Geld, Krieg und Macht - Philippe Rogger - E-Book

Geld, Krieg und Macht E-Book

Philippe Rogger

0,0

Beschreibung

Die eidgenössischen Orte als Söldnerlieferanten und ihre Verwicklungen in die Kriege der Grossmächte in Italien stehen im Zentrum der aktuellen Debatte um die Schlacht von Marignano 1515. Philippe Roggers Studie liefert einen wichtigen Beitrag dazu, indem er aufzeigt, dass die Eidgenossenschaft bereits seit den Burgunderkriegen militärisch, politisch, ökonomisch und kulturell eng mit dem Ausland verflochten war.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 660

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhalt

Vorwort

I Einleitung

1 Thema: Pensionenunruhen, Gewaltmärkte, Aussenbeziehungen

2 Fragestellung: Fremde Kriege, fremdes Geld und eidgenössische Politik?

3 Forschungsstand zu den Pensionenunruhen

4 Quellen und Methode: Netzwerkanalyse

II Die Pensionenunruhen in Bern, Luzern, Solothurn und Zürich 1513–1516 – Ereignisgeschichte

1 Streit um Mailand und gescheiterte Friedensgespräche – Vorgeschichte

2 Der Könizer Aufstand in Bern

3 Der Zwiebelnkrieg in Luzern

4 Die Unruhen in Solothurn

5 Der Lebkuchenkrieg in Zürich

6 Die Konzessionen der Obrigkeit – Inhalt der Einigungsverträge

7 Zusammenfassung

III Geschäfte mit der militärischen Gewalt – Das Pensionenwesen in der Eidgenossenschaft zur Zeit der Mailänderkriege

1Die eidgenössischen Gewaltmärkte: Krieger als Handelsware

1.1 Die Ökonomisierung fremder Kriege

1.1.1 Instrumente

1.1.2 Strukturen

1.1.3 Beziehungen

1.2 Eidgenössische Pensionenpolitik

1.2.1 Städtische Verbote bis 1516

1.2.2 Der Pensionenbrief von Baden 1503

1.2.2.1 Anfänge einer gemeineidgenössischen Pensionenpolitik

1.2.2.2 Der Pensionenbrief kommt zustande

1.2.2.3 Das Reformprojekt scheitert: Der Beibrief

1.2.2.4 Exkurs: Historiografische Traditionen zum Pensionenbrief

1.2.2.5 Warum der Pensionenbrief zustande kam – Vier Thesen

2Französische Interessenpolitik 1512–1515: Akteure, Handlungsfelder und Verflechtungszusammenhänge

2.1 Pensionennetzwerke

2.1.1 Akteure und Praktiken der französischen Aussenpolitik nach dem Pavierzug

2.1.2 Bern

2.1.3 Luzern

2.1.4 Solothurn

2.1.5 Zürich

2.1.5.1 Lokales Netzwerk 1512/13

2.1.5.2 Personale Verflechtung im Feld 1515

2.1.6 Netzwerkstrukturen

2.2 Ferne Patrons – Praktiken vor Ort

2.2.1 Broker

2.2.2 Rivalitäten

2.2.3 Räume

IV Zusammenfassung und Synthese

1Zusammenfassung

2Pensionennetzwerke als Faktor für die Verdichtung der politischen Macht – Synthese

Anhang

Abkürzungen

Bibliografie

Quellen

Ungedruckte Quellen

Gedruckte Quellen

Literatur

Verzeichnis der Grafiken

Verzeichnis ausgewählter Personen

Vorwort

Das Buch handelt von Söldnern, heimlichen Geldzahlungen und den Verwicklungen der eidgenössischen Orte in die Kriege der Grossmächte in Italien als Söldnerlieferanten. Es basiert auf der Dissertation, welche im Frühlingssemester 2011 unter dem Titel Die Pensionenunruhen 1513–1516. Kriegsgeschäft und Staatsbildung in der Eidgenossenschaft am Beginn der Neuzeit von der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern angenommen wurde. Das besondere Augenmerk der Untersuchung liegt auf der Verflechtung der politisch-militärischen Eliten der Eidgenossenschaft mit den Grossmächten Europas. Die engen Beziehungen der eidgenössischen Pensionenherren mit Frankreich, Mailand, dem Kaiser oder dem Papst, welche um Mailand und die Vorherrschaft in Oberitalien rangen, führten zwischen 1513 und 1516 zu massiven Untertanenprotesten in Bern, Luzern, Solothurn und Zürich. Die eidgenössischen Orte, welche von den Kriegsherren als Söldnerlieferanten heftig umworben wurden, sahen sich im Umfeld der Mailänderkriege mit massiven inneren Spannungen konfrontiert. Nach den Schlachten von Novara 1513 und Marignano 1515 traten die Untertanen in Bern, Luzern, Solothurn und Zürich bewaffnet vor ihre Obrigkeiten, denen sie Verrat und Bestechlichkeit vorwarfen. Am Beispiel dieser als Pensionenunruhen bezeichneten Untertanenproteste zeigt die Untersuchung auf, dass die Eidgenossenschaft seit den Burgunderkriegen politisch, ökonomisch und militärisch stark mit dem Ausland vernetzt war. Das enge Beziehungsgeflecht der eidgenössischen Machteliten mit auswärtigen Herren und der Abschluss von Soldallianzen mit den umliegenden Grossmächten – allen voran mit Frankreich – bildeten eine wichtige Grundlage für die eidgenössischen Aussenbeziehungen bis ins 18. Jahrhundert.

Es ist Prof. Dr. André Holenstein, der mein wissenschaftliches Interesse auf diese Thematik gelenkt und mich vor einigen Jahren auf die Pensionenunruhen aufmerksam gemacht hat. Ihm möchte ich dafür danken, dass er die Arbeit mit viel Geduld begleitet und mit vielen inhaltlichen Inputs massgeblich geprägt hat. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Arndt Brendecke, der die Arbeit als Zweitgutachter konstruktiv kritisiert hat. Mein einjähriger Aufenthalt am Sonderforschungsbereich 437 Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen im Rahmen eines Personenförderungsstipendiums des Schweizerischen Nationalfonds ermöglichte mir die Bearbeitung des Themas in einem wissenschaftlich anregenden Umfeld. Für die freundliche Aufnahme in die Oberseminarien des Fachbereichs Geschichtswissenschaft an der Universität Tübingen danke ich Prof. Dr. Anton Schindling und Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Langewiesche. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Abteilung für ältere Schweizer Geschichte des Historischen Instituts der Universität Bern waren stets aufmerksame Zuhörer und wohlwollende Kritiker. Ich danke an dieser Stelle besonders Prof. Dr. Andreas Würgler, Prof. Dr. Heinrich R.Schmidt, Dr. Daniel Schläppi und MA Sarah Rindlisbacher.

Ohne die grosszügige finanzielle Unterstützung durch die Burgermeinde Bern, den Friedrich-Emil-Welti-Fonds und den Schweizerischen Nationalfonds wäre eine Publikation dieses Buches nicht möglich gewesen. Ihnen bin ich zu grossem Dank verpflichtet. Mein Dank gilt auch Dr. Bruno Meier vom Verlag Hier und Jetzt, der sich dazu bereit erklärt hat, die Arbeit zu publizieren. Für die kritische Durchsicht eines frühen Manuskripts danke ich Martin Fries und Sara Steffen für das sorgfältige Lektorat.

Meiner Partnerin Susanne Fleischli, die mich stets darin bestärkt hat, meine bisweilen zeitaufwendigen historischen Studien fortzuführen, gilt mein Dank ganz besonders. Ihr und unseren drei Kindern Anna, Paula und Linus ist dieses Buch gewidmet.

Niederscherli, im Frühling 2015Philippe Rogger

I Einleitung

1 Thema: Pensionenunruhen, Gewaltmärkte, Aussenbeziehungen

Das 16. Jahrhundert begann unruhig in der Eidgenossenschaft. Der Berner Chronist Valerius Anshelm berichtet sehr lebendig davon, wie angespannt die Stimmung im Umfeld der Mailänderkriege war.

«Wie wol nun ein from, loblich Eidgnoschaft durch den herlichen, gwaltigen sig, zu(o) Nowara gewunnen, gegen allen iren pundsverwanten hat ir glu(e)k, lob, êr und nammen ganz wider ufgericht und gestelt, so erhu(o)b sich doch ein unwiderbringlich ungfa(e)l, namlich anheimsche ufru(o)r, […] wie der merteil ufru(o)ren entstond uss der obren und ra(e)ten zwitracht, kib und blast, zu(o) der zit bi Eidgnossen zu(o) Bern und in andren orten, uss heimschs gwalts und fro(e)mds gelts gitikeit fu(e)rnemlich erwachsen, und so wit ufgetriben, dass der sak mu(o)st einmal zerrissen, und der hizig wind ein ungestu(e)eme windsbrut ufwirblen und hurren.»1

Nur wenige Tage nach dem Zusammenstoss der Eidgenossen mit Frankreich in der Schlacht von Novara am 6. Juni 1513 erhoben sich die Untertanen in Bern (Könizer Aufstand), Luzern (Zwiebelnkrieg) und Solothurn und zogen bewaffnet vor die Tore ihrer Hauptstädte.2 In Zürich waren die Untertanen ebenfalls unruhig, doch gelang es dem Zürcher Rat, die Situation vorerst zu entschärfen. Nach der Niederlage der eidgenössischen Kontingente in Marignano im September 1515 und den darauf folgenden Bündnisverhandlungen mit dem französischen König und dem römisch-deutschen Kaiser zogen allerdings auch die Zürcher Untertanen vor ihre Hauptstadt (Lebkuchenkrieg).

Diese in der Historiografie als Bauernbewegung, 3 Schweizer Bauernkrieg4 oder Pensionenunruhen5 bezeichneten Unruhen lassen sich in eine lange Reihe von Konflikten zwischen Obrigkeiten und Untertanen auf eidgenössischem Gebiet in der Vormoderne einordnen.6 Untertanenproteste stellen gewissermassen ein «Grundproblem der Alten Eidgenossenschaft» dar.7 Im Unterschied zu anderen Aufständen im 15. und frühen 16. Jahrhundert zeichnen sich die Pensionenunruhen jedoch durch einen starken aussenpolitischen Bezug aus. Die Aufstände zwischen 1513 und 1516 sind eng mit der Machtpolitik der städtischen Obrigkeiten in den Mailänderkriegen (1494–1516) und dem um 1500 aufblühenden Sold- und Pensionenwesen verknüpft. Sie entstanden, wie Anshelm im Eingangszitat sagte, «uss der obren und ra(e)ten zwitracht» und «uss heimschs gwalts und fro(e)mds gelts gitikeit». Parteiung und Geldgier innerhalb der eidgenössischen Elite waren nach Meinung dieses scharfen Beobachters die Hauptursachen für die Konflikte. Dieser Zusammenhang wird etwa auch in der Chronik des Zürchers Hans Füssli deutlich.

«Wie bald nun alle zeichen der eidgnossen von nawarien wider heim kamend, da kond der verlurst zu(o) nawarien (der glychen in manß tenken nit mer geho(e)rt begegnet syn den eidgnossen) den gmeinen man nie gnu(o)g verruwen, vermeintend och, daß sy nit den minsten teil ireß verlurstß von den tütschen frantzosen hetind, namlich von denen, die vornaher dem frantzosen groß gu(o)t an iargelt, pensionen vnd schenkungen abgenomen hatend, die hetind vilicht jetz zu(o) mal mee trurenß vnd mitlydenß mit dem frantzosen dan mit den eidgnossen.»8

Das Missfallen der Untertanen richtete sich 1513 gegen die «tütschen frantzosen», also gegen diejenigen Ratsherren, welche von Frankreich «groß gu(o)t an iargelt, pensionen vnd schenkungen» erhalten hatten. Im Zitat Füsslis lässt sich somit der Vorwurf an die «deutschen Franzosen» erkennen, sich mit Frankreich, mit dem man sich im Krieg befand, verbündet zu haben. Feldflüchtige Knechte sollen, wie Anshelm vermerkt, noch während der Schlacht ausgerufen haben: «Alles verraten und verloren!»9 Eine vergleichbare Konfliktkonstellation und der Vorwurf des Verrats zeigten sich zwei Jahre später auch im Zürcher Lebkuchenkrieg. Auch dort zielte der Untertanenprotest gegen die französischen «pensioner».10 Was aber ist unter diesem Begriff Pensionär beziehungsweise Pensionen zu verstehen?

Die ursprünglich kirchenrechtliche Verwendung des Begriffs der Pension als Recht, die Erträge eines Benefiziums zu beziehen, erfuhr im Spätmittelalter einen Bedeutungswandel und fand seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Eingang in den weltlichen Kontext. «Pensionen sind im Sprachgebrauch vom Ende des 15. Jahrhunderts an», so die Definition von Valentin Groebner, «offizielle (wenn auch oft vertraulich gehandhabte), regelmässige und in fester Vertragsform vereinbarte Zahlungen von auswärtigen Höfen an Einzelpersonen, Amtsleute, Räte und politische Körperschaften.»11 Für die Zeitgenossen um 1500 war die Begrifflichkeit dieser Transaktionen weitaus diffuser, als dies moderne Definitionen suggerieren. Dies zeigt nicht nur das Zitat von Füssli, sondern etwa auch der Zürcher Mailänderbrief von 1516. In diesem Einigungsvertrag zwischen Obrigkeiten und Aufständischen ist die Rede von «pension, provision, gnad, dienstgelt, miet, gab noch schenki, wie das namen haben möcht».12 In der Eidgenossenschaft sind solche Zahlungen von Fürsten und Königen an die eidgenössischen Eliten erstmals im Zusammenhang mit den Bündnissen gegen Karl den Kühnen belegt.13 Nach den Burgunderkriegen gewannen diese Transfers an Bedeutung, da sich die eidgenössischen Orte nach den spektakulären Siegen in Grandson, Murten und Nancy 1476–1477 zu wichtigen Rekrutierungsmärkten für Söldner entwickelten. Seither floss sehr viel Geld ins Land.14

«Sowohl als öffentliche, an offizielle Kassen bezahlte wie als geheime, an Einzelpersonen entrichtete Pensionen zielten sie darauf ab, politische Entscheidungen zu beeinflussen und den ausländischen Kriegsherren den Zugang zu den begehrten eidgenössischen Söldnern zu sichern.»15

Diese Gelder wurden als Anerkennung für geleistete Dienste und in der Erwartung künftiger Verbindlichkeiten wie Gesandten- oder Vermittlertätigkeit, Mithilfe beim Abschluss von Bündnissen, einer allgemeinen Gewogenheit oder für die Stellung von Söldnern entrichtet.16 Gelang es kriegführenden Parteien nicht, eine Soldallianz mit den Orten abzuschliessen, war schon viel erreicht, wenn diese nicht dem Gegner zuliefen.17 Der Zusammenhang zwischen der gesteigerten Nachfrage nach eidgenössischen Söldnern und dem Aufkommen des Pensionenwesens ist eng.18

Um 1500 entwickelte sich der Reislauf zu einem Massenphänomen. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts zogen zwischen 50000 und 100000 Eidgenossen in die Dienste fremder Kriegsherren, im 16. Jahrhundert waren es bereits gegen 400000. Für grosse Bevölkerungskreise stellte der Reislauf einen attraktiven Zusatzverdienst dar, obwohl der Einsatz als Söldner für sie und ihre Familien mit hohen Risiken behaftet war. Aufgrund des zunehmenden Bevölkerungsdrucks war die temporäre Auswanderung in Form von Solddienst nicht nur politisch wünschbar, sondern auch wirtschaftlich notwendig (Stettler). Insbesondere die Umstellung im Alpengebiet auf Viehwirtschaft setzte in grösserem Umfang Arbeitskräfte frei.19 Für die hohe Nachfrage nach eidgenössischen Söldnern um 1500 dagegen sind verschiedene Faktoren anzuführen, von denen an dieser Stelle nur die wichtigsten genannt werden sollen. Aufgrund der Ausbildung und Verfestigung grosser territorialer Machtkomplexe europäischer Fürsten und Könige nahm die Nachfrage nach Söldnern zur Verstärkung ihrer regulären Heere stark zu.20 In diesem Zusammenhang wird in der Literatur die taktische Überlegenheit der mit Spiessen und Hellebarden bewaffneten eidgenössischen Gevierthaufen hervorgehoben. Die eidgenössische Kampfweise, welche sich gegenüber den mittelalterlichen Ritterheeren als überlegen erwies, wurde zum Vorbild. Deutsche und italienische Heere haben sie übernommen.21 Die eidgenössischen Knechte hatten ausserdem den Vorteil, dass sie jederzeit in genügender Anzahl verfügbar und vor allem rasch an den jeweiligen Kriegsschauplätzen einsetzbar waren.22 Betrachtet man die geografische Lage der grossen Konfliktherde an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, zeigt sich, dass sich diese oft in direkter Nachbarschaft zur Eidgenossenschaft befanden. So grenzten die Freigrafschaft Burgund oder auch Mailand unmittelbar an eidgenössisches Gebiet. Die Möglichkeit, schnell auf den brennenden Kriegsschauplätzen anwesend zu sein, verschaffte den eidgenössischen Knechten gegenüber den Söldnern aus der europäischen Peripherie wie Irland, Schottland oder Böhmen zweifelsohne einen Wettbewerbsvorteil. Zudem musste den königlichen und fürstlichen Kriegsherren auch daran gelegen sein, die Alpenpässe für Truppenverschiebungen nutzen beziehungsweise den militärischen Alpentransit für feindliche Heere sperren zu können.

«Die Söldner und die Pässe waren das Kapital der Eidgenossen.»23

Obwohl die Dienste der eidgenössischen Knechte im Vergleich etwa zu den deutschen Landsknechten vergleichsweise teuer waren, tat dies der grossen Nachfrage keinen Abbruch.24 Um 1500 war die Bündnispolitik der Eidgenossenschaft mithin entscheidend für Erfolg und Misserfolg der rivalisierenden Dynasten.25 Insbesondere Frankreich, das seine Machtansprüche in Neapel und in der Lombardei seit 1494 auch militärisch geltend machte, versuchte mit der Zahlung von Pensionen an die eidgenössischen Orte und an ihre politischen Führungsgruppen, die Politik zu seinen Gunsten zu beeinflussen und sich den Zugang auf die eidgenössischen Gewaltmärkte vertraglich zusichern zu lassen. Soldallianzen regelten die Modalitäten der Sold- und Pensionenzahlungen und legten unter anderem die genaue militärische Hilfeleistung fest. Details der Söldnerrekrutierung wurden fallweise in den sogenannten Kapitulationen festgehalten. Bei diesen Kapitulationen handelt es sich um Werbelizenzverträge, die von der Obrigkeit bewilligt werden mussten.26 Mit den Allianzen gingen auch politische und wirtschaftliche Absprachen einher, von denen die Eidgenossenschaft ökonomisch und politisch profitierte.27 Im Zuge der Burgunder- und Mailänderkriege entwickelten sich die Orte zu bedeutenden Rekrutierungsmärkten für Söldner und wurden somit zu Söldnerlandschaften, 28 wobei es sich jedoch nicht um offene Märkte oder Freihandelszonen handelte, zu denen alle Interessenten Zugang hatten.29 Im Unterschied zum Gewaltmarktbegriff Georg Elwerts, den er in den 1990er-Jahren am Beispiel von Räumen ohne Gewaltmonopol (er untersuchte moderne Bürgerkriege, Kriegsherrensysteme und Räubertum in afrikanischen Gesellschaften) entwickelt hatte, war der Gebrauch der militärischen Gewalt auf den eidgenössischen Gewaltmärkten in der frühen Neuzeit begrenzt und das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage nach den Interessen der Obrigkeiten und Kriegsherren ausgerichtet und reglementiert.30 Mit dem Instrument der Soldallianzen sollten die Söldnerströme kanalisiert und mit Reislaufverboten der freie Reislauf verhindert werden. Mit diesen Massnahmen versuchten die eidgenössischen Obrigkeiten, sich als Solddienstanbieter gegenüber anderen, «privaten» Militärunternehmern auf den eidgenössischen Gewaltmärkten durchzusetzen. Es ist ein signifikantes Merkmal der eidgenössischen Gewaltmärkte, dass die Obrigkeiten in den Orten durch die Soldallianzen eine ähnliche Position einnahmen «wie die grossen deutschen Kriegsunternehmer, die den Herrschern ganze Regimenter und Armeen zur Verfügung stellten.»31 Allerdings fanden die regulatorischen Massnahmen der Orte nicht immer Beachtung, weil die Reisläufer – also jene Eidgenossen, die für die fremden Mächte gegen Sold in den Krieg zogen (mittelhochdeutsch: in «die reis louffen») – häufig ohne Rücksicht auf bestehende Bündnisverpflichtungen oder Reislaufverbote dort ihren Dienst leisteten, wo die Aussicht auf Gewinn (Sold und Beute) am grössten war. 32

Die wirtschaftlichen Interessen der damaligen Eliten am Solddienst und an den Pensionen waren fundamental für die Praktiken der Aussenbeziehungen. Denn die Söldnerrekrutierung in der Eidgenossenschaft fand auf grenzüberschreitenden Patronagemärkten statt.33 Die königlichen oder fürstlichen Patrons verfügten in der Eidgenossenschaft, wie schon angedeutet, über Beziehungsnetze, bestehend aus Politikern, Söldnerführern und anderen lokalen Agenten, welche die Politik zu ihren Gunsten beeinflussen sollten. Pensionen sind somit auch Ausdruck asymmetrischer Aussenbeziehungen. Durch die Untersuchung der Vorgänge im Umfeld der Pensionenunruhen wird das konkrete Handeln von einzelnen Personen und sozialen Gruppen in grenzüberschreitenden Beziehungen fassbar.34 Die Prozesse im Nachgang der Unruhen verdeutlichen das Ausmass der Verflechtung der eidgenössischen Eliten mit fremden Mächten und den hohen Stellenwert der Patronage in der diplomatischen Praxis um 1500. Ausserhalb des eidgenössischen Kontexts ist die fürstliche Praxis des Pensionengebens jedoch kaum erforscht. Dieser Umstand ist insofern überraschend, als bereits Jean Bodin in Les six livres de la République (Paris 1583) die Bedeutung von finanziellen Mitteln (Tributzahlungen und Pensionen) für die Ausgestaltung der frühneuzeitlichen Aussenbeziehungen betont hatte.35

Die Verflechtung und die multiplen Loyalitäten der eidgenössischen Magistraten, welche für die Interessen Frankreichs, des Papsts oder des römisch-deutschen Kaisers Politik betrieben, bargen jedoch ein hohes Konfliktpotenzial. Spätestens im Jahr 1500 wurden die Risiken der politisch-militärischen Verwicklung der Eidgenossen in Italien offenkundig, als sich in Novara gleichzeitig eidgenössische Kontingente in den feindlichen Heeren befanden (Verrat von Novara). Im Verlauf der Mailänderkriege wurden die eidgenössischen Orte, so die Beurteilung von André Holenstein, «mit finanziellen, militärischen und auch sozialpsychologischen Folgen einer Grossmachtpolitik konfrontiert, die letztlich die Tragfähigkeit der politischen Verfassung der Eidgenossenschaft und ihrer einzelnen Glieder überforderte.»36 Die Diskrepanz zwischen der militärischen Potenz einerseits und der Unfähigkeit der Orte andererseits, eine kohärente gemeinsame Aussenpolitik zu verfolgen, wurde nach der Vertreibung der Franzosen aus der Lombardei 1512 (Pavierzug) besonders deutlich.

«Komplexe, divergierende Interessenlagen bei Obrigkeiten wie Untertanen führten dazu, dass sich das äussere militärisch-diplomatische Engagement der Orte massiv in inneren Spannungen manifestierte.»37

Das Sold- und Pensionenwesen als Ursache dieser Spannungen sind in der Historiografie sehr unterschiedlich beurteilt worden. Ähnlich disparat fallen die Erklärungen zu den Pensionenunruhen aus.

2 Fragestellung: Fremde Kriege, fremdes Geld und eidgenössische Politik?

Die Geschichte der Pensionenunruhen ist, wie im vorangehenden Einführungskapitel dargelegt wurde, eng mit der Geschichte der fremden Dienste verwoben. Es ist jedoch ein markantes Merkmal der schweizerischen Historiografie, dass sie bis in die 1970er-Jahre ein ambivalentes Verhältnis zur Sold- und Pensionenproblematik hegte. Im Gegensatz zu einigen Geschichtsschreibern des 17. und 18. Jahrhunderts (wie etwa Johannes von Müller), welche dem Solddienst viel Positives abgewinnen konnten, 38 waren die Vorbehalte und Berührungsängste der universitären Forschung gegenüber der Militärgeschichte und den fremden Diensten nach dem Zweiten Weltkrieg gross.39 Im 19. und 20. Jahrhundert dominierten moralische Debatten den wissenschaftlichen Diskurs.

Bis zum Ersten Weltkrieg galt der Reislauf vor allem protestantischen Historikern als eine pathologische Erscheinung. Diese negative Bewertung innerhalb des Fachs knüpfte unmittelbar an die humanistische Literatur der Reformationszeit an.40 Pointiert äusserte der Zürcher Wilhelm Oechsli das Unbehagen der Historiker um 1900 gegenüber dem Solddienst in seiner 1890 erschienenen Arbeit zum Pensionenbrief (auch bekannt als Badener Verkommnis) von 1503:

«Jedes Volk hat ein Recht, stolz zu sein auf die Epoche seiner höchsten Kraftentwicklung, wo sich der Ruhm der Unbesieglichkeit an seine Fersen heftet, wo Jedermann vor ihm zittert und es vor Niemandem zu zittern braucht. Was für den Griechen das Zeitalter des Perikles, für den Italiener die römische Weltherrschaft und für den Franzosen das napoleonische Kaiserreich, das sind für den Schweizer die Jahrzehnte zwischen den Burgunderkriegen und der Reformation. Mit Neid und Bewunderung blickten die Völker Europas auf die Felsenburg im Herzen des Erdteils, an der alle Stürme abprallten, deren Insassen allein frei und sicher in die umtobende Brandung des wirren Weltgetriebes hinausblicken durften. In allen Koalitionen der grossen Mächte musste auf das kriegsgewaltige Alpenvolk Bedacht genommen werden. Papst und Kaiser, Könige und Republiken buhlten um die Freundschaft der ‹grossmächtigen Herren Eidgenossen des alten grossen Bundes oberdeutscher Lande› […]. Auf sie wies auf dem Reichstag zu Lindau 1496 der Vorsitzende, der patriotische Kurfürst Bertold von Mainz, der Urheber der Reichsreform, als Vorbild hin: ‹woher es komme, dass die Eidgenossenschaft in so allgemeinem Ansehen stehe, dass sie von Italienern und Franzosen, von dem Papst, ja von Jedermann gefürchtet werde? Das rühre allein davon her, weil sie zusammenhalte und einmütig sei; einem solchen Beispiel sollte man in Deutschland folgen›. Aber so sehr wir die relative Güte der schweizerischen Staatsordnungen von damals anzuerkennen haben, so sehr uns das Herz im Leibe lacht über die Fülle von Kraft und Gesundheit, welche die Eidgenossen in ihren Heldenkämpfen bewiesen, so dankbar wir den Vätern unseres Staates sein müssen für das Erbe kriegerischen Ruhms, für das unversehrt erhaltene und glücklich erweiterte Vaterland, das sie uns hinterlassen haben, dies Gefühl des Stolzes und des Dankes ist kein reines, ungemischtes. Beim Durchlesen unserer Annalen fühlt man sich bisweilen versucht, zu fragen, ob man die Schweizer des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts mehr als ein Volk von Helden bewundern oder als ein Bande geldgieriger Soldknechte verscheuen soll. Dieselben Männer, die bei Grandson und Murten, bei Frastenz und an der Calven mit ihren Leibern einen unübersteiglichen Wall um das Vaterland gebildet haben, im nächsten Augenblick sehen wir sie in fremden Landen, von denen ihnen kein Leid widerfahren ist, alle Gräuel des Krieges verüben, morden, schänden, brennen und rauben, bloss weil man sie dazu gemietet hat und weil ihr eigener Sinn an dem blutigen Handwerk mehr und mehr Gefallen findet.»41

Diese Darstellung der Geschichte der fremden Dienste als moralische Dekadenzgeschichte stiess zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Widerspruch vaterländisch-militaristischer Kreise. 1913 erschien das reich mit Bildern ausgestattete Buch von Paul de Vallière mit dem programmatischen Haupttitel Treue und Ehre. Der gewichtige Band erlebte 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, eine Zweitauflage.42 Mit dem Vorwort von Gonzague de Reynold in der zweiten Auflage lässt sich die Kernaussage des Buchs zusammenfassen: «Was der Fremdendienst uns bringt, ist ein einziger Heldengesang.»43 Das Werk ist Beispiel für den Versuch, die Bedeutung der fremden Dienste für die nationale Identität herauszustreichen.44 Die Thematik war durch solche Vereinnahmungen der heroisch-militaristischen und vaterländisch-patriotischen Geschichtsschreibung kompromittiert, weshalb die ideologiekritische Sozialgeschichte lange Zeit einen Bogen um dieses als politisch inkorrekt stigmatisierte Thema machte. Erst in den 1970er-Jahren wurde die moralische Auseinandersetzung von neuen Fragestellungen und neuen methodischen Ansätzen abgelöst. Mit den Arbeiten von Walter Schaufelberger oder Hans Conrad Peyer und seinen Schülern wandelte sich das bezahlte Kriegertum zum Gegenstand wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Betrachtungen.45 Inzwischen ist sich die Forschung weitgehend einig über die Wichtigkeit des bezahlten Kriegsdiensts für die Schweizer Geschichte. «Der Schweizer Solddienst im Überblick über die Jahrhunderte», so Hans Conrad Peyer 1992 anlässlich einer Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen, «ist ein sehr weites Feld, einmal weil er nur ein allerdings wichtiger Teilaspekt einer gesamteuropäischen Erscheinung ist, dann weil er nicht nur eine militärhistorische, sondern auch wirtschaftliche, soziale und staatlich-politische Seiten hat.»46 Die Rekonstruktion der Solddienste als Beruf und als Normalbefindlichkeit der frühen Neuzeit beförderte schliesslich die Einsicht, dass der Solddienst «eine gewöhnliche Erscheinung des alltäglichen Lebens» darstellte.47

Ähnlich wie mit der Geschichte des Solddiensts verhält es sich mit der schweizerischen Historiografie zu den Pensionen. Mit dem Pensionenwesen, resümiert Groebner in einem kurzen Forschungsüberblick, haben sich die Historiker lange Zeit schwer getan. Operierte die Fachliteratur des beginnenden 20. Jahrhunderts bei der Pensionenfrage noch mit Metaphern wie «politische Entartung» oder «Volkskrankheit», fiel das Urteil erst in der Zwischenkriegszeit nüchterner aus. Das Pensionenwesen wurde zunehmend als Geschäft versachlicht und verkümmerte in der Nachkriegszeit zu einem peripheren Gegenstand der Geschichtswissenschaft. Der moralisierende Diskurs brach jedoch auch dann nicht vollständig ab. Noch 1974 spricht Emil Usteri in seiner Arbeit zur Schlacht von Marignano von einer «düsteren korrumpierten Zeit».48 Die Pensionen sind inzwischen jedoch zu einem wichtigen Thema der Finanzgeschichte, der Sozialgeschichte, der neueren Kulturgeschichte und der neueren Diplomatiegeschichte geworden.49

Trotz dieser Neubeurteilung durch die neuere Forschung ist die Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Sold- und Pensionenwesens für die ältere Schweizer Geschichte und der geringen Anzahl neuerer Publikationen augenfällig. Obschon sich verschiedene Sammelbände dem Thema angenommen haben, stellt eine aktuelle Überblicksdarstellung ein Desiderat der Forschung dar.50 Der profunde kurze Überblick Peyers über die fremden Dienste bleibt deshalb auch knapp zwanzig Jahre nach dessen Erscheinen unentbehrlich. Die dünne Forschungslage ist angesichts aktueller politischer Debatten schmerzlich. Beharrlich wird die Schweizer Geschichte im Umfeld der Schlacht von Marignano in den Diskussionen über das Verhältnis Schweiz-EU von Integrationsgegnern als Argument für eine aussenpolitische Abstinenz der Schweiz herangezogen. Die mehrteils ablehnende Haltung gegenüber den fremden Diensten ist eng verquickt mit dem von der Historiografie des 20. Jahrhunderts (Geistige Landesverteidigung) besonders plastisch inszenierten Bild des heldenhaften Hirtenkriegers des Mittelalters, der am Morgarten oder in Sempach einzig zum Schutz der Freiheit in den Schlachten gegen Habsburg seine adligen Gegner erzittern liess. Diese Vorstellung ist tief im eidgenössischen Selbstbild verankert und wird regelmässig an Gedenkfeiern medienwirksam zelebriert und aktualisiert.51 Die Niederlage von Marignano im Jahr 1515 hingegen – und mit ihr implizit auch die grenzübergreifende Verflechtung der eidgenössischen Machtelite – stellt im politischen Diskurs ein beliebtes historisches Lehrstück dar, um zu zeigen, dass Einmischungen in «fremde Händel» schlecht für die Schweiz sind.52 Die Niederlage von Marignano bedeutete jedoch keineswegs die Abkehr der Eidgenossen von der internationalen Politik – zumal sich Bern 1536 dazu anschickte, die Waadt zu erobern. Die Verflechtung der Orte mit fremden Mächten mittels Soldallianzen nahm ihren Anfang im 15. Jahrhundert und wurde nach der Niederlage in Marignano fortgesetzt und verstetigt. Mit Frankreich – dem militärischen Gegner in Marignano – schlossen die Orte 1516 den Ewigen Frieden und 1521 eine Soldallianz ab, die letztmals 1777 erneuert wurde. Weitere Soldallianzen der Orte, etwa mit Savoyen (1560, 1577), dem Papst (1565) oder Spanien (1587), kamen im Verlauf der frühen Neuzeit hinzu. Doch stehen die Instrumentalisierung Marignanos durch die Politik und die Persistenz schiefer Geschichtsbilder nicht im Interesse dieser Studie.53 Vielmehr lenken die seit 1474 mit verschiedenen Mächten abgeschlossenen Soldallianzen den Blick auf ein fundamentales Problem der älteren Schweizer Geschichte.

Gerade in einer Zeit, in der die Staaten ihr Monopol auf die militärische Gewaltanwendung in zahlreichen asymmetrischen Kriegen und wegen der zunehmenden Bedeutung von privaten Sicherheits- und Militärunternehmungen aufzugeben scheinen, gewinnt die Frage nach den historischen Wurzeln der herrschaftlich-staatlichen Kontrolle der militärischen Gewalt eine besondere Aktualität.54

Von herausragender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang eine veränderte Wahrnehmung des Verhältnisses von Militär, Gesellschaft und Politik.55 Vergegenwärtigt man die Hypothese von Otto Hintze aus dem Jahr 1906, dass alle Staatsverfassung ursprünglich Kriegs- beziehungsweise Heeresverfassung war, und die Tatsache, dass sich in der Organisationsform des Militärs auch die politische Verfasstheit eines Gemeinwesens spiegelt, so ist die Frage nach der Verfasstheit des Krieges auch aus einer historisch-wissenschaftlichen Perspektive eminent.56 Es war Peyer, der mit Nachdruck darauf hingewiesen hatte, dass sich auch in der alten Eidgenossenschaft Heeresform und Staatsform gegenseitig bedingten. Als sichtbare Merkmale dieser Reziprozität nennt Peyer den Verzicht einer kriegerischen Aussenpolitik, die territoriale und organisatorische Straffung der einzelnen Orte und die wachsende Trennung von Regierenden und Regierten sowohl im heimischen Militärwesen als auch im Solddienst bei fremden Mächten.57 Bis zur Reformationszeit kennzeichnete sich das eidgenössische Kriegswesen dadurch aus, folgt man Peyer weiter, dass der Krieg im Spätmittelalter sowohl staatlich-obrigkeitliche als auch «private» Impulse aufwies, wobei beide Aspekte häufig miteinander verwoben waren.58 Es bestand ein Spannungsfeld zwischen Fehde, unstaatlichem, privatem, brauchtümlich geregeltem und staatlich-obrigkeitlichem, durch gesetztes Recht zunehmend geordnetem Krieg. Indessen war die Durchsetzung des staatlichen Krieges laut Peyer nicht denkbar ohne den unstaatlichen Krieg. «Am einen konnte sich, am anderen musste sich jeder kampftüchtige Mann beteiligen. Beides verschaffte auch den breiten Bevölkerungsschichten und vor allem den bäuerlichen Untertanen ein ungewöhnliches Gewicht in den werdenden Staatsgebilden der Orte und zwang die Obrigkeiten zu entsprechender Rücksichtnahme. Die Stärkung der Obrigkeit seit dem 16. Jahrhundert aber sollte nur dank Veränderungen im Kriegswesen möglich werden.»59 Entscheidend in diesem Zusammenhang waren laut Peyer unter anderem die Anstrengungen der Obrigkeit um 1500, den mittlerweile zum Massenphänomen avancierten Solddienst zu kontrollieren. Die Orte zeigten sich bemüht, «ihre in fremde Dienste ziehenden Truppen nicht völlig aus der Hand zu geben, ja geradezu staatliche Hoheitsrechte über sie auszuüben.»60 Die Organisation der fremden Dienste berührt somit die zentrale Frage nach dem staatlichen Gewaltmonopol. Es lag im genuinen Interesse der Obrigkeit, das Tun «privater» Gewaltanbieter zu kontrollieren und in Übereinstimmung mit den obrigkeitlichen Interessen zu bringen, weil der unkontrollierte Söldnerexport ein erhebliches Risiko für die innere Stabilität sowie für die innere und äussere Sicherheit der Orte darstellte.61 Um dieses Geschäft zu kontrollieren, erliess die Obrigkeit Verbote in der Absicht, den freien Reislauf zu unterbinden, den unkontrollierten Wegzug von Arbeitskräften zu verhindern und ihre eigenen Einkünfte als Solddienstvermittler (Pensionen, Sold) zu sichern. Die Versuche der Obrigkeit, den Reislauf zu kanalisieren und unter ihre Kontrolle zu bringen, erwiesen sich jedoch grösstenteils als illusorisch, profitierten doch einflussreiche Familien aus den städtischen Räten selbst in hohem Mass von der starken Nachfrage der Grossmächte nach Söldnern. Bezahlte Kriegsdienste und Aussenbeziehungen wurden um 1500 zunehmend zum Handlungsfeld von multipel vernetzten Militärunternehmern und Geschäftsmännern, die gleichzeitig in den Räten sassen. Sie nutzten die Pensionen, Soldgelder und anderen Ressourcen, die sie als Gegenleistungen für ihre politischen und militärischen Dienste von fremden Mächten erhielten, für den Auf- und Ausbau ihrer Macht. Die obrigkeitliche Sold- und Pensionenpolitik (Verbote) wurde von diesen Kreisen systematisch ignoriert. Sie hatten keinerlei Interesse an einer Einschränkung des Sold- und Pensionenwesens. Freilich stiessen die grenzübergreifenden Ressourcentransfers und Patronagepraktiken bei Teilen der Machtelite und bei Teilen der Untertanen auf Ablehnung. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Zielsetzung dieser Studie ist es nun, die «Verstaatlichung» des Krieges daraufhin zu untersuchen, welche Akteure die Regulierung des Pensionenwesens vorantrieben, welche Interessen sie dabei verfolgten und mit welchen Problemen sie sich konfrontiert sahen. Es stellt sich daran anknüpfend die Frage, welchen geopolitischen Konstellationen und ökonomischen Bedingungen sie begegneten.62

Am Beispiel der Pensionenunruhen lässt sich das Aushandeln zwischen Obrigkeit und Untertanen über Nutzen und Kosten dieses Verdichtungs- und Dynamisierungsprozesses veranschaulichen. Die klientelistischen Praktiken der Politiker wurden zwischen 1513 und 1516 massiv kritisiert, gerichtlich aufgearbeitet und schriftlich dokumentiert. Das überlieferte Material zeigt auf, wie die grenzübergreifenden Beziehungen von den Klienten und ihren fernen Patrons genutzt wurden. Gleichzeitig wird deutlich, wie wichtig die Ressourcentransfers zwischen Patron und Klient für die inneren Machtbildungsprozesse in den Orten waren. Die Aufständischen wehrten sich, so Valentin Groebner, nicht nur gegen die Verteilungsungerechtigkeit des Sold- und Pensionengeschäfts, welche den obrigkeitlichen Pensionären in den Räten die sicheren Profite (Pensionen), den einfachen Reisläufern jedoch für unsicheren Sold hohe Risiken zuschiebt, sondern sie «verbinden diese Argumente mit der Verteidigung von Gemeinde- und Selbstbestimmungsrechten der Landschaft gegen herrschaftliche Durchdringung.»63 Die inhaltliche Verknüpfung von Verteilungsmodi im Sold- und Pensionengeschäft einerseits und Herrschaftsintensivierung andererseits lässt vermuten, dass der seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert vorangetriebene Söldnerhandel fundamentale Effekte auf «Staat» und Gesellschaft zeitigte.64 Der Untersuchung liegt die These zugrunde, dass das grenzübergreifende Beziehungshandeln der Machteliten die Verdichtung der politischen Macht in den eidgenössischen Städteorten beschleunigte.

Fragestellung und These sollen in drei Kapiteln untersucht werden. In einem ersten Schritt werden die Aufstände ereignisgeschichtlich aufgearbeitet und die Einigungsverträge vergleichend analysiert (Kapitel II). Danach werden Akteure und Praktiken auf den eidgenössischen Gewalt- und Patronagemärkten knapp skizziert und die städtischen Pensionennetzwerke in Bern, Luzern, Solothurn und Zürich mikrohistorisch dokumentiert (Kapitel III). In einem Schlusskapitel werden die empirischen Befunde interpretiert und synthetisiert (Kapitel IV). Vorab gilt es jedoch, den Forschungsstand zu den Pensionenunruhen sowie die Quellen und Methoden der Untersuchung zu diskutieren.

3 Forschungsstand zu den Pensionenunruhen

Die Herrschaft der Orte über ihre Untertanen war um 1500 noch keineswegs konsolidiert. Im Verlauf des Spätmittelalters eigneten sich die eidgenössischen Städte zwar durch Eroberung, Kauf oder Pfandschaft mithin sehr grosse Territorien an, doch musste diese Expansionspolitik mittels Rückgriff auf die Ressourcen des Umlandes abgesichert und finanziert werden. Es kam zwischen den Burgunderkriegen und den Mailänderkriegen deshalb zu zahlreichen Stadt-Land-Konflikten, die häufig unter dem Eindruck einer intensivierten Territorialpolitik und einer gesteigerten Nutzung und Durchsetzung landesherrlicher Rechte standen. Die Folgen der obrigkeitlichen Mächtepolitik lasteten schwer auf den Schultern der Untertanen. Steuern und verstärkte militärische Inanspruchnahme verschlechterten das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen.65 Die enge Verknüpfung der Ereignisse zwischen 1513 und 1516 mit dem politischen und militärischen Engagement in Oberitalien, die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit von Nutzen und Kosten aus dem Sold- und Pensionengeschäft und die divergierenden Interessenlagen bei Untertanen und Obrigkeiten erschweren es indessen, die Ereignisse unter einen «klassischen» Stadt-Land-Konflikt zu subsumieren. Diese Konfliktkonstellation verleiht den Pensionenunruhen eine gewisse Exklusivität, welche einen Vergleich erschwert und bislang offenbar wenig attraktiv auf die Forschung wirkte. In der seit den 1980er-Jahren fruchtbar betriebenen Unruheforschung fanden die Pensionenunruhen jedenfalls nur am Rand Eingang in die Diskussion.66 Auch in der allgemeinen Schweizer Geschichte sind die Unruhen im Umfeld der Mailänderkriege – im Gegensatz zur bisweilen glorifizierten Grossmachtpolitik zwischen 1474 und 1515 – kein prominenter Gegenstand. Eine Monografie zu den Pensionenunruhen gibt es nicht. In jeweils sehr unterschiedlichem Umfang fanden die Ereignisse zwischen 1513 und 1516 jedoch Eingang in Handbücher und Überblicksdarstellungen zur Schweizer Geschichte (1), in die Landesbeziehungsweise Kantonsgeschichte (2), in die Militär- und Kriegsgeschichte (3) und in die neuere Sozial- und Kulturgeschichte (4).

1Die älteren Überblicksdarstellungen zur Schweizer Geschichte schenkten den Pensionenunruhen im Vergleich zum ähnlich gelagerten, aber räumlich nur auf Zürich begrenzten Waldmannhandel von 1489 wenig Beachtung.67 Die Bewertung der Historiografie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lässt sich mit Johannes Dierauer dahingehend zusammenfassen, dass es sich bei den Aufständen «im Grunde» um «eine berechtigte Reaktion gegen ungesunde politische und soziale Verhältnisse» handelte, «die aber doch, wie es bei Massenerhebungen zu geschehen pflegt, in leidenschaftliche und grobe Ausschreitungen überschlug.»68 In Analogie zur älteren Literatur blieb die den Unruhen zugemessene Aufmerksamkeit auch in den Gesamtdarstellungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bescheiden. Das 1972 erschienene Handbuch der Schweizer Geschichte widmet den Pensionenunruhen im Unterkapitel Ausbildung der Territorialhoheit lediglich sechzehn Zeilen. Schaufelberger verweist in seinem Beitrag zwar auf den Zusammenhang der Aufstände mit den Mailänderkriegen, lässt jedoch im Gegensatz zur älteren Forschung die Sold- und Pensionenproblematik vollständig ausser Acht. Dagegen unterstreicht der kurze Überblick das angeblich konservative Wesen der Bewegung.69 Weder im Rekurs der Aufständischen auf das alte Herkommen noch in dem von den Berner Untertanen eingeforderten Recht auf eine institutionelle Mitsprache in Bündnisangelegenheiten vermag Schaufelberger einen prospektiven Charakter zu erkennen. In der 1982 erschienenen und methodisch der Sozial-, Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte verpflichteten Geschichte der Schweiz – und der Schweizer kommen die Pensionenunruhen gar nicht vor.70 Auch andere Gesamtdarstellungen zur Schweizer Geschichte erwähnen die Aufstände im Zusammenhang mit den italienischen Feldzügen oder dem Sold- und Pensionenwesen nur kurz71 – oder überhaupt nicht.72 Im hervorragenden und wichtigsten Nachschlagewerk zur Schweizer Geschichte, dem Historischen Lexikon der Schweiz, finden sich ebenfalls nur sehr kurze auf die Ereignisgeschichte fokussierte Einträge zum Könizer Aufstand und zum Zwiebelnkrieg, nicht aber zu den Aufständen in Solothurn und Zürich.73 In anderen Einträgen interpretiert das Lexikon den Protest in den vier Städteorten als Ausdruck eines verschärften Kampfes um Ressourcen zwischen Stadt und Land und betont den aussenpolitischen Bezug der Proteste.74 Doch erst das jüngst erschienene neue Handbuch Die Geschichte der Schweiz (2014) hat die Kernproblematik der Pensionenunruhen erfasst: Mit den Aufständen «war die Frage, wer von den Kriegszügen und Soldwerbungen profitierte und wer die Kosten – vor allem an Menschenleben – zu tragen hatte, zum Politikum geworden.»75

2Ausführlicher als die Überblicksdarstellungen zur allgemeinen Schweizer Geschichte hat sich die Landes- beziehungsweise Kantonshistoriografie mit den Pensionenunruhen beschäftigt. Für Bern markiert die 1529 erschienene Berner-Chronik von Valerius Anshelm den Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit den Pensionenunruhen und dem Könizer Aufstand.76 Der grosse Einfluss der Chronistik aus dem 16. Jahrhundert auf die spätere Geschichtsschreibung in Bern (aber auch in Luzern, Solothurn und Zürich) ist auch der Grund für die möglicherweise merkwürdig anmutende Tatsache, dass die Chroniken in diesem Kapitel und nicht im Kapitel über die Quellen diskutiert werden. Anshelms Parteinahme für die Anliegen der Pensionengegner sind augenfällig, erkennt er doch in den «fro(e)mden pensionen, pu(e)nden und kriegen» nichts weniger als «gu(o)ten pollicien to(e)tliche hoptviend».77 Trotz seinem offenkundigen Missfallen an den von der Obrigkeit abgetrotzten Rechten, die er als einem «gu(o)tem gmeinem regiment unlidlich und verderblich»78 einstuft, bleibt sein Urteil in Bezug auf die aufständischen Gemeinden milde. Die «arbeitsamen gmeinden» werden in seiner Analyse zu eigentlichen «veldga(e)nsen», «zu(o) denen man zu(o)m jar zweimal gu(o)t ufsehen tu(o)t, namlich S.Johanstag, so man si sol uf d’hut berupfen, und um S.Martinstag, so man s’ gar sol praten; darzwischen uf d’weid an d’fu(e)chs und d’wo(e)lf wagen.»79 Seine Kritik zielt deshalb vor allem auf die in Faktionen zersplitterte Obrigkeit, 80 wenn er den Leser beispielsweise daran erinnert, «vor ougen zehaben und nimmer zu(o) vergessen, was uss nid und git in gmeinem regiment erwachse; keine herren, keine pensionen, mu(e)et, gaben noch so(e)ld mo(e)gend iro disen schaden, den si geborn hond, abtragen, aber wol meren, eigennu(e)tzig, gwaltgitig obren, und verachtlich, unghorsam undertanen machen, wie dan vor und iezt nach diser ufru(o)r me dan vor ie beschehen. Got, wie durch’s evangelium angefangen, besser’s!»81 Nur mit roher Gewalt und ohne Besinnung auf das Evangelium, so lässt sich das Urteil des sendungsbewussten Chronisten zu den Pensionenunruhen zusammenfassen, war dem Eigennutz und der Gier der Obrigkeit nach Pensionen nicht beizukommen.

Anshelms Darstellung ist in der bernischen Historiografie die wichtigste Referenz für die Deutung der Könizer Aufstände und beeinflusste folglich auch das gewichtige vierbändige Werk über die Geschichte Berns von Richard Feller aus dem Jahr 1946. Auch hier reinigte das «Ungewitter des Jahres 1513» die Sitten – in Anspielung auf die bevorstehende Reformation – noch nicht.82 «Zuerst Hitze, dann gnädiges Einlenken schwächt der Obrigkeit Gebot», beurteilt Feller Anshelm folgend den Ausgang der Aufstände.83 Einziger Ertrag der Bewegung, bilanziert Feller deshalb, war das «gesetzlich festgelegte Mitspracherecht der Landschaft in der Aussenpolitik».

Mit der Verortung des Könizer Aufstands im Kontext der städtischen Landesherrschaft beschäftigten sich ein halbes Jahrhundert später auch die beiden Untersuchungen von Peter Bierbrauer84 und André Holenstein.85 Für Bierbrauer stellt der Aufstand von 1513 im Kern einen Versuch der Bauern dar, den bernischen Staat nach ihren Vorstellungen zu prägen. Er ist der Ansicht, dass die von den rebellierenden Untertanen angestrebte politische Ordnung einer Konzeption von unten entsprach. Den Gemeinden und Landschaften ging es, so diese ständegeschichtliche Perspektive, ausschliesslich darum, einen zentralistischen Territorialstaat zu verhindern und ihre kommunalen Freiheiten zu wahren. Im Rahmen der ständischen Gesellschaft, einer societas cum imperio, blieben für einen gesamtstaatlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Obrigkeit kaum mehr als das Kriegswesen und die Aussenpolitk, wobei selbst dieser Handlungsbereich 1513 dem bäuerlichen Mitspracherecht unterworfen worden war.86 Holenstein dagegen betont den nur wenig revolutionären Charakter der Bewegung, da mit der Durchsetzung einzelner Klagen und der ausdrücklichen Garantie der kommunalen Freiheiten für die beteiligten Gemeinden das Wesentlichste erreicht war. Auf die Forderung nach einer Beteiligung am städtischen Regiment, so Holenstein, wurde während der gesamten Dauer der Erhebung verzichtet.87 Auch die institutionelle Mitsprache der Landschaft in der Aussenpolitik beurteilt Holenstein im Unterschied zu Bierbrauer und Feller deutlich zurückhaltender, indem er mit Blick auf die bernischen Ämteranfragen88 zu Recht darauf hinweist, dass die Fixierung dieses Konsensrechts nicht mehr als die rechtliche Absicherung «einer eingeübten Praxis» bedeutete.89

In besonderer Weise interessierte sich auch die bernische Wirtschaftsgeschichte für den Könizer Aufstand. In seiner 1971 erschienenen Dissertation zum Thema Lebensmittelteuerungen, ihre Bekämpfung und ihre politischen Rückwirkungen in Bern stellt der Wirtschaftshistoriker Hugo Wermelinger die unterschiedlichen Marktinteressen zwischen städtischen Konsumenten und ländlichen Produzenten ins Zentrum seiner Betrachtung. Die erzwungene Deregulierung der bislang einseitig ausgerichteten, konsumentenfreundlichen Wirtschaftspolitik (Fürkaufverbot) wird bei Wermelinger zum wichtigsten Anliegen der Aufständischen (Forderung nach dem freien Kauf).90 Die monokausale Deutung der Könizer Aufstände als Reaktion der Produzenten auf die Wirtschaftspolitik der Obrigkeit unterschätzt die Bedeutung des Sold- und Pensionenwesens für den Protest. «Parteienhader und Bestechlichkeit» waren zweifellos mehr als nur der unmittelbare Anlass der Ereignisse.91

In Luzern setzt die Geschichtsschreibung zum Zwiebelnkrieg mit Renward Cysat ebenfalls im 16. Jahrhundert ein. Cysats Darstellung entstand sechzig Jahre nach den Unruhen 1573 und beeinflusste auch die luzernische Historiografie nachhaltig. Als Quellen dienten ihm Augenzeugenberichte, wobei er sich besonders auf den zur Zeit der Befragung achtzigjährigen Rudolf Lipp stützt.92 Aus seinem Unverständnis gegenüber den Anliegen der Aufständischen macht Cysat als Pensionär Savoyens, Spaniens und Frankreichs93 keinen grossen Hehl. Für ihn steht fest, dass «die puren mitt jrem trutzigen wäsen vnd vngestüme von einem ersamen rhat vil sachen vnd brieffen vßbracht, so jn künftigem vnserm fryen stand vnd gmeinem nutz hette mögen nachtheilig sin vnd zu verkleinerung dienen».94

Die luzernische Historiografie des 19. Jahrhunderts attestierte den Untertanen ein mittelalterliches Rechtsverständnis. Laut Anton Philipp von Segesser griffen die Aufständischen in Analogie zu Bern «nicht das Subject der Landeshoheit an, verlangten nicht eine democratische Organisation, wodurch sie als Eine Gemeinde mit den Räthen und den Burgern von Lucern die Herrschaft getheilt hätten, sondern sie stellten sich gegentheils als die Gesammtheit der Unterthanen der Obrigkeit gegenüber als ein gesondertes Subject von Rechten; sie verlangten aber als solches die Theilnahme an der Entscheidung über Krieg und Frieden, einem wesentlichen Attribute der Hoheit, eine Theilung der Staatsgewalt ganz im Geiste der mittelalterlichen Anschauungen.»95 Diesem eingeforderten Mitspracherecht in aussenpolitischen Fragen spricht von Segesser indessen jegliche «Ideen von democratischer Gleichberechtigung» ab und sieht das Motiv für die verlangte politische Teilhabe einzig in den «aus solchen Verbindungen hervorgehenden weitern Lasten der Unterthanen».96 Eine andere Perspektive nimmt die 1903 erschienene Arbeit von Theodor von Liebenau zur Geschichte der Stadt Willisau ein. Von Liebenau interpretiert die Unruhen in Willisau, wo die Aufstände auf der Luzerner Landschaft ihren Anfang nahmen, als Folge eines doppelten Interessengegensatzes. Nicht nur seien die Willisauer Stadtbürger «Freunde des Reislaufens» gewesen, die es «gar nicht ungern» gesehen hätten, «wenn der Rat von Luzern mit fremden Fürsten Bündnisse abschloss», sondern gleichzeitig hätten sie «dem neuen Staatsrechte» gehuldigt, das «auf Rechtseinheit, Zentralisation der Verwaltung, Erklärung der Jagd und Fischerei etc. als Regal und Einführung des heimlichen, schriftlichen Gerichtsverfahrens hinzielte».97 Die Willisauer Landgemeinde dagegen, so von Liebenau, «war allen Bündnissen mit fremden Fürsten abgeneigt» und hielt «an dem von den Vätern ererbten Rechte fest.»98 Obwohl von Liebenau 1881 auf die vorhandenen Interessengegensätze innerhalb der Luzerner Stadtbürgerschaft im Verlauf des Zwiebelnkriegs hingewiesen hatte, 99 kommen solche sich partiell überlagernden Interessenlagen von Teilen der Obrigkeit und Teilen der Untertanen in der Untersuchung zu Willisau nicht zur Sprache. Die Vorstellung von der Obrigkeit beziehungsweise von den Aufständischen als jeweils homogene und koordiniert handelnden Interessengruppen fand auch in der Geschichte des Kantons Luzern im 16. und 17. Jahrhundert von Sebastian Grüter aus dem Jahr 1945100 ihren Niederschlag. Diese wich jedoch 1994 mit der unveröffentlichen Lizentiatsarbeit von Peter Spettig über den Zwiebelnkrieg einer differenzierteren Betrachtung. Mit Blick auf die Träger der Unruhen stellt Spettig fest, dass es zwischen den beiden Konfliktparteien laufend zu Umgruppierungen gekommen sein dürfte und es folglich falsch sei, von nur zwei Konfliktparteien auszugehen.101

Die Forschungssituation zu den Unruhen in Solothurn fällt im Vergleich zu Bern und Luzern deutlich knapper aus.102 Als Erster wandte sich Adolf Lechner 1909 dem Gegenstand ausführlicher zu. Doch wie es der Titel der Arbeit, Solothurnische Nachklänge zum Dijonervertrag von 1513, andeutet, finden die Ereignisse des Sommers 1513 in der Darstellung Lechners nur am Rand Erwähnung.103 Die Arbeit behandelt vielmehr «die eigenmächtigen diplomatischen Betätigungen und militärische Aktionen Einzelner» nach der militärischen Unternehmung der Eidgenossen in Dijon im Kontext von Parteienstreit, Solddienst und französischer Diplomatie, welche Solothurn noch einige Jahre über den Aufstand hinaus in Atem hielten.104 Detailliert beleuchtet dagegen die Studie von Bruno Amiet die Ereignisse in Solothurn in den Jahren 1513.105 In komprimierter Form finden sich seine Ergebnisse in dem 1952 ebenfalls von ihm erarbeiteten ersten Band zur solothurnischen Geschichte.106 Die Bilanz der solothurnischen Kantonsgeschichte in Bezug auf die Wirkung der Unruhen fällt dabei ähnlich nüchtern aus wie für Bern und Luzern: «Wie festgefügt und wie selbstverständlich sonst die rechtliche und politische Ordnung der Stadt in den Augen der Bürger war, zeigt der Umstand, dass unter den Bauernforderungen keine einzige irgend einen Anteil des Landvolks am Regiment, etwa Ratssitze für Bauernvertreter, verlangt hätte.»107 Und das, «obwohl die solothurnischen Knechte, die so oft mit den Bauern der Urschweiz auf den vielen Kriegszügen zusammentrafen, die Einrichtung der Landsgemeinden und das politische Mitspracherecht der dortigen Landleute wohl kennen mussten.»108

Erheblich mehr Raum als in der Solothurner Geschichtsschreibung nehmen die Unruhen in der Kantonsgeschichtsschreibung von Zürich ein. Auch hier beginnt die Aufarbeitung der Ereignisse im 16. Jahrhundert. Mit Johannes Stumpf, 109 Heinrich Bullinger110 und Hans Füssli111 widmeten sich drei Zürcher Chronisten dem sogenannten Lebkuchenkrieg. Alle drei Darstellungen fokussieren nebst der Ereignisgeschichte insbesondere auf das umstrittene Verhalten der angeklagten Zürcher (Bestechungen etc.). Auffallend dabei ist, dass in keinem der drei Werke der Einigungsvertrag zwischen Obrigkeit und Aufständischen (Mailänderbrief) diskutiert wird.112 1910 diagnostizierte Karl Dändliker in seiner Geschichte der Stadt und des Kantons Zürich «ein soziales oder wirtschaftliches Missbehagen»113 und kontextualisierte die Unruhen vor dem Hintergrund der Zürcher Verfassungsgeschichte. Seiner Einschätzung zufolge hatte die ökonomische Belastung der Untertanen seit dem Waldmannhandel «keine Erleichterung erhalten; die wirtschaftliche Gebundenheit und Zurücksetzung, sowie der allgemeine Notstand drückten nach wie vor.»114 Aus dem «Gefühl der Verbitterung über die Ungerechtigkeit, die darin lag, dass man die ‹Reiser›, die frei nach Sold und Beute jagten, bestrafte, ja schwer traf, während man den vornehmen Herren ruhig und ungehindert reiche Pensionen vom Auslande her zufliessen liess», 115 resultierte der Mailänderbrief, eine «der wichtigsten Verfassungsurkunden unserer älteren Kantonsgeschichte.»116 Anton Largiadèr betonte zehn Jahre später in seiner Arbeit über die zürcherische Landeshoheit, dass 1515 im Unterschied zu den Untertanenprotesten in der Reformationszeit ausschliesslich politische Fragen verhandelt worden und wirtschaftliche Beschwerden ganz in den Hintergrund getreten seien.117 In dieser Frage herrscht in der Zürcher Historiografie seither weitgehend Konsens. Dass sich der Konflikt in Zürich 1515 im Unterschied zum Waldmannhandel 1489 – aber auch im Gegensatz zu den Unruhen in Bern, Luzern und Solothurn von 1513 – auf politische Inhalte (Pensionenwesen, Schuldfrage an der Niederlage in Marignano) beschränkte, lässt sich gemäss der Arbeit von Christian Dietrich damit erklären, «dass eine grundlegende Klärung der Stadt-Land-Beziehung auf der Basis der Anerkennung der gegenseitigen Rechtsansprüche schon 1489, bestätigt im ‹anbringen› von 1513, erfolgt war.»118 Heinzpeter Stucki, welcher den Lebkuchenkrieg für die 1996 erschienene Geschichte des Kantons Zürich bearbeitete, interpretiert den Mailänderbrief deshalb als eine Ergänzung zu den Waldmannschen Spruchbriefen.119 Die politische Erschütterung habe schliesslich, so bilanzieren Dietrich wie auch Stucki, einen Wandel in der zürcherischen Regierungspraxis bewirkt. Um einen Konsens in wichtigen Fragen bemüht, griff die Zürcher Obrigkeit nun vermehrt auf das Instrument der Ämteranfragen zurück.120 Obwohl in Zürich die Kompetenz des Rats in der Aussenpolitik nicht zur Debatte stand, bedeutete der Lebkuchenkrieg für die zürcherischen Aussenbeziehungen einen Richtungswechsel. «Durch ihn ward», resümiert Guido Stucki, «der in der Limmatstadt wie anderswo recht rührigen Franzosenpartei das Rückgrat gebrochen, was sich an einer fortan noch konsequenter gehandhabten anti-französischen bzw. kaiserlichen und päpstlichen Politik manifestierte.»121

3Die ältere Militär- und Kriegsgeschichte bekundete ein reges Interesse an den Pensionenunruhen. Bereits die Dissertation von Wilhelm Gisi aus dem Jahr 1866 interpretiert die Unruhen als Folge des diplomatischen und militärischen Engagements der Orte in den Mailänderkriegen.122 Ganz in dieser Tradition beurteilte Ernst Gagliardi in seiner wichtigen Arbeit Novara und Dijon. Höhepunkt und Verfall der schweizerischen Grossmacht im 16. Jahrhundert alle Forderungen der bernischen Aufständischen, die nicht im Zusammenhang mit dem Sold- und Pensionenwesen standen, als sekundär für den Ausbruch der Unruhen.123 Erst über die Zeit, so Gagliardi, habe «die Bewegung auch den sozialen Charakter erhalten, den ein Bauernaufstand in dieser Zeit unvermeidlich gewinnt», und «mit allem Nachgeben und schnellen Eingehen auf die ursprünglichen Ziele der Empörung konnte Bern es nicht verhindern, dass auch die übrigen Wünsche in so günstiger Stunde bei seinen Untertanen sich regten».124

Eine Brücke zwischen Militär-, Wirtschafts-, Sozial- und Verfassungsgeschichte schlug Emil Dürr, indem er auf das latente Spannungsfeld zwischen aussenpolitischer Macht und innerer Verfasstheit des eidgenössischen Bündnisgeflechts zu Beginn des 16. Jahrhunderts hinwies. «Aussenpolitisch stand die Eidgenossenschaft auf der Ho(e)he ihrer Macht und ihres Ruhmes. Aber zur selben Zeit klafften in ihrem sozialen und staatlichen Gefu(e)ge so tiefe und so bedenkliche Risse auf, dass diese jene Grossmachtstellung von innen heraus problematisch gestalteten.»125 Dabei sah er einen eigentlichen «Demokratismus» am Werk, welcher sich mit einem politischen und wirtschaftlichen Konservatismus verbunden habe. So habe man «im Grunde die Ru(e)ckkehr zu a(e)lteren, u(e)berwundenen, als besser empfundenen Rechtsverha(e)ltnissen» angestrebt, wobei die Bauern und Landstädter die Kraft zum Aufstand und zum Widerstand «nicht zuletzt im Bewusstsein gescho(e)pft haben, dass es ja vor allem ihre Arme gewesen, welche die grossen Waffentaten und die politischen Erfolge der allerletzten Jahre erstritten hatten.»126

Das in sämtlichen militärgeschichtlichen Darstellungen greifbare Unbehagen gegenüber dem Sold- und Pensionenwesen illustriert etwa die breit angelegte Untersuchung Emil Usteris zu Marignano aus dem Jahr 1974.127 Obwohl die Zürcher Prozesse im Nachgang des Lebkuchenkriegs gemäss Usteri einige Blicke hinter die Kulissen der Vorgänge während der Friedensverhandlungen in Gallarate erlauben würden, seien «gewisse Hemmungen zu überwinden». Gleichwohl müsse, so Usteri weiter, «auch diese dunkle Seite im Schweizer Geschichtsbuch aufgeschlagen und unparteiisch studiert werden.»128 Die Wirkung dieses Appells war innerhalb der militärhistorischen Zunft indessen beschränkt. In der neusten Überblicksdarstellung zu den Solddiensten kommen die Pensionenunruhen nicht zur Sprache.129

4Deutlich weniger Berührungsängste mit dem Gegenstand kennt die neuere Kultur- und Sozialgeschichte. Die Habilitationsschrift Valentin Groebners mit dem Titel Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit aus dem Jahr 2000 bedeutete einen eigentlichen Paradigmenwechsel. Groebner beurteilt die Aufstände im Unterschied zum bisherigen Deutungsangebot nicht mehr als Ausdruck einer durch das Pensionenwesen verursachten Krise, sondern interpretiert sie als Folge einer Verfestigung und Arrondierung der politischen Strukturen durch das Pensionenwesen.130 In Anlehnung an Groebner wies Claudius Sieber-Lehmann auf den Umstand hin, dass sowohl bei den Pensionenunruhen als auch beim Waldmannhandel nicht die grundlegenden Parameter des Systems beziehungsweise die Verfassungsformen (Kommunalismus, Republikanismus, Demokratie) zur Debatte standen, sondern vielmehr Handlungsweisen gedeutet wurden. «‹Interesse› im doppelten Sinne stand dabei im Vordergrund: Als Teilnahme am Spiel, aber – im Sinne des lateinischen interesse – auch als Profit.»131 Diese kultur- und sozialgeschichtliche Perspektive rückt die Bedeutung eines um materielle Ressourcen geführten Verteilungskampfes innerhalb eines immer stärker zugunsten der Obrigkeit strukturierten Sold- und Pensionenmarktes ins Zentrum. Sieber-Lehmann spricht deshalb von einem Spielfeld, im Sinn Bourdieus, mit ihm eigenen Verhandlungsregeln.132 Auch die neuste Untersuchung zum Könizer Aufstand von Hans Braun zielt nicht auf die Verfassungsformen ab, sondern nimmt die beteiligten Akteure und deren Handlungsweisen in den Blick.133 Aus dem bernischen Material geht dabei deutlich hervor, dass die Angeklagten zunächst auf die Nachsicht der Obrigkeit vertrauten und glaubten, «man werde wie früher durch die Finger sehen.»134 Diese stillschweigende Übereinkunft zwischen den Reisläufern, Werbern und Pensionenverteilern auf der einen Seite und Teilen der politischen Elite auf der anderen Seite fand mit den Aufständen allerdings ein abruptes Ende. Die im Verlauf der Unruhen wegen ihrer Pensionenbezüge massiv unter Druck geratenen Ratsherren inszenierten sich mit Blick auf die anstehenden Prozesse «als Opfer der arglistigen Täuschungsmanöver der französischen Gesandten», was zur Folge hatte, dass sie sich gegenseitig die Verantwortung zuschoben.135 Simon Teuscher erkannte 1998 in seiner Dissertation über die Soziabilität und Politik in der Stadt Bern um 1500 das heuristische Potenzial der Ereignisse im Umfeld des Könizer Aufstandes und machte das überlieferte Material erstmals für die historische Klientelismusforschung fruchtbar.136 Teuschers Zugang leitet über zu einigen methodischen Überlegungen und den der Untersuchung zugrunde liegenden Quellen.

4 Quellen und Methode: Netzwerkanalyse

Geheime Pensionentransfers, politische Absprachen und die engen Beziehungen der politisch-militärischen Eliten mit auswärtigen Mächten wurden während der Pensionenunruhen zum Politikum. Die Frage, welche die Aufständischen umtrieb, war: Welche Ratsherren hatten Pensionen empfangen und wie viel? Die gewaltsam initiierten Prozesse sollten in diesen Fragen Klarheit schaffen. Während der gerichtlichen Untersuchungen zwischen 1513 und 1516 wurde der Ressoucentausch zwischen den fremden Mächten und den einheimischen Eliten rekonstruiert und in unterschiedlichen Formen und Medien schriftlich dokumentiert. In den Staatsarchiven Bern, Luzern, Solothurn und Zürich haben sich grosse Mengen an Gerichtsakten erhalten. Einen wichtigen Bestandteil des überlieferten Materials bilden dabei die Zeugenaussagen. Bei diesen Verhören handelt es sich meistens um formlose, teilweise undatierte Niederschriften von ganz unterschiedlicher Länge. Förmliche Reinschriften der Zeugenverhöre sind dabei ebenso vorhanden wie Simultanmitschriften. Trotz der günstigen Überlieferungssituation sind solche Gerichtsakten aus quellenkritischen Gründen schwierig zu deuten.137 Angesichts der misslichen Lage, in der sich die befragten Ratsherren befanden, muss davon ausgegangen werden, dass sie in der Hoffnung auf ein mildes Urteil strategisch argumentiert und deshalb die Vorgänge teilweise verzerrt oder falsch wiedergegeben haben. Ganz besonders gilt dies für die unter Folter oder Folterandrohung zustande gekommenen Aussagen. Selbst die von den Obrigkeiten initiierten umfangreichen Befragungen von Personen im Rahmen von Kundschaften, die selbst keine Strafe zu befürchten hatten, sind nicht minder problematisch. Denn gerade in denjenigen Fällen, in welchen sich viele Zeugen zum selben Sachverhalt äusserten, kommt die Widersprüchlichkeit der einzelnen Aussagen bisweilen besonders deutlich zum Ausdruck.138 Ein behutsames Vorgehen ist im Umgang mit Zeugenaussagen deshalb angebracht, damit die «Königin der Beweise» sich nicht als «Mutter grosser und zahlreicher Lügen» erweist.139 Dies gilt besonders für Zürich, wo 1515 die üblichen Verfahrensprozeduren unter dem politischen Druck der Untertanen zeitweise vollständig ausgesetzt wurden.140 Ausserdem schmälert die von den Aufständischen durch Gewalt zum Ausdruck gebrachte Erwartung an die Obrigkeit, Schuldsprüche zu produzieren, die Aussagekraft des Quellenmaterials zusätzlich. Das Problem der Zeugenaussagen wird allerdings partiell abgeschwächt, weil die Angaben aus den überlieferten Protokollen durch die Beiziehung weiterer Quellen (Chroniken, Urkunden, Urfehden, Missiven, Briefe, Ratsmanuale, 141 Pensionenlisten aus den fürstlichen Kanzleien, Eidgenössische Abschiede) teilweise überprüft werden können. Die Verschränkung unterschiedlichster Quellengattungen vermag die Problematik damit etwas zu entschärfen. Ausserdem ist die Ausgangslage insofern günstig, als vergleichbare Protestbewegungen aus einem vergleichsweise kurzen Zeitraum in einem vierfachen Zugriff untersucht werden können. Dies verspricht Einblick in generalisierbare Handlungs- und Beziehungsmuster sowie Konfliktsituationen. Einen aussichtsreichen Weg, wie man solche Praktiken eidgenössischer Pensionäre auf der Basis dieses disparaten Quellenmaterials systematisch-vergleichend untersuchen und beschreiben kann, zeigte Ulrich Pfister in einem wegweisenden Aufsatz von 1992 auf. Er stellte damals fest, dass das frühneuzeitliche Kriegswesen aufgrund der komplexen Organisationsleistungen, welche die Kapazität eines einzelnen überstiegen, und der Verbindung zur zwischenstaatlichen Politik von der Rekrutierung bis zur Kapitulation von Heereskörpern von klientelistischen Elementen durchsetzt war.142 Pfister qualifizierte den Solddienst als Quelle politischer Patronage ersten Ranges.143

Die Thematik Patronage und Klientel beschäftigt die Geschichtswissenschaft seit nunmehr über dreissig Jahren. In der Tat sind die einschlägigen Publikationen der Althistoriker, Mediävisten, Frühneuzeitler und Zeithistoriker kaum mehr zu überblicken.144 Gleiches lässt sich mit Blick auf die spezifische Forschungssituation zur älteren Schweizer Geschichte nicht behaupten. Angesichts des hohen Stellenwerts der Patronage fremder Herrscher und ihrer Vertreter vor Ort bei der Gestaltung der inneren Herrschaftsverhältnisse ist es in den Worten Christian Windlers erstaunlich, «dass die Geschichte der Aussenbeziehungen in der neueren schweizerischen Forschung fast als Tabuthema gilt und die eidgenössischen Beziehungsnetze bisher selten zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht wurden, die mit dem Verflechtungsansatz arbeiten.»145 Publikationen, welche die eidgenössischen Eliten als Klienten auswärtiger Patrons untersuchen, liegen tatsächlich nur vereinzelt vor.146

Beim Verflechtungsansatz beziehungsweise der network analysis handelt es sich um ein sozialwissenschaftliches Konzept, das es ermöglicht, informelle Netzwerke in komplexen Gesellschaften zu untersuchen. In den 1970er-Jahren rezipierte Wolfgang Reinhard dieses von der Sozialpsychologie und Sozialanthropologie in den 1930er- und 1940er-Jahren entwickelte Konzept erstmals für die Erforschung historischer Führungsgruppen.147 Den Begriff network verdeutschte Reinhard seinerzeit mit Verflechtung. Inzwischen hat sich jedoch der Anglizismus Netzwerk in der Forschungssprache mehrheitlich durchgesetzt.148 Gegenstand der Verflechtungs- beziehungsweise Netzwerkanalyse ist die Beschreibung von Interaktionen und Beziehungen zwischen einer (theoretisch) beliebigen Anzahl von Personen. Für die Darstellung dieser Interaktionen und Beziehungen hat sie unterschiedliche grafische und mathematische Instrumente entwickelt.149 Als wichtigste Erscheinungsformen der personalen Verflechtung nennt Reinhard die Verwandtschaft, die Freundschaft, die Patronage und die Landsmannschaft. Diese vier Beziehungstypen sind nicht isoliert voneinander zu sehen, vielmehr können sie sich gleich mehrfach überlagern. Mittlerweile hat Reinhard für die Umschreibung des Phänomens den aus der Mikroökonomie entlehnten Begriff der Mikropolitik in die Diskussion eingeführt. «Dabei handelt es sich, summarisch vereinfacht, um die Erzeugung und Nutzung von persönlichen Loyalitäten, die durch Verwandtschaft, Freundschaft und klienteläre Beziehungen zustande kommen».150

Klientelismus, um den Terminus zu klären und das heuristische Potenzial der Netzwerkanalyse näher zu umreissen, bezeichnet eine persönliche Beziehung zwischen zwei sozial ungleichen Partnern, die miteinander Ressourcen austauschen.151 Der Ressourcentausch findet zwischen einem sozioökonomisch höhergestellten Patron und einem Klienten mit einem niedrigeren Status statt. Der Patron gewährt seinem Klienten beispielsweise Protektion, Kredite und Geldzahlungen. Im Gegenzug verpflichtet sich der Klient gegenüber seinem Patron zu Arbeitsleistungen, versorgt ihn mit Informationen und setzt sich für politische Anliegen oder das Prestige seines Patrons ein.152 Die dominante Stellung des Patrons erklärt sich unter anderem mit der Exklusivität seiner zur Verfügung gestellten Güter und der Möglichkeit, Klienten jederzeit zu ersetzen.153 Das Modell eignet sich für die Beschreibung ganz unterschiedlicher Formen vertikaler Beziehungen. Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht indessen alleine die klientelistische Beziehung zwischen den fremden Kriegsherren (Patrons) und ihren eidgenössischen Pensionären (Klienten).

Für die fern der Eidgenossenschaft weilenden fürstlichen Patrons war es wegen der geografischen Distanz, des sozialen Gefälles oder der Fülle ihrer Beziehungen bisweilen nicht möglich, direkte Beziehungen mit ihren Klienten in den Orten zu unterhalten. Diese Lücke wurde häufig von einem sogenannten Broker geschlossen, der als Vermittler zwischen Patron und Klient den Ressourcenaustausch vor Ort organisierte.154 In dieser Funktion kam dem Broker, der vielfach über keine eigenen Ressourcen verfügte, jedoch oft aus der lokalen Gesellschaft stammte, mitunter selbst die Rolle eines Patrons zu.155

Klientelistische Beziehungen nehmen in allen Gesellschaften entscheidende Funktionen wahr, deren formelle staatliche Organe nur schwach ausgebildet sind.156 Diese Beobachtung aus der Sozialanthropologie macht das Konzept für die Praktiken der eidgenössischen Diplomatie besonders interessant, weil die Aussenbeziehungen der Orte um 1500 nur in Ansätzen institutionalisiert waren. Allgemein ist es eminent, «die für die Zeit bis ins 18. Jahrhundert anachronistische Fixierung auf den Staat als massgebliche und geschlossen handelnde Einheit in den Aussenbeziehungen» aufzulösen und gegen eine akteurszentrierte Sichtweise einzutauschen.157 Mit diesem Perspektivenwechsel rücken die Akteure in den Vordergrund, welche die Aussenbeziehungen der Orte immer auch nach ihren Privatinteressen auszurichten suchten.158 Bei genauem Hinsehen lösen sich deshalb die Politiken der Machtzentren in Praktiken der Akteure auf, deren Handeln obrigkeitliche und partikulare Interessen gleichermassen bediente.159 So versammelten sich laut Daniel Schläppi an Tagsatzungen des 17. Jahrhunderts weniger Gesandte der eidgenössischen Orte, sondern «in erster Linie Geschäftsleute und Politunternehmer».160 In Solddienstangelegenheiten sind die wirtschaftlichen Interessen der einflussreichen Familien kaum von den Interessen ihres Orts zu unterscheiden.161 Die Pensionen- und Reislaufpolitik der Orte und der Tagsatzung bildete gewissermassen die Resultante der Familieninteressen im Bereich des Militärs.

In der frühen Neuzeit wurden diese Praktiken der politischen Einflussnahme von verschiedenen Parteien sprachlich in unterschiedlicher Weise verhandelt. Es existierten zwei konkurrierende Diskurse, welche diese Handlungsweisen rechtfertigten oder als korrupt verurteilten. Auch die historische Forschung bewertet das Phänomen unterschiedlich und stellt neben dem Patronagekonzept auch zwei unterschiedliche Konzeptualisierungen zur Diskussion: neutral beziehungsweise positiv als Patronage oder negativ als Korruption.162 Die Patronageforschung betont das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Patron und Klient, welches eine affektive Dimension beinhalten konnte.163 Insbesondere in Briefen zwischen Patrons und Klienten finden sich tatsächlich häufig Formulierungen, welche das persönliche Freundschaftsverhältnis zum Ausdruck bringen.164 1497 schreibt etwa der bernische Broker Thomas Schöni an seinen Patron Georg Supersaxo von «guoten heren, gönern und einteil geborner fründen», die er für seinen Patron in einer dringenden Angelegenheit zu aktivieren gedenke.165 Der vertikale Charakter von Patron-Klient-Beziehungen wird häufig an der Formulierung der Anrede erkennbar: «her und gfatter» nannte beispielsweise der Berner Broker Michel Glaser den Patron Supersaxo.166 Pfister spricht deshalb von einer instrumentellen Freundschaft, welche Patron und Klient verbindet.167 Im Unterschied zum Konzept der Patronage impliziert das Konzept der Korruption, dass eine persönliche Beziehung zwischen den Beteiligten weitgehend fehlt.168 Gegen die verbreitete Auffassung der Patronageforschung, wie sie beispielsweise von Sharon Kettering vertreten wurde, dass es sich bei der Korruption um ein modernes Konzept handelt und folglich nicht auf Handlungsmuster frühneuzeitlicher Akteure übertragen werden kann, 169 hat Andreas Suter Einspruch erhoben. «Für den gesamten Zeitraum des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit finden wir auf allen Sprachebenen, dem gelehrten Diskurs der Staatstheoretiker, Philosophen, Juristen und Theologen, dem Diskurs der Amts- und Justizbehörden von Gemeinden, Städten, Ständen und Territorien und dem Diskurs dieser Praktiken betroffenen und zuweilen dagegen opponierenden Untertanen Belege dafür, dass das Wort Korruption verwendet wurde, dass alternativ zur Bezeichnung derselben Sache als Korruption zahlreiche Synonyme wie Bestechung usw. benutzt wurden, und dass die mit diesen Worten bezeichnete Sache sich von modernen Konzeptualisierungen korrupter Praktiken nicht grundlegend unterschied.»170

Diese Kritik an derartigen Praktiken der politischen Einflussnahme war im Umfeld der Pensionenunruhen virulent. Das führte in der politisch angespannten Zeit der Mailänderkriege zu vielen, teilweise politisch motivierten Anschuldigungen. In den überlieferten Gerichtsakten ist deshalb nur selten von freundschaftlichen Verbindungen die Rede, vielmehr dominiert eine Sprache der Korruption.171 Während der Pensionenunruhen zirkulierte beispielsweise das Gerücht, der Luzerner Schultheiss Petermann Feer hätte mehr Geld vom französischen König erhalten, als ein Ochse schwer sei.172 Um die Verflechtung der politisch-militärischen Eliten mit den auswärtigen Patrons in den vier Untersuchungsräumen um 1500 möglichst vollständig erfassen zu können, ist das Plädoyer von Suter für eine doppelte Perspektive eminent. Sowohl der positive Patronage- als auch der negative Korruptiondiskurs sollen gleichberechtigt untersucht werden.173

In der Patronageforschung besteht weitgehend Einigkeit in der Frage, dass es sich bei Netzwerken um eine funktionale und zweckmässige Entwicklungsstufe zum modernen Staat gehandelt hatte.174 Diese Ansicht hat sich seit den Arbeiten von Pfister, 175 Teuscher176 oder Windler177 auch in der schweizerischen Forschung mehrheitlich durchgesetzt. Da rationale Bürokratie- und Verwaltungssysteme fehlten, seien diese Netzwerke im Binnenbereich der Territorien zur vertikalen Integration der Herrschaft zwischen regierenden Eliten und Regierten sowie zwischen Zentrum und Peripherie eingesetzt worden.178 Dabei unterstreicht Windler die Bedeutung der Intensität der Aussenverflechtung und die dadurch vermittelten Ressourcen für die frühneuzeitliche Staatsbildung in den eidgenössischen Orten.179 Auf diesem Befund aufbauend, sollen – gemäss der in Kapitel 1.2