Gäste auf den Hummerklippen - James Krüss - E-Book

Gäste auf den Hummerklippen E-Book

James Krüss

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Beschreibung

Nach seinen Erlebnissen in "Sommer auf den Hummerklippen" ist für Boy der Urlaub auf den Hummerklippen noch lange nicht zu Ende und damit auch die Abenteuer nicht. Er findet eine Flaschenpost, die es zu entziffern gilt, und entdeckt zum ersten Mal echte Hummer auf den Hummerklippen. Und natürlich wird auch wieder viel erzählt und gereimt. So hört Boy die Ballade von Leif Erikson, dem Amerikafahrer, und erfährt, was es mit Geschichten auf Bestellung und den Abenteuern von Hans Hochhinaus auf sich hat. Zum Schluss kehrt er als wirklich weitgereister Junge wieder nach Hause zurück.

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Seitenzahl: 163

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James Krüss

Gäste auf den Hummerklippen

Illustriert von Maja Bohn

© Atrium Verlag AG, Zürich, 2023

(Imprint Atrium Kinderbuch)

Erstveröffentlichung: 1956

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur Brauer

Alle Rechte vorbehalten

Coverbild und Illustration von Maja Bohn

Die Illustrationen zu diesem Werk wurden vermittelt durch Paula Peretti Literarische Agentur, Köln

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-03792-202-6

 

www.atrium-verlag.com

www.instagram.com/atrium_kinderbuch_verlag

Der fünfte Tag,

an dem ich aus gegebenem Anlass die Ballade von Leif Eriksson, dem Amerikafahrer, höre, M.M. zwei weitere Abenteuer von Tetjus Timm aufsage, Johann beim Entziffern einer traurigen Flaschenpost helfe, die schöne Geschichte vom Tal der goldenen Hörner vernehme, Tante Julie und Dappi als Leuchtturmgäste begrüße, Balladen von versunkenen Städten und das erste Abenteuer von Hans Hochhinaus höre und beim Einschlafen wieder einmal über die merkwürdige Maus im Wohnzimmer nachdenken muss.

In alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, war ich noch nicht geboren. Als ich zur Welt kam, half das Wünschen schon nichts mehr. Nur einmal hat es mir wohl doch geholfen. Das war, als ich acht Jahre alt war. Da wünschte ich an einem Tag im Winter, als ein Wikingerschiff, aber ein nachgebautes, mit rot-weißen Segeln an der Insel Helgoland vorüberfuhr, dass ich auch übers große Meer fortfahren dürfe.

Als es dann Sommer war, fuhr ich tatsächlich über das Meer. Der Bootsmechaniker Dappi Lorenzen fuhr mich im Boot von meiner Heimatinsel Helgoland über die Nordsee zu dem Leuchtturm auf den Hummerklippen, auf dem der alte Johann Leuchtturmwärter war. Johann lebte allein im weißen Turm, in dessen Zimmer man von einer Außenleiter einstieg.

Was ich hier in den ersten vier Tagen erlebte, ist in dem Buche Sommer auf den Hummerklippen aufgeschrieben. Ich habe in dem Buch erzählt, wie ich den merkwürdigen eingesperrten Herrn M.M. dort kennenlernte, einen Privattaucher, der wild war auf Geschichten. Dem trug ich eine Versgeschichte vor, die Chronik von dem Abenteurer Tetjus Timm. Dafür sang Herr M.M. mir Räuberlieder vor. Er saß dabei in seinem kleinen Kerker. Ich hockte draußen auf den Hummerklippen.

Erzählt habe ich auch, wie wir mit der Barkasse Johanns zu einem kleinen Dampfer hinüberfuhren, der immer Post und Lebensmittel für den Leuchtturmwärter brachte.

Erzählt habe ich dann, wie eine weiße Yacht zum Leuchtturm kam. Mit dieser Yacht kam Ebby Schaumschläger zum Leuchtturm, ein unterhaltsamer Mann; und mit ihm kamen die zwei Ouderklerks, ein Ehepaar aus Holland, dem die Yacht gehörte.

Erzählt habe ich schließlich auch, wie wir einen verrückten schönen Tag, teils auf der Yacht, teils auf dem Turm, verbrachten und wie ich danach selig und müde eingeschlafen bin.

Als ich am nächsten Tag – es war der fünfte Tag – mit Johann in der Küche frühstückte und nicht, so wie am Vortag, unten auf den Hummerklippen mit Ebby Schaumschläger und mit den Ouderklerks, da dachte ich: So ein unerwarteter Besuch wie gestern ist eigentlich auch ein Abenteuer. Jetzt, da wir wieder zu zweit in der Küche frühstücken, finde ich es schon ein bisschen langweilig im Vergleich zu gestern.

Johann, der immerhin schon ein älterer Herr war, schien ganz anders zu denken. Er sagte nämlich: »So unterhaltsam Ebby Schaumschläger auch ist, Boy: Nach seinem Besuch bin ich immer froh, dass alles wieder seinen geregelten Gang geht. Wer sich wie ich ans Leuchtturmleben gewöhnt hat, den erschrecken unerwartete Sachen – wie zum Beispiel das Wikingerschiff dort.« Johann zeigte aus dem Fenster und fuhr fort: »Wenn ich nicht zufällig in der Zeitung gelesen hätte, dass das nachgebaute Wikingerschiff in diesen Tagen von seiner Amerikareise zurückkommt, dann hätte ich bei seinem Anblick sicher einen tüchtigen Schreck bekommen.«

Noch während Johann sprach, war ich aufgesprungen und hinausgelaufen auf den Balkon. Das, was Johann nicht erschreckte, weil er davon in der Zeitung gelesen hatte, erschreckte mich doch ein bisschen. Denn das hochgeschnäbelte Schiff, das da mit rot-weiß gestreiften Segeln vorbeizog, war ja das Schiff, das auch in Helgoland vorbeigesegelt war, an jenem Wintermorgen nämlich, an dem ich meinen Wunsch getan hatte. Und nun war dieser Wunsch, über das große Meer zu fahren, tatsächlich erfüllt. Ich stand, sehr weit entfernt von Helgoland, auf einem Leuchtturm mitten in der See; und jenes Schiff, das meinen Wunsch vielleicht davongetragen hatte, fuhr nun, da dieser Wunsch erfüllt war, wieder heim nach Dänemark. Ich summte das Lied, das Dappi mir bei der Herfahrt vorgesungen hatte: Die Wünsche sind wie Wolken, sie fliegen hin und her ….

Inzwischen war auch Johann auf den Balkon hinausgetreten, und zwar gerade in dem Augenblick, in dem am Mast des Schiffes die Fahne nieder- und danach wieder aufgezogen wurde. Es war ein Gruß für den Leuchtturm. Johann nahm daher das Megafon, das er schon mit herausgenommen hatte, an den Mund und rief über das Wasser: »Glückliche Heimkehr, Wikinger!«

Kurz darauf tönte es zurück: »Glücklichen Sommer auf den Hummerklippen!«

Lange noch sahen wir dem schönen Schiff nach, das langsam kleiner wurde, bis es als ferner Punkt im Grau des Meeres unterging.

»Solche Schiffe, Boy, sind zu ihrer Zeit bis nach Amerika gefahren«, sagte Johann, als wir wieder in der Küche saßen und weiterfrühstückten. »Habt ihr Leif Eriksson schon in der Schule durchgenommen?«

»Nein«, sagte ich. »Ich gehe ja erst in die dritte Klasse. Aber ich weiß von den großen Jungen aus der Mittelschule, dass die Wikinger bis nach Amerika gefahren sind.«

»Und einer von ihnen, Boy, war Leif Eriksson, der Sohn von Erik dem Roten. Es gibt eine alte Ballade über ihn. Kannst du zum Frühstück schon Gedichte vertragen?«

»Natürlich«, sagte ich. »Mein Urgroßvater und ich, wir beiden Spinner in unserer Familie, können zu jeder Tageszeit Gedichte vertragen.«

»Das ist fein, Boy. Dann hör her.«

Johann rückte seinen Stuhl etwas vom Tisch ab, schlug ein Bein über das andere und sagte mir auf:

Die Ballade von Leif Eriksson, dem Amerikafahrer

Leif Eriksson kam von Grönland her

Und fuhr nach Südwesten über das Meer.

 

So kam er mit fünfunddreißig Mann

An einer fremden Küste an.

 

Er nannte sie, weil er dort Steinplatten fand,

Das Plattenland oder: Helluland.

 

Als er weiter den Weg nach Süden nahm,

Leif Eriksson auch nach Vinland kam.

 

Wild, hieß es, wüchse der Weinstock da.

Doch Leif Eriksson war – in Amerika.

 

Er baute ein Langhaus an diesem Ort

Und baute auch eine Schmiede dort.

 

Seine Mannen auch bauten sich Haus um Haus

Und zogen zum Fischen und Jagen aus.

 

Die großen Männer, so blond wie Flachs,

Sie jagten das Ren, und sie fischten den Lachs.

 

Und abends am Feuer sprachen sie

Von den Höfen in Grönland, von Korn und Vieh.

 

Und mancher sehnte die Seinen her

In dieses Vinland, von Menschen leer.

 

Doch eines Tages ward ihnen klar,

Dass Vinland längst schon besiedelt war.

 

Sie trafen Menschen, behänd und klein,

Und tauschten bei ihnen Pelze ein.

 

Skraelinger, Schreier, nannten sie sie,

Vielleicht, weil dies Volk beim Angriff schrie.

 

Denn Angriff und Abwehr, Zank und Streit,

Das alles begann schon nach kurzer Zeit.

 

Einem Skraeling, der eine Waffe geraubt,

Dem trennt ein Viking den Rumpf vom Haupt.

 

Da fing, was als friedlicher Tausch begann,

Bald Krieg und Fehde zu werden an.

 

Leif Eriksson ließ einen festen Zaun

Aus Palisaden ums Lager baun.

 

Nun konnten sie nicht mehr irgendwo

Ausziehen zum Fischen und Jagen froh.

 

Nun gab es viel seltener Jagd und Spiel.

Nun mussten sie wachen und kämpfen viel.

 

Und als so Winter um Winter verging,

Leif Eriksson an zu träumen fing:

 

»Nun, da ich älter und müde bin,

Nun zieht’s mich wieder nach Grönland hin.

 

Ich möchte vor dem Vondannengehn

Den Hof der Väter noch einmal sehn.«

 

Und Leif Eriksson fuhr von Vinland her

Fort nach Nordosten über das Meer.

 

Von seiner Ausfahrt ohne Glück

Kam Leif Eriksson müde nach Grönland zurück.

 

In Grönland liegt er begraben. Er sah

Lang vor Kolumbus Amerika.

Als Johann das Gedicht beendet hatte, sagte ich: »Die klingt hübsch altmodisch, diese Ballade. Wann war denn das, als Leif Eriksson in Amerika war?«

»Um das Jahr tausend nach Christus, Boy, also vor beinahe tausend Jahren, ein halbes Jahrtausend bevor Kolumbus nach Amerika kam.«

»Und die Wikinger sind nicht dortgeblieben?«

»Nein, Boy, Leif und seine Leute waren Menschen, die in Einzelhöfen lebten. Sie kamen mit den Einheimischen, die in Vinland lebten – wahrscheinlich auf der heutigen Halbinsel Labrador in Kanada –, einfach nicht zurecht.«

»Und was waren das für Leute?«, fragte ich.

»Höchstwahrscheinlich Inuit«, sagte Johann. »Auch heute leben ja noch Inuit auf Labrador.«

»Und sind die Wikinger auch in andere Gegenden gefahren, Johann?«

»Aber ja doch, Boy, nach Russland und nach Griechenland, Italien und Frankreich.«

»Und warum sind Leute, die auf festen Höfen gelebt haben, auf Abenteuer ausgezogen?«, fragte ich.

»Dort, wo sie hergekommen sind, in Skandinavien irgendwo, dort gab es eines Tages zu viele Kinder und zu wenig Brot.«

»Dann kann man also auch aus Not ein Abenteurer werden, Johann?«

»Aber natürlich, Boy. Millionen Menschen in der Weltgeschichte wurden aus purer Not zu Abenteurern. Aber lass uns darüber später weiterreden. Dappi kommt heute mit Ersatzteilen zurück. Und ich muss einiges noch vorbereiten, damit er morgen früh gleich mit der Arbeit beginnen kann. Was tust du inzwischen?«

»Ich füttere Seenelken«, sagte ich, »und ich bade vielleicht ein bisschen.«

»Aber dann nur im Molenbecken, Boy. Draußen im Meer gibt’s Haie.«

Ich versprach Johann, nicht ins offene Meer hinauszuschwimmen (wovor ich ja auch selbst Angst hatte), und kletterte dann über die Leiter hinunter auf die Klippen, während Johann zur Kuppel hinaufkletterte.

Unten auf den Klippen begab ich mich sogleich zum steinernen Sitz neben der Eisentür; denn ich hatte M.M. ja versprochen, ihm die nächsten beiden Abenteuer von Tetjus Timm aufzusagen.

M.M. erwartete mich schon, wie es schien. Er fragte nämlich ohne jede Begrüßung: »Was war das für ein Schiff, mit dem Johann Rufe gewechselt hat?«

»Das war ein nachgebautes Wikingerschiff«, sagte ich. »Guten Morgen, M.M.«

»Unglaublich«, schnaufte M.M.

»Was ist denn unglaublich?«, fragte ich.

»Dass ich hier eingesperrt sitze, Boy, und draußen fährt ein Wikingerschiff vorbei.«

»Sie brauchen doch nur zu versprechen, keine Streiche zu machen, M.M.«, sagte ich. »Dann sind Sie wieder frei.«

»Das kann ich aber nicht versprechen«, kam es von hinter der Tür.

»Dann können Sie auch keine Wikingerschiffe sehen, M.M.«

»Das ist ja das Unglaubliche, Boy«, schnaufte M.M. zum zweiten Mal. »Kannst du mir zur Beruhigung wenigstens die nächsten Abenteuer von Tetjus Timm aufsagen?«

»Ja«, sagte ich. »Das kann ich. Johann hat nämlich oben im Turm zu tun.«

»Ausgezeichnet, Boy. Dann stell ich meinen Schemel an die Tür, und du kannst anfangen.«

Ich hörte, wie der Schemel verrückt wurde und wie M.M. sich darauf niederließ. Da stand ich auf und sagte, wieder hübsch mit dem Titel, die nächsten Abenteuer auf:

Tetjus Timm

Die abenteuerliche Chronik seines Lebens

zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Fünftes Abenteuer: Nach Island

Tetjus Timm mit seinem Freunde

Nanuch von den Inuit

Will zurück nach Süden fahren,

Macht den alten Dampfer fit.

 

Als es Nacht wird, halten Tetjus

Und der Nanuch wechselnd Wacht;

Und dann tagt der erste Morgen

Nach der ersten Seemannsnacht.

 

Aber ist der Kurs auch richtig?

Tetjus fühlt sich blümerant.

Da entdeckt der kleine Nanuch

In der Ferne grünes Land.

Fröhlich fängt er an zu schrein:

»Tetjus, das muss Island sein!«

Ja, es ist die Insel Island

Mit den Quellen siedend heiß,

Mit den Bergen, mit den Schafen,

Mit den Ponys schwarz und weiß.

 

Und umjubelt von den Leuten,

Welche laut willkommen schrein,

Fährt der Dampfer Mary Island

Irgendwo in Island ein.

 

Aber als die Weltumsegler

Übers Fallreep gehn an Land,

Steht dort schon ein Schiffsvertreter

Mit Papieren in der Hand.

Anfangs grüßt er unsre zwei

Von der Dampfer-Reederei.

 

Aber dann nimmt er den Dampfer

Streng und amtlich in Beschlag,

Der so lange Zeit verlassen

In dem Eis des Nordens lag.

 

Tetjus und dem Nanuch gibt er

Ein gesalznes Seehundsfell,

Weint ein Tränlein, weil’s ihn dauert,

Und sagt dann: »Verschwindet schnell.

Zwar ihr tatet eure Pflicht;

Doch das Schiff gehört euch nicht.«

 

Tetjus fragt: »Wohin so schnelle?«

Denn was fängt ein Fahrensmann

Mit ’nem lumpigen Seehundsfelle

Irgendwo in Island an?

Nanuch seufzt, und Tetjus schnauft.

Ob er wohl das Fell verkauft?

 

Ja, es glückt: Bei einem Händler

Wird er seinen Seehund quitt,

Und er nimmt aus diesem Laden

Ein paar Islandkronen mit.

Heiter sagt er: »Danke schön!

Nanuch, lass uns essen gehen.«

 

Heringshappen, Milch und Käse

Gibt’s im Gasthaus nahebei.

Und dort sieht man in der Ecke

Fröhlich tafeln unsre zwei.

Danach zahlen sie; und dann

Schauen sie sich Island an.

 

Rüstig wandernd finden beide

Eine Wetterdienst-Station;

Und dort schwebt an einem Seile

In der Luft ein Gasballon.

 

Eine Leiter hängt am Korbe.

Und der Nanuch steigt sofort

Auf der Leiter in die Höhe

Und zum Gasballon an Bord.

Tetjus sieht ihm zu und lacht

Und gibt nicht aufs Wetter acht.

 

Ach, da kommt mit einem Male

Angefegt ein Wirbelwind.

Tetjus, nun gib acht und rette

Das dir anvertraute Kind!

 

Auf zum Korb steigt Tetjus fix.

Doch es nützt ihm leider nix.

Mit dem großen Gasballon

Wirbeln alle zwei davon.

 

Kreisend wie ein Schiffspropeller

Und mit unerhörtem Drall

Fliegen beide, schnell und schneller,

Pfeilgerad hinauf ins All.

Schon versinkt die Erde und

Wird ganz klein und kugelrund.

 

Viele, viele Wetterforscher

Werden aus dem Ding nicht klug

Und verfolgen mit dem Fernrohr

Den raketenhaften Flug.

Solch ein Flug ist fabelhaft

Für die ganze Wissenschaft.

Nur für Tetjus und für Nanuch

Ist das alles kein Pläsier.

Tetjus’ sechstes Abenteuer,

Lieber Leser, zeigt es dir.

Als ich nach dem Aufsagen des Island-Abenteuers eine Pause machte, hörte ich M.M. hinter der Eisentür rufen: »Weiter, weiter! Du kannst doch nicht mitten im spannendsten Augenblick einfach aufhören, Boy!«

»Will ich auch gar nicht, M.M.«, sagte ich. »Aber zwischen zwei Abenteuern gehört es sich, eine Pause zu machen.«

»Und diese Pause ist jetzt lang genug«, sagte M.M. »Weiter im Text, Boy.«

Da sagte ich auf:

Sechstes Abenteuer: In Afrika

Tetjus Timm, der brave Seemann,

Ist von Island irgendwo

Mit dem Nanuch fortgeflogen

Und wirkt nicht gerade froh.

 

Um- und um- und umgewirbelt

Und benommen wie im Traum,

Geht’s mit einem Gasballone

Aufwärts in den Sternenraum.

Tetjus schaut, erschreckt und stumm,

Sich im schwanken Korbe um.

 

Da entdeckt er auf dem Boden

Flugraketen, klein und groß.

Und es kommt ihm ein Gedanke,

Ein Gedanke ganz famos.

Tetjus sagt sich: Ȇberall

Stoppt man Drall durch Gegendrall.«

 

Wenn man also die Raketen

Bündelt und entzündet, dann

Wird man andersrum gewirbelt,

Fängt man es nur richtig an.

Also an dem Korbesrand

Werden sie nun angebrannt.

 

Mächtig ist und ungeheuer

Der Raketen-Gegenstoß,

Und er treibt zurück zur Erde

Den Ballon wie ein Geschoss.

Drall erzeugte Gegendrall.

Tetjus, das war genial!

 

Bald schon ist die gute Erde

Nicht mehr klein und fern und rund.

Fröhlich und zum Greifen nahe

Sieht der Tetjus grünen Grund.

Neben einem Baobab-

Baume sinkt der Korb hinab.

 

Schon erscheinen liebe Leute,

Sammeln sich zu einer Schar,

Und die ziehn den Korb zu Boden,

Und heraus steigt unser Paar.

 

Aber kaum auf fester Erde,

Dicht umringt von Frau und Mann,

Fangen die zwei Weltraumfahrer

Heftig sich zu drehen an.

Von der Wirbelei durchs All

Haben beide einen Drall.

 

Wo die beiden niedersanken,

Ahnt der kluge Leser ja:

Der Ballon und die zwei Freunde

Landeten in Afrika.

 

Telegraf und Urwaldtrommel

Treten tönend in Aktion,

Und nach einer halben Stunde

Kommt denn auch ein Doktor schon.

 

Dieser kluge Doktorsmann

Schaut sich die zwei Kreisel an,

Ruft: »Die Drehung ist enorm!«,

Und verordnet Chloroform.

Dadurch werden beide jetzt

In den tiefsten Schlaf versetzt.

In dem Buschlands-Krankenhaus

Schlafen sich die beiden aus.

Aber schon am nächsten Morgen

Dürfen sie ins Freie gehn,

Wenn sie auch auf ihren Beinen

Noch ein wenig wacklig stehn.

Immerhin: Sie hatten Glück;

Denn sie kamen heil zurück.

 

Tetjus Timm als Weltraumfahrer

Und sein Freund, der Nanuch heißt,

Sind noch volle sieben Tage

Quer durch Afrika gereist.

Unterdessen füllte man

Den Ballon mit Gasen an.

 

Und nun kann er wieder fliegen.

Er ist herrlich rund und schön.

Und die Reise kann nun wieder

Nordwärts in die Heimat gehn.

 

Fröhlich steigt man in die Höhe

Auf der Leiter schwank und lang.

Ein paar allerletzte Küsse

Nimmt der Nanuch in Empfang.

Kurz danach sind sie zu zweit

In dem Korb und flugbereit.

 

»Kappt das Seil!«, hört man ein Rufen.

Der Ballon steigt in die Höh.

Und die beiden Weltraumfahrer

Rufen: »Schönen Dank! Ade!«

 

Dann geht’s in die Stratosphäre,

Aber diesmal ohne Drall;

Und der Wind treibt sanft zum Meere

Ihren gasgefüllten Ball.

 

Leider ist die Weiterreise

Kein Vergnügen, kein Pläsier.

Tetjus’ siebtes Abenteuer,

Lieber Leser, zeigt es dir.

Ein Schnaufen war hinter der eisernen Tür zu vernehmen, als ich das sechste Abenteuer aufgesagt hatte. Dann hörte ich M.M. sagen: »Kapitän Rickmers ist ein Aufschneider. Dieses Abenteuer ist sicher nicht wirklich passiert. Das hat er glatt erfunden, und auch noch schlecht. Drall und Gegendrall – da lachen ja die Hühner!«

»Aber Sie waren doch sehr gespannt darauf, wie es weiterging, M.M.«, sagte ich.

»Natürlich war ich gespannt, Boy. Auch erfundene Sachen können ja spannend sein. Aber dass diese Geschichte erfunden ist, dabei bleibe ich.«

M.M. wollte sich noch weiter über Drall und Gegendrall verbreiten; aber er kam nicht dazu, weil Johann von der Leiter herunter nach mir rief.

»Boy, es treibt eine Flasche vorbei«, rief er mir zu. »Sieh zu, dass du sie kriegst! Mach schnell!«

Da rannte ich, ohne mich weiter um M.M. zu kümmern, die paar Stufen hinauf, die von der Eisentür nach oben führten, und fragte: »Wo treibt die Flasche?«

Johann, der schon halbwegs die Leiter hinuntergeklettert war, zeigte auf die Stelle, an der er den Kabeljau geangelt hatte, und sagte: »Nimm den Kescher mit. Er steht in der Abseite.«

Da holte ich den Kescher, die lange Stange mit dem Netz an einem Ende, sprang zu der angegebenen Stelle und kam gerade zurecht, als eine dunkelgrüne Flasche mit hin und her pendelndem Halse in der leichten Strömung vorbeigetrieben wurde. Es war sehr einfach, sie in das Netz des Keschers treiben zu lassen und sie dann auf die Klippen zu ziehen.

Johann kam gerade dazu, als ich die Flasche in die Hand nahm. Sie war mit einem Korken verschlossen, aber es schien trotzdem Wasser eingedrungen zu sein; denn als ich die Flasche bewegte, hörte ich es im Innern klunkern.

»Zeig mal her«, sagte Johann. Er nahm mir die Flasche ab, hielt sie gegen die Sonne und sagte: »Das hab ich mir gedacht: eine Flaschenpost. Hoffentlich ist sie noch lesbar. Es ist ja leider Wasser in der Flasche.«

»Eine Flaschenpost?« Ich bekam vor Aufregung Herzklopfen, während Johann die Angelegenheit sehr ruhig hinzunehmen schien.

»Hast du schon öfter Flaschenpost aufgefangen?«, fragte ich.

»Dies ist die dritte, Boy.« Johann hatte inzwischen den Korken aus der Flasche gezogen und das bisschen eingedrungene Wasser ausgegossen. Nun wollte er den Zettel herausholen, der in der Flasche stak, aber der Hals der Flasche war zu eng und zu lang. So blieb nichts anderes übrig, als die Flasche auf dem Felsgrund zu zerschlagen. Und dies tat Johann denn auch. Dann zog er vorsichtig ein eingerolltes Papier zwischen den Scherben heraus und warf die Scherben in das Meer.

Als das Papier entrollt war, kam eine vom Wasser verschmierte blaue Tintenschrift zum Vorschein.

»Meinst du, das kann man noch lesen, Johann?«, fragte ich.

»Mit Geduld und Lupe«, antwortete Johann. »Klettern wir hinauf in mein Zimmer.«

Wir erstiegen also die Leiter, und ich betrat zum ersten Mal Johanns Zimmer.