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G.F. Unger ist der erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Und das zu Recht!
Niemand vermag es wie er, die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens und die Stärke der unerschrockenen Männer, die sie erschlossen, zu beschreiben. Erleben Sie den amerikanischen "Wilden Westen", wie nur G.F. Unger ihn schildern kann: hart, authentisch, leidenschaftlich.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2599 bis 2601:
2599: Der Ritt zurück
2600: Mann im Schatten
2601: Adios, Hombre
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 192 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 448
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2022/2023 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Faba/Norma
ISBN: 978-3-7517-8201-2
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https://www.luebbe.de
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
G. F. Unger Western-Bestseller 2599
Bibertal-Legende
G. F. Unger Western-Bestseller 2600
Gekaufte Treue
G. F. Unger Western-Bestseller 2601
Der letzte Wolf
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Contents
Bibertal-Legende
Jim Chance pariert seinen prächtigen Hengst am Rand des Sumpfes. Die Erinnerung an die Jugend überwältigt ihn fast. Hier hat er seinen ersten Biber gefangen.
Sein scharfer Blick späht über das Sumpfgelände. Aus dem Jungen Jim Chance wurde ein prächtig aussehender Bursche, dem man nicht sogleich ansieht, dass er zur Hälfte ein Arapahoe ist. Nur wenn man genauer hinsieht, erkennt man den etwas schrägen Schnitt seiner Augen und die hohen Wangenknochen.
Er wendet sich im Sattel um und blickt auf die junge Frau, welche er bei sich hat.
Sie ist eine Weiße, aber sie ist wie eine Indianerin gekleidet und hockt auch wie eine Indianerin auf dem Pferd.
Er sieht eine Weile schweigend in Sues blaue Augen. Dann deutet er zur Seite auf den Sumpf und sagt: »Alle, die den Weg durch diesen Sumpf kannten, sind tot bis auf mich. Mein Vater, dessen Freunde und Blutsbrüder, alle sind sie tot. Wenn du mir durch den Sumpf folgst, wirst du in Sicherheit sein. Doch es gibt dort jenseits des Sumpfes keinen Weg zu den Menschen. Man kann dort sicherlich gut leben – aber man wird allein sein. Nur wir zwei, du und ich. Verstehst du? Denn Rothorn wird den Sumpf bewachen lassen, vielleicht Jahre. Du warst Rothorns kostbarster Besitz. Du solltest die Frau des Häuptlings werden. Er hat sich Zeit gelassen mit dir. Nachdem er dich vor zehn Jahren als kleines Mädchen deinen Eltern raubte, ließ er dich erst zur Frau heranwachsen. Ich habe dich entführt, bevor er dich wie eine reife Frucht pflücken konnte. Er wird jetzt nur noch dafür leben, sich meinen Skalp zu holen und dich zurückzubekommen. Wenn wir durch den Sumpf reiten, werden wir vielleicht für Jahre jenseits des Sumpfes Gefangene sein. Verstehst du, Sue Kelly?«
Die schöne junge Frau nickt.
Sie erwidert Jim Chances Blick.
»Jim, ich liebte dich vom ersten Moment an«, sagt es. »Als du damals mit deinem Vater und den anderen Jägern in Rothorns Dorf kamst, da dachte ich sofort: den oder keinen. Wir werden glücklich sein in der Einsamkeit. Und wenn wir bis an das Ende unseres Lebens dort leben müssen, Jim, wir werden glücklich sein. Bitte, Jim, rette mich vor Rothorn.«
Er nickt. »Ja, wir werden glücklich sein, Sue Kelly.«
»Reiten wir, Jim, reiten wir endlich!«
Sie blickt nach diesen Worten angstvoll über die Schulter.
Denn dort weit zurück, da kann im nächsten Moment schon Rothorn mit seinen Kriegern auftauchen.
Jim Chance zögert nicht länger.
Auf seinem wunderbaren Hengst reitet er in den Sumpf hinein. Das Tier schnaubt etwas, gehorcht nur unwillig. Doch dann spürt es, dass der Reiter es sicher auf festem Grund zu lenken versteht. Der Sumpf verliert für das Tier schnell seine Schrecken. Und die drei anderen Pferde – Sues Stute und die beiden Packpferde – folgen dem Hengst gehorsam.
Bald verschwindet das Paar mit den vier Pferden zwischen den Büschen im Sumpf. Der Sumpf schließt sich schmatzend.
Es dauert nicht lange, da taucht Rothorn auf mit seiner Horde.
Er lässt seine Krieger warten und versucht dann eine Weile erfolglos, den Weg zu finden. Doch er kommt im besten Fall nur drei Steinwurfweiten in den Sumpf hinein. Dann muss er stets wieder umkehren – und beim letzten Mal schafft er es kaum noch. Sein Pferd zittert voller Angst und bricht vor Erschöpfung fast unter ihm zusammen, als sie es schließlich doch noch schaffen, wieder festen Boden unter sich zu bekommen.
Rothorn ist kein junger Häuptling mehr. Er ist das, was man einen »gestandenen Mann« nennt. Sein nackter, mit Muskeln bepackter Oberkörper glänzt jetzt vor Schweiß in der Sonne.
Und er gesteht sich ein, dass auch er fast so viel Angst hatte wie sein Pferd und beinahe in Panik geraten wäre.
Er weiß jetzt, dass er verloren hat.
Dennoch will er es nicht wahrhaben. Denn er gibt niemals so schnell auf. Er konnte schon immer beharrlicher als jeder andere Indianer sein Wild verfolgen.
Und so sagt er zu seinen Kriegern: »Zwei von euch reiten zum Dorf. Es wird nach hier verlegt. Rothorns Dorf wird in Zukunft hier stehen. Wir werden den Rand des Sumpfes bewachen – wenn es sein muss, bis in alle Ewigkeit. Er hat mir nicht nur die Squaw gestohlen, sondern auch noch den kostbarsten Zuchthengst unserer Pferdezucht, einer Zucht, die unser Dorf berühmt machte unter allen anderen Dörfern unseres großen Volkes. Wir müssen ihn zurückbekommen mit allem, was er uns stehlen konnte. Denn sonst wird man bis in die Ewigkeit über Rothorn und sein Dorf lachen.«
✰✰✰
Sie müssen etwa zwei Stunden im Zickzack reiten. Immer wieder hält Jim Chance an und sucht mit seinem Blick neue Verbindungslinien, denen er dann folgt. Er irrt sich nicht einmal dabei – und dies ist eine wahrhaft einmalige Leistung, wenn man bedenkt, dass er in den vergangenen zwölf Jahren kaum mehr als dreimal hier war.
Als sie dann das ansteigende Gelände erreichen und ihre Pferde trockenen und festen Boden unter den Hufen haben, halten sie an und sehen sich um.
Zuerst blicken sie zurück über den Sumpf.
»Ich werde dir den Weg noch genau erklären, sodass du auch allein durch den Sumpf reiten kannst«, sagt Jim zu Sue.
Sie lächeln sich an.
Dann blicken sie sich um in dem weiten, sanft ansteigenden Tal, durch welches der Creek fließt, den die Biber mit ihren Dämmen anstauten, sodass er nach und nach zu einem Sumpf wurde.
Es ist ein gewaltig schönes Tal, eingeschlossen von einer Bergmauer, die sich nur jenseits des Sumpfes öffnet. Es ist ein hufeisenförmiges Tal mit Hügelzügen, tiefen Senken, kleinen Bachläufen, die zum Hauptcreek eilen, mit Wald und viel Wild.
Es ist ein Land, in dem Milch und Honig zu fließen scheinen. Alles wirkt so vollkommen, so schön und unberührt.
»Wir werden eine Hütte bauen«, sagt Jim.
»Wenn die Hütte steht, wollen wir Hochzeit halten, Jim Chance, ja?«
✰✰✰
Die Wochen vergehen wie im Flug, und sie arbeiten hart von früh bis spät. Ausrüstung und Werkzeuge brachten sie ja auf zwei Packpferden mit, und zu essen gibt es reichlich. Denn die Jagd ist gut. Und da sie beide bei den Indianern lebten und unter ihnen aufwuchsen, verstehen sie sich auf alle Fertigkeiten, welche notwendig sind, will man in der freien Natur leben.
Es ist dann an einem schönen Indianertag, als sie Hochzeit halten, und sie machen alles sehr feierlich. Sie geloben sich einander laut und vernehmlich einander stets zu lieben, zu achten und zu ehren.
Danach wird ihre Einsamkeit inmitten der Natur noch mehr zu einem Paradies für sie. Ja, sie sind glücklich. Ehe sie es sich versehen, ist auch schon der Indianersommer vorbei.
Es wird allmählich kälter.
Eines Nachts erwacht Sue und sagt laut: »Jim!«
»Ja, mein Mädchen, was ist?«
»Ich hatte einen bösen Traum, Jim!«
»Erzähl ihn mir. Und sei dir bewusst, dass es nur ein Traum war. Was hast du so Böses geträumt?«
»Der Sumpf war zugefroren. Man konnte über den zugefrorenen Sumpf reiten! Und Rothorn kam mit all seinen Kriegern. Sie fingen dich. Ich warf mich vor Rothorns Füße und bat ihn um Gnade. Doch ...«
Sie stockt nun, will nicht weitererzählen.
Doch er nimmt sie in seine Arme und sagt ruhig: »Erzähle nur weiter, Sue, mein Liebes. Mach dich frei von diesem bösen Traum. Erzähl mir alles.«
»Sie töteten dich mit einem Dutzend Lanzen«, spricht sie weiter und zittert in seinen Armen. »Wie einen Käfer spießten sie dich am Boden auf. Und dann zog Rothorn mich an den Haaren hinter sich her.«
Sie schweigt nach diesen Worten.
Jim Chance aber lacht leise.
»Dieser Sumpf«, sagt er, »friert auch im schlimmsten Winter nicht zu.«
✰✰✰
Sie reiten langsam durch den Sumpf. Immer wieder halten sie an. Jim macht Sue auf alle wichtigen Landmarken aufmerksam, die man anvisieren muss, um stets die richtigen Zickzacklinien einzuhalten.
Sue gibt sich Mühe, alles in sich aufzunehmen. Dass sie viele Jahre unter Indianern leben musste, macht sie für solche Dinge aufnahmefähiger. Sie spürt auch deutlich eine gewisse, aus dem Sumpf aufsteigende Wärme, entdeckt da und dort ein Brodeln von aufsteigenden Blasen.
Ja, nun glaubt sie Jim erst richtig, dass der Sumpf auch im Winter nicht zufrieren kann. Überdies sind die Winter hier nicht besonders hart, denn dieses Land gehört ja noch fast zum südlichen Colorado. New Mexiko und der Pfannenstiel von Texas sind in Luftlinie kaum mehr als dreihundert Meilen entfernt.
Es ist dann schon fast Mittag, als sie aus guter Deckung den Rand des Sumpfes beobachten können. Der Tag hat sich nun auch so erwärmt, dass über dem Sumpf keine Nebel mehr aufsteigen.
Sie sehen Rothorns Dorf.
Es ist ein großes Dorf von mehr als zweihundert Tipis, ein Riesendorf sogar. Denn auf jedes Tipi muss man nach der alten Faustregel fünf Menschen rechnen, also Krieger, Frauen, Alte und Kinder.
Über etwa tausend Seelen gebietet dieser Rothorn.
Und er hat sich dort mit seinem Dorf festgesetzt wie für die Ewigkeit. Es ist klar, dass er an diesem Platz überwintern wird. Viele Zeichen deuten darauf hin.
Sue sieht Jim an.
»Ich will gar nicht hinaus«, sagt sie. »Mir gefällt es in unserer Hütte dort in jenem Tal hinter dem Sumpf. Wir werden im Sommer ein Kind haben, Jim. Ich werde nichts vermissen, denn ich lebte lange genug unter den Indianern. Ich weiß auch, wie die Squaws ihre Kinder zur Welt bringen und was dabei zu tun ist. Ich kann auch unser Kind wie eine Squaw zur Welt bringen – und ich muss es nicht mal in einem Tipi oder hinter einem Busch unterwegs tun, sondern habe ein Heim, eine feste Hütte, fast schon ein Haus. Wir brauchen hier nicht hinaus. Kehren wir also um.«
Er nickt ihr zuerst dankbar zu, weil er sich so sehr über ihre Worte freut. Dann aber schüttelt er leicht den Kopf.
»Aber wir sind keine Indianer«, murmelt er. »Auch ich fühle mich nicht als Indianer, obwohl ich zur Hälfte einer bin. Mein Vater war ein Weißer. Ich fühle und denke wie er. Und auch unser Kind soll nicht wie ein Indianer aufwachsen von Geburt an. Wir wollen dort in unserem Tal wie Weiße leben. Also brauchen wir ein paar wichtige Dinge. Bücher zum Beispiel. Ich kann lesen, schreiben und auch rechnen. Ich weiß, wie man den Inhalt einer Kugel berechnet. Mein Vater lehrte mich das alles. Und ich muss es vertiefen, verbessern, dieses Wissen. Ich muss es an dich und an unsere Kinder weitergeben. Ich muss dir die Bequemlichkeit einer weißen Frau schaffen. Du sollst nicht wie eine Squaw leben. Also muss ich reiten. Dort hinaus und an Rothorns Dorf vorbei. Ich kann das. Sie werden mich nicht sehen. Ich kann hinaus und wieder hinein. Es muss sein, Sue.«
✰✰✰
Als das Wetter schlecht wird, Regenwolken ganze Vorhänge niederrauschen lassen, da wagt es Jim Chance.
Er verlässt den Sumpf in einer rabenschwarzen Nacht, die er am Rand schon abwartete, weil er in dieser Nacht ja selbst nicht durch den Sumpf gekommen wäre.
Er reitet nicht den kostbaren Hengst, denn dieser würde gewiss zu wiehern beginnen, wenn er die große Pferdeherde des Dorfes und all die vielen anderen Hengste zu wittern bekäme.
Jim Chance hat zwei der Stuten mitgenommen. Sie werden nächstes Jahr Fohlen bekommen, und wenn er Glück hat, wird abermals solch ein Hengst geboren werden, wie es jener ist, den er bei Sue zurückgelassen hat.
Jim Chance führt die beiden Tiere aus dem Sumpf. Oh, er kennt die Stellen, wo der Boden weich genug ist, sodass nicht mal leiser Hufschlag zu hören ist. Er hat sich der Kleidung der weißen Männer entledigt und ist halb nackt wie ein Indianer.
Er kommt ziemlich weit und ist schon fast am Dorf vorbei, dessen Feuer er eine gute halbe Meile entfernt zu seiner Rechten leuchten sieht.
Als er schon glaubt, dass die Wächter des Dorfes schlafen und man wahrscheinlich auch den Rand des Sumpfes nicht scharf genug bewacht – es sind ja immerhin fast drei Meilen –, da fragt ihn eine kehlige Stimme: »Bist du das, Gelbvogel?«
Er hält inne, und er kennt ja die meisten Krieger dieses Dorfes. Er hat mit den meisten schon gejagt seit seiner Kindheit. Später – als sein Vater starb, der zuletzt nur noch Handel trieb mit den Indianern –, da hatte er das Handels- und Tauschgeschäft seines Vaters fortgesetzt.
Und dann sah er Sue. Von jenem Moment an wurde alles anders.
Nun ist er nicht überrascht. Denn in jeder Sekunde war er auf solch eine Begegnung gefasst.
Als er nun spricht, klingt seine Stimme wie die von Rothorn, nämlich tief, kehlig und etwas grollend. Ja, er kann Rothorns Stimme wirklich täuschend imitieren.
Und er sagt grollend, wie es Rothorn tun würde: »Warum blökst du in die Nacht wie ein einsames Büffelkalb? Wenn ich nicht Rothorn wäre, könnte es Wolfsboy sein, der sich aus dem Sumpf gewagt hat in dieser tiefen Nacht. Komm her, du hohles Ei, komm her zu Rothorn!«
Und der Wächter, der hier dieses alte Creekbett bewachen sollte, kommt sofort folgsam und eilig.
Er weiß zu gut, dass er Rothorn jetzt besser nicht durch Zögern oder Unwillen reizen darf.
Als er vor Jim Chance auftaucht, wartet dieser nicht erst noch, bis ihn der Krieger erkennt. Da sein Bein länger ist als sein Arm, lässt er es hochschnellen.
Er trifft voll die Magenpartie.
Der Krieger verbeugt sich artig und bekommt Jims Fäuste ins Genick. Er sagt nichts mehr, rührt sich auch nicht mehr.
Jim Chance sitzt auf und reitet davon.
✰✰✰
Es dauert eine ganze Weile, bis der Krieger wieder zur Besinnung kommt. Er liegt eine Weile stöhnend da und erträgt seine langsam sich lindernde Not.
Oh, er weiß jetzt genau, wer ihn zusammenschlug.
Wolfsboy, wie die Indianer Jim Chance nennen, so, wie sie seinen Vater einst Weißwolf nannten, ist also aus dem Sumpf gekommen.
Wenn Rothorn das erfährt, wird er verrückt werden vor Wut. Und er wird seinen Wächter hier vielleicht noch schlimmer schlagen, als es soeben Wolfsboy tat.
Der Krieger stöhnt nun vor Schmach. Dass er sich so leicht übertölpeln ließ, bringt ihm Schande ein im ganzen Dorf.
Sie werden ihn alle verspotten. Und auch das Mädchen, hinter dem er schon eine Weile her ist, wird ihn nicht mehr ansehen.
Er erhebt sich stöhnend, und er möchte brüllen vor Zorn. Auch möchte er jetzt diesem Wolfsboy nach, um mit ihm zu kämpfen und die Schmach zu tilgen.
Doch da hört er Gelbvogel kommen. Diesmal ist es wirklich Gelbvogel, der ihn hier ablösen kommt. Wahrscheinlich hat Gelbvogel sich auch mal wieder verspätet, wie er dies ja fast immer macht.
Er hört ihn nun fragen: »Nun, Kleiner Donner, was ist passiert? Hast du einen Uhu gehört, einen Nachtfalken oder einen Coyoten? Mehr wird doch wohl nicht gewesen sein – oder?«
»Nein«, sagt Kleiner Donner, »mehr war nicht.«
Gelbvogel stößt ein glucksendes Geräusch aus, welches fast wie ein Lachen klingt.
»Wolfsboy und die Schöne, die er Rothorn wegholte, liegen jetzt gewiss jenseits des Sumpfes unter ihren Decken und lieben sich. Rothorn aber kann von dieser Schönen mit dem Goldhaar nur träumen. Wolfsboy müsste verrückt sein, sich aus dem Sumpf zu wagen, solange hier das Dorf steht. Und er ist nicht verrückt. Wir aber müssen tun, was uns Rothorn sagt. Wir müssen uns hier wochen- und monatelang die Nächte um die Ohren schlagen. Als ich vorhin aus dem Zelt kroch und meine junge Squaw allein lassen musste, da beneidete ich Wolfsboy doppelt.«
Kleiner Donner grinst bitter in der Dunkelheit und macht sich davon. Einige Male hält er inne und massiert seinen schmerzenden Nacken. Aber er ist dennoch froh über seine Entscheidung, nichts gesehen, gehört und gespürt zu haben von Wolfsboy.
Sein Ansehen und Ruf innerhalb der Dorfgemeinschaft sind ihm wichtiger als Rothorns Interessen.
Mag Wolfsboy also ausgebrochen sein und sich mit seiner Squaw hier vorbeigeschlichen haben – was hat er davon, ob Rothorn ihn erwischt oder nicht?
✰✰✰
Jim Chance reitet drei Tage und drei Nächte zu den Ebenen hinunter, erreicht irgendwo den Arkansas River und hält sich an dessen Ufer.
Schon wenige Stunden später hat er Glück. Denn er sieht kurz vor Sonnenuntergang eine recht solide gebaute Anlegebrücke, bei der eine kleine Siedlung entstand. Ein breites Flachboot hat dort festgemacht, dazu noch einige andere Ruderboote, die bei günstigem Wind auch Segel setzen können.
Solche Flachboote verkehren auf fast allen Flüssen. Sie kommen von den großen Strömen herauf.
Jim Chance schnalzt zufrieden seinen Pferden zu. Denn nun ist er sicher, dass er dort unten alles kaufen kann, was er Sue so gern bringen will. Er ist jetzt auch nicht mehr als Indianer gekleidet, sondern wirkt ganz und gar wie ein dunkelhaariger, helläugiger Weißer.
Als er sich dem Flachboot und der kleinen Siedlung nähert, wird er sofort bemerkt. Einige Männer erscheinen auf der Bildfläche und treten ihm einige Schritte entgegen.
Einen der Männer kennt er.
Sloan Shane ist Trapper, Scout und Bergläufer so wie er. Sie trafen sich schon dann und wann.
Sloan Shane nickt ihm zu und hebt dann nach Indianerart seine Hände, zeigt ihm die Handflächen.
»Ich habe den Gentlemen schon gesagt, wer du bist«, sagt er danach. »Weißt du, Jim Chance, dies ist eine Jagdgesellschaft, kein Handelscamp. Wir wollen hier überwintern und jagen. Dieser Gentleman ist Sir Douglas Homewood und ...«
Er stellt ihm auch noch die anderen Männer vor. Die meisten sind so jung wie er oder noch jünger. Und sie alle lebten vor nicht langer Zeit noch in England. Sie sind offenbar die Söhne englischer Adliger, die sich die Welt ansehen und ein paar Abenteuer erleben wollen.
»Freund, haben Sie Indianer gesehen?«, fragt jener Sir Douglas Homewood schon bald, nachdem die Vorstellung beendet ist.
Jim Chance grinst ihn an.
»Drei Tagesritte von hier liegt Rothorns Dorf«, erwidert er. »Dort leben tausend. Und wenn die erst herausbekommen, dass ihr hier ein festes Wintercamp bezogen habt, dann werdet ihr ständig welche von ihnen zu Besuch haben. Hoffentlich habt ihr genug Tabak, Zucker, Mehl und andere Dinge. Auch Rosinen wollen sie immer haben.«
»Kommen Sie nur, Mister Chance«, winkt ihm Sir Douglas Homewood zu. »Sie sind natürlich unser Gast. Sie müssen uns viel erzählen. Wissen Sie, wir haben bisher nur Mister Sloan Shane als Kenner des Landes zum Berater. Wir würden aber auch gern mal einen anderen Kenner des Landes hören und viele Fragen stellen. Wir sind auch dabei, gute Jagdkarten zu fertigen. Wie wir von Mister Shane hörten, sind Sie ein Halbblut. Das sieht man Ihnen aber kaum an. Nun, kommen Sie, Mister Chance. Sie sehen, wir sind gewillt, Sie wie einen weißen Gentleman zu behandeln. Kommen Sie. Für Ihre beiden Pferde sorgen unsere Diener.«
Es bleibt Jim Chance nicht viel anderes übrig, als ihnen zu folgen. Denn er will ja etwas von ihnen. Er möchte sich noch weitere Wege sparen und mit ihnen einen Handel machen. Wenn sie erst sehen, was er ihnen zu bieten hat, werden sie ihm sicherlich eine Menge der von ihm gewünschten Dinge verkaufen. Er glaubt schon jetzt, dass sie mehr Zeug bei sich führen, als er in einem Store finden könnte.
Er folgt ihnen also auf das Flachboot und dort in die Kajüte, die für sie offenbar der große Zusammenkunftsraum ist, gewissermaßen der Saloon – oder wie in Old England der Club.
Es ist hier an Bord aber auch alles wirklich nobel ausgestattet.
Bald schon sitzt er in einem bequemen Ledersessel, stopft seine Pfeife mit vorzüglichem Tabak und trinkt echten Whisky aus Schottland.
Sie haben sich um ihn gruppiert. Und sie betrachten ihn neugierig. Er begreift, dass sie eine Menge von ihm erwarten. Offenbar genügt ihnen Sloan Shane nicht auf die Dauer.
Er begreift, dass sie eine Sorte von Menschen sind, wie er sie bisher noch nicht kennenlernen konnte. Seine Neugierde ist nicht weniger groß als ihre – nur richtet sie sich auf völlig andere Dinge. Sie sind ihm auch nicht besonders sympathisch, denn er findet sie von Anfang an sehr arrogant. Er spürt, dass sie zu ihm nur freundlich sind, weil sie tausend Fragen haben.
Er sagt deshalb nach einer Weile, als sie schon beim Abendessen sitzen und sich vorzüglich zubereitetes Hammelfleisch schmecken lassen, zu dem es allerlei andere Leckerbissen und auch Wein gibt: »Gentlemen, ich kann mich hier nicht lange aufhalten. Wahrscheinlich sind einige Krieger von Rothorns Dorf hinter mir her, um sich meinen Skalp zu holen. Ich muss noch in dieser Nacht wieder von hier verschwinden. Ich kann nicht auf den Tag warten. Wollen Sie mir aus Ihrem Vorratslager, welches gewiss sehr gut gefüllt ist, ein paar Dinge verkaufen, die für mich sehr wichtig, geradezu lebensnotwendig sind? Wissen Sie, ich habe in den Bergen eine Frau, von der ich nicht will, dass sie wie eine Squaw leben muss. Ich möchte ihr einige Behaglichkeit ermöglichen. Und ich zahle einen guten Preis.«
Sie hören seine Worte.
Und dann beginnen sie zu lächeln, zu lachen, und einer sagt: »Oh, er hat eine Frau bei sich in den Bergen. Hört ihr? Er hat eine Frau! Da ist er besser dran als wir. Ich wünschte, wir hätten auch ein paar Girls hier für die lange Winterzeit. Meint ihr nicht, dass wir dann mehr Kurzweil haben würden? Vielleicht kann er uns ein paar Indianermädchen herbeischaffen. Und dafür werden wir gut zahlen. Na?«
Nun lachen und grinsen sie alle rings um den Tisch.
Jim Chance, der richtig mit Messer und Gabel aß, weil sein Vater ihm dies alles beibrachte, legt sein Besteck hin und erhebt sich.
Ihm kommen diese Burschen immer mehr wie grüne Jungen vor.
Sloan Shane tut ihm leid.
Aber nun hat er genug.
»Ich sehe, Gentlemen«, sagt er, »dass ich von Ihnen nicht erhalten werde, was ich haben möchte. Also werde ich weiter nach Osten reiten – immer weiter, bis zur nächsten Siedlung oder einem fahrenden Store. Vielen Dank für Speis und Trank, Gentlemen.«
Doch Homewood sagt schnell vom Tischende her: »Einen Moment, mein Freund, einen kleinen Moment.«
»Ja?«
»Mit was wollen Sie zahlen? Geld? Haben Sie Felle, Pelze? Aber auf Ihren beiden Pferden waren keine Packlasten. Was haben Sie zu bieten, Mister Chance?«
Dieser greift in die Tasche, holt einen Lederbeutel heraus und wirft ihn auf den Tisch. Es gibt ein dumpfes, schweres Geräusch.
»Gold«, sagt Jim Chance.
Nun essen sie nicht mehr, und obwohl manche noch ihre Bissen im Mund haben, vergessen sie zu kauen.
Und auch Sloan Shane wird nun sehr wachsam und bekommt schmale Augen, indes seine Nasenflügel vibrieren.
Sie starren auf den Beutel.
»Gold – mein Gott, Gold«, sagt einer schließlich. »Das ist es, was wir alle gern hätten. Gold, eine riesige Goldader, das wäre ein Symbol des Erfolges. Nicht wahr, Freunde?«
Er sieht sich in der Tischrunde um.
Aber sie beachten ihn gar nicht, scheinen seine Worte nicht gehört zu haben.
Sir Douglas Homewood streckt dann seinen langen Arm aus und nimmt den schweren Beutel. Er öffnet ihn und kippt den Inhalt auf den Tisch.
Und nun sehen sie es alle.
Sloan Shane, der selbst schon im Land Gold gesucht und gefunden hat, sagt in die atemlose Stille: »Das lag in einem Creek. Rund und glatt gewaschene Nuggets! Das lag in einem Creek wie Kieselsteine. Wo ist der Goldcreek?«
Alle Blicke richten sich auf Jim Chance.
Dieser schüttelt den Kopf.
»Es war nur eine kleine Goldtasche in irgendeinem Creek, mehr nicht. Na, was ist? Kann ich bei euch einkaufen? Gebt ihr mir etwas ab von eurem Überfluss gegen Gold? Diese Nuggets sind eine Rarität. Davon lassen sich schöne Anhänger machen für die Damen. Das ist unbearbeitetes, glatt gewaschenes, fast pures Gold. Das sind gewissermaßen goldene Riesenperlen. Schöne Mitbringsel sind das für daheim gebliebene Ladys.«
Ja, er spricht so, weil er sie locken will.
Denn er braucht Wäsche, Decken, Werkzeuge, Proviant, Medizin, Bücher, Pulver und Blei, Nähzeug und viele, viele andere Dinge.
Sie greifen nun nach dem Gold.
Jeder nimmt sich etwas davon – auch Sloan Shane.
Jim macht sich noch keine Sorgen.
Denn solch feine Gentlemen wie diese hier, die müssen seiner Meinung nach doch ehrlich sein. Solche hochwohlgeborenen Söhne müssen doch zu stolz sein, einem armen Bergläufer und Trapper das Gold zu nehmen.
Nein, er macht sich noch keine Sorgen. Er kann sogar verstehen, dass sie sich etwas merkwürdig benehmen. Wahrscheinlich sehen sie zum ersten Mal pures Gold aus einem Creek.
Aber schon die nächsten Worte dieses Douglas Homewood verschaffen völlige Klarheit für sie alle.
Denn er sagt kalt und schneidend: »Ja, das sind schöne und wertvolle Mitbringsel für die Schönen daheim. Doch wir wollen mehr davon, sehr viel mehr! Wenn wir als erfolgreiche Heimkehrer gelten wollen, dann müssen wir einen ganzen Wagen voll davon mitbringen. Und wir werden das auch! Denn in diesem Creek sind noch mehr dieser Goldklumpen – noch sehr viel mehr. Dieser Goldcreek ist gewiss anstatt mit Kieselsteinen mit diesen Goldklumpen gefüllt. Und du wirst ihn uns zeigen, Bursche! Du wirst uns höllisch schnell zu diesem Creek bringen. Noch vor Tagesanbruch reiten wir los. Verstanden?«
Er fragt es scharf, und er starrt Jim Chance mit funkelnden Augen an.
Alle starren ihn an, und das Funkeln ihrer Augen verrät ihre Gier.
Sie sind verrückt, wie im Fieber.
Und mit einem Mal sind sie nicht mehr junge Engländer, die von ihren einflussreichen Familien in die weite Welt geschickt wurden, um zu reifen, sich zu bewähren. Nein, jetzt sind sie goldgierige Strolche, die einen verdammten Halbindianer dazu bringen wollen, ihnen die Lage eines Goldcreeks zu verraten.
Er begreift es schnell. Denn er hört sie durcheinanderreden, sieht ihre grinsenden und gierigen Gesichter, erkennt alles an ihnen, was er kurz zuvor noch nicht für möglich gehalten hätte.
Er hört sich leise, doch mit klirrender Härte sagen: »Gentlemen, treiben Sie den Scherz nicht zu weit.«
Er wendet sich an Sloan Shane und sagt zu diesem: »Bring sie zur Vernunft! Mach ihnen klar, dass man mich nicht ungestraft bestehlen kann. He, das sind ja völlig hirnlose Narren. Sag ihnen endlich, wie gefährlich es ist, so mit mir umzuspringen.«
Doch Sloan Shane schüttelt seinen zottigen Kopf.
Er ist älter als Jim Chance. Seine beste Zeit als Trapper und Bergläufer ist vorbei. Vielleicht nahm er deshalb diesen Job als Scout einer Jagd- und Forschungsgesellschaft an.
»Jim«, sagt er »du tust mir fast leid in deiner vertrauensseligen Harmlosigkeit. Weißt du denn immer noch nicht, wie schlecht diese Welt ist? Weißt du nichts von der Goldgier der Menschen? Warum sollten diese Gentlemen aus Old England eine Ausnahme machen? Also, mein Junge, schick dich drein! Führ uns morgen zu deinem Goldcreek. Denn das ist deine einzige Chance.«
Es wird still nach den Worten des Scouts.
Auch die fünf Gentlemen aus Old England schweigen.
Doch es ist ein böses Schweigen. Es hält an. Schließlich murmelt Douglas Homewood: »Ich glaube, wir müssen ihn erst mal ein wenig weichklopfen und seinen Stolz und Widerstand brechen. Ich glaube, wir sollten ihn an den Mast binden und ihm die Peitsche geben, bis er laut genug brüllt, dass er sich uns unterwirft und uns ein treuer Diener sein wird.«
Jim Chance glaubt nun, nicht richtig zu hören.
Aber dann fällt ihm ein, dass es drüben in Europa Leibeigene gibt, Sklaven – und dass Fürsten und Könige vor nicht langer Zeit noch Familienväter und Söhne in die Neue Welt als Soldaten verkauften.
Als er sich an diese Dinge erinnert, da wundert er sich über die Haltung seines »Gastgebers« nicht länger.
Sie verlassen nun die Tischrunde. Er weicht langsam zurück. Doch der Trapper Sloan Shane versperrt ihm den Ausgang zum Deck.
Doch mit Shane kann er fertig werden.
Er springt ihn an, trifft ihn mit beiden Füßen in den Bauch, sodass Shane mitsamt der aufspringenden Tür auf das Deck hinausgestoßen wird.
Jim Chance liegt nur einen Sekundenbruchteil mit seinen Schulterblättern auf den Planken. Er schnellt auf – und da sind die fünf goldgierigen »Gentlemen« auch schon um ihn.
Sie fallen über ihn her wie fünf gierige Hunde über einen Wolf, dem sie sich aufgrund ihrer Überzahl überlegen fühlen.
Sie wollen ihn zerbrechen. Die Gier nach Gold hat sie alles vergessen lassen, was ihnen einmal anerzogen wurde.
Nun, heute lernen einige von ihnen eine bittere Lektion.
Denn sie lassen sich nicht nur wie dumme Hunde mit einem ausgewachsenen Wolf, sondern mit einem Tiger ein, jawohl, mit einem Tiger.
Da er gleich am Anfang den Scout Sloan Shane mitsamt der Tür hinaus auf das Deck stieß, hat er zwar fünf Mann gegen sich, doch diese fünf Burschen aus Old England gingen noch niemals durch einen wilden und erbarmungslosen Grenzkampf, in dem es allein aufs Überleben ankommt.
Zuerst glauben sie wahrhaftig, ihn mit Tritten wie einen Hund am Boden halten zu können. Sie treffen ihn auch hart und gemein und erwarten dabei, dass er aufgeben und winseln, sich ihnen unterwerfen und ihnen Gehorsam geloben wird.
Aber dann lernen sie zum ersten Mal den Unterschied zwischen sich und einem richtig zähen und harten Grenzläufer kennen.
Er packt einen der nach ihm tretenden Füße und wirft sich herum, indes er den Fuß unter den Arm klemmt.
Der Besitzer des Fußes stößt einen grässlichen Schrei aus, und alle hören den Knochen brechen.
Nun brüllen sie auch auf, denn es wird ihnen schrecklich klar, in was sie sich einließen. Sie begreifen, dass sie ihn nicht bestrafen können, sondern ihre liebe Not haben werden, ihn niederzukämpfen.
Sie kapieren auch in diesen Sekunden, dass dieser Kampf einigen von ihnen vielleicht das Leben kosten wird.
Doch sie wollen und können nicht mehr aufgeben.
Sie müssen weitermachen.
Und deshalb greifen sie nach den Waffen.
Jetzt wollen sie ihn nicht mehr nur klein machen und unterwerfen, nein, jetzt wollen sie ihn erledigen.
Einer von ihnen, der zuerst seine einschüssige, englische Perkussions-Pistole auf ihn richtet, bekommt ein Wurfmesser auf kürzeste Entfernung in den Bauch.
Nun sind es nur noch drei, die gegen ihn kämpfen. Ja, jetzt wollen sie ihn töten, denn sie glauben, keine andere Wahl mehr zu haben.
Er entgeht einer Kugel, die einer der drei Gegner auf ihn abfeuert, und er rollt über den Boden, ergreift dabei die Pistole, die jener Gegner fallen ließ, der nun das Messer im Bauch stecken hat. Mit der Pistole in der Hand schnellt er auf und schießt zurück.
Er trifft voll.
Nun sind es nur noch zwei.
Sie brüllen um Hilfe, und er weiß, er muss auch sie niederkämpfen, will er hier mit seinen Pferden wegreiten und nicht ohne die Tiere in die Nacht flüchten müssen.
Denn inzwischen ist es draußen dunkel geworden.
Er greift sie an, und er trifft sie mit erbarmungslosen Hieben und Tritten. Er lässt ihnen keine Chance. Seine Erbitterung ist zu groß.
Dann lehnt er sich schnaufend an die Kajütenwand.
Eine Lampe fiel vom Tisch. Das Kreosotöl läuft aus dem Behälter und beginnt plötzlich zu brennen.
Er rührt keinen Finger, um zu löschen.
Als Sloan Shane durch die Öffnung der herausgebrochenen Tür kommt, sieht er ihn an.
»Nun, du Held, willst du auch noch was?«, fragt er Shane, und in seiner Stimme ist immer noch der bittere Zorn.
Sloan Shane sieht sich um.
Er sieht zwei Tote, einen stöhnenden Mann, dessen Fuß herumgedreht wurde – und zwei Bewusstlose, die unter den Trümmern der Kajüteneinrichtung liegen.
»Ganz hübsche Arbeit«, murmelt Sloan Shane. »Das hätte dein Vater auch nicht besser machen können. Nein, ich will keinen Streit mit dir, Jim Chance. Was ich sehe und spüre, reicht mir. Du hast mich fast in zwei Hälften getreten. Für mich ist das genug.«
Er lehnt nun ebenfalls an der Wand, hält sich jedoch den schmerzenden Leib. Vielleicht hat er böse innere Verletzungen erlitten. Nein, von ihm geht keine Gefahr mehr aus.
»Willst du das Feuer nicht löschen?«, fragt er Jim stöhnend.
Dieser blickt kurz auf die brennende Öllache.
»Nein«, sagt er dann, »ich werde das Feuer nicht löschen. Denn ich habe diesen Kampf nicht angefangen und bin deshalb auch nicht für die Folgen verantwortlich.«
Er macht eine kleine Pause, blickt sich noch einmal gründlich um und wendet sich wieder an den Scout, dem es immer noch nicht merklich besser geht. Denn er hält sich unentwegt den Leib und lehnt weiterhin an der Wand.
»Wen muss ich denn hier noch klein machen, damit ich wegkomme, ohne Haare zu lassen? He, Shane, sag's mir! Wie viele Narren muss ich noch klein machen?«
Da schüttelt der Scout den Kopf.
»Niemanden mehr«, sagt er. »Es gibt zwar hier noch etwa drei Dutzend Bedienstete, also Flussschiffer, Köche, Diener, Pferdepfleger und Kutscher – eben all die Leute, die zu solch hochwohlgeborenen Gentlemen gehören. Aber sie werden nicht kämpfen. Sie hätten auf Befehl gegen dich gekämpft, wenn ihre Herren zugesehen hätten. Doch da ihre Herren selbst gegen dich kämpften, steht ihnen das nicht mehr zu. Du kennst dich wohl nicht sehr mit den Gepflogenheiten dieser Kaste aus, was? Indem sie selbst mit dir kämpften, erhoben sie dich gewissermaßen in ihren eigenen Stand. Da mischt sich kein Diener mehr ein. So ist das unter feinen, englischen Gentlemen.«
Er grinst verzerrt und hustet dann mühsam.
»Ich glaube«, ächzt er, »du hast mich wirklich kaputtgemacht. Diese elenden Leibschmerzen lassen nicht nach. Sie werden schlimmer. Warum warst du so hart zu mir, mein Junge?«
»Ihr wart sechs – ich allein«, erwidert Jim Chance trocken. »Und ich habe irgendwo in den Bergen eine Frau, die auf mich wartet. Sie und das Kind, welches sie bekommen wird, wären verloren, könnte ich nicht zu ihnen zurück. Ich würde noch eine Menge mehr tun, um sie nicht vergeblich auf mich warten zu lassen. Verstehst du, Shane?«
Dieser nickt. »Und was nun?«, fragt er stöhnend. »He, was nun, Jim Chance?« Er stößt sich nach diesen Worten von der Kajütenwand ab, schwankt zu der brennenden Öllache und beginnt, sie mit langsamen Bewegungen auszutreten. Der Kajütenboden ist schon ziemlich stark angebrannt. Das Feuer hätte sich bald schon schneller ausgebreitet.
Es fällt ihm schwer, aber er löscht alles sorgfältig.
Jim Chance sieht sich indes nach seinen Nuggets um.
Sie alle lagen ja auf dem Tisch.
Aber der Tisch kippte um. Geschirr, Speisereste, Scherben der Gläser und viele andere Dinge bilden hier ein Durcheinander.
Jim Chance würde vielleicht sogar Stunden brauchen, bis er den letzten Nugget wieder gefunden hätte.
Er wendet sich der offenen Tür zu, durch die nun einige Männer in den Raum sehen. Eine Stimme fragt: »Haben die Gentlemen irgendwelche Befehle für uns?«
Jim Chance staunt nicht nur über die Frage selbst, sondern auch über den Tonfall, in dem sie gestellt wird. Dieser Tonfall ist eine Mischung von Respekt, Zurückhaltung, Gelassenheit, Würde und Selbstverständlichkeit.
Jim Chance ahnt nun endlich etwas von der Art englischer Herrensöhne. Und er möchte lachen.
Er hört Sloan Shane heiser sagen: »Oh, ihr würdigen Holzköpfe aus Old England! Seht ihr nicht, dass es Tote gab und Blut vergossen wurde? Kommt herein, und kümmert euch um eure Herren. Und lasst diesen Halbindianer zufrieden, sonst bringt der auch noch von euch einige um. Eure fünf Herren griffen ihn an, versteht ihr? Sie waren nicht fair zu ihm. Und das mussten sie büßen!«
Sie kommen jedoch immer noch nicht herein.
Doch Sir Douglas Homewood, dem Jim Chance den Fuß in die verkehrte Richtung drehte, stöhnt: »Kommt herein, und helft uns! Und lasst diesen Wilden abziehen, denn der ist ja verrückt wie ein Tiger. Kommt endlich, Leute!«
Aber da sagt Jim Chance: »Halt – nicht so schnell! Da wäre noch etwas zu klären, denke ich.«
»Was denn, du verdammter Indianer?« Sir Douglas Homewood fragt es knirschend vor Schmerz.
»Ich kam her, um einen fairen Handel mit euch zu machen«, erklärt ihm Jim Chance. »Mein Gold ist nun hier überall in diesem Raum verstreut. Ich will es nicht mühsam einsammeln. Also werden wir unseren Handel doch noch machen. Wo ist euer Lagerverwalter? Ihr werdet doch einen Mann haben, der für all eure Vorräte und die gesamte Ausrüstung verantwortlich ist, nicht wahr? Ihr werdet sicherlich sogar Bestandslisten führen. Ich habe mal gelesen, dass dies auf Schiffen und Expeditionen so üblich ist. Also her mit der Liste! Her damit! Ich möchte sehen, was ihr an Bord oder an Land im Lager habt. Vorwärts!«
Er bewegt sich durch den Raum, und er findet drei von diesen englischen, einschüssigen Perkussionspistolen.
Sie sind noch geladen.
Er tritt nun zu dem Mann, der immer noch sein Messer im Bauch hat.
»Willst du es selbst herausziehen, edler Lord?«, fragt er ihn grimmig.
Der junge Mann lebt noch und hat große Augen, so, als müsse er immer noch staunen, dass sein Leben nun so schnell vorbei ist. Denn er spürt genau, dass er stirbt.
»Nein«, murmelt er, »ich möchte es nicht rausziehen, solange ich noch lebe. Lass es mir noch eine Weile. Und schließlich hast du ja meine Pistole, mit der ich dich zu töten versuchte. Ist das kein guter Tausch? Eine wunderbare, erstklassige Pistole aus England gegen ein verdammtes Indianermesser?«
»Es ist ein schlechter Tausch – für dich«, sagt Jim Chance. »Aber weißt du, ich brauche das Messer. Ich muss auf dem Rückweg durch tausend Indianer noch damit meinen Skalp verteidigen. Also gib mir das Messer zurück. Und vielleicht wird es auch nicht so schlimm, wenn du es rausgezogen hast. Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass du Glück hattest.«
In den Augen des jungen Aristokraten ist plötzlich der Ausdruck der Hoffnung.
Er beißt seine Zähne aufeinander, verzerrt sein Gesicht vor Schmerz und zieht langsam das Messer heraus.
Dann verliert er die Besinnung.
Jim Chance wischt das Messer am Hosenbein des Bewusstlosen ab.
Dann richtet er sich auf und fragt: »Also, wo ist eure Bestandsliste?«
»Zum Teufel, Walker, hol sie endlich!« Sir Douglas Homewood knirscht es.
✰✰✰
Es ist eine knappe Stunde später, als Jim Chance sich auf den Heimweg macht.
Er hat außer seinem Sattelpferd und dem zweiten Tier, das er mitbrachte, nun noch ein drittes Pferd als zweites Packpferd bei sich.
Beide Tiere sind schwer beladen.
Denn er hat für sein Gold eine Menge eingekauft.
Er fühlt sich ausgebrannt und völlig erschöpft.
Aber er will noch einige Meilen reiten, bevor er sich einen guten Platz sucht für eine längere Rast. Er ist die vergangenen drei Tage und Nächte viele Meilen geritten, hat gekämpft und hat auch noch die schwere Aufgabe vor sich, wieder an den Indianern vorbei und durch den Sumpf zu Sue zu gelangen.
Er weiß nicht, dass die Indianer bis auf Kleiner Donner ja gar nichts von seinem Ausbruch wissen. Im Gegenteil, er muss vermuten, dass Rothorn mit einigen besonders ausgewählten Kriegern auf seiner Fährte reitet und ihm zumindest den Weg zurück zu Sue zu verlegen versucht.
Es ist wieder drei Nächte später, als er die Feuer von Rothorns Dorf leuchten sieht. Ja, das Dorf steht immer noch dort vor dem mehr als drei Meilen breiten Rand des Sumpfes. Er weiß jetzt, dass Kleiner Donner seinen Ausbruch verschwieg.
Und er ist sicher, dass Rothorn diese Grenze immer noch von seinen Kriegern bewachen lässt. Er kennt die Beharrlichkeit des Häuptlings, und ihm wird nun doch etwas mulmig, als er daran denkt, wie er wohl durch den Sumpf zurück – und damit auch zu Sue kommen kann.
Er blickt zum Himmel, und er wünscht sich jetzt ein Unwetter mit Wolkenbrüchen. Aber zu dunkel darf es auch wieder nicht sein. Denn dann würde er ja selbst nicht die wichtigen Landmarken und Orientierungspunkte erkennen können und schnell vom Weg abkommen.
Er braucht eine gewisse Helligkeit in der Nacht.
Und eigentlich ist diese Nacht gerade gut so in dieser Hinsicht.
Aber wie kommt er am Dorf vorbei bis zum Rand des Sumpfes?
Er wagt nicht mehr den Weg durch das trockene alte Creekbett, in dem Kleiner Donner ihn zum Glück für Gelbvogel hielt. Nein, noch mal kann er dieses Risiko nicht eingehen.
Oder doch?
Wäre nicht gerade dies der große Trick?
Der Wind kommt von der Pferdeherde des Dorfes. Er kann sie fast wittern. Und er hört dann und wann das Wiehern oder Schnauben der Tiere. Würde sich der Wind drehen, bekämen die Pferde des Dorfes Witterung von ihm. Das wieder würde die Wächter aufmerksam machen.
Was soll er tun? Was für einen Trick kann er anwenden?
Es ist heute sehr viel heller als vor sechs Nächten bei seinem Ausbruch.
Überdies hat er heute zwei schwer beladene und ziemlich erschöpfte Packtiere bei sich. Auch sein Sattelpferd ist fast erledigt von diesem Ritt.
Was also kann er tun?
Er sitzt ab und verkleidet sich wieder so, dass man ihn in der Nacht für einen Indianer halten kann. Er steckt sich diesmal sogar drei Federn ins Haar – oder bindet diese vielmehr mit einem Riemenstirnband am Kopf fest.
Dann sitzt er auf und nimmt rechts und links von sich die Packtiere an die Leinen.
Was soll er anderes tun?
Er muss frech sein.
Mit drei Pferden und in einer einigermaßen hellen Nacht kann man nicht schleichen.
Er muss also offen reiten.
Vielleicht trauen ihm die Indianer solche Frechheit nicht zu, und dies ist wahrscheinlich seine einzige Chance.
Und so reitet er los. Er lässt seine müden Pferde sogar traben, macht also einigen Lärm. In der Nacht wird er jetzt gewiss schon gehört und gesehen.
Aber vielleicht hält man ihn für einen von der Jagd heimkehrenden Krieger, der zwei Packpferde mit Büffelfleisch bei sich hat. So genau werden seine Packlasten nicht zu erkennen sein.
Er kommt ziemlich weit, ist fast schon am Dorf vorbei.
Doch nun wird es gefährlich, weil nun jeder, der ihn bemerkt, mehr und mehr erkennen muss, dass er gar nicht zum Dorf selbst, sondern an diesem vorbei zum Sumpf will.
Aber er kommt nochmals mehr als hundert Schritte weit.
Die letzten Zelte des Dorfes sind nun zu seiner Linken.
Bis zum Rand des Sumpfes ist es kaum mehr als eine halbe Meile.
Und da wird er auch schon angerufen.
»He, wer bist du? Wohin willst du?«
Es ist eine klare, scharfe Frage im Dialekt der Arapahoes.
Aber er beherrscht Arapahoe nicht schlechter als die Indianer selbst.
Und so erwidert er ebenso laut und scharf: »Fragt Rothorn! Der wird es euch sagen! Fragt Rothorn!«
Einen Moment lang bleibt es still, und er kommt noch mal mehr als ein Dutzend Yards weit.
Aber dann geht es los. Nun endlich haben es einige der Indianer begriffen. Sie laufen zwischen den Zelten hervor oder springen bei den Feuern auf.
Ein gellendes Geheul ertönt. Es wird wild, vielstimmig, böse.
Ja, jetzt begreifen sie schnell, dass sie reingelegt wurden von Wolfsboy, der mit ungeahnter Frechheit fast durch ihr Dorf ritt, bevor sie ihn anriefen und endlich erkannten. Sie sind nun hinter ihm her wie wilde Teufel hinter einer der Hölle entkommenen Seele.
Und er selbst heult nun ebenfalls.
Denn er muss seine müden Pferde in Bewegung halten, um mit ihnen im Sumpf verschwinden zu können.
Diesmal wird es knapp werden, sehr knapp.
✰✰✰
Vier Tage und Nächte wartet Sue geduldig auf Jim Chances Rückkehr.
Am fünften Tage reitet sie in den Sumpf, und sie muss sich höllisch anstrengen, um sich an all die Landmarken zu erinnern, die ihr dabei helfen, auf dem festen Weg zu bleiben.
Einige Male irrt sie sich und kann sich mit dem Pferd nur mit knapper Not wieder auf festeren Boden retten. Aber immer wieder versucht sie es neu und findet sich schließlich doch zurecht.
Sie erreicht dann die Stelle, wo sie mit Jim damals gehalten und das Indianerdorf aus sicherer Entfernung beobachtet hat.
Als sie sieht, dass im Dorf alles seinen normalen Gang geht, atmet sie erleichtert auf. Denn wenn sie Jim schon hätten, würde es dort in Rothorns Dorf rundgehen. Sie hat ja lange Jahre in diesem Dorf unter den Indianern leben müssen.
Sie erinnert sich immer wieder bitter an jenen Tag, da sie Rothorn aufgefallen war wegen ihrer Schönheit. Damals war sie noch ein Kind gewesen. Doch Rothorn hatte sie damals schon für sich reserviert. Von jenem Tag an hatte sie Rothorn schon fest gehört. Ihren Pflegeeltern war es eine Ehre, dass der Häuptling sie haben wollte. Denn sie stiegen dadurch selbst im Ansehen.
Dann vergingen nur noch wenige Jahre. Sie musste alles lernen, was eine gute Squaw beherrschen sollte, um später ihren Gebieter glücklich machen zu können.
Dann kam der Tag, an dem sie Rothorn gehören sollte.
Doch an diesem Tag kam auch Jim Chance, den die Indianer Wolfsboy nannten, wieder einmal in das Dorf.
Sue erinnert sich immer wieder an alles, auch an ihre Flucht.
Oh, sie liebt Jim so sehr, dass sie glaubt, sterben zu müssen, wenn sie ihn verliert. Und immer wieder stellt sie sich an diesem Tag die Frage: Wann kommt Jim endlich zurück?
Als es langsam dämmrig wird, reitet sie zurück. Denn sie kann und will nicht die ganze Nacht im Sumpf bleiben. Die Mücken haben sie schon schlimm genug zerstochen.
Aber schon am nächsten Morgen ist sie wieder an dieser Stelle. Es gibt hier hinter den Büschen einen winzigen trockenen Platz. Doch schon ihr Pferd muss bis zu den Knien im morastigen Wasser stehen.
Sie wartet den ganzen Tag, und sie kann das Leben und Treiben im Dorf in der klaren Luft des Colorado-Territoriums gut beobachten. Selbst die kleinsten Dinge sind klar und scharf zu erkennen.
Auch Rothorn kann sie einige Male sehen, wie er vor sein Zelt tritt und dann durch das Dorf geht. Sie wäre Rothorns dritte Frau geworden. Die beiden anderen Frauen kann sie den ganzen Tag bei der Arbeit beobachten. Sie gerben Leder, nähen und kochen. Es sind fleißige Frauen, die sich besonders darauf verstehen, Lederanzüge aus weichem Leder zu fertigen und mit kunstvollen Stickereien zu versehen. Diese Anzüge sind begehrte Tauschobjekte.
Der Tag des Wartens vergeht.
Jim kommt wieder nicht.
Aber wie sollte er das auch?
Er kann ja wohl nicht am hellen Tag durch das Dorf reiten.
Als es heute Nacht wird, kehrt sie nicht zurück in das weite Tal, in dem Jim mit ihr die feste Hütte baute. Nein, heute bleibt sie im Sumpf, obwohl dies für ihr gutes Pferd – es ist ja Jims Hengst – eine Zumutung ist.
Doch der Hengst scheint selbst auf seinen Herrn zu warten. Manchmal spürt Sue, wie das prächtige Tier zum Dorf wittert. Aber vielleicht wittert es nur die kaum mehr als eine Meile entfernte Pferdeherde der Indianer.
Sie holt den Hengst auf die kleine trockene Stelle und sitzt auf. Denn beide können sie nur mühsam auf dem trockenen Fleck verharren. Im Sattel hat sie auch einen besseren Überblick über die Büsche und all die anderen Sumpfgewächse hinweg auf das Dorf und die immer heller leuchtenden Feuer.
Allmählich wird die Nacht heller. Der Hengst unter ihr wird nun immer unruhiger, nachdem er so brav war den ganzen Tag, so, als wüsste er wie ein Hund, dass sie auf seinen Herrn warten.
Jetzt möchte der Hengst zurück. Und vielleicht kennt er sogar den Weg und könnte ihn ganz allein finden. Denn er ging ihn ja schon mehrmals. Ja, es könnte sein, dass der rote Hengst, den sie einfach nur Red nennen, den Weg durch den Sumpf ganz allein finden würde.
Sie will jedoch noch nicht zurück. Sie redet dem Tier immer wieder gut zu.
Und plötzlich wird dann klar, dass sie nicht umsonst gewartet haben.
Denn drüben im Indianerdorf wird es plötzlich lebendig.
In der Stille der Nacht hört sie den Lärm, obwohl die Entfernung mehr als eine Meile beträgt. Dann krachen Schüsse.
Für Sue ist es klar, dass Jim jetzt durchzubrechen versucht.
Sie verlässt ihren Platz und reitet auf dem Zickzackweg noch ein Stück vor, bis der Rand des Sumpfes nur noch drei oder vier Steinwurfweiten entfernt ist.
Sie sieht Jim kommen. Er hat zwei Packpferde bei sich, die hoch beladen sind mit Lasten.
Die Verfolger sind ziemlich dicht hinter ihm. Sie folgen ihm in den Sumpf, und das können sie jetzt ziemlich gefahrlos, weil sie ihm so dicht auf den Fersen sind, dass sie ja gewissermaßen den Weg gezeigt bekommen.
Sicherlich schießen sie mit Pfeil und Bogen. Dann und wann krachen Schüsse.
Sue sieht die Mündungsfeuer.
Sie erinnert sich, dass auch sie ein Gewehr mitführt. Es steckt in einem Sattelfutteral, und sie zieht es nun heraus. Es ist ein Burnside-Hinterlader, Kaliber 54, also eine Waffe neuesten Modells. Sie weiß, dass sie geladen ist. Und sie muss nur ein frisches Zündhütchen aus dem kleinen Fach im Schaft herausnehmen und aufsetzen.
Sie tut es, und dabei betet sie, dass sie Jim indes nicht vom Pferd schießen werden.
Er ist ihr nun schon sehr nahe, kaum noch einen Steinwurf weit entfernt. Aber er kann sich nur noch mühsam im Sattel halten. Ihr wird bewusst, dass Jim getroffen sein muss von Kugeln oder Pfeilen.
Nun wird sie ganz ruhig.
Denn sie weiß, dass sie nur diesen einen Schuss abgeben kann. Das Nachladen ist zu umständlich. Ihre Kugel muss treffen.
Sie beißt sich fest auf die Unterlippe und zielt auf den ersten Verfolger. Sie kann nicht erkennen, wer es ist, hofft aber, dass es Rothorn sein könnte.
Sie hält den Atem an, nimmt Druckpunkt und feuert dann.
Sie trifft voll. Das Pferd überschlägt sich nach hinten mit dem Reiter, und es gibt dort auf dem schmalen Weg durch den Sumpf ein schlimmes Durcheinander. Die Verfolger kommen einen Moment nicht weiter. Sie wagen es nicht, das Hindernis zu umreiten.
Jim Chance gewinnt den entscheidenden Vorsprung. Er kommt näher und näher. Sie hört ihn heiser keuchen: »Gut so, mein Mädchen! Gut so! Aaah, was bist du doch für ein prächtiges Mädchen!«
Er ist nun bei ihr. Sie erkennt den Pfeil, der aus seinem Rücken ragt. Sie möchte schreien vor Not und Furcht.
Doch er sagt: »Weiter, mein Mädchen, weiter! Ich halte schon noch eine Weile durch. Doch nimm mir eines der Pferde ab. Verliere es nicht. Denn es trägt tausend kostbare Dinge!«
Sie gehorcht. Seine Stimme macht ihr Mut.
Nur einmal sieht sie noch zurück.
Die Indianer folgen ihnen nicht mehr. Einige sind offenbar von dem schmalen, festen Weg abgekommen und kämpfen im Sumpf. Sie brauchen die Hilfe der anderen Krieger.
Jim Chance hat es noch einmal geschafft.
Aber er hat einen Pfeil im Rücken.
✰✰✰
Jim Chance braucht zwei Wochen, bis er wieder einigermaßen auf den Beinen ist. Und auch das hat er nur Sue zu verdanken, die es fertigbrachte, ihm die Pfeilspitze aus dem Rücken zu schneiden.
Jim wird gesund. Nach zwei Wochen nimmt er die Arbeit wieder auf. Und es gibt noch viel zu tun bis zum Anbruch des Winters.
Die Wochen vergehen. Es fällt sogar Schnee. Und der Sumpf friert einmal an einigen Stellen zu.
Dennoch, er bleibt unpassierbar. Manchmal liegt er völlig in Nebeln verborgen.
Jim und Sue leben ihr glückliches Leben. Da die Tage nun kurz sind, haben sie auch viel Zeit für andere Dinge. Jim brachte einige Bücher mit, auch eine Weltkarte und natürlich Schreibzeug und Papier.
Sue, die nur die Anfänge von Lesen und Schreiben lernte bei ihrer Mutter, bekommt nun richtigen Unterricht. Das macht ihr Freude. Und sie hat einen riesigen Ehrgeiz, aufzuholen und nicht länger den Bildungsstand einer Squaw zu haben.
Manchmal lässt Jim sie tagelang allein. Dann ist er auf der Jagd oder sucht überall im Creekbett nach Gold. Dabei bewegt er sich immer mehr auf die fernen Berge zu, aus deren Schluchten der Creek kommt.
Manchmal reitet Jim auch in den Sumpf und beobachtet Rothorns Dorf.
Eines Tages sieht Jim Chance aus seinem Versteck im Sumpf einen zweiten Reiter bei Rothorn.
Und diesmal erschrickt er.
Denn diesen Reiter kennt er gut. Es ist der Scout und Mountainman Sloan Shane.
Zum Teufel, was sucht Sloan Shane bei Rothorn?
Dass sie dort den Rand des Sumpfes abreiten, kann nur ein gemeinsames Interesse bedeuten. Sloan Shane muss es verstanden haben, sich bei Rothorn gut einzuführen. Wahrscheinlich brachte er Geschenke mit. Es ist ja jetzt in den Fünfzigerjahren noch nicht so, dass sich Weiße und Indianer gegenseitig umzubringen versuchen, wie es später der Fall sein wird.
Sloan Shane hat es also nicht zu schwer gehabt, mit Rothorn ins Geschäft zu kommen. Und für Jim Chance ist sofort klar, wie die »Geschäftsinteressen« verteilt sind. Denn Sloan Shane kam gewissermaßen auf der Spur des Goldes.
Das Gold, welches Jim Chance ihm und den fünf englischen Abenteurern zeigte, hatte genügt. Nun sind sie heiß auf dieses Gold.
Zumindest drei der Engländer haben den Kampf überlebt.
Jetzt ist Sloan Shane mit ihnen bei Rothorn. Es kann gar nicht anders sein.
Doch auch ihnen werden keine Flügel wachsen. Auch sie werden den Sumpf, der ja jedes Jahr größer wird, nicht überwinden können.
✰✰✰
Als es Frühling wird, beginnt man in Rothorns Dorf zu murren.
Denn solch ein Indianerdorf von mehr als tausend Seelen macht nicht nur in seiner Umgebung eine Menge Schmutz.
Seine Jäger müssen in immer weiterer Umgebung jagen, und es wird auch immer schwerer, gutes Fleisch heimzubringen und Pelztiere zu erbeuten.
Nach langen Monaten ist die weiteste Umgebung eines solchen Dorfes gewissermaßen ausgebeutet.
Aber das war bisher in all den Jahren nicht schlimm. Die Natur erholt sich schnell wieder. Man muss nur weiterziehen zu einem anderen Platz, wo Milch und Honig der Natur noch fließen, wo alles im Überfluss vorhanden ist und die Jäger leichte Beute machen.
Rothorn spürt schon bald, dass seine Leute fortziehen wollen, um sich wie jedes Jahr mit all den anderen Dörfern und Stämmen an den großen Flüssen zu treffen. Man sehnt sich auch nach Neuigkeiten, will Freunde und Vettern wiedersehen, Tauschgeschäfte machen.
Aber Rothorn zögert immer noch, obwohl das Murren seines Dorfes nun schon ein Grollen wird und er schon allein an den Blicken seiner Leute erkennen kann, wie unzufrieden sie mit ihm sind.
Eines Tages kommt dann wieder der Mountainman Sloan Shane mit den drei Engländern und einigen Dienern in das Dorf. Abermals bringen sie Geschenke mit.