Game On - Der Einsatz ist dein Leben - J.D. Barker - E-Book
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Game On - Der Einsatz ist dein Leben E-Book

J.D. Barker

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Beschreibung

Er will ein Spiel mit dir spielen. Und der Einsatz ist dein Leben. Genialer Nervenkitzel mit furiosem Finale!

Als Officer Cole Hundley das Gebäude des Radiosenders SiriusXM betritt, um der berüchtigten Talkshow-Moderatorin Jordan Briggs einen Strafzettel zu überbringen, ahnt er nicht, dass sein Tag eine tödliche Wendung nehmen wird. Denn als ein Fremder während der Live-Sendung anruft und ein scheinbar harmloses Entweder-oder-Spiel mit der Moderatorin spielen will, detonieren plötzlich mehrere Bomben rund um New York City. Mit einem Mal befindet sich Hundley inmitten der perfiden Mordpläne des unbekannten Anrufers. Aber wie soll man jemanden aufhalten, der offenbar jedes noch so kleine Detail eingeplant hat?

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Buch

Als Officer Cole Hundley das Gebäude des Radiosenders SiriusXM betritt, um der berüchtigten Talkshow-Moderatorin Jordan Briggs einen Strafzettel zu überbringen, ahnt er nicht, dass sein Tag eine tödliche Wendung nehmen wird. Denn als ein Fremder während der Live-Sendung anruft und ein scheinbar harmloses Entweder-Oder-Spiel mit der Moderatorin spielen will, detonieren plötzlich mehrere Bomben in New York City. Mit einem Mal befindet sich Hundley inmitten der perfiden Mordpläne des unbekannten Anrufers. Aber wie soll man jemanden aufhalten, der offenbar jedes noch so kleine Detail eingeplant hat?

Autor

J.D. Barker hat bereits einen preisgekrönten Horrorroman veröffentlicht, für den er hochgelobt wurde. Mit seiner spektakulären SPIEGEL-Bestseller-Trilogie um Detective Sam Porter und den perfiden Four Monkey Killer knüpft er nahtlos an diesen Erfolg an und begeistert unzählige LeserInnen. »Game On« ist sein vierter und neuester Roman bei Blanvalet. Barker lebt in Englewood, Florida, und in Pittsburgh, Pennsylvania.

Von J.D. Barker bereits erschienen

The Fourth Monkey: Geboren, um zu töten · The Fourth Monkey: Das Mädchen im Eis · The Fourth Monkey: Das Haus der bösen Kinder · Der Federmörder [in Zusammenarbeit mit James Patterson]

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet

J.D. BARKER

GAMEON

DEREINSATZISTDEINLEBEN

THRILLER

Deutsch von Leena Flegler

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »A Caller’s Game« bei Hampton Creek Press, New Castle.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2021 by J.D. Barker

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Susann Rehlein

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: Carol Yepes/Moment/Getty Images

DK · Herstellung: sam

Satz: KCFG–Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-28337-7V001

www.blanvalet.de

Du hast die Wahl.

Für Thad McAlister, der zu früh gegangen ist

1

Jordan

»Oh nein, verdammt!« Jordan Briggs schlug mit der flachen Hand auf die Hupe und hielt den ausgestreckten Mittelfinger durch das Schiebedach ihres Audi R8. Sie hatte eine Vollbremsung hinlegen müssen, und als sie wieder aufs Gas gegangen war, war ihr Absatz abgebrochen. »Das waren meine Lieblings-Louboutins, du Arsch!«

Ein fleischiger Arm tauchte im Fenster des Müllwagens auf und winkte mit ausgestrecktem Mittelfinger zurück.

»Wen schreist du an, Jordie?«

Die Nummer vom Wie-gefällt-Ihnen-meine-Fahrweise-Aufkleber auf dem Laster würde sie sich merken.

»Den verdammten Müllwagenfahrer! Der ist gerade aus der Madison auf die 49th abgebogen, ohne zu gucken. Ist nicht mal vom Gas gegangen und mir fast in den Audi gerauscht!«

Sie streifte den Schuh ab, inspizierte den kaputten Absatz und schleuderte ihn neben sich in den Fußraum.

»Du sitzt im Auto? Warum sitzt du im Auto? Oh Scheiße, warte – du bist auf Höhe Madison? Wir sind in sechs Minuten auf Sendung!«

»Ich fahre nach der Sendung in die Hamptons, deshalb wollte ich lieber mein eigenes Auto nehmen, nicht den Fahrdienst.«

»Mit Frank wärst du pünktlich hier.«

»Tja, zu spät.«

Ein paar Meter ging es voran, dann stand wieder alles. Der Müllwagen streifte fast einen Lincoln SUV auf der linken Spur. Bestimmt hing der Fahrer am Handy – jeder hier hing an seinem Handy. Im New Yorker Stadtverkehr musste man ja auch nicht aufpassen. Autos fuhren sich quasi von selbst.

Volltrottel.

»Billy, schreib mit.« Sie ratterte die Telefonnummer vom Müllwagenaufkleber herunter.

»Hab ich. Hey, du hast gar nicht erwähnt, dass dein Mann kommen wollte. Dein Büro wird heute gemalert – ich musste ihn in den Greenroom zu Senator Moretti setzen.«

»Ex-Mann. Und ich hab’s nur deshalb nicht erwähnt, weil ich keine Ahnung hatte. Hat er gesagt, was er will?«

»Mir sagt hier keiner etwas, das weißt du doch«, erwiderte Billy. »Er hat Charlotte dabei.«

»Charlotte? Die sollte sich für die Schule fertig machen!«

Er sollte sie für die Schule fertig machen!

Charlotte hatte schon viel zu viel Unterricht verpasst. Dass ihr Kind die sechste Klasse wiederholte, durfte nicht passieren. Wie würde das bitte aussehen? Für die Presse wäre das ein gefundenes Fressen.

»Bitte sag mir, dass du schon in der Nähe bist«, kam Billys Stimme über die Freisprechanlage.

Sie hatte seit einer Minute ganze zwei Meter zurückgelegt. Es ging mit Riesenschritten voran.

Und es war mittlerweile vier vor sechs.

»Ich kann das Gebäude schon sehen«, antwortete sie. Das stimmte wirklich – gute zwei Blocks voraus. Mitsamt der digitalen Anzeigetafel auf dem Dach, auf der gleißend hell SiriusXM stand.

Jordan drückte erneut die Hupe. Kam ihr nur richtig vor.

Wieder ein knapper Meter.

Gut gemacht, Hupe.

Billy seufzte. »Die Today Show hat heute Vormittag Meghan Trainor am Mikro.«

»Ernsthaft?«

»Deshalb ist das Rockefeller Center auch eingerüstet. Ist ihr letztes Konzert für den Sommer.«

»Dann ist Meghan Trainor schuld an dem Verkehrschaos?«

»Könnte schlimmer sein. Wenigstens ist es nicht Ed Sheeran.«

»Warum haben wir nicht Ed Sheeran? Ich will nicht schon wieder mit einem Senator reden. Nicht kurz vor dem Wochenende. Von Politikern kriege ich schlechte Laune.«

»Einladung von oben. Er ist ein Kumpel von Greenstein, glaube ich. Oder von Goldblatt.«

Jordan schnalzte mit der Zunge und rollte einen weiteren Meter vor. »Holen wir jetzt die Kumpels der Chefetage ins Programm? Ich bezahle dich, damit du genau das verhinderst, Billy. Ich bezahle dich dafür, dass du mir Ed Sheeran besorgst.«

»Willst du, dass ich bei der Today Show anrufe, damit Meghan Trainor auf dem Heimweg kurz bei uns vorbeischaut? Irgendwo habe ich die Nummer ihres Managers. Ich bin mir sicher, ich könnte sie herbringen.«

»Ich will keine Resteverwertung, Billy.«

Auf der linken Spur ging es weiter. Warum nicht auf ihrer Spur? Sie könnte rüberziehen, aber dann müsste sie einen Block weiter wieder zurück nach rechts.

War es das wert?

Vielleicht.

Möglicherweise.

Jordan griff ums Lenkrad, setzte den Fuß aufs Gaspedal und …

Ein Bus schob sich links neben sie und bremste. Blockierte ihr den Weg.

Verdammt. Zu langsam.

Billy musste das Handy zugehalten haben. Sie konnte ihn hören, allerdings nicht verstehen. Es klang, als würde er jemanden anschreien. Einen Augenblick später war er wieder dran. »Jordie, wir brauchen einen Plan B. Du schaffst es nicht rechtzeitig.«

»Ich schaffe es noch.«

Es war jetzt drei vor sechs.

Sie würde es nicht mehr schaffen.

Der Bus neben ihr fuhr Werbung für ihre Sendung. Overdrive mit Jordan Briggs – in riesigen, gut einen halben Meter großen Lettern neben einem Porträt von ihr, das ziemlich genau ein Jahr alt war. Sie hasste das Foto. Sie hasste sämtliche Werbefotos – sie selbst wurde älter, während die Fotos um keinen Tag alterten. Und nicht nur das: Irgendwer packte immer denselben magischen PhotoShop-Malibu-Barbie-Filter darauf, mit dem sie so verdammt perfekt aussah. Aber so sah sie nicht aus. Es fühlte sich an, als würde sie in den Spiegel gucken, und eine bessere Version ihrer selbst würde höhnisch zurückblicken.

Keine zwei Minuten mehr und noch gut anderthalb Blocks. Und es ging nichts mehr voran.

Ein Fahrgast in dem Bus erkannte sie und kreischte ihren Namen.

Jordan ließ das Fenster hoch und ging hinter der getönten Scheibe in Deckung. Auch das Schiebedach machte sie zu. Dass irgendwer seinen Spinat-Smoothie in ihr Auto kippte, war das Letzte, was sie gerade brauchte.

»Wenn du Frank gerufen hättest, hätte er dich jetzt rausgelassen, und du könntest den Rest laufen«, sagte Billy.

»Aber ich habe ihn nicht gerufen, okay?«, erwiderte Jordan tonlos.

Dann kam ihr eine Idee.

Oh nein, das ging nicht.

Sie machte es trotzdem.

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, würgte sie den Motor ab, zog die Handbremse, schaltete die Warnblinkanlage ein und stieg aus. »Schick jemanden mit einem Headset in die Lobby, Billy«, rief sie, riss sich den intakten Schuh vom Fuß und warf ihn zu dem kaputten Schuh vor den Beifahrersitz.

Billy sagte noch etwas, aber da hatte sie bereits die Tür zugeschlagen, rannte hinüber zum Gehweg und drückte über die Schulter hinweg auf den Funkschlüssel.

Der Audi zwitscherte ihr hinterher.

2

Cole

NYPD-Officer Cole Hundley starrte der Frau aus dem Auto vor ihm wie vom Donner gerührt nach. Sie war mitten auf der 49th ausgestiegen, hatte ihren Wagen verriegelt, war über den Gehweg gerannt und hatte den Audi einfach stehen lassen – mitten im Stau, sodass er in seinem Streifenwagen dahinter feststeckte, genau wie weiß der Himmel wie viele hinter ihm.

What the fuck!

Das hatte er gerade wirklich gesehen.

Es war wirklich passiert.

Er war sich sogar ziemlich sicher, dass sie sich die Schuhe ausgezogen hatte – warum auch nicht?

Er griff nach vorn und schaltete die Sirene an, die dreimal laut aufheulte.

Als sie sich zu ihm umdrehte, rechnete er damit, dass sie stehen bleiben, ihm vielleicht beschämt und beschwichtigend zulächeln und wieder einsteigen würde – so wie es normale Leute täten, die von der Polizei bei einer Dummheit ertappt worden waren. Aber was machte sie? Sie lächelte, ja. Aber dann winkte sie und verduftete einfach barfuß die Straße entlang.

Der Wagen konnte natürlich gestohlen sein. Das würde einen Sinn ergeben. Cooles Teil. Allerdings hatte sie nicht ausgesehen wie eine, die in ihrer Freizeit Autos knackte – nicht in diesem Outfit. Selbst ohne Schuhe hatte sie nach Geld ausgesehen. Außerdem hatte sie abgeschlossen. Die wenigsten Autodiebe hatten einen Schlüssel zum Wagen, und sie schlossen auch nur selten hinter sich ab, wenn sie ihn dann irgendwo stehen ließen. Und ganz sicher schalteten sie nicht erst die Warnblinkanlage ein. Sie hatte ihren eigenen Wagen in der Rushhour mitten auf der 49th stehen lassen.

Außerdem war sie schnell. Schon einen halben Block entfernt. Sie rannte mit der Eleganz und Kondition einer Sportlerin.

In den zwölf Jahren, seit Cole im Polizeidienst war, hatte er oft über die Entscheidungen nachgedacht, die er bis dato gefällt hatte. Meistens waren dabei Kugeln im Spiel gewesen, die ihm um die Ohren geflogen waren. Manchmal auch Messer. Er war zwei Mal gebissen worden, davon nur ein Mal von einem Hund. Beide Male hatte er hinterher eine Tetanusspritze gebraucht. Einige Leute spuckten gern. Nie schön, den Arbeitstag so zu beginnen oder auch zu beenden. Die Beschimpfungen konnte er gar nicht mehr zählen. Einmal war er von einer Frau mit nichts als Alufolie am Leib angegriffen worden, die sie mit Tesa zusammengeklebt hatte; sie war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass ausgebuffte Aliens den Times Square zu ihrem Landeplatz gemacht hätten. Eine Frau, die ein Hunderttausend-Dollar-Geschoss mitten auf der Straße stehen ließ und sich aus dem Staub machte, überraschte ihn nicht. In New York bedeutete so etwas lediglich, dass gerade Dienstag war.

Cole schob den Schalthebel auf Parken, schaltete das Blaulicht ein, atmete tief durch, stieg aus und rannte ihr nach.

Als er sich unter dem Gehupe der umstehenden Wagen an dem Bus vorbeiquetschte und vor dem Audi der Frau hinüber auf den Gehweg sprintete, richteten mehrere Handykameras, die zuvor die Frau gefilmt hatten, sich auf ihn.

Von allen Kameras, die diesen Augenblick aufzeichneten, war ironischerweise die Einzige, die nicht verlässlich funktionierte, die Zweitausend-Dollar-Bodycam an seiner Uniform.

3

Jordan

Jordan rannte bei Rot über die 6th. Der Verkehr ging sowieso in keiner Richtung voran. Sie war auch nicht die Einzige – bestimmt ein Dutzend Leute lief mit ihr über die Straße, den Blick aufs Smartphone gesenkt. Sie selbst passte zumindest auf. Dass nichts voranging, hielt diverse Taxifahrer nicht davon ab, die Hupe gedrückt zu halten. Als müssten sie irgendeine Hupquote erfüllen. New York City ohne Hupen im Hintergrund wäre wohl nicht dasselbe; das Hupen war der Soundtrack ihres Lebens.

Sie war einen halben Block weit gekommen und hatte das SiriusXM-Gebäude fast erreicht, als ihr siedend heiß einfiel, dass sie ihr Handy im Dashboard des Wagens hatte stecken lassen. Nicht dass sie da noch etwas hätte tun können. Auch nicht gegen den Cop, der hinter ihr herlief. Sie konnte jetzt nur noch ihren Vorsprung halten.

Mit stur nach vorn gerichtetem Blick drängelte Jordan sich durch die unvermeidliche Mauer aus Touristen, die vor der 1221 Avenue of the Americas ihre obligatorischen Fotos schossen, und stürmte in die Lobby, ehe nur einer von ihnen sie erkannt hatte. Was ein Wunder war. Doch dann verstopfte eine dieser verdammten Touristen-Führungen die Sicherheitsschleuse. Echte New Yorker trugen andere Klamotten und hatten auch nicht das dringende Bedürfnis, zweitausend Fotos von einer Lobby zu schießen.

Auf der großen Uhr über den Aufzügen war es 5:59:22. Ihr blieben nicht mal mehr vierzig Sekunden.

Jordan legte die Hände an den Mund und schrie aus voller Kehle: »Ach du Scheiße, draußen auf dem Gehweg hat gerade ein Cop Howard Stern umgehauen!«

Bingo. Es funktionierte.

Die Lobby war schlagartig vergessen, die Meute machte kehrt und stürmte zum Eingang wie eine Horde Vorstadt-Hausfrauen am Black Friday bei Walmart.

Jordan wich zur Seite aus, drückte sich an ein paar Anzugträgern vorbei, die sie nicht kannte, und war an der Schleuse. »Hab’s eilig, Bobby!«

Der Securitymann riss die Augen auf, als sie durch den Metalldetektor rannte und dabei den Alarm auslöste. »Jordie, du musst …«

Den Rest hörte sie nicht mehr.

Sie schlitterte über den Marmorboden, erreichte die Fahrstühle und rief alle sechs.

Von Billy keine Spur.

Wo zum Teufel war er?

Erneut hastete sie die Fahrstuhlwand entlang und drückte sämtliche Knöpfe.

Über ihr auf der Uhr war es 6:00:02.

Scheiße.

Scheiße.

Scheiße.

Der dritte Fahrstuhl von links klingelte, und die Türen gingen auf. Eine junge Frau mit schulterlangen pinkfarbenen Haaren und Overdrive-mit-Jordan-Briggs-T-Shirt trat mit dem Gesichtsausdruck eines Rehs im Scheinwerferlicht aus der Fahrstuhlkabine. Sie hielt ein schnurloses Bose-Headset in der einen und ein Handy in der anderen Hand. Jordan hatte sie noch nie gesehen.

»Hey!«

Die Frau blickte auf, lächelte und schlenderte in aller Seelenruhe auf sie zu. Kein Grund zur Eile. War ja nicht ihr Leben, um das es hier ging. Lass dir ruhig Zeit, Schätzchen.

Verdammte Praktikanten! Stündlich schienen hier neue anzufangen, und keiner von ihnen taugte etwas.

Jordan stürmte auf die Frau zu und riss ihr das Headset aus der Hand, setzte es auf und hörte die letzten Sekunden des Jingles.

Die Praktikantin hielt das Handy hoch. »Billy meinte noch, ich soll ein Foto vom Whiteboard machen, falls Sie …«

Jordan schnappte sich das Handy, sprang in den Aufzug und drückte so fest auf den Knopf für den zweiundvierzigsten Stock, dass sie schon meinte, das Plastik knacken zu hören. Dann warf sie Pink Hair den Autoschlüssel zu. »Holen Sie meinen Wagen von der 49th, bevor ihn jemand klaut!«

Als die Fahrstuhltüren zuglitten, erhaschte sie noch einen Blick auf den Cop, der an der Sicherheitsschleuse stand und ihr nachstarrte.

Über die Musik aus dem Headset konnte sie Billys Stimme hören. »Bist du da, Jordie?«

»Oh du Kleingläubiger, bin ich je nicht zur Arbeit erschienen, Mr. Glueck?«

»Krieg dein Keuchen unter Kontrolle. Du klingst, als wärst du von einem Kampfsportler durchgevögelt worden.«

»Ich bin zwei Blocks gerannt. Und woher willst ausgerechnet du wissen, wie es klingt, wenn man durchgevögelt wird?«

»Oh, alles schon mitgemacht«, sagte Billy. »Klingt ähnlich wie das Limit meiner Kreditkarte, dann vielleicht ein bisschen Kuschelzeit, bevor die Autotür aufgeht und einer von uns aussteigen muss.«

Jordan sah auf die Stockwerkanzeige. Zwanzigster Stock … einundzwanzig. »Läuft der Countdown noch?«

»Klar«, antwortete Billy. »Aber Goldblatt will sich mit dir über deinen freien Tag morgen unterhalten.«

»Scheiß auf Jules. Der hat nichts zu melden.«

»Auf Sendung in fünf, vier, drei …«

Dann war Billys Stimme weg.

Jordan sah auf das Foto des Whiteboards auf Pink Hairs Handydisplay hinab.

Der Song war vorbei.

Sie schloss für einen Moment die Augen, holte tief durch die Nase Luft, hielt kurz den Atem an und ließ die Luft langsam und kontrolliert durch den Mund entweichen.

»Ich will, dass ihr euch eine Nummer aufschreibt«, sagte sie ruhig und gelassen in ihr Mikro. »Es ist die erste von zwei Nummern, die ich euch gebe. Ich bin heute früh einem Mann begegnet. Keinem von der Sorte, die einem Hilfe anbietet, wenn man gerade mit zig Einkaufstüten kämpft, und auch nicht jemand, der einem die Tür aufhalten würde oder der dir seine Jacke gibt, wenn dir ein bisschen kalt ist. Sondern einer, der dich anherrscht, aus dem Bild zu gehen, wenn die Sportschau läuft. Jemand, der im Bus einen fahren lässt oder sich an der Kasse ausgiebig im Schritt kratzt, damit es jeder, der das Pech hat, in der Nähe zu stehen, auch garantiert mitbekommt. Körperpflege ist ihm so vertraut wie dem Inuit eine Badehose. Mein neuer Bekannter glaubt wahrscheinlich, dass galant irgendein Verwaltungsbezirk in Jersey ist. Ja, genau so einem bin ich heute begegnet. Und als wahrhafter Vertreter seiner Spezies hat er mir netterweise seine Nummer gegeben. Ich hatte nicht darum gebeten, er hat sie von ganz allein rausgerückt. Glaubte wohl, ich würde mich bei ihm melden wollen – um ihn vielleicht besser kennenzulernen. Nennen wir ihn der Einfachheit halber Stan. Er kam eindeutig wie ein Stan rüber.«

Das Glöckchen schlug an, und die Türen gingen auf. Zweiundvierzigster Stock. Vor Jordan hing dasselbe Werbefoto wie zuvor auf der Straße am Bus – ihr eigenes Gesicht, das die halbe Wand hinter dem langen Rezeptionstresen einnahm. Sie lief nach links, in Richtung ihres Senderaums.

Auf dem Flur wichen die Leute ihr aus, mehrere nickten ihr lächelnd zu, andere sahen weg. Sie wussten genau, dass sie Jordan besser nicht ansprachen, sobald sie ihr Headset aufhatte.

»Ihr wisst, dass ich im Herzen ein Mädchen des Südens bin«, fuhr Jordan mit leicht sarkastischem Tonfall fort und überbetonte einen Akzent, den sie in Wahrheit gar nicht hatte, weil sie außerhalb von Cleveland aufgewachsen war. »Also habe ich seine Nummer mit einem Ach, was soll’s eingesteckt und den restlichen Morgen die Sekunden gezählt, bis ich ein Telefon in der Hand hätte und meinen neuen Augenstern, meinen Prince Charming, meinen Süßen anrufen würde – Stan. Als Mädchen aus dem Süden bin ich aber von Haus aus ein wenig schüchtern. Diejenigen von euch, die mir regelmäßig zuhören, glauben das vielleicht nicht – aber ich bin wirklich schüchtern. Wenn mir ein Typ seine Nummer gibt, bin ich schlagartig wieder dreizehn und tollpatschig, und meine Zahnspange blitzt, und ich hab Pickel – ihr wisst schon, das volle Programm. Und dann Gedanken wie: War es die dicke Brille oder meine unfassbar flache Brust, die seine Aufmerksamkeit geweckt hat? Oder mein Talent, im Englischunterricht Partizipialsätze falsch anzuhängen oder im Sport zwei von drei Mal den Korb nicht zu treffen? Meine Persönlichkeit war es jedenfalls nicht. Von den Jungs hat damals keiner auch nur mit mir gesprochen, sie kannten mich nicht mal, nicht wirklich. Ich war ein Schatten, ein Gespenst, die Fliege an der Wand, die sich einfach nur durchs Leben brummen wollte, ohne gleich totgeklatscht zu werden. Ich war nie das Mädchen, das die Stans wollten – damals jedenfalls nicht. Oder vielleicht doch, und ich habe die Signale nur falsch gedeutet? Keine Ahnung, schwer zu sagen. Wie die meisten Typen senden Stans nicht gerade eindeutige Signale aus. Mein Stan, dieses Bild von einem Mann, der mir heute früh begegnet ist – er hat beschlossen, sein Weg in mein Leben soll darin bestehen, dass er mich auf der 49th ziemlich fies schneidet. Nicht gerade subtiles Anbaggern – wirklich nicht. Er schießt einfach vor meinem Wagen auf die Straße und schiebt mir seinen fetten Laster direkt vor die Nase. Die Gesetze der Liebe sind für Stan eindeutig wichtiger als die Straßenverkehrsordnung. Mich in der Rushhour zu schneiden war bestimmt seine Version von An-den-Zöpfen-Ziehen oder mich beim Homecoming-Ball am Punschtisch anzurempeln – wir sind schließlich alle auf unterschiedliche Art schüchtern. Ich ziehe meinen Hut dafür, dass er zumindest versucht hat, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber ich frage mich doch: War das echt das Beste, was er draufhat?«

Jordan lief um die Ecke, betrat den kleinen Pausenraum und hielt direkt auf die Kaffeemaschine zu. Sie goss sich einen Becher halb voll, stellte ihn in die Espressomaschine und fügte einen doppelten Espresso hinzu. Sie schloss die Augen, atmete den herrlichen Geruch ein, diesen himmlischen Duft des Koffeins, den süßen Schweiß der Götter. Am liebsten hätte sie sofort den ersten Schluck genommen – nur einen! –, aber sie wusste, das ging nicht. Nicht wenn sie auf Sendung war. Radio für Anfänger, Lektion eins.

Mit dem Becher lief sie zurück auf den Flur, schnüffelte noch einmal daran und bog rechts ab in Richtung ihres Senderaums am anderen Ende des Gangs.

»Trotzdem kann ich es den Stans nicht wirklich übel nehmen. Wie gesagt, es ist nicht leicht, jemanden kennenzulernen. Heutzutage muss man schon kreativ werden. Wir dürfen auf der Arbeit niemanden daten – das war früher anders. Fragt Bill und Monica – das ist jetzt zwanzig Jahre her, trotzdem reden die Leute immer noch von ihrem kleinen Techtelmechtel. Liebeleien am Arbeitsplatz waren früher normal – und das ist doch nur logisch, oder etwa nicht? Wir verbringen die meiste Zeit des Tages am Arbeitsplatz, mit diesen handverlesenen Leuten, denen man zwangsläufig näherkommt. Man sieht sie, während sie gut drauf sind, und man sieht sie, wenn sie am Boden sind. Wenn man über die Star-Wars-Figürchen und die Mein-kleines-Pony-Pferdchen und über die Garfield-Kalender hinwegsehen kann und die Liebe seines Lebens entdeckt – sollte einem dann nicht erlaubt sein, die Chance zu ergreifen? Ist es da wirklich schlimm, mit diesem besonderen Menschen aus der Buchhaltung drei Minuten Ekstase auf dem Kopierer zu spüren, um der Monotonie des Mittwochs zu entkommen? Ja, es ist falsch. Heutzutage ist es so was von falsch! Herrgott, und ich bin ja nun auch noch eine Art Chefin – wenn ich einen meiner Mitarbeiter im biblischen Sinne kennenlernen wollte, käme es zu bergeweise Papierkram und Konferenzschaltungen mit den werten Kollegen aus der Rechtsabteilung! Partnersuche ist kein Ponyhof, heutzutage nicht mehr. Weder für ihn noch für sie noch für diejenigen dazwischen. Wenn man heutzutage daten will, muss man kreativ werden. Man muss jemanden in der Rushhour schneiden. Oder, Stan? So macht man das. Man klaut jemandem in der Starbucks-Schlange das Portemonnaie und lädt dann das arme Opfer auf einen Latte ein, sobald es bemerkt, dass seine Kreditkarte auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Man spielt den Uber-Fahrer und haut die Kindersicherung rein, bis der Fahrgast Ja sagt zu einem Kinobesuch oder zu einem Konzert. Man verfolgt jemanden im Schlabber-Hoodie durch eine dunkle Gasse und sagt etwas Lustiges wie: ›Hast du mal eine Neun-Volt-Batterie für mich? Mein Elektroschocker ist leer.‹ Und dann gibt es natürlich noch diese Apps – Tinder, Grinder, Minder, Blender, Pfannenwender … Mit einem Wisch kann man jedem Fetisch nachgehen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe keine dieser Begegnungen je als erfüllend erlebt. Stan anscheinend ebenso wenig. Vielleicht muss er deshalb alleinstehende Frauen im Stadtverkehr schneiden. Womöglich ist das aktuell gar keine schlechte Methode, um eine Lady auf sich aufmerksam zu machen.«

Jordan betrat ihr Büro. An den Wänden und über den meisten Möbeln hing Abdeckfolie. Ihre Post stapelte sich auf einem Stuhl neben der Tür. Sie ging den Stapel durch, fand den Brief, auf den sie gewartet hatte, und stopfte ihn in die Tasche. Sie war froh, dass ihre Leute den Umschlag nicht aufgemacht hatten.

Sie ging wieder raus auf den Flur und sah Billy hinter der Glasscheibe. Die schwere Schallschutztür zu ihrem Senderaum war nur von innen zu öffnen, damit während der Livesendung keiner unangekündigt hereinplatzte. Sie hörte ein leises Klicken und trat ein.

Billy Glueck nickte ihr aus seinem Producer-Glaskasten zu und zeigte auf die LED-Anzeige an der Wand – 5 300 049 Zuhörer. Gott, sie liebte Satellitenradio und Echtzeit-Statistiken!

Jordan ließ sich auf ihrem Stuhl nieder – einem Herman Miller für sechstausend Dollar. Sie stellte ihren Kaffee ab, schnupperte erneut daran und lächelte.

»Das ist also jetzt mein Dilemma: Rufe ich den Typen an, oder kriegt er von mir einen Korb? Sollte ich ihm als nettes Mädchen aus dem Süden die Unbeholfenheit verzeihen und zulassen, dass er mir unter den Petticoat guckt? Ich habe den ganzen Morgen darüber nachgedacht, und ehrlich gesagt kann ich mich nicht entscheiden. Deshalb muss ich euch um einen Gefallen bitten. Holt euch Stift und Papier und schreibt mit.«

Jordan sah zu dem großen Whiteboard neben ihrem Tisch, auf dem die Themen standen, über die sie heute reden wollte – und die Telefonnummer, die sie auf der Rückseite des Müllwagens entdeckt hatte.

»Ruft Stan bitte in meinem Namen an – unter 212-555-67 17, Durchwahl 304 – und fühlt ihm für mich ein bisschen auf den Zahn. Ich vertraue euch. Helft mir zu entscheiden, ob er mein Mister Right sein könnte und wir vielleicht bloß einen schlechten Start hatten. Oder ob mein erster Eindruck doch richtig war und er einfach nur ein Höhlenmensch ist, der am falschen Ort nach der Liebe sucht. Ich zähle auf euch, dass ihr mir helft, die richtige Entscheidung zu treffen … Sind gleich wieder für euch da!«

In seinem Glaskasten hielt Billy seinen Zeigefinger in die Höhe, zögerte kurz und sagte dann: »Und … raus!« Er sah zu ihr rüber. »Du hattest als Kind eine Zahnspange?«

»Natürlich nicht. War nur so dahergesagt.«

»Du bist dermaßen kaltschnäuzig, weißt du das?«

Jordan legte die Hände um ihren Kaffee, hob ihn an die Lippen und hielt dann jäh inne, als ihr wieder einfiel, dass ihre Tochter da war.

Scheiße, warum hat Nick sie hergebracht?

Sie stellte den Becher ab, und Kaffee schwappte über den Rand. Dann sprang sie auf. »Bin sofort wieder da!«

»Du hast nur zwei …«

Aber da war sie schon aus der Tür.

4

Cole

NYPD-Officer Cole Hundley blieb kurz im Aufzug stehen, als die Türen aufgingen, obwohl er ziemlich sicher das richtige Stockwerk erwischt hatte. Nachdem er sich durch die Meute vor dem Gebäudeeingang gekämpft und sich an diversen Wachleuten vorbeidiskutiert hatte, die darauf bestanden hatten, seine Dienstwaffe in Verwahrung zu nehmen, bevor er eintreten durfte, und diese verrückte Frau, die ihren Wagen auf der 49th Street hatte stehen lassen, in genau diesen Aufzug verschwinden sah, beäugte er die Stockwerkanzeige, die erst bei zweiundvierzig stehen blieb, dann bei vierundvierzig und noch mal bei fünfundvierzig. Danach kehrte der Aufzug in die Lobby zurück. Er drückte dieselben drei Knöpfe und rechnete bereits damit, bis ganz oben und wieder runterfahren zu müssen, ohne die Frau zu Gesicht zu bekommen. Doch als die Türen aufglitten, starrte ihm von der gegenüberliegenden Wand ein gigantisches Porträt der Verrückten entgegen. Darunter stand Overdrive mit Jordan Briggs und Immer werktags von 6 bis 10 Uhr. Die Monstrosität war von oben mit LED-Spots angestrahlt.

Als der Fahrstuhl wieder zugehen wollte, hielt Cole die Hand vor den Sensor.

»Drücken Sie für mich auf Erdgeschoss?«, fragte ein UPS-Mann, manövrierte seine Sackkarre an Cole vorbei und postierte sich im rückwärtigen Teil der Kabine.

Als Cole nicht reagierte, griff der Mann um ihn herum und drückte selbst auf den Knopf, murmelte so was wie Schönen Dank, Officer in sich hinein, bevor er wieder zurücktrat und sich seinem Tablet widmete. Einen Augenblick später blickte er auf. »Wären Sie so gut? Sie blockieren die Tür. Ich hab noch ein bisschen was zu tun.«

Cole verließ den Aufzug und ging zum Empfangstresen. Die Frau im roten Blazer, die vor dem Bild der Verrückten saß, bedachte ihn mit einem nervösen Lächeln, das die Leute gegenüber Cops immer gern auflegten und das signalisieren sollte: Ich helfe Ihnen weiter, solange Sie nicht meinetwegen gekommen sind.

»Ich muss mit Jordan Briggs sprechen«, sagte Cole. Irgendwelches Gequatsche hallte aus Lautsprechern durch den Flur. Es ging um einen gewissen Stan. Coles Blick wanderte erneut hoch zu dem Plakat. Es fühlte sich an, als würde sie ihn direkt ansehen und begutachten, wie er dort stand. Sie hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere hing lässig an ihrer Seite. Ihr Kopf war ein klein wenig nach links geneigt, und sie hatte ein neugieriges Blitzen im Blick.

»Miss Briggs ist auf Sendung. Haben Sie einen Termin?«

Cole schüttelte den Kopf.

»Ist etwas passiert? Ein Unfall?«

»Nicht dass ich wüsste. Zumindest noch nicht.«

Hinter ihm schlug das nächste Aufzugglöckchen an, und die Türen gingen auf. Ein drahtiger Mann in einem grauen Anzug nickte der Empfangsdame flüchtig zu und verschwand auf den Flur zur Linken.

Cole sah ihm kurz nach, dann beugte er sich vor. Er war nicht wahnsinnig groß, wusste aber, sobald er das tat – noch dazu in Uniform –, brachte er die Leute aus dem Konzept. »Ich muss sofort mit ihr sprechen.«

»Also …« Mehr kam vorerst nicht.

Im selben Moment stürmte die Verrückte ein Stück den Flur hinab durch eine Tür mit Glaseinsatz. Sie sah gehetzt aus.

»Jordan!«, blaffte der Mann im grauen Anzug und eilte auf sie zu.

»Nicht jetzt, Jules – ich bin auf Sendung!« Sie lief auf das entgegengesetzte Ende des Flurs zu.

»Du kannst nicht einfach Telefonnummern austrompeten!«, rief er ihr nach. »Wie oft müssen wir das noch diskutieren?«

»Gar nicht, Jules. Wir müssen das gar nicht mehr diskutieren«, rief sie über die Schulter und rannte weiter den Flur entlang. Cole setzte ihr nach.

»Sie können da jetzt nicht hin!«, rief die Empfangsdame ihm hinterher. »Jordie – Besuch!«

Der Mann in Grau hatte inzwischen bis auf anderthalb Meter zu ihr aufgeschlossen. »Vielleicht sollte ich eine Besprechung mit dir und der Rechtsabteilung einberufen? War beim letzten Mal doch ganz lustig? Wir könnten mal wieder darüber plaudern, wie du uns im vergangenen Geschäftsjahr so richtig in die Scheiße geritten hast – und was die finanziellen Folgen waren. Komm, das machen wir wieder!«

»Du hast recht, Jules. Ich war ein böses Mädchen, und ich sollte dafür bestraft werden.«

»Für die Verbindlichkeiten, die du uns einbrockst, brauche ich eine ganze Excel-Tabelle!«

»Wie wär’s mit einem Tortendiagramm? Ich liebe Tortendiagramme. Die sehen nett aus.«

»Das ist nicht witzig, Jordie!«

»War auch nicht witzig gemeint, Jules. Mach du deinen Job, und ich mache meinen.«

»Mein Job ist sicherzustellen, dass du deinen Job machst, ohne die Jobs aller anderen zu gefährden!«

»Miss Briggs?«, ging Cole dazwischen.

Die Verrückte drehte sich um und starrte ihn an. Sofern sie auch nur im Geringsten überrascht war, einen Polizisten vor sich zu sehen, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie reckte bloß den Zeigefinger in Coles Richtung und wandte sich wieder an den Mann in Grau: »Seit wann lasse ich mir die Talk-Gäste von der Chefetage diktieren? Es ist nicht meine Aufgabe, die politische Agenda von Greenstein zu promoten oder seinen Kumpels zum nächsten Wahlsieg zu verhelfen!«

»Der Senator mag deine Sendung.«

Die Verrückte zog eine Grimasse. »Der Senator ist ein Vollidiot. Ein hirnloser Dildo auf zwei Beinen, mit einem schlecht sitzenden Toupet, das vor lauter Bräunungsspray schon ganz klebrig ist.«

Der Mann im Anzug blickte nervös in Richtung des Zimmers in seinem Rücken. »Herrgott, Jordie, nicht so laut!«

»Wenn du ihn mir aufzwingst, dann mache ich ihn öffentlich zum Affen.«

»Du bist brav und interviewst ihn – oder wir haben auch darüber eine Besprechung!«

Cole räusperte sich.

Die Verrückte sah ihn flüchtig an, drehte sich weg und verschwand durch die nächstbeste Tür. Auf dem Türschild stand: GREENROOMJORDANBRIGGS.

Der Mann in Grau fluchte in sich hinein, und erst als er sich umdrehte, entdeckte er Cole. »Oh Gott! Was hat sie noch angestellt?«

»Die Liste wird länger«, erwiderte Cole und schob sich an ihm vorbei in den Greenroom.

In der hinteren Ecke war sie in die Hocke gegangen und umarmte ein kleines Mädchen. Daneben stand ein Mann mit einem pinkfarbenen Emily-Erdbeer-Rucksack in der Hand. Die andere Hand steckte in der Hosentasche. Ein weiterer Mann saß ihnen gegenüber auf einer schwarzen Ledercouch, trank Kaffee und sprach in sein Handy – Senator Moretti. Cole kannte ihn aus dem Fernsehen.

Cole blieb zwischen der Tür und der Verrückten stehen. Sie würde nicht an ihm vorbeikommen. »Miss Briggs, wir müssten bitte über Ihr Auto sprechen.«

Sie sah ihn verwirrt an. »Was ist denn mit meinem Auto?«

»Sie haben es mitten auf der Straße stehen lassen.«

»Hab ich nicht.«

»Haben Sie doch.«

Sie griff um das kleine Mädchen herum und drückte auf eine Taste an einem Telefon, das neben dem Ledersessel auf einem Beistelltisch stand.

»Ja?«

»Sarah? Jordie hier. Wo ist mein Auto?«

»Dein Auto?«

»Ja, das Fahrzeug, mit dem ich heute zur Arbeit gefahren bin.«

»Das steht in der Tiefgarage. Trixie hat die Schlüssel bei Billy abgegeben.«

»Danke, Sarah.« Die Verrückte lächelte Cole an. »Rätsel gelöst.«

Cole war wirklich nicht in der Stimmung dafür. »Es gibt eine Videoaufzeichnung davon, Miss Briggs. Von meiner Dashboard-Kamera. Sie haben mitten auf der 49th geparkt, sind ausgestiegen, haben abgeschlossen und sind gegangen.«

»Mommy, musst du jetzt ins Gefängnis?«, fragte das kleine Mädchen.

Die Verrückte schürzte die Lippen und zog das Mädchen an sich. »Wollen Sie mich jetzt vor den Augen meiner Tochter verhaften, Officer?«

»Das wäre bestimmt traumatisierend«, sagte das Mädchen. »Ich bin in einem Alter, in dem ich leicht zu beeinflussen und für negative Vorgänge in meiner Umgebung sehr empfänglich bin.«

Aus einem Lautsprecher an der Wand ertönte eine Stimme: »Jordie, noch fünfzehn Sekunden!«

Sie gab dem Mädchen einen Kuss auf den Scheitel. »Warte hier auf mich, okay, Charlotte?«

Das Mädchen nickte.

Sie stemmte sich hoch. »Und du bleibst hier«, sagte sie zu dem Mann mit dem Kinderrucksack. »Leg den in mein Büro und warte hier.« Auf dem Weg nach draußen tätschelte sie Coles Uniformbrust. »Und Sie – Sie können wieder gehen. Danke, dass Sie so gut achtgegeben haben.«

Danke, dass Sie so gutachtgegeben haben?

Cole drehte sich nach ihr um, aber da war sie bereits durch die Tür und rannte über den Flur.

5

Jordan

»Himmel, Jordie, wenn es so knapp wird, nimm wenigstens das Headset mit«, sagte Billy, sobald Jordan wieder auf ihrem Stuhl saß.

Eilig nahm sie den lauwarmen Kaffee hoch und kippte den Rest in sich hinein, dann streckte sie den Becher auffordernd über ihren Kopf. Eine Praktikantin riss ihn ihr aus der Hand und verschwand damit, um neuen Kaffee zu holen, während Billy über Kopfhörer runterzählte.

Über ihrem Schreibtisch ging das rote ON-THE-AIR-Schild an.

»Ich fürchte, ich habe ein Pfui-Pfui gemacht«, sagte sie ins Mikrofon. »Ich bin auf dem Flur gerade meinem Boss in die Arme gelaufen, und der hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass Stan heute Vormittag womöglich keine fünf Millionen Anrufe kriegen möchte. Kann ich sogar irgendwie verstehen. Ich weiß nicht, was für einen Handyvertrag er hat und was er heute sonst noch erledigen muss. Wir wollen den Mann ja nicht überfordern. Also tut mir einen Gefallen: Wenn ihr vorhattet, ihn anzurufen, wartet noch kurz. Ruft stattdessen hier im Sender an und fragt nach Jules Goldblatt, meinem Programmdirektor. Er hat sich freundlicherweise dazu bereit erklärt, eure Namen und Telefonnummern aufzuschreiben und sie dann an Stan weiterzuleiten. Dann kann Stan zurückrufen, wen er zurückrufen will. Ganz ohne jede Verpflichtung. Jules ist wirklich ein Teamplayer – immer bereit, für den Rest von uns in die Bresche zu springen, echt wahr.«

Auf Jordans Tisch standen drei Bildschirme. Mit dem ersten ging sie ins Internet, auf dem zweiten waren die Namen der Anrufer gelistet, die in der Warteschleife hingen, und auf dem dritten war ein Chat-Fenster geöffnet, über das sie während der laufenden Sendung mit Billy und anderen aus dem Team kommunizierte. Per Schalter konnte sie alle drei mittels ein und derselben Tastatur und Maus ansteuern, sodass der Tisch vor ihr nicht voller Gerätschaften war. Sie hasste unnützen Technikkram. Auf dem dritten Bildschirm tauchte eine Nachricht auf.

BILLY: Jules wird dich feuern

Eilig tippte Jordan: Er hat sich gerade einen neuen Jaguar F-TYPE gekauft. Der setzt seinen Goldesel nicht vor die Tür!

BILLY: Alle Leitungen belegt – nimm Crystal auf 2!

»Crystal, du bist auf Sendung.«

»Wirklich?«

Jordan runzelte die Stirn, als sie durch die Scheibe zu Billy sah, und schnippte dreimal mit den Fingern.

Er zuckte mit den Schultern und lächelte sie bedauernd an.

Sie brauchte einen Energieschub. Adrenalin. Man konnte die Welt nicht aufwecken, indem man mit Leuten redete, die den Finger noch auf der Schlummertaste hatten und mit der anderen Hand durch die Broschüre ihres zukünftigen Bestatters blätterten. »Ja, Crystal. Wenn du einen Radiosender anrufst und dann zehn Minuten in der Warteschleife hängst und dir Werbung anhören musst, ist es mehr als wahrscheinlich, dass du am Ende auf Sendung bist, wenn die Moderatorin abnimmt – genau so funktioniert Radio. Wie es sich unser aller Lieblings-Radiopionier Marconi gewünscht hätte.«

»Ich wollte fragen, ob du die Debatte gestern gesehen hast.«

»Gott, nein! Ich hasse Debatten! Da höre ich mir sogar lieber auf Dauerschleife die Instrumentalversion der Greatest Hits von den Backstreet Boys an, während mir jemand Zahnstocher unter die Fingernägel schiebt. Sag jetzt bitte nicht, dass du dir das Geseier angehört hast!«

»Doch, hab ich.«

»Und – wer hat dir am besten gefallen?«

»Borton aus Iowa.«

»Ist das der kleine Typ mit den Rattenaugen, der so gern Fliege trägt?«

»Ich finde ja, er sieht ganz gut aus.«

Jordan spähte zu ihrem zweiten Bildschirm, auf dem die Anrufer gelistet waren.

Leitung 1: Stan (will sich entschuldigen)

Leitung 2: Crystal (on air)

Leitung 3: Stan (dieser meint, ihr wärt in der Highschool zusammen gewesen)

Leitung 4: Bernie (will ein Spiel spielen)

Leitung 5: Stan (weiblich – sagt, die besten »Stans« sind Frauen)

Sie atmete tief durch. Was für ein Morgen. »Darf ich dich mal was fragen, Crystal?«

»Na klar.«

»Wie alt bist du?«

»Ich bin sechsundsiebzig.«

»Wow, sechsundsiebzig. Und hast die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben. Ist das zu fassen.«

»Hoffnung ist immer gut.«

Die Praktikantin kam mit Jordans Kaffee zurück und stellte ihn vorsichtig vor ihr auf den Tisch. Jordan zog den Becher näher und schnüffelte. Das volle Aroma der dunklen Röstung stieg ihr in die Nase, und der Dampf strich ihr über die Haut. Sie hätte diesen Kaffeebecher vögeln wollen, so verliebt war sie in ihn. »Als ich in der siebten Klasse war, trat Bobby Corbin bei der Wahl zum Schülersprecher gegen Lisa Almond an. Bobby hatte Buttons und Plakate und sah heiß aus. Dunkle zurückgegelte Haare und ein Lächeln, bei dem mir die Knie weich wurden – und nicht nur mir! Die Mädels waren alle hingerissen. Er war kein Zac Efron oder Jesse Metcalfe, aber er hätte der Covertyp von Teenbeat sein können. Vielleicht nicht Tiger Beat, aber Teenbeat sehr wohl. Er hatte dieses gewisse Etwas, bei dem man einfach nicken und Ja sagen musste, ganz egal, was er erzählte. In den ersten zwei Wahlkampfrunden tänzelte er Lisa aus, aber eins muss man ihr lassen: Sie hat nicht aufgegeben. Ich selbst hätte irgendwann das Handtuch geworfen und mich im Spind versteckt oder irgendwo hinter den Sitzreihen, besonders nach der zweiten Runde. Immer wenn Lisa den Mund aufmachte, riefen die Kids: ›Bobby! Bobby! Bobby!‹ Es sah echt nicht so aus, als hätte sie noch eine Chance. In der dritten Runde schüttelte sie dann ein Ass aus dem Ärmel. Ihre Eltern hatten eine Firma für Verkaufsautomaten. Diese Automaten standen in der ganzen Stadt, und sie versprach uns, wenn sie gewählt würde, würde ihr Vater in der Schule Limo- und Süßigkeitenautomaten aufstellen. Und zwar nicht nur in der Cafeteria – überall! Das nächste Snickers wäre jederzeit nur zwei Schritte entfernt. So hat sie mich um den Finger gewickelt, ich war nun mal ein Leckermaul, und ich war anscheinend nicht die Einzige: Am Wahltag lag Lisa deutlich vorn. Ich habe damals mit ausgezählt: Sie hatte fünfmal so viele Stimmen wie Bobby Corbin – ein Erdrutschsieg. Oh, was waren wir aufgeregt! Sie hatte diesen Lageplan, und wir konnten nachschauen, wo welcher Automat hinkommen und welcher Spind im nächsten Schuljahr in Bestlage stehen würde. Sie hatte uns erzählt, dass ihr Dad für alles nur fünfundzwanzig Cent nehmen wollte – das war viel weniger als in einem Laden! Goldene Zeiten! Es verging ein Monat, dann noch einer. Dann der dritte – und immer noch kein Automat weit und breit. Vier Monate – nada. Kein Automat. Wie sich herausstellte, hatte sie Projekt Zuckerschock nicht mit der Schulleitung abgesprochen. Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, bin ich mir nicht mal sicher, ob sie mit ihren Eltern gesprochen hat. Ich weiß, dass das Thema während eines Elternabends heiß diskutiert wurde, und anscheinend war kein einziger Erwachsener dafür. Ich kannte die kleine Lisa ein bisschen und bin mir sicher: Sie hat uns nicht absichtlich angelogen. Doch mit zwölf ist dir so etwas egal, da willst du dein verfluchtes Snickers. Aber ich sag dir was, Crystal: Lisa war die bessere Politikerin. Sie wusste genau, was wir hören wollten. Sie war kein bisschen anders als die Leute aus der gestrigen Debatte.« Jordan streckte sich nach ihrer Tastatur aus und rief die Suchmaske auf dem ersten Bildschirm auf. »Du findest also, er sieht gut aus, ja? Dieser Borton? Da flattert’s im Schlüpfer? Wie heißt er gleich wieder mit Vornamen? Brett? Seth?«

»Rhett. Rhett Borton.«

»Natürlich.«

Sie tippte den Namen ein, und auf dem Bildschirm erschienen mehrere Wahlkampffotos. Ein Waldschrat. Ein Waldschrat mit Fliege und unnatürlich weißen Zähnen.

»Crystal, sag mal … Hat in deinen sechsundsiebzig Lebensjahren je ein Politiker gehalten, was er im Wahlkampf versprochen hat? Nur ein einziges Mal? Irgendeine Kleinigkeit?« Noch bevor Crystal antworten konnte, fuhr Jordan fort: »Die winken mit Snickers, erzählen genau das, was wir hören wollen. Und dann wird null Komma nichts davon umgesetzt. Nichts passiert. Aber es ist nie ihre Schuld. Wenn es darum geht, wer ihnen da einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, sind sie schnell bei der Hand mit Schuldzuweisungen und übernehmen nie selbst die Verantwortung. Ich wäre dafür, dass jeder gewählte Politiker am Tag seines Amtsantritts eine Liste unterschreibt, auf der die Dinge stehen, die er uns während des Wahlkampfs versprochen hat. Und wenn er nicht hinter jeden Punkt einen Haken setzen kann, sobald er an seinem letzten Tag den Schreibtisch räumt und seine Auszeichnungen, Geschenke und Vorzeigefamilienbilder in diese weißen Kisten packt, dann sollte er seine Bezüge zurückzahlen. Nur wird das natürlich nie passieren, weil Politiker überwiegend Juristen sind, Juristen sind Abschaum, und den meisten von ihnen geht es doch hauptsächlich darum, sich die Taschen zu füllen. Lass dich von einer Fliege nicht blenden, Crystal! Der Typ ist kein bisschen besser als der ganze Rest.«

Jordan schaltete die Leitung weg und spähte erneut zum zweiten Bildschirm.

Leitung 1: Stan (will sich entschuldigen)

Leitung 2: Crystal (on air)

Leitung 3: Stan (dieser meint, ihr wärt in der Highschool zusammen gewesen)

Leitung 4: Bernie (will ein Spiel spielen)

Leitung 5: Obdachloser Harry

Der weibliche Stan hatte aufgelegt. Harry wiederum rief öfter an, aber für ihn war sie noch nicht bereit.

Jordan klickte Leitung vier an. »Hey, Bernie, was für ein Spiel schlägst du vor?«

6

Cole

»War die immer schon so?«, fragte Cole den Mann mit dem Emily-Erdbeer-Rucksack.

Er war ein paar Jahre älter als Cole, Anfang vierzig vielleicht, hatte mittelbraunes Haar und dunkelbraune Augen. Er sah müde aus, als hätte er in letzter Zeit nicht viel Schlaf abbekommen. Er zerzauste die Haare des Mädchens. »Was meinst du, Charly, war deine Mom immer schon so?«

Das kleine Mädchen sah von ihm zu Cole und lehnte sich an das Bein des Mannes. »Ohne einen Anwalt beantworten wir besser keine Fragen.«

Cole musste schmunzeln. Er ging in die Hocke. »Wie alt bist du überhaupt?«

»Elf.«

»Und eindeutig die Tochter deiner Mutter.«

Das schien sie zu verwirren. »Wessen Tochter sollte ich denn sonst sein?«

»Musst du nicht in die Schule?«

Sie sah zu dem Mann neben ihr hoch. »Kann er mich auch verhaften, Daddy? Fürs Schuleschwänzen? Ich will nicht ins Gefängnis, nicht mal mit Mommy.«

»Du meinst Schuleschwänzen«, sagte ihr Vater. »Aber dafür werde eher ich verhaftet.« Er streckte die Hand aus. »Ich bin Nick Briggs, Jordies Ehe… Ex-Mann … seit letztem Monat.« Er lächelte schief. »Daran muss ich mich erst noch gewöhnen.«

Cole stand auf und gab ihm die Hand. »Tut mir leid.«

Nick hielt dem Mädchen die Ohren zu. »Muss Ihnen nicht leidtun. Es fühlt sich an, als hätten sie mir ein Riesenfurunkel aus dem Allerwertesten geschnitten.«

»Das ist eklig, Daddy!«

Erneut zerzauste er ihr die Haare. »Deine Mommy ist die beste Mommy der Welt, und ich kann froh sein, dass ich mit ihr verheiratet war.« Er sah kopfschüttelnd zu Cole und fuhr sich mit der Hand wie mit einem eingebildeten Messer über die Kehle. »Charlotte sollte das Wochenende bei mir verbringen, allerdings ist mir etwas Dringendes dazwischengekommen, und wir müssen umdisponieren.«

»Ich fahre in die Hamptons!«

»Mit den Schulaufgaben von heute und morgen«, ergänzte ihr Vater und drückte ihre Schultern, »die du brav jeden Tag machst, bevor du an den Strand gehst …«

»Vielleicht doch lieber Gefängnis.« Sie verzog das Gesicht.

Coles Funkgerät piepte. Er griff danach und drückte auf eine Taste. »5839, ich höre?«

»Wir haben Meldungen reingekriegt, dass dein Einsatzfahrzeug auf der 49th steht. Bist du gar nicht bei deinem Wagen? Du hast nicht reagiert.«

Scheiße.

»Kleiner Auffahrunfall, ist aber quasi geregelt.«

»Gaff zieht dich nie von der Streife ab, wenn du deinen Wagen einfach stehen lässt. So was musst du melden, selbst wenn du direkt daneben stehst.«

»Verstanden.«

Darüber würde er sich ganz sicher nicht weiter den Kopf zerbrechen. Er nickte Nick Briggs und der Tochter zu und ging zurück zum Aufzug. Seit zwei Wochen war er bereits auf Verkehrsstreife, eine Woche lag immer noch vor ihm, und er wollte es wirklich nicht verbocken. Der Kollege aus der Zentrale hatte ja recht – nur zu gern würde Gaff ihn noch einen ganzen Monat schmoren lassen. Aber Cole wollte zurück ins Morddezernat.

Als er wieder auf dem Gehweg stand, musste er feststellen, dass sich die Fahrzeuge draußen kein Stück vorwärtsbewegt hatten. Er hatte es geahnt – erst müsste die Today Show vorbei sein, dann würden die Absperrungen abgebaut. Im Sommer passierte so etwas mehrmals die Woche.

Er stieg in seinen Streifenwagen ein und stellte das Blaulicht ab.

Hinter ihm hatte ein Taxi versucht, sich auf die linke Spur zu quetschen, und stand jetzt quer, ohne auch nur einen Zentimeter voranzukommen. Hier ging nichts mehr vorwärts.

Der Bus ein paar Wagenlängen voraus auf der linken Spur war mit einem gigantischen Werbefoto der Verrückten beklebt – mit demselben Foto, das oben im SiriusXM-Gebäude gehangen hatte.

Cole tippte mit den Fingern aufs Lenkrad: von links nach rechts, von rechts nach links und wieder zurück. Er könnte die Sirene anschalten und sich mit Gewalt einen Weg hier rausbahnen – nur wozu? Um dann ein, zwei Blocks weiter Strafzettel wegen Falschparkens zu schreiben? Da blieb er lieber hier.

Er nahm sein Smartphone heraus und lud sich eine Satellitenradio-App herunter, klickte auf GRATISTESTEN und gab seine E-Mail-Adresse ein.

Suchmaske.

Berufsbedingte Recherche. Nichts weiter.

Solange er ohnehin nirgends hinkäme.

Er würde es ausstellen, sobald der Verkehr wieder floss.

Er tippte Jordan Briggs in die Suchmaske ein, und unter der Überschrift Overdrive mit Jordan Briggs erschienen drei Links: LIVE, SENDUNGVONGESTERNVERPASST? und KLASSIKER. Er klickte auf LIVE. Einen Augenblick später hörte er ihre Stimme über den Lautsprecher seines Smartphones: »… lass dich von einer Fliege nicht blenden, Crystal! Der Typ ist kein bisschen besser als der ganze Rest.«

Nach ein paar weiteren Klicks hatte er sein Handy mit dem Bluetooth-Lautsprecher des Wagens verbunden.

Jordan Briggs’ Stimme füllte den Innenraum. »Hey, Bernie, was für ein Spiel schlägst du vor?«

7

Jordan

Als Bernie nicht antwortete, verdrehte Jordan die Augen. »Bist du noch dran, Bernie?«

Kurz waren merkwürdige Geräusche zu hören, als hätte jemand sein Telefon beiseitegelegt. Dann ertönte eine Männerstimme: Akzent aus dem Mittleren Westen, vermutlich über dreißig. Nach zehn Jahren Radio war Jordan ziemlich gut darin, einer Anruferstimme Alter, Herkunft und Ethnizität zuzuordnen. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sogar die Haarfarbe erraten.

»Ich bin da«, sagte er, »sorry, ich hab den Kaffee gesucht.«

»Dein Kaffee ist verschwunden?«

»Ich bin bei Freunden, und es ist noch zu früh, die sind noch nicht wach … Ich hab ihre Küche durchforstet und muss leise sein, damit ich sie nicht aufwecke. Die Wände sind hier sehr dünn.«

»Wo bist du gerade?«

»In ihrer Küche, wie gesagt.«

»Das hab ich nicht gemeint, Klugscheißerchen.«

»Sorry. Ich bin gerade in Brooklyn, Seventh Avenue, in der Nähe vom Prospect Park.«

»Und wo bist du zu Hause?«

»Oh, nirgends so richtig … Ich war noch nie gut darin, irgendwo Wurzeln zu schlagen.«

»Was machst du denn beruflich?«

»Ich war früher Lkw-Fahrer. Aber wegen einer Verletzung bin ich arbeitsunfähig.«

»Tut mir leid, das zu hören.« Jordan rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn, um bequemer zu sitzen. Der Typ hatte Tempo rausgenommen, aber manchmal war das hilfreich. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass sie an ihm dranbleiben sollte, und mit den Jahren hatte sie gelernt, ihrem Bauch Folge zu leisten. Auf Monitor drei wurde Billy ungeduldig.

BILLY: Captain Cornflakes wirft mit Schlaftabletten um sich. Mach ihm Feuer unterm Arsch oder nimm den Nächsten dran!

»Wie lange bist du schon arbeitsunfähig?«

Bernie antwortete nicht gleich. Sie stellte sich vor, wie er es an den Fingern abzählte.

»Sieben Jahre. Auf den Tag genau sieben Jahre.«

»Sieben Jahre? Auf Erwerbsminderungsrente oder …?«

Er lachte tonlos in sich hinein.

»Findest du das witzig?«

»Ich höre dich jetzt schon ziemlich lange, Jordan. Ich kenne dich. Was du eigentlich wissen willst, ist doch, ob ich ernsthaft schon ein knappes Jahrzehnt auf Stütze bin, stimmt’s?«

Na also!

»Dazu kommen wir später, keine Sorge. Erst mal bin ich wirklich neugierig und will wissen, was passiert ist.«

»Scheiße!«

»Was?«

»Ich hab mir in den Finger geschnitten.«

»Du hast dir in den Finger geschnitten, während du Kaffee machst?«

»Die Küche meines Kumpels ist anscheinend gefährlich.«

»Klingt ganz danach.«

Bernie räusperte sich. »Ich hab nicht viel Schlaf abgekriegt. Ich schlafe überhaupt ziemlich schlecht, aber letzte Nacht war es besonders anstrengend. Diese ganzen Sachen, die mir im Kopf herumgehen und alle irgendwie bedacht werden wollen … Aber du weißt ja selbst, wie das ist – wenn du einfach nicht abschalten kannst.«

Jordan schnaubte. »Zig Stimmen, die auf einen einreden und einem sagen, was man als Nächstes tun sollte. Die sich überschlagen und einen anschreien. Ist es das, Bernie? Ich habe gehört, wenn man sich einen Aluhut bastelt, geben sie Ruhe.«

»Du musst in deine Stimme echt irre verliebt sein, wenn du solchen Scheiß erzählst, nur um dich selbst reden zu hören.«

»Meine Stimme ist sexy«, schnurrte Jordan.

»Ich würde wetten, dass dir auch so einiges im Kopf herumgeht«, fuhr Bernie fort. »Ich glaube, wenn ich durch dein Medizinschränkchen wühlen würde, wäre da einiges zu holen, was einen ausknockt – Ambien, Xanax, vielleicht noch eine Flasche Jameson auf deinem Nachttisch, der dich nachts wärmt, jetzt, wo dein Mann nicht mehr da ist?«

Dass Jordan und Nick sich getrennt hatten, war nicht gerade ein Geheimnis. Die Boulevardzeitungen hatten schon Unrat gewittert, bevor sie selbst bemerkt hatten, dass es in ihrer Ehe kriselte. Sie hatten unvorteilhafte Fotos veröffentlicht, wie sie beide mit deutlichem Abstand voneinander und Wut im Gesicht im Central Park spazieren gegangen waren – und selbst an einem guten Tag hatten die Paparazzi mindestens ein, zwei unschmeichelhafte Fotos geschossen. Sie hatten sie nie lächelnd oder händchenhaltend erwischt, immer mit verzogenen Gesichtern oder voneinander abgewandtem Blick. Sie selbst hatte sich irgendwann an die hartnäckigen Spekulationen gewöhnt, Nick hingegen nicht. Er war hellhörig geworden, hatte die Deckung runtergelassen – und das war das Problem gewesen. Eins der Probleme. Eines von vielen. Besonders Page Six hatte über ihr Privatleben hergezogen, wann immer sie die Gelegenheit gehabt hatten. Sie hatten wildeste Schlagzeilen publiziert, um sie zu provozieren, weil sie genau wussten, dass Jordan in ihrer Sendung zurückschießen und damit die Page-Six-Auflage befeuern würde. Im vergangenen Herbst waren dann die ersten Fotos von Charlotte erschienen. Da war für Nick das Fass übergelaufen. Die persönlichen Attacken auf Jordan hatte er noch ertragen, er hatte sogar diejenigen hingenommen, in denen auch er erwähnt war. Aber als die Presse meinte, sich auf ihre Tochter einschießen zu können, war ihm der Geduldsfaden gerissen. Er hatte Jordan ein geradezu lächerliches Ultimatum gestellt und eine Woche später die Scheidung eingereicht, nachdem sie ihm klargemacht hatte, dass sie ihre Karriere nicht an den Nagel hängen würde.

Trotzdem war ihr nicht wohl dabei, dass ein Fremder ihre Trennung zur Sprache brachte, und das auch noch in ihrer Livesendung.

Vorsicht, Freundchen. Leg dich nicht mit mir an.

»Wie sieht’s denn bei dir aus, Bernie? Gibt’s eine Mrs. Bernie? Hast du ein Frauchen an der Leine? Oder bezahlst du eine dafür, dass sie dich gegen Geld stundenweise löffelt?«

Bernie verstummte. Aber er legte nicht auf. Sie konnte ihn in den Hörer atmen hören.

Komm, Kleiner, schluck den Köder! Rede mit mir!

»Nein. Es gibt nur mich. Ist es das, was du hören wolltest?«

Bingo.

»Natürlich nicht, Bernie. Ich will doch nur das Beste für dich. Niemand sollte allein sein.«

Er lachte leise in sich hinein. »Ich höre dich schon lange, Jordan, schon vergessen? Ich weiß, dass ich dir komplett egal bin. Dir ist doch nur deine Quote wichtig. Du willst, dass ich die Hosen runterlasse und dir was Privates von mir erzähle, was du dann ausschlachten kannst. Vielleicht dass ich fett bin? Dass ich zu viel trinke? Vielleicht dass ich mich von der Außenwelt abkapsele? Irgendetwas, woran du dann ziehst wie an einem losen Faden. Du ziehst so lange, bis sich alles auflöst und du mich Stück für Stück zerlegen kannst. Du lebst davon, andere auseinanderzunehmen. Aber mich nimmst du nicht auseinander.«

»Du klingst verbittert, Bernie.«

Ein leises Ping war zu hören, eine Mikrowelle vielleicht. »Klar, ich bin verbittert.«

»Was hat dazu geführt? Der Unfall?«

»Vielleicht war ich immer schon so.«

»Das glaube ich nicht«, entgegnete Jordan. »Ich glaube eher, dass du bis zu einem bestimmten Punkt in deinem Leben ganz und gar nicht verbittert warst. Ich hab das Gefühl, du warst ein unverbesserlicher Optimist – bis zu diesem Unfall, den du erwähnt hast. Durch die Verletzung hast du deinen Job verloren, dein Selbstwertgefühl, hast ein paar Kilo zugelegt, hast angefangen zu trinken, und jetzt bist du eben du. Genau da ist aus dem Fröhlichen Bernie der Verbitterte Bernie geworden. Klingt das halbwegs korrekt?«

Bernie antwortete nicht.

Jordan ließ zu, dass sich Stille breitmachte, dass sie zäher und dickflüssiger wurde.

Vom anderen Ende der Leitung war erst ein lauter Schlag, dann ein Rumpeln zu hören.

Jordan sah zu Billy in seiner Kabine, der lediglich mit den Schultern zuckte.

»Was machst du dir denn gerade zum Frühstück, Bernie?«

Wieder ein lauter Krach, dann drei dumpfe Schläge. Es klang, als hätte er das Telefon fallen lassen.

Dann nichts mehr.

Stille.

Als Nächstes waren Grillen zu hören.

Jordan sah zu Billy und schüttelte den Kopf.

BILLY: Kein Soundeffekt, verstanden.

JORDANschrieb zurück: Weiter Stille!

BILLY: Bin mir nicht sicher, worauf du mit ihm hinauswillst …

Jordan war sich auch nicht sicher.

Bernie musste das Telefon wieder hochgenommen haben. Kein Krach mehr, nur noch ein leises Schlurfen, und er war wieder in der Leitung. »Sorry wegen eben.«

»Was ist passiert?«

»Einer meiner Freunde ist aufgewacht und hat mich erschreckt. Aber jetzt bin ich wieder da.«

»Wie viele Leute wohnen denn dort?«

Wieder schwieg Bernie, zumindest eine Zeit lang. Als er erneut das Wort ergriff, sprach er leiser als zuvor, und statt zu antworten, stellte er ihr eine Gegenfrage: »Bist du schon mal mitten in der Nacht aufgewacht und hast dich gefragt, ob es das war? Ob der Tag gekommen ist, an dem du stirbst?«

»Das ist jetzt aber makaber!«

»Ist es nicht. Es ist der natürliche Lauf der Dinge. Vom Moment unserer Geburt an läuft der Countdown. Wir leben unser Leben – Kindheit, Jugend, erster Job, Familie, einige werden alt, andere nicht –, und der Countdown läuft und läuft. Manchmal fällt er dir wieder ein, irgendwas erinnert dich an deinen persönlichen Countdown. Vielleicht eine Krebsdiagnose, vielleicht der Tod eines Freundes. Du weißt, was ich meine. Dieser dezente Weckruf, der einem wieder vor Augen führt, dass wir sterblich sind und dass es jederzeit vorbei sein kann. Ich glaube, den wenigsten von uns ist klar, wie zerbrechlich das Leben tatsächlich ist. Wenn wir morgens aufstehen, Frühstück machen, zur Arbeit fahren, dann gehen wir fest davon aus, dass wir abends zurückkommen. Zu Abend essen, vielleicht mit jemandem, der uns nahesteht, uns noch einen Film anschauen, bevor wir ins Bett gehen und am nächsten Morgen alles wieder von vorn beginnt. Und täglich grüßt das Murmeltier. Im Lauf der Geschichte hat nur eine Handvoll Leute gewusst, dass sie den Abend nicht mehr erleben – Selbstmordattentäter, Häftlinge im Todestrakt. Die Liste ist wirklich nicht lang. Ich frage mich, ob das nicht sogar eine Erleichterung war. Zu wissen, dass sie innerhalb der nächsten Stunden sterben müssten. Dass sie ihr Konto leer räumen könnten und endlich dem Nachbarn sagen, dass er ein Arschloch ist. Dass sie komplett über die Stränge schlagen könnten, weil sie den nächsten Tag ja nicht mehr erleben müssten, um die Konsequenzen auszubaden. Da fällt einem doch eine enorme Last von den Schultern, oder?«

Jordan runzelte die Stirn. »Kiffst du, Bernie? Das klingt ganz nach Augie’s Special Blend aus Mexiko oder vielleicht wie dieses medizinische Hydrokulturzeug, das sie in Colorado verticken.«

»Nein, ich bin gerade komplett nüchtern. Ich nehme keine Drogen.«

»Müssen wir uns Sorgen machen, dass du dir etwas antust?«

»Ich will mich nur unterhalten.«

»Weil du ein bisschen klingst, als wolltest du dir etwas antun.«

»Ich habe nicht vor, mir etwas anzutun.«

»Trotzdem fragst du dich, ob du den heutigen Abend erleben wirst?«

»Hab ich doch gar nicht gesagt.«

Jordan runzelte die Stirn. »Aber sicher.«

»Du redest gern, aber Zuhören scheint nicht deine Stärke zu sein«, erwiderte Bernie. »Du bist viel zu sehr darauf konzentriert, was du als Nächstes sagen willst. Du nimmst dir nicht die Zeit zu verarbeiten, was du gerade gehört hast. Du hörst nicht richtig hin.«

BILLY: Freak!

»Ich hatte dich gefragt, ob du je mitten in der Nacht aufgewacht bist und dir diese Frage gestellt hast – ob heute der Tag ist, an dem du sterben musst. Und wenn ja: Wenn du dir sicher sein könntest – wie würdest du diesen Tag dann verbringen?«

»Willst du mir drohen, Bernie? Ich dachte, wir sind Freunde?«

»Nein. Natürlich nicht. Wie gesagt, ich will nur ein bisschen plaudern.«

Jordan seufzte. »Tja, aber allmählich langweile ich mich, und Langeweile kann ich nicht ausstehen.« Ihr Finger schwebte über der Taste, mit der sie ihn aus der Leitung werfen konnte. Sie sah auf Bildschirm zwei, zur Liste der Anrufer.

»Jetzt reden wir die ganze Zeit und haben mein Spielchen ganz vergessen«, sagte Bernie leise. »Willst du mit mir spielen?«

BILLY: Werbung in 20 Sek!

»Okay«, sagte Jordan, »schieß los. Worum soll’s gehen?«

»Es ist wirklich ganz einfach. Ich biete dir zwei Dinge an, und du sagst mir, was dir lieber ist.«

»Klingt aber nicht nach einem Spiel.«

»Ich glaube, du wirst es mögen.«

»Wir gehen gleich in die Werbung, also mach schnell.«

»Okay, dann los«, sagte Bernie. »Personenverkehr hier in New York. Was ist dir lieber: Uber oder Taxi?«

Jordan verdrehte die Augen. »Ernsthaft?«

»Als Tourist in deiner Stadt bin ich natürlich neugierig. Deine Einschätzung bedeutet mir viel.«

BILLY: 10 Sek!

»Du hast mal gehört, wie ich darüber gesprochen habe«, erwiderte Jordan. »Uber unterwandert den hiesigen Markt. Sie arbeiten nicht kostendeckend, und sie können ihr System nur aufrechterhalten, indem sie darauf setzen, dass sie irgendwann die Taxifahrer aus dem Geschäft gedrängt haben. Ich halte es da lieber mit der NTWA, der National Taxi Workers’ Alliance, und fordere meine Zuhörer auf, das ebenfalls zu tun. Uber ist schlecht für die hiesige Wirtschaft. Nur Touristen rufen sich ein Uber. Und das wäre meine Antwort – ich nehme Taxis.«

Bernie antwortete nicht.

»Hab ich jetzt gewonnen?«

Ein leises Klicken, und die Leitung war tot. Erst jetzt dämmerte es Jordan, dass er vom Festnetz aus angerufen hatte. Sie selbst kannte niemanden, der noch ein Festnetztelefon hatte.

8

Jordan

Jordans Sendungs-Jingle erklang, dann folgte der Werbeblock. Sie schaltete ihr Mikro stumm, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah zu Billy in seiner Kabine. »Sorry, ich dachte, das würde irgendwohin führen.«

»Du hättest mit den Stans weitermachen sollen.« Er schnippte dreimal mit den Fingern. »Schnellfeuer – einen nach dem anderen umlegen.«

»Nick hat Charlotte vorbeigebracht. Es wäre sein Wochenende mit ihr gewesen.«

Billy sortierte ein paar Unterlagen. »Regel Nummer eins jedes Sorgerechtsstreits: Erzähl niemandem, dass du mit deinem einzigen Kind keine Zeit verbringen willst.«