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Deutschland hat in drei Jahren Ukraine-Krieg einiges erreicht. Mit der Lieferung einer nur durch die Weltmacht übertroffenen Masse an Geld und Waffen hat es mit dafür gesorgt, dass die Ukraine weiter ihre Leute verheizen kann, um Russlands Militärmacht vor Ort zu verschleißen. Sich selber hat Deutschland damit den Status der europäischen Führungsmacht verschafft, auf die es in der NATO heute vor allem ankommt. Zufrieden ist sie damit nicht. Insbesondere nicht mit der ukrainischen Kriegsführung, die zwar immer weiter kämpft, dabei aber zu wenig Erfolg im Abnutzungskrieg vorweisen kann. Stattdessen will sie gemäß Selenskyjs Siegesplan den Westen zu bedingungsloser Unterstützung und immer mehr Waffen nötigen, weil sie zunehmend an die Grenzen ihrer sachlichen und menschlichen Ressourcen stößt. US-Führung, Scholz und Co behalten sich dagegen ausdrücklich vor, wie und wieweit sie den unbedingten Kampfeswillen des ukrainischen Stellvertreters für nützlich ansehen und den Krieg gegen Russland eskalieren wollen. Da gelten höhere Gesichtspunkte als der Kriegsfanatismus der Ukraine. Während die für das Programm eines Europa ohne russische Großmacht weiterhin den Blutzoll zahlen darf, wird hierzulande derweil darum gestritten, was einer neuen ‚europäischen Friedensordnung‘ und Deutschlands Führungsrolle dabei mehr dient: den Taurus-Einsatz auf russischem Boden zu verbieten oder freizugeben. Eine echte „Zeitenwende“ ist keine Sache, die bewältigt werden muss: Man muss sie machen. Dafür setzt das unerreichte Vorbild des amerikanischen Wahlsiegers die aktuell gültigen Maßstäbe: Mit Trump fängt für Amerika ein neues goldenes Zeitalter an. Im Kampf um die Macht und für deren richtige Handhabung kommt es vor allem andern auf die Macht selber an und auf die feste Überzeugung der Führung der Weltmacht, dass Amerika alle Freiheit hat, die Staatenwelt zu dominieren – es muss sich nur dazu entschließen. Deutschlands bestes Freundesland Israel ist ein der Weltmacht kongeniales Vorbild in Sachen Kriegstüchtigkeit. Es begnügt sich nicht mit einer mit Verwüstungen und ganz vielen Toten untermauerten überlegenen Antwort auf den Akt terroristischen Aufbegehrens der Hamas vom Oktober 2023. Mit seinem längst über Gaza hinaus reichenden Zerstörungswerk arbeitet die kleine Atommacht zielstrebig auf einen Diktatfrieden zur Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens hin, der vor allem auf eins zielt: die Ausschaltung des Iran. Sie tut das so zielstrebig, dass sie damit sogar ihre unentbehrliche Schutzmacht USA unter Zugzwang setzt. Alles andere als eine Wende im Gang der nationalen Ausbeutung wickeln VW und IG Metall in Niedersachsen ab: Porsche und Piëch, Niedersachsen, Katar & Co verdienen mit VW nur noch eine Milliarde oder so. Die Firma hält sich zwecks Korrektur dieser Katastrophe an die Lohnkosten und verlangt eine Wende ins (mindestens) 10-%ige Minus. Entlassungen und Betriebsschließungen außerdem. Das gewerkschaftlich organisierte betriebsratsvertretene Proletariat antwortet mit der höflichen Ankündigung eines Arbeitskampfes ‚wie die Republik ihn noch nie erlebt hat‘. Wofür? Für die einvernehmliche Verteilung der Lohnsenkung auf alle deutschen Standorte und Arbeitsplätze, damit es die weiter gibt. Was die Firma in ihrem Anspruch auf weniger, dafür rentablere Arbeit kein bisschen irritiert.
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Seitenzahl: 250
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Wenn Machthaber mit der Macht, die sie haben, was Größeres ins Werk setzen, dann stehen sie gerne „auf der richtigen Seite der Geschichte“. Und wenn sie betonen wollen, dass das, was sie veranstalten, ganz besonders wichtig, ungewohnt und außergewöhnlich ist, dann beschwören sie die „Zeiten“, die eine „Wende“ machen und deswegen fordern.
So wie die der Ampel-Regierung vor drei Jahren mit 100 Mrd. als erster Rate auf eine russlandkriegsfähige Bundeswehr und einer politisch, diplomatisch und agitatorisch entschlossenen Abkehr von einer Politik der Koexistenz mit Russland, die im hochdifferenzierten Rückblick dem schlechthin Bösen Tür und Tor nach Westen geöffnet hat. Und was ist daraus geworden? Der zuständige Minister muss erleben, dass sein Kanzler die Belange der Armee im Staatshaushalt immer noch zu den Unkosten der systemeigenen sozialen Frage ins Verhältnis setzt. Die Anwälte des Guten regieren ein Volk, das den Minister zwar prima und die Aufrüstung der Wehrmacht auch gut findet, ungefähr zur Hälfte aber den guten nationalen Sinn im finanziellen Kriegseinsatz des Landes vermisst. So richtig kriegstüchtig wird eine Nation eben doch erst durch die Kriege, die sie führt, nicht durch die, die sie outsourct. Erreicht hat Deutschland, trotz Schuldenbremse und kriegskritischen Anwandlungen der wahlberechtigten Bevölkerung, aber immerhin so viel: Im Schulterschluss zwischen Scholz und Biden, mit der Lieferung einer nur durch die Weltmacht übertroffenen Masse an Geld und Waffen, damit die ukrainische Kriegsmacht trotz geschätzt 100 000 Gefallenen weiter mitmacht, hat die Nation sich den Status der europäischen Führungsmacht verschafft, auf die es in der NATO heute vor allem ankommt. Entschlossen arbeitet sie daran, in spätestens ein paar Jahren dem Russen einen Krieg liefern zu können – die Sache mit den Atomwaffen einmal beiseitegelassen –, den der nicht gewinnen kann. Und das ist schon aktuell angesichts der unschönen Lage der Armee, die in der Ukraine den Preis für die Rettung der „europäischen Friedensordnung“ zahlen darf, keine geringe Herausforderung der noch enorm ausbaufähigen deutschen Kriegstüchtigkeit.
Klar geworden ist jedenfalls, dass eine echte „Zeitenwende“ keine Sache ist, die bewältigt werden muss: Man muss sie machen. Und wie das aussieht, dafür setzt das unerreichte Vorbild des amerikanischen Wahlsiegers die aktuell gültigen Maßstäbe: Mit Trump fängt für Amerika ein neues goldenes Zeitalter an. Den Startschuss dafür haben Amerikas Wähler gegeben, weil sie aus dem heftigen Wahlkampf die einzig wahre demokratische Einsicht gewonnen und beherzigt haben: Im Kampf um die Macht und für deren richtige Handhabung kommt es vor allem andern auf die Macht selber an: auf eine Gewalt, die jeden Widerstand zwecklos macht, und – es herrscht ja Demokratie – auf eine Lichtgestalt, in der verantwortungsbewusste Bürger mit dem richtigen politischen Instinkt sich selbst wiedererkennen, wenn sie die Aufgabe hätten, ihrer Nation mit aller Gewalt zu ihrem Recht zu verhelfen. Mit dieser leibhaftigen goldenen Zeitenwende in der Weltmacht USA muss der Rest der Welt jetzt leben. An der orientiert die Staatenwelt sich auch.
Für die Deutschen und Europa schließt das die schmerzliche Erkenntnis ein, dass sie einen solchen „Populisten“ wie den in Amerika siegreichen – noch – nicht zu bieten haben. Das steht im deutschen Wahlkampf Scholz gegen Merz schon fest; und das verhindert auf europäischer Ebene die Vielzahl der Souveräne, egal mit wie viel fremdenfeindlich aufgeladenem Nationalismus sie Eindruck machen.
Anders in Deutschlands bestem Freundesland, dem Schützling der deutschen Staatsräson. Mit seinem ausufernden Gaza-Krieg, der mittlerweile ins zweite Jahr geht, ist Israel ein der Weltmacht kongeniales Vorbild in Sachen Kriegstüchtigkeit. Es setzt damit nicht einfach seine Generallinie einer mit ganz vielen Toten untermauerten militärischen Ringsum-Abschreckung fort; es begnügt sich auch nicht mit einer überschießenden Antwort auf den Akt terroristischen Aufbegehrens der regierenden NGO der Gaza-Palästinenser vom Oktober 2023. Die kleine Atommacht arbeitet zielstrebig mit Krieg auf einen Diktatfrieden zur Neuordnung der Region namens „Naher und Mittlerer Osten“ hin, der vor allem auf die Ausschaltung des Iran zielt. Sie tut das so zielstrebig, dass sie damit sogar ihre absolut unentbehrliche Schutzmacht unter Zugzwang setzt. Und das bei aller Kumpanei mit deren President-elect, der eins überhaupt nicht leiden kann: von irgendwem auf der Welt unter Zugzwang gesetzt zu werden. Da treffen sich aufs Schönste die Weltmacht mit dem Monopol auf die Veranstaltung von Zeitenwenden und ihr kleines alter Ego.
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Alles andere als eine auch nur allerkleinste Wende im Gang der nationalen Ausbeutung wickeln VW und IG Metall derweil in Niedersachsen ab: Porsche und Piëch, Niedersachsen, Katar & Co verdienen mit den Wolfsburger Autos nur noch eine Milliarde oder so. Die Firma hält sich zwecks Korrektur dieser Katastrophe an die Lohnkosten: Da braucht es eine Wende ins (mindestens) 10-%ige Minus. Und Entlassungen und Betriebsschließungen außerdem. Das gewerkschaftlich organisierte betriebsratsvertretene Proletariat antwortet mit der höflichen Ankündigung eines Arbeitskampfes, wie die Republik ihn noch nie erlebt hat. Wofür? Für die einvernehmliche Verteilung der Lohnsenkung auf alle deutschen Standorte und Arbeitsplätze, damit es die weiter gibt. Was die Firma in ihrem Anspruch auf weniger, dafür rentablere Arbeit kein bisschen irritiert.
Den Schaden aus dieser „Lohnentwicklung“ und etlichen anderen angekündigten Massenentlassungen – sagen Experten – trägt das Weihnachtsgeschäft...
© 2024 GegenStandpunkt Verlag
So mancher beobachtet so manche Neuheit an dem Kriegsgeschehen, das seit Herbst vergangenen Jahres im Nahen Osten abläuft: Die einen betonen, dass noch nie so viele Palästinenser im Rahmen eines einzelnen der zahlreichen Kriege Israels umgebracht worden sind; die anderen legen Wert auf die Feststellung, dass noch nie so viele Israelis an ein, zwei Tagen von feindseligen Arabern getötet worden sind und auch seither der israelische Bodycount bisher ungewohnte Ausmaße annimmt; Kenner israelischer Luftabwehrpotenzen betonen, dass so viele Raketen wie nie zuvor auf Israel abgeschossen werden und dort tatsächlich ihr Ziel erreichen und eine Rückkehr zur zivilen Normalität wirksam verhindern; wer sich von noch höherer Warte für die Perspektiven einer ‚Zwei-Staaten-Lösung‘ nach dem Krieg interessiert, muss registrieren, dass Israel noch nie so gründlich alle sachlichen Voraussetzungen und Minimalbedingungen eines staatlichen oder überhaupt eines Lebens im für besagte Lösung vorgesehenen Gazastreifen auf Jahrzehnte hinaus zerstört hat; wer die wirksame Abschreckung Irans zum Objekt seiner Sorge erklärt, kommt nicht umhin zur Kenntnis zu nehmen, dass sich Israel zum allerersten Mal überhaupt direkt mit Iran einen Raketen- und sonstigen Luftwaffenschlagabtausch liefert; wer der Vorstellung von einem Israel als ‚safe haven‘ für alle Juden auf der Welt anhängt, muss nun konstatieren, dass Israel der unsicherste Ort für Juden weltweit geworden ist; usw.
Keine der Beobachtungen ist falsch; ein zutreffendes Urteil darüber, was da seit geraumer Zeit im Nahen Osten abläuft, sind die teils erschrocken, teils hämisch, teils distanziert interessiert zur Kenntnis genommenen bzw. gegebenen quantitativen Gewaltsuperlative aber auch nicht. Zu klären bleibt, was die neueQualität des Gewaltgeschehens ist, das Israel in Auseinandersetzung mit seinen Gegnern seit einem Jahr vorantreibt. Die Auskünfte, die man diesbezüglich von Israels Führern bekommt, sind hierfür nur bedingt hilfreich. Diese Herrschaften sind selber von Herzen uneinig über das, was sie da ins Werk setzen, über die Konsequenzen und Perspektiven sogar bis an den Rand der Feindseligkeit zerstritten; und zwar nicht trotz der Lage, in die sie ihre Nation und die umgebende Region stürzen, die „eigentlich!“ doch nationale Geschlossenheit fordert, sondern exakt darum: Der eskalierende nationale Streit, den sich Israels politische und militärische Führung und ihr jeweiliger Volksanhang liefern, zeugt seinerseits, ist nämlich Teil davon, dass diese Nation mit ihrem Regionalkrieg einen imperialistischen Fortschritt neuer und eigener Art macht.
In den vergangenen Jahrzehnten hat Israel eine Art Koexistenz mit der als Terror-Organisation geächteten Hamas praktiziert. Auf Basis seiner unzweifelhaften totalen militärischen Überlegenheit und unter der Prämisse, dass dem Programm einer palästinensischen Staatsgründung nicht die geringste Aussicht auf Verwirklichung eingeräumt wird, hat es sich militärisch und zivil aus dem Streifen zurückgezogen und einen nahezu perfekten Sperrriegel eingerichtet. Unter Ausnutzung einer von den Palästinensern selbst bewerkstelligten politischen Spaltung hat es das Landstück samt Bevölkerung und herrschendem Establishment aus der Besatzungsdiplomatie ausgeklammert, die es in Bezug auf das Westjordanland und die dort von ihm geduldete Autonomiebehörde pflegt; es hat sich die faktische Herrschaft über die Grenzen des Gazastreifens und alle legalen Grenzübergänge gesichert und nach ausschließlich eigenen Berechnungen den legalen Verkehr zwischen dem Streifen und der Außenwelt zugelassen oder unterbunden. Der Hamas hat Israel in keiner Hinsicht rechtlich, aber faktisch zugestanden, sich um die Palästinenser, mit denen es selbst programmatisch nichts zu tun haben will, zu kümmern und unter denen für eine unter den gegebenen Umständen auch Israel dienliche Ordnung zu sorgen; ansonsten hat es ihr jeden Status eines unter welchen Vorbedingungen auch immer politisch verhandlungs- oder auch nur administrativ absprachewürdigen Gegenübers verweigert. Die einzigen Formen eines offiziellen diplomatischen Umgangs mit dieser Organisation waren auf die stets indirekten Verhandlungen über Dritte beschränkt, wenn es galt, Phasen unmittelbarer bewaffneter Auseinandersetzungen zu beenden. Solche waren regelmäßig fällig als integraler Bestandteil der Lösung des israelischen Hamas-Problems als Dauerveranstaltung: Aus unterschiedlichen Anlässen hat Israel den Gazastreifen mit seiner Luftwaffe und land- bzw. seegestützter Artillerie beschossen, militärische und zivile Substanz im Gazastreifen zerstört und jeweils ein paar Tausend Gaza-Palästinenser sterben lassen, um in jede Richtung klarzustellen, dass das von Israel auf diese Weise territorial ab- und eingegrenzte und unterdrückte politische Programm der Hamas und diese selbst absolut illegal sind und ihre Existenz mit den Opportunitätskalkulationen Israels steht und fällt.
Was für Israel kein gutes, aber im Großen und Ganzen funktionierendes Arrangement seines Gaza-Palästinenser-Problems war – und für die Bevölkerung ein unabsehbares Elend –, das hat die Hamas für ihren politischen Zweck genutzt. Mit ihrem De-facto-Regime über das bisschen Land und seine 2 Millionen Einwohner hat sie eine Art Staat in Gründung geschaffen und eine Untergrund-Quasi-Militärmacht aufgebaut. Mit der hat sie im Oktober ’23 zugeschlagen: Israels so perfekt gesicherte Grenze überschritten, ein demonstratives Massaker verübt, außerdem Raketen aufs israelische Kernland abgeschossen und über 200 Leute als Geiseln genommen. Der unmissverständlichen Absicht nach hat sie damit Israel den Krieg erklärt: einen Staatsgründungskrieg aus dem Status beinahe totaler militärischer Unterlegenheit, buchstäblich aus dem Untergrund heraus.
Tatsächlich hat Israel darauf zuerst auch wie auf den Angriff eines Feindstaats reagiert, mit Vernichtung der Invasoren und einem Luftkrieg gegen militärische Stellungen und andere lohnende Ziele in Hamas-Land. Dabei ist es allerdings schon von Beginn an nicht wirklich darum gegangen, mit vernichtenden Schlägen gegen die menschlichen und sachlichen Mittel und Ressourcen einer feindlichen Militärmacht deren – bedingungslose – Kapitulation zu erzwingen. Den Status einer zu entmachtenden Herrschaft hat Israel der Hamas nie und nach ihrem großen Überfall schon gleich nicht zugebilligt. Es hat nicht gegen eine feindliche Armee Krieg geführt, sondern der erklärten Absicht nach eine Vernichtungsaktion gegen eine Bande von Terroristen gestartet. Dabei war das Etikett ‚Terrorismus‘ nie bloß als moralische Rechtfertigung des eigenen kriegerischen Terrors gemeint, sondern ganz praktisch als Richtlinie für den Auftrag, Todfeinde der staatlichen Hoheit, somit der Existenz Israels überhaupt, zu eliminieren; so unbedingt und kompromisslos eben, wie ein Staat – ein jeder – gegen innere Feinde seines Gewaltmonopols vorgeht: Die müssen mitsamt ihrer staatsfeindlichen politischen Gesinnung ausgeschaltet und für ihr Aufbegehren bestraft werden, um die verletzte Hoheit der Höchsten Gewalt rechtsförmlich wiederherzustellen. Nur eben mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Hamas gerade keine innerisraelische Terrortruppe ist, sondern eine äußere Macht. Aber aus israelischer Sicht erst recht kein Staat mit einem eigenen Recht auf Militär und Krieg; vielmehr so etwas wie eine NGO ungesetzlicher Kämpfer, als solche definiert durch Israels Beschluss der absoluten Unvereinbarkeit zwischen dem von der Hamas militant vertretenen palästinensischen Staatswillen und der staatlichen Existenz Israels; ein Haufen Outlaws mit einem staatenlosen Volk als Massenbasis.
Was an Zerstörungswillen und ausgesuchter Rücksichtslosigkeit der IDF (Israel Defense Forces) im Gaza-Streifen – und seit längerem auch im Libanon – zu besichtigen ist, sind die Konsequenzen der hybriden kriegerischen Terrorvernichtungsaktion, die die Netanjahu-Regierung in Auftrag gegeben hat, um besagten längst gefassten Unvereinbarkeitsbeschluss definitiv, endgültig, wirklich ein für allemal in die Tat umzusetzen. Logischerweise gibt es für diese Tat kein Kriegsziel von der Art der früheren israelischen Staatsgründungskriege, wie Eroberung von Land und Vertreibung der Bevölkerung, um es nachhaltig in Besitz zu nehmen. Mit der totalen Ächtung aller irgendwie fassbaren Befehlshaber des Hamas-Militärs als absolut verhandlungsunwürdige Terroristen ist überhaupt die Beendigung des Krieges durch die Kapitulation einer befehlshabenden Autorität ausgeschlossen. Und das nicht nur im Prinzip und der israelischen Absicht nach: Mit der gezielten Tötung aller Verantwortlichen und verantwortlich Gemachten aufseiten der Gaza-Palästinenser wird ein derartiges Kriegsende absichtsvoll unmöglich gemacht. Was Israel an Vernichtungsaktionen unternimmt, ist damit auf Dauer gestellt, die Dauer ganz ins Belieben der israelischen Führung; nur konsequent, dass die jede wohlmeinende – und erst recht jede kritisch gemeinte – Aufforderung ins Leere laufen lässt, sie möchte doch mal ein realisierbares Kriegsziel oder Bedingungen für ein Kriegsende angeben. Der Zweck der Terrorvernichtung durch Krieg ist eben so lange nicht erreicht, wie sich in dem zerstörten Landstreifen noch ein wie auch immer organisierter Staatsgründungswille rührt, den Israel nach seinem freien Ermessen als Anschlag auf seine Existenz einstuft.
Außer Kraft oder vielmehr gar nicht erst in Kraft gesetzt ist mit diesem Kriegszweck jede auch nur ideelle Unterscheidung zwischen bewaffneten feindlichen Kräften und Zivilbevölkerung. Wo es aus israelischer Sicht keine irgendwie anzuerkennende regierende Autorität gibt, da gibt es auch kein Staatsvolk, auf das sich kriegs- und womöglich nachkriegsmäßige Kalkulationen richten würden oder gar das Kriegsrecht mit seinen Vorschriften zur Schonung einer militärisch nicht aktiven Einwohnerschaft anzuwenden wäre, sondern nur eine Menschenmenge, in der der auszulöschende Terroristenhaufen sich schändlicherweise versteckt. Deswegen kann es da auch keine Rücksichtnahme geben, sondern nur Kollateralschäden, die die bekämpften Politverbrecher zu verantworten haben. Auch errichtet Israel, ebenso folgerichtig, kein Besatzungsregime über diese Landesbewohner, das für den Besatzer mit Abwägungen in Bezug auf irgendeine Minimalversorgung der Leute einherginge, denen er sich in Form eines Besatzungsrechts verpflichten würde: Die Armee ist ja nicht zum Erobern oder Entmachten, sondern allein in der Mission ‚Terroristen jagen, fangen, ausschalten‘ unterwegs. Sie fungiert nicht als Ersatz für eine entmachtete Regierung, weil es eine solche ja nie gegeben hat; eine de facto zuständige Autorität wie die jahrzehntelang in dieser Funktion geduldete Hamas-Administration gibt es auch nicht mehr, soll und darf es auch nicht mehr geben, weil die Duldung ja gerade der Fehler war, den Israel sich seit dem Oktober ’23 nicht mehr verzeiht. Die Versorgungsfunktionen, die der Hamas-Apparat allenfalls noch erledigt, entfallen damit auch: Alle Hamas-Aktivitäten, auch die, fallen unter das Verdikt ‚Terrorismus‘. Und wenn auswärtige Helfer sich an der Gazawi-Ernährung zu schaffen machen, begegnen sie dem schwer auszuräumenden Bedenken, letztlich würden sie damit doch nur Israels gerechten Antiterrorkampf behindern.
Ein Volk ohne Rechtsstatus, unter keinerlei verantwortlichem Regime, gnadenlos bombardiert, wo immer Israels tüchtiger Geheimdienst einen illegalen Kämpfer ausfindig gemacht haben will, und beiseitegeräumt, wo es stört: wie das überleben kann, das ist, nach der menschlichen Seite hin, die Versuchsanordnung, die Israel mit der offensiven Beendigung seiner feindlichen Koexistenz mit der Hamas als De-facto-Verwaltung des Gaza-Streifens hergestellt und auf Dauer gestellt hat.
Darüber leistet sich Israel einen der Sache angemessenen innenpolitischen Streit.
Im Prinzip seit Beginn des Krieges streitet sich Israel um die Geiselfrage, wobei sich der Charakter der Querelen mit den Fortschritten des Krieges verändert hat. Aufgebracht vor allem von den Angehörigen der Geiseln hat der sich am Anfang darum gedreht, was für Zugeständnisse Israel der Hamas machen soll, um möglichst viele der Geiseln möglichst schnell zurückzubekommen. Das ist Geschichte. Wie auch immer es die Angehörigen sehen mögen, der Streit steht nun für etwas anderes: Praktisch dementiert ist jeder falsche Schein, was israelische Staats- und Schutzmachträson gegenüber den eigenen Bürgern bedeutet und was nicht, durch den Fortschritt Israels bei der Bekämpfung der Hamas und den politischen Fortschritt des Verhältnisses zu den Palästinensern überhaupt, der nun vollzogen und von Netanjahu verantwortet wird. Was – zum Unverständnis bzw. zur Empörung von Teilen der israelischen Öffentlichkeit – die Befreiung der Geiseln per Verhandlung tatsächlich unmöglich macht, das ist die neue Unbedingtheit, mit der ein irgendwie – und sei es nur in ganz kriegsimmanenten Fragen – wirksames Arrangement mit der zur Vernichtung ausgeschriebenen Hamas und ihrem Anhang ausgeschlossen ist. Zu ihrem sehr absehbaren Schicksal werden die restlichen Geiseln durch die neue Linie Israels verdammt, dessen Führung in ihre Selbstkritik praktisch – und bei Gelegenheit in aller Öffentlichkeit ausdrücklich – auch ihre nunmehr ad acta gelegten Verhandlungsstrategien einbegreift, mit denen sie zwar früher so manchen Bürger wieder heimgeholt, aber dem Gegner auch die Atempausen und politisch die Anerkennung verschafft hat, die jetzt nicht mehr infrage kommen dürfen. Eine Rückkehr der Geiseln gibt es entweder als Ergebnis der oder Beitrag zur Vernichtung jedes politischen Palästinawillens oder gar nicht; das ist die Zumutung, die die neue Dimension des antipalästinensischen Krieges dem bisher etwas anderes gewohnten Volk bzw. Teilen von ihm bereitet, also die Lektion, die israelische Menschen jetzt über die Essentials ihres Staatsbürgerdaseins zu lernen haben.
In ganz anderer Weise reiben sich militärische bzw. alternative politische Führer an dem Fortschritt, den Netanjahu seinem Land verordnet. Aus borniert militärischer Sicht ist das politische Kriegsziel nämlich unmöglich zu bewerkstelligen und der Versuch, es dennoch zu erreichen, eine Vergeudung wertvoller militärischer Potenzen. Auch dafür stand u.a. der nunmehr entlassene Verteidigungsminister Gallant: Vom Standpunkt des politischen Militärs braucht es ein klares operatives bzw. operationalisierbares Kriegsziel, ausgedrückt als Forderung nach fixier- und überprüfbaren Bedingungen für ein Kriegsende. Genau das ist mit dem objektiven Fortschritt, den Israels Feind- und Selbstdefinition im Verlaufe des Krieges macht, so nicht zu haben, und daran stören sich die Vertreter des prominent von Gallant personifizierten Standpunkts. Mal sehen sie militärische Ahnungslosigkeit, mal politische Selbstsüchtigkeit des Premiers im Spiel, wenn der seine politische Hoheit über den israelischen Militärapparat dafür benutzt, den Gazastreifen in ein Trümmerfeld zu verwandeln, auf dem Palästinenser in Zukunft nicht nur ohne Aussicht, sondern auch ohne jede noch so machtlose Ambition auf einen Staat Palästina hausen sollen. Das sei nie und nimmer militärisch erreichbar, lautet die professionelle Kritik an der neuen Generallinie, so als ob es sich bei der um eine militärische Fehlkalkulation handelte. 1) Wer sich schwertut, dem Übergang zu folgen, den Netanjahu anführt, wer sich dabei an vergangenen Kriegen orientiert und die in deren Zuge auch an den geringen eigenen Opfern bewiesene Überlegenheit Israels zum Maßstab nimmt, der macht – was inzwischen zum guten Ton dieser Abteilung Opposition gehört – auch und gerade die steigenden Zahlen toter und verletzter IDF-Leute zum Argument: So wird der politische Streit in die angemessen verlogene Frage überführt, ob die eigenen Toten die Notwendigkeit des Krieges belegen, die Nation und ihren Führer adeln, oder ob sie Konsequenz und damit Ausweis eines Krieges sind, der sinnlos wird, wenn er kein gebührendes Ende findet.
Um den neuen Status, den sich Israel im Verhältnis zu seinen Palästinensern seit einem Jahr per Krieg verschafft, streiten sich seine Fraktionen auch entlang der heißen Frage, wie nach dem Krieg mit dem Gazastreifen umzugehen sei. Netanjahu lehnt diese Frage als solche ab – und zwar dadurch, dass er allen bestimmten Antworten darauf eine Absage erteilt. Gegeben werden diese Antworten selbstverständlich trotzdem, und auch sie zeugen davon, dass sich die israelische Nation in eine neue Phase ihrer staatlichen Existenz hineinbombt und -schießt. Zum einen von denen, die sowieso noch nie verstanden haben, warum Israel seine Besatzungstruppen aus dem Streifen seinerzeit überhaupt abgezogen und im Zuge dessen sogar die dort schon errichteten Siedlungen wieder aufgegeben hat. Die sehen sich durch die militärischen Entwicklungen bestätigt, denen sie entnehmen, dass ohne eine dauerhafte militärische Präsenz der Gazastreifen gar nichts anderes sein bzw. demnächst wieder werden kann als ein Hort antiisraelischer Militanz. Das verknüpfen sie mit größter Leichtigkeit mit der Logik, nach der ihr feines Land schließlich überhaupt entstanden ist: Eroberung und Bewachung für Besiedlung, Besiedlung für die Bewachung und Sicherung alles Eroberten. 2) Und folgerichtig sind mit oder ohne Altes Testament auch Teile der Regierung dafür, den Gazastreifen wieder zu besiedeln. Prompt melden sich zum anderen aus der Regierung oder von Parteien der demokratischen Opposition sowie aus dem Militär Widersacher zu Wort, die in einem solchen Szenario eine Fesselung militärischer, ökonomischer, politischer Potenzen sehen, die doch durch den Abzug von vor zwanzig Jahren gerade so schön überwunden wurde. Sie sehen die Gefahr, dass Israel auf die Weise endgültig zu einem von religiösen Fanatikern beherrschten Staat wird, der seine herrlichen Gewaltpotenzen auf so archaische Dinge wie Blut und Boden konzentriert. Einen Staat Palästina sehen sie alle nicht mehr vor, und darum zerstreiten sie sich nur noch, aber dies umso heftiger, darüber, wie den Palästinensern die De-Nationalisierung des national definierten Kollektivs, zu dem Israel sie macht, beizubringen wäre – bzw. ob dies überhaupt möglich oder wegen der Beschaffenheit der arabischen Nationalseele nicht ein Versuch ist, der augenscheinlich in der Vergangenheit schon gescheitert ist, weil er scheitern musste. 3)
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Die Frage, ob Israel mit seinem Antiterror-Krieg richtig liegt und alles richtig macht, wird nicht nur in Israel heftig diskutiert. Sie wird auch im interessierten Ausland gerne gestellt, um sie mit einer entschlossenen Parteinahme zu beantworten oder auch aus der Distanz bloß moralischer Betroffenheit mit einem wohl abgewogenen „teils – teils“. Eine andere Antwort – abgesehen von fachkundigen Beiträgen zum Erfolgsproblem – lässt die Frage auch gar nicht zu: Sie zielt auf gute Gründe für die Gewaltorgie, die ihr zuzubilligen sind oder nicht.
Es bleibt die Frage, warum Israel auf den Hamas-Überfall so reagiert, wie es das schon mehr als ein Jahr lang tut. Dass der angegriffene Staat reagiert, kann nicht die Antwort sein. Eher schon, dass er als nationaler Gewaltmonopolist, der seinem Volk inmitten eines unfreundlichen bis feindlichen Umfelds Unverwundbarkeit versprochen hat, durch den terroristischen Ausbruch der Hamas aus ihrem total eingezäunten Streifen eine Blamage erlitten hat, die durch einen absolut unverhältnismäßigen Vernichtungsschlag quasi ungeschehen gemacht, moralisch gesehen gerächt werden muss. Aber so ist es ja nicht, dass dieser Staat mit seiner unendlich überlegenen Militärmacht zu der x-fach wiederholten Verwüstung des kleinen Landstreifens am Mittelmeer mit zehntausenden toten Gazawi, und das als Open-End-Veranstaltung, durch den insoweit längst bewältigten Gewaltakt der Hamas genötigt wäre.
Der Regierungschef gibt mit der Rechtfertigung seiner Unerbittlichkeit auf die Warum-Frage jedenfalls eine weiterführende Antwort. Die lautet Iran. Und das ist so gemeint und deswegen auch ernst zu nehmen, dass Israels Todfeindschaft gegen diesen Staat nicht die Konsequenz aus dem vom Iran gesponserten Kriegsversuch der Hamas ist, sondern Israels Dauerkrieg gegen diesen geächteten und eingezäunten Störfaktor Teil einer Offensive gegen den Hauptgegner einer israelischen Diktatfriedensordnung in der und für die Region. Nach der Logik geht die Netanjahu-Regierung jedenfalls vor, weitet den Gaza-Krieg immer weiter auf die Umgebung aus – Anlässe finden sich, und wenn nicht, werden sie provoziert – und blamiert alle Warnungen vor einem „Flächenbrand“, der unbedingt zu vermeiden sei: Sie macht ihn.
Das ist sie der Sicherheit ihres Volkes schuldig.
Militärisch findet diese Offensive vor allem an Israels nördlichem Frontabschnitt statt, und ihre Dimension wird zuallererst daran kenntlich, dass inzwischen mindestens der halbe Libanon unter die Kategorie „Nordfront“ fällt. Das israelische Vorgehen wird mit dem hinhaltenden Solidaritätsraketen- und -drohnenkrieg begründet, den die libanesische Hisbollah den IDF und dem mehrstufigen Luftabwehrschirm liefert, den Israel über sich aufgespannt hat. Als Kriegsziel wird die Rückkehr der offiziell 70 000 aus dem Norden des Landes evakuierten Israelis in ihre Ortschaften und Siedlungen verkündet; als entscheidende Bedingung dafür definiert Israels Führung die Dezimierung der Hisbollah, nämlich deren Rückzug nach Norden mindestens bis an den Fluss Litani sowie die Zerstörung ihrer Potenzen, sodass zu keinem Zeitpunkt in der Zukunft von diesem antiisraelischen Verein wieder eine Gefahr für Israel ausgehen wird. Dieser Kriegsanspruch wird peu à peu in die Tat umgesetzt, und alle eventuellen Ähnlichkeiten zum Krieg in Gaza sind ganz sicher kein Zufall. 4)
Politisch ist das bemerkenswert, weil dieser Gegner etwas anderes ist, ebenso wie das ‚Umfeld‘, in dem und aus dem heraus er agiert. Denn der Libanon ist zwar ein ‚failed state‘, aber eben ein Staat, dem auch Israel als solchem die Existenzberechtigung nicht abspricht. Seinen Ausschließlichkeitsanspruch auf Staatlichkeit fürs jüdische Volk, den Israel auf ganz Palästina erstreckt, hält es gegen Libanon nicht hoch; es hat sogar vor einiger Zeit im Zuge der Arrondierung von Besitzansprüchen in Bezug auf ein Gasfeld im Mittelmeer ein Seegrenzabkommen mit der Regierung des Libanon abgeschlossen, freilich ohne dass daraus der Beginn einer wunderbaren Staatenfreundschaft oder auch nur offizieller diplomatischer Beziehungen geworden wäre. Die gegenüber der Hamas zum Vernichtungsvorhaben gediehene Linie totaler Nichtanerkennung macht es nur gegenüber der Hisbollah geltend. Doch was heißt da schon ‚nur‘? Denn die Hisbollah ist inzwischen integraler Bestandteil der formell in Ämtern organisierten, periodisch auch gewählten staatlichen Herrschaft, zugleich stärkste Kraft innerhalb des andauernden Machtkampfes, der sich um den Zugriff auf die paar verbliebenen regulären wie die nicht so regulären Pfründen dreht, sowie Vertreter der größten libanesischen Volksgruppe – der Schiiten –, die die Hisbollah als ihre spezielle Machtbasis auch sozial betreut. Damit hat sie so viel Erfolg erzielt, dass sie auch in militärischer Hinsicht die wichtigste, von ihren innerlibanesischen Rivalen immer wieder angefeindete, aber praktisch nicht zu besiegende, geschweige denn zu beseitigende Macht im Libanon darstellt. Auf dieser Basis hat sie sich sowohl Bündnispartner innerhalb der politischen Eliten verschafft, deren Klientel andere Volksgruppen sind, als auch eine Popularität in der libanesischen Bevölkerung, die über den Kreis der Schiiten hinausgeht. Mit eigenen und iranischen Geldern hat es die Hisbollah zu einer gegen Israel gerichteten Aufrüstung gebracht, die der eines veritablen Staates zumindest nahekommt und deren antiisraelisch wirksames Rückgrat in einem beachtlichen Arsenal an Raketen unterschiedlicher Bauweise und Reichweite sowie Drohnen besteht. Diesen Gegner nimmt sich Israel nun nach einem Muster vor, als ob es bei ihm lediglich um eine etwas zu groß geratene Terrorbande ginge, deren rechtzeitige und gründliche Liquidierung die dafür eigentlich zuständigen Organe im Libanon ein bisschen zu lange versäumt hätten.
Israel trägt damit seine neue Entschlossenheit, sich mit keinem praktisch agierenden Gegner mehr zu arrangieren, aus der Sphäre seines territorial gegenüber allen anderen abgeschirmten Verhältnisses zu den im Zustand der Staatenlosigkeit gefangen gehaltenen Palästinensern in seine staatliche Nachbarschaft; und insofern ist dieselbe Linie in Bezug auf die Hisbollah etwas anderes und von einem exemplarischen Charakter eigener Art: Gegenüber der Hisbollah und an ihr kündigt Israel seine regionalpolitische Leitlinie der letzten Jahrzehnte. Die allen überlegene Militärgewalt Israels hat sämtliche arabischen Staaten der Region in den Zustand einer Abschreckung versetzt, mit dem die auf unterschiedliche Weise umgegangen sind: Manche haben sich in offiziellen Friedens- und Anerkennungsabkommen mit dem staatlichen Fremdkörper abgefunden, den Israel in der von ihnen als arabisch beanspruchten Region darstellt; andere haben sich zu einer Anerkennung nicht durchgerungen, aber sich praktisch jede Bekämpfung Israels abgeschminkt; wieder andere haben sich auf die mehr oder minder offene, mehr oder minder relevante Unterstützung nicht-staatlicher Palästinensergruppierungen verlegt, waren dabei immer weniger dazu aufgelegt, eine direkte Konfrontation mit Israel zu riskieren; und wieder anderen ist ihr antiisraelischer Elan dadurch abhandengekommen, dass sie sich in inneren Kriegen haben zerlegen lassen müssen... Diesen Zustand erfolgreicher Abschreckung aller staatlichen arabischen Gegner und Rivalen findet nun Israel selbst ungenügend. Anlässlich des auf den Libanon ausgeweiteten Gaza-Krieges behandelt es das bis dato hergestellte, gepflegte, durch gelegentliche Waffengänge erneuerte Ungleichgewicht des Schreckens im Nachhinein als Praxis einer nicht länger haltbaren strategischen Selbstbeschränkung.
Für die Hisbollah, von Netanjahu ausdrücklich als Beispiel für die neue Linie apostrophiert, 5) heißt das, dass sie sich aktuell auf eine Bekämpfung und auch perspektivisch auf ein Schicksal einzustellen hat, das dem in weiten Teilen ähnelt, was Israel für die Hamas und seine anderen Gegner aufs Programm gesetzt hat. Mit der Eliminierung der Führungsetagen und allen Personals, das von unten nach oben nachrückt, beschädigt Israel nicht nur die antiisraelische Kriegführungspotenz der Hisbollah, sondern räumt mit den politischen Führungskräften auch jeden potenziellen Ansprechpartner für irgendeine Kriegs- oder Waffenstillstandsdiplomatie ab; ihre Kämpfer werden gejagt, wo sie sich aus der Deckung trauen oder Israel sie in ihren Verstecken aufspürt, ihre Waffen- und Munitionsarsenale werden ausfindig gemacht und vernichtet, und auch ihre sonstige Infrastruktur wird Stück für Stück kaputt gemacht.
Damit verpasst Israel dem restlichen Libanon die Rolle eines gezielt und exemplarisch herbeigeführten staatlichen Kollateralschadens mehrdimensionalen Ausmaßes: Die Staatlichkeit wird Libanon nach wie vor nicht bestritten, sie wird ‚nur‘ unter die Bedingung gestellt, dass ihre Organe die Hisbollah, die ein Teil dieses Staates ist, so wirksam bekämpfen bzw. nach erfolgter Bekämpfung in Schach halten, dass Israel sich damit zufrieden geben will. Der Eindruck, dass Israel von der Kooperationsbereitschaft des libanesischen Staats abhängig