Gegen den Strom - Paul Heyse - E-Book

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Paul Heyse

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Beschreibung

Eine weltliche Klostergeschichte ist Paul Heyses "Gegen den Strom", in der alles Menschliche – Freud und Leid, Moral und Laster – zusammen kommt. – Spannend und unterhaltend, vielschichtig und tiefgründig, informativ und faszinierend.

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Paul Heyse

   Gegen den Strom

Eine weltliche Klostergeschichte

Inhaltsverzeichnis
Gegen den Strom
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Dreißigstes Kapitel.
Einunddreißigstes Kapitel.
Zweiunddreißigstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Es war zu Anfang der Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts.

Am Nachmittag eines heiteren Apriltages fuhr der alte gelbangestrichene Omnibus des Gasthofs »Zum blauen Engel« von dem Stationshäuschen der Lokalbahn nach der kleinen Stadt Windheim, die in einer weitgedehnten Tiefebene seit Menschengedenken weltentrückt sich eines idyllischen Daseins erfreute. Ein breiter Chausseedamm, über dem Moor und Heideland etwas erhöht, mit Pappeln und Ebereschen eingesäumt, verband das Bahnhöfchen mit der Stadt, die etwa zehn Minuten entfernt lag. Es war nicht ratsam erschienen, mit der Bahn näher heranzurücken, da der Grund weit umher sumpfig war und durch Überschwemmungen zuweilen völlig unter Wasser gesetzt wurde. Denn an der Ostseite, nah am Mauerring, strömte ein ziemlich breiter Fluß von Norden her an dem alten Nest vorbei. Nach der Stadtseite wurde seinem Übertreten durch einen ziemlich hohen Uferdamm gewehrt, während rechtshin die Wiesen ohne einen solchen Schutz bis an den Fluß herantraten. Nur krüppelhafte Weiden bildeten hier eine Art Brustwehr, und stellenweise hatte man, wo es am dringlichsten war, die Lücken zwischen ihnen mit Faschinengeflecht notdürftig ausgefüllt.

In dem Omnibus, der schläfrig auf der gutgehaltenen Fahrstraße hinschwankte, saßen nur zwei Reisende, eine schöne, noch jugendliche Dame in einfachem Reiseanzug vom elegantesten Zuschnitt und ein junger Mann, in dem ein kundiger Beobachter sofort den Handlungsreisenden erkannt haben würde, auch wenn er nicht auf dem Sitz neben sich ein mit Wachstuch überzogenes Musterköfferchen stehen gehabt hätte.

Die Dame blickte, nachdem sie die höfliche Verbeugung ihres Gegenüber mit einem kaum merklichen Kopfnicken erwidert hatte, mit stillen Augen an ihm vorbei in das flache Gelände, wo nichts Merkwürdiges oder gar Hübsches zu sehen war, da über die fahlgrüne, mit saurem Graswuchs bedeckte Ebene sich nur hie und da kleine Torfpyramiden erhoben, aus schwarzen Sumpflachen manchmal ein Sonnenstrahl widerglänzte, oder an trockenen Stellen eine kleine Anstellung von rötlicher Erika sich hervortat.

Desto eifriger studierte der Reisende Gesicht und Gestalt der schönen Fremden, die feinen, regelmäßigen Züge, die stahlgrauen. manchmal ins Schwärzliche sich verdunkelnden Augen und den nicht zu kleinen, aber charaktervollen Mund, der selten lächelte, dann aber besonders reizend erschien. Unter einem schwarzen Hut, über dem eine reiche Straußenfeder nickte, kam ein schlichtgescheiteltes Haar von aschblonder Farbe hervor, während die zarten Brauen und Wimpern goldblond erglänzten. Ein weiches braunes Zobelpelzchen umschloß hoch hinauf ihr weißes Kinn, die linke Hand hielt ein rotes Juchtentäschchen auf dem Schoß, die rechte eine langgestielte Lorgnette von Schildpatt, die sie dann und wann zu den Augen emporhob.

Je länger die Fahrt dauerte, desto unbezähmbarer wurde die Neugier des jungen Mannes. Auch der Stationsdiener, der dem Kutscher geholfen hatte, den großen Rohrkoffer auf das Dach des Omnibus zu heben, hatte sich gewundert, wer die vornehme Dame sein möchte, die in diesem entlegenen Weltwinkel Geschäfte hatte. Auf dem Koffer standen die Buchstaben H. v. R. Was Adliges mußte sie also sein. Aber das sah man schon an ihrem ganzen Benehmen und der feinen Toilette.

Nachdem der junge Musterreiter eine Weile unruhig auf seinem Sitz hin und her gerückt war, ohne die Aufmerksamkeit der Fremden auf sich zu lenken, wagte er sich endlich mit der Bemerkung heraus, für die Jahreszeit sei der Frühling schon weit vorgeschritten. Die Erlen und Weiden auf dem Uferdamm drüben trügen schon volles Laub, es sei freilich eine sehr warme, windgeschützte Gegend. Ob gnädige Frau schon früher einmal hierhergekommen sei?

Nur ein leichtes Kopfschütteln war die Antwort.

Dann erlaube er sich, seine ergebensten Dienste anzubieten, nicht sowohl in betreff seiner Waren. Er reise zwar für das bedeutende Geschäft Seligmann und Söhne in Seiden und Wollstoffen, aber die gnädige Frau werde gewiß in Paris arbeiten lassen. Er selbst komme zweimal im Jahre, in der Frühlings- und Herbstsaison, hierher, doch nur mit Mittelware für die weibliche Bevölkerung des Städtchens. Natürlich, so ein Provinznest mit kaum achttausend Einwohnern –! Wenn aber »Frau Gräfin« einen Führer zu den Sehenswürdigkeiten wünsche – deren es freilich nicht gar viele gebe – indessen die Umgegend habe ihre Reize –

Sie danke sehr. Sie bedürfe keines Führers.

Hm! Nun dann – übrigens sei man im »Blauen Engel« gut aufgehoben, einfach aber reinlich. Die Wirtin, eine sehr tüchtige Frau und gute Köchin, habe nach dem Tode ihres ersten Mannes den Oberkellner geheiratet, der zehn Jahre jünger sei und sie nicht glücklich mache – ein etwas leichter Herr – übrigens halte sie die Zügel des Hausregiments fest in Händen, wenn sie auch sonst gegen ihren Mann – hm! man wisse ja – ältere Frauen müßten, wenn sie klug wären, durch die Finger sehen –

Er schwieg, da sie nicht das geringste Zeichen gab, daß seine Mitteilungen sie interessierten. In diesem Augenblick machte der schwerfällige Omnibus eine scharfe Wendung. Die Fremde schien draußen, wo bisher nur die sumpfige Öde sich ausgedehnt hatte, etwas zu erblicken, was ihre Aufmerksamkeit erregte, denn sie erhob sich ein wenig von ihrem Sitz und trat vor das gegenüberliegende Fenster.

Gnädige Frau sehen da das berühmte Wahrzeichen des bescheidenen Städtchens, den Nonnberg mit dem ehemaligen Sankt Annenkloster. Im Siebenjährigen Krieg – oder nein, doch wohl im Dreißigjährigen – soll es vom Schwedenkönig zerstört worden sein, da die Katholischen sich dort festgesetzt hatten. Die Nonnen sind ausgetrieben worden, lange Jahre hat das halb niedergebrannte Gebäude als Ruine bestanden – hab's selbst noch als solche gesehn – sehr romantisch – großartige Bellevue – bis vor fünf, sechs Jahren der ganze Berg von ein paar Herren angekauft wurde, keine Jesuiten oder sonst Pfaffen, nun, die ließen das Kloster ausbauen und sperrten das Tor zu. Schade drum! War 'ne große Attraktion für Touristen, ein Stern im Bädeker wegen der kleinen alten Kirche, die ganz erhalten ist. Jetzt lassen sie niemand 'rein, aber vielleicht – ich kenne die Hausverwalterin, Klostervögtin, wie sie's nennen – hat mir vorigen Herbst Stoff zu zwei Kleidern abgekauft –

Die Fremde erwiderte auch jetzt keine Silbe. Dem jungen Mann wurde immer unbehaglicher zu Mut. Doch rollte der Wagen eben dumpf polternd über die alte Holzbrücke, unter der der Fluß geräuschlos hinglitt, und lenkte nach dem Stadttor ein, das noch etwa fünfzig Schritt entfernt war. Über seinem Bogen lief ein aus Fachwerk und derben Bruchsteinen erbauter altersgrauer Umgang hin, der mit einigen Türmchen malerisch bekrönt, die alte, vielfach zerbröckelte Stadtmauer überdachte, hie und da von Schießscharten durchbrochen. Der Graben an ihrem Fuß war ausgefüllt, und in seinem Grunde wucherte Strauchwerk, Brennessel und Efeu lustig in die Höhe. Auch die Bäume, mit denen der Uferdamm bepflanzt war, hoben ihre grünen Zweige freundlich in die Luft. Das schönste aber war der Anblick des im Hintergrunde aufsteigenden Berges, der allerlei Gebäude hinter einer hohen Mauer trug und mit seinen grauen Dächern und dem spitz zulaufenden Türmchen geheimnisvoll herniederwinkte.

Nun rasselte der Wagen unter der Torwölbung durch über ein Pflaster, das gleichfalls an uralte Zeiten erinnerte, lenkte dann in die Hauptstraße ein, die ziemlich gerade von Nord nach Süd laufend das Städtchen in zwei ungleiche Hälften schied, und dann unten zur Linken nach dem mehrbelobten Gasthof zum »Blauen Engel«, vor dessen Tür, des Omnibus wartend, der Wirt stand, ein knabenhafter Kellner hinter ihm, er selbst ein noch jugendlicher Mann mit einer geckenhaften Miene und Haltung, in einem geschniegelten Anzug mit blauseidener Krawatte.

Sobald der Wagen hielt, sprang der Handlungsreisende hinaus, der Dame beim Aussteigen behilflich zu sein, wobei er dem Wirt einen bedeutungsvollen Blick zuwarf, ihn auf etwas Vornehmes aufmerksam zu machen. Die Fremde aber stieg den hohen Tritt leichtfüßig hinab, ohne seine Hand anzunehmen, und richtete an den submissest herantretenden Wirt die Frage, ob sie wohl für ein paar Tage bei ihm Quartier finden könne.

Mit der Versicherung, daß es ihm eine große Ehre sein werde, bejahte das der Wirt und belud sich selbst mit ihrem Handgepäck. Sie warf aber noch, eh' sie die Stufen betrat, einen Blick zu der altertümlichen in Holz geschnitzten Figur hinauf, einer plumpen Engelsgestalt in halber Lebensgröße mit derben roten Wangen, einem blauen, steiffaltigen Kleide und großen weißen Flügeln, die an einem festen eisernen Stabe über dem Eingang schwebte. Darunter war ein Schild befestigt mit der Aufschrift in Goldbuchstaben: Gasthof zum blauen Engel von Isidor Hegelmüller. Das Haus hatte ein sehr niedriges Erdgeschoß, darüber etwas hervorragend ein oberes Stockwerk, die ganze Fassade mit weißer Ölfarbe sauber getüncht. Es war nur fünf Fenster breit, rechts daneben lag ein geräumiger Hof mit Ställen, Remisen und anderen Wirtschaftsgebäuden, gegen die Straße durch eine niedrige Mauer abgegrenzt.

Eine Schar müßiger Gaffer hatte sich eingefunden, darunter viele Weiber, die mit offenbarer Bewunderung die seltene Erscheinung einer eleganten Fremden anstarrten. Diese aber trat nun in den breiten Flur, der durch die ganze Tiefe des Hauses bis an eine Tür im Hintergrunde lief. Unten im Hausgang an der Tür zur Linken las sie die Aufschrift »Gastzimmer«, an der gegenüber »Speisesaal«. An das Gastzimmer schloß sich die geräumige Küche, durch deren offene Tür nur eine Magd sichtbar war, die zu dieser Stunde in ihre Nachmittagsruhe versunken müßig am Herde saß.

Ganz hinten stieg man die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf. Der Wirt, immer in devotester Haltung, voran, sich entschuldigend, da er den Weg weisen müsse. Der Handlungsreisende, der dicht hinter ihnen blieb, fragte, ob seine Nummer fünf frei sei. Als er dessen versichert war, empfahl er sich droben und verschwand am Ende des Korridors, der auch hier das Haus durchschnitt. Der Wirt aber öffnete die Tür zu einem Vorderzimmer rechts von der Engelfigur und bat die Dame, gefälligst einzutreten.

Durch die beiden mit weißen Gardinen verhängten Fenster, die nach der Straße gingen, drang das grelle Sonnenlicht dieses Apriltages, auf den alten Möbeln lag zwar Staub, doch sah das Bett in dem tiefen Alkoven sauber aus, und die Dielen waren frisch gescheuert und mit Sand bestreut. Über dem mit einem bunten Wollstoff bezogenen Sofa hing unter Glas in einem Goldrahmen eine kalligraphisch verschnörkelte Schrift, die besagte:

Zur Erinnerung an den hohen Besuch Ihrer Majestät der Kaiserin Friedrich, welche am 20sten Mai 1888 in diesem Zimmer eine Stunde zu verweilen geruht hat.

Der Wirt sah mit schmunzelnder Befriedigung, daß die Fremde dies historische Dokument überflog.

Es sei der ehrenvollste Tag seines Lebens gewesen, wo er die Gnade gehabt, Ihrer Majestät in diesem Zimmer ein Glas Wasser zu servieren. Allerhöchstdieselben hätten einen Abstecher nach ihrer Stadt gemacht, um die Klosterruine zu besichtigen, deren Kirche ein berühmtes Architekturdenkmal sei, und hätten sich sehr anerkennend darüber geäußert, auch ihren hohen Namen eigenhändig in das Fremdenbuch seines Gasthofs eingetragen. Die gnädige Frau werde sich in diesem Raume gewiß wohlbefinden. Wenn im Augenblick etwas beliebt werde –

Die Fremde schüttelte den Kopf. Sie bedürfe nichts als frisches Wasser.

Das werde er sofort durch das Mädchen heraufschicken. Im Hause sei außer dem Pikkolo nur weibliche Bedienung. Wenn die gnädige Frau etwa einen Gang zum Kloster hinaus beabsichtige – gewöhnlichen Fremden sei der Zutritt zwar verschlossen, die jetzigen Besitzer, sehr gutsituierte Herren, lebten nicht viel anders, als ob sie wirkliche Klosterbrüder wären –, es seien ihrer sechs und kämen wie richtige Emeriten (das Wort Eremiten hatte sich auf seiner Zunge ein wenig verwandelt) niemals in die Stadt hinunter, aber wenn sie etwa auch mit einer Reisenden von Instinktion keine Ausnahme machen sollten, – auch von der Höhe vor dem Tor sei die Aussicht sehr belohnend, und man könne um den Mauerring herum nach dem rückwärts gelegenen Bergwald gelangen, von dem der Nonnberg nur der Ausläufer sei.

Die Dame hatte ihn ruhig angehört, dankte aber für seine Begleitung und sagte, sie wünsche zunächst ein wenig zu ruhen.

Gleich darauf erschien eine junge Magd mit dem frischen Wasser und dem Fremdenbuch, in das sie ihren Namen eintrug: Baronin Helene von Rittberg aus Mecklenburg. Als sie dann von dem Wasser getrunken hatte, das einen etwas erdigen Geschmack hatte, ließ sie sich auf dem Sofa nieder und versank in ein Sinnen, das nicht das heiterste zu sein schien.

Nicht lange aber, so richtete sie sich entschlossen auf, nahm ihren Sonnenschirm wieder zur Hand und ging langsam die Treppe hinab.

Als sie sich dem Gastzimmer näherte, hörte sie den Wirt sagen: Sie ist 'ne Baronin, 'ne Beauté, sag' ich dir, wir müssen uns Ehre machen. Du mußt für ein feines Souper sorgen, Frau, laß gleich ein junges Hähnchen abstechen und ein paar Tauben und schick die Line nach frischem Salat.

Die Wirtin, deren hagere dunkle Gestalt die Fremde nur flüchtig sah, erwiderte, ohne sich in ihrem Geschäft mit dem Wäschekorb stören zu lassen: Schon gut, Isidor. Überlaß das nur mir, und mach nicht wieder Dummheiten. Solche Damen verstehen keinen Spaß, gerade wenn sie schön sind, und übrigens –

Das weitere verhallte, da die Reisende die Tür erreicht hatte und die Stufen hinunterging. Die Straße, die sie nun betrat, war wie ausgestorben, obwohl die Zeit der Nachmittagsruhe längst vorüber war. Vor den Haustüren saßen hie und da alte Leute, die sich sonnten, oder etwa eine Frau, die ihren Salat lieber im Freien putzte. Man konnte nichts Friedlicheres sehen als die langen Zeilen dieser durchweg einstöckigen Häuschen, alle sehr sauber getüncht und vielfach mit Fenstern aus Spiegelglas geziert, vor denen Blumentöpfe standen. Auch vor den vielen kleinen Läden waren die Schaufenster mit großen Spiegelscheiben versehen, was zu dem dürftigen Kram dahinter einen prahlerischen Kontrast machte. Ein wenig ansteigend lief die Straße schnurgerade nach Norden und erweiterte sich in der Mitte zu einem viereckigen Marktplatz, wo ein paar Buden aufgeschlagen waren mit altem Winterobst und jungem Gemüse. Hier aber hoben sich zwei größere Gebäude aus dem niederen Häuserwinkel empor, beide durch kleine Türme und Kreuze darauf als Kirchen bezeichnet. Eine alte Frau beschied die Fremde auf ihre Frage, ob denn die Stadt nicht mit einem Gotteshause genug habe, die Kirche links gehöre den Protestanten, die zur Rechten sei die katholische. Die beiden Konfessionen vertrügen sich aber aufs beste miteinander, ja sie heirateten auch oft über Kreuz, und die Pfarrer kämen Abends im »Blauen Engel« verträglich zu einem Spielchen zusammen.

Das gefiel der Fremden sehr, da sie aus einer unduldsamen Gegend stammte. Sie erfuhr auch, daß rechts an der Morgenseite zumeist die katholischen Familien wohnten, im Schatten der alten Stadtmauer und des einst wehrhaften Umgangs darauf. Gegenüber hätten sich erst später die Lutherischen angesiedelt und bald so vermehrt, daß sie den Mauerring durchbrechen mußten, um mehr Luft für ihre Ausbreitung zu gewinnen. Durch eine Seitengasse, die ins Freie hinauslief, sah man, wie der Boden drüben gelinde anstieg und zu einem Gelände sich erhob, von dessen Rande einzelne Häuser und zerstreute Baumgruppen herabsahen. In dem Zwischenraum, erklärte die redselige alte Frau, lägen Felder und Beete, die mit allerlei Korn- und Gemüsepflanzungen bedeckt seien, und wo der Kohl gezogen werde, um den die Stadt weit und breit berühmt sei. Überhaupt sei es eine sehr hübsche und fruchtbare Gegend.

Langsam schritt die Fremde die breite Straße vollends hinan, an kleinen, dunklen Seitengassen vorbei, bis sie an das offene nördliche Tor gelangte.

Hier stand sie aufatmend still.

Zweites Kapitel.

Das helle Landschaftsbild draußen, vom dunklen Torbogen eingerahmt, nahm sich sehr malerisch aus.

Nach einem sanften Anstieg von etwa hundert Schritten erhob sich der Nonnberg plötzlich in steilem Abfall zu einer ansehnlichen Höhe, und der Gipfel, der das Kloster trug, trat frei aus der Waldung hervor. Von den alten Gebäuden droben ragten freilich, aus dieser Tiefe gesehen, nur die schieferdunklen Dächer und die feine Spitze des viereckigen Turmes über die Umfassungsmauer hinaus. Doch gerade diese verkürzte Silhouette zeichnete sich reizvoll gegen den lichten Himmel ab und erweckte das Verlangen, dem ehrwürdigen Altertum näher auf den Leib zu rücken.

Die Fremde, nachdem sie sich mit den Augen einer landschafternden Dilettantin eine Weile an diesem Anblick geweidet hatte, setzte endlich ihren Weg fort, zunächst auf der Fahrstraße, die gerade auf den Fuß der Anhöhe zulief. Da aber nach fünfzig Schritten der breite Weg sich nach links wandte und Miene machte, in weitem Bogen kreisend sich sacht zur Höhe hinaufzuwinden, entschloß sich die schöne Spaziergängerin kurz, den Fußpfad einzuschlagen, der ziemlich steil bergan im Schatten eines Buchen- und Eichenwäldchens zur oberen Platte hinaufstieg.

Die starken, aber nicht sehr hohen Bäume, mit denen der Berg bestanden war, trugen noch vom Winter her ihr rostbraunes Laub. Dazwischen aber schimmerte in den hellgrünen Frühlingsfarben ein reichliches Unterholz, das sich bis an den Fußpfad herandrängte. An dichteren Stellen, wo sich das Nesterbauen verlohnte, fehlte es nicht, und schon jetzt huschten und schwirrten allerlei kleine Vögel geschäftig zwischen den Zweigen hin und her und begrüßten mit Zirpen und Zwitschern die unbekannte Frau, die zwischen ihren Verstecken hinaufwandelte.

So langsam sie es tat und so frisch die Luft hier im Schatten ihr Gesicht umspielte, wurde ihr doch, da sie eine Bewohnerin der Ebene war und bei aller Schlankheit etwas zur Fülle neigte, von der Mühe des steilen Anstiegs warm genug. Sie lüftete das Pelzchen am Halse und band den Hut ab, den sie sich an den linken Arm hängte. Das Sonnenschirmchen erwies sich zum Bergstock nicht eben passend. So war sie froh, als sie endlich oben anlangte und aus den letzten Waldschatten auf die freie Kuppe hinaustrat.

Hier aber fand sie sich für das beschwerliche Klettern reichlich belohnt.

Ehe sie sich nach der Klostermauer wandte, die noch eine Strecke zurück lag, blieb sie wohl zehn Minuten stehen in Betrachtung des weiten Landschaftsbildes ringsum in der Tiefe. Zur Linken dehnte sich schier unabsehlich das Heideland mit seinen Sumpflachen, schilfigen Wiesenflächen und rötlicher Erika bis zu der schwarzen Fichtenwaldung am Horizont. Rechts, vom Städtchen sanft ansteigend, war der Grund, in saubere bunte Felder streifenweis abgeteilt, mit Gemüsebeeten der verschiedensten Art bedeckt, die eben frisch aufzugrünen begannen. Sie zogen sich zu dem höheren ebenen Gelände hinan, wo einige Landhäuser bescheidener Gestalt, Garten- und Warmhausanlagen und ein Gebäude, das sich durch Tische und Bänke unter dichten Kastanien als ein Sommerkeller darstellte, den Abschluß machten. Von hier oben konnte man auch den Lauf des ruhig strömenden Flusses, der unterhalb der Stadt ein Nebenflüßchen aufnahm, wie auf einer Landkarte verfolgen. Die Stadt selbst aber, in der Tiefe zwischen den beiden grünen Bezirken, nahm sich aus dieser Vogelperspektive so blank und zierlich aus, als hätte ein väterlich gesinnter Riese sie seinem Töchterlein aus einer Spielzeugschachtel zum Geburtstag aufgebaut. Die goldenen Kreuze auf den beiden einander verträglich anblickenden Kirchlein glänzten hell über die grauen oder ziegelroten Dächer weg, die Schule war eben zu Ende, und ein Gewimmel kleiner Köpfe und Beine drängte sich, Mägdlein und Buben wild durcheinander, aus dem niedrigen Schulhause auf die Straße. Bis hier herauf konnte man den Lärm und das Jauchzen der jungen Stimmen vernehmen, in die Wette mit dem Gezwitscher und Gezeter der Spatzen, die sich vor der daherstürmenden Bande der Schuljugend in die Wipfel der Kugelakazien um den Marktbrunnen flüchteten.

Das alles betrachtete die Fremde droben nur mit einem zerstreuten Blick. Durch ihre schöne glatte Stirn, über die das weiche Haar hereinfiel, gingen ganz andere, viel weniger friedliche und idyllische Gedanken. Endlich aber schien sie sich zu besinnen, daß sie nicht bloß der schönen Aussicht wegen hier heraufgekommen sei; das Haar zurückstreichend und den Hut wieder aufsetzend, wandte sie sich um und schritt rasch auf das große Tor der Klostermauer zu.

In den starken Bohlen und Brettern, aus denen es gezimmert war, öffnete sich links ein schmales Pförtchen, mit schwarzen Eisenstäben vergittert. Durch diese konnte man einen Teil des Inneren überblicken, den kleinen Grashof, in dessen Mitte sich ein altertümlicher Schöpfbrunnen erhob, dahinter eine Fassade aus sorgfältig geschichteten grauen Quadern. Das mittlere Portal war mit Sandsteinpfeilern eingefaßt, darüber in einem Halbrund eine verwitterte Skulptur, wahrscheinlich die Heilige darstellend, der das Kloster geweiht war, zwei kniend anbetende Engelchen zu ihren Seiten. Den Eingang verschloß eine Tür mit grünlichen Bronzeplatten belegt, zur Seite je zwei schmale Fenster und im oberen Teil fünf andere, die blind zu sein schienen. Das hübscheste aber war links neben den Stufen, die zum Portal hinaufführten, eine geräumige Laube, rings mit Efeu umwuchert, dessen Ranken auch an der Mauer des Hauses hinaufgekrochen waren und alle Risse und Schrunden, die hier der Zahn der Zeit genagt, mit grüner Blätterfülle überdeckt hatten.

Auch innerhalb der Laube sah es lieblich aus. An einem Steintisch saß ein kleines Mädchen, kaum älter als sechs oder sieben Jahr, die bloßen Ärmchen aufgestützt, das Gesichtchen schlummernd auf ein Buch gesenkt, so daß die braunen Locken auf das Blatt herabfielen. Neben ihm auf der Bank, den struppigen Kopf zwischen den Vorderpfoten, lag ein riesiger Leonberger, der offenbar das Kind hatte bewachen wollen, aber darüber eingeschlafen war. Sonst war in dem kleinen Gebiet, das man durch das Gitterpförtchen überblicken konnte, nichts Lebendiges zu sehen, als ein paar Tauben, die auf dem Brunnenrand saßen und ebenfalls eine kleine Siesta zu halten schienen.

Nur ein paar Augenblicke betrachtete die Fremde dies Stillleben. Dann zog sie entschlossen an einem rostigen Glockengriff, der neben der Pforte herabhing, und sogleich ertönte drinnen der Hall einer etwas heiseren aber lauten Glocke, die plötzlich die feierliche Nachmittagsruhe aufschreckte. Die Vögel flatterten in die Höhe, der Hund richtete sich mit drohendem Knurren auf und sprang von der Bank herunter, das Kind hob den Kopf und spähte mit großen Augen nach der Stelle, von wo der Schall herkam, und ein paar Minuten später erschien mit trägem Schritt hinter der Gitterpforte ein langaufgeschossener Bursch in Hemdärmeln, eine verschossene Mütze auf dem dicken roten Haarschopf, kleine blaue Augen in dem mit Sommersprossen getigerten jungen Gesicht. Er spähte schläfrig und verdrossen durch das Gitter hinaus und fragte mit grober Stimme, was die Dame hier suche, und ob sie nicht wisse, daß Fremde nicht eingelassen würden?

Die schöne Frau betrachtete den tölpelhaften jungen Pförtner mit ruhigem Lächeln, ein scharfes Wort aber, das ihn an die Pflicht der Höflichkeit erinnern sollte, blieb ihr auf der Zunge, da sie an seinen matten Augen sah, daß sie ihn aus einem Nachmittagstraum aufgestört hatte. So fragte sie nur kurzweg, ob der Herr Hauptmann von Greiner zu sprechen sei.

Nee, der sei vor einer Stunde weggeritten. Wann er wiederkomme, könne er nicht sagen.

So wolle sie auf ihn warten. Er möge sie nur einlassen.

Das ginge nicht an. Ohne Erlaubnis dürfe er das Tor für niemand aufmachen. Frauenzimmer dürften überhaupt nicht 'rein.

So? sagte die Fremde, belustigt durch die wohlweise Miene, mit der der Bursch sie abzufertigen dachte. Ist es denn noch ein geistliches Kloster, und wer hat dies Gebot gegeben?

Der ironische Ton, mit dem sie das sagte, machte nun doch Eindruck auf den ungeschliffenen Jüngling. Auch war er inzwischen völlig aufgewacht. Er kratzte sich am Arm und sagte: Es is verboten. Ich darf niemand 'reinlassen. Kusch, Nero! rief er dem Hunde zu, der jetzt bellend in großen Sätzen herangesprungen kam. Das Kind war aufgestanden, blieb aber am Eingang der Laube stehen und betrachtete mit erstaunten Augen die fremde Dame draußen vor der Gitterpforte.

In diesem Augenblick öffnete sich das Portal des Hauses, ein junger Mann trat heraus und stieg, ein Liedchen pfeifend, die Stufen herab. Als er die Gruppe am Pförtchen erblickte, kam er eilig heran, umging den Brunnen und rief dem Hunde, der erst auf seine Mahnung sein rauhes Heulen einstellte und mit dem Schweife wedelnd zu ihm herantrabte.

Der junge Mann war eine schlanke Gestalt von mittlerer Größe, mit einem feinen Gesicht, das etwas an die bekannten Van-Dyck-Porträts erinnerte. Die Haare aber, die buschig unter dem zurückgeschobenen Strohhut vorkamen, und Schnurr- und Spitzbärtchen waren tiefschwarz, im übrigen kündigte sein Anzug und die ganze Haltung einen Kunstjünger an. Denn der Kittel aus grauer Leinwand, vorn offen, so daß eine dünne blaue Halsbinde heraushing, trug in verschiedenfarbigen Flecken die Spuren malerischer Tätigkeit.

Als er nah genug herangekommen war, um die Dame, die draußen stand, deutlich zu erkennen, blieb er mit einer Gebärde lebhafter Überraschung stehen. Das schöne helle Gesicht hinter den schwarzen Eisenstäben, das zarte Blondhaar und die reizende Gestalt hätten ohne Zweifel sein Herz rascher klopfen machen, auch wenn er ein richtiges Mönchsgelübde abgelegt hätte.

Nun aber war er ein Künstler und brauchte seinen Gefühlen keinen Zwang anzutun.

Er trat vollends an das Pförtchen heran, lüftete ehrerbietig den Hut und fragte, mit wem er die Ehre habe und womit er der gnädigen Frau dienen könne.

Sie wiederholte ihre Frage, ob der Herr Hauptmann zu sprechen sei. Ihren Namen nannte sie nicht.

Herr von Greiner sei in den Wald geritten, wie alle Nachmittage, werde aber gewiß bald zurück sein. Wenn die gnädige Frau so lange im Klosterhof verziehen wolle –

Damit gab er dem Burschen einen Wink, das Pförtchen aufzuschließen, und trat höflich beiseit, als die Dame über die Schwelle trat. Du kannst gehen, Hinrich, sagte er. Ich brauch' dich nicht mehr.

Der junge Mensch zog sich linkisch zurück, etwas zwischen den Zähnen murrend, und rief dem Hunde, der ihm aber nicht folgte, sondern jetzt ganz zahm sich der Dame näherte, seinen dicken Kopf an ihrem Kleide rieb und treuherzig zu ihr aufblickte.

Nun stand sie im Innern des Grashofs und sah sich um. Rechts erblickte sie, die ganze östliche Seite einnehmend, den wohlerhaltenen Flügel des Klostergebäudes, der mit zwei Reihen kleiner Fenster übereinander in den Hofraum hinabsah. In der Mitte eine kleine, rundbogig abgeschlossene Tür, das Bildwerk darin so verwittert, daß man den Gegenstand nicht erkennen konnte. Aber auch auf dieser Seite hatte sich Efeu überall aufgerankt, aus armsdicken Stämmen emporwuchernd, und selbst in dem engen Raum zwischen dem Mittelbau und dem Seitenflügel, der hinten durch einen Querbau geschlossen wurde und nie einen Sonnenstrahl empfing, setzte sich das grüne Gerank fast bis unter den First des spitzen schwarzen Daches fort, nur daß die Rosenzweige, die sich vorn zwischen den Efeu gedrängt hatten, in der feuchten Enge des Sackgäßchens nicht Wurzel gefaßt hatten.

Wie schön ist es hier! sagte die Fremde. Auch im Winter muß es sich gut hier wohnen lassen.

Er antwortete nicht sogleich. Er stand regungslos neben ihr und verschlang ihr Bild mit großen bewundernden Augen. Ihn deuchte, nie ein feineres Profil gesehen zu haben, und freilich hatte er so lange hier in der Wildnis gelebt, ohne daß Frauenschönheit seine durstigen Maleraugen erquickt hatte.

Endlich besann er sich doch, daß er eine unbeholfene Figur machte, und sagte: Wenn Sie sich setzen wollen, gnädige Frau – dort in der Laube –

Ich danke, ich bin nicht müde. Auch gibt es hier so viel zu sehen. – Ist der rechte Flügel dort von der Zerstörung ganz verschont geblieben, und wie mag das Kloster ausgesehen haben, eh' es der Krieg teilweis in Trümmer legte?

Sie sehen da drüben links noch die Spuren der ursprünglichen Anlage, versetzte der Maler. Ein Rest der Mauer ist hinten noch stehn geblieben, wo sich ehemals der andere Flügel anschloß, dort aber lief er um einen Kreuzgang herum mit zierlichen Säulchen und umschloß einen kleinen Hof, in den man durch die Fenster des Refektoriums hineinblickte. Das wiederherzustellen verlohnte nicht der Mühe. Denn die Herren, die die Ruine kauften, um hier zu wohnen, bedurften nicht mehr Zimmer, als in dem einen ziemlich gut erhaltenen Flügel sich befanden, im ganzen zwölf. Die oberen Fenster erhellen den Korridor, die Zellenfenster gehen nach Osten ins Freie hinaus, darunter liegen allerlei Wirtschaftsräume und Vorratskammern. Alles sehr einfach und schmucklos, aber das Alter ist an sich schon ein Schmuck solcher ehrwürdigen Mauern, zumal wenn die Natur sie grün dekoriert. Wie Sie sehen, gnädige Frau, geht der Rundbogen durch. Ich schätze die Gründung des Klosters daher ein paar Jahrhunderte vor dem Kriege, der den Kreuzgang zerstörte und sonst noch manches verwüstete. Nur die kleine Kirche, die man von hier aus nicht sieht, ist verschont geblieben.

Sie wandte den Kopf nach der anderen Seite, wohin der Pförtner sich zurückgezogen hatte. Dort lagen einige niedere Gebäude, die als Ställe und Schuppen, zu mancherlei Bedürfnissen bestimmt, zu erkennen waren.

Das ist die unmalerische Kehrseite unserer Siedelei, sagte der Maler lachend, Pferde- und Kuhstall, Holz- und Futtermagazin und eine kleine Kabuse für den großen Schlingel, der die Tiere besorgt und dabei freilich nicht eben lernt, mit Menschen manierlich umzugehen. Sonst ist die Wirtschaft in guten Händen, ein Hausmeister, der zugleich den Garten besorgt, wohnt mit seiner Frau, einer wackeren Köchin, in den Zimmern, die in der Sackgasse liegen. Sie haben ein liebes Töchterchen, die Kleine dort in der Laube. Komm doch her, Evchen, und gib der schönen Dame eine Hand.

Die Kleine näherte sich langsam, doch ohne Schüchternheit. Man sah nun, daß sie den linken Fuß nachzog.

Unser Doktor behandelt sie elektrisch, flüsterte der Maler, es bessert sich schon. Sie hat sich das Gebresten vor drei Jahren durch einen Fall zugezogen.

Das Kind war herangekommen, die Fremde beugte sich zu ihm herab und küßte es auf die Stirn. Sie fragte, wie alt sie sei und ob sie schon lesen lerne. Dann nahm sie die Kleine bei der Hand und sagte: Darf ich wohl noch die Rückseite des Klosters sehen? Man hat mir die Kirche so gerühmt, die dort liegt, und der Herr Hauptmann läßt auf sich warten. Komm, Evchen. Und dein Freund, der Nero, soll uns auch begleiten.

So schritt sie, zwischen der Kleinen und dem Hunde, ohne die Erlaubnis abzuwarten, nach links, an dem Mittelbau und der Laube vorbei, und der junge Mann, der einen Schritt hinter ihr blieb wie ein Hofkavalier hinter einer Prinzessin, hing wieder mit glücklichen Augen an jeder ihrer Bewegungen.

Auf einmal aber sah er an sich selbst herab, blieb mit einer erschrockenen Gebärde stehen und sagte: Herrgott, gnädige Frau, was müssen Sie von mir denken!

Auch sie blieb stehen und wandte sich verwundert zu ihm.

Was meinen Sie?

Daß ich mir herausnehme, in meinem Arbeitsschmutz Ihnen meine Begleitung anzubieten. Ich bitte, es mit der Überraschung zu entschuldigen, mich plötzlich einer so schönen vornehmen Dame gegenüber zu sehen, nachdem ich zwei Jahre einen solchen Anblick entbehrt habe. Denn nach der Hausordnung, wie Ihnen der Tölpel Hinrich gesagt haben wird, hat das Ewigweibliche in diesen heiligen Hallen allerdings keinen Zutritt.

Ist das selbst in einem weltlichen Kloster die Regel?

O gnädige Frau, erwiderte er lachend, wir sind nicht auf die drei Mönchsgelübde verpflichtet, aber es ist nun so hergebracht. Die Herren Oberen wünschen der Welt völlig abzusterben, sie haben wohl ihre Gründe dazu. Von meiner Wenigkeit gilt das nicht, ich bin nicht einmal ein richtiger Ordensmann und nur aus Güte als eine Art Laienbruder hier aufgenommen. Meines Zeichens, wie Ihnen dieser buntbefleckte Kittel schon gezeigt haben wird, bin ich ein Maler, habe mit meiner Kunst Schiffbruch gelitten, und als mich eine gnädige Welle an dieses Vorgebirge der Hoffnungslosigkeit spülte, nahmen die Bewohner den Gescheiterten auf und hielten ihn hier wie in einem gastfreundlichen Hafen fest. Das Nähere kann Sie nicht interessieren. Ich will nur bemerken, daß ich gesucht habe, mich dankbar zu bezeigen, indem ich das Refektorium ausmale. Dort hinter den vier hohen Fenstern, die in den ehemaligen Kreuzgang schauen, ist mein täglicher Arbeitsraum, von dem ich eben herkam, in der Absicht, mir die Hände zu waschen und meine Bluse mit einem anständigeren Kittel zu vertauschen. Wenn Sie zehn Minuten hier verziehen wollen – ich springe nur in meine Zelle hinauf und komme in etwas präsentablerer Toilette zurück.

O nein, erwiderte sie freundlich, bleiben Sie nur, Herr – darf ich um Ihren Namen bitten.

Mein Name ist noch ganz unberühmt, ich habe auf keiner Ausstellung eine Medaille bekommen, oder hätten Sie von Paul Marbach jemals etwas gehört? Hier im Kloster nennt man mich, wie meine Kameraden auf der Akademie mich nannten nach meiner leidenschaftlichen Verehrung für Rubens: Peter Paul. Wenn Sie die Gewogenheit haben wollten, mich auch mit diesem Spitznamen anzureden, den ich mir zur Ehre rechne –

Gewiß, Herr Peter Paul, ich finde den Namen ganz hübsch. Aber nun machen Sie keine Umstände wegen Ihrer Toilette. Jeder soll die Uniform seines Berufes tragen. Kommen Sie und sagen Sie mir, warum die großen Steinhaufen dort hinten an der Mauer aufgeschichtet sind.

Die stammen von dem zerstörten Flügel, gnädige Frau, und die Herren haben diesen Rest dort beiseite bringen lassen, nachdem die zertrümmerte Ringmauer damit ausgeflickt und alles übrige restauriert worden ist. Unser Prior –

Also haben Sie doch einen Prior, wie ein geistlicher Orden?