Generation One - C. C. Jürgens - E-Book

Generation One E-Book

C. C. Jürgens

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Beschreibung

Nachdem auf der Erde immer mehr Menschen mit übernatürlichen Kräften geboren werden, die gewollt oder auch ungewollt Schaden anrichten, müssen die Regierungen der Welt sich eine Lösung für diese Pandemie des Übernatürlichen überlegen. So wird mit der Zeit ein Mutant nach dem anderen eingesammelt und unschädlich gemacht. Für Kinder und Jugendliche gilt eine Schonpflicht. Bis sie ihr achtzehntes Lebensjahr erreichen, dürfen sie aufgrund ihrer Mutation strafrechtlich noch nicht verfolgt werden. Sie hoffen auf eine rosige Aussicht, doch erwartet sie überhaupt keine Zukunft außer dem Tod. In diesem Chaos aus Rebellion, nach Krieg trachtenden Verwandten und einem Loch ohne Erinnerungen muss die vierzehnjährige Hannah sich durch ihr Leben boxen, um einen Ort zu finden, an dem sie friedlich und ohne Angst leben kann. Nach und nach verändert sie sich jedoch selbst und muss erkennen, was sie in Wirklichkeit ist… Dieses Buch entstand als manisches Schreibprojekt eines Teenagers. Es ist eine Momentaufnahme exakt diesen Schreibstils und Feelings aus dieser Zeit. Future Heroes sollte stets mit einem schmunzelnden Auge gelesen werden, das bedenkt, dass es sich um das Werk eines jungen Mädchens handelt. Darin liegt der Charme dieses Buchs und genau dies macht es zu einem einzigartig schönen Werk. Aber sind wir einmal ehrlich: Es ist auch einfach fucking Cringe.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ähnliche


Future Heroes

Generation One

Fantasy-Roman eines Teenagers

 

 

C. C. Jürgens

Editor:

Carla Christine Jürgens

Scherbstraße 21B

52072 Aachen

 

Copyright © 2023 C. C. Jürgens

Alle Rechte vorbehalten.

 

ISBN: 9783757987190

 

 

Veröffentlicht über Tolino Media

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

WIDMUNG UND DANKSAGUNG

Ich möchte dieses Buch Marius und Alex widmen, die mich immer dazu angehalten haben, weiter daran zu arbeiten und meinen Traum der Autorenschaft wahr zu machen.

 

Ein besonderer Dank geht auch an meine Freunde, die mir so fleißig beim Korrekturlesen helfen wollten, bis sie die Seitenanzahl gesehen haben.

 

Außerdem möchte ich meinen Eltern danken, die mir stets das Gefühl gegeben haben, dass ich alles erreichen kann und die mich und meine ausufernden Ideen immer unterstützt haben.

VORWORT

Dieses Buch entstand innerhalb von einem Jahr in einer besonders manischen Schreibphase, als ich ungefähr 15 war und eine relative schwere Zeit durchgemacht habe. Das Schreiben hat mir persönlich sehr geholfen und ich hatte immer den Wunsch, es einmal in Buchform in der Hand zu halten. Heute, fast zehn Jahre später, mache ich diesen Traum jetzt zu einem Projekt und verwirkliche ihn.

Das hier ist also nicht nur ein Buch, das mir sehr am Herzen liegt, sondern vor allem das Festhalten dessen, wie ein Roman eines Teenagers aussieht, der keine Ahnung hat, was er tut. Ich hoffe die eigenwillige Struktur und Schreibweise amüsieren euch und ihr könnt genauso wie ich kopfschüttelnd, aber lächelnd auf das Werk eines Teenagers blicken und erkennen wie weird und cringe man doch einmal war.

INHALT

 

ENTFÜHRT

ERINNERUNG – HANNAH

VISIBLE

VERGANGENHEIT – MALIK

DIE WAND – KASPER

AM NÄCHSTEN MORGEN – BELIEVE

KEINE ERINNERUNG - VISIBLE

FREI – BELIEVE

KASPER

KLEINE WETTE – BELIEVE

VISIBLE

PAKT IST PAKT – BELIEVE

KASPER

RENOVIERUNG – MALIK

GLIMMER

BELIEVE

VISIBLE

BELIEVE

EIN LOCH IN DER WAND – VISIBLE

TOMMY

DIE ÄUSSERLICHEN – BELIEVE

EAGLE

KEINE EINBILDUNG – BELIEVE

EAGLE

TAG DER PHYSISCHEN TESTS – VISIBLE

EIN KÄMPFER – BELIEVE

VISIBLE

JACES SCHÜLERIN – HANNAH / BELIEVE

VISIBLE

HANNAH

NÄCHTLICHES ERWACHEN – BEN

EINES TAGES – HANNAH

VISIBLE

UNFÄHIG – HANNAH

IN DER KÜCHE – VISIBLE

VERSTECKSPIEL – HANNAH

EIN TURNIER – VISIBLE

CASSIUS

WIEDERSEHEN – HANNAH

MONSTERSTUNDE – CASSIUS

EINMARSCH – HANNAH

NAMENLOS – VISIBLE

HEIMKEHR EINES KÖNIGS – CASSIUS

ALLEIN IN SCHMERZEN – HANNAH

PLÖTZLICHER TODESFALL – VISIBLE

GEPRÜFTER KÖNIG – CASSIUS

NOCH MEHR SCHANDE – HANNAH

ALLES DURCHDACHT – EAGLE

AUF NAHRUNGSSUCHE – HANNAH

PROPHET – EAGLE

BRUCHSTÜCK – KASPER

GESCHWISTER - VISIBLE

EIN FALSCHER FREUND – CASSIUS

GESUCHT GEFUNDEN – VISIBLE / ALEX

KLEINES BAD – KASPER

UMBRUCH – HANNAH

RECHTMÄSSIGER ERBE – KASPER

DIE PGM – HANNAH

WIEDER VEREINT – EAGLE

KASPER

VERGIFTET – HANNAH

KASPER

STILLE; DER ATEM DES TODES – VISIBLE

SPAZIERGANG IM GRÜNEN – HANNAH

RETTUNGSAKTIONEN – KASPER

VISIBLE

EINGELULLT – HANNAH

CASSIUS FLUCHT – CASSIUS

VISIBLE

FÄHIGKEITEN – HANNAH

HOCHZEIT MIT DER FALSCHEN – VISIBLE

ZERSTÖRUNG – HANNAH

UND WEITER… - VISIBLE

FRÜHER ODER SPÄTER – HANNAH

LEIDENSGENOSSEN – VISIBLE

GEHEIMNISSE – CASSIUS

HEILUNG – VISIBLE

UNTERM HIMMEL – CASSIUS

FUTURE HERO – VISIBLE

ERNEUTE VEREINIGUNG – CASSIUS

BESPRECHUNGEN UND AUGENBLICKE – VISIBLE

ÜBER DIE AUTORIN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ENTFÜHRT

Kreischend windet sich das Mädchen in den Armen des Mannes, der sie gerade in einen schwarzen Lieferwagen setzen will. Sie tritt um sich, kratzt und beißt, doch es hilft alles nichts. Der stämmige Mann mit dem schwarzen Haar wirft das kleine, dünne Mädchen mit einem Ruck gegen die Wand des Lieferwagens, wo sie dann bewusstlos zu Boden sinkt. Anschließend klettert der Mann zu ihr in das Auto und rammt ihr eine Spritze ins Fleisch, um ihr ein starkes Betäubungsmittel einzuflößen.

Schweigend liegt das Mädchen auf dem Bauch, während der Wagen ins Unbekannte fährt und sie mit dem Rumpeln ihren aufkommenden Erinnerungen überlässt. Sie kann nur noch eines denken: „Jetzt ist alles doch umsonst gewesen.”

 

ERINNERUNG – HANNAH

Meine durch die verabreichten Drogen verursachte Erinnerungsreise beginnt mit meiner frühsten und somit ältesten Erinnerung. Ich bin fünf Jahre alt. Meine Mutter und mein Vater sehen mit Tränen in den Augen zu, wie ich von einem nach Alkohol stinkenden Mann in eine Zwangsjacke gehüllt werde. Währenddessen fährt hinter mir ein Lieferwagen in die Einfahrt, in den mich ein riesenhafter Mann schleifen will. Er braucht jedoch eine ganze Weile, bis er mich in die weiße Zwangsjacke bekommen hat und mich über die Schulter werfen kann. Dann werde ich in den Lieferwagen gesetzt und die Türen hinter mir geschlossen. Die ganze Zeit kann ich meine Mutter schluchzen hören. Mein Vater versucht leise sie zu trösten. Mir laufen ebenfalls die Tränen übers Gesicht, während ich immernoch aus Leibeskräften brülle. Dann schließt sich die Tür vor mir und ich sitze vollkommen im Dunkeln. Seit diesem verhängnisvollen Tag, war ich immer nur auf mich allein gestellt. Der Wagen in meiner Erinnerung fährt nicht gerade vorsichtig und so werde ich hin und her geschüttelt. Immer wieder kommt eine neue Bodenwelle, die mir den Atem raubt und mich nach Luft schnappen lässt. Es dauert eine halbe Ewigkeit bis der Wagen endlich stehen bleibt. Und wenn ich eine halbe Eeigkeit sage, dann meine ich eine halbe Ewigkeit, denn als der Wagen endgültig seinen Motor abstellt, habe ich keine Ahnung wie viel Zeit vergangen ist. Ein Tag? Vielleicht zwei? Oder doch erst ein paar Stunden? Von der heißen Luft im Wageninneren ist meine Kehle vollkommen ausgetrocknet und ich sehne mich nach etwas Wasser. Plötzlich springt die Tür auf und mein Entführer sieht mir entgegen. Sein furchtbares Grinsen lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen und die Tränen erneut in meine Augen. Der Mann ist etwas mehr als doppelt so groß wie ich und begutachtet jeden Teil meines Körpers mit den Augen. „Komm her!”, befielt er rau und mit einem Ton in der Stimme, den ich nicht richtig deuten kann. Ich sitze aber nur da wie ein Häufchen Elend und bin zu erschöpft und zu verängstigt, um auch nur einen Muskel zu bewegen.

„Komm her”, sagt er erneut in einem noch bedrohlicheren Ton und auch etwas ungeduldig. Immernoch schweigend drehe ich meinen Kopf zur Seite und starre trotzig gegen die Wand. Es hätte vielleicht sogar mutig gewirkt, würden mir nicht die Tränen schon wieder in den Augen stehen. Nun verliert er jedoch seine Geduld und klettert zu mir in den Wagen. Sein nach Nikotin stinkender Atem schlägt mir als erstes in die Nase, erst danach der Alkohol. Ein Wunder, dass wir nicht von der Straße abgekommen sind. Seine knochige Hand zieht mich unsanft auf die Beine und aus dem Wagen. Immernoch trage ich die Kleidung, die meine Mutter mir heute morgen zurechtgelegt hatte: ein grauer Rock, ein geblümtes T-Shirt mit dazu passenden Schuhen. Nur stecke ich zusätzlich noch in einer mir viel zu großen Zwangsjacke, die mir die Arme auf den Rücken bindet und mich bewegungsunfähig macht.

Zuerst blendet mich die Sonne und alles wirkt wie ein verwaschenes Ölgemälde, doch dann nimmt meine Umgebung langsam Konturen an und ich erkenne, dass der Lieferwagen am Waldrand gehalten hat. Der stinkende Mann nimmt meinen kurzen Pferdeschwanz zwischen die Finger und zieht mich hinter sich her in das Dickicht der Bäume. Schluchzend versuche ich mit ihm Schritt zu halten, ihn dazu zu bewegen mich nach Hause zu fahren, doch er zieht mich erbarmungslos weiter, bis wir so weit in den Wald vorgedrungen sind, dass ich nicht einmal mehr die Straße erkennen kann. Erst dann wendet der ekelhafte Mann sich mir grinsend zu und beginnt die Zwangsjacke zu entfernen. Ich will ihm schon danken, da beginnt er seinen Gürtel zu öffnen. Ich war damals so klein und ahnungslos, ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte und so frage ich ihn lachend: „Musst du Pipi?”

Der Mann lacht nicht zurück. Mit seinen schlacksigen Händen zieht er mich an sich und entfernt meine Kleider. Schreiend will ich davon laufen, doch sein Griff ist fest und unnachgiebig. Er wandert über meinen Rücken, meine kindliche Brust, bis er mit seinen schmierigen Fingern unter meinen Rock greift und das letzte bisschen Kindheit aus mir austreibt. Ich weiß nicht, wie lange er mich genau da behielt, doch es war und ist auch heute nach Jahren noch die gefühlt längste Zeit meines Lebens. Ich konnte nur dastehen und weinen mit seinem ekelhaften Geruch in der Nase. Die Schmerzen vergingen, doch sogar heute wache ich nachst noch schreiend auf und verfluche meine Eltern, dass sie mich diesem Mann anvertraut haben. Das werde ich ihnen nie verzeihen. Und vielleicht ist das ganz gut so, denn der Hass macht mich wenigstens ein bisschen menschlicher. Und vielleicht ist es ja sogar mein Hass, der mir immer wieder die Kraft gibt aufzustehen, wenn ich am Boden liege.

Am Morgen erwache ich im Wald mit den Spuren des letzten Tages auf meinem Körper. Habe ich wirklich den ganzen letzten Tag hier verbracht? Die frühe Morgensonne scheint auf mein tränennasses Gesicht, während ich auf dem zerwühlten Waldboden meine Anziehsachen zusammensuche und mich wieder bekleide. Schluchtzend sehe ich mich um. Der Mann ist nirgendwo zu sehen. Ein merkwürdiger Geruch steigt in meine Nase. Den kenne ich irgendwoher! Woher war das noch... Ich kann mich einfach nicht erinnern. Langsam erhebe ich mich vom Waldboden, breche aber sofort wieder vor Schmerzen zusammen. „Mommy! Daddy!“, schreie ich, doch sie hören mich natürlich nicht. Sie sind weit weg und denken, dass dieser Mann mich heilen wird. „Und wenn er das geschafft hat, kann ich wieder nach Hause“, schließe ich und mache mich auf die Suche nach ihm. Immer wieder muss ich eine Pause einlegen, weil ich die Schmerzen einfach nicht mehr aushalten kann. Ich habe es vielleicht ein paar Meter bergab geschafft, da wird der Geruch stärker. Als ich weiter gehe, finde ich rote Spuren auf dem Waldboden. Ängstlich laufe ich ein wenig schneller. Hoffentlich geht es dem verletzten Tier gut! Doch was ich da vor mir finde, ist kein verletzter Vogel. Es ist ein Mensch, ein Mann um genau zu sein, obwohl da nicht mehr viel zu erkennen ist. Sein ganzer Körper ist von Brandblasen übersäht. Blut sickert aus jeder Pore. Beim genaueren Betrachten erkenne ich ein paar schwarze Haarsträhnen. Neben dem, was wohl einmal ein Kopf gewesen war, der jetzt aber eher einem tiefroten Basketball ähnelt, liegt eine Brille. Wenn ich mich nicht schon vorher übergeben habe, tue ich es jetzt. Das, was da vor mir liegt, sind die Reste des Mannes, der mich hergebracht hat.

Wie paralysiert wende ich mich von der stinkenden Feuerleiche ab und renne trotz aller Schmerzen los, so schnell ich kann, weg von hier, irgendwohin, wo mich dieser Anblick nicht mehr einholen kann, doch so ein Ort existiert nicht. Egal wie viel ich erlebe, was ich durchmache. Die Nacht gehört meinen schlimmsten Erinnerungen und sein Bild ist ein Teil davon. Ich renne und renne, leider nur in die falsche Richtung.

Plötzlich springt das Bild und ich sehe, wie ich eine Woche später endlich aus dem Wald finde. Ich bin abgemagert und meine Zunge schmeckt immernoch nach dem dreckigen Wasser, das ich aus einer Pfütze getrunken habe. Der nächtliche Regen hatte mich überrascht. Seit einer Woche war ich in diesem grünen Gefängnis, doch das ist jetzt vorbei. Vor mir liegt eine kleine Holzhütte, die von unendlich weiten Feldern umgeben ist. Meine Füße quietschen bei jedem Schritt in den bis zum Rand mit Wasser vollgesogenen Schuhen. Ich stürme auf das Haus zu und hämmere gegen die massive Holztür vor mir. Verzweifelt schlage ich immer fester zu, denn ich habe keine Ahnung, ob man mich hören wird. Ein alter Mann öffnet die Tür und ich falle ihm entgegen. Als ich so auf dem Boden liege, versuche ich mich hochzustemmen, doch die Schwerkraft raubt mir diese Möglichkeit. Dann ist alles nur noch dunkel.

Ich erwache in einem kleinen Bett. Ich trage ein Nachthemd, das genau meine Größe hat, und eine Wärmflasche liegt auf meinem Bauch. Nanu? Vorsichtig setzte ich mich in meinem Bett auf und schaue mich um. Das kleine, holzverkleidete Zimmer, in dem ich liege, bietet nicht viel mehr außer einem gigantischen Kleiderschrank mit Spiegeltüren, meinem Bett und einer Zimmertür. Alles ist aus einem Holz gemacht, das einen ganz wunderbaren Geruch ausstrahlt. Langsam strecke ich erst ein Bein unter der Decke hervor, dann das andere. Am Fußende bemerke ich einen perfekt gefalteten Stapel Anziehsachen, die genau wie das Nachthemd exakt meine Größe haben. Verwundert halte ich mir die Sachen ans Gesicht. Sie sind warm und weich und riechen ganz fantastisch nach Lavendel. Ich kenne Lavendel. Meine Mutter hat ihn in unserem Garten angepflanzt. Sie hat immer gesagt, dass man Pflanzen genauso wie Kinder immer verwöhnen müsse.

Beim Gedanken an meine Mutter werden meine Augen schon wieder ganz feucht. Mit dem Hemdsärmel wische ich mir die Tränen weg und betrachte ich mich im Spiegel. Ich sehe ein kleines Kind, das nicht einmal in der Lage ist auf sich selbst aufzupassen. Meine hellbraunen Haare sind auf wundersame Weise über Nacht gewaschen und gekämmt worden. Missmutig starre ich auf meinen Pony. Erneut lasse ich meinen Blick durch das Zimmer kreisen und entdecke einen roten Regenschirm in der Ecke. Angewidert drehe ich mich weg. So ein hässliches Rot habe ich noch nie gesehen. Dunkel, fast braun. Wie Blut. Blut… Wie der Mann von gestern. Jetzt bekomme ich einen regelrechten Heulkrampf, der so lange anhält, bis sich die Zimmertür öffnet und der Hausbesitzer eintritt. So schnell ich kann krieche ich in die hinterste Ecke des Zimmers. Ich wage es nicht ihm in seine grauen Augen zu sehen und so lege ich meine Arme um meine Knie, lege meinen Kopf darauf und wiege mich selbst hin und her. Vielleicht haben meine Eltern ja doch Recht und ich bin nicht ganz richtig im Kopf? „Das stimmt nicht“, betont der Mann mit einer liebevollen, tiefen, rauen Stimme. Verwundert starre ich ihn an. Was meint er bloß? „Du bist nicht verrückt.“ Ich kann förmlich spüren, wie meine Pupillen sich weiten und ich ihm direkt ins Gesicht starre. „Du bist nicht verrückt, nur anders. Genau wie ich.“

„Du liest meine Kopfstimme?“, hauche ich ihm entgegen und ziehe mich noch ein wenig mehr in die Ecke zurück. „Das ist richtig. Und jetzt komm, lass dir beim Anziehen helfen.“

„Das kann ich selber“, kreische ich automatisch. Meine Stimme bricht beim Sprechen aus lauter Angst, dass er dasselbe mit mir machen könnte, wie der Tote. „Gut, dann komm einfach runter, wenn du fertig bist.“ Sofort steht er auf und verlässt den Raum. Ich kann ihn eine Treppe heruntergehen hören. So schnell ich kann schmeiße ich das Nachthemd von mir und werfe die neuen Kleider über. Shorts, eine Bluse und ein Pullunder. Dazu noch frische Unterwäsche, Socken und ein paar Hausschuhe. Vergeblich suche ich nach einem Haarband. Erneut beginne ich zu Schluchzen, auch wenn ich gar keinen richtigen Grund dazu habe. Hat er eben wirklich meine Gedanken gelesen oder war das nur ein Trick? Naja, bisher hat er mir nichts getan und wir sind hier allein, also muss ich ihm wohl oder übel mein Vertrauen schenken. Und so begann meine eigentliche Kindheit, die ganz individuell auf mich zugeschnitten war und perfekt zu mir passte.

Der alte Mann ist der netteste Mann, der mir bis dahin je begegnet ist! Mittlerweile lebe ich schon seit einem Monat bei ihm und es könnte mir nicht besser gehen. Er hat mir erlaubt ihn Onkel Harry zu nennen und das tue ich auch sehr gerne. Onkel Harry hat mir erzählt, dass es schon seit langer Zeit Menschen gibt, die sich ein wenig von den anderen unterscheiden. Er hatte seine Gabe, die Gedanken anderer lesen zu können, als Teenager entdeckt und seitdem lebte er immer allein. Und weil er so einsam war, hatte er viel Zeit zum Üben. Heute kann er auch die Geschichte von Gegenständen erfahren, nur mit einer Berührung. Ich will gar nicht wissen, wozu er noch in der Lage ist.

Onkel Harry baut schon eine ganze Weile an einem Ofen, den er heute endlich fertig gestellt hat. Der große klobige Steinhaufen sieht mehr aus wie eine Ansammlung von Ziegelsteinen. Gerade hat er Holz aus dem Wald geholt und versucht jetzt die dünnen trockenen Äste in Brand zu stecken. Ein Gemurmel tausender Stimmen rauscht durch meine Ohren. Es ist so laut, dass ich mir verzweifelt die Ohren zuhalte und mir Tränen in die Augen steigen. Allmählich werden die Stimmen immer klarer, bis ich deutlich verstehen kann, worüber sie reden. Sie erzählen Geschichten. Langsam höre ich auf meinen Körper hin und her zu wiegen und bemerke erst da, dass ich auf Onkel Harrys Schoß sitze, der mich lächelnd beobachtet.

„Du weißt es, oder?“

„WAS?“, brülle ich aus Angst, dass er mich durch die Stimmen nicht hören kann. Er lächelt nur noch breiter und stellt mich mit den Füßen auf den Boden. Immer noch reden die Stimmen auf mich ein, erzählen mir von Morden, Kriegen, Kreuzzügen. Dinge, von denen ich nichts verstehe. Eine beginnt sachlich von einem Gemetzel zu sprechen, bei dem jeder bis auf den letzten Mann sein Leben gelassen hat. Mit tränenüberströmten Augen sehe ich zu Onkel Harry, der mich strahlend ansieht.

„Du hörst sie nicht, nicht wahr? Niemand kann das. Ich bin krank.“

„Du bist nicht krank. Du bist wie ich: ein Mutant.“

„Was ist das?“, hauche ich. Auf einmal verstummen alle Stimmen bis auf eine, die anfängt zu erzählen, wie sie ein ganzes Dorf in Schutt und Asche gelegt hat. „Aufhören! Hör auf! Bitte!“, flehe ich. Doch die Stimme hört nicht auf mich, berichtet weiter, wie sie Haut in Fetzten riss und Fleisch verkohlt hat. „Beruhig dich“, flüstert Onkel Harry und steht auf. Ich kann nicht sehen, was er macht, doch auf einmal verstummt die Stimme und ich sehe mich verwirrt um. Onkel Harry hockt vor dem Ofen. Er hat etwas in das Backsteingebilde gekippt. Wasser. „Woher...?“

„Woher ich es weiß?“ Ich nicke nur ungläubig. Nicht einmal meine eigenen Eltern haben mir geglaubt, als ich ihnen erzählt habe, dass die Flammen zu mir sprechen. Nächtelang konnte ich wegen ihnen nicht schlafen, aber niemand wollte mir glauben. Deshalb hatten meine Eltern mich auch in diese Anstalt stecken wollen, für die der Tote gearbeitet hatte. „Hast du schon meinen kleinen Trick vergessen?“ Richtig. Harry kann die Gedanken von Menschen lesen. Aber habe ich überhaupt daran gedacht? Nein... „Du vergisst den zweiten Teil meiner Kraft, Hannah.“ Den zweiten Teil... Ach ja, er kann die Erinnerung von Gegenständen bei Berührung sehen, aber... „Wer hat denn je behauptet, dass sich das auf Gegenstände beschränkt?“ Mit großen Augen starre ich ihn an.

„Du bist großartig, Onkel Harry!“

„Deshalb sind wir gleich, weil wir anders sind.“ Feierlich nicke ich und wische mir die letzten Tränen aus dem Augenwinkel. „Eines Tages, will ich genauso sein, wie du“, rufe ich ein wenig zu laut. Ich merke, wie mein Gesicht rot wird. „Wenn nicht sogar noch besser“, meint Harry ernst, „Da hast du aber ein großes Stück Arbeit vor dir. Aber keine Sorge, ich werde dir alles beibringen, was ich kann.“ Überglücklich laufe ich Onkel Harry entgegen und lande in seinen Armen. „Ich hab dich lieb, Onkel Harry!“. Ich spüre etwas Feuchtes an meinem Rücken herunterlaufen und dann höre ich Onkel Harrys Stimme, die meine Worte wiederholt: „Ich hab dich auch lieb.“

Kurze Zeit später stehe ich zusammen mit Onkel Harry vor dem Ofen.

„Bereit“

„Hmm“ Dann zündet er das Streichholz an. Eine Stimme in meinem Hinterkopf berichtet leise von einer sehr sehr schmutzigen Fabrik, aus der sie stammt. Kurz darauf entzündet Harry das richtige Feuer und die Stimmen beginnen lauthals ihr Streitgespräch, wer als erstes erzählen darf. Zitternd reibe ich mir die Schläfen. Harry hat mir geraten, zu versuchen die Stimmen zuerst zu sortieren. Es sind fünf. „Fünf“, sage ich halblaut, aber Harry weiß das natürlich schon. Dann teilen die Stimmen sich auf. Obwohl Harry meine Gedanken lesen kann, kann er die Stimmen aus dem Feuer nicht hören. Nicht einmal in meiner Erinnerung kann er sie sich anhören. Er kann nur meine Reaktionen sehen. Eine tiefe raue Stimme beginnt mit einer blutigen Geschichte von einem Massenmörder, den er in den Flammen erstickt hat. „Wie klingt sie?“, fragt Harry ehrfürchtig und sieht mich fragend an. „Wie ein alter Mann“, erwidere ich und lausche weiterhin der Geschichte. Die Stimme beschreibt in allen Einzelheiten, wie sich die Haut des Mörders von seinem gebratenen Fleisch schälte bis hin zu seinen letzten Atemzügen. Mit klopfendem Herzen höre ich das Ende der Geschichte und wie eine zweite, junge Stimme mir ihre Geschichte eines Kinderschänders darbringt. Mein Magen wird ganz flau und ich renne zur Spüle, wo ich einen heißen Brei aus meinem Inneren herauslasse. Die stinkende Brühe verschwindet im Abfluss. Hinter mir höre ich ein lautes Zischen und die Stimme verstummt. Harry hat das Feuer gelöscht. Vorsichtig tritt er hinter mich und legt seine Hand auf meinen Kopf. Er kann zwar nicht ihre Stimme hören, aber durch meine Gedanken weiß er in etwa, worüber sie geredet haben. „Das war schon sehr gut“, lobt er mich und streicht sanft über meinen Kopf, „Morgen machen wir weiter.“

„Ich will noch einen Versuch!“, fordere ich, doch Harry schüttelt nur den Kopf. „Für heute hatten du und meine Spüle genug.“ Immer noch am ganzen Leib zitternd und mit rasendem Herzschlag lasse ich mich in den alten Schaukelstuhl fallen, der direkt neben dem Ofen steht. „Zieh dir deine Jacke an“, befiehlt Onkel Harry grinsend. „Wohin gehen wir denn?“, will ich aufgeregt wissen. Harry lässt mich so gut wie nie aus dem Haus. Er hat Angst, dass mich jemand mitnehmen könnte. „Wir müssen dich in der Schule anmelden, sonst bekommen wir noch Ärger mit der Polizei. Du willst doch zur Schule?“ Aufgeregt und ängstlich zugleich springe ich auf und schnappe mir Schuhe und Mantel. „Los gehts! Beeil dich!“, jubele ich und bemerke, dass Onkel Harry kichert. „Na dann los!“

Die Schule ist ein faszinierender aber auch zu gleich sehr beängstigender Ort für mich. Ich war noch nie in einem Kindergarten und hatte deshalb noch nie so viele Kinder um mich herum. Während des Vorstellungsgespräches beim Schulleiter, bin ich so abgelenkt von den vielen Kindern, die auf dem Hof spielen, dass ich keine einzige Frage ohne Harry beantworten kann. Der Schulleiter, ein sehr kleiner, sehr stämmiger Mann, steht nach einer halben Stunde auf, reicht Harry und mir die Hand und verabschiedet sich mit den Worten, dass er sich sehr darauf freue, mich schon bald besser kennenlernen zu dürfen.

Auf dem Heimweg, den wir auch wie den Hinweg zu Fuß zurücklegen, trichtert Harry mir drei Dinge ein. Erstens: ich darf mich auf keinem Fall irgendeiner Art von Feuerquelle nähern oder von unseren Kräften sprechen. Zweitens: Ich muss jeden Tag pünktlich dort sein und vorher unbedingt frühstücken. Und drittens: Ich muss Harry augenblicklich vom Nottelefon im Sekretariat aus anrufen, wenn ich irgendwelche Probleme habe. Begeistert nickend schlendere ich an Harrys Seite nach Hause. Ich bin so glücklich, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Aber das muss ich ja auch gar nicht, denn Harry weiß so oder so, was ich denke.

Mein erster Schultag ist im September. Es ist ein erstaunlich warmer Tag. Ein paar Tage zuvor bin ich sechs Jahre alt geworden und Harry und ich hatten das mit einer kleinen Feier entsprechend gewürdigt. Die kleine Begrüßung in der Aula ist grauenhaft für mich. Etliche Gesichter, die mich von unten anstarren. Ich verstecke mich hinter meinem Pony. Zum ersten Mal seit meiner Zeit im Wald bin ich wieder ganz auf mich gestellt. Meine kleine Faust krallt sich in den Faltenrock, der zu meinen Lieblingssachen gehört, die Harry mir gegeben hat. Er hatte einst eine kleine Tochter, die genau in meinem Alter war, doch sie ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Harry konnte ihre Sachen nicht einfach wegwerfen und jetzt gehören sie mir.

Ich spüre wie mir ganz heiß wird, als die Lehrerin meinen Namen aufruft und ich mich zitternd hinter ihr in die Reihe stelle. Lächelnd tätschelt sie mir den Kopf und ich sehe sie zum ersten Mal richtig an. Sie ist sehr jung und hübsch und wirkt ziemlich nett. Nach und nach stellen sich immer mehr tuschelnde Kinder hinter mir auf und ich beginne zu zittern. Ich will jetzt so gerne Harry anrufen. Meine Hände werden noch ein wenig heißer und ich rieche verbrannten Stoff. Als ich an mir heruntersehe, merke ich, dass mein Rock angesengt wurde. Und zwar von meiner Hand.

Mit rasendem Herzen tippe ich der Lehrerin in den Rücken und sie dreht sich strahlend zu mir um. „Ich will meinen Onkel anrufen“, meine ich und mein Herz schlägt noch ein bisschen schneller. Harry hatte mich ebenfalls gebeten von ihm immer nur als meinem Onkel zu sprechen, da er dem Schulleiter erzählt hatte, dass er genau das ist. „Das brauchst du nicht, ich bin ja hier“, erwidert sie und tätschelt mich erneut auf den Kopf. Langsam beruhigt sich mein Puls wieder ein bisschen und innerlich danke ich der Frau.

Meine Klasse ist sehr groß. Mindestens zwanzig Kinder. Die Kinder haben sich alle schon zu Gruppen zusammengesetzt, nur ich stehe immer noch mitten im Raum und weiß nicht, wo ich mich hinsetzten soll. Die Lehrerin stupst mich von hinten in eine Richtung und ich lasse mich auf einen Stuhl fallen. Mir gegenüber sitzen zwei kichernde Mädchen, neben mir eines, dass genauso wie ich ziemlich einsam aussieht. Mutig tippe ich sie an und nuschele: „Ich bin Hannah. Und du?“ Die kleine Asiatin sieht mich überrascht an und lächelt süß. „Sarah“ Dann schweigen wir wieder, bis Sarah plötzlich fragt: „Wollen wir Freunde sein?“ Verwirrt nicke ich. Ich hatte noch nie eine Freundin.

Von da an ist die Schule eine tolle Zeit für mich. Sarah und ich verbringen jede Minute gemeinsam und haben eine Menge Spaß. Wir spielen Reiter, Entdecker, Fußball. Keiner von uns in das typische rosa Einhornmädchen von nebenan. Wir verbringen die meiste Zeit entweder mit den Jungen auf dem Bolzplatz oder zu zweit, wo wir auf Bäume klettern und uns im Matsch wälzen. Neben der Schule werde ich auch noch von Harry unterrichtet. Er hilft mir meine Fähigkeiten auszubauen und erkennt großes Talent in mir.

Mit sechseinhalb Jahren kann ich eine kleine Flamme in der Handfläche auflodern lassen. Mit sieben kann ich mich flüssig mit den Flammen unterhalten. Mit acht kann ich andere Gegenstände in Brand setzten und löse das ein oder andere Mal fast einen großen Waldbrand aus. Mit achteinhalb Jahren bin ich in der Lage mit jedem Teil meines Körpers Flammen zu erzeugen und mich selbst so in eine menschliche Fackel zu verwandeln. Mir macht das Feuer nichts aus, doch für jeden anderen ist es tödlich und selbst Harry kann mich nur bedingt unter Kontrolle halten. Mit neun schaffe ich es, einen Flammenstrahl, wie den eines Flammenwerfers aus meiner Hand schießen zu lassen. Mit zehn hilft Harry mir, meine Flammen selbst löschen zu können. Und nicht nur meine. Auch das Feuer im Ofen kann ich mit reiner Willenskraft abstellen. Anzünden muss man es nur wieder per Hand.

In diesem, meinem letzten Jahr der Grundschulzeit gibt es eine Abschlussfeier uns zu ehren. Mittlerweile ist mir der Pony vollkommen herausgewachsen und meine Haare sind eher zu einem dunkelbraun übergegangen, dass besser zu meinen blaugrünen Augen passt. Zu dieser Party besorgt Harry mir extra ein neues Kleid mit passenden Schuhen. Das türkise kurzärmelige Kleid ist ein wahr gewordener Traum für mich. Stolz drehe ich mich damit immer wieder vor dem Spiegel im Schlafzimmer. „Danke, danke, danke!“, jubele ich immer wieder. Die Party an sich ist ziemlich unspektakulär. Das wirklich interessante daran ist, dass wir anschließend in der Schule übernachten dürfen. Begeistert packe ich zuhause meinen Rucksack und höre mir wieder einmal Harrys besorgte Predigt an, dass ich gut auf mich aufpassen solle. Strahlend nehme ich ihn ein letztes Mal in den Arm und gebe ihm einen verfrühten Abschiedskuss. Danach verlasse ich summend die kleine Holzhütte und mache mich auf den Weg zu meinem letzten Tag an der Grundschule. Harry hat mich schon bei einer weiterführenden Schule angemeldet, die ein wenig weiter weg von unserem Haus ist, als die Grundschule. Der Unterricht an diesem Tag ist wie immer und eben nichts Besonderes. Die Party, bei der jeder von uns für großartige Leistungen gelobt wird, ist genauso öde. Danach breiten wir in unserer Klasse die Schlafsäcke aus. Natürlich schlafe ich ganz eng neben Sarah, die ihr neues Handy extra mitgebracht hat. Bewundernd starre ich auf das aufleuchtende Display und muss mir innerlich eingestehen, dass ich ein wenig neidisch bin. Harry verdient nicht viel Geld, deshalb müssen wir gut aufpassen, was und wie viel wir einkaufen. Einen Luxus, wie dieses Handy, können wir uns praktisch nie leisten. Wir machen etliche Partyspiele, erzählen Gruselgeschichten und gehen dann ganz spät erst schlafen. Mit einem Lächeln auf den Lippen sinke ich in das Reich der Träume, dass für mich eher wie eine Schleife funktioniert, die mir immer wieder die schlimmsten Erinnerungen in meinem Leben vorspielt. Egal wie glücklich ich bin, wie viel Freude ich empfinde. In der Nacht finden sie mich und lösen mich von innen heraus auf, sodass ich nichts mehr spüre außer meinem in der Brust hämmernden Herzen. Das kann nicht wirklich gesund sein.

Mitten in der Nacht erwache ich von einer besonders schlimm verzerrten Erinnerung an die Zeit im Wald. Schweißnass sitze ich aufrecht da, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Erst da bemerke ich den Geruch in der Luft und danach die erstickten Schreie. Ich bin allein in dem Raum, der hier mein zweites Zuhause bedeutet. Dann schaltet sich mein Gehör wieder voll und ganz ein und ich merke, dass es nicht nur menschliche Schreie sind, die ich höre. Das Flüstern des Feuers ist auch hier. Und alle seine zischelnden Stimmen wollen Tote sehen. Pfeilschnell schieße ich aus meinem Bett und rase mit unmenschlicher Geschwindigkeit los.

Unnormale Geschwindigkeit, Kraft, schnelle Selbstheilung und gefestigte Sinne besitzen so gut wie alle Mutanten, hat Harry mir einst erzählt, doch selbst für diese Maßstäbe bin ich ein Ausnahmetalent. Wenn ich mich konzentriere, kann ich sogar das Gras wachsen hören. Einst hatte ich mir bei einem Sturz von einem naheliegenden Baum den Arm gebrochen, doch als ich tränenüberströmt bei Harry in der Küche ankam, war der Arm wieder vollkommen in Ordnung. Jetzt sprinte ich los, den Flur entlang. Vor mir erkenne ich meine Klasse mit der Lehrerin, die sich gegen eine Wand mit Fenster pressen. Sie bringt ein Kind nach dem anderen aus dem Fenster ins Freie. Leider drängeln die Kinder sehr und so geht es nur langsam voran. Manche weinen, andere werden wütend und Sarah steht nur mit weit aufgerissenen Augen da und starrt auf etwas, dass genau hinter mir ist. Die Stimmen des Feuers werden immer lauter und blutdürstiger. Als ich mich umdrehe, sehe ich ein paar Meter von mir entfernt eine gigantische Feuerwand, die sich erstaunlich schnell voranfrisst und auf uns zusteuert.

Ich fasse einen Entschluss. Selbst wenn es mein Herz bricht, muss ich mein Versprechen Harry gegenüber brechen. Ich werde diese Kinder heute nicht sterben lassen. Heute Nacht werde ich ein Held sein. Meine Lehrerin ruft mir verzweifelt zu, doch ich achte nicht auf sie. Entschlossen wende ich mich dem Feuer zu und hebe eine Hand. Ich merke, wie das Feuer in einem Strudel zu mir fließt, in meine Handfläche. Ich fange es in mir auf. Es ist nicht wie das Löschen des Ofens, wo das Feuer einfach verschwindet. Dieses Mal sammelt es sich in geballter Form in mir, bis auch der letzte Funke verschwunden ist und kleine elektrische Blitze über meine Fingerkuppen zucken. Ich habe die Flammen in reinen Strom umgewandelt. Ich lasse ein Seufzen aus meiner Kehle entfliehen. Ich habe es geschafft. Vor mir sehe ich herunterbröckelnde Bretter, verkohlten Steinboden. Eine Spur aus verwüsteten Sitzbänken und Kleiderständern. Hinter mir spüre ich etliche Blicke auf mich gerichtet. Die Lehrerin und die verbliebenen Kinder, zu denen auch Sarah gehört, starren mich entsetzt an. Ich mache einen Schritt in ihre Richtung, doch sie krümmen sich vor Angst. Ich mag ihre Leben gerettet haben. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie mich jetzt für ein Monster halten.

Noch nie in meinem Leben bin ich volles Tempo gerannt, doch nun laufe ich so schnell ich kann nach Hause. Meine Gestalt ist verschwommen, so schnell bewege ich mich. Heiße Tränen laufen an meinem Gesicht herunter. Ein Sturm tost um mich herum. Blitze zucken, als ich über freies Feld laufe. Der Donner betäubt meine empfindlichen Ohren und der Regen tränkt mich und meine Kleidung in Kälte. Jeder meiner Muskeln brennt heiß und unangenehm als ich noch ein wenig schneller laufe. Dann wird plötzlich alles in ein grelles blaues Licht getaucht und ich verliere mein Bewusstsein.

 

Als ich aufwache rechne ich mit Schmerzen, doch wie ich so da liege auf dem klitschnassen Boden, fühle ich mich besser als jemals zuvor. Erst da realisiere ich, was mir überhaupt passiert ist. Ich wurde vom Blitz getroffen. Ich wurde vom Blitz getroffen und habe es überlebt. Meine Muskeln fühlen sich so stark an, wie noch nie zuvor. Mit gigantischen Schritten mache ich mich auf den Weg nach Hause. Die Tür ist abgeschlossen und so trommele ich wild dagegen. Natürlich habe ich meinen Schlüssel in der Schule vergessen. Ich höre erst auf zu klopfen, als mir ein verschlafener Harry die Tür öffnet und mich in seine kräftigen Arme nimmt. Ich kann spüren, wie er inne hält, während er sich meine Erinnerungen ansieht. Dann drückt er mich ein wenig fester an sich und trägt mich ins Schlafzimmer. Nachdem ich ein paar frische Sachen angezogen habe, schleiche ich zurück ins Esszimmer, wo ich Harry beim Telefonieren lauschen kann. „Ja, wir nehmen die Anmeldung zurück. Wir haben eine bessere Schule gefunden. ... Hmm ... Ja ... Nein, es hat nichts mit ihnen zu tun... Ja ... Gut, auf Nimmerwiedersehen“ Fluchend knallt er den Hörer auf den Tisch und bemerkt erst danach, dass ich am Treppenabsatz stehe. Lächelnd kommt er zu mir und streicht über meinen Kopf. „Du hast es gehört, nicht? Jetzt, wo sie wissen, was du bist, kannst du nicht einfach so auf eine andere Schule wechseln. Wir müssen erst deine Identität ändern“ Langsam lehne ich meinen Kopf gegen seine Brust. „Was ist los?“, fragt er, denn er spürt, dass ich betrübt bin. „Ist alles Feuer böse?“, frage ich ihn ohne zögernd. „Wie kommst du denn darauf?“

„Alle diese Flammen erzählen nur, was sie Menschen angetan haben, wie sie ihnen das Leben genommen haben, was sie schreckliches bezeugt haben. Sie gieren nur nach unserem Leid“

„So ist das also...“ Ich habe Harry noch nie zuvor erzählt, worüber sie reden, weil es schon zu schrecklich ist, es auch nur mit anzuhören.

„Aber du hast sie doch heute gerettet, oder?“

„Ja, aber...“

„Und es gibt ja auch nicht nur das Feuer, das Dinge verbrennt. Es gibt auch das Feuer im Herzen, das Menschen und Mutanten zu gleicher Maßen besitzen. Und du, kleine Heldin, hast mehr als genug davon“

„Meinst du echt?“

„Ich war mir noch nie sicherer. Und nun, geh ins Bett. Das mit der Schule überlässt du schön mir“

Langsam schleiche ich die Treppe wieder hoch und ins Bett. Unten wählt Harry eine Nummer nach der anderen, redet auf einen Schuldirektor nach dem anderen ein. Und dann bin ich endlich eingeschlafen. Ich habe keine Ahnung, wie Harry das geschafft hat, doch am Ende der Ferien habe ich wirklich einen Platz an einer Schule. Sie ist zwar ein bisschen weiter weg, sodass ich den Bus nehmen muss, aber das stört mich herzlich wenig. Zu meinem zehnten Geburtstag schenkt Harry mir eine kleine Kette mit einem Medaillon daran. In ihm ist ein Bild von Harry und mir. Ich falle ihm dafür laut kreischend um den Hals.

In den Ferien versucht Harry, mit mir herauszufinden, wie ich das Feuer in Elektrizität verwandelt hatte, doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht und so lerne ich erst einmal mich selbst zu verteidigen, in dem ich mit Feuerstrahlen zu zielen lerne. Ich bin eine echte Niete im Zielen, aber am Ende der Ferien bin ich so weit, dass ich aus zehn Metern Entfernung einen Baumstamm treffen kann. Harry ist immer wieder verblüfft, wie viel Kondition ich habe. Egal, wie viel, wie hart und wie lange wir trainieren, ich komme nie ins Schwitzen oder muss um eine Pause zum Luftschnappen bitten, so wie er.

Mein erster Tag an der neuen Schule beginnt damit, dass Harry mich bei Sonnenaufgang aus dem Bett wirft und mich zum Anziehen auffordert. Die Fahrt zur Schule dauert lange und daher muss ich nun viel früher aufstehen. Dafür macht Harry mir Pfannkuchen, bevor ich das Haus verlasse. Er hat mir schon die ganze letzte Woche eingetrichtert, dass ich mich nicht als Hannah Mellarck sondern als Hannah Hammelton vorstellen soll. Keiner dieser Nachnamen ist mein richtiger, denn dann würden meine Eltern irgendwann herausfinden, wo ich bin und mich wer weiß wo hin verfrachten und Harry würde im Gefängnis landen. Also halte ich meine Identität stehts unter Verschluss.

Die Busfahrt dauert über eine Stunde und mehr als einmal wäre ich beinahe eingeschlafen. Als er dann doch endlich an der richtigen Station hält, springe ich von meinem klebrigen Sitz auf, streiche meine Schuluniform mit dem kurzen braunen Rock und der dämlichen Rüschenblus ein letztes Mal glatt und verlasse den kleinen Bus. Vor mir befindet sich ein gigantisches Gebäude mit mehreren verschieden großen Häusern und etlichen riesigen Glasfenstern. Der Stahlkasten ist sowohl klobig als auch majestätisch für mich. Schüchtern schlendere ich in Richtung Aula. Die kleine Karte, die es am Eingang gibt, hilft mir auch nicht besonders. Seufzend lege ich sie beiseite und sehe mich um. Neben mir sind zwei Jungen, die sich gerade angeregt über ein Kartenspiel unterhalten. Sie sind ein oder zwei Jahre älter als ich. Die kennen bestimmt den Weg. „Entschuldigung, wisst ihr, wo die Aula ist?“, frage ich mit piepsiger Stimme. Die Beiden deuten in eine Richtung, der ich sofort bereitwillig folge und eine gigantische Tür finde, auf der „AULA“ steht. Erleichtert öffne ich die schwere Tür und mich trifft der Schlag. Hunderte Kinder in meinem Alter stehen in ellenlangen Schlangen vor einer Reihe kleiner Türen, über denen in großen Lettern „UNAUFFÄLLIGKEITS-ÜBERPRÜFUNG“ geschrieben steht. Ich schlucke. Was ist das denn?

Ein Mann in weißer Uniform winkt mir ungeduldig zu. Er weist mir an, mich in eine der Reihen zu stellen. „Was ist das hier?“, frage ich ängstlich und so kindlich wie ich kann. Denn wenn man kindlicher wirkt, sind Erwachsene wesentlich hilfsbereiter. Und es klappt auch. „Keine Angst, kleine. Es werden nur ein paar Test gemacht, um zu sehen, ob ihr nicht krank seid“ Er betont dieses Wort krank sehr merkwürdig, sodass mir ein Schauer den Rücken herunterläuft. So erleichtert klingend, wie es geht, danke ich dem Mann und warte, bis ich an der Reihe bin. Eine Reihe Kinder nach der anderen verschwindet hinter den Türen und kommt nicht wieder. Was das wohl für Tests sind? Neben jeder Tür steht ein Wachmann und achtet auf die Ordnung. Das grüne Licht über der Tür zeigt an, wann man eintreten darf. Mein Herz klopft immer schneller und meine Zunge wird ganz trocken. Ganz ruhig. Du schaffst das. Du hast den Blitz überlebt, da schaffst du auch so ein paar Tests. Dann bin ich an der Reihe. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als das Licht auf grün springt. Neben mir entsteht plötzlich ein Radau. Ein Wachmann schleppt einen kleinen Jungen ab, der sich erfolglos zu wehren versucht. „Mutantenpack wie du gehört weggesperrt“, knurrt der Wachmann. Schwarze Punkte tauchen vor meinen Augen auf und mir wird ganz schwindelig. Der Wachmann neben mir weist mich zurecht, dass ich nicht so gaffen, sondern endlich eintreten solle. Matt unterdrücke ich den Schwindel und öffne mit zitternder Hand die Tür. Das überprüfen sie also. Sie suchen nach Mutantenkinder.

Hinter der Tür sitzt ein junger Mann hinter einem Tisch. Ich setzte mich auf den zweiten Stuhl und der Mann beginnt zu reden. „Ich bin Dr. Zankoff und ich werde jetzt ein paar Tests an dir machen, Hannah...“, Er kramt in seinen Unterlagen. „Hannah Hammelton“, helfe ich ihm, doch er sieht nicht erfreut aus. Zuerst muss ich meinen Brustkorb abhören lassen, dann wird in meinen Hals gesehen und und und. Als er den ganzen normalen Kram erledigt hat, zieht er aus einer Schublade ein Skalpell.

„Was haben sie denn vor?“

„Gib mir deinen Arm“ Bereitwillig lege ich ihn auf den Tisch. Vorsichtig zieht er einen Schnitt durch meine Haut, der sich augenblicklich wieder zusammenzieht. Nicht einmal Blut ist herausgekommen. Ich kann das Entsetzten in seinen Augen sehen und wie er unter seinem Tisch einen Knopf betätigen will. „Das würde ich an ihrer Stelle lassen“, sage ich drohend und lasse eine kleine Flamme in meiner Handfläche auflodern. Woher ich auf einmal diesen Mut gefunden habe, kann ich selbst nicht sagen. Vielleicht ist es auch nur Angst. Er zögert.

„Wir können das hier einfach oder kompliziert erledigen“, meine ich. Plötzlich ruckt er nach vorne und es klickt. Verdammt, er hat den Knopf betätigt. Hinter mir tritt der Wachmann von eben durch die Tür. Er greift mich unter den Schultern und ich lasse mich willenlos wegschleifen. Noch ein wenig länger. Dann sind wir vor dem Gebäude und der Mann schließt gerade einen Lieferwagen auf. In diesem Moment lasse ich meinen gesamten Körper in Flammen aufgehen und stürme los. Der Mann flucht, denn ich habe seine Uniform in Brand gesteckt. Er versucht mich zu verfolgen, doch da bin ich schon in den Bus gesprungen, der mich nach Hause bringen wird.

Der Bus schaukelt im Wind hin und her. Mein Blut rauscht in meinen Ohren und ich schnappe krampfhaft nach Luft. Ein Glück, dass der Bus so voll ist. Auf einmal ertönen schrillen Sirenen. Ich weiß ganz genau, nach wem sie suchen und so bahne ich mir durch den stehenden Bus einen Weg zum Fenster. Mit der rechten Hand hole ich aus und zerschlage das Fenster. Dabei errichte ich gleichzeitig eine kleine Feuerwand, die die Insassen vor den umherfliegenden Scherben schützt. Mit einem Satz springe ich aus dem Fenster und finde mich in einem Rund aus schwarzen Lieferwagen wieder, die einen äußeren Ring bilden. Den inneren Ring bilden zwei Dutzend gepanzerte Schützen.

Abschätzend mustere ich ihre Panzerung. Die ist nie im Leben feuerfest. „Hände über den Kopf und hinlegen“ Ich werfe einen letzten Blick auf die Fahrzeuge. Es ist ganz normales Material. Seufzend hebe ich meine Hände und lege mich auf den Boden. Rasend schnell gehe ich meine Möglichkeiten durch und erkenne, dass ich hier nicht rauskomme ohne jemanden zu verletzen. Über uns donnert das Gewitter, während die Häscher näher kommen, um mich bewusstlos zu schlagen. Näher, noch ein Stück. Stopp. Langsam erhebe ich mich vom Boden und sehe mich um. Ein paar Schritte entfernt zielen die Häscher verwirrt auf mein Gesicht. Ohne mir meine Angst anmerken zu lassen mache ich ihnen ein Angebot: „Wenn ihr mich jetzt einfach frei lasst und mich nicht verfolgt, werde ich keinen Schaden anrichten“

„Verarsch uns nicht!“, brüllt der jüngste aus dem Kreis. Sogleich weist ihn eine ältere Frau, die wahrscheinlich hier die Ranghöchste ist zurecht: „Stone, treten sie zurück!“ Grimmig tritt der junge Mann zurück und verlässt den Kreis. Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich frage noch einmal. Werdet ihr mich frei lassen, wenn das bedeutet, dass ich keinen Schaden anrichte?“

„Was meinst du mit Schaden?“, fragt mich die Frau.

„Mit Schaden meine ich, dass ich weder an einem von euch noch einem Zivilisten oder diesem Land meine Kräfte zum Einsatz bringen werde“

„So verlockend dieses Angebot scheint, wir können dich nicht gehen lassen, Mutant“

„Schlechte Wahl“, flüstere ich.

Dann lasse ich das Feuer heraus. Es zischt, flüstert meine verborgensten Gedanken und schmilzt ein Gewehr, nach dem Anderen. Im Kopf zähle ich bis 60. Eine Minute. Dann nehme ich die Flammen wieder in mir auf. Die Häscher liegen keuchend am Boden. Erst da bemerke ich, dass etwas mit mir nicht stimmt. Blaue Blitze zucken aus meiner Haut, greifen nach den Häschern und schleudern sie gegen die Bäume. Über mir grölt der Donner, doch die Blitze gehören mir. „Stopp!“, rufe ich verzweifelt. Der Asphalt unter meinen Füßen beginnt zu schmelzen. Ich muss hier weg. Mein Gehirn arbeitet schneller als ich es erfassen kann. Eine Idee schießt durch meinen Kopf. Sie ist ebenso wahnsinnig wie genial. Erst die rechte Hand, dann die linke und anschließend meine ganzen Körper setzte ich in Brand. Danach befehle ich meinen Füßen einen Feuerstrahl abzuschicken. Mit einem monströsen Zischen hebe ich plötzlich vom Boden ab und schieße durch die Luft in den Abendhimmel. Ich muss aussehen, wie eine Rakete. Jeder meiner Muskeln brennt vor Anstrengung und immer noch schlagen Blitze aus mir heraus. Gut hundert Meter vor unserer Hütte, befehle ich den Flammen zu verschwinden und sauge sie wieder in mir auf. Das ist wahrscheinlich die dümmste Idee, die ich je hatte, denn jetzt falle ich erstens haltlos in Richtung Boden und zweitens werden die Blitze nur noch stärker. Auf offenem Feld treffe ich auf den Boden auf. Mein Aufprall reißt einen Krater in die Erde und nimmt mir den Atem. Jeder meiner Knochen fühlt sich an, als sei er gebrochen. Ja, das war wirklich dumm. Über mir erkenne ich plötzlich Harrys graubärtiges Gesicht, der zu mir herunterblickt. Der Krater muss wirklich gigantisch sein, denn von meinem Standpunkt aus, sieht er winzig aus.

„Oh Gott, Hannah!“, haucht er, als er die immer kleiner werdenden Blitze im Boden versickern sieht. „Kannst du dich bewegen?“

„Noch nicht. Warte fünf Minuten, dann bin ich wieder wie neu“

„Wir haben keine fünf Minuten. Hör die Sirenen“ Tatsächlich irgendwo aus weiter Ferne klingen die Sirenen der Häscher.

„Hör mir gut zu. Ich werde sie ablenken und du wirst fliehen“

„Ich lasse dich nicht zurück!“

„Doch das wirst du. Wenn du hierbleibst, kriegen sie uns Beide. Tu nur dieses eine Mal bitte, was ich dir sage“ Mit tränennassen Augen nicke ich schwach. „Versprich es! Versprich, dass du nicht zurückkommst, egal, was sie mit mir anstellen“

„Ich verspreche es“

Und dann ist er verschwunden. Langsam prüfe ich meine Verletzungen. Die Brüche sind wie von Zauberhand geheilt und die Schrammen schließen sich schon. Jetzt muss ich irgendwie aus diesem Loch kommen. Seufzend sehe ich an mir herunter. Bei meinem Entzünden habe ich vergessen meine Kleidung zu schützen und jetzt ist sie komplett verkohlt. Nun stehe ich auf, mache einen Satz in die Luft und schalte das Feuer dieses Mal nur an meinen Fußsohlen ein. Pfeilschnell schieße ich aus dem Loch und in den nächtlichen Himmel. Hinter mir höre ich Harrys erstickten Schrei. Nicht umdrehen. Nicht umdrehen. Doch natürlich drehe ich mich um und sehe, wie die alte Frau eine Peitsche auf Harrys Rücken fahren lässt. Immer und immer wieder. Sein aufgeplatzter Rücken sieht aus wie ein rohes Stück Fleisch. Das Blut tropft an ihm herab und er wimmert wie ein geschlagener Hund. Aber ich darf nicht zu ihm. Ich habe es versprochen. Und so halte ich meinen Kurs bei, während mich die Blicke der Häscher verfolgen. Trotzdem kann ich Harry nicht aus meinem Kopf verbannen und so wende ich und steuere mit unglaublicher Geschwindigkeit in den Himmel, um sehen zu können, was passiert, ohne selbst gesehen zu werden. Harry liegt blutend am Boden. Der flüssige rote Saft des Lebens fließt ungehindert auf Asphalt und läuft zu einer großen Pfütze zusammen. Heiße Wut steigt in mir auf, als ich in einem gigantischen Feuerball zu Boden schlage und die Häscher in meine Flammen hülle. Ich kann sie wimmern hören. Ich kann sie flehen hören. Aber ich lasse nicht nach, bis alle Häscher keinen Laut mehr von sich geben. Erst als die Flammen abgestellt sind, kann ich wieder einigermaßen klar denken. Der Asphalt um uns herum ist geschmolzen. Die Fahrzeuge sind zu Klumpen grauen Metalls geworden. Aber am schlimmsten sind die roten von Teer triefenden Wesen. Eine Woge Erbrochenes ergießt sich aus meinem Mund. In diesem Moment fällt mir Harry wieder ein. Harry! Wo ist er? So schnell es bei dem matschigen Asphalt geht, kämpfe ich mich zu der Stelle vor, an der Harry eben gelegen hatte. Was ich vorfinde, ähnelt Harry so sehr wie ein Stück Holz. Eines der dämonischen Wesen liegt dort in seinen letzten Atemzügen. Das Fleisch tropft nur so von seinen Gliedern und die Haut löst sich in Fetzen von ihm. Das kann nicht Harry sein. Das darf nicht Harry sein! Plötzlich keucht das Wesen und sein strichartiger Mund öffnet sich gerade so lange, dass er einen Satz herausbringen kann. „Daran müssen wir wohl noch üben, Prinzessin“

Nachdem ich etwa hundert Kilometer hinter mich gelegt habe, lande ich so vorsichtig ich kann auf dem Boden. Das gelingt mir auch ganz gut, es kostet nur Zeit. Die Tränen laufen in Strömen über mein Gesicht. Nachdem Harry seine letzten Worte gesprochen hatte, hatte er die rotgeschwollenen Augen geschlossen und einfach aufgehört zu atmen. Dann bin ich fort. Ich konnte nicht bei diesem Harry bleiben, den ich zum Tode verurteilt hatte. Dann lege ich noch etwas Strecke zu Fuß zurück, bis ich irgendwann einer sehr breiten Straße folge, an deren Ende eine gigantische Stadt mit kilometerhohen Wolkenkratzern liegt. Noch ein wenig schneller laufend gleite ich ungesehen durch das Stadttor. Wenn ich schnell genug laufe, bemerken mich viele Menschen gar nicht, da sie mich mit bloßem Auge gar nicht erfassen können. Diese Stadt sollte meine nächste Etappe im Leben werden, auch wenn mir die riesigen Gebäude, der Gestank der Abgase und der Asphalt unter meinen nackten Füßen so missfallen.

Die Stadt wird mein Zuhause. Und ihre Bewohner meine Familie. Schon am ersten Tag als ich abends vollkommen verzweifelt und traumatisiert in einer dunklen Gasse abtauche, lerne ich ihn kennen, meinen zweiten Lebensretter. Er habe keinen Namen, aber alle würden ihn Jace nennen, erklärt er mir, während er mir von seinem Brot zu essen gibt, dass ich wie ein ausgehungertes Tier herunterschlinge. Jace, ein achtundzwanzig Jahre alter junger Mann, der genauso wie ich ein Mutant ist, nimmt mich unter seine Fittiche und bringt mir bei, mit meiner Umgebung zu verschmelzen und vor den Häschern, die in Scropolys in Rudeln Jagd auf Mutanten machen, zu entkommen. Er bringt mir diese für mich vollkommen neue Welt nahe, in der Autos die Straßen verstopfen und Menschen wie Könige leben. Aber Scropolys hat auch seine Tücken. Hier gibt es ein Gesetz, das jedem Menschen erlaubt einen entlarvten Mutanten augenblicklich zu erschießen. Jace, der die Gabe besitzt, durch Gegenstände und Lebewesen zu gehen, ist ein wahrer Meister in diesem Versteckspiel vor der Polizei und ich jetzt sein Lehrling. Er hat so viele Erfahrungen gemacht. Mit Mutanten und mit Menschen. Jace hat jedes Land der Welt gesehen und Mutanten mit den verschiedensten Gaben kennengelernt, die ihm so viel über das Leben beigebracht haben, wie man nur wissen kann. Und jetzt sitzen wir jeden Abend an einem von mir entzündeten Feuer, genießen unser hart erarbeitetes Mahl und er erklärt mir immer etwas neues. Über die verschiedenen Arten von Kräften, Geschichten von Meistern, wie Mutanten nach ihrer Stärke kategorisiert werden. Es ist ein ziemlich kompliziertes Verfahren, bei dem Kraft, Schnelligkeit, Gehör und Gabe getestet werden. Manche Gaben treten öfter auf als andere, die wiederum sehr selten sind. Auch Jace ist beeindruckt von meinem Feuer, doch er meint, dass ich noch einen weiten Weg vor mir habe. Also trainiert er mit mir so oft es geht. Wenn wir nicht gerade im Supermarkt etwas mitgehen lassen oder Passanten bestehlen, dann verstecken wir uns in einer dunklen Gasse und er hilft mir beim Trainieren. Jace hat mir erklärt, dass Mutanten ihre Kräfte ausbauen und verbessern können, wenn sie regelmäßig daran arbeiten. Für Leute wie uns, bei denen ihre Kräfte über Leben und Tod entscheiden können, ist es besonders wichtig, dass wir den Häschern immer einen Schritt voraus sind. Er bringt mir bei, mein Feuer so gut es geht selbst dann zu kontrollieren, wenn ich in emotionalen Ausnahmesituationen bin. Er zeigt mir, wie ich meine Blitze in mir behalte, denn er ist es, der erkannt hat, dass ich Feuer in mir speichern und in elektrische Ladung umwandeln kann. Also muss ich die Ladung doch nur in Feuer umwandeln. Das klappt gut. Und was noch viel wichtiger ist, er zeigt mir all die Möglichkeiten, die sich mit der Elektrizität auftun. Verriegelte Türen öffnen, Strom abzapfen, Hochspannungszäune ausschalten, ja, wenn ich die Ladung geschickt genug in mir zirkulieren lasse, kann ich mich sogar mit einem Magnetfeld so an eine Wand binden, dass ich an ihr entlanglaufen kann. All diese Fähigkeiten verdanke ich Jace und Jace allein.

Zu meinem elften Geburtstag schenkt er mir ein kleines Foto von uns, dass wir in einem Automaten machen lassen, ein Luxus, den wir uns nicht alle Tage gönnen. Das Bild steckt ebenfalls in meinem Medaillon, dass ich immer bei mir trage. Viereinhalb Jahre bildet er mich aus, bevor er von aus einem Hinterhalt erschossen wird. Ich bin schuld. Die Kugel sollte mich treffen. Ich war unvorsichtig gewesen, nicht er. Ich sollte jetzt dort liegen, mit dieser Kugel in meinem Schädel.

Ich laufe eine Gasse entlang, als ich meinen ersten Alleingang feiere. Ich will eigentlich nur einen Apfel aus der Einkaufstasche einer jungen Frau stibitzen, da höre ich den Schuss. Als ich mich umdrehe ist es schon zu spät. Er ist tot. Wegen mir. Ein Häscher steht gehässig grinsend am Eingang der Gasse. Die Frau ist schon längst verschwunden. Ich weiß, dass ich fliehen sollte, doch der geballte Hass nimmt mich ein und ich mache mich ein wenig größer, als ich eigentlich bin. Der Häscher ist zu meiner großen Überraschung allein unterwegs. Seine Pistole zielt auf meinen Kopf und er drückt ab. Einen halben Meter von mir entfernt schmelze ich die Kugel in der Luft und lasse sie auf den Boden tropfen. Ich kann sehen, wie er innerlich seine Chancen abwiegt. Nicht sehr gut. Ein sehr wütender Mutant, dessen Freund er eben getötet hat steht nur einen Steinwurf entfernt und seine Kugeln sind nutzlos.

„Dich mach ich fertig“, flüstere ich und deute mit dem Finger auf ihn. Er will die Flucht ergreifen, doch es ist zu spät. Ein grell leuchtender blauer Blitz knallt mit einem ohrenbetäubenden Geräusch aus meinem Finger und bohrt sich direkt durch seine Brust. Er stirbt nicht schnell, das gönne ich ihm nicht. Ich genieße seine Todesqualen, die für mich als Rache für sowohl Jace als auch Harry stehen. Doch dann endet sein Schmerz und er sinkt als leere Hülle zu Boden. Ein weiterer Toter geht auf meine Kosten. Langsam gewöhne ich mich daran.

Ich höre die Sirene und weiß, dass ich fliehen muss, doch ich bringe es nicht übers Herz Jace hier einfach so liegen zu lassen. Sie würden ihn bestimmt nicht ordnungsgemäß begraben. Und das kann ich nicht zulassen. Also nehme ich seine Arme und lege sie über meinen Rücken. Der Waldrand ist nicht weit entfernt. Dort kann ich ihn richtig bestatten. Am Waldrand angekommen muss ich erst einmal ein Loch graben und das im kältesten Winter seit Menschen gedenken. Ich wage es nicht Feuer zu machen und so lasse ich einfach ein wenig Wärme durch meine Füße in den Boden sickern. Das Grab schaufele ich mit bloßen Händen. Unzählige Tränen versickern im Boden bis das Loch tief genug ist. Als ich mein Werk beendet habe und er vollkommen unter Erde bedeckt ist, stelle ich mich vor das Grab. Ich habe das Gefühl etwas sagen zu müssen, doch mein Mund ist wie ausgetrocknet. Verdammt, das bist du ihm schuldig! Also beginne ich einfach drauflos zu reden: „Jace war ein guter Mensch. Ja, er war Mensch und Mutant, aber das macht ihn nicht zu etwas schlechtem. Er war ein großartiger Meister für mich und hat mir so viel beigebracht. Er war schlau und gut und hat alles mit mir geteilt, was er besaß. Er war wirklich sehr sehr gut“Plötzlich schmecke ich etwas Salziges und bemerke, dass ich Rotz und Wasser heule. Ich kehre Jace Grab den Rücken und kehre zur Stadt zurück. Ich werde sein Erbe lebendig halten.

Ich denke, dass ich allein nicht lang durchhalten werde, aber es vergehen drei Monate, bevor ich Schwierigkeiten bekomme. Mit dem, was Jace mir alles beigebracht hat, komme ich gut über die Runden, auch wenn ich jetzt wie eine Magersüchtige aussehe. Der Hunger war nie wirklich schlimm, doch mit der Zeit wurde er immer stärker und allein kann ich nicht so viel Essen zusammenstehlen, dass es für mich zum satt werden reicht. In letzter Zeit werden immer mehr Mutanten gefangen genommen. Die Regierung hat Angst vor uns. Sie sehen uns als Bedrohung. Das kann man überall gut mitbekommen. Gerade mache ich es mir auf einer Parkbank bequem. Auf einmal spüre ich einen Stromschlag in meinem Nacken und muss grinsen. Ich habe mir mittlerweile einen so guten Schild aufgebaut, dass die Elektrizität augenblicklich in meine Energie umgewandelt wird. Trotzdem tue ich so, als wäre ich bewusstlos und lasse mich von den drei Häschern wegschleppen, die mich gedankenlos in einen dunklen Van werfen, in dem ich es mir erstmal gemütlich mache. Nur des Spaßes halber. Solche Amateure. Außerdem kann ich hinter der Stadt viel unbemerkter fliehen.

Als wir so lange gefahren sind, dass wir die Stadt schon längst hinter uns haben müssen, atme ich einmal tief durch und sammele die Energie in meinem Bauch. Mit einem gehässigen Lächeln löse ich eine gezielte Explosion aus, die den Wagen und seine Fahrer in Stücke reißt. Es knallt, als hätte ich wirklich C4 benutzt, dabei war es nur ein Bruchteil meiner Energie. Ich bin wirklich ein glückliches Kind. Unbeschadet schlendere ich zurück in Richtung Stadt, wo ich missmutig in eine dunkle Gasse einbiege und ein paar Steinchen vor mich hin kicke. Da schlägt er die erste Spritze in meinen Arm, die mir die Kontrolle über mich selbst und meine Kräfte nimmt. Keine Frage, der hier ist ein Profi. Ich wehre mich so gut ich kann, doch es nützt nichts. Er schmeißt mich in einen stockdunklen Lieferwagen, legt noch eine Ladung Drogen nach, die mich bewusstlos macht und knallt die Türen hinter mir zu. „Jetzt ist alles doch umsonst gewesen.“ Das ist mein letzter Gedanke, dass all die Bemühungen all der Menschen, die mir so wohl gesonnen waren, letztendlich doch nichts genützt haben.

Ich kann nicht genau sagen, wie lange ich bewusstlos gewesen bin, doch als ich erwache bin ich nicht mehr allein im Frachtraum des Wagens. Etwa ein Dutzend Kinder liegen betäubt auf dem Boden, die alle etwa zehn Jahre alt zu sein scheinen. Vorsichtig teste ich, ob ich meine Kräfte zurückhabe und ja, die Flammen schlagen aus meiner Hand, wenn auch nur sehr schwach. Das ist aber nicht genug, um den Wagen in Stücke zu reißen. Trotzdem beginne ich damit meine Hände auf das Metall zu legen, um unbemerkt ein Loch hinein zu schmelzen. Ich komme nicht sehr weit, denn nach kurzer Zeit hält der Wagen auch schon. Obwohl meine Kräfte noch nicht wieder ganz zurückgekehrt sind, stelle ich mich kampfbereit in die Mitte des Wagens. Mit erhobenen Händen und klopfendem Herzen warte ich.

Dann wird die Tür mit einem Ruck aufgestoßen und ich sende sogleich eine Feuerwelle hindurch. Schreie. Ich habe sie also erwischt. Mit einem Hechtsprung verlasse ich den Wagen und renne los, so schnell ich kann, direkt in die Arme eines Jungen, der mich sofort wieder fluchend loslässt. Mit einem Lächeln sprinte ich in die entgegengesetzte Richtung. Doch auch dort steht jemand. Auch dieser jemand schreit bei meiner Berührung auf. Meine Haut ist heißer als jedes Lagerfeuer und eine Berührung verursacht schon Verbrennungen ersten Grades. Erst dann schaue ich mich um. Der Wagen steht in einem Kreis aus Jugendlichen, deren Blicke allein auf mich gerichtet sind. „Fasst sie nicht an“, höre ich plötzlich jemanden sagen, der direkt hinter mir steht, „Sieht wird euch alle zu Asche verbrennen, wenn ihr ihr zu nahe kommt.“

„Sie sollte ihre Kräfte noch überhaupt nicht wieder unter Kontrolle haben.“