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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2596 bis 2598:
2596: Fort der Gejagten
2597: Coltritter-Weg
2598: Verdammt schlechte Karten
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 460
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2022 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Prieto/Norma
ISBN: 978-3-7517-8191-6
https://www.bastei.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2596
Mann im Schatten
G. F. Unger Western-Bestseller 2597
Adios, Hombre
G. F. Unger Western-Bestseller 2598
Der Höllenhund
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Contents
Mann im Schatten
Er erkannte mich sofort und begriff im selben Augenblick, dass ich nicht zufällig aufgetaucht, sondern seinetwegen gekommen war. Er zögerte nicht eine Sekunde.
Er warf sich rückwärts mit dem Stuhl zu Boden. Dabei zog er unheimlich schnell seinen kurzläufigen Revolver aus dem Schulterholster. Ja, er war schnell und entschlossen. Aber ich war darauf vorbereitet. Und so hatte auch ich zur Waffe gegriffen und so schnell gezogen wie vielleicht noch nie in meinem Leben.
Als ich abdrückte, blitzte sein Mündungsfeuer auf. Seine Kugel fetzte durch mein über dem Gürtel gebauschtes Hemd und streifte die Haut an der Hüfte.
Dann war es vorbei.
Ich lebte und hatte besser getroffen. Und ich hatte einen steckbrieflich gesuchten Killer zur Strecke gebracht.
Ich fühlte mich plötzlich ausgebrannt und müde, denn die Fährte war lang gewesen. Ich hatte sie oft genug verloren. Es war schwer gewesen, Rex Massey zu finden.
Dennoch verspürte ich kein Triumphgefühl, sondern Bitterkeit. In Gedanken nannte ich mich einen verdammten Revolverhelden ...
Inzwischen war ich bis zur Wand zurückgewichen und hielt die Waffe noch in der Hand. Es roch nach Pulverrauch, und die Leute im Raum, die erst losgebrüllt und sich in Deckung geworfen hatten, nachdem schon alles vorbei gewesen war, starrten mich an wie ein Tier mit zwei Köpfen.
Dann kamen die Hauspolizisten. Auch die beiden Burschen, die vor dem Türvorhang gestanden hatten und mich nur ungern eintreten ließen, waren dabei. Der Expreiskämpfer sagte bitter: »Aha, der also! Den hätten wir doch nicht einlassen sollen. Jetzt haben wir den ...«
Er wollte wohl »Salat« sagen, doch inzwischen sahen er und die anderen, mit wem ich mich geschossen hatte.
Sie sahen Rex Massey am Boden liegen und stellten fest, dass er tot war. Als sie mich dann anblickten, taten sie es respektvoll und waren sehr vorsichtig.
Sie kannten Rex Massey sicher gut genug als Edeltiger. Vielleicht hatten sie ihn gefürchtet. Auf jeden Fall hatte er sich unter ihnen längst Respekt verschafft – und den hatten sie jetzt vor mir.
Nun tauchte ein Mann auf, der offensichtlich in diesem Laden etwas zu sagen hatte.
Es war ein dicker Mann, quallig und nicht besonders groß. Er hatte ein rotbäckiges Gesicht, einen kahlen Schädel und keinen Hals. Seine Arme waren lächerlich kurz und dick, und in seiner Linken hielt er ein blaues Taschentuch, mit dem er sich ständig den Schweiß aus dem Gesicht und vom Kopf wischte. Es sah so aus, als wollte er seine Glatze polieren.
Seine kleinen, tief in Fett gebetteten Augen waren hart wie Flintstein und kalt wie Gletschereis. Seine Stimme klang wie die eines Colonels. Er sah mich an und sagte: »Bleiben Sie dort stehen, Cowboy. Der Marshal wird geholt.«
Dann wandte er sich an die Gäste und fragte einen Mann, der mit am Spieltisch gesessen hatte und den er offensichtlich gut kannte, nach dem Verlauf der Sache.
Der Gefragte sah mich scharf an. Dann wandte er sich wieder zu dem Dicken und sagte: »Ach, das ging so schnell, Earl. Roy Madden warf sich plötzlich mit dem Stuhl nach hinten und zog den Revolver. Das ging blitzschnell, aber dennoch nicht schnell genug für diesen Fremden, bei dessen Anblick Roy Madden auch schon das Eisen in der Hand hatte. Mehr ist nicht zu sagen.«
»Er hieß Rex Massey«, sagte ich. »Roy Madden war nicht sein richtiger Name. Er hat in Warbluff den Sheriff getötet. Es gibt einen Steckbrief von ihm. Zweitausendfünfhundert Dollar Belohnung! Tot oder lebendig! Man soll einem Toten nichts Schlechtes nachsagen, doch er war der beste Falschspieler, den es jemals gab. Ich gehe jetzt. Ich bleibe in der Stadt. In einem Hotel kann der Marshal mich finden.«
»Gehen Sie gleich nebenan ins Royal Hotel«, sagte der Dicke. »Ich bin der Besitzer. Earl Dawson ist mein Name. Ich lasse Ihnen ein gutes Zimmer geben. Wenn das Play Rex Massey war, von dem ich schon viel hörte, dann bin ich Ihnen vielleicht zu Dank verpflichtet. Ich bemühe mich, meinen Spielsaloon sauber zu halten. Play Rex Massey hätte keinen Spieltisch bekommen, wenn ich gewusst ...«
»Schon gut«, sagte ich und ging. Ich hielt den Revolver immer noch in der Hand, wenn auch mit dem Lauf nach unten. Ich kannte mich aus.
Aber niemand hielt mich auf. Man machte mir Platz.
Erst im großen Spielraum steckte ich den Colt ein. Man starrte mich von allen Seiten an, und es öffnete sich eine Gasse durch die Leute, die vor dem Eingang des First Class Rooms standen.
Ich kam unbehelligt auf die Straße. Ein Stück weiter baumelte das Schild des Royal Hotel unter den beiden Lampen über dem Eingang.
Der Dicke hatte mir ein Zimmer angeboten. Sollte ich es nehmen?
Es würde schwer sein, in dieser überfüllten, turbulenten Stadt eine Bleibe zu finden. Ich war ausgebrannt und müde. Die Jagd war zu Ende – ich hatte Rex Massey getötet. Ich wollte allein sein, sehnte mich nach einem dunklen Zimmer und einem Bett. Ich musste nachdenken, um das, was geschehen war, zu bewältigen. Ich kannte diese schlimmen Stunden, denn Rex Massey war nicht der erste Mann, den ich im Zweikampf erschoss. Ich wusste, dass ich alles in meinen Gedanken und in der Erinnerung wieder und wieder erlebte. Schwarze Stunden lagen vor mir. Bei aller Müdigkeit würde ich keinen Schlaf finden.
Früher hatte ich versucht, mich mit Alkohol zu betäuben. Dabei wäre ich fast zum Säufer geworden, und die Ernüchterung danach war schlimmer gewesen als alles andere vorher.
Ich ging also ins Hotel, und auf wunderbare Weise wusste der Portier schon Bescheid. Ich bekam schnell ein Zimmer. Bald darauf lag ich auf dem Bett.
Das Fenster stand offen. Der Lärm der Stadt brauste unaufhörlich. Es war etwa so, als wenn man dicht bei einem Wasserfall sein Camp aufschlägt. Nach einer Weile hat man sich an das Brausen gewöhnt und nimmt es gar nicht mehr wahr.
Ich dachte an Rex Massey, den ich erschossen hatte.
Durfte ich das tun?
Das war die bohrende Frage.
Meine Gedanken wanderten zu dem Mann, den Massey getötet hatte, weil er ihn des Falschspieles überführte. Dieser Mann hieß Nathan Stone. Er war der Sheriff von Warbluff.
Ich war sein Gehilfe und hatte ihm nicht beistehen können. Ich konnte nur seinen Mörder verfolgen und stellen.
Sollte ich nach Warbluff zurückreiten? Würde man mir dort das Sheriffsamt geben?
Ich bezweifelte es. Für die Leute in Warbluff war ich ein Revolverheld, gut genug, um einem soliden und verantwortungsbewussten Sheriff gesetzteren Alters Waffenhilfe und Rückendeckung zu geben – doch mehr nicht. Ich war bestimmt, der Mann im Schatten zu sein. Welche Stadt wählt schon einen Revolverschwinger zum Sheriff und gibt ihm die Macht des Gesetzes? Nein, ich brauchte nicht nach Warbluff zurück. Was ich dort hatte oder bekommen konnte, konnte ich auch woanders haben. Ich wollte nicht mehr zurück.
Morgen würde ich überlegen, was ich tun sollte.
✰✰✰
Irgendwann war ich eingeschlafen. Als ich am späten Morgen erwachte, schien der vergangene Tag sehr fern zu sein. Es kam mir alles wie ein böser Traum vor – ein Albtraum, den man gern vergessen möchte.
Ich lag eine Weile still da.
Auch die Stadt war still. Es lärmte und tobte niemand mehr. Alles war regungslos, ruhte nach einer Nacht der Laster und Sünden.
Ich spürte Hunger, der mich immer mehr quälte. Oh, ich hatte ja vierundzwanzig Stunden nichts gegessen! Das Frühstück gestern war die letzte Mahlzeit gewesen. Danach hatte ich nur geraucht oder dann und wann einen Schluck Wasser getrunken.
Ich stand auf, wusch mich und säuberte meine Kleidung, so gut es ging. Mit einem scharfen Messer, das ich im Stiefelschaft trug, rasierte ich mich.
Danach betrachtete ich mein hageres, narbiges Sioux-Gesicht im Spiegel, und ich war ganz und gar nicht zufrieden mit dem Burschen, der mir entgegenblickte, der Cass Morgan hieß und in Texas auf einer Rinderranch geboren wurde.
Ich verließ das Zimmer, ging nach unten und durch einen Verbindungsgang zum Restaurant hinüber. An einem Ecktisch saß ein Mann, der einen Marshalstern trug. Er aß Spiegeleier, Schinken und Brot und trank pechschwarzen Kaffee, der bestimmt so stark war, dass er einen toten Indianer wieder munter gemacht hätte.
Er sah mich kauend an und nickte.
»Da sind Sie ja«, sagte er. »Sie sind doch der Mann, der gegen Rex Massey gewinnen konnte? Oder war es nicht Rex Massey? Ich glaube, Sie sind mir einige Erklärungen schuldig, Freund. Hoffentlich wissen Sie es zu schätzen, dass ich Sie nicht aus dem Bett holte!«
Es war Rufus Whitehead, Marshal von Sun Mesa. Ich trat an seinen Tisch, blickte auf ihn nieder und sah einen Ausdruck in seinen Augen, der mich in Erstaunen setzte.
In diesen Augen war ein heißes Flackern.
Der Mann war vielleicht nur äußerlich beherrscht.
Ich setzte mich und gab bei der Bedienung, die sich näherte, meine Bestellung auf. Dann kramte ich Rex Masseys Steckbrief und seinen Haftbefehl aus einer Tasche, außerdem eine Bescheinigung, die mich als Hilfssheriff auswies, der den Auftrag hatte, Rex Massey zu finden und tot oder lebendig einzubringen.
»Das wäre es wohl?«, fragte ich.
Und der Marshal, der sich alles sorgfältig durchlas, nickte.
»Selbst, wenn Sie ohne Haftbefehl gekommen wären«, sagte er, »hätte ich Ihnen nichts anhaben können. Zeugen sagten, dass er bei Ihrem Anblick zur Waffe griff. Man fand in seiner Kleidung ein halbes Dutzend neuer Kartenspiele, die zwar nicht gezinkt, doch auf eine besondere Art sortiert waren. Mit einem solchen Kartenspiel kann jeder geschickte Jongleur zaubern. Nun gut, Sie haben ihn also von Warbluff her verfolgt. Wie oft verloren Sie seine Fährte?«
»Ach, viele Male wollte ich schon aufgeben«, sagte ich bitter.
»Und warum taten Sie es nicht?« Seine Frage klang gespannt. Es war, als versuchte er, tief in mein Inneres einzudringen und zu ergründen, was da wohl vorhanden war.
Ich wollte ihm sagen, dass ihn das nichts anginge, hatte aber plötzlich das Gefühl, es würde mir guttun, wenn ich darüber sprechen konnte.
Und so sagte ich: »Der Sheriff in Warbluff war ein Mann, den ich achten musste. Ich hatte ihn gern, und ich war auch gern sein Deputy. Er war mehr als nur mein Boss. Als er Rex Massey beim Falschspielen erwischte, war ich nicht in der Stadt. Ich war hinter drei Indianern her, die aus dem Reservat ausgebrochen waren und eine kleine Farm überfallen hatten, deshalb konnte ich dem Sheriff nicht beistehen. Doch ich war es ihm schuldig, seinen Mörder zu finden. Ja, und das tat ich.«
Ich verstummte nachdenklich.
Die Bedienung brachte mein Essen. Mein Magen knurrte, doch ich hatte keinen Appetit und aß lustlos.
Der Marshal fragte: »Reiten Sie nach Warbluff zurück, Cass Morgan?«
Ich hatte ihm meinen Namen nicht gesagt. Er hatte ihn in den Papieren gelesen. Ich schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte ich. »Ich werde einen Brief an den dortigen Richter schreiben, einen Bericht geben und meinen Dienst kündigen. Ich kehre nicht nach Warbluff zurück. Es ist eine Stadt wie jede andere. Ich könnte doch nicht Sheriff werden. Sie machen dort keinen Revolverschwinger zum Gesetzesmann. Sie geben ihm nur einen untergeordneten Posten.«
Rufus Whitehead nickte wie ein Mann, der Bescheid weiß.
»Ja«, sagte er. »So ist das überall. Man braucht Männer, die das Gute vor dem Bösen schützen. Man lässt zu, dass diese Männer mit den Colts Gutes auf böse Weise tun. Dennoch sind sie nicht gesellschaftsfähig. Man hält sie für gewalttätig, für eine Sorte, die gern jagen will und einen Jagdschein dafür haben möchte. Man lässt sie für Recht und Gesetz kämpfen. Sonst bleiben sie im Schatten des Mannes, den man ehrenhaft nennt. Ich kenne das, Cass Morgan. Doch hier in Sun Mesa ist es anders. Sun Mesa ist eine wilde Stadt mit eigenen Gesetzen. Wir haben keinen Sheriff hier. Man schickte uns dann und wann einen Deputy Marshal aus Denver – doch der kehrte stets bald wieder um. Es gibt hier zu viele mächtige Leute, die keine Steuern zahlen und das auch in Zukunft nicht möchten. Darum halten sie das Gesetz aus dem Land. Ich vertrete die Stadtgesetze, sonst nichts. Ich bin angeworben, um hier in Sun Mesa für ein gewisses Maß an Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Die Bürger der Stadt, die Kaufleute und die Besitzer der Lokale, sie alle wollen, dass es ihre Stadt bleibt. Deshalb warben sie mich an. Cass Morgan, ich biete Ihnen zweihundert Dollar im Monat und freie Unterkunft und Verpflegung für Sie und Ihr Pferd. Ich möchte Sie als Deputy haben.«
Ich sah ihn an.
Sein Vorschlag war gar nicht so ungewöhnlich, wie er sich vielleicht anhörte. So etwas gab es überall da, wo ein einzelner Mann für Ordnung sorgen sollte. Ein solcher Mann musste seine Rückendeckung sichern.
Das war wichtig.
Und nun hatte dieser Rufus Whitehead mich dazu bestimmt.
Ich sollte wieder der Mann im Schatten sein.
Zweihundert Dollar und alles frei.
In Warbluff hatte ich achtzig Dollar bekommen, und das war immer noch mehr als doppelter Cowboylohn.
Zweihundert Dollar?
Aber wie lange lebte man in dieser Stadt mit einem Stern an der Weste?
Während ich über diese Frage nachdachte, sagte Rufus Whitehead langsam und schwer: »Ich schaffe es nicht länger allein. Ich weiß, dass sie mich bald aus einer dunklen Gasse abknallen. Cass Morgan, ich brauche Hilfe. Oder ich werfe in einer Nacht alles hin und laufe davon. Wir sind von einer Sorte. Sie wissen, wie das ist. Ich brauche einen Partner, auf den ich mich verlassen kann. Und bei Ihnen weiß ich, dass man sich auch dann noch auf Sie verlassen kann, wenn man schon tot ist, wenn der Mörder entkommen konnte. Sie finden ihn. Darauf kommt es an. Helfen Sie mir. Ich kann hier nicht kneifen und fortlaufen. Wenn man etwas anfängt, muss man es zu einem Ende bringen. Wollen Sie mein Vertreter und Deputy werden?«
»Ihr Schatten!«, sagte ich bitter. Und ich sah ihm fest in die Augen. Da erkannte ich, dass er mit seinen Nerven am Ende war. Er fürchtete sich vor der Nacht, wenn die Stadt wieder lärmte und tobte, und wenn er sie unter Kontrolle halten musste. Ich hatte gestern zugesehen, wie er stolz zu Pferde ankam und eine Keilerei einfach zerschlug.
Aber er fürchtete die ganze Zeit, aus einer Gasse eine Kugel zu erwischen.
Oh, ich wusste, wie das war.
Er tat mir leid.
Wenn er aufgäbe und fortliefe, so wäre er für immer erledigt. Er hätte nie wieder Mut.
»Ich überlege es mir«, sagte ich.
Da drängte er mich nicht länger. Er war zu stolz dazu. Er beendete sein Frühstück, sagte noch einige belanglose Worte und ging hinaus. Er war etwas größer und schwerer als ich und hinkte leicht.
✰✰✰
Ich schlenderte später durch die Stadt, sah sie mir bei Tage an. Es gab mehr als zwei Dutzend Saloons, Spielhallen, Tingeltangels, die kleinen Spelunken in den Gassen gar nicht eingerechnet. Es gab ein Dutzend Hotels und einige Dutzend Pensionen. Dazu kamen Restaurants und Speiseküchen, Läden jeder Art, einige Handwerksbetriebe, die Postagentur, die Bank, die Minen- und Grundstücksgesellschaft, der Frachtwagenhof und Fair Marys Häuser, vor denen nach Anbruch der Dunkelheit die roten Laternen brannten.
Es gab außer der Mesa Street noch die Sun Street, das waren die beiden Hauptstraßen. In der Mesa Street lagen die Tingeltangels, in der Sun Street die ordentlichen, seriösen Geschäfte und die Wohnhäuser der Bürger, die nichts mit dem Amüsierbetrieb zu tun hatten. Die beiden Hauptstraßen, die von Nord nach Süd liefen, wurden durchkreuzt von vier Gassen, die Erste, Zweite, Dritte und Vierte Straße hießen.
Nördlich der Vierten Straße, zwischen der Sun und der Mesa Street, lag der China-Block. In Sun Mesa gab es ein China-Viertel. Viele der Minenarbeiter waren von gelber Hautfarbe.
Ich schlenderte also durch die Stadt und sah mir alles an. Ich sah es mir so gut und gründlich an, dass ich mich auch in stockdunkler Nacht zurechtfinden konnte.
Ich entdeckte mehr als ein Dutzend Winkel, von denen aus man einen Mann wie Rufus Whitehead, wenn er durch die Straßen ritt, leicht und ungesehen aus dem Sattel holen konnte.
Man wird vielleicht sagen, dass Whitehead lieber hätte zu Fuß gehen sollen, dann würde er nicht ein so großes Ziel bieten.
Nun, dies ging aus verschiedenen Gründen nicht.
Rufus Whitehead musste stets groß und imposant wirken, völlig furchtlos und ganz so, als könne er sich diese Stadt jederzeit in die Hosentasche stecken. Wenn er dahergeritten kam, musste er aussehen, als könne ihn nichts aufhalten. So wirkte er auf seinem großen Pferd.
Außerdem war die Stadt für einen Mann, der stündlich seine Runden machen musste, viel zu groß. In irgendeiner Ecke der Stadt war immer etwas los. Ein Marshal musste schnell dorthin gelangen, sonst hätte er immer im Laufschritt eilen müssen.
Nein, ein Mann wie er musste reiten. Diese Pose gehörte zu seinem Job – genau wie zu einem Offizier, der hoch zu Pferd seiner marschierenden Einheit vorausreitet.
Das war so.
Aber es war auch gefährlich.
Als ich an einer primitiven Spelunke vorbei wollte, trat dort ein gähnender Bursche aus der Tür. Er hatte rote Haare und tausend Sommersprossen. Als er mich sah, klappte er schnell seinen aufgerissenen Mund zu und staunte.
»Du verdammter Indianer«, sagte er. »Was machst du in dieser gefräßigen Stadt?«
Dabei kam er auf mich zu und boxte mir freundschaftlich in die Rippen. Er grinste von einem Ohr bis zum anderen.
Auch ich freute mich, Jessup Adams wiederzusehen. Wir hatten zusammen Krieg und Gefangenschaft überstanden. Dann hatten sich unsere Wege getrennt.
Ausgerechnet hier trafen wir uns wieder!
Ich knuffte und boxte ihn ebenfalls, und als wir uns dann anblickten, sagten wir zweistimmig, als hätten wir es zuvor eingeübt: »Darauf müssen wir einen Schluck trinken!«
Wir gingen in die Spelunke, traten an die roh zusammengezimmerte Theke und verlangten Pumaspucke. So hieß bei uns schon früher immer eine scharfe Sache.
Als wir getrunken hatten, bekam ich eine Weile keine Luft. Ein solches Feuerwasser hatte ich noch nie probiert. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn mir statt des Atems Flammen aus dem Mund geschlagen wären.
Jess Adams grinste und sagte: »Das ist echter Mondschein-Whisky für haarige Männer. Den bekommt man nur in den Gassen. Er ist doppelt so stark wie der Bourbon in den noblen Läden und nur halb so teuer. Trinken wir noch einen, Bruderherz!«
Ich konnte es ihm nicht abschlagen, denn die Freude leuchtete aus seinen veilchenblauen Augen. Beim zweiten Glas bekam ich Ohrenklingeln und Schluckauf.
Ein drittes Glas lehnte ich ab, denn ich hatte Angst, dass ich danach aus Mund, Nase und Ohren qualmen würde wie ein undichter Ofen mit einem schlechten Abzug.
Jess hatte mich inzwischen gefragt, wie es mir ginge und was ich hier in Sun Mesa wolle. Aber noch bevor ich ihm antworten konnte, klatschte er sich gegen die Stirn und sagte: »Jetzt weiß ich es! Du bist der Mann, mit dem dieser Spieler gestern in der Royal-Spielhalle Streit hatte. Nun wundert es mich nicht mehr, dass er einen schnelleren Gegner fand. Cass, ich weiß schon fast, was du seit unserer Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft getrieben hast. Bleibst du hier in der Stadt?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte ich nur. Mir entging nicht, dass sich der Ausdruck seiner Augen wandelte. In ihnen standen jetzt Ernst und tiefe Nachdenklichkeit.
»Was machst du hier, Jess?«, fragte ich plötzlich.
Er zuckte leicht zusammen und legte sein sommersprossiges Gesicht in würdevolle Falten.
»Oh – ich mache so allerlei Geschäfte. Ich verdiene mein Geld. Bist du knapp? Ich kann dir hundert Dollar borgen – oder fünfhundert. Mir geht es gut.«
Ich betrachtete ihn genauer. Nun, da die erste Wiedersehensfreude vorbei war und er sein Gesicht nicht mehr ständig vor Freude verzog, konnte ich sehen, dass es härter geworden war, scharfe, tiefe Falten bekommen hatte. Um seine Mundwinkel war ein Ausdruck, den ich zu deuten wusste.
Er war schon immer gut mit dem Revolver gewesen. Auch jetzt hing die Waffe tief unter der Hüfte, ein erstklassiger Colt in einem steifen Holster. Jess trug recht gute Kleidung.
»Ich arbeite für Budd McKimmey«, sagte Jessup Adams plötzlich. »Ich bin auf der Westseite der Mesa Street.«
Er sagte das auf eine besondere Art, und mir fiel ein, dass die Royal-Spielhalle und das Royal Hotel auf der Ostseite der Mesa Street standen. Mir fiel auch der dicke, quallige Earl Dawson wieder ein, der sich mit einem blauen Taschentuch ständig die Glatze gerieben hatte und dessen Augen so hart wie Flintstein und so kalt wie Gletschereis waren.
»Ah«, sagte ich. »Wie ist das mit den Seiten der Mesa Street?«
Jess sah mich an. »Nun«, sagte er dann, »es ist in dieser Stadt so, dass es zwei Parteien gibt – oder vielmehr drei, wenn man die anderen Bürger mitzählt. Dass sie überhaupt noch zählen, verdanken sie dem Marshal, den sie anwerben konnten, als sie noch einflussreicher waren. Damals mussten Earl Dawson und Budd McKimmey erst ihre Vereine organisieren. Sie haben die Amüsierstraße und die halbe Stadt unter sich aufgeteilt. Earl Dawson kontrolliert die Ostseite, Budd McKimmey kontrolliert die Westseite. Wenn du in dieser Stadt bleiben willst, wirst du dich entscheiden müssen. Da wir gute, alte Freunde sind, wirst du dich für meine Seite entscheiden. Denn sonst ...«
Er sprach nicht weiter, doch es war klar, dass er mich nicht auf der Gegenseite sehen wollte.
Ein Mann kam plötzlich an den Tisch, an dem wir mit unseren Gläsern saßen. Er sah mich scharf an und sagte dann, zu Jess: »Der Boss will dich sofort sehen. Komm in den Silver Star, Jess!«
Dann ging der Bursche.
Jess erhob sich. »Komm zum Mittagessen ins Restaurant meiner Schwester«, sagte er. »In der Zweiten Straße zwischen den beiden Hauptstraßen. Du wirst es finden.«
Im Hinausgehen rief er dem Barmann zu, er solle von mir kein Geld nehmen.
Nachdenklich verließ ich das Lokal.
Seine Schwester führte hier ein Restaurant.
Ja, ich erinnerte mich, dass er manchmal während des Krieges von seiner Schwester sprach, ab und zu einen Brief von ihr erhielt und immer behauptete, seine Schwester wäre so hübsch, dass niemand glaubte, dass sie Geschwister seien.
Ich ging zum Barbier, ließ mir die Haare schneiden.
Wenig später kam ein Mann herein, der schweigend seine Hand aufhielt und den Barbier ansah. Der fluchte leise, ging zur Ladenkasse, nahm Geld heraus und gab es dem Mann. Als dieser wortlos ging, fluchte der Barbier lauter.
Ich hörte zu und fragte: »War das ein Vereinsbeitrag?«
Er sah in den Spiegel, und dort trafen sich unsere Blicke.
»Ja«, sagte er. »Es ist ein Schutzverein. Wenn ich keinen Beitrag zahle, wird es teurer. Spiegel und Scheiben sind hier schwer zu kriegen und kosten viel Geld.«
Wir schwiegen, denn es kamen zwei Kunden herein, die sich auf die Wartestühle setzten.
Ich brauchte auch gar nichts mehr zu hören. Ich wusste genug. Die Geschäftsleute mussten hier irgendwelchen Leuten Geld zahlen. Das war Erpressung.
Sun Mesa war eine üble Stadt. Ich dachte an Marshal Rufus Whitehead, und er kam mir gar nicht mehr so beachtlich und großartig vor. In seiner Stadt wurden die Geschäftsleute erpresst. Wenn sie nicht zahlten, wurden ihre Läden zertrümmert.
Und er – der große Rufus Whitehead – konnte sie nicht schützen. Er konnte nur reiten, Raufereien schlichten, Betrunkene einsperren und den Anschein von Ordnung aufrechterhalten.
Vielleicht konnte er nicht mehr tun, weil er so allein war?
Ich verließ den Barbierladen.
Und mir war es, als hörte ich in einiger Entfernung irgendwo in den Gassen den Klang von Schüssen.
Sollte am frühen Mittag in dieser jetzt so still und friedlich wirkenden Stadt jemand schießen?
Ich erreichte die Zweite Straße, in der das Restaurant von Jessups Schwester liegen sollte. Ich fand es schnell. Es war eine kleine Speisewirtschaft.
Auf einem Schild stand: »Hier kocht und backt die Wirtin selbst für ihre Gäste!«
Ich erinnerte mich daran, dass Jessups Schwester Liz hieß, und ich fragte mich, ob sie wirklich so hübsch war, wie er immer behauptet hatte.
Bevor ich eintrat, sah ich mich noch einmal um.
Ich erblickte Jessup Adams, meinen Freund. Er war zwischen zwei Häusern hindurch in die Gasse gekommen und bewegte sich mühsam und mit letzter Kraft auf mich zu. Er stützte sich an die Hauswände. Einige Leute waren aufmerksam geworden und beobachteten ihn.
Zuerst glaubte ich, er wäre betrunken von dem scharfen Zeug, das wir geschluckt hatten.
Doch er war nicht betrunken. Er hatte den Schnaps besser vertragen als ich. Er war angeschossen, dies wurde mir schnell klar, als ich ihn so kommen sah.
Sicher wollte er zu seiner Schwester. Er schaffte es nicht, fiel plötzlich auf die Knie. Sofort war ich bei ihm, denn ich war natürlich gleich losgelaufen. Ich hob ihn auf, und dabei sah ich, dass er zweimal getroffen wurde.
In seinem Holster fehlte der Colt.
Er hatte die Waffe verloren.
Er sah mich an und sagte schwach: »Du lieber Gott – gleich ist es aus – Cass, ich sterbe!«
Ich hatte ihn auf meinen Armen. Er war nur mittelgroß, fast einen Kopf kleiner als ich. Er wog auch nicht mehr als hundertfünfzig Pfund. Er war von dieser drahtigen, zähen irischen Art.
Ich lief mit ihm zum Restaurant seiner Schwester, trat die Tür auf und drängte mich hinein.
Es waren noch keine Gäste da. Nur eine mächtig große, schwere Frau war dabei, die Tische zu decken.
Sie starrte mich und meine blutende Last an. Dann rief sie mit schriller Stimme: »Liz! Liz, komm schnell!«
Liz Adams kam aus der Küche. Viel sehen konnte ich nicht von ihr. Sie trug eine weiße Kittelschürze und ein Kopftuch, das bis auf das Oval ihres Gesichtes alles verbarg. In einer Hand hielt sie ein großes Messer. Doch sie ließ es fallen, als sie den Bruder auf meinen Armen erkannte.
»Lauf zum Doc, Esmeralda!«, sagte sie hastig und lief zu einer Tür. Sie hielt die Tür auf und sagte: »Hier hindurch, Mister! Bitte tragen Sie ihn noch dieses Stück!«
Ich folgte ihr durch ein kleines Wohnzimmer in ein Zimmer hinein, das ich sofort als ihr Schlafzimmer erkennen konnte. Ich legte Jessup Adams auf ihr Bett.
Er seufzte erleichtert.
»Die Stiefel«, sagte er, und ich begriff, ging zum Fußende und zog ihm die Stiefel aus. Er wollte nicht in den Stiefeln sterben.
Liz hantierte an ihm herum, öffnete seine Kleidung und seufzte beim Anblick der Verletzungen. Sie eilte zu einer Kommode und riss Leinenzeug heraus.
»Es hat keinen Sinn mehr, Liz«, sagte Jessup seltsam klar und fest. Er blickte mich an, und ich sah, dass er nicht mehr viel Zeit hatte.
»Wer war es?«, fragte ich möglichst ruhig.
Er versuchte ein Grinsen.
»Ollie Everett«, antwortete er. »Er lauerte beim Durchgang neben der großen Scheune zur Dritten Straße auf mich. Das war meist mein Weg, wenn ich vom Silver Star zu meiner Schwester wollte. Er schoss sofort. Er gehört zu Earl Dawsons Leuten – aber ich kann nicht beschwören, dass er mich in Earl Dawsons Auftrag tötete, denn ich hatte eben im Silver Star Streit mit ...«
Weiter kam er nicht.
Er schloss die Augen. Das war das einzige Zeichen, dass er tot war. Ganz friedlich sah er aus. Sein Gesicht war merkwürdig klein.
✰✰✰
Seine Schwester stand regungslos vor dem Bett und sah auf ihn nieder. Das Leinenzeug, mit dem sie seine Wunden verbinden wollte, um das Bluten zu stillen, entfiel ihren Händen.
Mit einer müden Bewegung nahm sie das Kopftuch ab. Ihr Haar war voll und gelb wie reifer Weizen. Sie hatte braune Augen.
Obwohl die weite Kittelschürze fast alles von ihr verbarg, sah ich, dass Jessup nicht übertrieben hatte. Dieses Mädchen war prächtig. Sie war mehr als einfach nur ein reizvolles Mädchen. Sie war eine Frau, die inmitten einer rauen Männerstadt für sich sorgte.
Sie kniete nieder und legte ihr Gesicht neben dem Bruder auf das weiße Bettzeug. So verharrte sie.
Ich aber dachte nach.
Jessup hatte im Silver Star Streit gehabt. Er hatte mir nicht mehr sagen können, mit wem, war jedoch zu Budd McKimmey, seinem Boss, gerufen worden.
Ein Mann, der Ollie Everett hieß und als Earl Dawsons Mann galt, hatte ihn getötet. Doch Jessup hatte unmissverständlich darauf hingewiesen, dass es nicht sicher sei, ob Ollie Everett in Earl Dawsons Auftrag auf ihn geschossen hatte.
Eine verzwickte Geschichte!
Vielleicht – aber vielleicht auch nicht.
Ich ging hinaus, ohne ein Wort mit Liz Adams zu reden. Ich ging dorthin, wo Jessup hergekommen war.
Leute standen herum und sahen mich an. Ich beachtete sie nicht. Ich kam bald an den Durchgang neben der großen Scheune. Ich fand Jessups Colt und das erste Blut, das er verloren hatte, und wusste auch, an welchem Platz der Mann Jessup Adams aufgelauert hatte. Der Boden war staubig, einige Abdrücke waren gut zu erkennen. Als ich um die Scheune ging, entdeckte ich auf der Vorderseite an einer Haltestange die frischen Hufspuren eines Pferdes und frische Pferdeäpfel.
Hier hatte also ein Pferd gestanden. Die Fußspuren des Mannes führten dorthin. Dort war er in den Sattel gestiegen. Die Fußspur verriet es deutlich: Der Mann, der Jessup Adams aufgelauert und ihn niedergeschossen hatte, war hier auf sein Pferd geklettert und davongeritten.
Ich folgte den Hufspuren über den kleinen Hof auf einen schmalen Weg, der aus der Stadt führte. Ich gelangte zu einer Stelle, an der alle vier Hufabdrücke besonders deutlich zu sehen waren.
Jede Hufspur hat bestimmte Merkmale, die sich von anderen Hufspuren unterscheiden.
Und diese Spur sagte mir eine Menge.
Das Pferd war vor Kurzem beschlagen worden, doch die Kanten der Eisen waren schon ziemlich stumpf, ein Zeichen, dass der Reiter viel über felsigen oder harten Boden geritten war.
Der Gaul drehte den linken Hinterhuf auf eine besondere Art, sodass sich die Spur leicht verwischte.
Den rechten Vorderhuf warf das Tier nach außen und wischte dabei ebenfalls über den Boden.
Das waren für mich deutliche Zeichen.
Natürlich wäre es Unsinn, die Hoffnung zu hegen, dass man diese Fährte verfolgen könnte. Der Reiter würde bald schon auf die Straße eingebogen sein, wo es hundert und mehr verschiedene Spuren gab. Um diese Tageszeit waren auf allen Wegen und Straßen viele Reiter und Wagen unterwegs. Ich lebte nicht in der Wildnis, wo eine solche Fährte leicht zu verfolgen war.
Ich hatte lediglich feststellen können, wie die Fußabdrücke des Mannes und die Hufabdrücke des Pferdes aussahen.
Beide würde ich wiedererkennen, das war sicher. Dort, wo ich aufgewachsen war, gehörte es zu den Lebensnotwendigkeiten, Spuren lesen zu können. Spuren von Comanchen, von Banditen, Rindern, Wölfen und Pferden.
Von all den Leuten, die mich in der Zweiten Straße noch beobachtet hatten und deren Blicke mir bis zur Scheunenecke folgten, war niemand mehr zu sehen. Aber dann sah ich doch einen Mann, als ich mich umwandte, um zur Stadt zurückzukehren.
Es war der Marshal Rufus Whitehead. Wieder fiel mir auf, dass er leicht hinkte. Es war nicht schlimm, nicht so, dass es ihn beim Gehen behindert hätte, aber doch erkennbar, obwohl er sich Mühe gab, es möglichst zu verbergen.
Vielleicht ritt er auch deshalb meistens durch die Stadt, vielleicht machte ihm das Laufen größere Schwierigkeiten, als man merkte. Ich erinnerte mich an seinen Ruf, an seine Kämpfe, die Legende waren, und ich wusste, dass er eine Menge Narben haben musste, weil er schon mehrmals verwundet worden war.
Langsam kam er näher und hielt vor mir an.
»Nun?«, fragt er.
Ich sah ihn an und grinste. In meinem Grinsen lag keine Freundlichkeit. Ich wusste, dass ich jetzt aussah wie ein Indianer, der sich einen Skalp holen will. Und es gab dann und wann harte Burschen, die vor mir gekniffen haben, wenn ich sie so angrinste.
»Eigentlich ist das Ihre Sache, Rufus Whitehead«, sagte ich. »In Ihrer Stadt wurde einem Mann aufgelauert, wurden ihm zwei Kugeln in den Leib gejagt. Aber zufällig war Jessup Adams ein alter Freund von mir.«
»Wer wusste das?«, fragte er schnell, und diese Frage zeigte mir, wie scharf und folgerichtig sein Verstand arbeitete.
»Einige Leute«, erwiderte ich. »Wahrscheinlich hat man mich seit meinem Kampf mit Rex Massey überhaupt nicht mehr aus den Augen gelassen. Rufus Whitehead, in dieser Stadt gibt es zumindest zwei Parteien, welche Machtkämpfe ausfechten. Es ist mir klar, dass mich keine Partei auf der anderen Seite haben will, nachdem man weiß, wie gut ich mit einem Mann von Rex Masseys Format zurechtkam. Selbst Sie, Marshal, wollen mich ja auf Ihrer Seite haben. Ja, man hat mich beobachtet, hat herausgefunden, dass Jessup Adams ein alter Freund ist. Und dann hat man ihn umgebracht.«
»Er arbeitete für Budd McKimmey«, sagte Rufus Whitehead langsam.
Und da grinste ich ihn wieder an.
»Er konnte mir noch den Namen seines Mörders nennen«, sagte ich. »Dieser Bursche arbeitet für Earl Dawson. Und damit sieht alles sehr einfach aus, nicht wahr?«
In meiner Stimme war bei der Frage ein kalter Hohn.
Dann fügte ich noch hinzu: »Ich kam in diese Stadt, um Rex Massey zu töten, weil er meinen Boss, den Sheriff von Warbluff, umbrachte. Und weil das so ist, erwartet jeder, dass ich nun auch meinen Freund Jess Adams räche. Oder?«
Er ging auf meine Frage nicht ein, fragte vielmehr selbst: »Jessup Adams lebte noch lange genug, um den Namen seines Mörders zu nennen?«
Ich nickte. »Jess fiel hin, und der Mann dachte sicher, er hätte ihn getötet. Er lief zu seinem Pferd, saß auf und ritt fort. Aber Jess lebte noch, kam an der Scheunenwand auf die Beine und schleppte sich bis in die Gasse. Ja, er sagte mir, dass Ollie Everett ihm aufgelauert und auf ihn geschossen habe.«
Der Marshal dachte wieder nach.
»Aber das konnte nicht geplant sein«, sagte er dann.
»Nein«, erwiderte ich. »Das brauchte es auch nicht. Man wird mich schon noch mit der Nase drauf stoßen, dass es Ollie Everett war. Außerdem traut man mir wohl auch zu, dass ich eine Menge selbst herausfinde.«
Ich deutete auf den Boden. »Ich kenne seine Fußspur und die Hufspur seines Pferdes. Bevor ich hierher ins Mesaland und nach Sun Mesa kam, sagte man mir unten im Tiefland, dass es nur drei Wege gäbe, hinunterzukommen. Den Weg von Süden kam ich herauf. Kennen Sie die beiden anderen Möglichkeiten?«
Rufus Whitehead sah mich an.
»Wollen Sie Ollie Everett folgen?«, fragte er mich langsam.
»Ich bringe ihn zurück«, sagte ich.
Er sah mich an, blickte dann an mir vorbei auf die Stadt. Er betrachtete sie nachdenklich, doch in seinen Augen erkannte ich wieder den Ausdruck, den ich schon am Anfang bemerkt hatte.
Ich glaube, dass es der Ausdruck von Hass und Furcht war. Die beiden Gefühle waren wie ein Feuer in ihm. Er hielt sie tief verborgen, doch sie waren vorhanden.
Das wusste ich jetzt ziemlich sicher.
»Und dann?«, fragte er plötzlich.
Ich grinste. »Das möchte ich selbst wissen, was dann sein wird«, sagte ich. »Die Stadt hat ein Gefängnis und – wie ich hörte – auch einen gewählten Richter. Als Marshal fungieren Sie auch als Ankläger. So ist es doch in diesen Minenstädten, die aus Camps entstanden sind, oder?«
Seine Augen wurden schmal. Ich konnte in ihnen nicht lesen.
Aber er sagte: »So ist es. Wollen Sie sich den Stern anstecken, den ich Ihnen anbot?«
Ich nickte. Da griff er in die Tasche und warf mir den Blechstern zu – ohne jede Warnung. Er wollte mein Reaktionsvermögen prüfen, und ich enttäuschte ihn nicht. Ich griff den Stern aus der Luft, als finge ich eine Fliege.
»Sie vertreten die Stadtgesetze im Einvernehmen mit unserer Verfassung zum Wohl der Stadt Sun Mesa«, sagte er. »Versprechen Sie das!«
»Ich verspreche es«, erwiderte ich. Damit war ich sein Deputy. Das war der ganze Amtseid, doch ich war ja auch kein Sheriff, sondern nur durch den Marshal von dieser Stadt angeworben worden.
Er dachte kurz nach und sagte: »Ollie Everett wird den Abstieg nach Norden genommen haben. Dort kommt er von der Grand Mesa hinunter ins Grand-River-Land, in das unübersichtliche Gebiet mit den hunderttausend versteckten Winkeln. Dort kann er untertauchen. Zwei Armeen könnten sich dort wochenlang voreinander verbergen. Ja, ich glaube, dass er den nördlichen Weg nehmen wird. Bis zu den Kehren des Abstiegs sind es etwa sechzig Meilen. Er reitet ein gutes Pferd, einen zähen Pinto, der in den Bergen kaum zu schlagen ist.«
»Mein Archie ist auch ganz gut«, sagte ich und setzte mich in Richtung Mietstall in Bewegung.
Er folgte mir nicht, dieser Rufus Whitehead, und ich wusste, er wäre auch Ollie Everett nicht gefolgt. Er war allein und verließ die Stadt nicht.
Als ich in den Mietstall kam, arbeitete der Stallmann draußen bei den Corrals. Ich winkte ihm zu und rief, dass ich mein Pferd für ein paar Stunden aus der Box holen würde und er mir nicht zu helfen brauche.
Als ich meinen Sattel von der Stange nehmen wollte, sah ich ein Stück braunes Packpapier, das man zusammengerollt durch die Schnalle des Bauchgurtes geschoben hatte.
Ich nahm es, rollte es auf und konnte einige Worte lesen, die man offensichtlich mit einer Bleipatronenspitze geschrieben hatte: »Es war Everett!«
Da hatte ich also den Hinweis, den ich erwartet hatte, wenn meine Vermutungen richtig waren. Die Kerle, die hinter Ollie Everett standen, konnten nicht wissen, dass Jessup Adams noch in der Lage gewesen war, mir den Namen seines Mörders zu nennen.
Da war der Hinweis auf Everett, und ich sollte mich für ihn interessieren. Aber er war fort, und man rechnete nicht damit, dass ich ihn einholen könnte.
Dafür sollte ich den Mann, für den er arbeitete, bekommen.
Und es war in der ganzen Stadt bekannt, dass er für Earl Dawson arbeitete, so wie früher Jessup Adams für Budd McKimmey.
Nun, vielleicht würde ich das noch tun. Zuerst wollte ich mir jedoch Ollie Everett holen.
Wenige Minuten später ritt ich nach Westen aus der Stadt.
Als ich weit genug war, bog ich nach Norden ab. Archie hatte sich länger als zwölf Stunden ausruhen können und erstklassiges Futter bekommen.
Wenn Ollie Everett nach Norden geritten war, so hatte er etwa eine Stunde Vorsprung.
Es würde davon abhängen, wessen Pferd die größere Ausdauer hatte. Sicher trieb er sein Tier hart an und versuchte, sich so schnell wie möglich von der Grand Mesa zu entfernen, um in dem unübersichtlichen Tiefland im Norden unterzutauchen.
Auf dieser sechzig Meilen langen Strecke musste ich ihn erwischen.
✰✰✰
Das Land oben auf der Grand Mesa war natürlich nicht glatt wie eine Ebene oder Tischplatte. Es gab Hügelketten, Senken und Schluchten. Dazwischen ragten hohe Berge empor.
Der Weg, den ich reiten musste, war völlig klar – es war die Poststraße, die keinerlei Umwege machte.
Ich überholte unterwegs viele mit Erz und silberhaltigem Gestein beladene Wagen, die zum Stampfwerk oder zur Schmelze fuhren. Ab und zu kamen mir Reiter oder Fahrzeuge entgegen.
Nach etwa fünfundzwanzig Meilen kam ich an einen kleinen Bach, der von rechts aus einer Hügelkette sprudelte.
Und hier am Creek sah ich endlich die vier Hufabdrücke im sandigen Ufer so klar, dass ich die Fährte einwandfrei erkennen konnte.
Ich frohlockte. Er war dicht vor mir, und es war einwandfrei das Pferd, das neben der Scheune angebunden gewesen war. Er konnte nicht mehr weit vor mir sein.
Und plötzlich erschien mir alles einfach.
Als ich über die nächste Bodenwelle ritt und etwa eine Meile weit gute Sicht hatte, da sah ich ihn.
Es war sonst niemand auf dem staubigen hellen Band der Straße zu erkennen – nur der Reiter auf dem Pinto, der stetig trabte und diesen Trab sicher noch dreißig Meilen beibehalten konnte. Ich verließ die Straße und ritt nach Westen, bis ich hinter einer Hügelkette Deckung fand. Dann trieb ich Archie schneller an und ritt drei oder vier Meilen genau nach Norden. Zwischen einigen Felsen, die die Größe und Form von Häusern hatten und aus der Ferne wie ein Dorf anmuteten, stieß ich wieder auf die Poststraße.
Ich war davon überzeugt, dass ich Ollie Everett inzwischen überholt hatte und mich vor ihm befand. Das hatte ich allein meinem guten Archie zu verdanken, der nun restlos erledigt war. Er hatte ausgehalten.
Ich ritt auf die Straße, ließ ihn im Schritt gehen, damit er verschnaufen konnte. Ich ritt nicht mehr nach Norden, sondern nach Süden – Ollie Everett entgegen.
Nachdem ich etwa hundert Yards zurückgelegt hatte, sah ich ihn kommen.
Als er mich entdeckte, schöpfte er keinen Verdacht – jedenfalls konnte ich an ihm keinerlei Reaktion erkennen. Er kam mir weiterhin entgegen, und ich war wohl für ihn einer der vielen Reiter, die ihm immer wieder begegnet waren.
Den Kopf hielt ich gesenkt, sodass mein Hut viel von meinem Gesicht verdeckte, saß krumm im Sattel, damit ich kleiner wirkte.
Aber wenn er nahe genug kam, würde er meinem Pferd ansehen, wie scharf es geritten worden war. Mit einem einzigen Blick würde er erkennen, dass es dreißig Meilen im Galopp gegangen war.
Und wie schnell begriff er dann?
Ein Mann wie er hatte bestimmt einen besonderen Instinkt für die Gefahr, war sicher misstrauisch wie ein Wolf.
Wir näherten einander rasch, obwohl ich im Schritt ritt.
Unter dem Rand meiner Hutkrempe hervor beobachtete ich ihn scharf und erkannte, als uns nur noch zwanzig Yards voneinander trennten, dass er mir wachsam entgegensah.
Als nur noch zehn Schritte zwischen uns lagen, hob ich den Kopf, damit er in mein Gesicht blicken konnte.
Er musste mich schon in Sun Mesa gesehen haben, denn er erkannte mich sofort.
Seine Augen weiteten sich.
Sein Verstand arbeitete schnell.
Er sah, wie erschöpft mein Pferd war.
Da wusste er Bescheid und griff zur Waffe. Dabei riss er sein Pferd halb herum.
Aber es war zu spät für ihn. Denn inzwischen hatte ihn sein Tier etwa sechs Schritte, mein langsamer gehender Archie mich etwa vier Schritte weitergetragen.
Wir befanden uns fast nebeneinander. Ich gab Archie die Sporen und zog ihn gleichzeitig herum. Er war größer als Everetts Pinto und prallte gegen ihn. Als Everett seinen Colt auf mich anlegen wollte, schlug ich ihm die Waffe aus der Hand und packte mit beiden Händen zu, während ich Archie nochmals anspringen ließ. Ich riss Everett aus dem Sattel. Er schlug wild um sich, traf mich zweimal – und dann verloren wir beide den Halt auf meinen Pferd. Wir fielen, doch ich fiel auf ihn. Er war mir nicht gewachsen. Ich gab es ihm – und dann lag er still. Ich untersuchte ihn nach Waffen und fand einen kleinen Derringer und ein Messer. Ich erhob mich, suchte die Waffe, die ich ihm aus der Hand geschlagen hatte, und holte sein zurückgewichenes Pferd.
Als ich mich ihm zuwandte, hatte er sich erhoben und kam mit einem Stein auf mich zu. Ich wich dem Stein aus und gab ihm zwei kurze, trockene Haken.
Er ging zu Boden und gab auf. Als er sich wieder hingesetzt hatte, fragte er bitter: »Was soll das? Ein Straßenraub?«
»Nein«, sagte ich. »Es ist wegen des Mordes an Jessup Adams.«
Er hatte wohl mit einer solchen Anschuldigung gerechnet, denn er zuckte nicht zusammen oder tat sogar erstaunt. Er war ein etwas über mittelgroßer, geschmeidiger Bursche, nicht älter als ich und richtig hartgesotten. Da er jedoch die letzten Monate in den Spiel- und Amüsierhallen verbrachte, hatte er wenigstens zehn Pfund Übergewicht. Es fehlte ihm die ausdauernde Härte. Er hatte zu bequem gelebt und die Nacht zum Tag gemacht.
»Was ist mit Jessup Adams?«, fragte er kühl.
Ich grinste mein Grinsen, das kein Grinsen, sondern eine kalte Drohung war.
»Adams und ich waren alte Freunde«, sagte ich. »Er war noch nicht tot. Er schaffte es noch bis auf die Gasse und konnte mir sagen, wer ihm das Blei servierte. Außerdem gab es Augenzeugen. Everett, du bist ein Hammel, den man zur Schlachtbank lockte.«
Ich nahm das Papier, das ich an meinem Sattel fand, und zeigte es ihm. Er las die Worte, und ich konnte ihm ansehen, wie sich die Gedanken hinter seiner Stirn jagten.
»Von wem bekamst du den Auftrag – von McKimmey oder Dawson?«, fragte ich ihn ruhig.
Er gab keine Antwort. Sein Verstand mühte sich immer noch. Ich riss ihn auf die Beine und durchsuchte ihn nochmals. Er hatte eine mit fünfhundert Dollar gefüllte Brieftasche. Und in seinem Geldgürtel, den er unter dem Hemd auf dem bloßen Leib trug, befanden sich tausend Dollar in Goldstücken. Ich zählte sie natürlich nicht, doch ich konnte den Betrag am Gewicht ziemlich genau schätzen. Es war anzunehmen, dass er eine runde, glatte Summe als Revolverlohn erhalten hatte.
»Wenn du nicht bald meine Frage beantwortest«, sagte ich, »dann werde ich dich fertig machen und es dir so lange geben, bis du genug hast und gern möchtest, dass ich aufhöre. Du musst eins begreifen, mein lieber Ollie: Jessup Adams war ein Freund von mir. Wir waren zusammen im Krieg, und er rettete mir das Leben. Du aber hast ihn einfach zusammengeschossen. Rechne dir jetzt mal alles genau aus.«
Das tat er, und er schwitzte vor Angst. Die Angst flackerte in seinen Augen und ließ ihn zittern.
»Sie haben dich reingelegt, Ollie«, sagte ich. »Du solltest zwar entkommen, doch als Täter bekannt sein. Du giltst in der Stadt als einer von Earl Dawsons Leuten. Aber Dawson gab dir bestimmt nicht den Auftrag. Rede endlich!«
»Wenn ich rede«, sagte er, »was springt dann für mich dabei heraus?«
Die Angst lauerte förmlich in seinen Augen, und er war mir widerwärtig wie ein schmutziges, hässliches Tier. Ich half seinem Gedächtnis mit ein paar Schlägen nach.
Als ich ihn wieder hochgerissen und auf die Beine gestellt hatte, sagte ich ganz ruhig: »Ich mache mich schmutzig an dir. Wenn du endlich redest, brauche ich dich nicht mehr anzufassen. Also?«
Er zitterte stärker.
»Budd McKimmey«, sagte er, »hat einige von Earl Dawsons Leuten auf seiner Seite. Er hat sie bestochen, zahlt ihnen mehr als Dawson. Umgekehrt arbeiten für Dawson McKimmey-Leute. Sie versuchen gegenseitig, sich den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Irgendwann werden sie offen um die Stadt kämpfen, und dann wird der gewinnen, der die beste Vorarbeit geleistet hat. Mich hat Budd McKimmey gekauft – ja! Und ich erhielt den Befehl, Jessup Adams zu erledigen. Der Bote sagte mir, dass Adams noch bei McKimmey sei und von dort bestimmt zu seiner Schwester zum Mittagessen gehen würde. Man sagte mir, dass ich nach Erledigung des Auftrages sofort aus der Stadt verschwinden müsse, nach Norden flüchten solle – und man brachte mir fünfhundert Dollar. Wenn alles erledigt wäre, sollte ein gefüllter Geldgürtel am Sattelhorn meines Pferdes hängen. Und das war auch so. Das ist alles.«
Er schwitzte jämmerlich.
Ich fragte: »Wer brachte dir die Befehle? Du warst doch nicht selbst bei McKimmey. Wer sagte dir, was McKimmey von dir wollte?«
Er zögerte. Doch dann entschloss er sich und sagte: »Es gibt da in Sun Mesa einen stadtbekannten Säufer, der, wenn er nicht gerade betrunken ist, Schuhe flickt. Wahrscheinlich ist dieser Wim Jackson niemals wirklich betrunken. Vielleicht tut er nur so. Er brachte mir die Befehle. Er ist Budd McKimmeys Mann, ein guter Spion, der sich überall herumtreibt und den Betrunkenen spielt. Er ist äußerst gefährlich. Jetzt habe ich alles gesagt. Kann ich ...«
Er sprach nicht weiter, sagte nicht, was er tun wollte. Aber ich konnte es in seinen flackernden Augen lesen. Dieser Bursche war ein Narr.
Er hatte meinen alten Freund umgebracht und hoffte nun, weil er mir einige Fragen beantwort hatte, dass ich ihn laufen ließe.
»Wenn ich dich laufen lasse, dann bringst du vielleicht zweihundert oder tausend Meilen weiter, wenn dein Geld alle ist, wieder einen Menschen um«, sagte ich. »Außerdem brauche ich dich in Sun Mesa. In den Sattel mit dir! Wir reiten noch ein Stück zurück. Irgendwo ist ein Creek, an dem wir unsere Pferde versorgen können. Hoffentlich hast du Proviant in den Satteltaschen.«
✰✰✰
Da wir einige Stunden am Creek rasteten, um die erschöpften Pferde ausruhen zu lassen, kamen wir erst am nächsten Vormittag nach Sun Mesa zurück.
Die Stadt war – wie immer um diese Tageszeit – sehr still. Sie erholte sich von der wilden Nacht. Auf der Sun Street, wo die Handwerker und die Geschäfte waren, ging es lebhafter zu als auf der Mesa Street, wo die Amüsierbetriebe lagen.
Es gab genug Leute, die uns vor das Gefängnis- und Gerichtsgebäude reiten sahen. Das Gesicht meines Gefangenen war etwas angeschwollen und zerschunden.
Als wir anhielten, trat Rufus Whitehead aus der Tür. Er nickte mir zu, ganz so, als hätte er damit gerechnet, dass ich Ollie Everett brachte. Dann sagte er zu dem Gefangenen: »Steig ab und komm!«
Ollie Everett gehorchte. Ich folgte ihm und dem Marshal durch das Office in den Zellenraum. Es gab sechs Zellen, und das ganze Gebäude war solide gemauert. So leicht konnte man hier keinen Gefangenen herausholen.
Ich ging ins Office zurück und wusch mich in der Ecke an einem Waschständer.
Rufus Whitehead kam aus dem Zellenraum, blieb einen Moment stehen und betrachtete mich. Sein Blick war freudlos und bitter.
»Cass«, sagte er, »wissen Sie auch genau, was Sie getan haben und was nun die Folge davon sein wird?«
Ich grinste.
»Haben Sie Angst, Rufus?«, fragte ich.
Er war ehrlich. Er nickte.
»Sie alle haben mich angeworben«, sagte er, »auch Earl Dawson und Budd McKimmey mit ihren Anhängern, ihren Spielern, Barkeepern und den sonstigen Leuten. Die ganze Bürgerschaft hat mich angeworben, damit ich die Stadt friedlich halte, damit es ein gewisses Maß an Sicherheit gibt. Dafür erwarten sie von mir, dass ich mich neutral verhalte und ohne Rücksicht auf irgendeine Partei meine Arbeit verrichte. Nun aber ergreife ich Partei.«
»Ja«, sagte ich. »Und ich helfe Ihnen, Rufus. Ich halte zu Ihnen bis in die Hölle und zurück. Ich werde immer in Ihrem Schatten stehen und Ihnen den Rücken decken. Das wollten Sie doch – oder?«
Er nickte langsam, wandte sich zu einer Tür, die ins Gerichtsgebäude führte.
»Ich hole den Richter«, sagte er.
✰✰✰
Der Richter war ein kleines Männchen, doch er hielt sich gerade wie ein alter Colonel. Er hatte einen langen Hals, einen Knebelbart wie Buffalo Bill Cody und trug einen Kneifer. Sein kurzes Borstenhaar war grau. Er war – wie ich später erfuhr – aus dem Osten gekommen, um hier ein Anwaltsbüro zu eröffnen. Weil die Stadt damals aber unbedingt außer ihrem neuen Marshal auch einen Richter brauchte, ließ er sich in dieses Amt wählen. So hatte Sun Mesa, das damals kaum mehr als ein Camp war, einen Richter. Die Bürger waren froh und stolz, planten sicher schon den Bau einer Kirche, einer Schule und anderer wichtiger Dinge.
»Das ist Cass Morgan, Richter«, sagte Rufus Whitehead. »Cass, dies ist Richter Oren Earp.«
»Guten Morgen, Richter«, sagte ich.
Er nickte mir zu. Seine Augen hinter den Gläsern des Kneifers waren wachsam und scharf.
Dann ging er in den Zellenraum. Wir folgten ihm.
Ollie Everett kam an die Gitterstäbe der Tür.
»Schuldig oder nicht schuldig?«, fragte der Richter ohne jede Einleitung knapp.
Ollie Everett hatte jetzt keine Angst mehr. Die hatte er nur so lange gehabt, wie ich mit ihm allein war. Inzwischen hatte er auch nachgedacht und war zu der Überzeugung gelangt, dass man ihm in dieser Stadt schon helfen würde.
Deshalb sagte er: »Euer Ehren, man will mich reinlegen. Ich soll Jessup Adams getötet haben. Das ist eine Lüge! Wer das auch behaupten mag – es ist gelogen! Ich bin sicher, dass man die Geschworenen nicht davon überzeugen kann, dass ich ein Mörder bin. Ich möchte eine faire Verhandlung. Natürlich bin ich nicht schuldig.«
Nach diesen Worten starrte er mich an.
Ich grinste diesmal nicht, denn nichts anderes hatte ich erwartet. Selbst ein Narr und Dummkopf wie Ollie Everett konnte sich ausrechnen, dass man in dieser Stadt keine Geschworenen finden würde, die ihn einstimmig schuldig sprachen.
Es standen ja auch gar nicht viele Aussagen gegen ihn.
Nur meine – und vielleicht noch die von Liz Adams. Mir und ihr hatte Jessup Adams gesagt, wer ihn erschossen hatte. Und ich allein war Everetts Fährte gefolgt und konnte behaupten, seine Fußspur und die Hufabdrücke seines Pferdes bei der Mordstelle erkannt zu haben.
Selbst in einer Stadt, in der die Geschworenen ohne Angst handeln konnten, würden diese Beweise kaum ausreichen. Hier stand Aussage gegen Aussage.
Was Ollie Everett mir gegenüber zugegeben hatte, konnte er abstreiten. Dafür gab es keine Zeugen. Und da ich ihn geschlagen hatte – was man ihm ansehen konnte –, traute ich ihm die Behauptung zu, dass ich ihn gezwungen hätte, mir etwas zu gestehen, was nicht stimmte.
Der Richter wandte sich um, blickte mich und Rufus an.
»Der Gefangene bekommt einen Anwalt. Dann fungieren Sie als Ankläger, Rufus. Über die Geschworenen müssen Sie sich mit dem Anwalt einigen. Das wäre vorerst alles.«
Er betrachtete mich mit scharfem Blick und ging wieder.
Rufus und ich gingen ins Office und setzten uns.
»Vielleicht habe ich Sie überschätzt, Cass Morgan«, sagte Rufus Whitehead zu mir.
Ich grinste ihn an.
Dann verließ ich wortlos das Office.
Ich ging schräg über die Sun Street zur Zweiten Straße, bog in diese ein und erreichte Liz Adams' Speisewirtschaft. Es war später Vormittag, doch ich hatte Hunger.
Die große, massige Frau, die von Liz Adams Esmeralda gerufen worden war, deckte die Tische schon für das Mittagessen. Sie sah mich an, erkannte mich offenbar nicht und sagte: »Zum Frühstück zu spät und zum Mittagessen zu früh.«
»Ich bekomme was in der Küche«, sagte ich und ging durch den Raum. Nun erkannte sie mich wohl und ließ mich in die Küche gehen. Sie starrte mir nur nach.
Liz Adams stand am Herd. Wieder trug sie diesen zu großen und zu weiten weißen Kittel und hatte ihren Kopf bis auf das schmale Gesicht unter einem weißen Tuch verborgen.
In der Ecke stand ein Tisch, an dem wohl Liz und Esmeralda saßen oder sich ausruhten. Ich setzte mich dort hin und sah die Schwester meines alten Freundes an.
»Ollie Everett ist im Gefängnis«, sagte ich. »Sie haben doch gehört, dass Jessup seinen Namen nannte, als ich fragte, wer ihn ...?«
»Ja«, sagte sie schlicht. »Das hörte ich. Doch es konnte mit Jessup auf die Dauer nicht gut gehen. Der Krieg und die Zeit danach hatten ihn verdorben. Er war ein Revolvermann geworden, der seinen Colt vermietete. Ich kam in diese Stadt und baute mir etwas auf, um Jessup einen Halt zu geben. Doch es gelang mir nicht. Sein Boss war stärker als ich und ließ ihn nicht mehr los.«
»Budd McKimmey?«
Sie nickte zu meiner Frage, brachte mir eine Tasse Kaffee und ein belegtes Brot, setzte sich mir gegenüber an den Tisch, müde und resigniert.
Ich sah sie jetzt nah vor mir. Sie hatte eine etwas blasse Haut, weil sie kaum aus der Küche und ihrer Speisewirtschaft herauskam. Ihr Gesicht war sehr ausdrucksvoll. Ihre großen braunen Augen waren etwas schräg gestellt und gaben ihr mit den hohen Wangenknochen ein fast exotisches Aussehen. Ihr Mund war breit und voll, vital und energisch.
Sie war ein prächtiges Mädchen, das in einer wilden Stadt für sich sorgen konnte. Sie gehörte weder zu den Mädels in den Tingeltangels noch zu den ehrbaren Hausfrauen, die für ihre Familie sorgten. Sie schlug sich allein durch, und das auf eine saubere Art.
Ihr Blick war fest.
»Jessup hat mir damals während des Krieges von Ihnen geschrieben«, sagte sie. »Ich kenne Sie also besser, als Sie denken, Cass Morgan. Ja, ich glaube, dass Budd McKimmey Jess' wirklicher Boss war, obwohl er zuerst ganz auf Earl Dawsons Seite stand und auch versuchte, selbstständig zu bleiben. Doch zum Schluss entschied er sich für McKimmey. Vielleicht deshalb, weil ich auf der McKimmey-Seite mein Restaurant eröffnete und McKimmey mir den Hof machte.«
»Hat er Chancen?«, fragte ich schnell.