Gartenarbeit - Stefan Rahe - E-Book

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Stefan Rahe

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Beschreibung

Als die 83-jährige Edith ihren Radieschen mit der Hacke zu Leibe rückt, ahnt sie nicht, welchen spektakulären Fund sie im heimischen Garten machen wird. Gerät sie, wie schon letztes Jahr, in den Sog krimineller Machenschaften? Gut, dass sie sich bei ihren Ermittlungen der tatkräftigen Unterstützung ihrer „Skatbrüder“ Maria und Patricia gewiss sein kann. Auch Hausarzt Dr. Rabe kann sich dengeheimen Nachforschungennicht entziehen; schließlich unterliegt er der ärztlichen Schweigepflicht. Die Dimensionen der Kriminalgeschichte gehen soweit, dass sogar ungesühnte Nazi-Verbrechen eine Rolle spielen könnten. Stellt sich die Frage: Ist die psychische Verfassung der alten Dame robust genug, dem Druck der Ermittlungen standzuhalten?

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Seitenzahl: 215

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Ähnliche


Stefan Rahe

Gartenarbeit

Edith ermittelt

Tatort Elze

Für Anke, Linda und Paul

Hottenstein Buchverlag

An der Höhe 15

D-31079 Sibbesse

Tel. +49 5065 - 1781

Fax +49 5065 - 1824

www.hottenstein.de

[email protected]

ISBN 978-3-935928-81-6

Bearbeitung und Satz: MS Hartmann

Umschlaggestaltung: Martin Hartmann

Umschlagsbild: gerthulf/photocase.de

SW Illustration: Kristin König-Salbreiter

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Nachwort68

Literaturverzeichnis:69

Liebe hat kein Alter –

sie wird ständig geboren

(Blaise Pascal)

1.

Die Luft stand und Mücken tanzten in den ersten Schattenzonen, die sich bildeten, als die Sonne hinter den Pappeln des Kirchengrundstückes verschwand. Der Juli war bislang heiß gewesen und jeder Elzer genoss die Wärme auf die ihm ganz eigene Art und Weise. Hatte doch Petrus dem Leinebergland für den gesamten Juni Dauerregen verordnet.

Edith saß auf ihrer Holzbank im Garten, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blinzelte im Halbschatten der Sonne entgegen, deren Strahlen ab und zu eine Lücke im Blattwerk der hohen Bäume fanden. Dass langsam Schweiß von ihren Achseln Richtung Rücken floss und der bunte Nylonkittel auf der Haut klebte, störte Edith nicht im Geringsten. Die Mücken würden sowieso erst viel später in Beißlaune kommen.

Ihr Gesicht zeigte ein zufriedenes Schmunzeln und die im letzten Jahr so arg verkrampfte Muskulatur entspannte sich auf wundersame Weise. Patricia hatte ihr Badesalz geschenkt, das sie auf einem anthroposophisch geführten Bauernhof erworben hatte. Edith war jedoch vielmehr der Ansicht, dass nicht das wöchentliche Bad mit den esoterischen Zusätzen, sondern eher die Beruhigung in ihrem Lebensumfeld ihrer inneren Ausgeglichenheit und ihrem Wohlbefinden äußerst zuträglich war.

„Jetzt die Zeit anhalten, diesen Augenblick so lange wie möglich genießen!“, dachte Edith.

„Freeze“, hatte Mareike gesagt, „zweimal ‚Freeze‘ musst du sagen, Mama und beide Daumen ganz fest drücken, dann bleibt‘s so, wenn‘s gerade schön ist.“

„Freeeeze!“

„Geht‘s dir gut, Oma?“, erkundigte sich Marcel und öffnete sein Fenster im ersten Stock, die Bässe von Bushido ließen Oma Edith eine gerade Sitzposition einnehmen.

„Ja, alles bestens, ich genieße nur den schönen Nachmittag.“

„Dann ist ja gut, hab mir schon Sorgen gemacht. Sollen wir dir auch ein Eis mitbringen?“

Warum eigentlich nicht. „Vanille und Erdbeere, wenn‘s geht.“

„Passt schon, gehgleich mit Jessi los.“

Marcel zum Beispiel: Nachdem der Bengel durch die theoretische Führerscheinprüfung gefallen war, hatte die Stimmung im Haus gelitten und eine Spannung lag in der Luft. Der kleinste Disput löste bei dem Jungen ein Gewitter aus. Jetzt, als die Nachprüfung bestanden war und sich eine Liason zu Jessica entwickelt hatte, konnte kein Wässerchen die Laune ihres Enkels trüben.

Auch Mareike hatte einen neuen Freund über das Internet kennengelernt. Sie pfiff Lieder aus dem Radio mit und das schon morgens um 5:30 Uhr, wenn der Wecker zur Frühschicht klingelte.

Die Frischverliebten hatten sich allerdings erst einmal persönlich getroffen und Edith hatte überlegt, ob es für ihre Tochter nicht auch gut wäre, möglichst lange „Freeze!“ zu sagen. Vor allem wenn man die zurückliegenden Jahre unvoreingenommen im Hinblick auf die Dauer der jeweiligen Beziehung betrachtete.

Viel mehr hatte Edith jedoch die Sache mit Wilhelm Schaper belastet. Letztes Jahr im Dezember hatte sie seine Leiche in der Saale gefunden – dessen war sie sich mittlerweile ganz sicher. Daraufhin hatte sie Torsten, Wilhelm Schapers Sohn als Ersten informiert. Im weiteren Verlauf war die Leiche verschwunden. Torsten hatte ihr vorgeworfen, zu halluzinieren. Unter Berücksichtigung dessen, was Mareike beiläufig von ihrer Arbeit als Pflegehelferin vom Heim erzählte, in dem Wilhelm Schaper bis zu seinem Verschwinden gelebt hatte, musste Edith davon ausgehen, dass Torsten seinen eigenen Vater auf dem Gewissen hatte. Wahrscheinlich ging es darum, Kosten für die Heimunterbringung zu sparen. Nachdem die Leiche aber weg war, hätte die Polizei sicher auch nichts mehr unternehmen können. Edith hatte sich noch an den vorletzten „Tatort“ im Fernsehen erinnert. Auch dort war die Leiche verschwunden und die ermittelnden Kommissare waren von ihrem Chef mit folgendem Hinweis zurückgepfiffen worden:

„Keine Leiche, meine Herren, damit kein Mord, damit auch kein Mörder, Ergo: Keine Ermittlungen mehr, ist das klar?“

Da Torsten ihr indirekt gedroht hatte, ihrer Enkeltochter Sophie etwas anzutun, hatte Edith es nicht gewagt, irgendjemanden ins Vertrauen zu ziehen, geschweige denn die Polizei zu informieren.

Diese Geschehnisse lasteten schwer auf ihren Schultern, vor allem die Tatsache, mit niemandem darüber reden zu können, hatten sie zeitweilig nahezu gelähmt. Die ganze Geschichte hatte ihr das letzte Weihnachtsfest gründlich vermiest und war ihr im wahrsten Sinne des Wortes auf den Magen geschlagen. Sieben Kilo hatte sie abgenommen, obgleich das Angebot an Leckereien über die Feiertage naturgemäß üppig gewesen war. Dr. Rabe hatte daraufhin einige Untersuchungen anberaumt, die aber für volle körperliche Gesundheit sprachen und den Hausarzt zu der Erkenntnis kommen ließen, dass die Ursache für den fehlenden Appetit im familiären Kontext von Frau Marhenke zu sehen sei – wie so oft und bei vielerlei Beschwerden der betagten Dame. Edith widersprach nicht, mochte aber ihrem Arzt in diesem Falle die näheren Umstände auch nicht darlegen. Nach den vielen Arztterminen hatte Mareike schon vermutet, dass ihre Mutter ernsthaft erkrankt sei und aus Rücksicht auf die Familie die schlechten Nachrichten für sich behalte.

Natürlich hatte die Polizei von Amts wegen ermitteln müssen, da Wilhelm Schaper vom Heim als vermisst gemeldet wurde. Als die Ermittlungen mangels Ergebnissen jedoch eingestellt wurden und Torsten im Frühjahr ins Ruhrgebiet verzog, hatte Edith zunehmend Abstand von der Angelegenheit gewinnen können.

Blühende Narzissen und Tulpen in ihrem geliebten Garten trugen ein Übriges dazu bei und die nachlassenden Schulter- und Rückenschmerzen ließen die 83-jährige Edith Marhenke sogar so übermütig werden, ein kleines Gemüsebeet anzulegen. Zum einen können selbst gezogene Möhren, Kohlrabi und Radieschen den jungen Leuten etwas Abwechslung im Speiseplan bieten; jeden Tag Tiefkühlpizza, Gyros und Currywurst kann eigentlich nicht gesund sein. Zum anderen ist es für die 4-jährige Sophie sicherlich interessant, dem Gemüse beim Gedeihen zuzuschauen und der Oma ab und zu im Garten mitzuhelfen.

Besonders die Radieschen hatten sich ganz hervorragend entwickelt. Es ließen sich große Knollen ernten, deren milde Schärfe nach einer Spur Salz einen äußerst angenehmen Nachgeschmack entfaltete. Die feuchte Witterung im Juni und die aktuelle Wärme taten dem Gemüse gut.

„So Oma, der Eisexpress!“

Marcel überreichte seiner Großmutter den Becher samt Waffel und Plastiklöffel während er zur Rechten und Jessica zur Linken neben ihr auf der Holzbank Platz nahmen. So umrahmt von jungen Leuten fühlte Edith sich direkt etwas geschmeichelt. Andächtig schleckten die Drei ihr Eis und lobten die Qualität der Elzer Eisdiele.

„Oh Gott, ich muss Sophie von Fiedlers abholen!“, entfuhr es Edith plötzlich, als sie auf ihre Uhr blickte und registrierte, dass es schon kurz vor sechs war. Mareike hatte Spätschicht und Sophie zu ihrer Freundin Jasmin Fiedler in die Amtsstraße gebracht.

„Keine Panik, machen wir“, kam es wie im Gleichklang von Jessica und Marcel.

So kannte Edith die beiden gar nicht. „Kann es sein, dass ihr so aufmerksam seid, weil ich euch irgendwie behilflich sein soll?“ Edith schaute nach dieser eher rhetorischen Frage beiden nacheinander eindringlich in die Augen.

„Nein, also das heißt doch, also höchstens eine Sache: Jessi wird doch nächste Woche 18 und da haben wir gedacht, also ob wir vielleicht den Samstag danach in deinem Schuppen etwas Party machen können, also nicht mehr als 20 Leute.“

Edith blickte gedankenverloren auf den großen Holzschuppen am Ende des Gartens. Der Schuppen war etwas in die Jahre gekommen und seinebesten Zeiten lagen lange zurück. „Ihr müsst aber danach alles wieder aufräumen und vorher den Nachbarn Bescheid sagen und Herrn Tönnies nicht vergessen.“

„Wusste ich doch, dass man sich auf dich verlassen kann.“ Marcel nickte gewichtig, zog ein breites Grinsen auf und beugte sich Richtung Jessi, während beide Daumen nach oben gingen. 

2.

In der Nacht hatte es furchtbar geblitzt, aber es blieb bei dem Wetterleuchten. Regen fiel nicht und die Sonne blendete schon alle Frühschwimmer, die mit dem Rad Richtung Freibad unterwegs waren. Edith war schon zeitig auf den Beinen, kam von der Fußpflege zurück und schlenderte die Bahnhofstraße lang.

Wenn es richtig heiß wurde, wollte sie lieber um die Mittagszeit zuhause sein und die anstrengenden Tätigkeiten des Tages hinter sich gebracht haben. Fußpflege als solche war zwar nicht anstrengend, aber der Weg hin und zurück musste auch bewältigt werden. Dafür entschädigte die Massage mit Paraffinbad und herrlich duftenden Aromen umso mehr und wirkte nicht nur auf Ediths Füße vitalisierend, sondern auf den ganzen Körper. Alle vier Wochen gönnte sie sich diesen Luxus.

Überholt wurde Edith von jugendlichen Fahrradfahrern, die sich zu zweit ein Rad teilten, der „Beifahrer“ entweder auf dem Lenker sitzend, die Beine schlaksig neben dem Vorderrad baumelnd oder seitlich auf der Querstange sitzend. Das dritte Duo war besonders tollkühn, ein Junge stand auf dem Gepäckträger während er sich lässig mit der linken Hand an der Schulter des Fahrers festhielt und sich mit rechts die gegelten Haare kämmte. Im Zirkus hätte Edith durchaus Applaus gespendet, aber ob man um diese Tageszeit so über die Bahnhofstraße fahren sollte? Edith hatte ihre Zweifel – auch in Hinblick auf die Erlaubnis, die Marcel und Jessi bekommen hatten, im Schuppen ihre Feier abzuhalten. Edith war sich nicht mehr so sicher, ob sie sich doch zu schnell um den Finger hatte wickeln lassen. Sicher würde auch Alkohol getrunken. Was heutzutage sonst noch so an Drogen konsumiert wurde, wusste sie nicht, hatte aber von kleinen bunten Pillen gehört, die die Müdigkeit bekämpften.

Wie auch immer, jetzt hatte sie die Sache genehmigt. Edith hatte in ihrem Leben immer zu ihrem Wort gestanden und war bislang nie schlecht damit gefahren.

„Also, warum sollte es dieses Mal nicht auch gut gehen“, beruhigte sie sich.

„Hallo Edith, warte mal einen Augenblick.“

Patricia stand im Hauseingang ihres schönen roten Backsteinhauses in der Bahnhofstraße, um ihre Freundin abzufangen.

„Du bist aber früh dran diese Woche, macht die Fußpflege gleich Siesta?“

„Nein“, lächelte Edith, „aber bei diesen Temperaturen habe ich gerne die Besorgungen bis um elf geschafft.“

„Das verstehe ich. Ich wollte dich nur fragen, ob wir uns heute Abend bei mir treffen können. Eigentlich wären wir ja bei Maria dran, aber ich habe wieder so viele Aussetzer und dann bin ich lieber in meinen eigenen vier Wänden.“

Mit „Aussetzern“ meinte Patricia nicht etwa kurzzeitige Bewusstseinsstörungen, sondern einzelne Extraschläge des Herzens, die sie als Pausen wahrnahm – eigentlich völlig ungefährlich wie Edith wusste, aber Patricia konnte sich in mancherlei Unpässlichkeiten ziemlich hineinsteigern.

Einmal fand das regelmäßige Treffen der Damen sogar durch einen Notarzteinsatz ein jähes Ende. Völlig überflüssig, wie sich im Nachhinein herausstellte. Für Patricia war es ganz entscheidend, dass sie nicht zu sehr um sich selber kreiste, sondern Ablenkung fand. Natürlich war es tragisch, dass ihr Mann, ein bis dahin angesehener Notar, sie vor einem Jahr hatte sitzen lassen, um mit einer 15 Jahre jüngeren „Bekanntschaft“ vom Juristentag durchzubrennen. Aber bei Männern musste man mit allem rechnen und Edith konnte nur jeder Frau raten, ein selbständiges Leben zu führen und von anderen so unabhängig wie möglich zu sein.

Der erste Schritt war die Skatrunde gewesen, zu der Edith Patricia hatte überreden können. Obgleich Edith, Patricia und Maria als die „Drei Skatbrüder von Elze downtown“ im Ort belächelt wurden, war es für die 60-jährige Patriciaein Ausdruck von Autonomie und Trotz gewesen, die Skatrunde ihres entschwundenen Gatten weiter zu führen. Für Maria und Edith hatten die wöchentlichen Treffen zunächst eher dieBedeutung, ihrer verstorbenen Männer zu gedenken, denn genau diese hatten sich über Jahre regelmäßig zum besagten Kartenspiel getroffen.

Mittlerweile hatte sich zwischen den Frauen aber eine innige Freundschaft entwickelt und die Drei hatten zueinander uneingeschränktes Vertrauen. Manche Sorgen und Nöte konnten in diesem Kreise offen besprochen werden, obgleich die Persönlichkeiten der Frauen schon sehr verschieden waren. Maria hatte als Russlanddeutsche zwischen Nowosibirsk und Südniedersachsen schon so einiges erlebt.

Mit ihrer zupackenden Art und ihrem spontanen Pragmatismus kompensierte sie ihre Defizite bei der deutschen Sprache. Ohne ihre Leitung wären sie oder Teile ihrer Familie sicherlich irgendwo auf der Strecke geblieben.

„Ja, klar können wir uns bei dir treffen, um acht wird es ja auch etwas kühler sein. Maria kann ich anrufen und Bescheid geben.“

„Kannst du noch deine leckeren roten Knollen mitbringen? Dann bekommt uns der Likör besser.“

„Natürlich.“ Edith fühlte sich schon geschmeichelt, wenn die Sprache auf ihre diesjährigen Prachtradieschen kam.

„Bis heute Abend.“

„Genau.“

In der Böttcherstraße angekommen, musste Edith auf den letzten Stufen Pause machen, die Einkaufstasche abstellen und ein paar Mal tief durchatmen.

„Man ist eben doch keine 30 mehr.“

Nachdem die Milch und der Gouda im Kühlschrank verstaut waren, erlaubte sie sich, die Beine hochzulegen.

Von der Couch aus blickte Edith zufrieden aus dem Fenster. Sie war schwanger gewesen, als sie und Hermann 1967 das Haus in der Böttcherstraße gekauft hatten. Die schönen Sommertage weckten Erinnerungen an die Zeit, als Mareike mit Windeln über die Bleiche gelaufen war und versucht hatte, Schmetterlinge zu fangen. Langweilig war es nie gewesen, obwohl Mareike ohne Geschwister aufwuchs. Ständig waren Nachbarskinder im Garten der Marhenkes zu Besuch und Hermann liebte den Trubel. Jedenfalls so lange seine Hühner im Schuppen nicht geärgert wurden, was im Weiteren aber durchaus vorkam und Edith zum energischen Einschreiten zwang.

„Trotzdem waren die Jahre schön gewesen“, schwelgte Edith in Erinnerungen. Vielleicht erinnert man sich aber auch lieber an die schönen Zeiten und verdrängt Sorgen und Ängste, die es natürlich auch gab.

„So schützt der Mensch sich selber und wappnet sich für neue Herausforderungen“, philosophierte Edith.

Besonders während Mareikes Pubertät gab es immer wieder kleine Scharmützel auszufechten, die die Eltern konditionell ans Limit führten.

08. April 1945

Es herrscht ein völliges Durcheinander in der Stadt. Noch vor einer Woche sind deutsche Soldaten planlos und mit zerrissenen Uniformen durch die Stadt gelaufen. Jetzt sind die geflohen, die konnten. Die anderen wurden gefangen genommen.

Es sind Amerikaner, die von Hameln aus Elze eingenommen haben. In der vorletzten Nacht gab es vereinzelt Schusswechsel. Zuvor hatten die Kirchenglocken geläutet. Der Bürgermeister hatte dieses als Zeichen angekündigt für den Fall, dass die amerikanischen Truppen nahten. Mitten in der Nacht hat es heftig an unserer Haustür geklopft. Mehrere Soldaten standen vor dem Haus. Mir wurde bedeutet, alle im Haus wohnenden Personen in die Diele zu holen. Obwohl ich der fremden Sprache nicht mächtig bin, wusste ich, was gemeint war.

Es waren drei amerikanische Soldaten. Einer schien ihr Anführer zu sein. Von diesem wurden Wilhelm und ich bewacht während die anderen beiden jedes Zimmer unseres Hauses durchsuchten. Als sie sicher waren, dass keine anderen Personen anwesend waren und von meinem 14-jährigen Wilhelm und mir keine Gefahr ausging, entspannte sich die Situation.

Der Anführer beschlagnahmte Herberts Zimmer für sich und ich glaube nicht, dass er mein Gestikulieren, das ihm bedeuten sollte, dass Alfons demnächst nach Hause kommt, verstand.

Am folgenden Tag ist ein zweiter Militär gekommen und hat das Wohnzimmer beschlagnahmt. Wahrscheinlich handelt es sich um ranggleiche Offiziere und sie beanspruchen jeder für sich ein eigenes Zimmer. Das ist mir natürlich alles andere als Recht, trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir in Ruhe gelassen werden, solange wir uns kooperativ zeigen. Außerdem ist es möglicherweisevon Vorteil, wenn zwei Männer in unserem Haus wohnen; denn die Lage ist seit der Einnahme der Stadt chaotisch und es kommt immer wieder zu Plünderungen und Handgreiflichkeiten.

Gestern wurde uns das Ausgehen zum Wasserholen gestattet, die Pumpen wurden zuvor in Gang gesetzt.

Alfons lässt mich völlig im Ungewissen, wann er kommt.

3.

„Chrrr, chrrr, chrrr, hupp!“ Edith wurde von ihrem eigenen Schnarchen geweckt. Nach dem Vormittagsausflug und über den Träumen von vergangenen Zeiten war sie auf dem Sofa eingeschlafen. Jetzt musste sie erst einmal zu sich kommen und den Tag weiter strukturieren.

Maria anrufen, Mittag kochen, Sophie von der Kita abholen, dann wieder ein kleines Päuschen und abends zu den „Skatbrüdern“, − ach ja und auf speziellen Wunsch von Patricia noch Radieschen ernten. Darauf hätte sie an diesem heißen Tag zwar lieber verzichtet, aber ein paar Knollen aus dem Beet zu ziehen, müsste schon noch drin sitzen.

Kohlrabigemüse mit Kartoffeln liegt nicht so schwer im Magen an diesen heißen Sommertagen. Marcel würde sich zwar wieder beschweren, das wusste sie („Nicht schon wieder KoKa!“), aber trotzdem wollte sie an diesem Plan festhalten.

An dieser Stelle würde sie dem jungen Herren gehörig die Leviten lesen, hatte sie sich überlegt. Von wegen, sich jeden Tag an den gedeckten Mittagstisch setzten, gesunde Kost auf den Teller zu bekommen, im Garten nur selten, und dann mit Widerwillen mithelfen und jetzt noch Ansprüche stellen.

Wenn das nicht fruchtete, würde sie noch weiter gehen und den Spieß umdrehen: Marcel könne ja mal für vier Wochen den Küchenchef spielen, sie würde ihm auch eine Stunde Zeit zwischen Heimkehr von der Berufsschule und Vorspeise einräumen, aber alles ohne Tiefkühlkost; das wären die Bedingungen.

Während das Gemüse auf dem Herd köchelte, griff Edith zum Telefon und sprach mit Maria, erklärte ihr die Planänderung für heute Abend. Das ging schnell, Maria war in dieser Hinsicht unkompliziert und flexibel.

Kaum waren die Kartoffeln gar, hörte sie die schweren Schritte von Marcel, der sich nach der − wie er es immer betonte – Schulstrapaze die Holztreppe hochquälte. Edith legte sich schon mal ihre Begrüßungsrede zurecht, wenn das Thema auf das Mittagessen zu sprechen käme.

„Booh, dieses Wetter macht einen ja fertig.“ Marcel ließ sich auf den Küchenstuhl gleiten und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Was gibt‘s denn?“

„Hier, guck mal, KoKa.“

„Das ist gut, das liegt nicht so schwer im Magen“, hauchte Marcel und trank ein Glas Wasser auf ex. „Danke.“

Edith kniff sich in den Oberschenkel um sich zu vergewissern, dass sie noch im richtigen Film war. Die lange vorbereitete Strafpredigt war umsonst, woher kam denn dieser Sinneswandel bei dem Jungen?

„Außerdem muss ich abnehmen, Jessi hat gestern gesagt, ich soll lieber dunkle T-Shirts tragen.“ Marcel maß mit Daumen und Zeigefinger eine Speckfalte neben seinem Bauchnabel und zog die Mundwinkel nach unten.

Aha, daher wehte also der Luftzug. Vielleicht konnte Edith Marcel explizit die Vorzüge von selbst gezogenem Gemüse erklären und zu diesem Anlass diskret darauf hinweisen, dass es durchaus nicht selbstverständlich sei, sich jeden Mittag an einen gedeckten Tisch setzen zu können. Marcel war der einzige regelmäßige, tägliche Mittagsgast, Sophie aß in der Kita und Mareike war nur ab und zu an Wochenenden mittags zuhause, weil der Schichtwechsel im Pflegeheim in die Mittagszeit fiel.

Bis zur Kita war es für Edith ein Stück zu laufen, aber Sophie trödelte weder beim Anziehen der Sandalen, noch auf dem Heimweg. Sie wolle schnurstracks nach Hause. Man habe sie geärgert, berichtete sie auf Nachfrage der Oma auskunftswillig. Besonders Lukas und Benjamin wären immer gemein zu ihr, heute sei es aber besonders schlimm gewesen. Nie hätte sie zu Ende spielen können und die beiden hätten sich abgesprochen und ihren Nachtisch aufgegessen. Dabei habe sie sich schon die ganze Woche auf roten Wackelpudding gefreut und den gab es nun mal heute. Was denn die Erzieherinnen dazu gesagt hätten, wollte Edith wissen. Die hätten nichts davon mitbekommen und außerdem würden die sowieso immer zu Lukas und Benjamin halten.

Edith versuchte, Sophie zu trösten, kam aber abschließend zu der Einschätzung, dass die Schilderung möglicherweise nicht in allen Punkten der reinen Wahrheit entsprochen hatte. Am späten Nachmittag, wenn die Emotionen sich etwas gelegt hätten, würde sie Sophie den Vorschlag unterbreiten, sich morgen mit Lukas und Benjamin zu vertragen. Dabei könnte sie noch mal vorsichtig anklopfen, ob Sophie sich möglicherweise den beiden gegenüber – sagen wir mal – nicht ganz regelkonform verhalten habe.

Die Nachmittagsruhe fand heute drinnen statt, draußen war es einfach zu heiß. Anstatt Kaffee gab es heute Eistee aus dem Kühlschrank. Anschließend stieg Edith in ihre schweren Holzschuhe, nahm sich ihren Reisigkorb, die lange Gartenhacke und schlurfte Richtung Gartenbeet.

Dr. Rabe hätte ihr die Arbeit unter der immer noch sengenden Sonne garantiert verboten. Wie in leichter Trance begann sie mit der Hacke zwischen den Pflanzen die Erde aufzulockern. Mit alleinigem Ziehen an den Blättern wären die Knollen nämlich nicht aus dem trockenen, festen Erdreich herauszulösen gewesen. Zwei große, saftige Radieschen waren schon in Ediths Korb gelandet, als das Hacken mit dem Dreizack ein helles Geräusch verursachte. Edith kniete nieder, um einen ihrer Meinung nach größeren Stein freizulegen. Mittlerweile kam sie erheblich ins Schwitzen und bereute schon, dass sie Patricia nicht auf kühlere Tage vertröstet hatte. Dann würden Radieschen immer noch schmecken. Es war mühsam, den Stein aus dem festen Erdreich freizulegen. Zu Ediths Verblüffung war die Oberfläche glatt. Wenn sie mit dem Finger auf das Objekt klopfte, klang es aber merkwürdig hohl.

„Oh Gott, das ist kein Stein, das ist ein Knochen!“ Edith realisierte erst relativ spät, auf was sie da in ihrem Garten bei der Radieschenernte gestoßen war. Instinktiv schaute Edith sich um, ob sie beobachtet wurde.

Dabei hatte sie ja nun wirklich nichts Verbotenes getan. Kein Mensch zu sehen, also blieb noch etwas Zeit zu überlegen. Knochen, hohl, rund – wahrscheinlich sogar ein Schädel. „Oh wei