger Burschen hinweg einen Drink. Und dann muss er nach Luft schnappen, denn das Zeug ist nicht nur ein Rachenputzer, sondern von der Sorte, die einen Kupferkessel durchlöchern kann.
»Nicht wahr, da platzen einem die Hosenträger?«, fragt eine Stimme neben ihm. Er sieht einen Mann, an dem alles fett ist. Dieser Mann trägt einen Kneifer. Aber die Augen hinter den Gläsern sind hell, kalt und scharf.
»Nicht nur die Hosenträger«, grinst Jones. »Da knallt auch das Trommelfell in den Ohren. Das Zeug hebt die Schwerkraft auf. Stehe ich noch auf dem Boden oder schwebe ich eine Handbreit darüber?«
»Sie stehen noch, junger Freund«, grinst der Dicke und mustert ihn aufmerksam. »Neu hier, nicht wahr?«, fragt er. »Ich habe Sie kommen sehen. Das Pferd hat mal Larry gehört, nicht wahr?«
»Er hat es mir verkauft«, erwidert Jones Gall. »Und ich habe zwei Zeugen dafür. Larry wollte heimreisen zu seiner Familie. Seine Mom ist krank. Und da hat er mir das Pferd verkauft.«
Der Dicke grinst seltsam. Er holt eine Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke. Und endlich kann Jones Gall die Blechplakette auf der Weste des Mannes erkennen.
Das Ding ist gewiss von einem Waffenschmied aus dem Boden einer Konservendose geschnitten worden. Buchstaben sind in das Blech gestanzt: City Marshal.
Jones staunt. Sun Pass Foot hat also einen Marshal.
Aber das bedeutet natürlich noch längst nicht, dass es in Sun Pass Foot Recht und Gesetz gibt. Ein City Marshal ist kein Sheriff und auch kein US Marshal. Jeder in anderen Staaten und Territorien gesuchte Bandit kann in solch einer Goldgräber- und Minenstadt Marshal werden, wenn die Bürger das so wollen.
Und den maßgebenden Bürgern gehören hier sämtliche Tingeltangel. Dies hier ist eine Amüsierstadt. Sie muss wild sein, damit der Dollar rollt. Aber man braucht einen Tiger als Marshal, der die anderen Tiger kontrolliert.
»Wollen Sie sonst noch irgendwelche Auskünfte von mir, Marshal?«, fragt Jones Gall lässig. Er fragt sich, ob dieser fette Marshal ein Tiger ist.
Der Fettwanst schüttelt den Kopf. Nur die wasserhellen Augen hinter dem Kneifer sind nun noch härter und kälter. Vielleicht ist er doch ein Tiger.
Jones Gall kehrt ihm den Rücken zu. Er stellt sein Glas auf einen Tisch und geht in den Speisesaal.
Hier kann man jedes Spiel machen von Roulette bis zum Faro, von Billard bis Black Jack.
An einem Pokertisch in der Ecke sieht er Eartha Overland.
Er mag es zuerst gar nicht glauben. Aber es ist so. Dort spielt Eartha Overland mit harten Männern Poker. Sie teilt in dieser Runde die Karten aus.
Und obwohl das Lampenlicht ihre Schönheit noch betont, das Haar röter und die Augen grüner schimmern lässt und ihrem Gesicht so jene Weichheit und Wärme gibt, wie sie auf den Ölbildern der alten Meister zu bewundern ist, erkennt Jones, wie hart und angespannt sie unter der Schönheit ist.
Ja, sie ist keine Taube.
Sie ist eine Raubkatze, die sich auf Edelwild spezialisiert hat, auf Burschen, die beim Spiel kein Limit kennen.
Einen Moment kreuzen sich ihre Blicke. Dies geschieht, während Jones an den Tisch tritt. Aber sie sieht ihn nur an – ohne ein Zeichen des Erkennens.
Einer der Spieler, ein sehr scharfgesichtiger Mann, sieht ebenfalls zu ihm auf.
»Es ist kein Platz mehr frei«, sagt er. »Und Kiebitze wollen wir hier nicht haben. Schleich dich, Freundchen!«
Jones Gall geht wortlos weiter. Er will keinen Streit.
Eigentlich weiß er nicht, warum er hier herumschlendert. Er ist müde. Seine kaum verharschten Wunden schmerzen. Dass ihn dieser Charly nicht mitgenommen, sondern sich hier selbst überlassen hat, macht seinen Versuch, mit den Banditen in Kontakt zu kommen, zu einem Fehlschlag. Die Banditen sind zu clever.
Plötzlich hat Jones den Verdacht, dass ihn der fette City Marshal nur deshalb angesprochen und jenen Larry erwähnt hat, um herauszufinden, ob er geschickt genug ist, eine plausible Erklärung zu finden. Wahrscheinlich wird ihn das gescheckte Pferd des Banditen überall verraten.
Missmutig verlässt er den Saloon.
Als er draußen noch überlegt, ob er sein Pferd nehmen, zum Mietstall gehen und dort im Stroh ein paar Stunden schlafen soll, bekommt er den Geruch eines Bratstandes in die Nase. Er lässt sein Pferd an der Haltestange und folgt dem Geruch.
Am Imbissstand stehen einige kauende Gäste. Es gibt frische Pfannkuchen mit Ahornsirup, starken Kaffee, Apfelkuchen, Bratkartoffeln mit Speck und auch Bohnensuppe.
Der junge Mann hinter dem Stand arbeitet schnell und geschickt.
Jones Gall bestellt sich Pfannkuchen und Kaffee. Als er zu essen beginnt, tritt noch ein Gast heran und bestellt das Gleiche. An der Stimme erkennt Jones Gall den Colonel, aber er sieht ihn nicht an.
Nach einer Weile, als sie beide schon fast alles aufgegessen haben, leeren sich die Stehplätze in ihrer Nähe. Und so kann der Colonel kauend flüstern, ohne außer Jones Gall noch einen weiteren Zuhörer zu haben.
»Gut so, Jones! Sehr gut sogar! Ich glaube, dass die Goldwölfe zu beiden Seiten des Passes von den Clutchettes kontrolliert werden. Die Clutchettes haben die Schlüsselstellung oben am Pass. An ihnen muss jeder vorbei. Also gehört jeder Bandit mehr oder weniger zu ihrem Verein. Gut so, Jones! Irgendwie müssen Sie sich bei den Clutchettes gut einführen und unentbehrlich machen. Dann können wir in aller Ruhe abwarten. Und achten Sie auf Fleeta Drumgo! Er ist gefährlich! Sein Misstrauen ist schärfer als das eines narbigen Wolfes. Viel Glück.«
Sie können nichts mehr besprechen, denn es kommen neue Gäste an den Bratstand.
Jones zahlt und geht. Er nimmt sein Pferd und reitet in den Hof des Mietstalles. Als er den Stallmann fragt, wo er im Stroh schlafen kann, kassiert dieser von ihm erst einmal einen Dollar für das Pferd und einen halben Dollar für das Lager im Stroh.
In diesem Stroh schnarchen schon ein gutes Dutzend Männer. Denn die Unterkünfte in Sun Pass Foot sind knapp. Die Nächte aber werden in ihrer zweiten Hälfte kalt, zu kalt, um im Freien zu schlafen.
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Es ist schon Vormittag, als sich Jones Gall auf den Weg macht. Er mag nicht mehr auf Charly warten oder darauf, dass die Banditen des Goldlandes an ihn herantreten.
Er will sich die Clutchettes ansehen – und diesen Fleeta Drumgo.
Von Sun Pass Foot führt die schmale Straße, die für schwere Wagen gar nicht befahrbar ist, in vielen Kehren zum Sun Pass hinauf.
Ein paar Reiter, eine Maultier-Karawane und wenige Fahrzeuge kommen ihm entgegen. Er selbst überholt Maultiere und ein paar Wagen. Dann reitet er allein.
Doch als er um eine Felsnase biegt, erwarten ihn drei Reiter mit schussbereiten Revolvern. Einer von ihnen ist jener Charly, der ihm gestern fünfzig Dollar gegeben hat.
Und Charly sagt nun: »Na, dann komm mal um die Ecke, Hombre! Jetzt wollen wir mal sehen, was mit dir los ist. Komm, Bruderherz!«
Jones Gall gehorcht. Er muss hinter dem Felsen absitzen. Sie zielen ständig auf ihn. Und dann muss er sich völlig entkleiden.
Als er nackt ist, bedroht ihn Charly weiter mit dem Colt. Doch die beiden anderen nehmen alles auseinander. Sie wühlen im Stiefel- und Jackenfutter. Sie verschonen auch den Sattel nicht, obwohl der erst wenige Stunden in Jones Galls Besitz ist.
»Was sucht ihr denn, Charly?«, fragt Jones Gall nach einer Weile. »Vielleicht kann ich euch helfen, und ihr braucht meine Siebensachen nicht in Streifen zu reißen. Was sucht ihr also?«
»Anhaltspunkte«, grinste Charly. »Vielleicht suchen wir einen Stern – oder wir finden Briefe, Vollmachten, Urkunden. Glaubst du denn, es kann sich jeder hergelaufene Strolch, von dem wir nur seinen Vornamen wissen, hier einschleichen?«
Er deutet auf die beiden Pflaster, die Jones Gall noch über den Wunden trägt. Dabei sagt er zu seinen beiden Helfern: »Wir reißen ihm mal die Pflaster herunter. Das kann ein verdammter Trick sein. Vielleicht schleppt er unter diesen breiten Pflastern etwas wie in zwei Brieftaschen mit sich herum?«
»Hört auf«, sagt Jones Gall. »Jetzt ist es genug. Hört auf! Ich habe da zwei kaum verheilte Kugelwunden und sonst nichts.«
»Haltet ihn fest.« Charly grinst.
Sie tun es schweigend. Es sind zwei Schlägertypen, hart und stur.
Charly tritt heran. Er steckt seinen Revolver weg.
Als er Jones Gall das erste Pflaster abreißt, tritt er mit aller Kraft zu. Obwohl sein Fuß nackt ist, trifft er Charly hart genug an der empfindlichsten Stelle. Charly kann dann eine Weile nicht mitmachen, nicht einmal richtig zusehen. Seine Not ist so groß, dass er sich am Boden krümmt und sogar seinen Revolver vergisst.
Und auch seine beiden Partner können den nackten Gefangenen, den sie so sicher mit den auf den Rücken gedrehten Armen zu halten glaubten, letztlich doch nicht bändigen.
Doch überrumpelt die Banditen im richtigen Sekundenbruchteil.
Einem tritt er gegen das Knie. Und dann fasst er den Fuß des anderen, der nach seinem Kopf treten will, und dreht ihn herum. Er bringt auch diesen Mann zu Fall und ist dann zuerst auf den Beinen.
Er schlägt eine prächtige Gerade. Sie kommt wie ein Rammpfahl unter ein Kinn. Als er einen Haken herumzieht, hat er etwas Pech, denn er trifft nur halb. Er taumelt zur Seite.
Als er aus den Augenwinkeln sieht, dass einer der Kerle nach dem Colt schnappt, wirft er sich zu Boden und landet bei seinen Sachen. Er greift nach dem Revolver, als die erste Kugel neben seinem Kopf in den Boden fährt.
Er zieht den Revolver erst gar nicht aus dem Holster.
Das braucht er nicht. Er muss nur den Hammer zurücklegen. Dieser Hammer hat keine Einrastung mehr, die normalerweise erst durch Ziehen des Abzugshahnes überwunden wird. Es genügt, dass er mit dem Daumen den Hammer zurücklegt und dann loslässt.
Seine Kugel fährt am offenen Ende des Holsters hinaus und brennt am Revolverarm des Gegners entlang wie ein Schwerthieb.
Der Bandit lässt die Waffe fallen – er kann nicht anders.
Und dann ist alles vorbei.
Keiner der drei Banditen sagt etwas. Nur Charly und der angeschossene Bandit stöhnen leise.