GegenStandpunkt 2-21 -  - E-Book

GegenStandpunkt 2-21 E-Book

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Beschreibung

In Kapitel IV unserer Abhandlung der „Konkurrenz der Kapitalisten“, die untersucht, wie sich die Unternehmen in ihrem Konkurrenzkampf die Gesetze „des Kapitals“ aufzwingen, die Karl Marx in seinem Hauptwerk analysiert, sind wir bei der Konkurrenz ums Monopol angekommen. Es handelt sich um ein bemerkenswert höchstes Stadium der Konkurrenz, in dem die Antagonisten den Erfolg ihres Unternehmens durch Ausschaltung der Konkurrenz zu gewährleisten suchen. Der Kredit in Form der Aktiengesellschaft tut hier seinen segensreichen Dienst – bis hin zur Krise, in der alles in Überfluss vorhanden ist – Waren, Kapital, Arbeitskräfte – aber kein Geschäft sich mehr lohnt. Was Deutschland bewegt: Der Wahlkampf im Corona-Jahr nimmt Fahrt auf. Total spannend, was heißt das für die christdemokratische Kanzlerinnenpartei und die designierten Nachfolger für die höchste Machtposition in der Republik? Frische Konkurrenz, die richtig Lust aufs Ausüben von Regierungsgewalt versprüht und die wirklich alles besser zu machen verspricht, kommt derweil von grüner Seite… So geht’s dahin; und die Meinungsmacher der Republik befassen sich und ihr Publikum noch eine Weile mit den letzten Fragen der innerherrschaftlichen Konkurrenz, bevor sich das Volk dann im Herbst frei und geheim entscheidet, von wem es am liebsten regiert werden will. Was Deutschland nicht bewegt: Fortschritte in einem Machtkampf anderer Art, der in der Republik immerzu und pausenlos stattfindet, nämlich der, den das Kapital gegen die Lohnarbeit im Lande führt. Mit und ohne Verweis auf Corona setzt zum Beispiel der deutsche Automobil-Musterkonzern neue Maßstäbe in Sachen Lohn, Leistung und Beschäftigung, die die Gegenseite zu schlucken hat, wenn sie überhaupt weiterbeschäftigt werden will. Die diesbezüglich erzielten Fortschritte dokumentieren wir in unserer Chronik über ein Jahr Arbeit bei Daimler. Brasilien und sein Bedarf nach souveräner Gewalt Seit bald drei Jahren regiert der Populist Jair Bolsonaro in Brasilien. Die Generäle der Streitkräfte haben den ehemaligen Armeehauptmann, jahrelangen Hinterbänkler und radikalen Rechten ausgesucht und ihm bei den letzten Wahlen zur Macht verholfen. Bolsonaro sollte der Mann sein, der das Land aus der Wirtschaftskrise führen, die Politik von vaterlandslosen Elementen jeder Couleur säubern und das durch Krise und Korruptionsskandale aufgeregte Volk hinter seinem fanatisch antilinken Kurs einigen sollte. Dauerkriegsschauplatz Libyen Wenn das Thema Libyen in der deutschen Öffentlichkeit zum Gegenstand von Meldungen, Kommentaren, Hintergrundexpertisen wird, dann gibt es in aller Regel nichts Erfreuliches zu berichten: Seit nunmehr zehn Jahren tobt, auf- und abflauend, ein Krieg mit unübersichtlich vielen inneren Beteiligten und einer Reihe von auswärtigen – wie vermeldet wird, nicht nur befugten – Unterstützermächten. Letztere halten mit Geld und Waffen nicht nur den Krieg am Laufen, sondern veranstalten in größeren Abständen Konferenzen an unterschiedlichen Orten, verkünden im Anschluss ihren festen Willen, den Krieg zu beenden, von dem sie so auch offiziell zu Protokoll geben, dass es ihrer ist, und berufen sich dabei allesamt auf hohe, wenn auch teilweise unterschiedliche weltpolitische Prinzipien und Regeln. Nach der zum je eigenen Interesse jedes Mal erstaunlich gut passenden diplomatischen Auslegung der Resultate dieser Treffen schreiten sie dann zur praktischen Anwendung der jeweiligen Vereinbarungen, was genauso regelmäßig in den Fortgang der Auseinandersetzungen mündet.

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Inhaltsverzeichnis
Was Deutschland bewegtChronik des Corona-Wahljahres 2021
I. Die Maskenaffäre – ein Auftakt nach Maß
II. Zwei Landtagswahlen – ein Ergebnis
III. Merkel entschuldigt sich – wofür?
1.
2.
3.
IV. Kanzlerinnenwahlverein ohne ‚Kanzlerbonus‘ sucht Ersatz
Das Dilemma der Union
Laschet vs. Söder
V. Die Grünen vs. C-Parteien in Sachen Kandidatenkür: Punktsieg für die Partei der Achtsamkeit im Umgang mit der Macht
VI. Wahlkampf kurz und bündig
Die AfD – „Deutschland. Aber Normal.“
Die Grünen – „Deutschland. Alles ist drin.“
Die FDP – „Nie gab es mehr zu tun.“
Was Deutschland nicht bewegtEin Jahr Arbeit bei Daimler
Februar ’20
Entlassungen zur Rettung gefährdeter Gewinne
März ’20
Arbeit passgenau ab- und wieder anschalten – Common Sense in der Krise
April ’20
„Arbeitszeiten, die zum Leben passen“, zum Zweiten
Loswerden, ohne zu entlassen – von der Hoheit über den Arbeitsvertrag
Juli ’20
Maßloses Leiden an der Sozialpartnerschaft …
… und seine produktive Bewältigung
November ’20
Aktiver Standortvergleich vs. Aktivismus des Verglichen-Werdens
Februar ’21
Entlassungen zur Sicherung der gestiegenen Gewinne
März ’21
Von den Leistungen und Freiheiten des Zeitlohns
Flexibilisierung als Flächentarifvertrag
Unsicherheit als Betriebsvereinbarung – oder: keine betriebsbedingten Kündigungen …
April ’21
Usw.
BVerfG klärt Rechtslage i. S. ErderwärmungDer Klimawandel braucht mehr Generationengerechtigkeit
I. Sache und Recht: Über die Verwandlung von Betroffenheit durch die Klimakrise in verletzte Freiheitsrechte
II. Sache und Demokratie: Klimaschutz als Ausweis der Machtbefähigung
Die Konkurrenz der Kapitalisten *)Kapitel IVWachstum durch Zentralisation von Kapital: Der Konkurrenzkampf um die Überwindung der Konkurrenz
§ 19 Konzentration von Kapital in einer Hand
1. Größe des Kapitals: das Überlebensmittel eines Unternehmens, weil die Waffe, die andere von der Benutzung des Marktes und seiner Zahlungsfähigkeit ausschließt
2. Wachstum vor und statt Konkurrenz? Oder danach und ohne? Auf jeden Fall ist das Kapital anderer als Schranke ausgemacht, die wegmuss
3. „Kampf“ um Anlagesphären
4. Monopol – Expropriation
§ 20 Der Kampf um die Verfügung über den Markt
1. Strategien der Überwindung der freien Konkurrenz
2. Beiträge des Handelsgewerbes zum Kampf um Kontrolle über den Markt
3. Hoheit, ungestört, über den Preis der Arbeit
4. Die exklusive Sicherung des Marktes, die man haben will, ist das nicht
§ 21 Der Staat: Hüter eines Kapitalstandorts
Im Innern
1. Der Einspruch des Staats gegen Kartelle, Monopolbildung und dergleichen: Grundsätze und Praxis
2. Lizenz für den Machtkampf zwischen den Klassen
Nach außen
1. In seiner Eigenschaft als ‚Handelsnation‘ korrigiert sich der Staat in seiner antimonopolistischen Wirtschaftspolitik
2. Im Licht der Monopolkonkurrenz auf den Weltmärkten identifiziert und verwirft der Staat falsche Rücksichtnahmen sozialer Art
§ 22 Die Verschmelzung von Kapital und Kredit
1. Um das Bedürfnis nach Kapitalgröße zu verfolgen, braucht es nicht nur wegen solchen staatlichen Zuspruchs keinen Kampf in dem Sinn. Der Kredit tut da bessere Dienste
2. Die Aktie und ihre Gesellschaft
3. Die Börse
4. Das Unternehmen als Spekulationsobjekt; die modernen Fusionen
5. Kein Ende der Konkurrenz, sondern Vor- und Zusatzveranstaltungen
6. Statt Verfügung über den Markt Gleichgültigkeit gegen ihn …
7. … Krise
Bolsonaros Kampf um die Neukonstitution der brasilianischen HerrschaftBrasilien und sein Bedarf nach souveräner GewaltI. Die nationale Auftragslage und die staatspolitische Verantwortung des MilitärsII. Bolsonaro – der berufene politische Exekutor des nationalen Standpunkts
Die brasilianische Herrschaft
1. Demokratie ohne ausreichend souveräne Gewalt – Kapitalismus ohne ausreichenden Beitrag zur nationalen Größe
2. Die verhasste volksfreundliche Alternative: Subventionierte Staatswirtschaft und soziale Volkseinheit
3. Das rechte Gegenprogramm für freies Regieren
Das brasilianische Volk
1. Ein bevormundetes Volk braucht eine neue Freiheit – überall viel moralischer Erziehungsbedarf
2. Ein anständiges Leben in der Konkurrenzgesellschaft – für jeden und für Brasilien
3. Die ertragreiche Symbiose mit den evangelikalen Kirchen
III. Eine offene Beziehung – das Militär und sein unbequemer Präsident
Öl-, Migrations- und Terror-Hotspot und Dauerkriegsschauplatz: Europas shithole country Libyen feiert seinen Zehnten – unter reger internationaler Beteiligung
I. Libyen-Krieg 2011: Noch ein Ordnungskrieg zerstört noch ein Stück imperialistischer Ordnung
II. Europas Mächte betreuen ihr Zerstörungswerk als Objekt ihrer Interessen und imperialistischen Ordnungsansprüche
1. Europa sichert seine Interessen an dem kaputten Land
a) Öl und Gas
b) Flüchtlingsabwehr
c) Terrorabwehr
2. Europas ambitionierte Mächte bestehen auf ihrer exklusiven Zuständigkeits- und Weisungskompetenz
a) Politische und rechtliche Vorgaben für die innerlibyschen Auseinandersetzungen …
b) … und ihre Wirkung: Verallgemeinerung und Politisierung aller Gegensätze im Land
III. Multilaterale Rivalitäten neuer Art
1. Arabische Mächte mutieren zu Subjekten rivalisierender regionalstrategischer Ambitionen und machen Libyen zu deren Schauplatz
2. Die Türkei betreibt an Libyen ihren strategischen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem europäischen Vormachtanspruch übers Mittelmeer
3. Russland pflanzt sich als unhintergehbare Macht ins libysche Kriegsgeschehen, um die Berücksichtigung seiner Interessen dort und seines Machtstatus überhaupt zu erzwingen

*) Eine Übersicht der bisher erschienen Paragraphen der „Konkurrenz der Kapitalisten“ findet sich im Internet unter: gegenstandpunkt.com/konkurrenz-der-kapitalisten.

Was Deutschland bewegt

Chronik des Corona-Wahljahres 2021

I. Die Maskenaffäre – ein Auftakt nach Maß

So ein Mist – für die C-Parteien: Staatsanwälte ermitteln gegen einen Abgeordneten der Partei wegen Verdacht auf Bestechlichkeit. Nicht irgendeine, sondern bei der Einschleusung falscher Atemmasken zu falschen Preisen in den Corona-Abwehrkampf der Nation. Was für ein Skandal. Dann ein starker Verdacht gegen ein anderes CDU-MdB, von einem östlichen Potentaten für seine Imagepflege gekauft worden zu sein. Aufklärung darüber, inwiefern das schlimm sein soll, ist mit der Aufdeckung der Sache – schwer investigativ – schon vorbei. Dann die nächste Millionen-Euro-Affäre um einen CSU-Mann aus der alten Amigo-Riege wegen Rechtsberatung für einen weiteren dubiosen Atemmasken-Lobby-Einsatz, recherchiert durch Deutschlands nimmermüde Skandalaufdeckungscrew.

Und jetzt? Der Schaden ist eingetreten. Doch der eine Mann wäre nicht CDU-CSU-Fraktionsvorsitzender, der andere nicht CSU-Chef geworden, wüssten sie nicht eine brauchbare Verwendung für die frischen Peinlichkeiten. Sie beschwören die Gefahr eines Glaubwürdigkeitsverlusts für Partei, Politik & Demokratie, um sie abzuwenden. Mit einer Maßnahme, die so lächerlich ist, dass die Comedians der Nation herzlich darüber lachen können; und dabei so wirksam, wie es in der bundesdeutschen Politik zur Sitte gehört: Den Mitgliedern der Fraktion wird eine Unterschrift unter das Bekenntnis abverlangt, immer sauber geblieben zu sein. Und das ultimativ. Sodass keiner sich drücken kann. Ähnliches in Bayern: ein knallharter Anstandskodex, vom Chef persönlich neu aus der Versenkung geholt. Den schwarzen Schafen bleibt nichts als sich zu verkrümeln...

Sagen wir mal so: Wenn Glaubwürdigkeit nichts weiter wäre als der aus persönlichen guten Erfahrungen gewonnene Befund, dass jemand im Großen und Ganzen eine ehrliche Haut ist, dann hätte sie in der Sphäre unpersönlicher, von öffentlichen Personen repräsentierter und exekutierter Herrschaftsverhältnisse nichts verloren. In einem demokratisch regierten bürgerlichen Gemeinwesen ist aber das Gegenteil der Fall. Da steht ‚Glaubwürdigkeit‘ für den Schein, politische Herrschaft wäre nichts als ein sachgerechter, an Werten orientierter, im Zweifelsfall selbstloser Dienst der Mächtigen an den Bürgern; und die Mächtigen wären mit ihrem eigenen Anstand die leibhaftige Beglaubigung und Garantie der Dienstbarkeit politischer Herrschaft. Dieser Schein lebt davon, dass kein zurechnungsfähiger Bürger darauf hereinfällt, aber jeder Wahlberechtigte ihn erstens fordert und zweitens gerne ein Urteil darüber fällt, ob die Heuchelei, die er seinen Politikern abverlangt, ordentlich inszeniert ist. Für solche Inszenierungen sind Skandale eine gute Gelegenheit. Die auszunutzen gehört zum Berufsbild des Politikers; wer daran scheitert, kann seine Karriere vergessen. Die Chefs der christlichen deutschen Demokratie haben sich da zum Auftakt des großen Wahljahrs ganz gut bewährt.

II. Zwei Landtagswahlen – ein Ergebnis

Nämlich wieder einmal, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in Grün und Rot, männlich und weiblich, also ganz divers, ein und dasselbe: Eine gesittete Wählerschaft teilt sich ihre Millionen freier Voten aus unerforschlichen statistischen Gründen, immerhin hilfreich angeleitet durch Serien von Meinungsumfragen, punktgenau so ein, dass die amtierende Herrschaft gerade so gewinnt. Wenn es anders ausgeht, dann hat das zuständige Kollektivsubjekt, ‚der Wähler‘, sich nicht richtig regiert gefühlt. Was in Notstandszeiten, egal ob wirklichen oder bloß ausgerufenen – ausgerufen werden sie vor der Wahl von den Regierenden eigentlich immer –, allemal bedeutet: Sie finden, zu wenig regiert worden zu sein. Das ist den beiden Landeseltern in Deutschlands Südwesten nicht passiert. Die maßgeblichen Chefs waren in ihrer Eigenschaft als tonangebende Figuren hinreichend präsent und auffällig.

Dieser Triumph des Amtsbonus wäre für die regierende C-Gruppe im Bund ein verheißungsvoller Einstieg ins Bundestagswahljahr gewesen, wenn die amtierende Kanzlerin ihre Partei und ihre möglichen parteieigenen Nachfolger nicht in die peinliche Rolle einer Ansammlung von ‚lahmen Enten‘ abgedrängt hätte. Aber das ist ein Thema für ein anderes Kapitel.

III. Merkel entschuldigt sich – wofür?

Wie es sich für eine lebendige Demokratie gehört: Längst ist die mit viel Sachverstand gewälzte Frage, wie die Pandemie am besten zu bekämpfen, die Dynamik der dritten Welle zu durchbrechen oder wenigstens zu verlangsamen sei, in den Händen der deutschen Politik zur veritablen Machtfrage herangereift. Die Bundesregierung ringt in einigen ‚Bund-Länder-Treffen‘ mit den Landesfürsten um Deutschlands Pandemiekurs 2021; letztere bestehen dabei auf der Autonomie ihrer Regionalmacht, mit der sie, gemessen an den ‚Notbremse‘-Plänen des Bundes, hauptsächlich destruktiv in Erscheinung treten. So geht es dahin, bis es Ende März, nach einem nächtlichen Kompromiss über zwei zusätzliche Ruhetage rund um das alljährliche Gedächtnis des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu, zu einem nach Auskunft ihrer Liebhaber in der Demokratie höchst ungewöhnlichen Vorgang kommt: Die oberste Chefin der Nation gesteht ein, einen politischen Fehler begangen zu haben, und bittet ihr Publikum um Verzeihung.

„Ich habe mich zu diesem kurzen Pressetermin entschlossen, weil ich heute Vormittag entschieden habe, die notwendigen Verordnungen für die am Montag vereinbarte zusätzliche Osterruhe ... nicht auf den Weg zu bringen, sondern sie zu stoppen. Um es klipp und klar zu sagen: Die Idee eines Oster-Shutdowns war mit bester Absicht entworfen worden, denn wir müssen es unbedingt schaffen, die dritte Welle der Pandemie zu bremsen und umzukehren. Dennoch war die Idee der sogenannten Osterruhe ein Fehler. Sie hatte ihre guten Gründe, war aber in der Kürze der Zeit nicht gut genug umsetzbar, wenn sie überhaupt jemals so umsetzbar ist, dass Aufwand und Nutzen in einem halbwegs vernünftigen Verhältnis stehen... Und auch um ein Zweites klipp und klar zu sagen: Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler, denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung. Qua Amt ist das so, also auch für die am Montag getroffene Entscheidung zur sogenannten Osterruhe. Das habe ich den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten vorhin auch in einer kurzen Videokonferenz erläutert und darüber auch die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag informiert. Und es ist mir wichtig, das auch hier zu sagen: Ein Fehler muss als Fehler benannt werden und vor allem muss er korrigiert werden, und wenn möglich, hat das noch rechtzeitig zu geschehen. Gleichwohl weiß ich natürlich, dass dieser gesamte Vorgang zusätzliche Verunsicherung auslöst. Das bedauere ich zutiefst, und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung. Diese zusätzliche Verunsicherung bedauere ich umso mehr, als wir uns, dabei bleibt es leider, mitten in der durch die Mutation ausgelösten dritten Welle der Pandemie befinden ... und ich bin zutiefst davon überzeugt: Wir werden das Virus gemeinsam besiegen. Der Weg ist hart und er ist steinig, er ist von Erfolgen, aber auch von Fehlern und Rückschlägen gekennzeichnet. Aber das Virus wird langsam, aber sicher seinen Schrecken verlieren.“ (Merkel am 24.3.21)

In dem Gemisch aus Häme und Respektsbekundungen, die Merkels Erklärung in Politik und Öffentlichkeit hervorruft – je nachdem, welches Lager der ewigen Nörgler am Pandemiemanagement der Regierung sich jeweils äußert –, sollte der wirkliche Gehalt der Entschuldigungsrede der Kanzlerin nicht ganz untergehen:

1.

Worin ihr Fehler bestanden hat, was die Kanzlerin sich daher vorzuwerfen hat und was sie sich deshalb auch nur vorwerfen lässt, definiert sie mit ihrer Selbstkritik. Die bezieht sich explizit nicht auf ihren Befund, dass weitere Beschränkungen, wie die „mit bester Absicht entworfene“ Osterruhe sie vorgesehen hatte, „ihre guten Gründe“ haben, also weiter dringend geboten sind, sondern einzig auf die Frage von deren Durchsetzbarkeit: Die klipp und klare Unbezweifelbarkeit und Verbindlichkeit des nächtlich ausgehandelten Kompromisses erschien ihr kurz darauf zweifelhaft, nachdem alle möglichen Lobbys vermeintlich oder wirklich betroffener Interessengruppen und für die Um- und Durchsetzung der Osterruhe zuständige politische Instanzen ihren Unwillen, den Beschluss mitzutragen, sowie die Beschreitung des Rechtsweges angekündigt hatten.

Die Kanzlerin weiß, was sie falsch gemacht hat: Sie verbucht es als ihre ganz persönliche Verfehlung, sich auf einen derart angreifbaren und sich schnell als praktisch schlecht „umsetzbar“ erweisenden Kompromiss „in der Kürze der Zeit“ mit den Länderchefs überhaupt eingelassen zu haben. Indem sie unterstreicht, damit der in ihrem Amt liegenden Verantwortung nicht gerecht geworden zu sein, stellt sie klar, was das Amt von ihr verlangt: Nichts, was sie an Entscheidungen mitträgt, darf irgendwie uneindeutig sein; was sie entscheidet, muss als unhinterfragbare Ansage die Souveränität beglaubigen, die sie als Kanzlerin beansprucht. Es reicht nicht, das Richtige, das Vernünftige nur zu wollen und für es einzutreten – als Bundeskanzlerin muss sie es verbindlich festlegen können und festlegen. Was ist es sonst auch wert: In der freiheitlichen Gesellschaft, der sie vorsteht und der jede geistige Bevormundung fremd ist, ist die Verbindlichkeit von noch so gut gemeinten Verhaltensregeln anders als durch die praktische Bevormundung durch befugte Machtfiguren nun einmal nicht zu haben. Für einen kurzen politischen Moment, das hat die Kanzlerin sich allein vorzuwerfen, ist sie dieser von ihr zu verkörpernden Einheit aus dem Willen, das Richtige zu tun, und der Macht, es auch durchsetzen zu können, nicht gerecht geworden.

2.

Das passiert ihr nicht noch einmal, und deshalb folgt die fällige Korrektur auch „rechtzeitig“ auf dem Fuße: Den gemeinsamen politischen Beschluss nimmt sie und nur sie allein mit ihrem demonstrativen Akt der Selbstkorrektur zurück – die lieben „Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten“ degradiert sie dabei ebenso wie ihre Fraktionskollegen zum Publikum einer „kurzen Videokonferenz“. Dem Format der Ministerpräsidentenkonferenz erteilt sie noch am selben Tag eine Absage –

„Für mich ist dieser Montag mit diesen Beratungen, mit den langen Pausen und dem andern auch eine Zäsur. Und da kann es jetzt nicht einfach so weitergehen.“ (Merkel bei Anne Will) –

und stellt öffentlich eine nach allen Regeln der parlamentarischen Regierungskunst reformierte Neufassung der zurückgenommenen Beschränkungen in Aussicht. Entscheidend an ihrem zweiten, korrigierten Anlauf ist dann genau das: Merkel macht von ihrer Macht endlich gebührend Gebrauch, stärkt mittels einer Reform des Infektionsschutzgesetzes die Kompetenzen des Bundes gegenüber den Ländern in Fragen der Umsetzung der ‚Notbremse‘ und erschwert damit den Landesfürsten, ihr mit ihren ganzen Sondervorbehalten das Durchregieren weiter zu vermiesen und sie zu fragwürdigen Zugeständnissen zu bewegen.

Ein paar der gedeckelten Landesväter aus der Unionsriege versuchen zwar noch, sich an das Mea Culpa der Kanzlerin anzuhängen – „Ich habe mit abgestimmt, ich habe auch diesen Fehler gemacht.“ (Günther) –, um mit der verstreuten Asche etwas von der hohen politischen Verantwortung auch auf ihre Häupter herabrieseln zu lassen. Doch bei diesem durchschaubaren Manöver lässt Merkel sogar ihre designierten Nachfolger Söder und Laschet ziemlich hängen, deren landesväterliche Führung doch das Sprungbrett ins Kanzleramt sein sollte. Der Machtbeweis der Kanzlerin gerät den Anwärtern auf ihre Nachfolge nicht zum Vorteil: Sie sind nicht mit verantwortlich, sondern Teil des Problems, das die Kanzlerin bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung ausgemacht hat. Sie stehen zusammen mit allen anderen „Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten“ im Abseits und brauchen sich noch nicht einmal zu entschuldigen.

3.

Auch die Bitte um Verzeihung behält die Kanzlerin also sich allein vor. Interessant ist, bei wem sie sich für was genau entschuldigt hat. Adressat ihrer Bitte ist niemand Geringeres als die Gesamtheit der „Bürgerinnen und Bürger“, die der Sache nach nichts als das Objekt der umkämpften Pandemiepolitik sind. Die bittet Merkel auf ihre unverwechselbar höflich-distanzierte Art um Verzeihung – für die bei ihnen sicherlich entstandene Verunsicherung. Sie hat, wie es sonst doch überhaupt nicht ihre Art ist, den Schein einer Alternative zum alternativlosen Regierungshandeln zugelassen. Das tut ihr leid. Dem Volk sagt sie damit auf den Kopf zu, was ihm gebührt, wie sehr es nämlich ein Recht auf eine souveräne Führung hat, die mit ihrem Handeln immerzu und in jeder Situation glaubwürdig den Anschein vermittelt, immer alles richtig zu machen.

*

Alles in allem eine klippe Klarstellung der Kanzlerin an alle, die genau aufgepasst haben: Eine klare Hierarchie der Macht und eine für das Volk glaubwürdig souveräne Führungsfigur – das braucht es zur Rettung der Volksgesundheit.

IV. Kanzlerinnenwahlverein ohne ‚Kanzlerbonus‘ sucht Ersatz

Die deutsche Kanzlerin stellt mit ihrer Entschuldigung und der Reform des Infektionsschutzgesetzes praktisch klar, dass eine gescheite Pandemiepolitik, die dem Willen des deutschen Volks gerecht wird, entscheidend von der flächendeckenden Verbindlichkeit ihres unangezweifelten Machtworts abhängt. Als Regierungschefin steht sie persönlich dafür ein, dass die Bundesregierung die sachkundige Bewältigung der Corona-Krise voll im Griff hat. Im demokratischen Regelfall wäre das vor der anstehenden Bundestagswahl glatt eine wunderbare Nachricht für ihre Partei, wenn Merkel nicht schon vorab angekündigt hätte, für eine Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Sie mutet der CDU/CSU damit den ganz eigenen Widerspruch zu, als Regierungspartei die Regierungschefin beerben und einen würdigen Ersatz schaffen zu müssen.

Das Dilemma der Union

Denn schließlich ist das der Inbegriff der C-Partei, die von kurzen Unterbrechungen abgesehen über Jahrzehnte stärkste politische Kraft im Land ist: Sie hat nichts anderes anzubieten, das aber besser als alle anderen, als Regierungspartei zu sein, die den Kanzler stellt und all das exekutiert, was die Staatsmacht überhaupt und jetzt in Sachen Pandemiebewältigung von ihren Funktionären fordert. Wie keine andere Partei steht die CDU nicht für irgendein besonderes gesellschaftliches Interesse oder eine spezielle politische Programmatik, sondern als Volkspartei für die Abstraktion von allen partikularen Interessen innerhalb der regierten Bevölkerung, nämlich das kollektive Volksbegehren nach einer souveränen Herrschaft im Dienste der Nation, ihrer marktwirtschaftlichen Räson und wirklich aller Untergebenen. Die sachgerechte Ausübung der deutschen Staatsmacht und ihrer Funktionen getreu den in Ämtern geregelten Rechten und Pflichten und unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen ‚Lage‘ – das ist die Identität und das Selbstverständnis einer Partei, die nun nicht mehr wie gewohnt als alte und neue Regierungsmannschaft, sondern als eine Partei neben anderen in den Wahlkampf ziehen muss.

Und zwar, weil Merkel mit ihrem ‚Kanzlerbonus‘ den Inbegriff der C-Partei repräsentiert: Auf die Spitze getrieben mit ihrer betont sachlichen Art und dem zur Schau gestellten Selbstverständnis, über den Niederungen der demokratischen Konkurrenz, nämlich ganz im Dienst an den Sachnotwendigkeiten der bundesdeutschen Herrschaft zu stehen, war und ist sie die Verkörperung alternativloser Regierungsverantwortung. Die Kanzlerin steht ad personam für die Gleichung aus staatlicher Macht, die ihr als oberster Funktionärin im Rahmen ihrer Amtsaufgaben zukommt, und persönlicher Eignung. Gerade in Zeiten der Corona-Krise verbürgt sie die Glaubwürdigkeit des Scheins, dass wissenschaftliche Vernunft, rechtliche Ordnung und staatliche Gewalt in ihrer Führungskompetenz aufs Feinste zusammenfallen.

Durch die Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz eingeleitet und die Ankündigung, nicht mehr zur Wahl anzutreten, hat die Kanzlerin die trennbare Verbundenheit der Staatsmacht mit ihrer Partei dokumentiert. Die Regierungspartei, die von ihrer Identität mit der Staatsmacht lebt, steht nun ohne die Galionsfigur da, die diese Identität glaubwürdig, nämlich bezeugt durch das Kanzleramt, personifiziert. Das beschert den um die Kanzlerkandidatur konkurrierenden Parteispitzen das eigentümliche Problem, sich als Führungsfiguren der Kanzlerpartei ohne ‚Kanzlerbonus‘ in Szene setzen zu müssen.

Laschet vs. Söder

Dafür haben beide zuerst einmal dasselbe zu bieten, ein kleineres Surrogat des Kanzler-Arguments. Seit nunmehr einem Jahr beteiligen sie sich an vorderster Front am Machtbeweis, in den die Politik der Pandemiebekämpfung mit ihrem Meinungsstreit und den Machtkämpfen zwischen Regierung und Opposition, vor allem aber zwischen der Zentrale und den verschiedenen ‚Landesfürsten‘, eingemündet ist. Die Macht, die Laschet und Söder kraft ihres Ministerpräsidentenamtes und der Ministerpräsidentenkonferenz zukommt, inszenieren sie berechnend als Ausweis ihrer vorzüglichen Eigenschaft als durchgreifende ‚Macher‘ und wohlmeinende ‚Landesväter‘. Die spricht wie nichts anderes dafür, dass sie nicht nur ihren Ministerpräsidentenposten, sondern den des Kanzlers und die nötige Zutraulichkeit des Wählers allemal verdient haben. Also lassen sie bei Gelegenheit wissen, dass sie neben ihren Landsmännern und -frauen auch immer schon das ‚große Ganze‘ im Blick haben und empfehlen sich mit dem demokratischen ‚Argument‘ des ‚Ministerpräsidentenbonus‘ für die Kanzlerschaft, die sie nicht haben. Insoweit unterscheiden die zwei sich also nicht wirklich.

Deswegen konzentrieren Laschet und Söder ihre direkte Auseinandersetzung auf die näherliegende Frage, wer das bessere ‚Zugpferd‘ der Union abgibt. Gegen die ‚Ein-Mann-Schau‘, die er bei seinem Parteikollegen entdeckt, und für seine Ein-Mann-Spitzenkandidatur setzt sich Laschet als ‚Brückenbauer‘ und ‚Versöhner‘ in Szene: Als Repräsentant aller politisch anerkannten Forderungen, worin auch immer sie bestehen und sich in die Quere kommen mögen, lädt er zur Verwechslung seiner Person mit dem Ideal der Leistungen einer wahrlich für das ganze Volk verantwortlichen staatlichen Regentschaft ein, die jedem gerecht wird, den sie sich unterwirft. Daneben wirbt Laschet mit ‚Inhalten‘ für sich, indem er programmatische Linien beschwört. So tritt er z.B. mit dem Slogan „Wir können Veränderung“ für ein „Modernisierungszeitalter“ ein – mit Phrasen, die das beanspruchte künftige Regieren nach Maßgabe der geltenden Staatsnotwendigkeiten abstrakt an thematisch klingenden Floskeln ausdrücken. Nach derselben Logik baut er sich auch gegen die Opposition, insbesondere die Grüne Alternative auf, bringt sich und die CDU unter seiner Führung als „Bollwerk gegen eine ideologisch getriebene Politik“ in Stellung und attackiert Baerbock: „Sie redet, ich handle“. Sein Argument besteht aus Titeln für die Gleichung aus oppositioneller Ohnmacht und Unfähigkeit, die alle Programmpunkte der Konkurrenz als bloße Ideologie entlarven, weil und solange die CDU regiert und damit die Vorschläge der Opposition zur unrealistischen Vorstellung macht. Weil Baerbock und Die Grünen im Bund nicht regieren, taugen sie dafür auch nicht; anders Laschet, der die spiegelbildliche Abstraktion seines Zipfels politischer Macht für seine Führungskompetenz und sein Anrecht auf den Kanzlerposten sprechen lässt. Die Glaubwürdigkeit dieser Qualifikation unterstreicht er auch und nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass er der Chef der CDU und die ‚logische‘ Wahl ist, weil ihn seine Partei schon einmal gewählt hat. Es gibt eben nichts, was einen Politiker so sehr zur Führungsfigur qualifiziert wie der schiere Umstand, dass andere, in diesem Fall die mit echten CDU-Autoritäten besetzten Gremien der Partei, gottergeben hinter ihr herlaufen.

Seinem Konkurrenten Söder leuchtet das mit der ‚logischen‘ Wahl überhaupt nicht ein. In der kindlichen Phrase des ‚Brückenbauers‘ aus NRW ausgedrückt: Söder verspricht sich einfach mehr vom Bild des souveränen Streiters, der über die Brücke reitet, statt sie zu bauen. Dass er die passende Besetzung dafür ist, bezeugt unter anderem sein gerne vorgeführter Habitus des zupackenden Staatsoberhaupts, der den Schein bedient, er sei eigentlich schon untrennbar mit der Staatsmacht verbunden. Er versteht sich auch auf das demokratische Geschäft, ‚Inhalte‘ zu beschwören, die sich wie bei seinem Rivalen auf nichts als Regierungsverantwortung reimen, die sich allerdings durch die formellen Umstände ihrer Präsentation unterscheiden und auszeichnen: Sich jung, dynamisch, entschlossen und rigoroser zu geben spricht für seine Kompetenz als Leitfigur aller ‚aufgeschlossenen‘ Bundesbürger. Und die sehen das nach Söders Auffassung genauso. Offensiv verweist er auf seine viel besseren ‚Umfragewerte‘ und auf deren korrekt verstandene Bedeutung: Das demoskopische Stimmungsbild im Wahlvolk, das dessen souveränes Urteil demokratisch sachgerecht in Prozentpunkten der Zustimmung zu einer Führungsfigur ausdrückt, will als seine Sachkompetenz verstanden sein. Seine persönlich verbürgte Fähigkeit, Wähler zu vereinnahmen, beweist, wie richtig die liegen. Mit dem Selbstverständnis polemisiert Söder auch gegen Entscheidungen in ‚Hinterzimmern‘ der CDU-Zentrale, die man dem Volk erklären müsse, wenn man schon nicht auf es höre, und bedankt sich am Ende bei den ‚modernen‘ Menschen im Land, die ihn als den geeigneten Kandidaten erkannt haben.

Der Zirkel aus erfolgreicher Betörung des Wahlvolks, Führerkompetenz und verdienter Eroberung der Macht im Staat soll am Ende natürlich den Wähler überzeugen, spricht im Kampf um die Spitzenkandidatur aber zuerst einmal die eigene Partei an: den demokratischen Opportunismus funktionalistisch rechnender Parteimitglieder. Und tatsächlich sind nicht wenige nicht zuletzt deswegen von Söder überzeugt, weil sie um ihre dotierten Parlamentsmandate bangen und sich vom CSU-Chef bessere Chancen versprechen. Der kann mit solch wohlbegründeter Unterstützung sehr viel anfangen und weiß, dass er als volksnaher Freund der ‚Basis‘ deren Zutrauen auch verdient hat.

Am Ende setzt sich Laschet durch – dank der berechnenden Unterstützung einer Mehrheit in den zuständigen CDU-Gremien, die ihren kürzlich gekürten Parteivorsitzenden nicht einfach opfern wollen. Söder lässt derweil alle wissen, dass er von der Entscheidung der zuständigen CDU-Gremien ‚nicht überzeugt‘ ist, weil er sich für das eindeutig bessere ‚Angebot‘ hält; natürlich nicht, ohne dem fortwährend angegangenen Konkurrenten seine freundliche ‚Unterstützung‘ anzukündigen. Laschet und seine Unterstützer legen deswegen noch entschlossener als zuvor Wert auf ‚Geschlossenheit‘ und führen damit vor, was es mit dieser demokratischen Tugend auf sich hat: Die vorauseilende bzw. begleitende Beschwörung von Einigkeit ist eine allseits durchschaute Heuchelei. Auf die kann keine seriöse demokratische Partei verzichten, weil die berechnend eingeforderte und vollzogene Inszenierung von entschlossener Unterordnung unter den neuen Chef und das Programm, welches auch immer er sich aus den Fingern saugt und der Partei vorgibt, als entscheidende Rechtfertigung dafür gilt, warum der Union und ihrem neuen Spitzenkandidaten auch die Unterstützung des Wahlvolks zusteht. An dieser Front hat die Union nach Auskunft ihrer Strategen jedenfalls einiges zu bereinigen – gerade im Hinblick auf den grünen Kanzlerinnenwahlverein, der vorführt, wie man diese Heuchelei glaubwürdig als Wahlargument der Spitzenkandidatin und ihrer Partei inszeniert.

V. Die Grünen vs. C-Parteien in Sachen Kandidatenkür: Punktsieg für die Partei der Achtsamkeit im Umgang mit der Macht

Die besondere Konstellation der zeitgleichen Kanzlerkandidatenkür von Regierungspartei und den Grünen beschert der Republik das erste Highlight des Bundestagswahljahres ’21. Denn die schöne Vorlage der C-Parteien, dass Söder aus seinen Umfragewerten herausliest, dass er die CDU-Präsidiumsabstimmung zugunsten Laschets nicht hinnehmen kann, also die geschlossene Unterordnung der gesamten Partei unter einen unhinterfragten Führer als politisches Qualitätssiegel bis auf Weiteres nicht hinzukriegen ist, passt der alternativen grünen Volkspartei im Aufstieg perfekt ins Konzept. Den Prozess der Selbstentfärbung zum volksparteitauglichen Kanzler*innen-Wahlverein Nr. 2 hat sie sowieso schon fix und fertig abgeschlossen: Für alle so dringlich zu erledigenden Modernisierungsaufgaben der Republik – Pandemie, Staatsverwaltung, Digitalisierung, Soziales, Klimawandel ... – empfiehlt sich die Grüne Partei auf allen Kanälen mit den besseren und moderneren Konzepten als nötige und fällige Alternative zur ach so konzeptlosen aktuellen Regierung. Auf keine andere Botschaft kommt es an, als dass hier eine Regierungspartei im Wartestand ihren Anspruch auf die Macht über Deutschland anmeldet, die nichts als den Willen und die Fähigkeit verkörpert, ‚es‘ endlich besser zu machen, nämlich viel moderner als die Konkurrenz politische Regie zu führen über die Gegensätze und Sachzwänge unserer fortschrittlichen kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft. Ihre Selbstinszenierung krönt diese Partei mit dem Entschluss, zum ersten Mal einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen, und beglaubigt so abschließend, dass die Grünen wirklich nichts mehr mit einer Partei zu tun haben, die ein besonderes Anliegen in der Republik verfolgt – sondern definitiv eine allzuständig-regierungsreife Volkspartei sind. Als solche, über alle Partikularinteressen erhabene, allein dem nationalen Erfolg des Kapitalstandorts verpflichtete – und darin dem Volk dienende – Partei ist sie sich eben auch einen eigenen glanzvollen Sachwalter des Allgemeinwohls schuldig, der um die Kanzlerschaft konkurriert. Und die grünen Spitzenkandidaten für diesen Posten, Baerbock und Habeck, zeigen sich dieser politischen Herausforderung auch intellektuell gewachsen: Wie aus dem Lehrbuch für oppositionelle Kritik an der Regierung erfolgt prompt ihr vernichtendes Generalurteil, dass mitten in einer Pandemie, in der entschlossenes Handeln der Regierungspartei verlangt ist, diese sich stattdessen mit ihrem Kanzlerkandidaten-Hickhack beschäftigt. Wie albern das Bild auch ist, dass in Deutschland nicht mehr regiert wird vor lauter Konkurrenz um Merkels Nachfolge – zum selbstverständlichen Reflex geworden ist den Spitzenfiguren der Grünen jedenfalls die einzige und einzig richtige Kritik von selbstdarstellerischen demokratischen Machtaspiranten, die ‚es‘ besser können: Unter völliger Abstraktion davon,auf was für einen Laden sich eine deutsche Regierung überhaupt bezieht und was sie da ins Werk setzt, wenn sie mit dem Einsatz ihrer hoheitlichen Regelungsgewalt handelt, die Pandemie bekämpft etc., stattdessen aber umso mehr mit allen Insignien der Sachkunde und des versierten Sich-Auskennens präsentiert man sich selbst als den wirklichen Macher, als den eigentlich viel besseren Exekutoren staatlicher Machtausübung, der die aktuellen Regenten anlässlich parteiinterner Machtkämpfe bei dem hoheitlichen Verbrechen des Nichtstuns erwischt.

Da kann die grüne Oppositionspartei gar nicht anders, als ihre Kanzlerkandidatenkür als eine von den zerstrittenen C-Parteien ganz wesentlich unterschiedene zu inszenieren. Natürlich nicht inhaltlich, denn alles tun, was Deutschland voranbringt, ist ja sowieso als das Selbstverständlichste von der Welt unterstellt. Aber durch intransigentes persönliches Machtstreben der eigenen Kandidatenfiguren das Regieren eines so feinen Landes in einen Lähmungszustand zu versetzen, zu welchem erfundenen Bild man die C-Parteien hinstilisiert – das soll den grünen Führungsfiguren einfach politisch wesensfremd sein. Zwar erfolgt auch in ihrer Partei die Besetzung von Posten und Ämtern mittels keiner anderen Frage als der, welche der ehrgeizigen Konkurrenzfiguren sich durchsetzt. Aber bei ihnen sind ‚unverbrüchlicher Zusammenhalt‘ und ‚wechselseitiges Einvernehmen‘ von parteiinternen KonkurrentenbeimpersönlichenMachtkampf nicht nur die hohlen Phrasen einesbloßen Ideals, das wie in den C-Parteien dauernd beschworenwerden muss, sondern ein ganz real praktiziertes Ideal: Keine Mühe wird gescheut, um die eigene Kandidatenkür zum vorbildlichen Lehrstück hinzustilisieren, wie man Führungsfragen echt professionell löst, nämlich so, dass die aufstrebenden Bewerber durch den von ihnen demonstrativ an den Tag gelegten sorgsamen Umgangmit einer so gewichtigen Entscheidung ihren Respekt und ihre Demut vor der Würde und Wichtigkeit des Amts erweisen und damit umgekehrt natürlich sich als die der Macht über Deutschland einzig würdigen Figuren präsentieren. Demonstrativ tragen Baerbock und Habeck dazu erst einmal ihren Machtwillen in aller Öffentlichkeit vor – der einen wäre es ein „Stich ins Herz“, dem anderen würde es unendlich „schwerfallen“, müsste da auf den Kanzlerkandidatenstatus verzichtet werden. Es wird also wahrlich nicht hinter dem Berg gehalten mit der persönlich verspürten Lust, endlich einmal die höchste politische Verfügungsmacht über Land und Leute auszuüben. Welch großartige Entsagungsleistung sich der eine dann im geheimen grünen Hinterzimmer zugunsten der anderen persönlich abringt, wo es doch auch ihm so wichtig war, Kanzler von Deutschland zu werden, darf der Öffentlichkeit anschließend keinesfalls verborgen bleiben – in Kombination mit der hinterher demonstrierten schönsten Einvernehmlichkeit der beiden Kontrahenten ergibt das ja überhaupt erst das bezweckte Kontrastbild, wie staatsmännisch-vernünftig hier im Unterschied zu den C-Parteien Personalfragen für höchste politische Ämter entschieden werden. So viel gelebte Achtsamkeit beim Umgang mit der Macht, damit die niemals Schaden nimmt – wenn das die Grünen nicht dazu qualifiziert, dass die deutsche Staatsmacht unbedingt in die Hände ihrer Führungsfiguren gehört.

VI. Wahlkampf kurz und bündig

In der Demokratie hat alle Unzufriedenheit des Volks eine erwünschte Adresse: die Opposition. Sie bietet dem Bürger eine politische Alternative, die Aussicht auf Verbesserung aller Lebenslagen durch einen Machtwechsel verspricht. Im Wahljahr 2021 gibt es drei bemerkenswerte Angebote, die Gegenstand, Machart und Leistungen des eigentümlichen Dialogs der Parteien mit dem politisch denkenden Wahlvolk in einem gereiften demokratischen Staatswesen vor Augen führen.

Die AfD – „Deutschland. Aber Normal.“

„Viele Menschen spüren, dass in Deutschland vieles nicht mehr richtig funktioniert. Wenn Ministerien sich mehr mit Gendersternchen beschäftigen als mit echten Problemen, ist es kein Wunder, dass der Staat bei seinen Kernaufgaben versagt. Bei der Euro-Krise, bei der Flüchtlingskrise und jetzt in Zeiten der Pandemie. Die Politik ist geradezu verrückt geworden. Deutschland muss wieder normal werden! Dann wird es auch wieder besser!“ (Faltblatt zum Wahlparteitag, 19.3.21)

Die AfD führt einen demokratischen Kunstgriff vor: Sie präsentiert sich als Sprachrohr einer allgemeinen Unzufriedenheit, die ohne bestimmten Gegenstand und ohne jede Berufung auf zu kurz gekommene anerkannte Interessen aus der ebenso anerkannten Hierarchie der gesellschaftlichen Stände vorgestellt wird, um sie mit der Sorge um den Zustand des Landes, in dem nichts mehr klappt, gleichzusetzen.

Dass dieser gesunde Menschenverstand national empfindender Bürger in aller Inhaltslosigkeit unbedingt im Recht ist, veranschaulicht die AfD mit einem dreist konstruierten Gegensatz. Worum sich die Politik angeblich überwiegend kümmert, sind Zumutungen intellektueller Gesinnungswirtschaft – das Gendersternchen als Inbegriff hoheitlich moralischer Bevormundung –, um darüber die entscheidenden Fragen für Volk und Nation zu vernachlässigen: deutsches Geld, deutsche Grenzen, den Schutz freier deutscher Bürger in schweren Zeiten – ‚Kernaufgaben‘eines Staates, der für sein Volk da ist. Der in dem haltlosen Bild von Gendersternchen vs. Grenzschutz insinuierte Grund für alle Missstände bereitet den Boden für eine denkbar drastische Kennzeichnung der regierungsamtlichen Politik und ihrer Veranstalter: irre! Die Verurteilung der Taten der Regierung als Irrsinn ist ein Verdikt, das über jeden bestimmten Einwand und Gegensatz hinaus, zu keinem Kompromiss mehr bereit und zu keiner Versöhnung mehr fähig ist.

Der passende Gegenentwurf ist nicht weniger inhaltslos und ebenso prinzipieller Natur: Das große Ganze, Deutschland nämlich, muss wieder normal werden. Mit dieser uneinholbar abstrakten Entgegensetzung unheilbarer Weltabgewandtheit der offiziellen Politik und der gerechten Sehnsucht des Volks nach Normalität ruft die AfD nicht bloß in routiniert wahlkämpferischer Manier die vielgestaltige Unzufriedenheit ab, sondern stachelt sie zu einem ganz eigenen Radikalismus an. Der Vorwurf des Irrsinns ist die fundamentaloppositionelle Absage an so ziemlich alles, was in der Nation passiert, und damit an die Macher aus dem Regierungslager, die das zu verantworten haben; es ist die Aufforderung an die Bürger, sich in einem unerträglichen Gegensatz zur Politik in Amt und Würden zu verstehen. Deutschland steht dabei für den guten, unbedingt patriotischen Geist, aus dem heraus mit der politischen Realität so gnadenlos abgerechnet wird. Die Leerformel „normal“ schließt Absage und Bekenntnis zusammen: aus Parteilichkeit für dieses normale Deutschland darf die Menschheit mit intaktem patriotischem Gespür Politiker, die verrückt geworden sind, nicht (weiter)regieren lassen.

So geht radikale Opposition: dermaßen unbedingt dafür, dass unterhalb einer bedingungslosen Absage nichts infrage kommt.

Deutschland als Gegenstand der Sorge, Grund und Zweck einer parteipolitischen Mission ist allerdings auch für die ganz entgegengesetzte oppositionelle Botschaft gut.

Die Grünen – „Deutschland. Alles ist drin.“

„Wir legen mit diesem Programm eine Vitaminspritze für dieses Land vor. Wir wollen einen Aufschwung schaffen, der über das rein Ökonomische hinausgeht. Der für klimagerechten Wohlstand sorgt. Der das gesellschaftliche Leben in seiner Stärke und Vielfalt erfasst: Bildung und Kultur, Arbeit und Digitalisierung, Spitzenforschung und Wissenschaft. Deutschland kann so viel mehr. Dies kann ein Jahrzehnt des mutigen Machens und des Gelingens werden. Jetzt ist es Zeit für eine Politik, die über sich hinauswächst.“ (Vorstellung des Bundestagswahlprogramms, 18.3.21)