Gabriel Lambert - Alexandre Dumas - E-Book

Gabriel Lambert E-Book

Dumas Alexandre

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  • Herausgeber: e-artnow
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Dieses eBook: "Gabriel Lambert" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Wichtige Angelegenheiten hatten ihn nach Guadeloupe gerufen, wo seine Familie beträchtliche Güter besaß, und er war erst seit einem Monat aus den Kolonien zurück. Dieses Wiedersehen gewährte mir große Freude, denn wir hatten früher in enger Verbindung miteinander gestanden. Zweimal begegneten wir beim Hinundhergehen einem Menschen, der d'Hornoy jedesmal auf eine höchst auffällige Weise anschaute." Alexandre Dumas (1802-1870) war ein französischer Schriftsteller. Heute ist er vor allem durch seine zu Klassikern gewordenen Historienromane bekannt, etwa Die drei Musketiere und Der Graf von Monte Christo.

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Seitenzahl: 182

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Alexandre Dumas

Gabriel Lambert

e-artnow, 2017 Kontakt: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel. Der Galeerensklave
2. Kapitel. Henri de Faverne
3. Kapitel. Das Foyer der Oper
4. Kapitel. Vorbereitungen
5. Kapitel. Die Allee de la Muette
6. Kapitel. Das Manuskript
7. Kapitel. Der Kranke
8. Kapitel. Eine Banknote für Franc
9. Kapitel. Eine Ecke des Schleiers
10. Kapitel. Ein furchtbares Geständnis
11. Kapitel. Abreise nach Paris
12. Kapitel. Die Beichte
13. Kapitel. Das Blumenmädchen
14. Kapitel. Die Katastrophe
15. Kapitel. Bicètre
16. Kapitel. Der Gehenkte
17. Kapitel. Protokoll

1. Kapitel. Der Galeerensklave

Inhaltsverzeichnis

Im Mai 1835 war ich in Toulon; ich bewohnte dort eine kleine Bastide, die mir einer meiner Freunde zur Verfügung gestellt hatte.

Diese Bastide lag ungefähr fünfzig Schritt von dem Fort Lamalgue entfernt, gerade der berühmten Schanze gegenüber, die im Jahr 1793 das Glück des jungen Artillerieoffiziers emporsteigen sah, der später General Bonaparte und endlich Kaiser Napoleon war.

Ich hatte mich in der lobenswerten Absicht zu arbeiten zurückgezogen. In meinem Kopf wogte ein sehr düsteres, sehr furchtbares Drama, das ich von ebendiesem Kopf auf das Papier übertragen wollte.

Dieses so furchtbare Drama hieß »Kapitän Paul«.

Doch ich bemerkte eines: daß man, um konzentriert arbeiten zu können, ein kleines, enges Zimmer und ein durch dunkle Vorhänge gedämpftes Tageslicht braucht. Die weiten Horizonte, das unabsehbare Meer, die riesigen Gebirge, das alles, besonders wenn es in die reine, goldene Luft des Südens getaucht ist, das alles führt geradenwegs zur Beschauung, und nichts entfernt den Menschen mehr von der Arbeit als die Beschauung.

Die Folge davon war, daß ich, statt »Kapitän Paul« auszuführen, »Don Juan von Marana« träumte. Die Wirklichkeit wandte sich dem Traum und das Drama der Metaphysik zu.

Ich arbeitete also nicht, wenigstens nicht bei Tage.

Ich beschaute, und ich gestehe, dieses Azurblau des Mittelmeers mit seinen goldenen Flittern, diese riesigen Berge, so schön in ihrer furchtbaren Nacktheit, dieser Himmel, so tief und düster in seiner Durchsichtigkeit, alles das zu sehen war herrlicher, als das zu lesen, was ich hätte schreiben können.

Es ist wahr, in der Nacht, wenn ich es über mich brachte, meine Fensterläden gegen die versuchenden Strahlen des Mondes zu schließen, wenn ich meine Blicke von dem sternenfunkelnden Himmel abzuwenden vermochte, wenn ich mit meinen Gedanken wieder eins war, errang ich die Herrschaft über mich zurück. Doch wie ein Spiegel hatte mein Geist den Widerschein der Bilder des Tages bewahrt, und es waren nicht mehr menschliche Geschöpfe mit ihren irdischen Leidenschaften, die mir erschienen, es waren schöne Engel, die auf Befehl Gottes mit einem Flügelschlag diese endlosen Räume durchzogen; es waren Geächtete, höhnische Dämonen, die, auf einem nackten Felsen sitzend, die Erde bedrohten; es war endlich ein Werk wie die »Göttliche Komödie«, wie das »Verlorene Paradies« oder wie »Faust«, das erschlossen werden wollte, und nicht mehr nur irgendeine Allerweltsdichtung.

Leider war ich weder Dante noch Milton, noch Goethe. Und wenn der Tag kam, zerstörte er mir die Arbeit der Nacht. Der Morgen brach an. Ich wurde durch einen Kanonenschuß geweckt und sprang aus dem Bett.

Ich öffnete mein Fenster, Lichtströme bemächtigten sich meines Zimmers und trieben alle die armen, über den hellen Tag erschrokkenen Gespenster meiner Schlaflosigkeit vor sich her. Da sah ich majestätisch einen prachtvollen Dreimaster, die »Triton« oder die »Montebello« auf der Reede schwimmen; und direkt vor meiner Villa, als geschähe es zu meiner Unterhaltung, ließ er seine Mannschaft manövrieren und seine Kanoniere Übungen vornehmen.

Dann kamen die Tage des Sturms, die Tage, wo der so reine Himmel sich mit düsteren Wolken verschleierte, wo das so azurne Mittelmeer aschgrau wurde, wo der so sanfte Wind sich in einen Orkan verwandelte.

Da war dann nicht mehr der weite Spiegel des Himmels; die so ruhige Oberfläche begann zu kochen wie an dem Feuer eines unterirdischen Ofens. Die Wellen wurden zu Bergen. Die sanfte blonde Amphitrite schien, wie ein empörter Riese, den Himmel erklettern zu wollen, krümmte und rang die Arme in den Wolken und heulte mit jener mächtigen Stimme, die man nicht mehr vergißt, wenn man sie einmal gehört hat.

Heulte, daß mein armes Drama in Fetzen ging.

Ich klagte eines Tages bei dem Hafenkommandanten über diesen Einfluß der Umwelt auf meine Einbildungskraft und erklärte, ich wäre so müde, gegen diese Eindrücke anzukämpfen, daß ich mich als besiegt bekenne und entschlossen sei, vom nächsten Tag an die ganze Zeit, die ich noch in Toulon bleiben würde, nichts als ein beschauliches Leben zu führen.

Im Verlauf des Gesprächs fragte ich ihn, an wen ich mich wenden könnte, eine Barke zu mieten. Eine Barke war die erste Notwendigkeit des neuen Lebens, das mich der Geist in seinem Sieg über die Materie anzunehmen zwang.

Der Hafenkommandant antwortete mir, er werde an mich denken und dafür sorgen, daß ich das Gewünschte bekäme.

Als ich am nächsten Morgen mein Fenster öffnete, erblickte ich zwanzig Schritt unter mir eine reizende Barke, die sich am Ufer schaukelte. Sie war mit zwölf Galeerensklaven bemannt, aber gleichzeitig auch mit einem Segel versehen.

Ich dachte mir, das wäre gerade die Barke, wie ich eine brauchte, da sah ich auch schon den Aufseher, sobald er mich erblickte, seinen Kahn anlegen lassen, an das Ufer springen und auf die Tür meiner Bastide zuschreiten.

Ich ging dem ehrenwerten Besuch entgegen.

Er zog ein Schreiben aus seiner Tasche und übergab es mir.

Es war in folgenden Worten abgefaßt:

»Mein lieber Metaphysiker! Da man die Dichter nicht von ihrem Beruf abwendig machen muß und da Sie sich über den Ihrigen, wie es scheint, bis jetzt getäuscht haben, so schicke ich Ihnen die gewünschte Barke; Sie können die ganze Zeit, die Sie in Toulon wohnen werden, vom Öffnen bis zum Schließen des Hafens darüber verfügen.

Sollten Ihre Augen, zuweilen müde, den Himmel zu betrachten, versucht sein, wieder auf die Erde herabzusteigen, so finden Sie um sich her zwölf Burschen, die Sie leicht und durch ihren Anblick allein vom Idealen zur Wirklichkeit zurückführen werden.

Es versteht sich von selbst, daß Sie vor ihnen weder Ihre Juwelen noch Ihr Geld zeigen dürfen.

Das Fleisch ist schwach, wie Sie wissen, und da ein altes Sprichwort sagt, man solle Gott nicht versuchen, darf man noch viel weniger den Menschen versuchen, besonders wenn dieser Mensch schon einmal der Versuchung erlegen ist.

Ganz der Ihre«

Ich rief Jadin und teilte ihm unser Glück mit. Zu meinem großen Erstaunen nahm er die Kunde nicht mit der Begeisterung auf, die ich erwartet hatte; die Gesellschaft, in der wir leben sollten, kam ihm ein wenig gemischt vor.

Da er jedoch nach einem flüchtigen Blick, den er auf unsere Mannschaft geworfen hatte, unter den roten Mützen, mit denen sie geschmückt waren, einige charakteristische Köpfe bemerkte, faßte er philosophisch seinen Entschluß, gab unseren neuen Dienern durch ein Zeichen zu verstehen, sie sollten sich nicht rühren, trug einen Stuhl zum Strand, nahm Papier und Kohle und begann eine Skizze von der Barke und ihrer furchtbaren Mannschaft.

Diese zwölf Männer, die hier ruhig, sanft und gehorsam unserer Befehle harrten und ihnen zuvorzukommen suchten, hatten in der Tat jeder ein Verbrechen begangen:

Die einen waren Diebe, die anderen waren Brandstifter, die dritten waren Mörder.

Die menschliche Gerechtigkeit hatte sich ihrer bemächtigt; es waren ihrer Ehre benommene, gebrandmarkte, von der Welt abgeschnittene Wesen. Es waren keine Menschen mehr, sondern Dinge; sie hatten keine Namen mehr, es waren Nummern. Vereinigt bildeten sie eine Gesamtheit; diese Gesamtheit war das schändliche Ding, das man Bagno nennt.

Der Hafenkommandant hatte mir offenbar ein seltsames Geschenk gemacht.

Und dennoch war es mir nicht unangenehm, diese Menschen von nahem zu sehen, Menschen, deren Titel allein, in einem Salon ausgesprochen, Schrecken verbreitet.

Ich näherte mich ihnen, sie standen auf und nahmen ihre Mützen ab.

»Meine Freunde«, sagte ich, »ihr wißt, daß euch der Hafenkommandant für die ganze Zeit, die ich in Toulon bleiben werde, zu meiner Verfügung gestellt hat?«

Keiner von ihnen antwortete, weder durch ein Wort noch durch eine Gebärde. »Ich hoffe, ich werde mit euch zufrieden sein«, fuhr ich fort, »ihr aber, seid unbesorgt, werdet auch mit mir zufrieden sein.«

Dasselbe Stillschweigen.

Ich begriff, daß dies eine Sache der Disziplin war.

Ich holte einige Geldstücke aus der Tasche und bot sie ihnen mit der Bemerkung an, sie möchten damit auf meine Gesundheit trinken, doch nicht eine Hand streckte sich aus, um sie zu nehmen.

»Es ist ihnen verboten, etwas anzunehmen«, sagte der Aufseher.

»Und warum das?« fragte ich.

»Sie dürfen kein Geld besitzen.«

»Aber Sie – können Sie ihnen nicht erlauben, ein Glas Wein zu trinken, bis wir bereit sind?«

»Aber natürlich!« »Nun, so lassen Sie ein Frühstück aus der Schenke des Forts holen, ich werde bezahlen.«

»Ich sagte es schon dem Kommandanten«, versetzte der Aufseher, mit einer und derselben Bewegung den Kopf und die Schultern schüttelnd, »ich sagte es schon, Sie würden sie mir verderben. Doch da sie in Ihrem Dienste stehen, müssen sie wohl tun, was Sie wollen. Vorwärts, Gabriel; im Fort Lamalgue holst du Brot, Wein und ein Stück Käse.«

»Ich bin im Bagno, um zu arbeiten, nicht aber um Ihre Aufträge auszuführen«, antwortete derjenige, an den dieser Befehl gerichtet war.

»Ach, richtig; ich vergaß, daß du ein zu vornehmer Herr bist, um das zu tun, Herr Doktor; doch da es sich ebensogut um dein Frühstück handelt als um das der anderen …«

»Ich habe meine Suppe gegessen, und mich hungert nicht«, antwortete der Galeerensklave. »Entschuldigen Sie – nun wohl! Rossignol wird nicht so stolz sein. Vorwärts, Rossignol, mein Sohn.«

Die Vermutung des ehrenwerten Aufsehers war richtig. Derjenige, an den das Wort gerichtet gewesen war und der ohne Zweifel seinen Namen dem Mißbrauch verdankte, den er mit dem geistreichen Instrument getrieben hatte, mit dessen Hilfe man den fehlenden Schlüssel zu ersetzen pflegt, mit einem Dietrich, stand auf, schleppte seinen Kameraden hinter sich her – im Bagno sind bekanntlich immer zwei Sträflinge aneinandergekettet – und ging auf die Schenke zu, die uns mit Lebensmitteln zu versehen die Ehre hatte.

Mittlerweile warf ich einen Blick auf den Widerspenstigen, dessen wenig ehrfurchtsvolle Antwort zu meinem großen Erstaunen anscheinend keine Strafe nach sich zu ziehen schien. Der jedoch hatte den Kopf von mir abgewandt, und da er diese Stellung mit einer Beharrlichkeit behauptete, die das Resultat eines festen Entschlusses zu sein schien, konnte ich sein Gesicht nicht sehen; aber ich prägte mir sein blondes Haar und seinen roten Schnurrbart ein, kehrte in meine Bastide zurück und nahm mir vor, den Mann in einem günstigen Augenblick näher zu betrachten.

Ich gestehe, daß mich meine Neugier veranlaßte, mein Frühstück zu beschleunigen. Ich trieb auch Jadin, der meine Ungeduld nicht begriff, zur Eile und kehrte zum Strand zurück.

Unsere neuen Diener waren nicht so weit vorgerückt wie wir: Wein vom Fort Lamalgue, Weißbrot und Käse waren für sie etwas Außergewöhnliches, etwas, das sie sonst gar nicht hatten, und so zogen sie den Genuß ihres Mahles in die Länge.

Rossignol und sein Gefährte besonders schienen dieses Glück im höchsten Grad zu schätzen.

Fügen wir hinzu, daß der Aufseher seinerseits menschlich genug war, es wie seine Untergebenen zu machen: Nur hatten seine Untergebenen eine Flasche für zwei, während er zwei Flaschen für sich allein hatte.

Jener Gabriel war zwar von seinem Kettengenossen, der nicht auf das Mahl verzichten wollte, gezwungen worden, sich mit den andern zu setzen; aber in seiner menschenfeindlichen Stimmung schaute er ihnen nur verächtlich zu, wie sie speisten, ohne irgend etwas anzurühren.

Als die Galeerensklaven mich erblickten, standen sie alle auf, obgleich ihr Mahl, wie gesagt, noch nicht verzehrt war; ich gab ihnen jedoch durch ein Zeichen zu verstehen, sie mögen beenden, was sie so gut angefangen, und ich würde warten.

Der Mann, den ich sehen wollte, hatte keine Mittel mehr, meine Blicke zu vermeiden.

Ich schaute ihn also in aller Ruhe an, obgleich er seine Mütze absichtlich, um dieser Prüfung zu entgehen, bis an die Augen gezogen hatte.

Er mochte ungefähr achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt sein; im Gegensatz zu seinen Nachbarn, auf deren roher Physiognomie man leicht die Leidenschaften lesen konnte, die sie an den Ort geführt hatten, wo sie nunmehr waren, hatte er eines von den verwaschenen Gesichtern, bei denen man von einer gewissen Entfernung an keinen Zug erkennt. Sein Bart – es war ein Vollbart – war spärlich und von einer falschen Farbe und vermochte seinem Gesicht keinen bestimmten Charakter zu geben.

Seine hellgrauen Augen schweiften unentschieden von einem Gegenstand zum andern, ohne sich durch irgendeinen Ausdruck zu beleben; seine Glieder waren schwächlich und schienen von der Natur durchaus zu keiner anstrengenden Arbeit bestimmt zu sein. Kurz, von den sieben Todsünden, die auf der Erde im Namen des Feindes der Menschheit Anhänger werben, war diejenige, unter deren Banner er sich hatte aufnehmen lassen, off enbar die Trägheit.

Ich hätte also meine Blicke schnell wieder von diesem Menschen abgewandt, der, wie ich mit Bestimmtheit annahm, zum Studium nur ein Verbrechen zweiten Ranges zu bieten vermochte, wäre nicht durch eine schwache Erinnerung meinem Gedächtnis zugeflüstert worden: Du siehst ihn nicht zum erstenmal.

Leider war es, wie erwähnt, eine von jenen Physiognomien, bei denen nichts auffällt, eine von jenen, die, abgesehen von ganz besonderen Gründen, keinen Eindruck hinterlassen.

Während ich überzeugt blieb, daß ich diesen Menschen schon gesehen haben mußte – was dadurch, daß er meine Blicke so beharrlich vermied, bestätigt wurde –, war es mir unmöglich, mich zu erinnern, wo und wie ich ihn gesehen.

Ich näherte mich dem Aufseher und fragte ihn nach dem Namen desjenigen meiner Gäste, der meinem Mahl so wenig Ehre erwies.

Er hieß Gabriel Lambert.

Dieser Name unterstützte mein Gedächtnis durchaus nicht; ich hörte ihn zum erstenmal. Ich glaubte, ich hätte mich getäuscht, und da Jadin auf der Schwelle unserer Villa erschien, ging ich ihm entgegen.

Jadin brachte unsere zwei Flinten; wir hatten an diesem Tag nichts anderes vor, als Seevögel zu schießen.

Ich sprach ein paar Worte mit Jadin und empfahl ihm, den Mann, welcher der Gegenstand meiner Neugier war, aufmerksam zu betrachten. Doch Jadin erinnerte sich nicht, ihn gesehen zu haben, und der Name Gabriel Lambert war ihm wie mir völlig fremd.

Mittlerweile hatten unsere Galeerensklaven ihr Mahl beendet; sie standen auf, um wieder ihren Posten in der Barke einzunehmen; wir näherten uns dem Boot ebenfalls. Und da wir, um es zu erreichen, von Fels zu Fels springen mußten, machte der Aufseher diesen Unglücklichen ein Zeichen, und sie traten sofort bis an die Knie ins Wasser, um uns zu helfen.

Dabei bemerkte ich etwas Eigenartiges: Denn anstatt uns die Hand als Stütze zu reichen, wie es Matrosen zu tun pflegen, boten sie uns den Ellenbogen.

War dies die Folge eines vorher gegebenen Befehles? Geschah dies in der demütigen Überzeugung, ihre Hand wäre unwürdig, die Hand eines ehrlichen Menschen zu berühren? Gabriel Lambert war schon mit seinen Gefährten in der Barke und hatte zum Riemen gegriff en.

2. Kapitel. Henri de Faverne

Inhaltsverzeichnis

Wir fuhren ab; doch wie groß auch die Zahl der Möwen war, die uns umflatterten, meine Aufmerksamkeit blieb einem einzigen Ziel zugewandt. Je mehr ich diesen Menschen anschaute, desto mehr kam es mir vor, als wäre er mir vor nicht allzulanger Zeit auf irgendeine Weise begegnet. Wo das? Wie das? – Dessen konnte ich mich nicht erinnern.

Zwei bis drei Stunden vergingen bei diesem hartnäckigen Nachsuchen in meinem Gedächtnis, doch ich führte kein Resultat herbei.

Der Galeerensklave schien so sehr darauf bedacht, meinen Blick zu meiden, daß der Erfolg, den dieser Blick offenbar bei ihm hervorbrachte, mir peinlich zu werden begann; deshalb bemühte ich mich schließlich, an etwas anderes zu denken.

Doch man weiß, wie bohrend das ist, wenn man sich an etwas Bestimmtes erinnern will, ohne daß es gelingt. Unwillkürlich kam ich immer wieder darauf zurück.

In der Überzeugung, daß ich mich nicht täuschte, bestärkte mich noch der Umstand, daß, sooft ich die Augen von ihm abgewandt hatte, er jedesmal zu mir herüberblickte, was ich an seiner schnellen Bewegung feststellen konnte, mit der er den Kopf wegdrehte, sah ich wieder zu ihm.

So verging der Tag: Wir landeten einige Male. Ich war in jener Zeit damit beschäftigt, die Lebensereignisse von Murat zusammenzustellen und zu ordnen, und ein Teil dieser Ereignisse war an den Orten vorgefallen, wo wir uns befanden; bald bat ich Jadin, eine Zeichnung für mich zu entwerfen, bald wollte ich eine einfache Untersuchung der Örtlichkeit vornehmen.

Jedesmal näherte ich mich dem Aufseher, um ihn zu befragen, doch jedesmal begegnete ich dem Blick Gabriel Lamberts, der mir so demütig, so flehend vorkam, daß ich die Erläuterung, die ich verlangen wollte, auf später verschob.

Um fünf Uhr nachmittags kehrten wir zurück.

Da der Rest des Tages dem Mittagessen und der Arbeit gewidmet sein sollte, entließ ich meinen Aufseher und seine Truppe und bestellte ihn für den nächsten Morgen um acht Uhr.

Unwillkürlich konnte ich an nichts anderes denken als an diesen Menschen. Es ist uns allen zuweilen vorgekommen, daß wir in unserer Erinnerung einen Namen suchen, den wir nicht wiederfinden, und dennoch haben wir diesen Namen einst ganz genau gewußt. Dieser Name flieht gleichsam das Gedächtnis, wir haben den Klang im Ohr, die Form im Geist; ein flüchtiger Schimmer erleuchtet ihn, er will mit einem Ausruf aus unserem Mund hervor, plötzlich aber entweicht dieser Name abermals, versenkt sich wieder tiefer ins Dunkel und verschwindet ganz und gar, so daß man sich am Ende fragt, ob man ihn nicht im Traum gehört habe. Und schließlich kommt es einem vor, als müsse sich der Geist, werde er seine Forschung weiter fortsetzen, in der Finsternis verlieren und an die Grenzen des Wahnsinns gelangen.

So ging es mir während des ganzen Abends und während eines Teils der Nacht.

Nur war es seltsamerweise nichts Abstraktes, nicht ein Ton ohne Körper, was mich floh, sondern ein Mensch, den ich fünf bis sechs Stunden unter den Augen gehabt, den ich mit dem Blick hatte befragen können, den ich mit der Hand zu berühren imstande gewesen wäre.

Diesmal gab es wenigstens keinen Zweifel für mich: Es war weder ein Traum, den ich gehabt, noch ein Gespenst, das mir erschienen: Ich war mir der Wirklichkeit sicher und erwartete den Morgen voll Ungeduld.

Schon um sieben Uhr war ich an meinem Fenster, um die Barke kommen zu sehen.

Ich erblickte sie, als sie aus dem Hafen herausfuhr, einem schwarzen Punkt ähnlich; je näher sie kam, desto deutlicher wurde ihre Form.

Anfangs sah sie aus wie ein großer Fisch, der auf der Oberfläche des Meeres schwamm; das Ungeheuer schien mit Hilfe seiner zwölf Füße auf dem Wasser zu marschieren.

Dann unterschied man die Menschen und endlich die Züge ihrer Gesichter.

Doch bis zu diesem Punkt gelangt, suchte ich vergebens Gabriel Lambert; er fehlte, und zwei andere Sträflinge hatten ihn und seinen Gefährten ersetzt.

Ich lief zum Ufer.

Die Galeerensklaven glaubten, ich hätte Eile, mich einzuschiff en, und sprangen ins Wasser, um die Kette zu bilden; doch ich gab ihrem Wächter durch ein Zeichen zu verstehen, er möge zu mir kommen, damit ich allein mit ihm sprechen könnte.

Er kam. Ich fragte ihn, warum Gabriel Lambert nicht mitgekommen wäre.

Er antwortete mir, Lambert habe vom Dienst freigesprochen zu werden verlangt, da er von einem heftigen Fieber befallen wäre, was ihm auch auf ein ärztliches Zeugnis hin bewilligt worden sei.

Während ich mit dem Aufseher sprach, über dessen Schulter ich die Barke und die Leute, mit denen sie bemannt war, sehen konnte, zog einer von den Galeerensklaven einen Brief aus der Tasche und zeigte ihn mir.

Es war der, den ich unter dem Namen Rossignol kennengelernt hatte. Ich begriff, daß es Gabriel möglich geworden war, mir zu schreiben, und daß es Rossignol übernommen hatte, sein Bote zu sein. Ich erwiderte mit einer Gebärde des Einverständnisses das Zeichen, das er mir machte, und dankte dem Aufseher.

»Wünschte ihn der Herr vielleicht zu sprechen?« fragte mich der Aufseher. »In diesem Fall würde ich ihn selbstverständlich, krank oder nicht krank, morgen kommen lassen.«

»Nein«, erwiderte ich, »es ist mir gestern nur sein Gesicht aufgefallen, und als ich ihn heute nicht unter seinen Kameraden sah, erkundigte ich mich nach der Ursache seiner Abwesenheit. Es scheint mir, dieser Mensch steht über denen, mit welchen er zusammen ist.«

»Ja, ja«, sagte der Aufseher, »es ist einer von unseren Herren; er mag machen, was er will, man sieht es sogleich.«

Ich wollte meinen braven Aufseher fragen, was er unter den Worten »unsere Herren« verstünde, als ich Rossignol sah, der, während er zugleich seinen Kettengefährten nach sich zog, einen Stein aufhob und den Brief, den er mir gezeigt hatte, unter diesem Stein verbarg.

Von nun an hatte ich, wie man leicht begreift, nur noch ein Verlangen: das, diesen Brief zu lesen.

Ich entließ den Aufseher mit einer Kopfbewegung, die ihm andeutete, daß ich ihm nichts mehr zu sagen hatte, und setzte mich zu dem Stein.

Er kehrte sogleich zurück, um seinen Platz im Vorderteil der Barke wieder einzunehmen.

Während dieser Zeit hob ich den Stein auf und bemächtigte mich des Briefes, und seltsamerweise nicht ohne eine gewisse innere Bewegung.

Ich begab mich wieder in meine Wohnung. Dieser Brief war auf ein grobes Schulpapier geschrieben, aber sauber und mit einer gewissen Zierlichkeit zusammengelegt.

Die Schrift war klein, fein und von einem Charakter, der einem Schreiber von Profession Ehre gemacht hätte.

Der Brief war überschrieben: »An Herrn Alexandre Dumas.«

Dieser Mensch hatte mich also auch erkannt.

Rasch öffnete ich den Brief und las wie folgt:

»Mein Herr,

ich habe gestern Gesehen, wie ser Sie sich anstrenkten, Mich zu erkennen, und Sie mußten sehen, wie ser ich Mich anstrengte, nicht erkant zu werden.

Sie begreifen, daß unter allen Temütigungen, denen Wir preisgegeben sind, eine der Größten diejenige ist, daß Wir uns, Unserer Würde entgleidet, wie wir dies sind, einem Manne gegenüber befinden, den wir in der Gesellschaft getroff en haben.

Ich habe Mir also das Fieber gegeben, um mir heute diese Temütigung zu ersparen.

Sollten sie einiges Mitleid für einen Unglücklichen empfinden, der, Er weiß es wohl, nicht einmal ein Recht auf Mitleid hat, so verlangen Sie nicht, mein Herr, daß Ich in Ihren Dienst zurückkehre; ich wage es sogahr, Mir noch mehr von Ihnen zu erbitten: Richten Sie keine Frage an Mich über meine Person.