Gejagt - P.C. Cast - E-Book
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P.C. Cast

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Beschreibung

House of Night Gejagt Der 5. Band der großen Vampyr-Serie. Zoey ist wieder mit ihren Freunden vereint und Stevie Rae und die roten Jungvampyre sind nicht länger Neferets Geheimnis. Aber eine dunkle Gefahr bedroht die neue Ruhe. Kalona, Neferets neuer Liebhaber, sieht umwerfend aus und hat das gesamte House of Night in seinen Bann gezogen. Und niemand scheint zu bemerken, welche Bedrohung von ihm ausgeht. Der Schlüssel, den es braucht, um seinen immer stärker werdenden Einfluss zu brechen, liegt in der Vergangenheit. Aber was, wenn diese Vergangenheit Geheimnisse offenbart, die Zoey nicht wissen will, und Wahrheiten, denen sie sich nicht zu stellen traut?

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Seitenzahl: 554

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P.C. Cast | Kristin Cast

Gejagt

House of Night

Aus dem Amerikanischen von Christine Blum

Fischer e-books

Roman

Dieser Band ist John Maslin gewidmet – Exschüler, Rechercheassistent und Brainstormer sondergleichen. Ein in jeder Hinsicht großartiger Typ, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit unserem guten Damien aufweist … hmmm …

Danksagung

House of Night entsteht in Teamarbeit, und das nicht nur durch das Dynamische Duo P. C. & Kristin! Die Serie wird bei St. Martin’s Press von einer Gruppe phänomenaler Leute betreut, deren Kreativität nur noch von ihrer Großzügigkeit übertroffen wird. Kristin und ich möchten euch nochmals nachdrücklich sagen, wie sehr wir euch alle schätzen: Jennifer Weis, Anne Bensson, Matthew Shear, Anne Marie Tallberg, Brittany Kleinfelter, Katy Hershberger sowie unser wundervolles Cover-Design-Team Michael Storrings und Elsie Lyons. St. Martins Press, wir lieben euch!

Wie immer sind wir unserer Agentin und Freundin Meredith Bernstein zu tiefem Dank verpflichtet.

Wir möchten auch unseren vielen Fans danken, die die Serie so leidenschaftlich unterstützen und dafür sorgen, dass unsere Lesungen uns einen solchen Spaß machen. Ganz besonders danken wir den neunten Klassen der Will Rogers High School in Tulsa, Oklahoma, die GEZEICHNET als Lektüre im Englischunterricht durchgenommen haben und die zu besuchen uns riesigen Spaß gemacht hat!

Und wo wir schon bei coolen Schulen sind: Wir müssen unbedingt noch einer Gruppe langjähriger Fans danken – den Lehrern an den Jenks-Schulen in Oklahoma. Wir lieben euch! (Wir sehen uns bei der nächsten Autogrammstunde!)

Eins

Der Traum begann mit dem Geräusch von Flügelschlägen. Im Nachhinein denke ich, dass mir eigentlich hätte klar sein müssen, dass das ein schlechtes Zeichen war, wo doch die Rabenspötter frei in der Gegend herumflogen, aber in meinem Traum war es nur ein Hintergrundgeräusch, wie ein Ventilator oder ein Fernseher, in dem der Shoppingkanal lief.

In meinem Traum stand ich mitten auf einer wunderschönen Lichtung. Es war Nacht, aber dicht über den Bäumen, die die Lichtung säumten, schwebte ein riesiger Vollmond, der so hell strahlte, dass die Dinge Schatten warfen und alles aussah wie unter Wasser. Der Eindruck wurde noch verstärkt durch die sanfte Brise, in der das Gras spielerisch gegen meine nackten Beine blies wie weiche Wellen gegen einen Strand. Auch mein dichtes dunkles Haar wurde von der Brise aufgewirbelt und wogte um meine nackten Schultern wie Seide.

Nackte Beine? Nackte Schultern?

Ich sah an mir herunter und konnte ein kleines überraschtes Kieksen nicht unterdrücken. Ich trug ein superkurzes Minikleid aus Wildleder. Oben bestand es hauptsächlich aus einem tiefen V-Ausschnitt – vorn wie hinten –, der ganz schön viel nackte Haut sehen ließ. Ansonsten war das Kleid total abgefahren. Es war mit Fransen, Federn und Muscheln verziert und so weiß, dass es im Mondlicht zu leuchten schien. Und in das ganze Kleid waren komplizierte, unwahrscheinlich schöne Muster eingestickt.

Wow, hab ich eine geniale Phantasie!

Irgendwie erinnerte mich das Kleid an etwas, aber ich dachte nicht weiter darüber nach. Ich hatte keine Lust zum Nachdenken – ich träumte schließlich! Statt mir Gedanken über Déjà-vus zu machen, tanzte ich leichtfüßig über die Lichtung und fragte mich, ob gleich Zac Efron oder Johnny Depp auftauchen und schamlos mit mir flirten würden.

Während ich so dahinwirbelte und mich im Wind wiegte, ließ ich den Blick über die Lichtung wandern, und mir war, als sähe ich zwischen den dicken Baumstämmen seltsame Schatten herumhuschen. Ich hielt inne und kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, was da in der Dunkelheit vor sich ging. So wie ich mich und meine komischen Träume kannte, hingen da in den Zweigen womöglich so bizarre Früchte wie Colaflaschen, die nur darauf warteten, abgepflückt zu werden.

In diesem Moment erschien er.

Am Rand der Lichtung, gerade noch im Schatten der Bäume, tauchte eine Gestalt auf. Er fiel mir auf, weil das Mondlicht sich auf den weichen Konturen seiner nackten Haut fing.

Nackt?

Ich brach den Tanz ab. War meine Phantasie total übergeschnappt? Ich hatte nicht unbedingt vor, mit einem nackten Typen auf einer Wiese herumzuhüpfen, selbst wenn es der unglaublich mysteriöse Mr Johnny Depp sein sollte.

»Du zögerst, Geliebte?«

Beim Klang seiner Stimme durchlief mich ein Zittern, und durch die Baumkronen ging ein unterdrücktes, schauerlich spöttisches Gelächter.

»Wer bist du?« Ich war froh, dass in meiner Traumstimme nichts von meiner plötzlichen Angst zu hören war.

Sein Lachen war tief, so wohltönend wie seine Stimme und ebenso furchterregend. Es wurde von den Zweigen der Bäume, die uns still beobachteten, zurückgeworfen und trieb dann beinahe sichtbar zu mir herüber.

»Du gibst vor, mich nicht zu kennen?«

Als seine Stimme sanft über meinen Körper strich, stellten sich mir die Härchen auf den Armen auf.

»Klar kenn ich dich. Ich hab dich mir ausgedacht. Das hier ist mein Traum. Du bist eine Mischung aus Zac Efron und Johnny Depp.« Ich hielt inne und sah zu ihm hinüber. So ungezwungen ich sprach, mein Herz hämmerte wie verrückt, weil mir schon klar war, dass dieser Typ nichts mit den beiden Schauspielern gemein hatte. »Oder von mir aus Superman oder der Märchenprinz.« Fieberhaft klammerte ich mich an alles Mögliche, nur um der Wahrheit zu entkommen.

»Ich bin kein Gebilde deiner Vorstellungskraft. Du kennst mich. Deine Seele kennt mich.«

Ohne dass ich bewusst meine Beine bewegt hätte, wurde mein Körper auf ihn zugetrieben, als zöge mich seine Stimme an. Als ich ihn erreicht hatte, sah ich zu ihm auf … und auf …

Es war Kalona. Ich hatte es vom ersten Moment an gewusst. Ich hatte es mir nur nicht eingestehen wollen. Warum bitte sollte ich von Kalona träumen?

Ein Albtraum. Das musste ein Albtraum sein.

Er war nackt, aber sein Körper war irgendwie nicht ganz wirklich. Seine Gestalt waberte und changierte im Rhythmus der zarten Brise. Hinter ihm, in den nachtgrünen Schatten der Bäume, konnte ich die geisterhaften Silhouetten seiner Kinder, der Rabenspötter, sehen, die sich mit ihren menschlichen Händen und Füßen an den Ästen festklammerten und mich mit ihren menschlichen Augen in den Mutanten-Rabengesichtern anstarrten.

»Behauptest du immer noch, mich nicht zu kennen?«

Seine Augen waren pechschwarz, wie ein sternenloser Himmel. Sie waren das Wirklichste an ihm. Sie und seine samtene Stimme. Okay, es ist vielleicht ein Albtraum, aber es ist immer noch meiner. Ich kann einfach aufwachen! Ich will aufwachen! Aufwachen!

Aber ich wachte nicht auf. Es ging nicht. Nicht ich kontrollierte den Traum, sondern Kalona. Er hatte ihn erschaffen, diese dunkle Albtraumlichtung, hatte mich irgendwie hierhergebracht und die Tür zur Wirklichkeit hinter uns geschlossen.

»Was willst du?« Ich sprach schnell, damit er nicht hörte, wie meine Stimme zitterte.

»Du weißt, was ich will, Geliebte. Ich will dich.«

»Ich bin nicht deine Geliebte.«

»Oh doch, das bist du.« Und jetzt bewegte er sich, trat so nahe an mich heran, dass ich die Kälte spürte, die von seinem substanzlosen Körper ausging. »Meine A-ya.«

A-ya. Der Name, den die Weisen Frauen der Cherokee dem Mädchen gegeben hatten, das sie vor Jahrhunderten erschaffen hatten, um ihn in die Falle zu locken. Panik stieg in mir auf. »Ich bin nicht A-ya!«

»Du beherrschst die Elemente.« Seine Stimme war eine Liebkosung – abstoßend und berückend, schrecklich und wundervoll zugleich.

»Das sind Gaben meiner Göttin«, sagte ich.

»Schon einmal, vor langer Zeit, hast du die Elemente beherrscht. Du bist aus ihnen gemacht – eigens dazu erschaffen, mich zu lieben.« Seine massiven schwarzen Schwingen erzitterten und entfalteten sich. Mit einem weichen Schwung nach vorn umschloss er mich in einer geisterhaften Umarmung seiner Flügel, die kälter war als Frost.

»Nein! Du verwechselst mich. Ich bin nicht A-ya.«

»Du irrst dich, Geliebte. Ich kann sie in dir spüren.«

Seine Flügel umschlangen meinen Körper, pressten mich gegen ihn. Obwohl seine physische Gestalt nur halbmateriell war, konnte ich ihn spüren. Seine Flügel waren weich und winterkalt gegen die Wärme meines Traum-Ichs. Sein Körper fühlte sich an wie eisiger Nebel. Meine Haut brannte, wo er mich berührte, mich durchzuckten Stromstöße, und in mir begann ein Verlangen zu schwelen, das ich nicht wollte und gegen das ich machtlos war.

Er lachte, ein verführerisches Lachen, in dem ich am liebsten versunken wäre. Ich beugte mich vor, schloss die Augen und keuchte hörbar auf, als die Kälte seines Geistes über meine Brüste strich und ein Feuerwerk von Emotionen entfachte, die schmerzhaft, aber betörend erotisch an alle möglichen Stellen meines Körpers schossen und mich willenlos machten.

»Du magst den Schmerz. Du empfindest Lust dabei.« Seine Flügel drängten mich noch dichter an ihn, sein Körper wurde immer fester und kälter, und der betörende Schmerz wuchs mit jeder Sekunde der unentrinnbaren Umarmung. »Ergib dich mir.« Mit seiner zunehmenden Erregung wurde seine wunderschöne Stimme unvorstellbar verführerisch. »Ich habe Jahrhunderte in deinen Armen verbracht. Diesmal werde ich die Kontrolle über unsere Vereinigung haben, und du wirst dich ganz der Lust hingeben können, die ich dir schenke. Wirf die Fesseln deiner unnahbaren Göttin ab und komm zu mir. Sei meine wahrhaftige Geliebte – in Körper und Seele –, und ich werde dir die Welt zu Füßen legen!«

Die Bedeutung seiner Worte durchdrang den Nebel aus Schmerz und Lust, so wie Sonnenlicht den Tau der Nacht verdampfen lässt. Ich fand meinen Willen wieder und befreite mich aus der Umklammerung seiner Flügel. Schwaden schwarzen Rauchs umzogen meinen Körper, umschlangen mich … berührten … streichelten mich …

Ich schüttelte mich wie eine wütende Katze, die in den Regen geraten ist. Die dunklen Schlieren glitten von mir ab. »Nein! Ich bin nicht deine Geliebte. Ich bin nicht A-ya. Und niemals werde ich Nyx den Rücken kehren!«

Kaum hatte ich Nyx’ Namen ausgesprochen, verschwand der Traum.

Zitternd und nach Atem ringend setzte ich mich kerzengerade im Bett auf. Stevie Rae neben mir schlief seelenruhig, aber Nala war hellwach. Ihr Fell war gesträubt, sie machte einen Buckel und grollte leise tief in der Kehle. Ihre Augen waren auf einen Punkt in der Luft über mir gerichtet.

»Himmel!«, keuchte ich, sprang aus dem Bett und drehte mich einmal um dreihundertsechzig Grad in der Erwartung, dass Kalona wie eine gigantische Mischung aus Fledermaus und Vogel über mir hing.

Aber da war nichts. Rein gar nichts.

Ich hob Nala auf und setzte mich aufs Bett. Mit bebenden Händen streichelte ich sie mechanisch, wieder und wieder. »War nur ein Albtraum … nur ein Albtraum … nur ein Albtraum«, sagte ich zu ihr, aber ich wusste, dass das nicht stimmte.

Kalona war echt, und irgendwie war er in der Lage, in meinen Träumen zu mir zu kommen.

Zwei

Okay, und wenn sich Kalona in deine Träume schleichen kann, jetzt bist du wach, also reiß dich zusammen!, befahl ich mir streng, während ich Nala streichelte und mich ihr vertrautes Schnurren allmählich beruhigte. Stevie Rae regte sich leicht im Schlaf und murmelte etwas Unverständliches. Dann lächelte sie – noch immer schlafend – und seufzte. Ich sah zu ihr hinüber, froh, dass sie mehr Glück mit ihren Träumen hatte als ich.

Sanft zog ich die Decke zurück, unter der sie sich zusammengekuschelt hatte, und stieß einen lautlosen Seufzer der Erleichterung aus, als ich sah, dass durch den Verband über der schrecklichen Wunde, wo sie von einem Pfeil durchbohrt worden war, kein Blut mehr sickerte.

Sie bewegte sich wieder. Diesmal flatterten ihre Augenlider und öffneten sich. Einen Augenblick lang sah sie verwirrt aus, dann lächelte sie mich schläfrig an.

»Wie geht’s?«, fragte ich.

»Ganz okay«, sagte sie matt. »Mach dir nich so viele Sorgen.«

Ich erwiderte das Lächeln. »Das ist gar nicht so leicht, wenn die beste Freundin andauernd stirbt.«

»Diesmal bin ich nich gestorben. Nur fast.«

»Ich soll dir von meinen Nerven ausrichten, dass für sie das Wörtchen ›fast‹ keinen großen Unterschied macht.«

»Sag deinen Nerven, sie sollen die Klappe halten und schlafen gehen.« Stevie Rae schloss die Augen und zog die Decke wieder hoch. »Ich bin okay«, wiederholte sie. »Wird schon alles wieder.« Und ihre Atemzüge wurden tiefer, und ich schwör’s – bevor ich einmal blinzeln konnte, war sie wieder eingeschlafen.

Ich verbiss mir einen tiefen Seufzer, rutschte zurück auf meine Seite des Bettes und versuchte eine bequeme Lage zu finden. Nala kuschelte sich zwischen Stevie Rae und mich und gab dieses missmutige Mi-ief-au von sich, von dem ich wusste, dass sie damit sagen wollte, ich solle mich entspannen und einschlafen.

Einschlafen? Und womöglich wieder träumen? Oh nee, bloß nicht.

Stattdessen horchte ich auf Stevie Raes Atemzüge und streichelte gedankenverloren Nala. Es war so wahnsinnig seltsam, wie normal alles wirkte, hier in der kleinen Seifenblase aus Frieden, die wir uns geschaffen hatten. Während ich die schlafende Stevie Rae betrachtete, konnte ich kaum glauben, dass noch vor ein paar Stunden ein Pfeil ihre Brust durchbohrt hatte und wir in wilder Flucht das House of Night verlassen hatten, während die Welt um uns in Chaos versank. Während ich mit dem Widerwillen kämpfte, wieder einzuschlafen, wanderten meine erschöpften Gedanken zurück, und ich durchlebte noch einmal die Ereignisse dieser Nacht. Und ich wunderte mich wieder, dass es uns allen überhaupt gelungen war, am Leben zu bleiben …

 

Ich erinnerte mich daran, wie Stevie Rae mich um einen Stift und Papier gebeten hatte, weil sie, absurderweise, den Augenblick nutzen wollte, um eine Liste der Sachen zu machen, die wir noch in den Tunneln brauchten, um genug Vorräte und Ausrüstung zu haben, falls wir uns hier eine Weile verstecken mussten.

Sie hatte mich mit total ruhiger Stimme darum gebeten, während sie mit dem Pfeil in der Brust vor mir saß. Ich weiß noch, wie ich sie anschaute und mir bei dem Anblick wirklich übel wurde und wie ich dann wegschaute und sagte: »Stevie Rae, ich weiß nicht, ob das der richtige Zeitpunkt ist, um Listen zu machen.«

»Autsch! Jesses, das tut ja schlimmer weh, als wenn man in ’ne Distel tritt!« Stevie Rae sog die Luft ein und kniff die Augen zusammen, schaffte es aber trotzdem, über die Schulter Darius ein Lächeln zuzuwerfen, der ihre Bluse auf der Rückseite auseinandergerissen hatte, um an den Pfeil heranzukommen, der mitten aus ihrem Rücken ragte. »Sorry, ist nich deine Schuld, dass es weh tut. Wie heißt du noch mal?«

»Mein Name ist Darius, Priesterin.«

»Er ist ein Sohn des Erebos«, hatte Aphrodite hinzugefügt und ihm ein erstaunlich sanftes Lächeln geschenkt. Ich sage deshalb ›erstaunlich sanft‹, weil Aphrodite normalerweise so egoistisch, boshaft und hochnäsig ist, dass es schon fast nicht mehr zu ertragen ist, obwohl ich langsam anfange, sie zu mögen. Sprich, sie ist alles andere als sanft, aber es wurde immer offensichtlicher, dass das mit Darius ihr wirklich ernst war, daher ihre unübliche Sanftheit.

»Also bitte. Dass er ein Krieger ist, sieht man doch sofort. Er ist gebaut wie ein Berg«, hatte Shaunee mit einem genüsslichen Blick auf Darius gesagt.

»Ein total scharfer Berg«, hatte Erin ergänzt und Darius einen Luftkuss zugeworfen.

»Er ist vergeben. Vergnügt euch miteinander, siamesischer Doppelwhopper«, zischte Aphrodite automatisch, aber mir war es vorgekommen, als sei diese Beleidigung nicht aus vollem Herzen gekommen. Jetzt, da ich wieder darüber nachdachte, fand ich, dass sie fast nett geklungen hatte.

Ach, übrigens sind Erin und Shaunee überhaupt keine Zwillinge – jedenfalls keine biologischen. Erin ist blond, blauäugig und kommt aus Oklahoma, und Shaunee ist eine karamellfarbene Jamaika-Amerikanerin aus Neuengland. Aber die Genetik ist bei ihnen außer Kraft gesetzt worden. Es ist, als seien sie bei der Geburt getrennt worden und hätten sich durch irgendeinen ganz besonderen Seelenzwillings-Radar wiedergefunden.

»Oh, yeah, danke, dass du uns daran erinnerst, dass unsere Freunde nicht hier sind«, sagte Shaunee.

»Sondern wahrscheinlich gerade von diesen abartigen Vogelmenschen gefressen werden«, fügte Erin hinzu.

»Hey, Kopf hoch. Zoeys Grandma hat nie gesagt, dass die Rabenspötter die Leute tatsächlich fressen. Sie meinte, sie würden sie nur mit ihren Megaschnäbeln packen und so lange gegen eine Wand oder sonstwas schleudern, bis sie ihnen sämtliche Knochen gebrochen haben«, sagte Aphrodite mit unbekümmertem Lächeln.

»Äh, Aphrodite, ich glaub nicht, dass uns das gerade viel hilft«, sagte ich – obwohl sie recht hatte. Ja, so grausig es klang, womöglich hatten sowohl sie als auch die Zwillinge recht. Ich wollte nicht zu lange darüber nachdenken, also wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder meiner verletzten besten Freundin zu. Sie sah absolut erschreckend aus – bleich, blutüberströmt und mit Schweißperlen auf der Stirn. »Stevie Rae, glaubst du nicht, wir sollten dich in ein  …«

»Ich hab’s! Ich hab’s!« Es war Jack, der in den kleinen Seitentunnel gestürmt kam, den sich Stevie Rae als Zimmer eingerichtet hatte, dicht gefolgt von der cremefarbenen Labradorhündin, die den Jungen fast nie aus den Augen ließ. Mit hochrotem Gesicht schwenkte er etwas, was aussah wie eine weiße Brieftasche und worauf ein großes rotes Kreuz prangte. »War genau da, wo du gesagt hast, Stevie Rae, in dieser Art Küchentunnel.«

»Und sobald ich wieder bei Puste bin, erzähle ich euch, wie erfreut ich war, als ich die funktionierenden Kühlschränke und Mikrowellen gesehen hab«, sagte Damien, der schwer atmend hinter Jack hereinkam, die Hand dramatisch in die Seite gepresst. »Du musst mir unbedingt erklären, wie ihr das alles hier runterbekommen habt, inklusive des Stromanschlusses.« In diesem Moment bemerkte er Stevie Raes blutige Bluse und den Pfeil, der ihr aus dem Rücken ragte, und seine geröteten Wangen wurden käseweiß. »Ich meine, erklär’s mir, wenn du wieder ganz bist und nicht mehr en brochette.«

»Brosche was?«, fragte Shaunee.

»Brikett wo?«, fragte Erin.

»Das heißt ›am Spieß‹ auf Französisch. Haute Cuisine. Dass die Welt Mord ruft und des Krieges Vögel entfesselt wurden«, er hob die Brauen, ganz offensichtlich in der Erwartung, die Zwillinge würden sein absichtlich geändertes Shakespeare-Zitat erkennen, was ebenso offensichtlich nicht der Fall war, »ist keine Entschuldigung für einen miserablen Sprachschatz.« Dann sah er Darius an. »Oh, das hier habe ich in einem nicht sonderlich hygienischen Haufen von Werkzeugen gefunden.« Er hielt etwas hoch, was aussah wie eine Riesenschere.

»Gut. Gebt mir die Drahtschere und das Erste-Hilfe-Set«, sagte Darius sehr geschäftsmäßig.

»Was hast du mit der Drahtschere vor?«, fragte Jack.

»Ich schneide das gefiederte Ende des Pfeils ab, damit ich den Rest durch den Körper der Priesterin ziehen kann. Dann kann es anfangen zu heilen«, gab Darius schlicht zurück.

Jack keuchte auf und stolperte rückwärts gegen Damien, der den Arm um ihn legte. Duchess, die völlig auf Jack fixiert war, seit ihr früherer Besitzer, ein Jungvampyr namens James Stark, gestorben und dann entstorben war und jetzt den Pfeil durch Stevie Rae geschossen hatte, was zu einem finsteren Plan gehörte, um Kalona, einen fiesen gefallenen Engel, zu befreien (ja, im Nachhinein wird mir klar, wie kompliziert und wirr das klingt, aber das scheint bei finsteren Plänen meistens so zu sein), winselte und schmiegte sich an sein Bein.

Oh, und Jack und Damien sind zusammen. Was bedeutet, sie sind schwul. Ja, so was gibt’s. Öfter, als man denkt. Oder nein, besser gesagt: öfter, als Eltern denken.

»Damien, Jack, vielleicht könntet ihr zurück in diese Küche gehen, die ihr gefunden habt, und schauen, ob ihr was zu essen für uns findet«, sagte ich, bemüht, ihnen etwas zu tun zu geben, damit sie nicht Stevie Rae anstarren mussten. »Wahrscheinlich wäre es für uns alle gut, wenn wir was essen würden.«

»Für mich nich. Mir käm jetzt alles wieder hoch. Außer, es wär Blut«, sagte Stevie Rae und wollte entschuldigend mit den Schultern zucken, brach die Bewegung aber mit einem Keuchen ab und wurde noch weißer, als sie ohnehin schon war.

»Ja, ich bin auch nicht wirklich hungrig«, sagte Shaunee, die mit der gleichen Faszination, mit der Leute bei Autounfällen gaffen, den Pfeil in Stevie Raes Brust anstarrte.

»Ich auch nicht«, sagte Erin. Sie sah überallhin, nur nicht auf Stevie Rae.

Ich öffnete den Mund, um zu sagen, dass es mir total egal war, ob sie hungrig waren oder nicht, sondern nur wollte, dass sie was zu tun hatten und eine Weile von Stevie Rae wegblieben, da kam Erik Night hereingeeilt. »Hab’s gefunden.« Er hielt einen uralten, wahrlich gigantischen Ghettoblaster in der Hand, so richtig original aus den Achtzigern. Ohne Stevie Rae anzuschauen, stellte er ihn auf den Tisch neben ihr und Darius und begann an den riesigen, pseudosilbernen Knöpfen herumzudrehen, wobei er was von wegen ›hoffentlich ist hier unten irgendein Empfang‹ vor sich hin murmelte.

»Wo ist Venus?«, fragte Stevie Rae ihn. Sie hatte beim Sprechen sichtlich Schmerzen, und ihre Stimme zitterte jetzt.

Erik warf einen Blick zurück auf den runden Eingang, der statt von einer Tür ersatzweise von einem Vorhang verschlossen wurde. »Sie war gleich hinter mir. Ich dachte, sie wollte auch reinkommen und …« Da sah er doch Stevie Rae an, und die Worte blieben ihm im Mund stecken. »Oh Mann, das muss echt weh tun«, sagte er leise. »Du siehst nicht gut aus, Stevie Rae.«

Sie versuchte vergebens, ihn anzulächeln. »Hab mich schon besser gefühlt. Bin froh, dass Venus dir den Ghettoblaster gegeben hat. Manchmal kriegen wir hier unten sogar ein, zwei Radiosender.«

»Ja, das hat Venus auch gesagt«, sagte er nicht besonders fest. Seine Augen starrten immer noch auf den Pfeil in Stevie Raes Rücken.

Bei aller Sorge um Stevie Rae musste ich jetzt an die abwesende Venus denken, und ich versuchte mich daran zu erinnern, wie sie eigentlich aussah. Als ich die roten Jungvampyre zum letzten Mal hatte richtig sehen können, waren sie noch nicht ›rot‹ gewesen, das heißt, der halbmondförmige Umriss auf ihrer Stirn war noch saphirfarben gewesen wie bei allen Jungvampyren, wenn sie Gezeichnet werden. Aber diese Jungvampyre waren gestorben. Und entstorben. Und waren zu durchgeknallten blutsaugenden Monstern geworden. Bis Stevie eine Art Wandlung durchgemacht hatte. Irgendwie hatte sich Aphrodites Menschlichkeit (wer hätte vermutet, dass sie so was überhaupt besaß?) mit der Macht der fünf Elemente (die ich alle beherrschen kann) vermischt – und voilà! Stevie Rae hatte ihre Menschlichkeit zurückbekommen, zusammen mit dem wunderschönen Tattoo einer ausgereiften Vampyrin, einem Muster aus Weinranken und Blumen, das ihr Gesicht umrahmte. Aber statt dunkelblau war es rot. Wie frisches Blut. Und als das mit Stevie Rae passierte, waren auch die Tattoos der anderen Jungvampyre rot geworden. Und sie hatten ihre Menschlichkeit zurückbekommen – theoretisch. Ich war seit Stevie Raes Wandlung aber noch nicht lange genug mit ihr oder den anderen zusammen gewesen, um sicher zu sein, dass mit ihnen auch wirklich alles wieder stimmte. Oh, und Aphrodites Mal war verschwunden. Komplett. Sie ist also theoretisch wieder ein Mensch, wobei ihre Visionen alles andere als verschwunden waren.

Also, das erklärt jedenfalls, warum Venus das letzte Mal, als ich ihr begegnet war, eher unappetitlich ausgesehen hatte, weil sie ziemlich eklig untot gewesen war. Aber jetzt war mit ihr wieder alles in Ordnung – oder wenigstens einigermaßen –, und ich wusste, dass sie vor ihrem Tod (und Untod) dick mit Aphrodite befreundet gewesen war. Was bedeutete, sie musste umwerfend aussehen, weil Aphrodite nichts von hässlichen Freundinnen hielt.

Okay, bevor ich klinge wie die Ober-Eifersuchtszicke, sollte ich vielleicht erklären: Erik Night ist ein atemberaubend toll aussehender Superman-Clark-Kent-Typ, und um mit dem Superman-Vergleich weiterzumachen, er ist unglaublich begabt und ein wahnsinnig netter Kerl – äh, Vampyr (seit kurzem). Außerdem ist er mein Freund. Äh, Exfreund (auch seit kurzem). Leider bedeutet das, dass ich nicht anders kann, als maßlos eifersüchtig auf jede (sogar komische rote) Jungvampyrin zu sein, für die er sich zu stark (sprich: überhaupt irgendwie) interessiert.

Zum Glück machte Darius’ geschäftsmäßige Stimme meinem inneren Monolog ein Ende. »Das Radio kann warten. Im Moment ist es wichtiger, dass wir uns um Stevie Rae kümmern. Wenn ich hier fertig bin, wird sie ein sauberes Hemd und Blut brauchen«, sagte er, während er das Erste-Hilfe-Set auf Stevie Raes Nachttisch legte, öffnete und entschlossen Watte, Alkohol und irgendwelche furchterregenden Utensilien herauszog.

Das brachte sofort alle zum Verstummen.

Stevie Rae lächelte uns allen tapfer zu. »Ihr wisst, dass ich euch wahnsinnig liebhab?« Meine Freunde und ich nickten steif. »Okay, dann versteht ihr mich hoffentlich nich falsch, wenn ich euch alle außer Zoey bitte, rauszugehen und was anderes zu machen, während Darius mir den Pfeil da rauszieht.«

»Alle außer mir? Neinneinnein, warum willst du, dass gerade ich dableibe?«

Ich sah ein Lächeln in Stevie Raes gepeinigten Augen aufblitzen. »Weil du unsere Hohepriesterin bist, Z. Du musst dableiben und Darius helfen. Außerdem hast du mich schon mal sterben sehen. Schlimmer kann das hier ganz bestimmt nich werden.« Dann stockte sie, und ihre Augen weiteten sich, als sie die Handflächen meiner immer noch trottelig-abwehrend ausgestreckten Hände sah. »Verdammt, Z, schau dir mal deine Hände an!«

Ich drehte meine Handflächen zu mir, um zu sehen, was sie meinte, und spürte, wie sich auch meine Augen weiteten. Über meine Handflächen breiteten sich Tattoos aus – genau das gleiche verschlungene, wunderschöne Spitzenmuster, das mein Gesicht und meinen Hals zierte und sich zu beiden Seiten meiner Wirbelsäule bis um meine Taille zog. Wie hatte ich das vergessen können? Auf der Flucht, schon fast in den Tunneln, hatte ich gespürt, wie das vertraute Glühen über meine Handflächen zog. Ich hatte erkannt, was es bedeutete. Meine Göttin Nyx, die Personifikation der Nacht, hatte mich wieder einmal als die Ihre Gezeichnet, hatte mich vor allen anderen Vampyren und Jungvampyren der Welt ausgezeichnet. Kein anderer Jungvampyr hatte ein ausgefülltes, erweitertes Mal. Das würde erst geschehen, nachdem der Jungvampyr die Wandlung hinter sich hatte. Dann färbte sich auch das Innere des Halbmondes auf seiner oder ihrer Stirn ein, und darum herum erschien ein einzigartiges, unverwechselbares Tattoo, von dem das Gesicht umrahmt wurde und das aller Welt deutlich zeigte, dass sie einen Vampyr vor sich hatte.

Mein Gesicht wies mich also als Vampyr aus, aber mein Körper sagte deutlich, dass ich noch ein Jungvampyr war. Und meine restlichen Tattoos? Also, die waren etwas, was es noch nie zuvor gegeben hatte – bei keinem Vampyr oder Jungvampyr, und ich war mir immer noch nicht hundertprozentig sicher, was es bedeutete.

»Wow, Z, die sind toll.« Das war Damien, der zögernd meine Handfläche berührte.

Ich blickte auf in seine sanften braunen Augen und suchte darin nach einem Hinweis, dass er mich plötzlich anders wahrnahm. Nach Anzeichen von Heldenverehrung oder Nervosität oder – noch schlimmer – Angst. Aber ich sah nur Damien, meinen Freund, und sein warmes Lächeln.

»Ich hab vorhin gespürt, wie es passierte, als wir hier runtergestiegen sind«, sagte ich. »Ich – ich hab’s total vergessen.«

»Typisch unsere Z«, sagte Jack. »Ich wüsste sonst keinen, der so ein Quasiwunder vergessen könnte.«

»Mehr als quasi«, verbesserte Shaunee.

»Aber ein Zoey-Wunder. Die passieren ja andauernd«, sagte Erin nüchtern.

»Klar. Mein Tattoo verkrümelt sich bei der ersten Gelegenheit, und sie wird damit zugepflastert.« Aber Aphrodites Lächeln milderte ihre Worte ab.

»Sie sind ein Zeichen der Gunst unserer Göttin und zeigen, dass du in der Tat auf dem Pfad wandelst, den sie für dich gewählt hat. Ja, du bist unsere Hohepriesterin«, sagte Darius feierlich. »Die Erwählte der Nyx. Und, Priesterin, für Stevie Rae brauche ich deine Hilfe.«

»Mist«, murmelte ich, biss mir auf die Lippe und ballte die Hände zu Fäusten, so dass meine erstaunlichen neuen Tattoos den Blicken entzogen wurden.

»Ach, scheiß drauf! Ich bleibe und helfe.« Aphrodite marschierte zu Stevie Rae, die auf ihrer Bettkante saß. »Solange es nicht mein Blut oder Schmerz ist, macht mir das nichts aus.«

»Ich gehe mit dem Ding hier mal näher an den Tunneleingang, da haben wir vielleicht besseren Empfang«, sagte Erik. Und ohne einen Blick auf mich zu werfen oder ein Wort über meine neuen Tattoos zu verlieren, verschwand er durch die Vorhangtür.

»Wisst ihr, was zu essen wäre vielleicht doch keine so schlechte Idee«, sagte Damien, nahm Jack an der Hand und machte sich ebenfalls auf den Weg zur Tür.

»Ja, wenn wir schon schwul sind, sind wir garantiert auch tolle Köche«, erklärte Jack.

»Wir gehen mit«, sagte Shaunee.

»Ja, weil wir nicht so überzeugt sind, dass Schwulsein auch Kochkunst garantiert«, bemerkte Erin. »Besser, wir haben ein Auge darauf.«

»Vergesst das Blut nicht«, sagte Darius. »Am besten gemischt mit Wein. Das braucht sie zur Genesung.«

»Einer von den Kühlschränken ist voll mit Blut«, sagte Stevie Rae und verzog wieder das Gesicht, als Darius begann, das getrocknete Blut um die Stelle herum, wo der Pfeil aus ihrem Rücken ragte, mit einem alkoholgetränkten Wattetupfer abzuwischen. »Dann sucht Venus. Sie mag Wein. Sie holt euch sicher welchen, wenn ihr erklärt, wofür.«

Die Zwillinge zögerten und sahen sich vielsagend an. Dann sprach Erin für beide. »Sag mal, sind die roten Kids wirklich okay, Stevie Rae? Ich meine, sie haben schließlich die zwei Union-Footballer getötet und Z’s menschlichen Freund entführt, oder?«

»Exfreund«, murmelte ich, aber keiner achtete darauf.

»Venus hat gerade Erik geholfen«, sagte Stevie Rae. »Und Aphrodite war zwei Tage lang hier und ist auch noch an einem Stück.«

»Ja, aber Erik ist ein gesunder, starker männlicher Vampyr. Den zu beißen ist bestimmt nicht leicht«, wandte Shaunee ein.

»Obwohl er echt lecker aussieht«, ergänzte Erin.

»Und wie, Zwilling.« Beide schenkten mir ein entschuldigendes Achselzucken, bevor Shaunee weitersprach. »Und so ’ne böse Zicke wie Aphrodite will sicher keiner beißen.«

»Aber so zarte Vanille-und-Schoko-Crossies wie wir führen doch das liebste, netteste blutsaugende Monster in Versuchung«, sagte Erin.

»Vanille-und-Schoko-Pussies«, sagte Aphrodite mit süßem Lächeln.

»Wenn ihr nich gleich aufhört zu streiten, beiß ich euch alle drei!«, schimpfte Stevie Rae, zuckte aber sofort wieder zusammen und verfiel in so eine Art Hecheln, als könnte sie vor Schmerz nicht mehr richtig atmen.

»Leute, euretwegen fügt sich Stevie Rae noch mehr Schmerzen zu, und ich krieg gleich Kopfschmerzen.« Ich sagte es ganz schnell, weil ich erschrocken bemerkte, wie Stevie Rae von Sekunde zu Sekunde schlechter aussah. »Stevie Rae sagt, die roten Jungvampyre sind okay. Und wir sind gerade gemeinsam mit ihnen aus der Hölle im House of Night entkommen, und keiner hat versucht, uns auf dem Weg hierher zu beißen. Also reißt euch zusammen und sucht Venus.«

»Z, das ist kein stichhaltiges Argument«, sagte Damien. »Wenn man um sein Leben rennt, hat man keine Zeit, andere Leute zu beißen.«

»Stevie Rae, ein für alle Mal – sind die roten Jungvampyre in Ordnung?«, fragte ich.

»Ich würd mich echt freuen, wenn ihr versuchen würdet, nett zu sein und mit ihnen klarzukommen«, sagte Stevie Rae. »Ist nich ihre Schuld, dass sie gestorben und entstorben sind, wisst ihr.«

»Also, seht ihr? Alles in Ordnung«, sagte ich. Erst später wurde mir klar, dass Stevie Rae meine Frage überhaupt nicht wirklich beantwortet hatte.

»Okay, aber wir nehmen Stevie Rae beim Wort«, sagte Shaunee.

»Ja, und wenn einer versucht, an uns zu knabbern, steht sie dafür gerade, wenn’s ihr bessergeht«, sagte Erin.

»Los jetzt. Blut und Wein. Machen, nicht reden«, sagte Darius barsch.

Alle verließen eilig den Raum, und zurück blieben außer mir nur Darius, Aphrodite und meine beste Freundin, derzeit en brochette.

Himmel!

Drei

»Ehrlich, Darius. Können wir das nicht anders machen? Also, krankenhausmäßiger. In einem Krankenhaus. Mit Ärzten und Wartezimmern, wo Freunde warten können, bis … bis …« Mit leicht panischer Geste deutete ich zu dem Pfeil hin, der Stevie Raes Körper durchbohrte. »Bis das hier erledigt ist.«

»Gewiss könnte man es anders machen, aber nicht unter diesen Bedingungen. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt, aber wenn du dir ein wenig Zeit nimmst und darüber nachdenkst, Priesterin, glaube ich nicht, dass du dafür wärst, dass auch nur einer von uns heute Nacht hinauf in eines der Krankenhäuser in der Stadt ginge.«

Ich kaute schweigend auf der Unterlippe. Mir war klar, dass er recht hatte, aber ich suchte immer noch fieberhaft nach einer weniger schrecklichen Alternative.

»Nee, ich geh da nich wieder rauf. Erstens sind da Kalona und seine total ekligen Vogelkinder, und zweitens darf ich nich da oben sein, wenn die Sonne aufgeht, und ich spür schon, dass es nich mehr lange bis zum Sonnenaufgang ist. Ich glaub nich, dass ich das überleben würde, wo’s mir sowieso schon so mies geht. Du musst da also durch, Z«, sagte Stevie Rae.

»Soll ich den Pfeil schieben, und du hältst sie fest?«, fragte Aphrodite.

»Nein. Zuschauen ist wahrscheinlich schlimmer als mit anpacken«, sagte ich.

»Ich versuch, nich laut zu schreien«, sagte Stevie Rae.

Und das war ernst gemeint. Bei den Worten hatte sich mein Herz verkrampft, genau wie jetzt, als ich daran zurückdachte. »Ach, Stevie Rae, schrei, so laut du musst. Ich schreie wahrscheinlich mit dir mit.« Ich sah Darius an. »Ich bin bereit. Sag, wann’s losgehen soll.«

»Zuerst schneide ich das gefiederte Ende ab, das ihr noch aus der Brust ragt. Du nimmst das hier«, er reichte mir einen alkoholgetränkten Tupfer, »und legst es über das abgeschnittene Ende. Sobald ich vorn einen guten Griff um den Pfeil habe, musst du drücken. Drück, so fest du kannst, während ich ziehe. Er müsste dann eigentlich recht leicht herauskommen.«

»Aber es wird ’n bisschen weh tun?«, fragte Stevie Rae mit schwacher Stimme.

Darius legte ihr seine große Hand auf die Schulter. »Es wird nicht nur ein bisschen weh tun, Priesterin.«

»Deshalb bin ich da«, sagte Aphrodite. »Ich halte dich fest, damit du nicht vor Schmerzen um dich schlägst und zappelst und Darius’ Plan vermasselst.« Sie zögerte und fügte hinzu: »Aber nur dass du’s weißt: wenn du vor Schmerz durchdrehst und mich noch mal beißt, dann setzt’s was.«

»Ich beiß dich ganz bestimmt nicht noch mal, Aphrodite«, sagte Stevie Rae.

»Los, bringen wir’s hinter uns«, bat ich.

Bevor Darius Stevie Rae vom kläglichen Rest ihrer Bluse befreite, warnte er: »Ich muss dich entblößen, Priesterin.«

»Ja, das hab ich mir schon gedacht, als du hinten damit angefangen hast. Du bist ja so ’ne Art Arzt, oder?«

»Alle Söhne des Erebos sind medizinisch geschult, damit wir die Wunden unserer Brüder versorgen können.« Sein strenger Gesichtsausdruck verwandelte sich für einen Augenblick in ein Lächeln. »Ja, du kannst mich als eine Art Wundarzt betrachten.«

»Dann isses okay, wenn du meinen Busen siehst. Als Arzt lernt man ja, auf so was nich zu achten.«

»Na, so gründlich sollte er’s nicht gelernt haben«, murmelte Aphrodite.

Darius zwinkerte ihr flüchtig zu. Ich machte ein demonstratives Würgegeräusch, woraufhin Stevie Rae kichern musste und im nächsten Moment vor Schmerz aufkeuchte. Sie versuchte, mir beruhigend zuzulächeln, aber sie war viel zu bleich und zittrig, als dass das überzeugend rübergekommen wäre.

Ungefähr in dem Moment fing ich an, mir wirklich Sorgen zu machen. Als der tote untote Stark im House of Night auf Neferets blöden Befehl hin auf Stevie Rae geschossen hatte, hatte sie mit atemberaubender Geschwindigkeit so viel Blut verloren, dass es so ausgesehen hatte, als würde der Boden um sie herum bluten, womit sich die blöde Prophezeiung erfüllt hatte, durch die der blöde gefallene Engel Kalona aus seiner abermillionenjährigen Gefangenschaft unter der Erde befreit worden war. Stevie Rae sah aus, als wäre all ihr Blut dort auf dem Rasen geblieben, und bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie zwar echt gut durchgehalten, hatte geredet, war bei Bewusstsein gewesen und hatte sich sogar noch teilweise selbst auf den Beinen gehalten, aber jetzt verfiel sie vor unseren Augen zunehmend zu einem weißen Nichts.

Da ließ mich Darius’ Frage zusammenzucken. »Kann es losgehen, Zoey?«

Vor Furcht klapperten mir die Zähne, und ich war kaum in der Lage, ein »J-ja« zu stottern.

»Stevie Rae?«, fragte er sanft. »Bist du bereit?«

»Ich würd sagen, bereiter geht nich. Aber ich sag euch, so ’n Mist braucht mir nich noch mal zu passieren.«

Darius’ Blick ging weiter. »Aphrodite?«

Aphrodite kniete sich vor Stevie Rae hin und packte fest deren Unterarme. »Versuch nicht, zu wild um dich zu schlagen.«

»Mach ich.«

»Auf drei«, sagte Darius und hielt die geöffnete Drahtschere dicht an das gefiederte Ende des Pfeils. »Eins … zwei … drei!«

Dann ging alles sehr schnell. Er zwickte das Ende des Pfeils ab wie einen dünnen Ast. »Tupfer drauf!«, kommandierte er barsch, und ich hielt den Wattebausch über das ein, zwei Zentimeter lange Pfeilende, das noch genau zwischen Stevie Raes Brüsten vorn aus ihrem Körper ragte, während er sich hinter sie kniete. Stevie Rae hatte die Augen fest zugekniffen. Ihr Atem kam wieder in schnellen hechelnden Stößen, und Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn.

»Wieder auf drei. Diesmal drückst du auf das Pfeilende«, sagte Darius. Da hätte ich am liebsten alles abgebrochen und geschrien: Nein, lasst sie uns einfach nur in eine Decke wickeln und es doch mit einem Krankenhaus versuchen, aber Darius hatte schon angefangen zu zählen. »Eins … zwei … drei!«

Und ich drückte auf das harte, gekürzte Ende des Pfeils, während Darius Gegendruck auf Stevie Raes Schulter ausübte und gleichzeitig den Pfeil mit einem schnellen, grässlich klingenden Ruck herauszog.

Oh ja, Stevie Rae schrie. Und ich auch. Und Aphrodite auch. Und dann erschlaffte Stevie Rae in meinen Armen.

»Press die Watte weiter auf die Wunde!« Rasch und sorgfältig reinigte Darius das freigelegte Loch in Stevie Raes Rücken.

Ich weiß noch, wie ich wieder und wieder sagte: »Ist gut. Ist gut. Er ist jetzt draußen. Alles überstanden …«

Ich erinnere mich, dass Aphrodite und ich beide in Tränen aufgelöst waren. Stevie Raes Kopf war gegen meine Schulter gesunken, und ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ich spürte Feuchtigkeit durch mein T-Shirt sickern. Als Darius sie behutsam anhob und aufs Bett legte, damit er die Eintrittswunde versorgen konnte, durchfuhr mich ein entsetzlicher Schock.

Ich hatte noch nie in meinem Leben jemanden gesehen, der so bleich war wie Stevie Rae – oder besser: jemanden, der so bleich war und noch lebte. Ihre Augen waren fest zugepresst, aber auf ihren Wangen zeichneten sich die Spuren rötlicher Tränen ab. Das schwache Rosa stand in krassem Gegensatz zu ihrer fast durchsichtigen, farblosen Haut.

»Stevie Rae? Alles okay?« Ich sah, wie ihre Brust sich hob und senkte, aber sie öffnete die Augen nicht und zeigte auch sonst keine Reaktion.

Dann kamen geflüsterte Worte, mit langen Pausen dazwischen. »Bin … noch … da. Aber … irgendwie … schweb … ich … auch … da … oben …«

»Sie blutet nicht«, sagte Aphrodite sehr leise.

»In ihrem Körper ist nicht mehr genug Blut«, sagte Darius, während er ihr eine Kompresse über die Wunde klebte.

»Der Pfeil hat sie nur zum Bluten gebracht«, sagte ich. »Das Herz wurde nicht getroffen.«

»Wir können wirklich von Glück sagen, dass der Junge sein Ziel verfehlt hat«, sagte Darius.

Seine Worte schwirrten mir im Kopf herum und ließen mich nicht mehr los. Denn ich wusste, was sonst niemand wusste: Stark konnte sein Ziel nicht verfehlen. Nyx hatte ihm die Gabe verliehen, immer genau das zu treffen, was er zu treffen beabsichtigte, so schreckliche Konsequenzen das manchmal hatte. Und mir hatte unsere Göttin selbst gesagt, dass sie eine einmal verliehene Gabe nie zurückzog. Also hätte Stark, auch nachdem er gestorben und als mutierte Monsterversion seiner selbst zurückgekehrt war, Stevie Rae ganz sicher ins Herz getroffen, wenn es seine Absicht gewesen wäre, sie zu töten. Hieß das etwa, es war doch mehr von seiner Menschlichkeit übrig, als ich geglaubt hatte? Er hatte mich beim Namen gerufen; er hatte mich wiedererkannt. Ich erzitterte bei der Erinnerung daran, wie es zwischen uns gefunkt hatte, nur Minuten bevor er gestorben war.

»Priesterin? Hast du mich nicht gehört?« Beide, Darius und Aphrodite, starrten mich an.

»Oh, sorry. Sorry. Ich war nur in Gedanken, weil …« Aber in diesem Augenblick hatte ich ihnen nicht erzählen wollen, dass ich an den Typen dachte, der fast meine beste Freundin getötet hatte. Ich hätte es auch jetzt nicht gewollt.

»Priesterin, ich sagte gerade: Wenn Stevie Rae nicht sehr bald Blut bekommt, könnte diese Wunde, wiewohl sie ihr Herz verfehlt hat, doch ihren Tod bedeuten.« Kopfschüttelnd betrachtete der Krieger Stevie Rae. »Jedoch bin ich mir keinesfalls sicher, ob sie genesen wird. Sie ist ein neuer Vampyrtypus, und ich weiß nicht, wie ihr Körper reagiert, aber wenn sie einer meiner Brüder wäre, so wäre ich zutiefst besorgt.«

Ich hatte tief eingeatmet und dann gesagt: »Okay. Vergesst die Zwillinge und ihren Blut-auf-Rädern-Service. Beiß mich«, wandte ich mich an Stevie Rae.

Ihre Lider öffneten sich flatternd, und irgendwie brachte sie ein geisterhaftes Lächeln zustande. »Menschenblut, Z«, hauchte sie. Und ihre Augen schlossen sich wieder.

»Da hat sie vermutlich recht«, sagte Darius. »Menschenblut hat stets eine weit stärkere Wirkung auf uns als das Blut von Jungvampyren oder selbst von Vampyren.«

»Na gut, dann geh ich die Zwillinge suchen«, erklärte ich, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wo ich anfangen sollte.

»Noch besser als eine dieser gehaltlosen Konserven wäre frisches Blut.«

Er hatte Aphrodite nicht einen Moment angeschaut, aber die Botschaft kam rüber. »Verdammt noch mal! Ich soll sie mich beißen lassen? Schon wieder!«

Ich blinzelte, unsicher, was ich sagen sollte. Zum Glück kam mir Darius zu Hilfe. »Frage dich, was deine Göttin dir raten würde.«

»Shit! Warum wollte ich eigentlich bei den Guten sein? Das ist echt beschissen.« Sie seufzte, stand auf, schob den Ärmel ihres schwarzen Samtkleides zurück und hielt Stevie Rae ihr Handgelenk vor die Nase. »Na gut. Beiß mich. Aber jetzt hab ich echt einen gut bei dir. Doppelt und dreifach. Und frag mich nicht, warum ich ständig diejenige bin, die dir das Leben rettet. Ich meine, du bist nicht mal –« Mit einem kleinen Yieks! brach sie ab.

Was dann passierte, beunruhigt mich noch jetzt. Kaum hatte Stevie Rae Aphrodites Arm gepackt, als sich ihr gesamter Gesichtsausdruck veränderte. Von einem Moment zum nächsten verwandelte sich meine süße ABF in ein fremdes, wildes Wesen. Ihre Augen glühten scheußlich dunkelrot auf, und mit einem furchterregenden Fauchen biss sie kräftig in Aphrodites Handgelenk.

Und dann ging Aphrodites Yieks in ein unheimliches sinnliches Stöhnen über, und ihre Augen schlossen sich, während Stevie Rae mühelos mit den Zähnen ihre Haut durchbrach und sich an ihr festsaugte. Gierig wie ein Raubtier trank meine beste Freundin in großen Zügen das heiß strömende Blut.

Okay, also. Es war eklig und verstörend, aber trotz allem auch seltsam erotisch. Ich wusste, dass es sich gut anfühlte – so war das bei Vampyren grundsätzlich. Selbst wenn es nur ein Jungvampyr war, der zubiss, führte das bei beiden – dem Gebissenen (dem Menschen) und dem Beißenden (dem Jungvampyr) zu einem intensiven sexuellen Lustgefühl. Das gehörte eben zu unserer Überlebensstrategie. Die ganzen alten Sagen darüber, wie Vampyre ihre Opfer brutal überwältigen und ihnen die Kehle aufreißen, sind ziemlicher Schwachsinn – na gut, außer jemand geht einem Vampyr so richtig auf den Keks. Und selbst dann, mit aufgerissener Kehle, hätte der Gebissene wahrscheinlich noch Spaß daran gehabt.

Jedenfalls sind wir halt so. Und so, wie die Szene zwischen Stevie Rae und Aphrodite aussah, schienen auch die roten Vampyre definitiv das Lust-Gen zu besitzen. Ich meine, Aphrodite hatte sich sogar aufreizend an Darius gekuschelt, der den Arm um sie legte und, während Stevie Rae weitersaugte, sich vorbeugte, um sie zu küssen.

Huh, der Kuss zwischen den beiden knisterte so, dass ich fast die Funken sprühen sah. Darius gab acht, dass seine Umarmung nicht Stevie Rae behinderte, damit diese nicht an Aphrodites Arm riss. Aphrodite schlang ihren freien Arm um ihn und ergab sich in seine Gewalt, so voll und ganz, dass kein Zweifel mehr bestand, wie sehr sie ihm vertraute. Mich überkam ein schlechtes Gewissen, ihnen dabei zuzuschauen, auch wenn in dem, was zwischen ihnen geschah, ein unverhohlen sinnlicher Zauber lag.

»Oh. Schlechter Zeitpunkt.«

»Aber echt. Auf den Anblick hätte ich gut verzichten können.«

Ich hatte mich abgewandt und zur Tür gesehen. Dort standen die Zwillinge. Erin hielt einige Beutel Blut in der Hand. Shaunee trug eine Flasche Rotwein und ein Glas – so ein typisches Saftglas, wie meine Mom sie auch in der Küche hat.

Da drängte sich Duchess zwischen ihnen hindurch und tappte schwanzwedelnd auf uns zu. Jack folgte ihr auf dem Fuße.

»Ohmeingott, eine Weibernummer, und der Kerl wird gleich mit verwöhnt.«

»Interessant … dass manche Männer das tatsächlich antörnt.« Hinter Jack trat Damien ein, in der Hand eine Papiertüte. Er beäugte Stevie Rae, Aphrodite und Darius wie einen wissenschaftlichen Versuch.

Darius gelang es, den Kuss abzubrechen. Er zog Aphrodite an sich und hielt sie eng umschlungen in seinen Armen. »Priesterin, das ist beschämend für sie«, sagte er leise und eindringlich. Ich fragte nicht nach, ob ›sie‹ für Aphrodite, Stevie Rae oder für beide stand. Noch bevor er den Satz beendet hatte, war ich bei den Zwillingen. »Das nehm ich.« Und ich schnappte mir einen der Blutbeutel und riss ihn zur Ablenkung extra schwungvoll mit den Zähnen auf wie eine Packung Gummibärchen, wobei ich mir einen ordentlichen Schluck Blut gönnte. »Halt mir das Glas«, bat ich Shaunee. Sie tat wie befohlen, wenn auch nicht ohne mir einen angewiderten Blick zuzuwerfen. Ohne auf sie zu achten, leckte ich mir, während ich den größten Teil des Blutes in das Glas schüttete, genüsslich die letzten roten Spritzer von den Lippen. Dann drehte ich den Beutel um, saugte den Rest des Blutes heraus und warf die leere Verpackung beiseite. Ich nahm ihr das Glas aus der Hand. »Jetzt den Wein.« Die Flasche war schon geöffnet, Shaunee musste nur noch den Korken herausziehen. Ich hielt ihr das Glas hin. Es war schon drei viertel voll mit Blut, also brauchte es nur noch einen kleinen Schuss Wein. »Danke«, sagte ich knapp, wirbelte herum und marschierte wieder zum Bett.

Sehr geschäftsmäßig zog ich Aphrodites Arm aus Stevie Raes überraschend sanftem Griff. Diskret trat ich vor sie, um den halbnackten Körper meiner besten Freundin vor der gaffenden Menge – sprich, den Zwillingen, Damien und Jack – abzuschirmen.

Mit glühenden Augen und gefletschten, vom Blut rötlich gefärbten Zähnen starrte Stevie Rae mich an. So geschockt ich auch von dem monsterähnlichen Anblick gewesen war, so sehr achtete ich doch darauf, ruhig zu klingen, und ließ sogar ein bisschen Ärger raushängen. »Okay, das reicht jetzt. Versuch’s damit.«

Sie knurrte mich an.

Und erstaunlicherweise gab Aphrodite ein Geräusch von sich, das wie ein Echo klang. Was sollte das denn? Ich hätte mich am liebsten zu Aphrodite umgedreht, um zu sehen, was mit ihr los war, aber ich wusste, es war besser, wenn ich mich weiter auf meine beste Freundin konzentrierte. Die mich tief und kehlig angrollte.

»Ich hab gesagt, es reicht!«, hatte ich leise gezischt, in der Hoffnung, niemand sonst würde mich hören. »Reiß dich zusammen, Stevie Rae. Du hast genug von Aphrodite gehabt. Hier – trink – das – jetzt.« Ich setzte die Worte deutlich voneinander ab und drückte ihr den Blut-Wein-Cocktail in die Hand.

In ihrem Gesicht ging eine Veränderung vor sich. Sie blinzelte, ihr Blick wurde vage. Ich führte ihr das Glas an die Lippen, und kaum drang ihr der Geruch in die Nase, fing sie an, den Inhalt hinunterzustürzen. Während sie gierig trank, erlaubte ich mir eine Sekunde lang nach Aphrodite zu sehen. Sie hing immer noch in Darius’ Armen und wirkte ganz okay, wenn auch ein bisschen betäubt, und starrte Stevie Rae mit riesigen Augen an.

Ein ungutes Prickeln war mir den Rücken hinuntergelaufen, als ich ihren schockierten Gesichtsausdruck sah, und es sollte sich herausstellen, dass das ein ziemlich treffendes Vorgefühl für die abgefahrene Situation war, die bald auf uns zukommen sollte. Aber zunächst wandte ich meine Aufmerksamkeit meinen gaffenden Freunden zu. »Damien«, sagte ich absichtlich schroff. »Stevie Rae braucht was zum Anziehen. Kannst du ihr ’n T-Shirt oder ’ne Bluse besorgen?«

»In der Wäschetruhe sind saubere«, keuchte Stevie Rae zwischen zwei Schlucken. Sie sah schon wieder mehr wie sie selbst aus und klang auch so. Mit zitternder Hand deutete sie auf einen Haufen Zeug in einer Ecke. Damien nickte und eilte dorthin.

»Zeig mir mal dein Handgelenk«, bat Darius Aphrodite.

Schweigend drehte Aphrodite den Zwillingen und Jack den Rücken zu und hielt Darius ihren Arm hin. Ich war die Einzige, die sehen konnte, was geschah. Der Krieger hob ihren Arm an seine Lippen. Ohne den Blick von ihr zu wenden, ließ er die Zunge herausgleiten und leckte über die gezackte Linie der Bisswunde, aus der es noch rot tropfte. Sie hielt den Atem an, und ich sah, dass sie zitterte, aber als seine Zunge die Wunde berührte, begann das Blut zu gerinnen. Da ich sehr genau zusah, entging mir nicht, wie Darius’ Augen sich plötzlich weiteten.

»Oh Shit«, hörte ich Aphrodite leise zu ihm sagen. »Also stimmt’s wirklich?«

»Es stimmt wirklich«, sagte er noch leiser, eigentlich nur für ihre Ohren bestimmt.

»Shit!«, wiederholte Aphrodite. Sie sah ziemlich erschüttert aus.

Darius lächelte, und in seinen Augen blitzte unverkennbar so etwas wie Belustigung auf. Dann küsste er ihr sacht das Handgelenk. »Das spielt keine Rolle für uns.«

»Wirklich nicht?«, flüsterte sie.

»Ich gebe dir mein Wort. Du hast recht gehandelt, meine Schönste. Dein Blut hat ihr das Leben gerettet.«

Einen Augenblick lang konnte ich ihren offenen, unverfälschten Gesichtsausdruck sehen. Sie schüttelte leicht den Kopf, und in ihrem Lächeln lagen echte Verwunderung und eine Menge Sarkasmus. »Keine Ahnung, warum ausgerechnet ich ihr immer wieder den kleinen Western-Arsch retten muss. Aber okay, ich war auch ein ganz schönes Biest, also hab ich ’ne Menge wiedergutzumachen.« Sie räusperte sich und strich sich unsicher mit dem Handrücken über die Stirn.

»Willst du was trinken?«, fragte ich sie. Ich hätte viel lieber gefragt, worüber zum Geier sie sich unterhielten, aber so indiskret wollte ich nicht sein, ich merkte ja, dass sie nicht wollten, dass der ganze Raum es mitbekam.

»Ja«, antwortete erstaunlicherweise Stevie Rae an ihrer Stelle.

»Hier ist ein T-Shirt«, sagte Damien. Als er herankam und sah, wie unzureichend Stevie Rae, die jetzt nur noch in kleinen Schlucken trank, bekleidet war, wandte er hastig den Blick ab.

»Danke.« Ich schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, nahm ihm das T-Shirt ab und reichte es an Stevie Rae weiter. Dann sah ich die Zwillinge an. In mir begannen die paar Schlucke Blut zu wirken, und die Erschöpfung, die auf mir gelastet hatte, seit ich alle fünf Elemente gleichzeitig hatte beschwören und kontrollieren müssen, während wir aus dem House of Night flohen, wich endlich so weit, dass ich wieder denken konnte. »Okay, Leute, bringt das Blut und den Wein hier rüber. Habt ihr noch ein Glas für Aphrodite?«

Bevor eine von ihnen antworten konnte, sagte Aphrodite: »Äh, kein Blut für mich, bitte. Danke vielmals, aber: igitt. Aber den Alk nehm ich.«

»Wir haben nur ein Glas«, sagte Erin. »Sie wird wohl aus der Flasche trinken müssen wie ein Prolet.«

»Tut mir aufrichtig leid«, sagte Shaunee alles andere als aufrichtig und reichte Aphrodite die Flasche. »Sag mal, wie ist das denn so, als Mensch von einem Vampyr gebissen zu werden?«

»Ja, diese Frage würde das Publikum brennend interessieren«, fügte Erin hinzu, »weil es so aussah, als hättest du Spaß gehabt, und bisher hätten wir dich nicht in diese Ecke gesteckt.«

»Habt ihr vielleicht mal in Vampsozi aufgepasst, ihr siamesischen Hirnlinge?« Damit setzte Aphrodite die Flasche an und trank.

»Also, ich hab das Physiologie-Kapitel im Vampsozi-Lehrbuch gelesen«, sagte Damien. »Das Blut von Vampyren enthält sowohl gerinnungshemmende als auch gerinnungsfördernde Stoffe und außerdem Endorphine, die auf das sexuelle Lustzentrum im Gehirn von Mensch und Vampyr einwirken. Aphrodite hat recht, ihr solltet wirklich besser aufpassen. Schule ist nicht nur dazu da, sich zu amüsieren«, schloss er spitz. Jack nickte enthusiastisch.

»Oh, Zwilling«, sagte Shaunee, »bei dem Drama, das da oben grade abgeht – mit gefallenen Engeln und ihren höllischen Heerscharen und so –, würde ich vermuten, das House of Night bleibt noch ’ne Weile im Panikmodus und die Schule fällt aus.«

»Gutes Argument, Zwilling«, bestätigte Erin. »Das heißt, unser Hofdamien und seine Belehrungen sind bis auf weiteres vernachlässigbar.«

»Hm, was meinst du, könnten wir ihn dann vielleicht mal in die Zange nehmen und ihm die Haare ausreißen?«

»Hört sich gut an«, stimmte Erin zu.

»Super. Und ich sitze hier und trinke irgendwelchen Fusel aus der Flasche. Vorher war ich mal wieder der Happy-Hour-Longdrink für Miss Wildwest-Vampyr. Und jetzt muss ich auch noch mit ansehen, wie sich die Streberclique die Köpfe einschlägt.« Aphrodite klang wieder wie üblich genervt und arrogant. Mit einem dramatischen Seufzer ließ sie sich neben Darius ans Fußende des Bettes sinken. »Na gut. Wenn ich schon ein Mensch bin, dann kann ich mich wenigstens auch betrinken. Vielleicht sollte ich es überhaupt vermeiden, wieder nüchtern zu werden. Für die nächsten zehn Jahre oder so.«

»Dafür ist nicht genug Wein da.« Wir alle sahen auf. Eine rote Jungvampyrin war hereingetreten, gefolgt von mehreren anderen, die hinter ihr im Schatten verharrten. »Und das ist kein Fusel. Ich trinke keinen Fusel. Ich trinke überhaupt nichts Billiges.«

Alle anderen wandten ihre Aufmerksamkeit dem Mädchen zu, das gesprochen hatte, aber ich hatte wachsam das Hin und Her zwischen Aphrodite und den Zwillingen verfolgt (bereit, jederzeit aufzuspringen und dazwischenzugehen), daher sah ich, wie ganz kurz so was wie eine Mischung aus Scham und Unbehagen über Aphrodites Gesicht huschte, aber sie hatte sich sofort wieder im Griff. »Streberclique«, sagte sie kühl, »das ist Venus. Ernie und Bert, Damien, vielleicht erinnert ihr euch ja noch an meine Mitbewohnerin, die vor einem halben Jahr gestorben ist.«

»Oh, die Gerüchte über meinen Tod waren verfrüht«, sagte die hübsche Blondine sanft. Und dann passierte etwas total Seltsames. Venus verstummte und schnupperte. Ja, wirklich, sie hob das Kinn und schnüffelte ein paarmal kurz und scharf in Aphrodites Richtung. Die roten Jungvampyre hinter ihr folgten ihrem Beispiel. Dann weiteten sich Venus’ blaue Augen, und in höchst belustigtem Ton sagte sie: »Ach … hm. Ach was. Interessant.«

»Venus, lass –«, begann Stevie Rae, aber Aphrodite unterbrach sie. »Oh, egal. Sollen sie’s doch alle wissen.«

Da setzte die Blondine ein gehässiges Lächeln auf und fuhr fort. »Ich wollte nur sagen, wie interessant es ist, dass Stevie Rae und Aphrodite eine Prägung haben.«

Vier

Ich musste die Kiefer fest aufeinanderpressen, damit mir nicht wie den Zwillingen die Kinnlade runterklappte.

»Ach herrje! Eine Prägung? Echt?«, entfuhr es Jack.

Aphrodite zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus.« Ich fand, dass sie viel zu unbeeindruckt wirkte, und sie vermied es peinlich, in Stevie Raes Richtung zu sehen, aber ich glaube, fast alle anderen im Raum ließen sich durch ihre ›Scheiß drauf‹-Haltung täuschen.

»Na, da soll mich doch ein Elch knutschen«, stieß Shaunee hervor.

»Mich auch, Zwilling, und zwar so richtig«, versicherte Erin. Und dann brachen beide in hysterisches Kichern aus.

»Ich find’s wirklich interessant«, sagte Damien laut genug, um die giggelnden Zwillinge zu übertönen.

»Ich auch«, sagte Jack. »Aber eigentlich eher krass und abgefahren.«

»Tja, das ist wohl die Strafe für Aphrodites Sünden«, sagte Venus mit einem höhnischen Grinsen, bei dem sich ihr schönes Gesicht fast reptilienartig verzog.

»Venus, Aphrodite hat mir gerade das Leben gerettet. Schon zum zweiten Mal. Also hör auf, sie so fies zu behandeln«, wehrte sich Stevie Rae.

Da blickte Aphrodite endlich Stevie Rae an. »Fang bloß nicht damit an.«

»Mit was?«

»Mich zu verteidigen! Dass wir ’ne verfickte Prägung haben, ist schon schlimm genug. Aber«, sie sprach ganz langsam und deutlich, »die Beste-Freundin-Masche vergisst du bitte sofort wieder.«

»Davon, dass du dich mies benimmst, geht das Ding auch nich weg.«

»Pass auf – ich habe vor, dieses Ding einfach zu ignorieren.« Eine Lachsalve der Zwillinge bewirkte, dass Aphrodite einen bitterbösen Blick in deren Richtung warf. »Und wenn ihr Gehirnklone nicht aufhört mich auszulachen, finde ich ganz sicher eine Methode, euch simultan im Schlaf zu erdrosseln.«

Das hatte natürlich nur noch lauteres Gelächter zur Folge.

Aphrodite drehte ihnen den Rücken zu und sah mich an. »Nun, ich wollte gerade etwas sagen, ehe ich zirka zehnmal rüde unterbrochen wurde: Venus, da ich höflicher bin als du, möchte ich dir Zoey vorstellen, diese tolle Jungvampyrin, von der du sicher schon eine Menge gehört hast. Außerdem Darius, einen Sohn des Erebos, den du dir gleich abschminken kannst, und Jack. Den du dir auch abschminken kannst, hauptsächlich deshalb, weil er schwuler ist als ’ne Handtasche voll Regenbögen. Seine bessere Hälfte ist Damien, der Typ, der mich anstarrt wie ’nen Scheiß-Chemieversuch. Die zwei hysterischen Kichertanten in der Ecke kennst du ja schon.«

Ich spürte Venus’ Blick auf mir, und es gelang mir, die Augen von Aphrodite abzuwenden (Eine Prägung! Mit Stevie Rae!) und sie anzusehen. Wie nicht anders zu erwarten, musterte sie mich mit einem so intensiven Blick, dass sich automatisch ein Widerstand in mir aufbaute. Ich war noch dabei zu überlegen, ob sie mir deshalb so zuwider war, weil sie (ganz klar) ein Miststück war, weil Erik mit ihr in den Tunneln rumgeschlichen war oder weil ich generell ein schlechtes Gefühl hatte, was die roten Jungvampyre anging, da ergriff sie das Wort. »Zoey und ich haben uns schon mal getroffen, wenn auch informell. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt wollte sie uns umbringen.«

Ich stemmte eine Hand in die Hüfte und erwiderte den Blick ihrer eiskalten blauen Augen. »Wenn wir schon nostalgische Erinnerungen austauschen, kann ich dir auch gleich auf die Sprünge helfen. Nicht ich hab versucht, irgendwen umzubringen. Ich wollte einen Menschen retten, den ihr fressen wolltet. Im Unterschied zu euch steh ich mehr auf Schokopfannkuchen als auf Footballspieler.«

»Davon wird aber das Mädchen, das du getötet hast, auch nicht wieder lebendig«, sagte Venus. Unter den roten Jungvampyren hinter ihr entstand Unruhe.

»Z? Du hast jemanden getötet?«, fragte Jack.

Ich wollte antworten, aber Venus war schneller. »Ja. Elizabeth Kein Nachname.«

Ich schenkte ihr keine Beachtung, ebenso wenig wie den anderen roten Jungvampyren, auch wenn irgendwas an ihnen mir die Härchen im Nacken zu Berge stehen ließ. »Ich musste«, sagte ich zu Jack. »Sonst wären Heath und ich da nicht lebend wieder rausgekommen.« Dann wandte ich mich wieder Venus zu. Sie war eine richtig eiskalte Schönheit in einer Designerjeans und einem schlichten bauchfreien schwarzen Top mit einem Strass-Totenschädel darauf. Ihre langen dichten Haare schimmerten in genau dem Ton, den man als goldblond bezeichnet. In anderen Worten, sie war definitiv attraktiv genug, um mit Aphrodite abzuhängen, was einiges hieß, denn Aphrodite ist echt umwerfend. Und wie einst Aphrodite schien auch Venus eine gehässige Zicke zu sein, und wahrscheinlich war sie das auch schon vor ihrem Tod und Untod gewesen. Ich verengte die Augen. »Pass auf, ich hab euch damals gesagt, ihr sollt verschwinden und uns da rauslassen. Ihr habt das nicht eingesehen. Da hab ich getan, was nötig war, um eine Person zu beschützen, die mir wichtig ist – und nur damit ihr’s alle wisst: das würde ich auch wieder tun.« Ich warf einen Blick auf die Jungen und Mädchen hinter Venus und musste den Drang unterdrücken, ein paar Elemente heraufzubeschwören und meiner Drohung mit ein bisschen Feuer und Wind Nachdruck zu verleihen.

Venus starrte mich wütend an.

»Hey, hey, ihr müsst lernen, miteinander klarzukommen. Denkt daran – die ganze Welt da draußen ist gegen uns, oder zumindest voll von fiesen Schreckgespenstern.« Stevie Rae klang müde, aber sonst ziemlich normal. Sie setzte sich vorsichtig auf, zupfte ihr Dixie-Chicks-T-Shirt zurecht und lehnte sich vorsichtig in die Kissen zurück, die Darius hinter ihr aufgeschichtet hatte. »Also, wie Tim Gunn in Project Runway sagen würde, machen wir was draus.«

»Oooh, die Show ist klasse«, schwärmte Jack.

Ich hörte auch ein paar von den roten Jungvampyren zustimmend murmeln und dachte mir, dass Stevie Rae schon recht hatte mit dem, was sie in einer unserer vielen Diskussionen über trashige Fernsehsendungen gesagt hatte: Realityshows konnten die Welt verändern und der Menschheit Frieden bringen.

»Hört sich gut an.« Auch wenn meine innere Stimme mich noch immer warnte, dass bei den Roten nicht alles eitel Sonnenschein war, lächelte ich Stevie Rae an, und sie ließ ihre Grübchen aufblitzen. Okay, sie glaubte also definitiv, wir könnten irgendwie miteinander klarkommen. Vielleicht war mein Alarmsystem ja nur überreizt, weil Venus so eine Mistzicke war, und nicht, weil die alle zusammen die Inkarnation des Bösen waren.

»Super. Also, könnte ich bitte noch mal ’n Glas Blut mit Wein kriegen? Viel Blut, wenig Wein.« Sie hielt den Zwillingen ihr leeres Glas hin. Die eilten zu ihr hin, sichtlich froh, Abstand von den roten Jungvampyren zu bekommen. Ich bemerkte, dass auch Damien und Jack – mit Duchess an ihrer Seite – sich näher zu mir gemogelt hatten. »Danke«, sagte Stevie Rae, als Erin ihr das Glas abnahm. »In der Schublade da ist ’ne Schere, dann musst du’s nicht mit den Zähnen aufmachen.« Sie verdrehte kurz die Augen in meine Richtung. Während Erin und Shaunee mit Einschenken beschäftigt waren, musterte sie das Grüppchen roter Jungvampyre. »Wir haben doch schon darüber geredet, dass ihr nett zu Zoey und den anderen Kids sein müsst.« Sie lächelte Darius zu. »Und zu den Vampyren.«

»Entschuldigung, Leute, lasst ihr mich mal durch?«

Ich spannte mich automatisch an, als Erik sich zwischen den Mädchen und Jungen hindurch ins Zimmer drängte. Falls jemand (Venus) versuchen sollte, ihn zu beißen, kriegte derjenige (Venus) es mit mir zu tun. Keine Diskussion.

In die gespannte Atmosphäre hinein fragte Darius: »Was sagt das Radio über die Welt da droben?«

Erik schüttelte den Kopf. »Ich bekomme nichts rein. Ich bin sogar hoch in den Keller gegangen. Nur Rauschen. Mein Handy gibt auch keinen Mucks von sich. Aber draußen blitzt und donnert es wie verrückt, und es regnet immer noch, wobei es kälter geworden ist, das heißt, es wird wahrscheinlich frieren. Und aus dem Wind ist ein richtiger Sturm geworden. Keine Ahnung, ob das Wetter natürlich ist oder ob es von Kalona und diesen Vogeldingern kommt. Aber vermutlich ist es für all die Sendestörungen verantwortlich. Ich dachte, das sollte ich euch wohl berichten.« Ich sah, wie sein Blick an der nicht mehr aufgespießten Stevie Rae hängen blieb. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Du siehst besser aus.«

Shaunee kicherte. »Das war Aphrodite. Sie hat sie von sich trinken lassen.«