Generationen in Familie und Gesellschaft im demographischen Wandel -  - E-Book

Generationen in Familie und Gesellschaft im demographischen Wandel E-Book

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Beschreibung

Die demographische Veränderung stellt eine große Herausforderung für alle europäischen Länder dar, da sie weitreichende Konsequenzen für die alten Menschen, ihre Familien und die gesellschaftlichen Institutionen hat. In diesem Buch werden erstmals die Ergebnisse acht großer europäischer Vergleichsstudien zum demographischen Wandel vorgestellt. Neben den Voraussetzungen für das Wohlbefinden im Alter bildet die familiäre und institutionelle Pflege den Schwerpunkt der Forschungsarbeiten.

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Die demographische Veränderung stellt eine große Herausforderung für alle europäischen Länder dar, da sie weitreichende Konsequenzen für die alten Menschen, ihre Familien und die gesellschaftlichen Institutionen hat. In diesem Buch werden erstmals die Ergebnisse acht großer europäischer Vergleichsstudien zum demographischen Wandel vorgestellt. Neben den Voraussetzungen für das Wohlbefinden im Alter bildet die familiäre und institutionelle Pflege den Schwerpunkt der Forschungsarbeiten.

Prof. Dr. Susanne Zank leitet den Lehrstuhl für Klinische Psychologie im Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie an der Universität Siegen. Prof. Dr. Astrid Hedtke-Becker unterrichtet an der Fakultät für Sozialwesen der Hochschule Mannheim in den Lehrgebieten Praxis Sozialer Arbeit, Altenarbeit und Gesundheitswesen.

Susanne Zank, Astrid Hedtke-Becker (Hrsg.)

Generationen in Familie und Gesellschaft im demographischen Wandel

Europäische Perspektiven

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrofilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2008

Alle Rechte vorbehalten © 2008 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart printed in Germany

ISBN 978-3-17-019471-7

E-Book-Formate

pdf:

epub:

978-3-17-028068-7

mobi:

978-3-17-028069-4

Inhaltsverzeichnis

Einführung

A Allgemeine Rahmenbedingungen

1 Demographischer Wandel im Wohlfahrtsstaat: Perspektiven für Politik und Forschung

2 Politische Aspekte des Generationenzusammenhalts in Europa

3 Rechts- und Strukturfragen der Versorgung mit Leistungen der Langzeitpflege in Europa

B Europäische Vergleichsstudien

4 Prognose von subjektivem Wohlbefinden im Alter: Ausgewählte Ergebnisse aus der European Study on Adult Well-Being (ESAW-Projekt)

5 Das europäische Projekt ENABLE-AGE: Der Zusammenhang von Wohnen und gesundem Altern

6 Mobilität im Alter – Barrieren und ihre Überwindung: Das europäische Forschungsprojekt SIZE

7 Kultur- und gesellschaftsvergleichende Forschungserträge für die Gerontologie: Das europäische Projekt OASIS

8 Die Bedeutung integrierter Versorgungsnetzwerke in Europa: Ergebnisse aus dem europäischen Forschungsprojekt PROCARE

9 Motive von Angehörigen, ihre älteren Familienmitglieder zu betreuen: Ergebnisse aus dem europäischen Forschungsprojekt EUROFAMCARE

10 Koproduktion in häuslicher Pflege – informelle Hilfe für Empfänger berufsmäßiger Pflege in elf europäischen Ländern: Die AdHOC-Studie

11 Arbeitssituation und Ausstiegsabsicht in der Pflege – die europäische Perspektive der NEXT-Studie

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Stichwortverzeichnis

Einführung

Susanne Zank und Astrid Hedtke-Becker

Die demographische Veränderung stellt eine große Herausforderung für alle europäischen Länder dar, die weitreichende Konsequenzen für das alternde Individuum, die familiären Strukturen und die gesellschaftliche Organisation haben wird. Die Europäische Union versucht dieser Herausforderung gerecht zu werden, indem sie eine Reihe von europäischen Forschungsprojekten finanziert hat, die sich mit den Ausgangsbedingungen wichtiger Bereiche des demographischen Wandels beschäftigen. In diesem Buch werden die politischen Rahmenbedingungen des Generationenzusammenhaltes skizziert und erstmalig die Ergebnisse von acht großen europäischen Vergleichsstudien gemeinsam publiziert.

Der erste Teil des Buches zu den allgemeinen politischen Rahmenbedingungen umfasst drei Kapitel. Im ersten Kapitel reflektiert Marc Szydlik die Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Wohlfahrtsstaat. Er fragt insbesondere nach den Auswirkungen der Veränderungen auf die Generationensolidarität und untersucht, in welcher Form eine familiengerechte Politik die bisher hohen wechselseitigen Hilfeleistungen und finanziellen Transfers für die Zukunft sichern kann. Hierbei zeigt sich, dass der Forschungsstand zu den Generationenbeziehungen unter Erwachsenen ungenügend und demzufolge eine wissenschaftlich fundierte Politikberatung bisher nur eingeschränkt möglich ist.

Bernd Schulte konzentriert sich im zweiten Kapitel auf verschiedene rechtliche Aspekte des Alters und berichtet insbesondere über die deutsche Gesetzgebung. Im Gegensatz zum Kinder- und Jugend(hilfe)recht gibt es kein eigenständiges Recht des Alters, so dass die besondere Lebenslage alter Menschen nur unzureichend rechtlich erfasst ist. Der Autor diskutiert Probleme des Rechts der sozialen Sicherheit, des Rechts der Altenhilfe und des Diskriminierungsverbots.

Im dritten Kapitel vertieft Gerhard Igl die Darstellung der rechtlichen Sicherung im Pflegefall. Er zeigt, dass es bisher kein europäisches Modell für eine Politik im Pflegebedarfsfall gibt. Sein Einzelvergleich der verschiedenen Regelungen belegt, dass kein anderes europäisches Land ein so umfassendes Leistungsspektrum zum Schutz bei Langzeitpflege hat wie das deutsche System. Anschließend diskutiert er verschiedene Kriterien, die für eine internationale Regelung der Sicherung von Langzeitpflege bedeutsam sind.

Im zweiten Teil des Buches werden acht europäische Studien vorgestellt, die wichtige Themen des Alterns und des Alters bearbeiten. Im vierten Kapitel berichten Germain Weber, Dieter Ferring und Judith Glück Ergebnisse der „European Study on Adult Well-Being“ (ESAW) zum subjektiven Wohlbefinden. An dieser Studie nahmen mehr als 12 000 Personen aus sechs europäischen Ländern teil. Es zeigt sich, dass in den einzelnen Ländern unterschiedliche Prädiktoren subjektives Wohlbefinden vorhersagen, die sowohl auf kulturelle als auch auf Unterschiede in den Sozial- und Gesundheitssystemen zurückzuführen sind.

Frank Oswald, Hans-Werner Wahl und Oliver Schilling zeigen die Bedeutung von objektiven und subjektiven Wohnaspekten für ein gesundes Altern im fünften Kapitel auf. Hierzu werden Daten aus dem Projekt „Enabling Autonomy, Participation, and Well-Being in Old Age: The Home Environment as a Determinant for Healthy Aging“ (ENABLE-AGE) herangezogen. In dieser Studie wurden 1 918 allein lebende, privat wohnende Männer und Frauen zwischen 75 und 89 Jahren aus fünf Ländern untersucht. Die Befunde belegen die große Bedeutung des Wohnens für die Lebensqualität und die Autoren beschreiben, wie ihre Ergebnisse für eine Optimierung von Beratungsangeboten für alte Menschen genutzt werden können.

Im sechsten Kapitel fokussiert Heinz Jürgen Kaiser die Chancen und Gefährdungen der Mobilität im Alter. Er berichtet über Ergebnisse von qualitativen und quantitativen Studien im Rahmen des Projekts „Life Quality of Senior Citizens in Relation to Mobility Conditiones“ (SIZE), in dem Wissenschaftler aus acht Ländern Senioren und Experten zur Mobilität befragt haben. Es stellte sich heraus, dass umfangreiches Wissen über eine altersfreundliche Gestaltung der Umwelt zur Aufrechterhaltung und Förderung von Mobilität vorhanden ist. Problematisch und defizitär ist die Umsetzung dieser Erkenntnisse in städteplanerisches Handeln.

Im siebten Kapitel stellen Clemens Tesch-Römer, Andreas Motel-Klingebiel und Hans-Joachim von Kondratowitz Ergebnisse des Projekts „Old Age and Autonomy: The Role of Service Systems and Intergenerational Family Solidarity“ (OASIS) vor. Fünf Länder partizipierten an diesem Projekt, die unterschiedliche Typen von Wohlfahrtsstaaten (marktliberal, konservativ-korporatistisch, sozialdemokratisch) repräsentieren. Die verschiedenen Organisationen der Wohlfahrtsstaaten haben zum einen Auswirkungen auf die soziale Ungleichheit und Lebensqualität in den betreffenden Ländern. Zum anderen lassen sich Unterschiede in Bezug auf normative Werthaltungen, intergenerationale Familiensolidarität und die Inanspruchnahme formeller Dienste nachweisen. Die Ergebnisse beruhen auf jeweils repräsentativen Stichproben der beteiligten Länder mit insgesamt 6 106 Studienteilnehmern.

Unterschiedliche Systeme zur Langzeitpflege in neun Ländern wurden im Projekt „Providing Integrated Health and Social Care Services for Older Persons“ (PROCARE) ermittelt. Kai Leichsenring beschreibt im achtenKapitel, dass unter den 50 ausgemachten verschiedenen Modellen 18 genauer analysiert und diskutiert wurden. Der Autor geht davon aus, dass die integrierte Versorgung eine Erfolg versprechende Option für verschiedene europäische Länder ist, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen implementiert werden.

Das Thema Pflege wird auch im neunten Kapitel thematisiert. Christopher Kofahl berichtet über das Projekt „Services for Supporting Family Carers of Elderly People in Europe: Characteristics, Coverage and Usage“ (EURO-FAMCARE), an dem sechs Länder beteiligt waren. Auf einer paneuropäischen Ebene wurde mittels Literaturrecherchen und Expertenbefragungen die Situation pflegender Angehörige in 23 EU Staaten analysiert. Auf einer transeuropäischen Forschungsebene wurde eine vergleichende Studie der sechs beteiligten Länder mit 5 923 betreuenden Angehörigen durchgeführt. Auf einer deskriptiven Ebene gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Ländern in den Motiven der Angehörigen für die Übernahme von Pflegeaufgaben.

Die Versorgungsleistungen ambulanter Pflegedienste wurden im Projekt „The Aged in Home Care in European Countries“ (AdHOC) untersucht, das Vjenka Garms-Homolová im zehnten Kapitel vorstellt. Als wichtigste und überraschendste Erkenntnis präsentiert die Autorin den Befund, dass in den elf beteiligten Ländern die Nutzerinnen und Nutzer ambulanter Pflegedienste zusätzlich intensiv von informellen Helferinnen und Helfern unterstützt werden. Ambulante Pflege ist überwiegend informelle Pflege, die zusätzlich von professionellen Pflegekräften unterstützt wird.

Die Arbeitssituation von professionell Pflegenden ist dann auch das Thema des letzten Kapitels. Andreas Büscher, Peter Tackenberg und Michael Simon stellen das Projekt „Nurses Early Exit“ (NEXT) vor, in dem 56 406 Pflegekräfte aus elf Ländern zu ihrer Arbeitssituation, ihrem Gesundheitszustand und ihren Ausstiegsintentionen befragt wurden. Es zeigt sich, dass die Arbeitsbedingungen in Deutschland vergleichsweise ungünstig sind. Neben objektiven Faktoren scheint insbesondere die subjektive Selbstwahrnehmung der Pflegekräfte negativer zu sein.

Die Ausarbeitungen des vorliegenden Buches basieren auf Präsentationen bei einer gemeinsamen Jahrestagung der Sektion Sozial- und Verhaltenswissenschaftliche Gerontologie und der Sektion Soziale Gerontologie und Altenarbeit der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie in Mannheim 2005. Die Herausgeberinnen fanden die Präsentationen außerordentlich bedeutsam für die gerontologische Wissenschaft und Praxis, so dass sie ausgewählte Tagungsteilnehmer um eine schriftliche Ausarbeitung baten. Wir danken den Autorinnen und Autoren für die sehr gute Zusammenarbeit. Sehr herzlich bedanken möchten wir uns auch bei Frau Dipl.-Psych. Sonja Heidenblut für die wertvolle Unterstützung bei der redaktionellen Bearbeitung der Manuskripte sowie bei der Erstellung der Druckvorlagen.

Im Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit wird im Folgenden zumeist die männliche Form verwendet. Es werden jedoch grundsätzlich Personen beiderlei Geschlechts angesprochen.

AAllgemeine Rahmenbedingungen

1 Demographischer Wandel im Wohlfahrtsstaat: Perspektiven für Politik und Forschung

Marc Szydlik

1.1

Generationensolidarität und Wohlfahrtsstaat

13

1.2

Perspektiven

15

1.3

Politik

17

1.4

Forschung

18

Literatur

12

1.1 Generationensolidarität und Wohlfahrtsstaat

Der demographische Wandel setzt den Wohlfahrtsstaat in vielen Ländern zunehmend unter Druck. Die längere Lebenserwartung der Älteren und die geringere Fertilität verschieben insbesondere das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern. Gleichzeitig stellen bereits jetzt Rentenausgaben und Transfers über staatliche Gesundheitssysteme an Ältere den höchsten Ausgabenanteil an staatlichen Sozialleistungen dar. Aus dieser Konstellation ergeben sich erhebliche Probleme für die meisten Sozialstaaten (Kaufmann, 2003) – mit entsprechenden Folgen für die Familienbeziehungen: „The state may have a direct influence on the quality of intergenerational relations within the family by the sorts of welfare policies it adopts“ (Pfau-Effinger, 2005, S. 28; vgl. auch Walker, 1996).

Damit stellt sich auch die Frage nach dem Ausmaß der Familiensolidarität in Abhängigkeit von wohlfahrtsstaatlichen Regulierungen und Leistungen. In der Literatur werden hierbei zunehmend die Thesen des „Crowding In“ bzw. des „Crowding Out“ diskutiert (Kohli, 1999; Künemund & Rein, 1999): Inwiefern ist die familiale Generationensolidarität durch staatliche Einflüsse gefährdet? Diese Frage wird vor allem von der Crowding Out-Hypothese behandelt, die eine Verdrängung der Familie durch den Staat gegeben sieht. Familienmitglieder würden sich aufgrund der staatlichen Leistungen zurückziehen und damit nicht mehr für ihre Verwandten zur Verfügung stehen – denn es gebe ja andere Stellen, die nun hierfür zuständig sind. Wenn dem so wäre, müsste ein Rückzug des Sozialstaates in Anbetracht knapper Kassen nicht notwendigerweise zu einer Qualitätseinbuße für bedürftige Personen führen – denn in diesem Fall könnte die Familie wieder einspringen. Umgekehrt wird jedoch argumentiert, dass wohlfahrtsstaatliche Leistungen die Familiensolidarität sogar verstärken bzw. stimulieren (Crowding In). Die Familie würde nämlich von manchen Versorgungsaufgaben entlastet, was wiederum neue Kräfte für anderweitige Unterstützungen freisetze. Damit könne sich die Familie auf Leistungen konzentrieren, für die sie besonders gut geeignet ist – und dies würde wiederum den Familienzusammenhalt stärken.

Welche dieser beiden Hypothesen zutrifft – Crowding In oder Crowding Out – ist letztendlich eine empirische Frage. Studien hierzu sind jedoch selten, was nicht zuletzt am Fehlen geeigneter Daten liegt. Die wenigen bisherigen Untersuchungen liefern dabei eher Hinweise auf ein Crowding In (Daatland & Herlofson, 2003; Kohli, Künemund, Motel & Szydlik, 2000; Künemund & Rein, 1999). Dies würde nahelegen, dass sich die Familie gerade durch staatliche Unterstützungen auf bestimmte Bereiche spezialisieren kann. Jedenfalls belegen empirische Studien, dass finanzielle Engpässe mit Generationenkonflikten in der Familie einhergehen können. Wenn man sich umgekehrt finanziell abgesichert weiß, ergibt sich ein größerer Generationenzusammenhalt. Gleichzeitig steigt die emotionale Verbundenheit mit den Eltern bzw. erwachsenen Kindern deutlich an, je zufriedener man mit seinem Lebensstandard ist (Szydlik, 2000, 2001).

Die Crowding In- bzw. Crowding Out-Thesen postulieren deutliche Verbindungen zwischen wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen und den Generationenbeziehungen in der Familie. Welche Folgen hat dann aber ein Rückzug des Wohlfahrtsstaates? Existieren Hinweise auf einen Ausgleich vonseiten der Familie? Immerhin führt der demographische Wandel zu einem Rückgang der öffentlich finanzierten Alterssicherung. Der sogenannte öffentliche Generationenvertrag stößt aufgrund der zunehmenden Zahl an Leistungsempfängern und der sinkenden Zahl der Beitragsleistenden immer mehr an seine Grenzen. Demgegenüber lassen sich jedoch steigende private Vermögenszuwächse ausmachen, und zwar in Form von Schenkungen und Erbschaften. Dies spricht für eine Renten-Erbschafts-Paradoxie: Einerseits werden geringere, andererseits höhere Ressourcen für die Alterssicherung unterstellt. Die naheliegende Frage ist, ob der Rückzug des Wohlfahrtsstaates beim öffentlichen Generationenvertrag durch familiale, private Generationenverträge aufgefangen wird.

Auch zur Beantwortung dieser Frage benötigt man empirische Studien. Das Resultat lautet: Schenkungen und Erbschaften stammen in der Regel von den Eltern bzw. Großeltern. Es handelt sich hierbei somit tatsächlich um ein Generationenthema. Genauso wird aber deutlich: Wer hat, dem wird gegeben. Die immense Erbschaftswelle kommt kaum bei den Personen an, die unter dem Rückzug des Wohlfahrtsstaates besonders leiden (Szydlik & Schupp, 2004). Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Einkommens- und vermögensstarke Sozialschichten können einen (demographiebedingten) Rückgang der Renteneinkommen wesentlich besser verkraften. Sie verfügen ohnehin über relativ umfangreiche eigene finanzielle Ressourcen, sie erreichen besonders hohe Renteneinkommen, und sie erhalten darüber hinaus besonders häufig Vermögenszuwächse durch familiale Generationentransfers. Damit wirken sich moderate Rentenkürzungen bei vermögenden Sozialschichten kaum auf die Generationenbeziehungen zu den erwachsenen Kindern aus. Eine andere Schlussfolgerung ergibt sich jedoch für arme Sozialschichten. Diese können kaum Schenkungen und Erbschaften von ihren Eltern erwarten, und Einschränkungen bei der Alterssicherung können auch leicht zu geringeren Transfers an die erwachsenen Kinder führen – mit entsprechend unwillkommenen Auswirkungen auf den Familienzusammenhalt.

1.2 Perspektiven

Prognosen sind immer riskant. Gleichzeitig sind sie unabdingbar für die Einschätzung zukünftiger Entwicklungen. Ich möchte hier drei wesentliche Aspekte der Generationenbeziehungen unter Erwachsenen nennen, nämlich Wohnentfernung, Pflege und Vermögenstransfers (s. auch BMFSFJ, 2006).

Es gibt kaum einen Aspekt, der für das Verhältnis zwischen erwachsenen Familiengenerationen so entscheidend ist wie die Wohnentfernung. Je weiter Eltern und erwachsene Kinder voneinander entfernt leben, desto flüchtiger ist der Kontakt. Dies gilt natürlich für persönliche Hilfeleistungen wie Unterstützungen im Haushalt oder bei Krankheit, aber auch für die emotionale Bindung. Daher ist es eine gute Nachricht, dass erwachsene Familiengenerationen generell nicht weit voneinander entfernt leben. Bei neun von zehn Eltern mit erwachsenen Kindern außerhalb des Haushalts beträgt die Entfernung zum nächstwohnenden Kind maximal zwei Stunden, bei acht von zehn nur eine Stunde (Szydlik, 2000, 2001).

Die geographische Distanz wird sich in Zukunft nicht unmittelbar wesentlich verändern, zumal sich die räumliche Mobilität generell in Grenzen hält. Dennoch lässt sich die Hypothese aufstellen, dass Eltern und erwachsene Kinder zukünftig durchschnittlich etwas weiter entfernt voneinander leben werden als bislang. Hierfür sprechen Flexibilitätsansprüche des Arbeitsmarktes und fortschreitende Bildungsgewinne. Der Arbeitsmarkt fordert immer mehr Mobilität, und höhere Bildungsschichten weisen generell eine deutlich größere Wohnentfernung zwischen Eltern- und Kinderhaushalten auf. Befunde auf Basis des Alters-Survey legen jedenfalls nahe, dass die Wohnentfernung von erwachsenen Familiengenerationen in letzter Zeit bereits größer geworden ist (Hoff, 2006, S. 251 ff.). Wenn sich dies bestätigen sollte, kann aufgrund der immensen Bedeutung der Wohnentfernung eine tendenzielle Verringerung der Generationensolidarität nicht ausgeschlossen werden.

Bei Generationenbeziehungen unter Erwachsenen ist nichts so aufwendig wie die Pflege. Hier treten starke Belastungen auf, die oft in Überlastungen münden. Auch wenn in naher Zukunft den Eltern geburtenstarker Jahrgänge relativ viele potentiell Pflegende gegenüberstehen (Schupp & Künemund 2004), wird der demographische Wandel langfristig zu einer weiteren Verschärfung der Pflegesituation führen.

Immerhin beinhaltet der demographische Wandel eine zahlenmäßig deutliche Zunahme der Älteren und somit auch der Pflegebedürftigen. Derzeit leben in Deutschland etwa zwei Millionen Pflegedürftige bzw. Leistungsempfänger der Pflegeversicherung. Für das Jahr 2020 wird eine Erhöhung auf drei Millionen und für 2050 sogar ein Zuwachs auf beinahe fünf Millionen geschätzt (Blinkert & Klie, 2001; Schulz, Leidl & König, 2001). Dem zunehmenden Betreuungsbedarf stehen jedoch abnehmende Betreuungsmöglichkeiten gegenüber. Hier spielen die Flexibilisierung der Arbeit, die größer werdende Wohnentfernung und die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen eine wesentliche Rolle. Weniger Kinder bedeutet auch weniger Geschwister, die sich die spätere Pflegearbeit teilen können. All dies erschwert die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege der mittleren Familiengeneration. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der Sozialstaat aufgrund seiner Finanzprobleme für Pflegeaufgaben immer mehr die Familie bzw. die Frauen in der Familie verantwortlich macht.

Bei den Generationentransfers sind neben den alltäglichen Sach- und Finanzleistungen vor allem die Vermögensübertragungen von besonderem Belang. Immerhin gehen Schenkungen und Erbschaften insbesondere auf die Eltern zurück und bieten damit potentiell Ressourcen in späteren Lebensphasen. Die Auflösung der Renten-Erbschafts-Paradoxie hat jedoch gezeigt, dass Schenkungen und Erbschaften vor allem denjenigen Älteren zugute kommen, die ohnehin bereits über eine bessere Alterssicherung verfügen. Wie sieht dies in der Zukunft aus?

Glücklicherweise müssen wir uns bei dieser Frage nicht auf mehr oder weniger gute Argumente verlassen, sondern können uns auf empirische Befunde stützen, nämlich auf eine 22 000 Personen umfassende Befragung des Sozio-ökonomischen Panels (Schupp & Szydlik, 2004). Die Analysen zu zukünftig erwarteten Schenkungen und Erbschaften belegen keine Umkehrung der bisherigen Ungleichheit. Im Gegenteil: Gerade die Bevölkerungsgruppen können mit Zuversicht in ihre finanzielle Zukunft blicken, die bereits nennenswerte Generationentransfers erhalten haben. Dabei wirken sich auch die Bedingungen in der Deutschen Demokratischen Republik Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer weiterhin deutlich negativ auf zukünftige Schenkungen und Erbschaften aus, und vor allem höhere Bildungsschichten, die zeitlebens besonders stark von den vielfältigen Unterstützungsleistungen ihrer Eltern profitierten, werden auch zukünftig im Alter besonders häufig Vermögensübertragungen erhalten.

1.3 Politik

Von welchen Generationenbildern können politische Entscheidungsträger ausgehen? Auch wenn in manchen Medienberichten immer noch das Bild von Entfremdung oder Konflikt gezeichnet wird, belegen empirische Befunde doch eine ganz andere Situation: Familiengenerationen sind zeitlebens eng miteinander verbunden. Selbst nach dem Auszug aus dem Elternhaus, über das ganze Leben hinweg, zeigen sich eine außerordentlich hohe Kontaktdichte, enge emotionale Bindungen sowie vielfältige persönliche Hilfeleistungen und finanzielle Generationentransfers. Ausgeprägte Generationenkonflikte und Beziehungsabbrüche sind hingegen nur selten zu verzeichnen (Szydlik, 2000, 2001; BMFSFJ, 2006).

Mit dieser Ausgangssituation könnte die Politik auf den Gedanken verfallen, sich beruhigt zurücklehnen zu können. Die Rückführung öffentlicher Leistungen aufgrund der Herausforderungen des demographischen Wandels wäre demnach unproblematisch. Die Devise würde einfach lauten: Die Generationensolidarität ist groß, die Familie wird es schon richten.

Dies wäre allerdings eine fatale Schlussfolgerung. Familiengenerationen stehen zwar im Notfall füreinander ein, aber man darf sie dabei nicht allein lassen. Im Gegenteil, die Familie muss auf Unterstützung durch die Solidargemeinschaft zählen können. Sonst drohen Überlastungen, die wiederumdie familieninternen Hilfen gefährden – und damit auch zu hohen gesamtgesellschaftlichen Folgekosten führen. Familiengerechte Politik hat vielmehr die Aufgabe, Überforderungen der Familienmitglieder zu vermeiden, die Generationensolidarität tatkräftig zu unterstützen und nicht zuletzt ihre unwillkommenen „Nebenwirkungen“ abzumildern. Hierzu fünf Argumente:

Trotz aller Solidarität ist eine Idealisierung der Generationenbeziehungen zu vermeiden. Man sollte vor allem nicht die Generationenprobleme in Abrede stellen. Ausgeprägte Konflikte sind zwar auf eine Minderheit beschränkt. Wenn sie jedoch auftreten, gehen sie mit großen Belastungen einher, sodass sogar der Beziehungsabbruch droht.

Überlastungen zeigen sich insbesondere bei der Pflege von Angehörigen. Pflegende reiben sich oftmals so sehr auf, dass sie selbst hilfebedürftig werden. Gerade hier wirkt sich der demographische Wandel besonders stark negativ aus (Blinkert & Klie, 2001; Schulz et al., 2001). Die Anzahl der Pflegebedürftigen wird deutlich steigen, und damit auch die Ansprüche an die erwachsenen Familiengenerationen.

Überlastungen durch Generationensolidarität drohen nicht nur erwachsenen Kindern. Die älteren Eltern sind ebenfalls vor übertriebenen Anforderungen zu schützen. Dazu gehört auch, Ältere nicht in ihrer Autonomie und Lebenskonzeption zu beschränken, indem man ihnen die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung ihrer erwachsenen Kinder gegen die eigenen Wünsche aufbürdet.

Familiengerechte Politik zeigt sich nicht zuletzt über die Rentenpolitik. Denn finanzielle Leistungen in der Familie hängen in erster Linie von den Ressourcen der Geber ab (Szydlik, 2000). Damit bedarf es eines informierten Blicks auf die öffentlichen Transfers im Zuge des sogenannten Generationenvertrages. Die öffentlichen Leistungen liefern die Basis für die privaten. Geringere Ressourcen im Alter können damit die Einbindung der Älteren in die Familie schwächen und private Hilfeleistungen verringern. Allerdings ist hier deutlich zwischen niedrigen, mittleren und hohen Renten zu unterscheiden. Besonders gefährdet sind Ältere mit kleinen Renten. Gleiche prozentuale Rentenkürzungen für alle Rentnerinnen und Rentner würden besonders die familiale Generationensolidarität der Älteren mit geringen Renteneinkommen bedrohen. Dies verschlechtert die Lebenssituation der Betroffenen, und die eingesparten Mittel gehen mit öffentlichen Folgekosten einher.

Die Forderung einer differenzierten Rentenpolitik je nach Sozialschicht ist nur ein Beispiel für eine familiengerechte Politik. Empirische Befunde belegen eine ausgeprägte finanzielle Generationensolidarität – besonders in den mittleren und höheren Sozialschichten. Generell fühlen sich Eltern aller Bevölkerungsgruppen eng mit ihren Kindern verbunden und möchten ihnen lebenslang zur Seite stehen. Aber auch dies zeigen die empirischen Untersuchungen: Wer mehr hat, gibt mehr. Die hochwillkommene private Generationensolidarität zeigt hier ihre weniger willkommenen „Nebenwirkungen“; sie ist nämlich ein entscheidender Faktor für die Festigung und Verschärfung sozialer Ungleichheit. Insofern steht hier die Politik vor einer doppelten Aufgabe, nämlich der Förderung familialer Generationensolidarität bei gleichzeitiger Vermeidung einer Stabilisierung bzw. Vergrößerung sozialer Disparitäten.

1.4 Forschung

Der Forschungsstand zu Generationenbeziehungen unter Erwachsenen ähnelt Inseln, um die herumweites unerforschtes Gebiet liegt: Terra incognita. Immerhin steht die Erforschung des Zusammenhalts erwachsener Familiengenerationen erst an ihrem Anfang, wohl auch, weil man lange von einem Auseinanderleben der Generationen ausging, sobald die Kinder das Elternhaus verlassen haben.

Im Folgenden möchte ich einige Themenbereiche nennen, in denen die wissenschaftliche Forschung noch viel zu leisten hat. Diese bieten wichtige Grundlagen für Politik, Wirtschaft und Wohlfahrtsverbände, aber auch für die Familien selbst.

Private Hilfe und Pflege

. Im Abschnitt „Perspektiven“ wurde bereits auf die massive Zunahme des Pflegebedarfs bei gleichzeitigen neuen anderweitigen Belastungen der potentiell pflegenden Familienangehörigen hingewiesen. Es ist eine offene Frage, welche Folgen diese immensen Herausforderungen genau haben

für die Pflegebedürftigen,

für die potentiell Pflegenden,

für das Verhältnis zwischen ihnen, also nicht zuletzt für die familialen Generationenbeziehungen unter Erwachsenen.

Um solche zukünftigen Belastungen – und auch mögliche Überlastungen – erkennen zu können, macht es Sinn, die gegenwärtigen familialen Pflegebeziehungen genau zu erforschen. Dazu gehören insbesondere Studien zu besonderen Belastungssituationen in Familien, sei es durch die Schwere der Erkrankung der Pflegebedürftigen, sei es durch die besonderen, auch anderweitigen Belastungen der Pflegenden (z. B. Be- und Überlastungen aufgrund der unzureichenden Vereinbarkeit von Beruf und Pflege), sei es durch die einschneidenden Veränderungen der Familienbeziehungen aufgrund der Pflegesituation. Natürlich sind auch möglichst gute Prognosen vonnöten,

zum Pflegebedarf,

zu den zukünftigen Potentialen der familialen Pflege (dies schließt z. B. auch die Arbeitsmarktforschung ein) sowie

zur zukünftigen Familien- und Generationensolidarität, z. B. zur Wohnentfernung und Koresidenz, aber auch zu Entwicklungen der Qualität der Generationenbeziehungen bis hin zu Fragen nach dem spezifischen Aufeinandertreffen unterschiedlicher kultureller Generationen im Familienzusammenhang.

.

Öffentliche Hilfe und Pflege

. Mit dem demographischen Wandel gerät auch die öffentliche Hilfe und Pflege zunehmend unter Druck. Dies gilt z. B. für die stationäre Altenpflege. Hier benötigen wir ebenfalls gute Prognosen, aber auch eine offene Diskussion über die Frage, wie die Quantität und Qualität der öffentlichen Altenpflege gewährleistet werden kann – vor dem Hintergrund der stark zunehmenden Schwer- und Schwerstpflegefälle sowie der zurückgehenden privaten Potentiale. Dazu gehören sicher monetäre Aspekte wie die Finanzierbarkeit der öffentlichen Altenpflege, aber auch Fragen der beruflichen Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften.

Verbindungen zwischen privater und öffentlicher Hilfe und Pflege

. Es scheint mir besonders wichtig, gerade solche Verknüpfungen mit wissenschaftlichen Untersuchungen perspektivisch in den Blick zu nehmen. Dazu gehören Studien zur Verzahnung von öffentlicher und privater Pflege, zur Entlastung der Familie bei Hilfe- und Pflegeaufgaben, und auch eine wissenschaftliche Begleitforschung zur Frage, ob tatsächlich die sogenannte „Scheinunabhängigkeit“ der häuslichen Pflege für alle Beteiligten die beste Alternative darstellt. Selbstverständlich sind auch hier internationale Vergleiche, z. B. zu Generationen in Europa, ausgesprochen instruktiv. Die Untersuchung von Verbindungen zwischen privater und öffentlicher Hilfe und der Pflege in anderen Ländern kann wichtiges Anschauungsmaterial liefern für die eigene aktuelle und zukünftige Situation, auch im Sinne von alternativen Szenarien bzw. Best-Practice-Beispielen.

Private Generationentransfers

. Wichtig ist, die Älteren in der Familie nicht nur als Leistungsempfänger zu sehen, sondern im Gegenteil ihre bedeutenden Beiträge zur Generationensolidarität in den Blick zu nehmen. Neben der Enkelbetreuung gehören dazu insbesondere private Generationentransfers. Diese fließen im Sinne eines Kaskadenmodells generell von oben nach unten, von der älteren an die jüngere Generation. Da persönliche Hilfen umgekehrt eher von den erwachsenen Kindern für die Eltern geleistet werden, können hierbei auch Reziprozitätsgesichtspunkte eine wichtige Rolle spielen. Allerdings ist der Forschungsstand gerade bei den intergenerationalen Austauschprozessen in der Familie noch unzureichend. Dies betrifft nicht nur alltägliche kleinere Transfers, sondern insbesondere auch Vermögensübertragungen.

Öffentliche Generationentransfers

. Der öffentliche Generationenvertrag stößt an seine Grenzen. Dies liegt nicht zuletzt an Finanzierungsproblemen aufgrund des demographischen Wandels. Gleichzeitig weisen empirische Befragungen auf einen ausgeprägten Pessimismus der Bevölkerung gegenüber der eigenen Alterssicherung hin. So bewerten lediglich drei Prozent der 16- bis 65-Jährigen ihre finanzielle Absicherung im Alter als sehr gut, ein Fünftel als gut, ein Drittel als befriedigend, und über zwei Fünftel als weniger gut oder schlecht (Szydlik & Schupp, 2004). Wir sind somit nicht nur auf Forschung zu privaten Generationenverträgen angewiesen, sondern auch zum öffentlichen Generationenvertrag. Immerhin stellen wohlfahrtsstaatliche Regulierungen wesentliche Rahmenbedingungen für Familien dar. Dabei konzentrieren sich fundierte Prognosen längst nicht nur aus rein demographischem Blickwinkel auf das relative Verhältnis von Altersgruppen bzw. Geburtsjahrgängen. Vielmehr wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es vor allem erwerbstätige Beitragszahler sind, die für das Renteneinkommen im umlagefinanzierten System einstehen. Ein notwendiger Bestandteil der Forschung zur zukünftigen Tragfähigkeit des öffentlichen Generationenvertrages sind somit Arbeitsmarktanalysen.

Verbindungen zwischen privaten und öffentlichen Generationentransfers

. Private Generationentransfers fließen im Zuge des umlagefinanzierten Generationenvertrages generell in die umgekehrte Richtung wie die öffentlichen Leistungen. Dies legt die Hypothese nahe, dass Verbindungen zwischen den öffentlichen und privaten Transfers existieren – und bringt uns wieder zur Frage des Crowding In oder Crowding Out. Welcher genaue Zusammenhang besteht zwischen öffentlicher und privater Generationensolidarität? Welche Folgen für den Familienzusammenhalt können auftreten, wenn sich der Wohlfahrtsstaat zurückzieht und mit Leistungskürzungen aufwartet? Inwiefern lassen sich über geschwächte familiale Generationenbeziehungen sogar Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftliche Solidarität prognostizieren?Die Generationenforschung kann damit wichtige Hinweise liefern zu intendierten und nicht intendierten Folgen von Sozial-, Steuer-, Familien- und Rentenpolitik. Gerade vor dem Hintergrund des weitreichenden demographischen Wandels ist es eine wichtige Forschungsfrage, ob sich die Familie durch staatliche Unterstützungen auf bestimmte Bereiche spezialisieren kann. Dabei sind u. a. weitere Studien darüber vonnöten, inwiefern sich die Älteren in der Familie durch die Leistungen des öffentlichen Generationenvertrages in der Lage sehen, ihren erwachsenen Kindern monetäre Transfers zukommen zu lassen – und inwiefern dies wiederum Hilfeleistungen in umgekehrter Richtung nach sich zieht.

Verbindungen zwischen Generationen in Familie und Gesellschaft im Ländervergleich

. Für die Erforschung der Verbindungen zwischen privater und öffentlicher Generationensolidarität benötigen wir unbedingt Studien auf nationaler Ebene. Wir wissen noch viel zu wenig über Generationen im nationalen Kontext. Gerade Ländervergleiche sind hier besonders hilfreich – und gleichzeitig selten. Dabei kann man durch internationale Vergleiche besonders viel über die eigene Situation lernen. Dies gilt für die verschiedenen Einzelaspekte der Generationensolidarität, also auch für private und öffentliche Hilfe und Pflege bzw. Generationentransfers. Und dies gilt umso mehr für Verbindungen zwischen persönlichen Hilfen und finanziellen Transfers auf der einen Seite und zwischen privater Generationensolidarität und öffentlichen Angeboten, Regulierungen und Mechanismen auf der anderen Seite. Vor dem Hintergrund wachsender Herausforderungen an die Generationensolidarität in Familie und Gesellschaft ist es notwendiger denn je, die eigene Situation in den internationalen Kontext zu stellen. Dabei können Ländervergleiche auch Phantasie freisetzen für neue Ideen und Hinweise geben auf die Angemessenheit und Wirksamkeit bestimmter politischer Maßnahmen.

Literatur

Blinkert, B. & Klie, T. (2001). Zukünftige Entwicklung des Verhältnisses von professioneller und häuslicher Pflege bei differierenden Arrangements und privaten Ressourcen bis zum Jahr 2050. Expertise im Auftrag der Enquetekommission Demographischer Wandel des Deutschen Bundestages.

BMFSFJ (2006). Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit – Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik (7. Familienbericht). Berlin: BMFSFJ.

Daatland, S. & Herlofson, K. (2003). Families and Welfare States: Substitution or Complementarity. In A. Lowenstein & J. Ogg (Hrsg.), OASIS: Old Age and Autonomy – The Role of Service Systems and Intergenerational Family Solidarity. The Final Report (S. 281–305). Haifa: University of Haifa.

Hoff, A. (2006). Intergenerationale Familienbeziehungen im Wandel. In C. Tesch-Römer, H. Engstler & S. Wurm (Hrsg.), Altwerden in Deutschland – SozialerWandel und individuelle Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte (S. 231–287). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Kaufmann, F.-X. (2003). Varianten des Wohlfahrtsstaats – Der deutsche Sozialstaat im internationalen Vergleich. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Kohli, M. (1999). Private and Public Transfers Between Generations: Linking the Family and the State. European Societies, 1, 81–104.

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2 Politische Aspekte des Generationenzusammenhalts in Europa

Bernd Schulte

2.1

Vorbemerkung

23

2.2

Alter und Recht

24

2.3

Alter und Recht der sozialen Sicherheit

25

2.4

Recht der Altenhilfe

28

2.5

Alter und Diskriminierungsverbot

34

Literatur

30

2.1 Vorbemerkung

„Jede Gesellschaft beruht auf einem impliziten Generationenvertrag: Man sorgt für die Kinder, weil diese als Erwachsene für ihre eigenen Eltern, die dann Alten, sorgen, aber auch deshalb, weil die Kinder wiederum für ihre Kinder sorgen werden. Die mittleren Generationen (zugleich in der Regel der erwerbstätige Bevölkerungsteil) tragen oft eine doppelte Verantwortung gegenüber Kindern und Eltern, doch tun sie das vor dem Hintergrund, selbst versorgt worden zu sein (als Kinder), und in der Erwartung, später – im Alter, im Ruhestand, bei Krankheit – versorgt zu werden. Der deutsche Wohlfahrtsstaat hat bekanntlich, vor allem in den Sozialversicherungen mit ihrem Umlageverfahren, in erster Linie auf dieses Generationenprinzip gesetzt. Doch funktioniert es nur, und ist nur gerecht, unter mindestens konstanten Bedingungen, besser noch (und das war lange Zeit der Normalfall) unter Bedingungen der Expansion: der demographischen wie der ökonomischen.

Diese Situation existiert nicht mehr, und damit entstehen neue Disparitäten und Verteilungskonflikte. Die mittlere Generation kann selbst nicht mehr mit jenem Niveau der Absicherung rechnen, das sie gegenwärtig ihren Eltern finanziert“ (Nolte, 2005, S. 16 ff.).

Diese Zustandsbeschreibung ist zutreffend. Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, werden im Folgenden am Beispiel der Altenpolitik diskutiert. Auch die ältere Generation sieht sich mit neuen Herausforderungen – etwa der Forderung nach einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit (nicht zuletzt im Interesse einer Verkürzung der Rentenbezugsphase) – konfrontiert. Zugleich werden auch Forderungen nach einer Verbesserung der Lebenslage der älteren Menschen erhoben, etwa im Zusammenhang mit der Altenhilfe und der Bekämpfung altersspezifischer Diskriminierungen.

2.2 Alter und Recht

Das Alter stellt seit der Entstehung moderner Sozialstaatlichkeit Sozialpolitik und Sozialrecht vor eine doppelte Aufgabe: Auf der einen Seite soll es den „risque heureux“, den „wohlverdienten Ruhestand“ regeln, auf der anderen Seite soll es diejenigen Defizite kompensieren, die mit dem „risque malheureux“, der „Last des Alter(n)s“ verbunden sind. Steht – oder stand jedenfalls bisher – das Recht der monetären Alterssicherung – das „Rentenrecht“ – primär im Zeichen des „risque heureux“, so steht das Recht sowohl der sozialen Dienstleistungen als auch derjenigen Geldleistungen, die zur Deckung des Bedarfs an sozialen Dienstleistungen bestimmt sind, im Zeichen des „risque malheureux“. Alter wird hier – wiederum herkömmlicherweise – aufgefasst als wirkliche oder unterstellte – fingierte – Invalidität, als Lebensphase zunehmender Leistungsdefizite und des zunehmenden Angewiesenseins auf die Hilfe Dritter, wobei diesemsehr unterschiedlichen und differenzierten Hilfebedarf ein gleichfalls differenziertes Instrumentarium von Regelungen, Diensten, Einrichtungen und Leistungen entspricht, das erforderlich ist, um den mit dem Alter verbundenen Gefahren präventiv zu begegnen oder die altersbedingt eintretenden Defizite zu kompensieren (Zacher, 1992).

Mit dieser traditionellen Aufgabenstellung wird allerdings das die Lebenslage „Alter“ behandelnde Recht nur höchst unvollständig und unvollkommen erfasst (Pitschas, 1997). Das Fehlen eines eigenständigen Rechts des Alters oder der alten Menschen – im Gegensatz etwa zu einem Kinder- und Jugend(hilfe)recht – indiziert vielmehr sowohl ein begriffliches als auch ein sachliches Defizit (Igl, 1993).

Aufgabe des Rechts im sozialen Rechtsstaat (Art. 20 u. 28 GG) ist es allerdings auch vor diesem positiv-rechtlichen Hintergrund, individuelle Rechte zu schützen und die Gleichheit der Rechtsanwendung zu gewährleisten. Gisela Zenz (2000) hat diesbezüglich eine Unterstützung vonseiten des Bundesverfassungsgerichts als „sehr zu wünschen“ bezeichnet, allerdings offengelassen, ob es dazu eines ausdrücklichen grundgesetzlichen Auftrags bedarf.