Weihnachten auf den Hummerklippen - James Krüss - E-Book

Weihnachten auf den Hummerklippen E-Book

James Krüss

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Beschreibung

Der mittlerweile erwachsene Boy kehrt nach vielen Jahren zum Leuchtturm auf den Hummerklippen zurück. Gemeinsam mit seinem alten Freund Ebby Schaumschläger sowie dessen Enkelin Tatjana und Urenkelin Katja verbringt er ein fröhliches Weihnachtsfest bei Hauke Sievers, dem neuen Leuchtturmwärter auf den Hummerklippen. Doch dann werden die Freunde von einem heftigen Sturm überrascht, der eine Rückkehr aufs Festland unmöglich macht. Zum Glück hat Hauke eine Truhe voller Geschichten und Gedichte, passend zur Weihnachtszeit, sodass sich die fünf zu Tannenduft, Tee und Gebäck eine gemütliche Zeit machen. Und da stört es auch niemanden, wenn sich die Weihnachtsmaus mal ein Plätzchen stibitzt …

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Seitenzahl: 152

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James Krüss

Weihnachten auf den Hummerklippen

Illustriert von Maja Bohn

© Atrium Verlag AG, Zürich, 2023

(Imprint Atrium Kinderbuch)

Erstveröffentlichung: 1984

© cbj Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 1989; Aus: James Krüss, Der wohltemperierte Leierkasten: Schlittenweihnachten, Weihnacht in der großen Stadt, Apfelsinenbaum und Tanne, Die lustige Weihnacht, Die Weihnachtsmaus

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur Brauer

Alle Rechte vorbehalten

Coverbild und Illustration von Maja Bohn

Die Illustrationen zu diesem Werk wurden vermittelt durch Paula Peretti Literarische Agentur, Köln

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-03792-203-3

 

www.atrium-verlag.com

www.instagram.com/atrium_kinderbuch_verlag

Der erste Tag,

der mit der schönsten Weihnachtsgeschichte, die es gibt, beginnt, einen Esel an der Krippe und mehrere Esel auf der Insel Lobos vorführt, uns die erste Geschichte aus der Kiste und eine Weihnachtsballade hören lässt und mit einem ganz unerwarteten Mause-Donnerwetter endet.

Die Nordsee ist ein raues Meer, besonders um die Jahreswende, wenn Winterstürme ihre Wasser peitschen und schwere Brecher an die Küsten schmettern.

Ich aber saß, als Winter war, in diesem rauen Meer auf einem Leuchtturm, der einsam aus der grauen See aufragt. Er heißt der Leuchtturm auf den Hummerklippen.

An einem ausnahmsweise ruhigen, doch bitterkalten Tag hatte der Leuchtturmwärter Hauke Sievers, ein nun bald sechzigjähriger Mann, uns in seiner Barkasse abgeholt von einem Dampfer, der von Wilhelmshaven zur Insel Helgoland fuhr: meinen alten Freund Ebby Schaumschläger, der Leuchttürme versichert und der schon über siebzig war, dessen Enkelin Tatjana mit ihrer elfjährigen Tochter Katja und mich. Wir wollten Weihnachten auf diesem Leuchtturm feiern.

»Wenigstens einmal im Leben«, hatte Ebby mir geschrieben, »wenigstens einmal im Leben möchte ich als Leuchtturmversicherer auch Weihnachten auf einem Leuchtturm feiern. Meine Frau, mein Sohn und Tatjanas Vater haben zwar Angst vor einer Dampferreise im Winter – sie werden deshalb zu Hause bleiben –, aber Tatjana und Katja wollen mich unbedingt begleiten.«

Und nun waren die beiden mit Ebby zusammen tatsächlich auf den Hummerklippen. Ebby und ich waren zu meiner Kinderzeit schon einmal auf dem Turm gewesen, als er viel schmaler war, als er es heute ist. Damals hatte man ihn durch eine Leiter an der Außenwand betreten. Jetzt – versehen mit einem schweren Betonsockel, einer Umkleidung aus rotem Backstein und einer Wendeltreppe im Inneren – war der Turm sehr viel bequemer, aber auch weniger romantisch als zu meiner Kinderzeit.

Wir wollten mit dem nächsten Dampfer, der am zweiten Weihnachtsfeiertag kommen sollte, zu meiner Heimatinsel Helgoland weiterfahren, um dort das Fest des neuen Jahres zu feiern. Das war unser Plan. Aber die Nordsee hatte anderes mit uns vor.

Als spät am ersten Weihnachtsfeiertag der Morgen aus der dunkelgrauen See herauskroch, bei fahlem Licht unter hinjagendem Gewölk, tobte das Meer, schlug mächtige Brecher an den Turm und beutelte die mit der Talje am Turmsockel hochgezogene Barkasse, obwohl der Leuchtturmwärter sie vielfach und fest vertäut hatte.

»Wenn dieser Sturm so anhält«, sagte Hauke Sievers uns, »dann sitzt ihr hier bis Neujahr fest.« Er schrie uns das mit lauter Stimme zu, weil in der kleinen Küche unter der Kuppel des Turms, in der wir spät beim Essen – halb Frühstück und halb Mittagessen – saßen, alle Geräusche übertönt wurden vom Heulen des Sturmes.

Erst als wir uns hinabgewendelt hatten zu dem Zimmer, das sich im Fuß des Turms befindet, dämpfte die dicke Wand des Turmsockels das Sturmgebrüll, sodass wir nicht mehr schreien mussten bei der Unterhaltung.

Wir saßen jetzt im Weihnachtszimmer, das mir des Nachts als Schlafzimmer diente. Der kleine Tannenbaum, den wir vom Festland mitgebracht und in der Nacht zuvor, der Heiligen Nacht, mit Kerzen und mit Kugeln geschmückt hatten, stand noch in frischem Grün mit blanken Nadeln neben dem Gabentisch, auf dem sich unsere Geschenke stapelten:

Bücher für die Kleine und uns Große, schöne warme Wintersachen und bunt bedruckte Pappteller mit Früchten und mit Süßigkeiten. Es lagen und es dufteten da gleich mehrere Pfefferkuchenleute und ein großes Pfefferkuchenschiff, Marzipanschweinchen, Schokoladenweihnachtsmänner, Walnüsse, Haselnüsse, Apfelsinen und rotbäckige Äpfel.

Katja, die mit ihren Zähnen gerade eine goldgelbe Grube in einen der rot glänzenden Äpfel hineingegraben hatte, fragte uns hier: »Was fangen wir bloß an, wenn wir eine ganze Woche hierbleiben müssen?«

Wir übrigen vier lächelten. Dann antwortete Ebby, ihr Urgroßvater: »Wir tun das Gleiche, mein Liebes, was Boy und ich vor zweiundvierzig Jahren auf dem Turm getan haben.«

»Das Gleiche, was mein Onkel Johann tat, wenn er Besuch auf diesem Leuchtturm hatte«, ergänzte Hauke Sievers.

»Das Gleiche, was wir vor fünfundzwanzig Jahren in der Höhle der weißen Taube auf der Insel Korfu getan haben«, sagte Tatjana, Katjas Mutter.

»Und was habt ihr getan?«, fragte Katja.

Da antworteten vier Personen auf einmal: »Geschichten erzählt.«

Katja, das Kind des Fernsehzeitalters, das ja Geschichten hauptsächlich vom Bildschirm kannte, staunte uns offenen Mundes an und fragte dann – mit einem Apfelstück quer in der Kehle –: »Ihr habt euch Geschichten erzählt?« Dann hustete sie, bekam einen Schluckauf und sagte: »Geschichten vorlesen – huck –, das kenn ich wohl. Von meiner Großmutter – huck. Die hat mir oft Geschichten vorgelesen – huck. Aber Geschichten erzählen – huck –, wie macht man das denn?«

»Ganz einfach«, sagte Ebby und klopfte mit der flachen Hand auf Katjas Rücken, um den Schluckauf zu vertreiben. »Ganz einfach macht man das, mein Liebes. Zuerst denkt man sich aus, über was oder wen man eine Geschichte erzählen will. Dann überlegt man sich, wie die Geschichte anfängt – und auch, wie sie endet –, und dann erzählt man sie schrittweise, Stück für Stück, vom Anfang bis zum Schluss.«

»Und kannst du das, Urgroßvater?«, fragte Katja.

»Ich kann’s, mein Liebes«, sagte Ebby. »Was für eine Geschichte möchtest du hören?«

»Eine Weihnachtsgeschichte, Urgroßvater, die schönste Weihnachtsgeschichte, die es gibt«, sagte Katja.

»Aber welche von all den vielen Weihnachtsgeschichten, die es gibt, ist denn die schönste?«, fragte Katjas Mutter. »Das kann doch niemand genau sagen, Kind.«

»O doch, das kann man schon«, meinte der Leuchtturmwärter Hauke Sievers. »Die schönste Weihnachtsgeschichte, Frau Tatjana, ist immer noch diejenige, von der die andern alle abgeleitet sind, die aus der Bibel. Und da hier in der kleinen Bibliothek auch eine Bibel steht …«, der Leuchtturmwärter holte mit sicherem Griff eine in Leder gebundene alte Bibel aus dem Regal, »… kann ich sie sogar vorlesen. Sie steht im Evangelium des Lukas.«

Hauke Sievers blätterte, fand die Stelle, sagte »hört zu« und las uns vor:

»Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzet würde.«

Der Leuchtturmwärter stockte, schaute aus dem Buch auf und erklärte: »Es wurde in jenem Jahre eine Volkszählung vorgenommen, Katja. Das war zu der Zeit, als ein gewisser Cyrenius für das große Römische Reich der Verwalter in Syrien war. Da musste jeder, um sich zählen zu lassen (damals sagte man: schätzen lassen), den Ort seiner Herkunft aufsuchen. Und da … Aber das steht im Buch. Hört zu.«

Er schaute wieder in die Bibel hinein und las weiter:

»Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger.

Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.«

Hauke Sievers schaute aus dem Buch wieder auf und sagte: »Einfacher kann eine Geburt kaum vor sich gehen, und einfacher kann sie auch nicht beschrieben werden, Katja. Aber die Geschichte geht weiter. Damit aus dieser Nacht der Geburt eine geweihte Nacht werden kann, eine Weihnacht, müssen wir jetzt den Stall verlassen und hinausgehen zu den Hirten auf dem Felde und aufschauen zu den Sternen und Engeln am Himmel. Hört zu.«

Der Leuchtturmwärter schaute wieder in das Buch hinein und las weiter:

»Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn umleuchtete sie; und sie fürchteten sich sehr.

Und der Engel sprach zu ihnen: ›Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.‹

Und alsbald war bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: ›Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!‹

Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: ›Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.‹

Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend.

Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.«

Hauke Sievers klappte das Buch, die Bibel, zu, und Katja sagte: »Da muss Maria aber froh gewesen sein, als sie gehört hat, was für einen berühmten Jungen sie da in der Krippe hatte. Das war eine schöne Geschichte. Aber …«

»Was: aber?«, fragte Hauke Sievers, während er die Bibel in das Regal zurückstellte.

»Aber die Tiere«, sagte Katja. »Die Tiere sind in der Geschichte ganz vergessen, Leuchtturmwärter, der Ochse und der Esel und die Schafe, von denen mir meine Großmutter so viel erzählt hat.«

»Die kommen dafür in anderen Weihnachtsgeschichten vor«, sagte Katjas Mutter, »dazu in vielen, vielen Weihnachtsgedichten.«

»Und um dir zu beweisen, dass die Tiere nicht vergessen worden sind«, fügte Hauke Sievers hinzu, »kann ich dir ein Gedicht darüber aufsagen. Willst du’s hören?«

»Ach ja, bitte«, sagte Katja.

Da stützte der Leuchtturmwärter sich mit einer Hand auf die Lehne seines Sessels und sagte auf:

Das Weihnachtslied vom Eselchen

Ich bin ein Esel, alt und schwach,

I-a.

Ich habe in der Heiligen Nacht

im Stall von Bethlehem gewacht

und manchmal leis I-a gemacht,

I-a.

 

Ich war ganz still, wie sich’s gehört,

I-a.

Nur manchmal schlug ich mit dem Steert,

und bei mir standen Ochs und Pferd

und auch drei Könige hochgelehrt,

I-a.

 

Das Christkind war so sonderbar,

I-a.

Es zupfte mich an Bart und Haar,

und einmal rupfte es sogar

am Bart vom König Balthasar,

I-a.

 

Dem Joseph, dem gefällt das nicht,

I-a.

Mit ernstem Zimmermannsgesicht

sieht er das Kindlein an und spricht:

»An Königsbärten zupft man nicht.«

I-a.

 

Jedoch Maria, seine Frau,

I-a,

die sagte: »Lieber Jospeh, schau,

nimm’s mit dem Kind nicht so genau.

Es ist ja noch nicht groß und schlau.«

I-a.

Und auch die Könige alle drei,

I-a,

die fanden wirklich nichts dabei

und schenkten Myrrhe und Salbei

und rotes Gold dem Kind im Heu.

I-a.

 

Sie lachten alle drei im Chor,

I-a:

der Caspar und der Melchior

und Balthasar, der beugt sich vor

und lacht dem Kinde leis ins Ohr.

I-a.

 

Ich bin ein Esel, alt und schwach,

I-a.

Ich habe in der Heiligen Nacht

im Stall von Bethlehem gewacht

und manchmal leis I-a gemacht.

I-a.

Katja wiederholte, als das Gedicht zu Ende war, ein bisschen träumerisch: »I-a.« Dann aber sagte sie, wieder ganz wach: »Das war ein schönes Gedicht, Leuchtturmwärter. Aber eigentlich ist es ja ein Dreikönigsgedicht und nicht ein Gedicht vom Weihnachtsfest, an dem die Kinder so schöne Geschenke bekommen.«

»Aber beides hängt eng zusammen, Katja«, sagte ich. »Warum bekommen denn die Kinder Weihnachten Geschenke?«

»Weiß nicht«, sagte Katja.

»Aber ich weiß es«, sagte ich. »Sie bekommen sie zur Erinnerung an die Geschenke, die die Heiligen Drei Könige dem Christkind gebracht haben. Und das geschah nach alter Überlieferung – da hast du recht – tatsächlich nicht am Heiligen Abend, sondern am sechsten Januar, am Tag des Fests der Heiligen Drei Könige. Deshalb bekommen die Kinder in Spanien auch nicht zu Weihnachten ihre Geschenke, sondern erst am Dreikönigstag, eben am sechsten Januar.«

»Das ist mir ganz neu«, sagte Ebby. Und Tatjana sagte: »Das hab ich auch nicht gewusst.« Katja aber fragte: »Was machen denn die spanischen Kinder zu Weihnachten?«

»Sie gehen zur Kirche, essen Süßigkeiten – vor allem aus Zucker und Mandeln – und freuen sich auf den Dreikönigstag.«

»Und was tust du, Herr Boy?«, fragte das Mädchen mich. »Du wohnst doch auch da unten bei den Spaniern, auf den Kanarischen Inseln.«

Da sagte ich: »Ich richte mich nach deren Sitten, Katja. Ich schenke dort am sechsten Januar, wie’s üblich ist. Mir ist von dort unten nur ein einziger Fall bekannt, bei dem spanische Kinder schon zu Weihnachten ihre Geschenke erhielten. Das war auf der kleinen Insel Lobos und eine große Ausnahme.«

»Und warum bekamen die Kinder von der Insel Lobos schon zu Weihnachten Geschenke?«, fragte Katja.

»Das ist eine lange Geschichte«, sagte ich, »und viel zu lang, um sie hier zu erzählen.«

»Wieso zu lang?«, rief Hauke Sievers aus. »Wir haben doch mutmaßlich noch bis Neujahr Zeit, mein lieber Boy. Erzähl uns also, bitte, die Geschichte. Oder hat jemand was dagegen?«

Da hieß es, nein, man habe nichts dagegen. Und so erzählte ich, während sich meine Zuhörer in ihre Sesselchen kuschelten und das Geräusch des Sturmes durch den Turmsockel nur sehr gedämpft zu hören war, in aller Breite und Länge die Geschichte:

Die Kinder von Lobos oder Weihnachten im Sommer

Es gibt in den Ozeanen der Welt sehr viele Inseln, kleine und große, kahle und begrünte, Felseninseln und Sandinseln, bewohnte und unbewohnte.

Die Insel Lobos hat von allen etwas: Sie ist klein, wenn man sie mit den Inseln Fuerteventura und Lanzarote vergleicht, zwischen denen sie vor der afrikanischen Küste liegt; aber sie ist riesengroß für ein Kind, das sie durchstreifen will. Sie ist kahl, ist Wüste, ist Fortsetzung der Sahara, wenn man sie aus dem Flugzeug liegen sieht; aber sie hat verborgene Schätze für das Auge dessen, der hier nach Pflanzen oder Muscheln sucht. Sie ist eine Felsinsel an ihrer Nordseite, dort, wo der kleine ausgediente Leuchtturm steht und Teile eines Dampferwracks die Felsplatten bedecken; doch ist sie eine Sandinsel in ihrem Südteil, wo eine Bucht mit feinem weißem Sand zum Baden einlädt. Sie ist unbewohnt für den, der sie durchstreift und dabei allenfalls ein Möwenei im Sand findet; aber am äußersten Südostzipfel, da ist sie auch bewohnt, was auf den ersten Blick schwer zu erkennen ist, da die zwei Häuser und die kleinen Ställe aus dem Vulkangestein der Insel aufgesetzt und der Umgebung angeglichen sind. Nur an den kleinen Fenstern kann man erkennen, dass es sich um Häuser handelt. Und an dem langen weißen Gästehaus, das etwas erhöht darüber steht.

An dieser Stelle nun, an der die Häuser stehen, nahe dem Meer und oberhalb einer Lagune, war eines vierundzwanzigsten Dezembers, als die Sonne schien, der Teufel los. Zwei Frauen, eine schwarz gekleidete gichtkrumme alte und eine jüngere, die ein verschossenes blaues Leinenkleid anhatte, huschten verängstigt in das der Lagune am nächsten gelegene Haus. Ein kleines Mädchen aber, das den beiden folgen wollte, wurde zurückgehalten durch das Donnerwort: »Du bleibst!«

Ein Mann, ein hagerer, schon etwas älterer Mann in verblichenem Segeltuch, der Strohsandalen an den Füßen hatte, brüllte das Donnerwort und fragte hinterher, ein wenig ruhiger, aber mit immer wieder leicht überschnappender Stimme: »Was hast du da gesagt? Was wollen diese Teufelsbraten veranstalten?«

»Ein Weihnachts-Esel-Rennen«, piepste das Mädchen und drückte sich an die Wand des halbrunden Backofens, neben dem es stand.

»Ein Weihnachts-Esel-Rennen?« Für einen Augenblick blieb dem Mann der Mund vor Staunen offen stehen; dann rief er kopfschüttelnd, das Wort betonend auf der zweiten Silbe: »Jesuuus!« Und fügte hinzu: »Ich hab mein Lebtag noch kein Weihnachten gefeiert. Schon gar nicht auf dem Rücken eines Esels. Was ich an Dreikönig alles schenken muss, das reicht mir für ein ganzes Jahr. Da brauch ich nicht noch einen Feiertag dazu.« Dann fragte der Mann, wieder mit Donnerstimme: »Wo sind die vier Halunken?«

Das kleine Mädchen verschwand zur Hälfte hinter dem Backofen, als es, manchmal von einem kleinen Schlucken unterbrochen, antwortete: »Sie sind auf dem Hügel am Strand.«

»Na wartet, Bürschchen!«, rief der Mann. »Euch werde ich …« Er stockte plötzlich im Reden, lauschte mit schräg geneigtem Kopf aufs Meer hinaus, drehte sich um und stöhnte, als er eine schlanke Barkasse auf die Insel zukommen sah: »Auch das noch!« Dann schrie er ins Haus: »Macht Kaffee! Die Barkasse kommt!« Und er ging, während das kleine Mädchen davonhuschte, hinunter zur kleinen Mole am Ende des Strandes.

Die Barkasse, die jetzt auf die Mole zusteuerte, war offen, hatte aber ein überdachtes Steuerhäuschen, in dem ein junger Mann stand, dem man ansah, dass der Mensch mit dem Affen verwandt ist. Er hatte für jemanden, der ihn zum ersten Mal sah, das wildeste Gesicht, aber nach dem Zeugnis vieler Insulaner auch das weichste Herz von allen Bewohnern der umliegenden Inseln. An seinem Gürtel war ein großes furchterregendes Lederfutteral befestigt, in dem er – seine Sonnenbrille aufbewahrte.

Hinter ihm saß auf der umlaufenden Bank des Bootes ein Mädchen, zu dessen Füßen ein kleiner Weihnachtsbaum auf weiß gescheuerten Planken lag.

»Felix«, fragte das Mädchen, als sie sich der Mole näherten, »Felix, wann holst du meine Eltern nach?«

Der Mann am Steuer, Felix geheißen, zuckte mit den Schultern und antwortete, ohne sich dabei umzudrehen: »Das kommt auf die Besucher deines Vaters an, Annette. Halten die ihn nicht allzu lange auf, kann ich vor Sonnenuntergang schon wieder hier sein. Wollt ihr auf Lobos Weihnachten feiern?«

»Ja.« Das Mädchen, das Annette hieß, nickte heftig. »Wir wollen richtige Kerzen anstecken. Und richtig bescheren. Wie in Deutschland.«

»Mal was anderes«, sagte Felix.

Dann glitt die Barkasse mit inzwischen abgestelltem Motor an die kleine Mole, und der Mann in Segeltuch, der sie erwartet hatte, sprang an Deck, um das Boot zu vertäuen. Als er dabei mit einem Seitenblick den Weihnachtsbaum entdeckte, zuckte er zusammen und fragte, als er das Tau festgemacht und sich wieder aufgerichtet hatte: »Wollt ihr etwa auf Lobos Weihnachten feiern, Annette?«

»Ja, Antonio«, sagte das Mädchen und wiederholte Wort für Wort, was sie schon dem Felix gesagt hatte: »Wir wollen richtige Kerzen anstecken. Und richtig bescheren. Wie in Deutschland.«