Gemeingut Stadt -  - E-Book

Gemeingut Stadt E-Book

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Beschreibung

„Gemeingüter sind weder etwas, das einfach da draußen existiert, noch sind sie etwas, das – objektiv gesehen – bestimmten Ressourcen oder Dingen innewohnt. Sie sind eine Beziehung zwischen Menschen und den von ihnen kollektiv als essentiell für ihre Existenz beschriebenen Bedingungen“, schreibt Stavros Stavrides, Architekt, Aktivist und Autor von Common Space: The City as Commons. Stavrides versteht die Herstellung, Entwicklung und Pflege von Gemeingütern als eine soziale Praxis, die kapitalistische Werte und hierarchische Formen gesellschaftlicher Organisation radikal herausfordert. Auf diese Weise gestaltete städtische Räume unterscheiden sich von privatisierenden Einhegungen und von öffentlichem Raum, wie wir ihn kennen: gemeinsame Räume, die permanent einladend und im Entstehen begriffen sind, die nicht nur geteilt werden, sondern das Teilen selbst mitbestimmen. In diesem von Mathias Heyden herausgegebenen Heft führt Stavrides in sein Nachdenken über das Gemeingut Stadt ein. Am Beispiel besetzter Plätze, selbstverwalteter Einrichtungen und autonomer Nachbarschaften in Griechenland und Lateinamerika veranschaulicht er seine Theorie eines städtischen Gemeinschaffens, das im Kontext der globalen Debatten und Kämpfe um soziale und ökonomische Gerechtigkeit einen möglichen Weg hin zu einer in der Tat emanzipierten Gesellschaft weist.

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Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt #4

Gemeingut Stadt

Mathias Heyden (Hg.), Stavros Stavrides

„Gemeingüter sind weder etwas, das einfach da draußen existiert, noch sind sie etwas, das – objektiv gesehen – bestimmten Ressourcen oder Dingen innewohnt. Sie sind eine Beziehung zwischen Menschen und den von ihnen kollektiv als essentiell für ihre Existenz beschriebenen Bedingungen“, schreibt Stavros Stavrides, Architekt, Aktivist und Autor von Common Space: The City as Commons.

Stavrides versteht die Herstellung, Entwicklung und Pflege von Gemeingütern als eine soziale Praxis, die kapitalistische Werte und hierarchische Formen gesellschaftlicher Organisation radikal herausfordert. Auf diese Weise gestaltete städtische Räume unterscheiden sich von privatisierenden Einhegungen und von öffentlichem Raum, wie wir ihn kennen: gemeinsame Räume, die permanent einladend und im Entstehen begriffen sind, die nicht nur geteilt werden, sondern das Teilen selbst mitbestimmen.

In diesem von Mathias Heyden herausgegebenen Heft führt Stavrides in sein Nachdenken über das Gemeingut Stadt ein. Am Beispiel besetzter Plätze, selbstverwalteter Einrichtungen und autonomer Nachbarschaften in Griechenland und Lateinamerika veranschaulicht er seine Theorie eines städtischen Gemeinschaffens, das im Kontext der globalen Debatten und Kämpfe um soziale und ökonomische Gerechtigkeit einen möglichen Weg hin zu einer in der Tat emanzipierten Gesellschaft weist.

Städtisches

‚Schule‘ des Wir!

Mathias Heyden

„Comunalidad definiert sowohl eine Reihe von Praktiken, die aus der kreativen Anpassung widerständischer Traditionen gegen den alten und neuen Kolonialismus entstanden sind, wie auch einen mentalen Raum oder Horizont, der verstehen lässt, wie man die Welt als ein Wir sieht und erfährt.“1

Soweit ein Zitat des mexikanischen Philosophen und Aktivisten Gustavo Esteva und ein zentrales Motiv in Stavros Stavrides’ Text in diesem Heft. Der in Athen forschende, lehrende und aktivistisch engagierte Architekt gehört zu den wenigen Expert*innen, die sich mit den räumlichen Gütern auseinandersetzen, die weder öffentlich noch privat sein und allen und keinen gehören sollten. Das war der Anlass, Stavrides am 17. September 2016 im Rahmen von Ene Mene Muh und welche Stadt willst Du? Beiträge zum Berliner Wahlherbst 2016 in die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK)2 einzuladen und seinen Vortrag3 über das Gemeingut Stadt nun in überarbeiteter Fassung einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen.

Die als Raumdiagramm konzipierte Ausstellung sowie die begleitende Veranstaltungsreihe hinterfragten die institutionalisierten Formen der Bürgerbeteiligung und stellten diesem Mainstreaming partizipativer Prozesse das dringliche Verlangen nach tatsächlicher Teilhabe in der Stadtentwicklung entgegen. Die den Ausstellungsraum strukturierenden Begriffe Ermächtigung, Augenhöhe, Kontrolle der Politik (durch die Bevölkerung) und Selbstverwaltung verwiesen darauf, dass dem Mitbestimmen das Mitentscheiden folgen muss. Oder anders gesagt: Ist der zunehmende Ruf nach Erneuerung der Demokratie ernst gemeint, dann gilt es, den unverstellten Zugang zur Macht für alle Bürger*innen zu gewährleisten. Das wiederum heißt: Gleichberechtigter Zugang aller Bürger*innen zur gesellschaftlichen Wertschöpfung. Das dringliche Verlangen nach tatsächlicher Teilhabe in der Stadtentwicklung geht mit Debatten über und Kämpfen für die Vergesellschaftung materieller und immaterieller Güter einher – schließlich gehört die Stadt jeder und jedem, die sie tagtäglich (re)produzieren!

In diesem Sinne ist das von Stavrides eingebrachte Wissen über städtische Gemeingüter (urban commons) und städtisches Gemeinschaffen (urban commoning) grundsätzlich. Denn seine Arbeit sucht nicht die Reform des Bestehenden, plädiert nicht, wie so viele Beiträge in den letzten Jahren, für ein bisschen mehr Bürgerbeteiligung hier und ein bisschen mehr direkte Demokratie dort. Stattdessen stellt er fest, dass die global herrschenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse permanent existenzielle Krisen verursachen. Vor diesem Hintergrund sind die Strategien räumlicher Aneignungen zu begreifen, die Stavrides identifiziert, analysiert, um sodann ihre emanzipatorischen Potentiale hervorzuheben: die kollektive und solidarische, selbstermächtigende, selbstorganisierte und selbstverwaltete Produktion und Reproduktion städtischer Gemeingüter.

In der folgenden Lektüre sind jedoch weder Anweisungen noch Anleitungen zu finden, wie diese Herrschaftsverhältnisse zu beenden und beispielsweise spekulative Immobilienprojekte zu verhindern sind. Vielmehr sucht Stavrides in sozialen Praktiken zur Herstellung gemeinsamer Räume (common spaces) die Prinzipien räumlicher Gemeingüter zu ergründen und plädiert dabei für die Stadt als Gemeingut (city as commons). So verstanden, kann man Stavrides’ Text als herausfordernde Einladung zu einer visionären Reise, zu einem lesenden Erfassen dessen interpretieren, wie die Welt als geteilter Raum ein Ort für alle sein kann, die in ihm wirken. Gleichwohl bietet er handfeste Inspirationen für ein Tätigsein in Form aktivistisch-prozessualer Bewegungen auf dem Weg zu einer egalitären und somit gerechten Gesellschaftlichkeit an. Stavrides’ präzise Einkreisung städtischen Gemeinschaffens – das die bestehenden städtischen Gemeingüter nicht nur verteidigt, sondern ebenso neue hervorbringt, sie entwickelt und pflegt – macht eine radikale, an die gesellschaftlichen Wurzeln reichende und gleichsam imaginative Gestaltung der Gesellschaft fassbar. Das dementsprechende Fühlen, Denken und Handeln geht einher mit Bekenntnis- und Verständnisprozessen über Weltanschauungen, Glauben und Werte, Wissen und Erfahrungen, mit tiefgehenden Austauschprozessen darüber, was man für richtig oder falsch hält, woher man kommt und wohin man geht. Nur so lässt sich mitbestimmen und mitentscheiden, warum, wo, wann und wie das, was weder öffentlich noch privat sein und allen und keinen gehören sollte, teilend gehandhabt werden kann.

Genauer gesagt: Stavrides’ Text fordert dazu auf, sich in den gesellschaftlichen Debatten und Kämpfen eindeutig zu positionieren. Er entwirft Institutionen des Gemeinschaffens (institutions of commoning) und konstatiert, dass diese die Akkumulation von Macht immerzu ausschließen und dabei stets offen für neu Hinzukommende bleiben müssen. Auch seine Thesen über den öffentlichen Raum sind ein Plädoyer für ein permanentes Offenhalten. Öffentlicher Raum als städtisches Gemeingut stellt ein Areal des andauernden Teilens dar, eine Zone der gemeinsamen materiellen wie immateriellen gesellschaftlichen Gestaltung, ein Feld des städtischen Gemeinschaffens. Essentiell hierbei ist eine soziale Praxis, die die Stadt als Stadt der Schwellen (city of thresholds) begreift und betreibt. Anschaulich wird dies in Stavrides’ Reflexionen über die vielfältigen Formen kollektiver und solidarischer Selbstermächtigung, Selbstorganisation und Selbstverwaltung im von der Wirtschafts-, Finanz- und Eurokrise marginalisierten Athen. Die tiefgehenden Bekenntnis-, Verständnis- und Austauschprozesse, die mit solchen aktivistisch-prozessualen Bewegungen einhergehen, verdeutlicht Stavrides in Exkursen über Landbesetzer*innen und Selbstbau-Siedler*innen in Lateinamerika, die der herrschenden Politik und Wirtschaft mittels der anfangs zitierten Comunalidad (Commonalität) widerstehen.4

Hier schließt sich der Kreis zu dem dringlichen Verlangen nach tatsächlicher Teilhabe und dementsprechender gesellschaftlicher Veränderung. Denn auch in wohlhabenden Gesellschaften steht beständig zur Disposition, was weder öffentlich noch privat sein und allen und keinen gehören sollte. Anders gesagt: Auch in Deutschland wirkten und wirken unzählige Akteur*innen hinsichtlich einer radikalen, an die gesellschaftlichen Wurzeln reichenden und gleichsam imaginativen Gestaltung der Gesellschaft, auf dem Weg zu einer egalitären und somit gerechten Gesellschaftlichkeit. Das Wir