Gedichte aus Guantánamo -  - E-Book

Gedichte aus Guantánamo E-Book

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Beschreibung

Mindestens 780 muslimische Männer waren im extraterritorialen Gefangenenlager der USA in Guantánamo inhaftiert: Bauern und Händler, Ärzte und Entwicklungshelfer, Geflüchtete und Reisende, Taliban- und al-Qaida-Angehörige. Ohne Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren wurden sie über Jahre gefoltert. Mit Guantánamo ging es nicht um Gerechtigkeit oder Geheimdienstinformationen, sondern um eine Bildpolitik der Macht und Herrschaft der Vereinigten Staaten. Weniger bekannt ist jedoch, wie die Gefangenen Widerstand leisteten und zu überleben versuchten: Sie lehrten einander Sprachen und Bräuche, traten in Hungerstreik und wählten Vertreter, sie malten in den Sand oder sangen zusammen. Und sie schrieben Gedichte. Diese kleinsten Einheiten des schöpferischen Widerstands stehen bis heute unter Verschluss, als wäre Poesie etwas, das noch den mächtigsten Staat zu Fall bringen kann. Bekannt ist nur diese Auswahl von zweiundzwanzig Gedichten, die nach einer Übertragung ins Englische nun erstmals auf Deutsch vorliegen. Ihrer Entstehung, Überlieferung und historischen Verortung in einer langen Tradition poetischen Widerstands geht Sebastian Köthes Nachwort nach, das dazu einlädt, diese Texte gleichzeitig als Zeitdokumente und als Zeugnisse der Menschlichkeit ihrer Verfasser zu lesen.

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Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2025

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punctum 027

Gedichte aus Guantánamo

Aus dem Englischen und Arabischen von Sandra Hetzl und Kerstin Wilsch

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Sebastian Köthe

Matthes & Seitz Berlin

Inhalt

Shaker Abdurraheem Aamer

Sie kämpfen für den Frieden

Abdulaziz

O Gefängnisdunkel

Abdulaziz

Ich will nicht klagen

Abdullah Thani Faris Al Anazi

An meinen Vater

Ustad Badruzzaman Badr

Löwen im Käfig

Moazzam Begg

Auf der Heimreise

Jumah Al Dossari

Todesgedicht

Shaikh Abdurraheem Muslim Dost

Sie können gar nicht anders

Shaikh Abdurraheem Muslim Dost

Bechergedicht 1

Bechergedicht 2

Shaikh Abdurraheem Muslim Dost

Zwei Fragmente

Mohammed El Gharani

Das erste Gedicht meines Lebens

Sami Al Haj

Gedemütigt in Fesseln

Emad Abdullah Hassan

Die Wahrheit

Osama Abu Kabir

Ist es wahr?

Adnan Farhan Abdul Latif

Hungerstreikgedicht

Othman Abdulraheem Mohammad

Es tut mir leid, mein Bruder

Martin Mubanga

Terrorist 2003

Abdulla Majid Al Noaimi

Ich schreib meine geheime Sehnsucht

Abdulla Majid Al Noaimi

Die Fremdheit hat mein Herz verwundet

Ibrahim Al Rubaish

Ode an das Meer

Siddiq Turkestani

Auch wenn der Schmerz

Lyrik als Überlebendenzeugnis Nachwort von Sebastian Köthe

Editorische Notiz

Dank

Anmerkungen

Shaker Abdurraheem Aamer

Sie kämpfen für den Frieden

Sie sagen: Frieden.

Seelenfrieden?

Weltfrieden?

Welcher Frieden?

Ich seh sie reden, streiten, kämpfen –

welchen Frieden suchen sie?

Warum töten sie? Was ist ihr Plan?

Ist es nur Gerede? Warum streiten sie?

Ist es so leicht zu töten? Ist das ihr Plan?

Ja, was denn sonst!

Sie reden, sie streiten, sie töten –

Sie kämpfen für den Frieden.

Abdulaziz

O Gefängnisdunkel

O Gefängnisdunkel, schlag dein Zelt auf.

Wir lieben diese Dunkelheit.

Denn nach den nächtlich dunklen Stunden

bricht der Morgen der Ehre an.

Lasst die Welt verhallen, mit all ihren Wonnen –

solange wir nur Gottes Gnade finden.

Angesichts einer Widrigkeit mag ein Junge verzagen,

wir aber wissen: Gott hat einen Plan.

Und wenn die Fesseln auch enger werden und nicht zu brechen scheinen,

bersten werden sie doch.

Wer beharrlich ist, wird sein Ziel erreichen;

wer weiter anklopft, der wird Einlass finden.

O Krise, spitz dich zu!

Bald schon bricht der Morgen an.

Abdulaziz

Ich will nicht klagen

Ich will nicht klagen noch mir Gnade versprechen, von keinem außer Gott, also hilf mir, Gott.

O Herr, mein Herz ist von Kummer geplagt.

Ich darf mich bei keinem als Dir beklagen, selbst wenn die Meere vor Trockenheit klagen.

Mein Geist schwebt frei in den Lüften, während Ketten meinen Körper überwältigen.

Gelobt sei Gott, der mir Geduld gewährt in Zeiten des Leids und Dankbarkeit in Zeiten der Freude.

Gelobt sei Gott, der in mein Innerstes einen Garten pflanzte und einen Hain, damit sie für immer bei mir bleiben.

Gelobt sei Gott, der mir Glauben gab und mich als Muslim erschuf.

Gelobt sei Gott, der Herr der Welt.

Abdullah Thani Faris Al Anazi

An meinen Vater

Zwei Jahre sind in fernen Gefängnissen vergangen,

zwei Jahre, in denen kein Kohl meine Augen umrandete.

Zwei Jahre, in denen mein Herz Nachrichten sandte,

dorthin, wo meine Familie weilt,

dorthin, wo Graues Heiligenkraut wächst

für die Herden, die nach dem Grasen gesättigt weiterziehen.

O Flaij, erzähle denen, die unsere Heimat besuchen,

vom Leben, das ich früher führte.

Ich weiß, deine Gedanken wirbeln durcheinander wie im Sturm,

wenn du die Stimme meiner schmerzerfüllten Seele hörst.

Sende süßen Frieden und Grüße an Bu'mair;

küss ihn auf die Stirn, denn er ist mein Vater.

Das Schicksal trennte uns, als nähme es dem Neugeborenen die Eltern.

O Vater, dies ist ein Gefängnis des Unrechts.

Seine Gräuel machen Berge weinen.

Kein Verbrechen hab ich begangen, und keines Vergehens bin ich schuldig.

Zwar hab ich gekrümmte Klauen,

trotzdem verkaufte man mich wie ein gemästetes Schaf.

Ich habe keine Gefährten außer der Wahrheit.

Gestehen solle ich, verlangten sie, doch ich bin ohne Schuld;

ehrenhaft war all mein Handeln, ich habe nichts zu bereuen.

Sie wollten mich verführen, den hohen Gipfel der Unbescholtenheit zu verlassen

und diesen Käfig gegen ein angenehmes Leben einzutauschen.

Bei Gott, selbst wenn sie meinen Körper in Ketten legten,

selbst wenn alle Araber ihren Glauben verkauften, ich würde nicht von meinem lassen.

Diese Zeilen hab ich für den Tag verfasst,

an dem deine Kinder alt sein werden.

O Gott – der mit Vorsehung die Schöpfung regiert,

der eine, einzige, ewige Gott,

der Trost bringt und frohe Botschaft,

den wir verehren –

schenk dem Herzen Gleichmut, das vor Unterdrückung unruhig pocht,

und befreie diesen Gefangenen aus seinen engen Fesseln.

Ustad Badruzzaman Badr

Löwen im Käfig

Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen

Ein Gedicht, geschrieben im Lager Delta, Guantánamo, Kuba

Wir sind die Helden dieser Zeit.

Wir sind die stolze Jugend.

Wir sind die Löwen mit prächtiger Mähne.

Wir leben in den Geschichten von heute.

Wir leben in den Heldenepen.

Wir leben in den Herzen der Menschen.

Wir sind der Schild gegen den Unterdrücker.

Wie ein Berg ist unser Mut.

Unruhe erfasst den Pharao unserer Zeit wegen uns.

Wie jeder frevelhafte Anführer

nimmt der Häuptling aus dem Weißen Palast

unsere Geduld nicht wahr.

Der Strudel unserer Tränen

bewegt sich schnell auf ihn zu.

Keiner kann die Macht dieser Flut überstehen.

In diesen Käfigen bringen zumeist

die Sterne um Mitternacht

frohe Botschaft –

dass wir es ganz sicher schaffen werden

und dass die Welt auf uns warten wird,

auf Badrs Karawane.

Moazzam Begg

Auf der Heimreise

Ungezähmt die Reise begonnen,

an ihrem Ende wahllos gefangen genommen;

jetzt lieg ich wach in der Zelle, auf einer Matte

bin heiter und lächle – alles Attrappe.

Die Freiheit ist alle, um ist die Zeit –

den Kelch meiner Tränen haben Sorgen entzweit;

das Heim ist jetzt Käfig, und Käfig ist Stahl,

so zeigt sich das Reale als irreal.

Träume zerborsten, Hoffnung zerschlagen,

lässt sich die Lage auch anders vortragen!

Die Ironie an all dem – Haft u.s.w.:

Gebrochen und doch aufrechter denn je.

Jahre voll Tränen und Tage voll Mühsal

sind heute nur Tyrannenbeute und Trübsal;

das Urteil wurde längst schon gefällt,

in dieser Farce ist man allein auf der Welt.

»Geduld ist eine Tugend«, so heißt es ja,

und Tugend ist schließlich aus Eisen gemacht;

drum wird nun die Lyrik eingesetzt

(vielleicht gibt es jemanden, der sie schätzt).

Noch immer schreib ich aufs Papier und dann

kenn ich zwar das Was, doch niemals das Wann –

wenn Träume beginnen, hören Albträume auf –

wie auf der Heimreise, wenn ich zu den Liebsten lauf.

Jumah Al Dossari

Todesgedicht

Nehmt mein Blut.

Nehmt mein Grabtuch und

die Überreste meines Körpers.

Schießt Fotos von meinem Leichnam im Grab, einsam.

Schickt sie in die Welt,

an die Richter und

an die Aufrechten,

schickt sie an die Geradlinigen und Gerechten.

Lasst sie die Last der Schuld tragen, vor der Welt,

gegen diese unschuldige Seele.

Lasst sie die Bürde tragen, vor ihren Kindern und der Geschichte,

die Bürde dieser verschwendeten, sündlosen Seele,

dieser Seele, die leiden musste durch die Hände der

»Beschützer des Friedens«.

Shaikh Abdurraheem Muslim Dost

Sie können gar nicht anders

Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen

Ein Gedicht, geschrieben in Camp Delta, Guantánamo, Kuba

Die Fürsorglichen

können gar nicht anders, als für andere Opfer zu bringen.

Sie können gar nicht anders, als der Gefahr zu trotzen,

wenn sie wahrhaftig bleiben wollen.

Im Angesicht von Unrecht, Verlogenheit und Gräueltaten

können sie gar nicht anders, als sich der Macht der Verräter und der Verrufenen zu beugen.

Überleg doch, was einen Mann dazu bringen könnte,

sich selbst zu töten oder einen anderen.

Erfordert Unterdrückung nicht

eine Reaktion gegen den Unterdrücker?

Natürlich werden Menschen in Zeiten der Not

erfinderisch und kreativ.

Der Übeltäter wird bestraft werden.

Er wird nicht umhinkönnen, Wiedergutmachung zu leisten und sich nach alldem zu entschuldigen.

Und die so töricht sind, mit Dost, dem Dichter, zu streiten,

werden gar nicht anders können, als aufzugeben oder davonzulaufen.

Shaikh Abdurraheem Muslim Dost

Bechergedicht 1

Was ist das für ein Frühling,

in dem es keine Blumen gibt

und ein ekelhafter Geruch die Luft erfüllt?

Bechergedicht 2

Handschellen sind etwas für tapfere junge Männer,

Armreifen für alte Jungfern oder hübsche junge Damen.

Shaikh Abdurraheem Muslim Dost

Zwei Fragmente

1.

Eid ist gekommen, nicht aber mein Vater.

Er ist nicht aus Kuba gekommen.

Das Brot des Eids esse ich nur mit meinen Tränen.

Ich habe nichts.

Warum beraubt man mich der Liebe meines Vaters?

Warum werde ich so unterdrückt?

2.

So, wie das Herz in der Dunkelheit des Körpers schlägt,

bin ich – trotz dieses Käfigs – voller Leben.

Die keinen Mut und keine Ehre haben, denken, sie sind frei,

dabei sind sie Sklaven.

Ich fliege auf den Schwingen der Gedanken

und erfahre so – selbst in diesem Käfig – eine größere Freiheit.

Mohammed El Gharani

Das erste Gedicht meines Lebens

Beweg dich vorsichtig im Land der Nichtaraber,

auch wenn sie dir Schutz über Schutz versprechen.

Den Dollar beten diese Hurensöhne an

und dafür brechen sie ihre Versprechen.

Bin in ihr Land gekommen, um zu lernen,

doch ich traf dort auf nichts als ihre Bosheit.

Mit Waffen umringten sie unsre Moschee,

als ob sie auf dem Schlachtfeld wären:

»Kommt alle raus und wehrt euch nicht

und wehe dem, der etwas sagt!«

In Fesseln packten sie uns in 'nen Lkw,

es war die reinste Ungerechtigkeit.

Wir liefen sechzehn Stunden lang,

die ganze Zeit in diesen Fesseln,

und als wir uns erleichtern wollten,

ließen sie uns einfach weiterlaufen.

Dann trat uns ein Soldat mit seinem Stiefel;

wir hätten zu gehorchen, sagten sie,

verteilten uns auf ihre dunklen Kerker

und ließen uns in bitterer Kälte sitzen.

Die ungläubigen Bleichgesichter kamen, uns zu kaufen,

so etwas Schlimmes hatte ich noch nie erlebt.

Später flog dann ein Kampfjet mit uns los,

nach einer halben Stunde ging er wieder runter.

Erniedrigung war alles, was sie für uns übrig hatten,

und davon blieb auch das Buch Gottes nicht verschont.

Doch sie sind nicht nur böse, sondern auch sehr dumm,

zu Quälerei und Schlägen kommt noch ihre Dummheit.

Denn diesem Volk fehlt sicher der Verstand,

das kommt allein vom vielen Alkohol.

Dann kamen die vom Roten Kreuz, die Heuchler,

sie teilten Karten aus, mit einem Kreuz darauf.

»Wenn ihr Schutz und Würde von uns wollt,

haltet sie hoch, wenn man euch helfen soll.«

Da warfen wir die Karten einfach fort,

und hofften, unsere Seelen durch das Opfer zu erlösen.

Am Ende brachten sie uns dann nach Kuba,

auf diese leidgeprüfte, unselige Insel.

Ihr Hass war schuld an ihrem schamlosen Tun,

sie führen Krieg gegen Islam und Recht.

Sami Al Haj

Gedemütigt in Fesseln

Als ich gepeinigte Tauben in den Sträuchern gurren hörte,

liefen heiße Tränen über mein Gesicht.

Als die Turteltaube zwitscherte, erinnerte ich mich

an meinen Sohn und seine Spiele.

Mohammad, ich erleide Unrecht.

Mir bleibt nichts anderes, als zu Gott zu beten, und meine Tränen.

Ich war in einem Meer aus Glück, es ging mir gut,

doch jetzt begleitet mich nur schwerer Gram.

Die Feinde brachten mich an unwirtliche Orte,

der schlimmsten Folter setzten sie mich aus.

Sie sagten: Arbeite für uns als Spion,

bei uns ist es viel schöner als in deinem Land.

Wir geben dir eine Million und schöne Frauen.

Wir lassen dich frei, geh, wohin du willst.

Heuchelei sollte ich gutheißen,

wie eine Schlange, die den Tod in ihrem Maul trägt.

Sie sagten: Wir haben die Freiheitsstatue,

und Meinungsfreiheit ist doch, was ihr wollt.

Aber ich antwortete, Gerechtigkeit bestünde nicht aus Monumenten

und schönen Bildern, wenn Unrecht die Menschen in Angst und Schrecken versetzt.

Sicherheitsrat, du gewinnst an Bedeutung,

doch trampelst täglich auf Waisen herum und machst ihnen Angst.

Bush, überleg dir gut, was du tust!

Wir schärfen unseren Speer, der den verrückten Lügner treffen wird.

Ich klage Gott mein Leid und die große Not

eines unterdrückten Menschen, der fern von seiner Heimat ist.

Vergiss mich nicht, Mohammad,

und lebe für die Sache deines Vaters, eines gottesfürchtigen Mannes.

Ich wurde in Fesseln gedemütigt.