Gedächtniswelten, Lottis Geheimnis - Claudia Krüger - E-Book

Gedächtniswelten, Lottis Geheimnis E-Book

Claudia Krüger

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Beschreibung

Eigentlich hatte sich Lotti ihren Lebensabend in der Residenz eher beschaulich und ruhig vorgestellt. Eigentlich, denn erstens kommt es anders, und zweitens als Erna denkt. Erna, das ist die nicht ganz unkomplizierte Hündin einer in Not geratenen Freundin, welche es nun unterzubringen gilt. Ein Haustier im Seniorenheim, ist das überhaupt erlaubt? Gemeinsam mit ihrem Mitbewohner Jakob beschließt die alte Dame kurzerhand, es nicht auf eine Absage ankommen zu lassen und schmuggelt das kleine Hündchen heimlich in ihr Zimmer, Turbulenzen inklusive! Der heitere zweite Teil des Romans entstand in Zusammenarbeit zwischen Claudia Krüger und Bewohnern der Residia Bad Bevensen GmbH. Gedächtniswelten-Trilogie, Teil 2

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Ebenso wie der erste Band der Roman Trilogie »Gedächtniswelten« entstand auch der zweite Teil in Zusammenarbeit zwischen der Autorin Claudia Krüger und Bewohner/innen der Residia Bad Bevensen GmbH.

Bei regelmäßigen Treffen zwischen Autorin und Bewohnern berichteten diese von schicksalhaften Begegnungen, besonderen Begebenheiten, freudigen oder schmerzvollen Ereignissen auf ihrem Lebensweg.

Die Erzählungen der Bewohner setzte Claudia Krüger wie ein Puzzle neu zusammen, dichtete einiges dazu und erschuf daraus die Geschichte von Jakob, Marie und Lotti, deren Charaktere frei erfunden sind.

Im zweiten Band der Trilogie stellt die kleine Hündin Erna die Senioren vor neue Herausforderungen, welche es mit vereinten Kräften zu bewältigen gilt.

Wunsch und Idee, einen Hund in die Handlung des zweiten Roman-Teils einfließen zu lassen, entstand bei den Bewohnern der Residia durch die kleine Hündin Emma, welche die Autorin stets zu den gemeinsamen Gesprächen mitbrachte.

Egal wie wenig Geld und Besitz du hast,

einen Hund zu haben,

macht dich reich.

(Louis Sabin)

Inhaltsverzeichnis

Dezember 2014

Heiligabend 2014

Danksagung

Epilog

Dezember 2014

»Fröööhöhliche Weihnacht überall, tönet durch die Lüfte froher Schall!«, schmetterte Peter Alexanders Stimme aus Lautsprechern, die sich irgendwo hinter der üppigen Weihnachtsdekoration des großen Kaufhauses verbargen.

»Was du nicht sagst!«, dachte Lotti genervt und versuchte, den Ellenbogen des Nebenmannes zu ignorieren, der sie gerade unsanft in der Rippengegend traf.

»Als du das gesungen hast, ist Weihnachten ja auch noch nicht alle Jahre wieder in eine wilde Schlacht um die letzte Küchenmaschine zum Schnäppchenpreis oder die Sportsocke im Zehnerpack mit gratis Schwangerschaftsgymnastik-CD für Männer ausgeartet.«

Es war doch wirklich nicht mehr viel übrig vom idyllischen Fest, an dem ein kleiner Tannenbaum, Strohsterne und Liedersingen vor dem Kamin die Menschen besinnlich stimmten.

Nein, heute brauchte man Kampfesgeist, wenn man sich in das vorfestliche Gedränge wagte, am besten noch Stahlkappenschuhe und eine gut gefüllte Proviantbox, um in der ladendurchquerenden Warteschlange nicht unbemerkt zu verenden, bevor man an der Kasse angelangt war.

» … und eine Ganzkörper-Polsterung«, ergänzte Lotti und rieb sich ihre schmerzende Seite. Vergeblich blickte sich die alte Dame nach ihrem Begleiter um. Wo war er nur wieder abgeblieben?

An jedem Tisch mit Elektrowaren hatte Lotti ihre liebe Mühe, Jakob von den piepsenden, knipsenden oder blinkenden Gerätschaften wegzubekommen, die für sie nichts weiter als böhmische Dörfer darstellten. Wer benötigte schon ein Buch, das nur noch Knöpfe, aber keine Seiten mehr hatte oder eine Eieruhr, die La Paloma singen konnte?

Schließlich erspähte sie Jakobs grauen Schopf unter seiner beigen Schirmmütze. Ihr Bekannter und Mitbewohner in der Seniorenresidenz stand vor einem der zahlreichen Spiegel in der Abteilung für Mode-Accessoires, neben sich eine adrett gekleidete Frau, die lebhaft auf ihn einredete.

»Jakob!«, rief Lotti und eilte auf ihn zu. »Sag mal, was machst du denn da schon wieder?«

Der alte Herr drehte sich zu Lotti um, der postwendend der Mund offen stehenblieb.

Quer über Jakobs Kinn und Nase spannte sich ein bunt gehäkeltes Wolldings, das nicht allzu entfernt an einen Topflappen erinnerte und mit Schlaufen an seinen Ohren befestigt war.

»Ist das nicht toll?«, nuschelte Jakob begeistert unter der merkwürdigen Gesichtsbekleidung hervor.

»Und das braucht man wofür?«, fragte Lotti perplex.

»Das hält warm und sieht noch dazu schick aus, sagt diese nette Dame hier«, erklärte Jakob mit einem kurzen Seitenblick auf die eifrig nickende Verkäuferin. »Ein Ersatzbart sozusagen«, erläuterte er.

»Solltest du für heute noch einen Bankraub in dieser lächerlichen Verkleidung geplant haben, verschiebe ihn bitte auf später«, erwiderte Lotti mit einem demonstrativen Blick auf die lange Einkaufsliste in ihrer Hand und befreite den empört protestierenden Jakob resolut von dem hässlichen Wolllappen.

Erbost verschränkte dieser die Arme vor seiner Brust. »Erst mäkelst du, weil ich mich in diesem hochinteressanten Kaufhaus mit den technischen Neuerungen der heutigen Zeit beschäftige, und nun darf ich mich nicht mal mehr nach zweckmäßiger Bekleidung umsehen? Da soll sich noch einer zurechtfinden, was der Frau von heute so in den Kram zu passen beliebt!«

»Mir beliebt es, so schnell wie möglich aus diesem überfüllten Laden herauszukommen«, antwortete Lotti, wobei die grauen Locken auf ihrem Kopf gefährlich bebten. »Schließlich müssen wir auch noch bei Mathilde vorbeigehen und ihr ein paar Einkäufe vorbeibringen, schon vergessen?«

Den resigniert hinterherschlurfenden Jakob im Schlepptau, bahnte sie sich energisch einen Weg durch die Menschenmenge, der Rolltreppe entgegen.

Als Mathilde ihnen die Tür öffnete, spürte Lotti sofort, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Ihre sonst so quirlige Freundin wirkte irgendwie starr, die Mimik seltsam verzerrt. Abwesend schien sie direkt durch ihre Besucher hindurchzusehen.

Besorgt schaute Lotti in das eingefallene blasse Gesicht. »Tilda, ist alles in Ordnung?«

»Ich, ich …«, stammelte Mathilde. Aus ihrem rechten Mundwinkel rann ein Speichelfaden das Kinn hinab.

Alarmiert schob sich Lotti an ihrer Freundin vorbei in den Korridor, griff zum Hörer des Telefons auf der kleinen Anrichte und wählte die 112. Während sie darauf wartete, dass jemand abnahm, wies sie den unbeholfen dastehenden Jakob an, Mathilde ins Wohnzimmer zu bringen.

Als Lotti nach dem Telefonat in die Stube trat, saß ihre Freundin bereits wie ein Häufchen Elend in dem großen Ohrensessel, der ihr sonst zum Lesen oder Stricken diente.

Mathilde Weber war immer schon zierlich gewesen, aber in dem wuchtigen Sitzmöbel wirkte sie in diesem Moment nahezu winzig und verloren. Mitleid gesellte sich zum Schrecken, der Lottis Herz bis zum Hals klopfen ließ.

Tilda schien über etwas nachzugrübeln, der apathische Ausdruck in ihrem Gesicht wich ohnmächtiger Panik. Während ihr rechter Arm schlaff an der Seite hing, als würde er gar nicht zum Körper gehören, deutete sie mit der linken Hand aufgeregt auf das Sofa, unter dem ein leises Knurren hervordrang.

»Na, Na!«, stieß sie verzweifelt hervor.

»Meinst du Erna?«, fragte Lotti.

Mathilde nickte bestätigend.

»Jetzt geht es erst mal um dich, Tilda, um alles andere kümmern wir uns schon«, versuchte Lotti, ihre Freundin zu beruhigen.

Jakob, der unbeholfen neben dem Sessel stand, tätschelte der kleinen Frau die Schulter.

Mathildes Nichte, Ulla, wohnte mit ihrem Mann und der gemeinsamen, fast erwachsenen Tochter ganz in der Nähe. Bestimmt würde sie die kleine Hündin versorgen, falls Tilda ins Krankenhaus müsste.

In diesem Moment näherten sich die Sirenen des Krankenwagens dem zweistöckigen Wohnhaus, in dem Mathilde seit fast 50 Jahren wohnte.

Die ehemalige Lehrerin war niemals verheiratet gewesen. Sie schätzte ihr unabhängiges Dasein, dem bis ins fortgeschrittene Alter zahlreiche Reisen in ferne Länder und ein ehrenamtliches Engagement für Kinder und Tiere einen Sinn verliehen hatten.

»Diese plötzliche Hilflosigkeit muss ganz schrecklich für sie sein«, dachte Lotti, als sie den Rettungskräften die Tür öffnete. Rasch schilderte sie der eintretenden Notärztin, wie sie Mathilde vorgefunden hatten.

Nach einer kurzen Untersuchung wies die Ärztin die Sanitäter an, die Rettungstrage hereinzuholen. »Frau Weber, wir werden Sie in die Nordstadt-Klinik mitnehmen müssen«, wandte sie sich dann an Mathilde. »Ich vermute, Sie haben einen leichten Schlaganfall, und da können wir Ihnen im Krankenhaus am besten helfen, möglichst schnell wieder auf die Beine zu kommen!«

Lotti beobachtete, wie Tildas Blick erneut verzweifelt zum Sofa wanderte, unter dem das Knurren inzwischen einem hohen, hysterischen Kläffen gewichen war.

»Keine Sorge, wir bringen deine Erna zu Ulla, damit sie sich um sie kümmert, so lange du im Krankenhaus bleiben musst«, versicherte Lotti ihrer Freundin, während die Rettungshelfer Mathilde vorsichtig auf die Trage hoben.

Tilda versuchte, etwas zu sagen, verhaspelte sich, setzte ein zweites Mal an und schüttelte dann resigniert den Kopf.

»Es wird alles wieder gut!«, versicherte Lotti nochmals und strich ihrer Freundin über die glatten grauen Haare, die heute nicht wie sonst zu einem Knoten im Nacken zusammengefasst waren, sondern offen und wirr herabhingen.

»An wen von Ihrer Familie oder Ihren Freunden dürfen wir uns denn wenden, falls wir Fragen haben, und wem dürfen wir Auskunft über Ihr Befinden geben?«, erkundigte sich die Notärztin bei Mathilde.

Diese wies mit dem intakten Arm auf Lotti, die sogleich ihre Lesebrille, einen Notizblock und Stift aus ihrer stets präsenten Handtasche hervorkramte, um Namen und Telefonnummern zu notieren.

Während die Ärztin ihre Sachen wieder einpackte und die Sanitäter Mathilde in den Krankenwagen trugen, lief Lotti ins Schlafzimmer ihrer Freundin und zog eine kleine Reisetasche aus dem Kleiderschrank, in die sie Unterwäsche, Waschutensilien und die Krankenversicherungskarte packte. Jakob war den Rettungskräften bereits zum Wagen gefolgt, als Lotti dort ankam.

»Hier ist alles drinnen, was sie fürs Erste braucht«, wandte sie sich an einen Sanitäter und drückte ihm die Tasche in die Hand.

An Tilda gewandt sagte sie: »Ich komme dich besuchen, sobald wir hier alles geregelt haben und bringe dir nach, was benötigt wird, Liebes!«

»Halt die Ohren steif!«, rief Jakob noch, bevor sich die Türen des Krankenwagens zwischen ihnen und Mathilde schlossen.

Die beiden Freunde standen auf dem Gehsteig und schauten der abfahrenden Ambulanz nach, bis sie um die Ecke bog. Erst jetzt merkte Lotti, wie sehr ihr die Knie zitterten.

»Hoffentlich wird sie wieder«, sagte sie leise und Jakob antwortete mit einem stummen Nicken.

Vom Anschluss im Korridor aus wählte Lotti Ullas Nummer.

»Annika Weber-Seidel«, meldete sich Ullas Tochter, wobei sich ihre noch mädchenhaft helle Stimme wie zu einer Frage hob.

»Hallo, Annika, hier ist Lotti Lorenz, die Freundin von deiner Großtante Mathilde. Kann ich mal bitte deine Mama sprechen?«

»Mama und Papa sind zur Feier ihres zwanzigsten Hochzeitstages auf den Malediven und kommen erst im Januar wieder«, antwortete die Stimme auf der anderen Seite der Leitung.

»Oh weh, das ist aber dumm. Weißt du, deine Großtante hatte einen Schlaganfall und ist eben ins Krankenhaus gebracht worden.«

Lotti erläuterte der erschütterten Annika kurz, was genau passiert war und fragte hoffnungsvoll, ob sie sich vielleicht während der Abwesenheit ihrer Eltern um Erna kümmern könne.

»Das geht leider nicht. Morgen verreise ich selber zu einer Freundin, mit der ich Weihnachten und Silvester feiern will«, erklärte Annika. »Und nach den Ferien bin ich von sieben bis achtzehn Uhr aus dem Haus. Ich stecke doch gerade mitten in meiner Ausbildung.«

»Tja, dann müssen wir wohl eine andere Lösung finden. Richte deinen Eltern aber bitte einen schönen Gruß aus, falls du mit ihnen telefonierst, und erzähle ihnen das von deiner Großtante«, bat Lotti.

»Ja, natürlich, das mache ich. Es tut mir so leid, dass ich nicht helfen kann!«, erwiderte Annika bedauernd.

»Das lässt sich eben nicht ändern«, sagte Lotti und verabschiedete sich von Tildas Großnichte. Nachdem sie den Hörer auf die Gabel des altmodischen Telefons gelegt hatte, drehte sie sich zu Jakob um.

»Das war dann wohl nichts! Ulla und ihr Mann sind noch bis Januar im Urlaub. Wahrscheinlich war es das, was Mathilde versucht hat, uns mitzuteilen. Arme Tilda, sie muss ja ganz außer sich sein vor Sorge um ihre kleine Erna.« Lotti seufzte resigniert.

»Dann bringen wir den Hund eben ins Tierheim«, meinte Jakob pragmatisch.

»Bist du denn von allen guten Geistern verlassen, Jakob? Wir können doch das winzige Ding nicht in einen Zwinger stecken! Zusammen mit lauter riesigen Hunden womöglich, ängstigt es sich dort doch zu Tode! Du bist mal wieder so unsensibel!« Erzürnt über die wenig einfühlsame Idee ihres Freundes schritt Lotti den kleinen Korridor auf und ab.

»Ja, was denn? Willst du sie etwa mit in die Residenz nehmen?«, motzte Jakob zurück.

»Genau das würde ich gerne tun!«, sagte Lotti bestimmt.

»Und was, wenn sie keine Hunde auf Dauer erlauben?«, gab Jakob zu bedenken.

Lotti musste zugeben, dass Jakobs Zweifel berechtigt waren. Zwar waren Besuchshunde gerne gesehene Gäste in der Residenz, aber ein Hund, der gleich ein paar Wochen dort leben sollte, war ja doch noch mal was anderes.

»Wenn wir fragen, und sie erlauben es nicht, muss sie eventuell doch ins Tierheim«, überlegte Lotti betrübt.

»Ach, was soll der ganze Zirkus, wir schmuggeln sie einfach rein«, sagte Jakob.

»Was?«, Lotti riss, erstaunt über Jakobs Courage, die Augen auf.

»Wir schmuggeln sie rein«, wiederholte Jakob, »oder hast du einen besseren Plan?«

Den hatte Lotti nicht, also stimmte sie nach einigem Zögern zu. »Aber erst einmal müssen wir sie eingefangen kriegen!«

»Grrr«, verteidigte Erna ihren sicheren Platz unter dem Sofa, vor dem Jakob mit schmerzenden Knien hockte.

Der Stubentisch war zur Seite gerückt worden, an dessen Stelle stand nun Lotti mit einer Menge an Hundekeksen, die einen Dobermann ein ganzes Jahr lang glücklich gestimmt hätte.

»Kleines Hündchen, kommt doch bitte raus, wir tun dir nichts«, versuchte Jakob vergeblich, den kleinen Hund zu locken.

»Vielleicht möchte sie lieber mit Erna angesprochen werden«, warf Lotti ein.

Jakob schnaubte verächtlich und langte erneut unter das Sofa.

»Autsch, jetzt hat mich das kleine Luder erwischt!« Mit anklagendem Blick hielt er Lotti seinen blutenden Zeigefinger entgegen.

»Was stellst du dich auch so ungeschickt an!«, schalt diese, während sie sich auf den Weg ins Badezimmer machte, um ein Pflaster zu holen.

»Du tust ja gerade so, als wäre ich Schuld daran, dass mich das Biest gebissen hat«, rief Jakob ihr beleidigt hinterher. »Wenn du es besser kannst, dann fang sie doch gefälligst selbst ein!«

»Genau das werde ich jetzt auch tun«, antwortete Lotti. »Erna ist nur ein bisschen durcheinander. Sie weiß ja gar nicht, wie ihr geschieht, mit der ganzen Aufregung um sie herum.«