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Von Wanderparadiesen, wilden Campingplätzen und Winzerkönigen – die völlig überarbeitete Neuausgabe zu einer der beliebtesten und schönsten deutschen Reisedestinationen
Tiefe Wälder, sanfte Hügel und verwunschene Wasserfälle – der Schwarzwald ist ein beinah mythischer Sehnsuchtsort, in dem Naturliebhaber im Sommer wie im Winter auf ihre Kosten kommen. Mit liebevollem Humor erzählt der Insider Jens Schäfer, woher die berühmte Kirschtorte wirklich stammt und was es außer Kuckucksuhren und Bollenhüten noch zu entdecken gibt. Wann Sie besser Herdöpfel und Schleck sagen, wenn Sie Kartoffeln und Marmelade möchten. Und weshalb die malerische wie eigenwillige Unistadt und Grünen-Hochburg Freiburg so attraktiv und deren Fußballclub halt »e wengle andersch isch«.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Mehr über unsere AutorInnen und Bücher:
www.piper.de
Für meine Eltern
Das Gedicht von Harald Hurst im Kapitel »Nummelangsamnummenedhuddele« stammt aus: Harald Hurst, »Do Hanne Num. Ausgewählte Gedichte und Geschichten«, Karlsruhe 2010, S. 24. Mit freundlicher Genehmigung des G. Braun Buchverlags.
Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.
Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe 2021
© Piper Verlag GmbH, München 2009, 2014 und 2021
Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de
Coverabbildung: Morgennebel über Bernau, Südschwarzwald (Spiegelhalter / Huber-Images)
Karten: Cartomedia GmbH, Karlsruhe (vorne); Peter Palm, Berlin (hinten)
Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
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Cover & Impressum
Karten
Alte Welt und neue heile Welt
If you haven’t been to the Black Forest Inn, you haven’t been to Minneapolis!
Phänotypen
Nummelangsamnummenedhuddele
Der Wald hat’s gegeben, der Wald hat’s genommen
Kuckucksuhren, Kirschroten, Bollenhüte
Der Bollenhut
Das Chilbifeuer
Fasnet
Kuckucksuhren
Longinuskreuz
Freilichtmuseum Vogtsbauernhof
Der Schwarzwaldverein
Die Straßen und Bahnstrecken
»Ein junger Architekt verliebt sich unsterblich in ein appetitliches Schwarzwaldmädchen …«
Eine österreichische Hand und ein französischer Mordbrenner
Wahrzeichen I: Die Bächle
Wahrzeichen II: Die Aussichtspunkte
Wahrzeichen III: Die Häuser
Wahrzeichen IV: Die Stadttore
Wahrzeichen V: Die Studenten
Wahrzeichen VI: Die Bobbele
Wahrzeichen VII: Die Ruhestörung
Wahrzeichen VIII: Gewalt und Gegengewalt
Beten und Einkaufen
Die Wahrheit auf dem Platz wird euch frei machen
Lange Anfahrtswege zur Kunst
Museum Frieder Burda, Baden-Baden
Vitra Design Museum, Weil am Rhein
Sammlung Grässlin, St. Georgen
Karlsruhe
Architektonische Nachkriegsmoderne in Pforzheim
Schwarzwaldbub und Fürstenmaler
Nachtrag: Das Holbein-Pferdle
Wie man sich selbst finden kann
Babuschkas und Millionäre
Bio formte diese wunderschöne Landschaft
Brägele und Schäufele
Biergit, Ferdinand und andere Hochprozenter
Die Gewalt geht vom Volke aus
Durch Freundes- und Feindesland
Wie in alten Zeiten
Heilquellen
Geheimnisvolle Quellen
Andere Quellen
Zerstörerische Quellen
Waffen aus dem Schwarzwald
Der Tod im Nordschwarzwald
Zurück zur Natur
Koks und Kuhmist
Gehen oder bleiben?
Der Schwarzwald einst und jetzt
Haben Sie schon mal im Wald gebadet? Sollten Sie unbedingt ausprobieren. Das wird heute in fast jedem Schwarzwald-Dorf angeboten. Ehrlich gesagt hatte ich bis vor Kurzem noch nie davon gehört. Bei Waldbaden dachte ich zuerst an alte Blechbadewannen, die auf einer Waldlichtung herumstehen so wie früher die Viehtränken, in denen wir als Kinder planschten, wenn die Kühe nicht auf der Weide waren. Dabei hat dieser Trend, der aus Japan kommt, nichts mit Wasser zu tun. Laut Bundesverband Waldbaden e. V. handelt es sich dabei um einen »bewussten Aufenthalt im Naturraum Wald, der der mentalen und körperlichen Gesundheit dient und das Bewusstsein für die Bedeutung der Natur und insbesondere des Waldes stärken soll«.
Ich hatte das Glück – und auch das Pech –, dass ich diese Gebrauchsanweisung nun schon zum dritten Mal in die Hand nehmen und überarbeiten durfte. Die erste Ausgabe erschien 2009, die zweite 2014. Glück, weil es Spaß machte und spannend war zu sehen, was sich in den letzten Jahren im Schwarzwald alles verändert und getan hat. Zum Beispiel dass man jetzt nicht mehr einfach in den Wald geht, sondern darin badet. Pech, weil mir die Arbeit vor Augen führte, dass auch ich älter geworden bin.
2009 besuchte Barack Obama den Schwarzwald, der SC Freiburg stieg in die Bundesliga auf, und dessen langjähriger Präsident Achim Stocker erlag einem Herzinfarkt. Am Kaiserstuhl wurden 38,1°C gemessen. Auf dem Hasenhorngipfel wurde ein Aussichtsturm errichtet. Und in der Gebrauchsanweisung stand, der Schwarzwald habe den Ruf, Reiseziel alter Omas und biederer Kurgäste zu sein, die mit sonntäglichen Kurkonzerten und einem bunten Heimatabend zufriedenzustellen seien.
Diese Zeit scheint endgültig vorbei. Nichtstun ist out. Die Omas und Opas von heute sind aktiv, sie wandern, schwimmen, golfen, skaten, wellnessen oder reißen mit dem E-Bike mal eben hundert Kilometer runter. Abends skypen sie kurz mit den Enkelkindern und gehen dann in einen Kochkurs.
Neu ist auch, dass die rüstigen Rentner nicht mehr unter sich bleiben. Der Schwarzwald zieht immer mehr junge Leute an. Familien mit kleinen Kindern genauso wie Schüler, Studenten und Auszubildende. Sie suchen Abgeschiedenheit und unberührte Natur, aber auch Nervenkitzel und Abenteuer. Outdoor ist in. Dafür hat der Schwarzwald in den letzten Jahren enorm aufgerüstet. Überall sind Baumwipfelpfade, Hochseil- und Klettergärten entstanden. Radnetze wurden ausgebaut und Mountainbike-Trails angelegt. Auf den Flüssen kann man raften, in den Felsen klettern und auf den Bergen paragliden. Wem das zu touristisch ist, kann sein Zelt in einem von neun Trekkingcamps aufschlagen, die es neuerdings gibt und die mit nichts weiter als einer Feuerstelle und einem Toilettenhäuschen ausgestattet sind.
Der Schwarzwald ist und bleibt einer der Sehnsuchtsorte der Deutschen. Seit rund 200 Jahren kommt das, was man vom Schwarzwald kennt oder zu kennen meint, der Vorstellung einer heilen Welt ziemlich nahe. Gesunde Luft und mildes Klima, ansehnliche Städte und pittoreske Dörfer, Gastfreundschaft und Gemütlichkeit, geringe Arbeitslosenzahlen und gutes Essen, Gasthöfe, wo es im Flur noch nach Kuhstall riecht und auf der Speisekarte nur regionale Produkte stehen, liberale und freundliche Menschen, die zu leben verstehen und leben lassen, und das im Einklang mit viel unberührter Natur.
Im Schwarzwald leben knapp dreieinhalb Millionen Menschen. Mehr als doppelt so viele kommen jährlich zu Besuch – Tendenz weiter steigend. Allein zwischen April und Juni 2020 hatte der Nationalpark Schwarzwald 100 000 Besucher und damit mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.
Natürlich stößt man auch hier auf den ein oder anderen Hotelklotz, am Titisee etwa oder am Schluchsee. Aber im Großen und Ganzen musste der Schwarzwald nicht verschandelt werden, um Touristen anzulocken oder unterzubringen. Eben wegen seiner Unberührtheit und Naturbelassenheit kommen die ja her. Abgesehen davon, dass die meisten Dörfer und Täler viel zu klein und eng für Bettenburgen sind.
Auch gesunde und nachhaltige Ernährung spielt eine immer größere Rolle. Viele essen nur noch Bio- oder gar kein Fleisch mehr. Wurde man 2009 zum Essen eingeladen, konnte man meist noch zwischen »mit Fleisch oder ohne« wählen. Heute heißt es auch im Schwarzwald oft: »Vegetarisch oder vegan?« Immer mehr Bauern, Kooperativen und regionale Zusammenschlüsse betreiben hier ökologische und nachhaltige Landwirtschaft und verkaufen ihre Produkte in Bioläden, Hofläden und regionalen Supermärkten. Sogar Badischer Biowein ist auf dem Vormarsch (auch wenn der Anbau es im regenreichen Südwesten schwer hat).
Neu ist, dass die Fußballnationalmannschaft der Herren nicht mehr von einem Schwarzwälder trainiert wird. Fünfzehn Jahre lang, von 2006 bis 2021, war Jogi Löw aus Schönau Bundestrainer. Auch wenn sein Ruf wegen des frühen Ausscheidens bei der WM 2018 und der EM 2021 zuletzt gelitten hatte, wird er doch immer der Jogi bleiben, der 2014 in Brasilien Weltmeister wurde.
Auch das Schwarzwaldstadion ist Geschichte. Nachdem der Sport-Club Freiburg fast sechzig Jahre lang in diesem Schmuckkästchen an der Dreisam gekickt hatte, zog er im Herbst 2021 in den Norden der Stadt. Ansonsten ist hier alles gleich geblieben: Seit Januar 2012 wird die Mannschaft von Christian Streich trainiert. Damit ist er der dienstälteste Trainer der Liga. In 31 Jahren hatte der SC nur fünf Trainer, so viel wie manche Clubs in einer Saison. Es gibt sie noch, die langlebigen Dinge.
Auch politisch hat sich viel getan. 2009 war es noch unvorstellbar, dass Baden-Württemberg mal einen grünen Ministerpräsidenten haben würde. Das Bundesland war seit 1953 durchgehend von der CDU regiert worden. Als Winfried Kretschmann 2011 das Amt antrat, kam das einem politischen Erdbeben gleich. Nicht wenige hatten Angst, er könnte den Kommunismus einführen und privates Vermögen verstaatlichen. 2021 wurde der beliebte und angesehene grün-konservative Landesvater zum zweiten Mal wiedergewählt.
Schon 2002 war in Freiburg Dieter Salomon erster grüner Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt geworden, auch das war eine Sensation. Viele glaubten, Freiburg würde fortan für immer grün regiert werden. Bis Salomon im April 2018 die Wahl überraschend gegen den 33-jährigen parteilosen Novizen Martin Horn verlor. Seitdem hat Freiburg einen der jüngsten Bürgermeister aller deutschen Großstädte.
Aber liegt Freiburg eigentlich im Schwarzwald? Wieso heißt es dann »Freiburg im Breisgau«? Und was ist mit Karlsruhe? Und dem Kaiserstuhl? Dem Europapark Rust? Nagold und Calw? Kann man eine Landschaft, die rund 200 Kilometer lang und bis zu neunzig Kilometer breit ist und Temperaturschwankungen von mehr als zwanzig Grad Celsius hat (wenn im Januar das Thermometer in Freiburg auf zwölf, dreizehn Grad ansteigt, hat es auf dem Schauinsland manchmal noch minus zehn), in einen geografischen Topf schmeißen?
Stellen wir an dieser Stelle klar: Der Schwarzwald ist das größte und höchste zusammenhängende Mittelgebirge Deutschlands, das im Norden an den Kraichgau, im Osten an Gäu und Baar, im Süden an den schweizerischen Hochrhein und im Westen an die Oberrheinische Tiefebene angrenzt. Der Breisgau, in dem Freiburg liegt, der Kaiserstuhl, Lörrach, Weil am Rhein, Karlsruhe, Offenburg oder der Europapark Rust – gehört alles nicht dazu. Die ganze Gegend hat sich aber zur Ferienregion Schwarzwald zusammengeschlossen. Wenn in diesem Buch vom Schwarzwald gesprochen wird, ist meist die gesamte Region gemeint.
Der »echte« Schwarzwald besteht aus drei Teilen. Der Südschwarzwald ist geprägt von anmutigen Tälern und dunklen Wäldern, sanften Hügeln mit mächtigen Eindachhöfen und saftigen Wiesen, auf denen braun-weiße Kühe grasen. Im Nord- und im Mittelschwarzwald sieht es anders aus. Enger sind die Täler und noch dichter bewachsen. Fachwerkhäuser gibt es hier und Dörfer, in die die Sonne nur ganz selten vorzudringen scheint. Und im Westen, wo die Hänge des Schwarzwalds in die sonnige Rheinebene übergehen, prägen Felder und Weinberge das Bild.
Ein Freudenstädter, ein Triberger und ein Freiburger haben jeweils etwas anderes im Sinn, wenn sie an den Schwarzwald denken. Der Erste sieht riesige Waldflächen und hält Freudenstadt für die Hauptstadt des Schwarzwalds. Der Zweite denkt an tiefe Schluchten und empfindet die Triberger Wasserfälle als sein Zentrum (womit er geografisch gesehen recht hat). Dem Dritten fallen Freiburgs enge Gassen und das milde Klima ein, und er meint nicht nur im Zentrum des Schwarzwalds zu leben, sondern in der heimlichen Hauptstadt Deutschlands. Kein Schwarzwälder denkt an das große Ganze, sondern immer an das eigene Kleine, das mit dem großen Rest wenig zu tun hat.
Nicht dass die Freudenstädter, Triberger und Freiburger ignorante Provinzler wären, die nicht über ihren Tellerrand hinausschauen. Die jeweiligen Gebiete hatten einfach nie viel miteinander zu schaffen. Der Schwarzwald war jahrhundertelang so dicht und undurchdringlich, dass es kaum Verbindungen zwischen seinen einzelnen Teilen gab. Als er im frühen Mittelalter besiedelt wurde, machten die vielen Täler und Berge den Bau großer Verbindungsstraßen beinahe unmöglich. Das Reisen war eine beschwerliche Sache. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Wer im Nordschwarzwald wohnt, fährt nicht mal eben so in den Süden und umgekehrt. Wieso auch? Man hat den Schwarzwald doch vor der eigenen Haustür, und der genügt. Die Fahrzeiten stehen zudem in keinem Verhältnis zur Entfernung. Will man mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Bonndorf im Süd- nach Bad Wildbad im Nordschwarzwald fahren, muss man erst den Bus nach Neustadt nehmen, da in den Zug nach Freiburg umsteigen, dort in den nach Karlsruhe und dann weiter nach Pforzheim, wo schließlich eine S-Bahn nach Bad Wildbad fährt. Fahrzeit mehr als vier Stunden. Dabei sind die beiden Städte in der Luftlinie keine hundert Kilometer voneinander entfernt.
Und was ist mit den Schwarzwälderinnen und Schwarzwäldern? Handelt es sich um ein einheitliches Völkchen, das sich über einen Kamm scheren lässt? Ist es in Reinform überhaupt noch anzutreffen? Sind das alles Badener? Und stimmt es, dass man hier auch Schwäbisch spricht? Schwarzwälderinnen und Schwarzwälder sind mal ver- und mal aufgeschlossene Wesen, sie sind abgeschottet und weltoffen zugleich. Je nachdem, wo sie leben.
Als Teil des strategisch wichtigen Dreiländerecks weckte ihre Heimat schon immer Begehrlichkeiten und war jahrhundertelang heftig umkämpft. Der Schwarzwald ist umrahmt vom protestantischen Württemberg im Norden (der größte Teil des Schwarzwalds ist badisch und katholisch), dem Elsass im Westen (das die Deutschen immer wieder besetzt und bekriegt haben), der Schweiz im Süden (die Deutschen gegenüber schon immer fremdelte), und im Osten warten hinter Baar und Bodensee schon die Bayern. So eingekeilt, umkämpft und unbeliebt blieb den Schwarzwäldern nichts anderes übrig, als sich auf sich selbst zu besinnen und sich die Selbstzufriedenheit und -genügsamkeit zuzulegen, die die Menschen hier heute auszeichnet.
Gleichzeitig sind die Schwarzwälder kontaktfreudig, menschenfreundlich und weltoffen. Vor allem die aus der Oberrheinischen Tiefebene. Freiburger, Offenburger, Lörracher oder Karlsruher hatten schon früh Kontakt zu Händlern und Kaufleuten, die hier durchzogen. Es prägt, wenn man seit Jahrhunderten da wohnt, wo andere hinpilgern, um Geschäfte zu machen, zu arbeiten oder sich auszukurieren. Und wo man zwar vier Stunden von Bonndorf nach Bad Wildbad braucht, aber auch nur eine halbe in die französischen Supermärkte, eine knappe ins schweizerische Hochlohnland (viele Schwarzwälder arbeiten dort) und eineinhalb an den Bodensee. Der TGV fährt in zweieinhalb Stunden von Karlsruhe nach Paris, und der ICE in fünfeinhalb von Freiburg nach Milano Centrale.
Wenn man die Gegenwart mit der Vergangenheit abgleicht, kann man auch einen vorsichtigen Blick in die Zukunft wagen. Was sich definitiv ändern wird, ist der Schwarzwald selbst. Genauer gesagt, sein Erscheinungsbild. Wo heute dunkler Nadelwald ist, wird bald bunter Mischwald sein. Nicht in zehn Jahren. Aber in fünfzig bis hundert.
Das liegt – wie so vieles – an der Erderwärmung. Denn die lässt den Grundwasserspiegel sinken, wodurch Fichten – aus denen der Schwarzwald zu sechzig und mehr Prozent besteht – austrocknen, anfällig für Schädlinge werden und absterben. Die Löcher, die der Borkenkäfer in den Wald reißt, werden von Jahr zu Jahr größer. Douglasien, Erlen, Buchen oder Ulmen sollen die Fichte ablösen. Laub- und Mischwälder, so die Hoffnung, werden widerstandsfähiger sein. Aber auch viel heller. Unsere Kinder und Enkelkinder brauchen im tiefen, dunklen Wald also keine Angst mehr haben, weil es ihn nicht mehr geben wird.
Außerdem wird der Schwarzwald »verspargelter« sein. Ohne Windräder und Solarpaneele sind die Klimaziele, die wir uns gesteckt haben, nicht zu erreichen. Darüber, wo man die Dinger hinstellt, dürfte es wohl noch viel Streit geben. Auch der Abschied vom Verbrennungsmotor wird den Schwarzwald nachhaltig verändern. E-Motoren brauchen keine Antriebsstränge mehr. Keine Kupplungen, keine Schaltgetriebe und keine Kardanwellen. Also das, was die hiesigen Zulieferbetriebe bauen und entwickeln. Fachleute prophezeien einen massiven Strukturwandel des örtlichen Mittelstands und den Verlust von Arbeitsplätzen. In Baden-Württemberg arbeiten geschätzt 100 000 Menschen in der Zulieferindustrie.
Nicht zuletzt hat sich in den letzten Jahren auch unsere Sprache verändert. Ging es in den ersten beiden Ausgaben dieses Bands noch um Leser und Schwarzwälder, schreibe ich heute von Leserinnen und Lesern sowie Schwarzwälderinnen und Schwarzwäldern. Das Gendern hat sich flächendeckend durchgesetzt. Auch diese Neuausgabe versucht, geschlechtergerecht zu formulieren und Stereotype zu vermeiden. Aber der besseren Lesbarkeit wegen nicht ständig. Mit Schwarzwäldern meine ich Menschen aus dem Schwarzwald. Mit Touristen und Gästen Menschen, die dort Urlaub machen, und mit Lesern Menschen, die diese Gebrauchsanweisung in die Hand nehmen. Also Sie.
Gehen wir gemeinsam auf die Reise, erkunden wir den Schwarzwald, machen wir uns vertraut mit seiner Geschichte und seinen Geschichten, seinen Bewohnern und ihren Eigenarten, seinen Speisen und Getränken, seinen Festen und Gebräuchen. Sehen wir uns in Freiburg um, und lernen wir Menschen kennen, die hier leben, und solche, die hier gelebt haben. Im Schwarzwald, wo sich so vieles geändert hat und trotzdem alles gleich geblieben ist.
Der Schwarzwald und die große, weite Welt
Die Schwarzwälder präsentieren nicht nur ihren Landsleuten eine Idylle, ihnen kommen auch höchst repräsentative Aufgaben auf internationaler Ebene zu. Kuckucksuhren, Schwarzwälder Kirschtorte und Schwarzwälder Schinken sind Berühmtheiten, die seit vielen Jahren das Bild von Deutschland und den Deutschen in der Welt prägen. Die Gemütlichkeit der Schwarzwälder ist, je nach Blickwinkel, mal typisch badisch, mal ist sie typically German.
Dabei ist es mir im Ausland schon häufiger passiert, dass der Schwarzwald kurzerhand in ein benachbartes Bundesland verlegt wurde: »I am from the Black Forest.« – »Ah, that’s in Bavaria, isn’t it?« Nicht schön. Auch nicht, dass es einen Lonely Planet Munich, Bavaria & the Black Forest gibt. Aber das ist alles nicht so schlimm wie das, was mir in deutschen Landen regelmäßig widerfährt: »Ich stamme aus dem Schwarzwald.« – »Aha, also aus Schwaben!« Nein, das stimmt ganz entschieden nicht! Lediglich ein kleiner Teil des nördlichen Schwarzwalds liegt in Schwaben, der große Rest jedoch in Baden.
If you haven’t been to the Black Forest Inn, you haven’t been to Minneapolis! Mit diesem Slogan warb mal ein Lokal in den USA, das seit 1965 zahlreiche Preise für authentic, homemade German and European meals and outdoor eating gewonnen hat. Die Speisekarte lockt mit Strudel, Bread and Bratwurst, dem Deutschburger Casserole sowie Spaetzel und, of course, Black Forest Cherry Torte.
Black Forest Inns gibt es auch in South Dakota, New Jersey und in Ontario/Kanada. Im Bundesstaat Farmingdale, New York, gibt es das Black Forest Brew House und eine Black Forest Bakery: lauter große, mit dunklen Holzbrettern verzierte Häuser, die real and authentic German Essen und Trinken servieren.
Sie könnten auch Germany Inn heißen oder Rhineland Inn oder Berlin Inn. Es sind aber Black Forest Inns, denn in der Welt steht der Schwarzwald nun mal für Deutschland und manchmal für die Schweiz und Österreich gleich mit. Manche nehmen es nicht so genau und servieren außerdem Homemade Soft Pretzel, Wiener Schnitzel, Sauerbraten oder das Black Forest Lager Fondue. So wird es einem Inder gehen, der sieht, dass ein ganzer Subkontinent auf die immer gleichen drei Grundsoßen mit zehn verschiedenen Zutaten reduziert wird, oder einem Italiener, der feststellt, dass Deutschlands Eisdielen fast ausnahmslos Venezia heißen. Wir tragen nun mal Vorstellungen und Bilder mit uns herum, und die wollen wir bestätigt sehen.
Es gibt auch ein Mineralwasser, das nach dem Schwarzwald benannt ist. Das Black Forest Still ist aber kein amerikanisches Produkt, das seine besondere Qualität betonen will. Dieses Wasser, das sich auch Black Forest Pearl nennt und im »Bottle-Carrier« angeboten wird, wird aus der Hansjakobquelle in Bad Rippoldsau im Nordschwarzwald gewonnen und ist für den heimischen Markt bestimmt. An Anglizismen in der Werbung, auf Telefonrechnungen und im Fernsehen hat man sich schon lange gewöhnt. Trotzdem sei die Frage erlaubt, ob ein ganz normales Mineralwasser seinen Ruf oder seine Absatzzahlen verbessert, indem es sich Black Forest Still nennt.
Dass die ganze Welt weiß, wo er herkommt, verdankt der Schwarzwälder aber nicht nur den Speisegaststätten, die in ebendieser herumstehen, sondern auch den Gebrüdern Grimm und ihren Märchen. Hänsel und Gretel und das Rotkäppchen spielen dort, zumindest in vielen fremdsprachigen Fassungen. Der böse Wolf war lange Zeit ausgerottet, die dichten Wälder sind an vielen Stellen dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen oder wurden abgeholzt, das Holz wurde für den Schiffs- und den Stollenbau und für Kuckucksuhren gebraucht. Die Abholzungen müssen passiert sein, nachdem die spanische Sprache den Schwarzwald in sich aufnahm: Selva negra bedeutet auch schwarzer Dschungel.
Wenn man in mancher dunklen Gegend des Mittelschwarzwalds wandert, versteht man, warum die Iberer ihn so tauften. Oder wenn man mit dem Boot durch die urwaldähnlichen Auenwälder bei Taubergießen paddelt. Auf den drei großen Fernwanderwegen – dem Westweg von Pforzheim nach Basel, dem Mittelweg von Pforzheim nach Waldshut und dem Ostweg von Pforzheim nach Schaffhausen – sieht man tagelang nichts als Wald. Wer mit dem Rad, Motorrad oder Auto unterwegs ist, kann viele Stunden auf kurvenreichen Waldstraßen dahinfahren. Viel Wald bedeutet aber auch viel Schatten. Es kann einem aufs Gemüt schlagen, wenn man stundenlang keine Sonne sieht und den blauen Himmel immer nur erahnt. Eine Tour sollte also danach ausgewählt werden, ob sie auch sonnige Höhenzüge hat.
Vermutlich fühlen sich Amerikaner auch deshalb so vom Black Forest angezogen, weil es ein Schwarzwälder war, der ihrem Land seinen Namen gab. Der geht nämlich auf Martin Waldseemüller zurück, der um 1470 in Freiburg auf die Welt kam. (Oder in der Binzenmühlen-Strauße im nahen Wolfenweiler, wie dort ein Schild an der Hauswand behauptet. Oder ganz woanders. Seine Geburt ist so lange her, dass die Meinungen darüber auseinandergehen dürfen.) Das erste gesicherte Datum seiner Biografie ist der 7. Dezember 1490. Da wurde er als Martinus Walzemüller an der Universität Freiburg immatrikuliert. Damals begann das Semester anscheinend kurz vor Weihnachten. Nach seinem Studium der Kosmografie arbeitete er in der Druckwerkstatt seines Onkels in Basel, ehe er als Kosmograf ins Kloster Vosagense in Saint-Dié in Lothringen wechselte. Lothringen gehörte damals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
Waldseemüllers Herr war René von Lothringen, der sich für Landkarten begeisterte. Er hatte die Schriften des Kaufmanns, Seefahrers und Draufgängers Amerigo Vespucci gelesen, der 1499 und 1502 zwei Reisen in die Neue Welt unternommen hatte. Seine Reiseberichte, in denen er diese in den schillerndsten Tönen und Farben beschrieb, machten Vespucci weltberühmt. Und mit ihm das neue Land. René beauftragte Waldseemüller mit der Erstellung einer Weltkarte nach Vespuccis Berichten. Die Karte setzt sich aus zwölf einzelnen Rechtecken zusammen, die einen knappen halben Meter groß sind. Zusammen ergeben sie eine Weltkarte, die 233 Zentimeter lang und 128 Zentimeter breit ist.
Weil der neue Kontinent einen Namen brauchte, beschloss Waldseemüller, dass man ihn, »da Americus ihn gefunden, Americus oder America von heute an nennen könnte«. Das angehängte a gefiel ihm, da auch Europa, Afrika und Asia eine weibliche Endung hatten.
Spätestens jetzt wird der gebildete Leser einwerfen, dass Amerika doch nicht von Vespucci, sondern von Christoph Kolumbus entdeckt worden war. Diese Meinung teilten damals viele Wissenschaftler und verlangten, der Kontinent müsse Colombo genannt werden. Ohne Erfolg. Kolumbus war schon zu Lebzeiten in Vergessenheit geraten. Überdies beharrte er bis zuletzt darauf, nicht Amerika, sondern Indien gefunden zu haben. Die Proteste verhallten ungehört, und schon nach wenigen Jahren hatte sich America durchgesetzt.
Auch Martin Waldseemüller geriet in Vergessenheit und mit ihm seine berühmte Karte, obwohl sie eine Auflage von tausend Stück hatte, damals eine immens hohe Zahl. Sie wurde mit dem Begleitbuch Einführung in die Kosmografie, das der humanistische Philologe Matthias Ringmann geschrieben hatte, und einer Globussegmentkarte herausgebracht. Eine frühe Form von Multimedia also. Eine Segmentkarte bestand aus zwölf miteinander verbundenen, abgerundeten Rhomben, die man zu einem Globus von etwa zwölf Zentimetern Durchmesser zusammenfalten konnte.
Erst 1910 tauchte wieder ein Exemplar der Landkarte auf. Ein Mönch fand es im Rücken eines Buches versteckt in der Bibliothek von Schloss Wolfegg in Oberschwaben. Die Amerikaner begannen in den Achtzigerjahren, Verhandlungen mit dem Fürsten zu Waldburg-Wolfegg über einen Kauf der Karte zu führen. Aber die damalige Bundesregierung verbot, nationales Kulturgut dieser Kategorie zu veräußern. Helmut Kohl und Roman Herzog konnten die Frage, ob Freundschaft oder der Schutz nationalen Kulturguts höher zu bewerten sei, nicht abschließend beantworten. Gerhard Schröder beschied dann kraft seines Amtes, dass die Karte als Dankeschön für die Unterstützung der Amerikaner bei der deutschen Wiedervereinigung verkauft werden dürfe. Angela Merkel war es schließlich, die sie überbrachte. Sie sah darin »ein schönes Zeichen der besonders engen deutsch-amerikanischen Freundschaft«. Die Library of Congress in Washington, wo die Karte heute hängt, hat geschätzte zehn Millionen Euro dafür bezahlt.
Von der Weltkarte ist nur ein einziges Exemplar erhalten. Von den Segmentkarten wahrscheinlich vier: Eine befindet sich in Privatbesitz, eine gehört der Universität von Minnesota, eine der Stadt Offenburg, und eine der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hier stießen 2012 zwei Bibliothekarinnen aus der Abteilung »Altes Buch« bei Katalogarbeiten auf eine etwa DIN-A4-große Karte – in einem Bibliothekseinband aus dem 19. Jahrhundert und zwischen zwei Geometriedrucken aus dem 16. Jahrhundert, auf dem »America« stand. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Weil die Karte ansonsten kaum beschriftet war und auch keinen Maßstab hatte, gingen die Bibliothekarinnen dahin, wo heute alle hingehen, wenn sie nicht weiterwissen: ins Internet. Als sie bei Wikipedia ein Foto von Waldseemüllers Segmentkarte entdeckten, dämmerte ihnen, dass sie etwas ganz Besonderes gefunden hatten. Untersuchungen ergaben, dass das Blatt einige Zeit nach dem Erstdruck von 1507 entstanden sein dürfte. Möglicherweise hatten Waldseemüller und Ringmann ihr Medienpaket knapp ein Jahrzehnt nach dem Erstdruck erneut aufgelegt.
Weniger umfangreich wurde eine Karte untersucht, die die Ludwig-Maximilians-Universität im Jahr 1990 für damals zwei Millionen D-Mark gekauft hatte. Jahrzehntelang wähnte man sich im Besitz von zwei Original-Waldseemüller-Segmentkarten. Bis 2018 bei Christie’s in London ein weiteres Exemplar angeboten wurde, das an den identischen Stellen fehlerhaft war wie die in München und wie eine, die sich in der James Ford Bell Library der University of Minnesota befand. Diese Fehler waren bei späteren Reparaturarbeiten entstanden. Das ließ darauf schließen, dass zwei der Segmentkarten nach der dritten, reparierten gedruckt worden waren. Und nicht aus Waldseemüllers Zeit stammen konnten.
Die Münchner Karte wurde untersucht. Und es kam raus, dass sie zwar auf 500 Jahre altem Papier gedruckt worden war. Aber rund 400 Jahre später. Experten fanden in der Farbe Titanweiß, das erst ab 1920 industriell hergestellt wurde. Ruß, womit im Mittelalter Druckfarbe geschwärzt wurde, konnten sie dagegen auf der Münchner Karte gar nicht ausmachen. Die Fälschung musste also mittels Bromöldruck hergestellt worden sein, bei dem aus einem Fotonegativ Schritt für Schritt eine Druckvorlage angefertigt wird. Niemand konnte in Regress genommen werden, da alle damals beteiligten Vorbesitzer und Händler mittlerweile verstorben waren.
Wenn Sie nun auch gern wissen würden, wie eine Waldseemüller-Segmentkarte aussieht, müssen Sie in den Schwarzwald kommen. Das Offenburger Museum im Ritterhaus stellt so eine Globussegmentkarte aus. Sie wurde 1507 in Saint-Dié-des-Vosges – und damit höchstwahrscheinlich von Martin Waldseemüller persönlich – gedruckt. Auch dieses Exemplar wurde zufällig entdeckt, als 1993 die Bestände der Historischen Bibliothek Offenburg neu katalogisiert wurden. Dieses Offenburger Original ist weltweit das einzige, das regelmäßig öffentlich ausgestellt wird. Weil es sehr lichtempfindlich ist, wird es die Hälfte des Jahres im Dunkeln verwahrt. Dann liegt ein Faksimile an seinem Platz. Sie müssen aber nicht extra im Museum anrufen und fragen, welches Exponat turnusmäßig gerade dran ist, druff gschisse: Das Faksimile sieht so echt aus, dass nicht mal Experten es vom Original unterscheiden können.
Und wer Waldseemüllers Weltkarte jetzt sofort sehen will, begebe sich bitte ins Internet. Die Library of Congress in Washington hat 2016 zusammen mit dem Museo Galileo in Florenz die multimediale Webseite »A Land beyond the Stars« ins Netz gestellt. Dort gibt es zahlreiche Informationen zu Vespuccis Reise sowie zu Waldseemüllers Weltkarte und ihrer Entstehungsgeschichte. Wenn man sich tief genug in die Karte hineinzoomt, kann man sogar den Schwarzwald erkennen.
Was wohl Martin Waldseemüller zu alledem gesagt hätte? Wahrscheinlich wäre ihm nicht wohl bei der Sache gewesen. Schon bald bekämpfte er selbst den Namen, den er der Neuen Welt gegeben hatte, und nannte den neuen Kontinent wieder »terra nova« oder »terra incognita«. Das ist er für den Mann, der von der Welt nicht viel mehr gesehen hat als den Schwarzwald und Lothringen, ja auch zeitlebens geblieben.
Woran man einen Schwarzwälder erkennt
Seit frühester Zeit waren Freiburg und der Schwarzwald Durch- und Zuzugsgebiet. Vielen hat es hier so gut gefallen, dass sie dageblieben sind. Im Mittelalter lockten die Welfen und die Staufer Menschen aus ganz Europa hierher. Aus wirtschaftlichen Gründen kamen später Spanier und Savoyer, aus religiösen Hugenotten, Waldenser und Österreicher und auf der Flucht vor den Franzosen Pfälzer. Während des Dreißigjährigen Kriegs schlugen sich Böhmen, Mähren, Schweden, Niederländer, Schlesier und Ungarn bis hierher durch. In dieser Zeit kam auch Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in den Schwarzwald, der den Abenteuerlichen Simplicissimus schrieb und in Oberkirch das Gasthaus Silberner Stern eröffnete, in dem man heute noch gut und badisch essen kann. Seit der Neuzeit kommen Studenten aus dem In- und Ausland, um an der hiesigen Universität zu studieren.
Bei so vielen Zugereisten und Touristen – gibt es dann überhaupt noch original Schwarzwälder? Und wenn ja, woran erkenne ich sie?
Zuallererst daran, dass sie das Leben genießen. Freiburger sind gesellig und sitzen gern bei einem Glas Wein zusammen. Aber sie trinken nicht nur, sondern sie reden auch gern. Und viel. Freiburger sind stets ein wenig selbstverliebt und immer ein bisschen laut. Sie glauben zu wissen, wie die Welt funktioniert, und haben das starke Bedürfnis, die anderen an ihren Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Man erklärt sich hier so gern gegenseitig das Leben, dass man, hört man zwei Freiburgern zu, manchmal nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es sich um einen Dialog oder um zwei parallel laufende Monologe handelt. Ausführungen enden oft mit »So isches!«, »Des kannsch aber glaube!«, »Wenn ich’s dir sag!«, »Des isch klar!« oder »Ich sag dir’s!«. Das klingt manchmal rechthaberisch, ist aber nie aufdringlich oder beleidigend.
Ich bin jedes Mal aufs Neue von der herzlichen Freundlichkeit der Schwarzwälder begeistert. Wer aus dem Südwesten stammt und in Berlin lebt, leidet dort nicht nur am schlechten Wetter, sondern auch an der beinahe pathologischen Unfreundlichkeit der Ureinwohner. Wie heißt es in der Gebrauchsanweisung für Brandenburg so treffend? »In Brandenburg ist der Kunde nicht König, sondern Kind.« Im Schwarzwald ist der Kunde zuallererst mal Mensch. Und dann Kunde. Und zu beiden ist man freundlich, baschda.
Wenn Sie sich ein eigenes Bild von den Freiburgern machen wollen, sollten Sie am späten Samstagnachmittag in die Markthalle zwischen Grünwälderstraße und Martinsgässle gehen. Im hinteren Teil, bei den Stehtischen, zwischen Studenten und Professoren, Touristen und Zugereisten, kann man sie sehen und hören. Ein anderer guter Ort ist die Gaststätte Zum Kranz in der Herrenstraße an einem Sonntagabend. Oder das Stadion des Sport-Club Freiburg. Dort treffen sich alle: Zugezogene und Einheimische, Alte und Junge.
Alle wollen den Sport-Club spielen sehen, viele eine Stadionwurst essen. Einen der Wurststände betreibt Chico, der früher auch sehr lustige Kolumnen für das Stadionheft geschrieben hat und die Szenekneipe Swamp in der Talstraße betreibt, vis-à-vis von der Brauerei Ganter. Ich dachte lange, Chico sei waschechter Freiburger, vom Aussehen, den Gesten, seiner Körperbewegung und vor allem wegen seines astreinen alemannischen Dialekts. Dabei heißt er eigentlich Carmelo Policicchio und hat kalabrische Wurzeln. Sell könne Se mir glaube.
Von der Offenheit und Herzlichkeit der Menschen in der Rheinebene profitieren regelmäßig Studenten der Fachhochschule Offenburg. Dort kümmern sich einheimische Senioren um Mexikaner, Bangladeschis, Chinesen oder Iraner. Sie helfen bei Problemen im Studium und im Alltag und bringen ihnen unsere (die alemannische?) Kultur und Sprache näher. Man geht gemeinsam ins Theater und besucht Konzerte und Sehenswürdigkeiten. Die Studenten schwärmen von der Herzlichkeit der ehrenamtlichen Unterstützer, und den Senioren macht es Spaß, mit den jungen Leuten zusammen zu sein. Das sei wie ein Jungbrunnen. Eine klassische Win-win-Situation also.
Die Geselligkeit und die Freude am Gespräch, die die Badener ausmachen, werden spürbar weniger, je weiter Sie in den Schwarzwald vordringen. Die Menschen hier oben sind nicht unfreundlich. Aber gegenüber Fremden auch nicht gerade offen. Eher haftet ihnen eine konservative Wortkargheit an. Jahrhundertelang hat ihnen die Natur so viel abverlangt, haben sie so viel schaffen müssen, dass nur wenig Zeit zum Sprechen blieb. Sie können heute noch entlegene Dorfgasthäuser betreten, in denen sich ein mit zehn oder fünfzehn Männern voll besetzter Stammtisch darin gefällt, gemeinsam zu schweigen. Das werden Sie in Freiburg, Offenburg oder Karlsruhe niemals erleben. Vielleicht liegt es an den dunklen Wäldern, dass die Menschen hier oben nicht so gern reden, wie bei den Finnen oder Norwegern, denen ja auch eine gewisse Wortkargheit nachgesagt wird.
Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn ein Hochschwarzwälder kurz angebunden ist. Die Menschen sind hier einfach so. Ich war schon auf Hochzeiten eingeladen, wo die Schwiegerväter den ganzen Abend zusammensaßen und keine zehn Sätze miteinander wechselten. Woran sich keiner von beiden störte. Ein Tourist fuhr mal an einer Tankstelle in Lenzkirch vor, um vollzutanken. Der Tankwart, der immer einen grauen Mantel und eine blaue Schiebermütze trug, kam an die Zapfsäule und schraubte den Tankdeckel auf. Irgendwas schien dem Touristen nicht zu behagen – war es der alte Mann oder der Hof, auf dem nicht wenig Schrott herumlag –, er sah sich um und wollte wissen, wie viel Oktan denn das Benzin habe. Der alte Tankwart zuckte nur mit den Schultern. »Sell isch mir glich«, sagte er, tankte den Wagen voll und beachtete den Kunden nicht weiter.
Auch meine Mutter, die als junge Frau in den Hochschwarzwald zog, hat oft erzählt, wie schwer es in den ersten Jahren war, Kontakt zu knüpfen. Im Grunde haben die einheimischen Frauen sie komplett ignoriert. So schlimm ist es heute natürlich nicht mehr.
Hier oben trinkt man auch eher Bier als Wein. Und einmal im Jahr, an Fasnet, lassen selbst die Schwarzwälder die Sau raus, dann aber richtig. Die pietistischen Protestanten im Nordschwarzwald bringen allerdings nicht mal das fertig.
In Das kalte Herz lässt sich der Kohlenmunk-Peter aus Habgier mit zwei Waldgeistern, dem Glasmännlein und dem Holländer-Michel, ein. Das schönste Märchen Wilhelm Hauffs ist genauso schaurig-schön, dunkel und verschlungen, wie man sich den Schwarzwald vor 200 Jahren vorstellt. Darin beschreibt er detailliert den Schwarzwälder Phänotyp: »Sie sind größer als gewöhnliche Menschen, breitschultrig, von starken Gliedern, und es ist, als ob der stärkende Duft, der morgens durch die Tannen strömt, ihnen von Jugend auf einen freieren Atem, ein klareres Auge und einen festeren, wenn auch raueren Mut als den Bewohnern der Stromtäler und Ebenen gegeben hätte … Am schönsten kleiden sich die Bewohner des badenschen Schwarzwalds; die Männer lassen den Bart wachsen, wie er von Natur dem Mann ums Kinn gegeben ist; ihre schwarzen Wämser, ihre ungeheuren, eng gefalteten Pluderhosen, ihre roten Strümpfe und die spitzen Hüte, von einer weiten Scheibe umgeben, verleihen ihnen etwas Fremdartiges, aber etwas Ernstes, Ehrwürdiges.«
Diesen Urtyp werden Sie heute nicht mehr antreffen. Abgesehen davon, dass, wer sich heute so kleidet, auf direktem Wege in Emmendingen landen würde. Dort steht das psychiatrische Krankenhaus für die gesamte Region Süd- und Mittelbaden. Es wird stets angeführt, wenn jemand aus der Reihe fällt, »so, wie der rumlauft, kummt er beschdimmt vu Emmedinge«, und ist Teil des regionalen Erziehungsprogramms: »Wenn de so wittermachsch, kummsch uff Emmedinge!« Jemand, der nicht der Allerhellste ist, ohne deswegen gleich nach Emmendingen zu müssen, wird auch Chrischtkindle genannt. Im Gegensatz dazu heißt einer, der besonders clever ist, Käpsele.
Auch im Schwarzwald vermengte man sich. Die zahlreichen mittelständischen feinmechanischen Betriebe im Mittel- und Südschwarzwald haben Menschen aus allen Gegenden Deutschlands hergelockt. Die Gemeinden im Nordschwarzwald wuchsen, als nach dem Weltkrieg Bosch, Benz und andere Großbetriebe Württembergs expandierten. Auch der eine oder andere Urlaubsflirt entwickelte sich zu einer mehrköpfigen Familie. Und als nach der Wende die Menschen aus den neuen Bundesländern kamen, um sich den Schwarzwald anzusehen, hat es vielen von ihnen so gut gefallen, dass sie gleich dageblieben sind. Wahrscheinlich lag das in dem Fall aber vor allem daran, dass es hier im Gegensatz zu daheim Arbeitsplätze gab. Besonders in Museen, der Gastronomie und sogar am Tresen von Touristeninfos kann man den sächsischen und thüringischen Zungenschlag hören, und auch unter den Verkäufern des Freiburger Münstermarkts gehören rumänische, russische, polnische Stimmen längst dazu.