Genauso, nur anders - Andrea Arežina - E-Book

Genauso, nur anders E-Book

Andrea Arežina

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Beschreibung

Ein Buch wie eine große Schwester

Junge Frauen sprechen über sich selbst – über Verliebtsein und Sex, über Gruppendruck und Mobbing, über Beziehungen, Freundschaften und den ersten Rausch. Was heißt es für junge Frauen heute, erwachsen zu werden? Diese Frage haben sich Salome Müller und Andrea Arežina gestellt, als sie an ihre Jugend zurückdachten. An Unsicherheit, an Scham. An den Druck, schlank zu sein, und an die Nähe und Konkurrenz mit der besten Freundin. An die Sorge, ausgeschlossen zu werden oder nicht dazuzugehören. An die Hilflosigkeit, wenn Männer sie anstarrten und bis nach Hause verfolgten. An die Angst. Als junge Frauen wähnten sie sich immer in Gefahr. Wie geht es jungen Frauen heute? Sie sind aufgewachsen mit den sozialen Medien, haben von #MeToo gehört, Feminismus als neue Kraft erlebt. Der Begriff LGBTQI+ gehört für viele zum festen Wortschatz. Fühlen sie sich selbstbestimmter und freier? Ist es einfacher geworden, eine Frau zu sein?

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Seitenzahl: 140

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INHALT

» Über die Autorinnen

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DIE AUTORINNEN

Andrea Rea Arežina, geboren 1984 in Zürich, hat als Kampagnenleiterin gearbeitet, bis sie in den Journalismus wechselte. Heute studiert sie am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel Literarisches Schreiben.

Salome Müller, geboren 1987 in Glarus, hat Deutsche Literatur in Fribourg und Zürich studiert und 2018 ihr erstes Buch Love, Pa. Briefe an meinen Vater veröffentlicht. Sie arbeitet im Schweizer Büro der ZEIT und lebt in Zürich.

ÜBER DAS BUCH

Wie denken junge Frauen* heute? Was fühlen und wovon träumen sie?

19 Gespräche über Verliebtsein und Sex, über Mobbing, Beziehungen, Freundschaften, über Leistungsdruck, Geld und den ersten Rausch.

Ein Buch, das zeigt: Du bist nicht allein.

 

Für alle Frauen*

Der Stern* weist darauf hin, dass wir unter den Begriffen »Mädchen« und »Frau« nicht einzig und allein das biologische Geschlecht verstehen, sondern auch das soziale Geschlecht. Mädchen und Frau ist, wer sich als Mädchen und Frau fühlt.

VORWORT

Was heißt es für Mädchen* heute, erwachsen zu werden? Was bedeutet es, eine Frau* zu sein?

Diese Fragen haben wir uns gestellt, als wir uns an unsere Jugend erinnerten. An Unsicherheit, an Scham. An den Druck, schlank zu sein, und an den Eifer, die beste Freundin zu beeindrucken. An die Hilflosigkeit, wenn Männer uns im Zug anstarrten und bis nach Hause verfolgten. An die Angst. Als junge Frauen* fühlten wir uns oft in Gefahr.

Heute würde es jungen Menschen anders ergehen, hoffen wir. Wir glaubten, dass sie sich selbstbestimmter und freier bewegen. Sie sind mit den sozialen Medien aufgewachsen, haben vom Hashtag #Metoo gehört und Feminismus als neue Kraft erlebt. Das Frausein wird in der Öffentlichkeit viel mehr verhandelt als damals bei uns. Wir dachten, es sei einfacher geworden, eine Frau* zu sein.

Wir haben mit jungen Frauen* in der Schweiz, Deutschland und Österreich gesprochen. Sie sind zwischen 13 und 19 Jahre alt, leben in der Stadt oder auf dem Land, machen eine Lehre, gehen in die Sekundarschule oder absolvieren das Abi, haben Wurzeln in verschiedenen Ländern. Aus den Gesprächen sind 19 Kapitel entstanden. Die Namen der jungen Frauen* haben wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anonymisiert.

Wir waren beeindruckt, wie offen die jungen Menschen von sich erzählt haben, wie reflektiert und klug. Auf die Frage, was sie an ihrem Körper schön finde, antwortete eines der Mädchen*: »Mir gefällt die Kraft, die mein Körper hat.« Sie wollte ins Schwingen gehen, ein schweizerischer Ringsport auf Sägemehl, um diese Kraft zu nutzen. Aber Mädchen* waren zum Training nicht zugelassen.

In unseren Gesprächen wurde offensichtlich, dass der Begriff LGBTQI+ für viele junge Frauen* zum festen Wortschatz gehört, dass Sexualität verschiedene Facetten kennt. Dass Geschlecht eine fluide Eigenschaft ist, wie das Gespräch mit Yuri zeigt: »Wer mit einer Vulva geboren wird, kann sich als Mann identifizieren.«

Das Koordinatensystem, in dem sich das Erwachsenwerden ereignet, ist dasselbe geblieben. Viele junge Frauen* beschreiben die Periode als »eklig«, sie fühlen sich an den Menstruationstagen »ungepflegt, nicht hygienisch, egal wie oft ich dusche«. Liv, 17 Jahre alt, unterscheidet zwischen einer Frauen*- und einer Männerwelt. In der Männerwelt herrscht viel Unwissen über den weiblichen Körper und den Zyklus. Liv erzählte von einem Mitschüler, der »komplett durch war«, als Livs Freundin während einer Schulstunde die Mens bekam und das Blut über den Stuhl auslief. Der Mitschüler sei in den Gang hinausgerannt und habe gerufen: »Laura blutet. Sie stirbt!«

Die Gespräche zeigen, dass der Leistungsdruck beim ersten Sex geblieben ist. Wir haben Camilla, 17 Jahre, gefragt, wovor sie sich beim ersten Mal gefürchtet habe. Sie sagte: »Wenn mir mein Partner sagen würde, ich hätte es mega schlecht gemacht.«

Und ähnlich hartnäckig wie der Leistungsdruck halten sich Schönheitsideale. Die jungen Frauen* wissen, woher diese Ideale kommen, wie schwer sie zu erreichen sind, was sie mit dem Körpergefühl anrichten. Und trotzdem können sich Frauen* solchen idealisierten Vorstellungen kaum entziehen.

Auch anderes ist unverändert geblieben. Olga war 14 Jahre alt, als ein fremder Mann in der Tram seine Hand auf ihre legte. Die anderen Frauen* berichten von ähnlichen Vorfällen im öffentlichen Verkehr oder auf dem Weg nach Hause. Aischa, 15 Jahre alt, hat gesehen, wie der Partner ihrer Mutter sie würgte und stieß. Noch immer lernen junge Frauen*, dass sie um ihren Körper fürchten müssen. Diese Lektion wird ihnen sehr früh erteilt. Den jungen Frauen* wird bewusst, dass ihr Körper zum Objekt wird, bevor sie verstehen, dass ihr Körper Subjekt ist. Oder sein könnte. Mit einem eigenen Begehren.

Wir hätten uns damals, als wir 15 Jahre alt waren, eine große Schwester oder Freundin gewünscht. Eine Person, die vorausgegangen wäre und uns vorbereitet hätte auf das, was kommt: das erste Mal, die erste Liebe, die ersten Krisen. Wir hätten uns eine Person gewünscht, die uns von der Innigkeit erzählt hätte, die man mit einer besten Freundin empfindet, aber auch von der Konkurrenz. Die erkannt hätte, wenn unser Freund uns kleinmacht und manipuliert. Die uns ausgeredet hätte, seine Eifersucht für Liebe zu halten.

Das vorliegende Buch, ein journalistisches Aufklärungsbuch, soll jungen Frauen* zeigen, dass sie mit ihren Fragen und Ängsten nicht allein sind. Und dass es Worte gibt für die Gefühle, die sie am liebsten für sich behalten wollen. Wir wünschen uns, im Leben einiger junger Frauen* einen kleinen Unterschied machen zu dürfen.

Andrea Arežina und Salome Müller, Mai 2023

Erste Periode

Liv (17)

»Als ich verstand, dass die Periodezum Frau*werden gehört, dachte ich:Das will ich auch.«

»Als Kind habe ich einmal in der Tasche meiner Mutter einen Tampon gefunden. Ich dachte, es sei eine Süßigkeit. Meine Mutter hat mir dann erklärt, dass Frauen* jeden Monat bluten und darum Tampons brauchen. Richtig auseinandergesetzt mit der Periode habe ich mich erst in der Schule. Die ersten Freundinnen bekamen die Periode und mussten Ausreden erfinden, warum sie beim Sport nicht mitmachen können. Manche Sportlehrer gaben in solchen Fällen ein Alternativprogramm, statt Saltos machen, sollte man um den Block rennen. Dann dachte ich: Warum soll ich um den Block rennen, wenn ich vor Schmerzen kaum stehen kann? Die Lehrer konnten sich einfach nicht in uns hineinversetzen. Ich finde es blöd, wenn man die Tage als Ausrede benutzt. Aber wenn man Schmerzen hat, soll man sagen dürfen: Ich habe meine Periode, ich kann heute nicht.

Ich war elf, als ich zum ersten Mal meine Tage bekommen habe. Eine blöde Geschichte: Wir feierten den 65. Geburtstag meiner Großmutter, ich trug ein weißes Kleidchen. Ich bekam Bauchweh. Ich dachte, das sei, weil ich zu viel gegessen hatte. Auf dem WC habe ich gemerkt, dass ich blute. Ich hatte auch einen Blutfleck auf meinem Kleid. Als ich meiner Mutter davon erzählte, löste sich in mir alles. Es war der Moment, in dem ich realisierte: Das sind meine Tage! Ich freute mich. Ich glaube, ich war ein bisschen aufgeregt und stolz. Es war etwas Neues!

Wenn man jung ist, ist die Periode auf der Checkliste. Wenn man sie bekommt, weiß man, dass man dem Erwachsensein einen Schritt näher gekommen ist. Als ich verstand, dass die Periode zum Frau*werden gehört, dachte ich: Das will ich auch. An jenem Fest meiner Großmutter merkte ich aber auch, dass die Periode mühsam sein, in einem blöden Moment kommen kann. Mit elf die Periode zu haben, ist sehr früh. Meine Mutter hat mir geholfen und gezeigt, was ich machen muss. Am Anfang habe ich Binden benutzt, weil ich mich nicht sofort getraut habe, meine Mutter zu fragen, wie ich den Tampon einführen muss. Ich war unsicher und fragte mich, ob ich durch den Tampon entjungfert werde. Ich habe lange gezögert, mit meiner Mutter darüber zu sprechen. Vielleicht hätte es geholfen, wenn sie mir von sich aus erzählt hätte, wie es mit den Tampons funktioniert.

Ich war eins der ersten Mädchen* in der Klasse, die die Tage bekommen hatten. Die anderen wollten wissen, wie sich das anfühlt, es war eine große Aufregung. Wenn dann ein weiteres Mädchen* die Periode bekam, hat sie es den anderen erzählt. Eklig fand ich die Periode nie, Blut ist etwas Natürliches. Und trotzdem, wenn man die Periode so früh bekommt wie ich, früher als viele anderen, schämt man sich irgendwie. Nicht untereinander im engsten Freundinnenkreis. Aber sobald man aus diesem Kreis rausgeht, ist es, als müssten wir etwas verstecken. Wir haben einander Tampons unter dem Pult weitergegeben, damit es die Jungen nicht mitbekommen. Ich glaube, wir dachten, die Buben fänden das gruselig. Es war auch schlimm, dem Turnlehrer zu sagen, dass man den Handstand nicht machen kann, weil man gerade blutet.

Einmal hatte eine Schulfreundin einen Blutfleck auf ihrem Stuhl. Ein Mitschüler sah es, stand auf und sagte: »Laura stirbt, sie blutet! Alles ist voller Blut!« Er ging aus dem Klassenzimmer, schrie im Gang rum. In der Pause kamen die Leute aus der Parallelklasse zu Laura und wollten wissen, was war. Sie zuckte mit den Schultern, à la: Tja.

Ich glaube, viele Jungs haben keine Ahnung, dass Frauen* bluten. Denen müsste man mal erklären, dass die Mens nichts Schlimmes ist. Wir Freundinnen achteten darauf, dass wir keine Blutflecken auf der Hose haben. Manchmal sagten wir zueinander auf der Treppe: He, kannst du schnell schauen, ob man etwas sieht? Wir schützten einander, haben eine Art Sicherheitssystem aufgebaut. Zum Beispiel entschuldigten wir eine Mitschülerin beim Sportlehrer und sagten, dass sie heute nicht mitturnen könne.

In der Männerwelt ist mir die Periode irgendwie peinlich. Meinem Vater wollte ich nicht erzählen, dass ich sie habe. Ich habe eine enge Beziehung zu meinen Eltern, meine Mutter hat meinen Vater dann eingeweiht. Das war okay für mich. Er reagierte nicht groß. Ich glaube, es kümmerte ihn nicht besonders. In der Zeit, als ich zum ersten Mal meine Mens bekommen hatte, sollte ich mit meinem Großvater allein nach New York reisen. Er hatte mir die Reise zur bestandenen Gymiprüfung geschenkt. Mein Großvater sagte meiner Mutter, durch die Blume, er wolle nicht mit mir allein in die Ferien reisen. Er wisse nicht, wie er damit umgehen solle, wenn ich die Periode bekomme. Meine Großmutter kam dann mit uns mit. Ich war froh.

Wenn ich meine Periode bekomme, fühle ich mich aufgebläht, dick. Es beginnt mit einem dumpfen Schmerz im unteren Rücken und geht über in Bauchkrämpfe. Die Krämpfe kommen in Wellen, alles zieht sich zusammen. Manchmal wird mir wegen der Bauchkrämpfe schwarz vor Augen. Manchmal wird mir sehr übel und ich muss mich übergeben. Ibuprofen hilft gegen die Schmerzen. An den ersten zwei Tagen nehme ich am Morgen eine Tablette. Wenn die Schmerzen am Nachmittag wiederkommen, nehme ich noch mal eine. Aber jeder Monat ist anders, manchmal schaffe ich es ohne Schmerzmittel, dann halte ich die Mensbeschwerden mit einer Bettflasche auf dem Bauch oder einer heißen Dusche irgendwie aus. Ich finde, die Schmerzen sind ein mega großer Verlust von Freiheit. Eigentlich habe ich keine Lust, einmal im Monat komplett unfähig zu sein und es kaum aus dem Bett zu schaffen. Ich würde gerne zu Hause bleiben, gehe aber trotzdem zur Schule und quäle mich durch den Tag. Unsere Absenzenregeln sind sehr strikt. Ich fände es toll, wenn man bei Schmerzen daheim bleiben dürfte.

Viele sagen, es sei reinigend, wenn das Blut aus dem Körper fließt, da Giftstoffe rausgearbeitet werden. Deshalb seien Frauen* viel seltener krank als Männer. Wenn man weiß, wie der Zyklus funktioniert, dass man zum Beispiel wegen der Hormone emotionaler ist, erklärt das, wieso man sich manchmal so schlecht fühlt. Manche Jungs wollen einen beleidigen, wenn man mal schlecht drauf ist, und sagen: »Hey, hast du deine Tage?« Ich kann es nicht mehr hören. Diesen Spruch sollte man verbieten. Wieso habe ich wohl schlechte Laune? Weil du mir auf den Sack gehst, verdammt.«

Gratis-Tampons und Binden

Der Begriff Periodenarmut weist darauf hin, dass sich manche Menschen keine Menstruationsprodukte leisten können. Das fehlende Geld für Binden oder Tampons kann bei Betroffenen Scham auslösen. Aus diesem Grund haben verschiedene Länder Kampagnen mit dem Motto »Periodenarmut« gestartet und gefordert, dass Tampons und Binden an öffentlichen Schulen gratis sein sollen. Heute ist das in Schottland bereits der Fall, ebenfalls in Neuseeland, New York und Paris. Und immer mehr Schulen in der Schweiz, Deutschland und Österreich haben Pilotprojekte gestartet. Die ersten Ergebnisse lassen darauf hoffen, dass in diesen Ländern Menstruationsprodukte an öffentlichen Schulen kostenlos sein werden.

Freundschaft

Aischa (15)

»Irgendwann dachte ich: Meine besteFreundin ist genau wie ich. Aber ichhatte das Gefühl, dass sie die bessereVersion von mir sei.«

Aischa, hast du eine beste Freundin?

Ich hatte eine beste Freundin, sie heißt Selma. Wir waren zwei Jahre eng befreundet, sind es eigentlich immer noch. Aber wir sind nicht mehr die besten Freundinnen.

Was ist passiert?

Wir waren uns sehr ähnlich, waren die ganze Zeit zusammen, haben fast alles gemeinsam gemacht. Wir gingen in dieselbe Klasse, haben nach der Schule stundenlang miteinander telefoniert. Wenn wir beieinander übernachtet haben, schliefen wir im gleichen Bett. Wir haben Kleider getauscht, zusammen gebadet, wir gingen zusammen aufs WC. Die Leute haben uns als eine Person gesehen. Wir uns auch. Irgendwann wurde es uns beiden zu viel.

Wie hat sich das gezeigt?

Es war oft so, dass ich eine Idee hatte. Zum Beispiel, meine Haare zu färben. Als ich Selma in der Schule sah und ihr davon erzählte, sagte sie: »Oh mein Gott, das wollte ich genau auch machen!« Dann hatte sie sich die Haare gefärbt, bevor ich es tun konnte. Das hat mich genervt. Aber umgekehrt war es dasselbe: Wenn Selma etwas wollte, wollte ich es auch sofort haben. Wir waren ständig zusammen, sahen gleich aus, hatten den gleichen Haarschnitt, den gleichen Nagellack. Irgendwann dachte ich: Selma ist genau wie ich. Aber ich hatte das Gefühl, dass sie die bessere Version von mir sei. Das hat mich unglaublich gestresst.

Warum dachtest du, Selma sei die bessere Version?

Je ähnlicher wir uns geworden sind, desto mehr habe ich mich mit ihr verglichen. Wir gingen zusammen auf die Klimademos und haben darüber geredet, wer von uns weniger Plastik benutzt, wer weniger tierische Produkte isst. Wir ernährten uns dann beide vegan. Ich fing an, in Selma eine Konkurrentin zu sehen, und sie eine in mir. Bei allem hatte ich das Gefühl, ihr gelinge es besser. Es war anstrengend.

Ihr seid miteinander verwachsen.

Ja. Wenn sie nicht da war, zum Beispiel krank zu Hause blieb, habe ich mich in der Klasse verloren gefühlt. Ich hatte auch andere Freundinnen, aber ohne Selma fühlte ich mich allein. Für sie war es, glaube ich, auch so.

Von Anfang an?

Nein, erst mit der Zeit, weil wir ständig zusammen waren. Wir haben uns gegenseitig inspiriert. Und unbewusst wohl auch angestachelt. Selma hatte psychische Probleme, sie wurden immer schwerer. Ich dachte oft, ich hätte kein Recht, traurig zu sein, weil meine Sorgen im Vergleich zu Selmas so viel kleiner waren. Gleichzeitig wollte ich gleich schwere Probleme haben wie sie, ich wollte mit ihr mithalten.

Ihr habt euch ständig gegenseitig beobachtet?

Ich habe mich von Selma beobachtet gefühlt, ja. Und manchmal habe ich ihr verschwiegen, wenn ich etwas unbedingt machen wollte, zum Beispiel meine Nägel in einer bestimmten Farbe lackieren. Ich habe es gemacht, ohne Selma vorher davon zu erzählen.

Damit Selma dir nicht zuvorkommt?

Ja. Ich glaube, dass wir uns unbewusst bekämpft haben.

Habt ihr viel gestritten?

Eigentlich nur wenig, phasenweise. Wenn wir uns stritten, gab ich früher nach, das fiel mir leichter als Selma. Wir haben auch darüber geredet, dass wir in einem Konkurrenzkampf sind. Dann sind wir zur Schulsozialarbeiterin gegangen, weil wir Hilfe brauchten.

Was hat sie euch geraten?

Sie hat uns empfohlen, weniger Zeit miteinander zu verbringen. Das haben wir versucht: Wir trafen andere Freundinnen, unternahmen Sachen ohne einander. Aber immer wenn ich ohne Selma war, sehnte ich mich nach ihr. Wir hatten beide diesen Weltschmerz, redeten über Rassismus und das Klima und fühlten uns so ohnmächtig. Wir fühlten uns anders als die anderen. Wir wollten das auch, anders sein als die anderen. Wir fühlten uns besser als sie. Das hat uns voneinander abhängig gemacht.

Wie genau?

Wenn wir in der Schule Zweierarbeiten machen sollten, war klar, dass Selma und ich eine Zweiergruppe sind. Wir haben auch die Pausen zu zweit verbracht. Wenn sie in der Schule fehlte, wusste ich nicht, was ich machen sollte. Ich wollte mich nicht in andere bestehende Gruppen hineindrängen. Ich dachte, dass die mich nicht mögen, dass nur Selma mich mag. Aber als Selma und ich uns wieder einmal gestritten haben, wurde klar, dass wir einander nicht mehr als beste Freundinnen betrachten wollten.

Worum ging es im Streit?