GENIUS – Eiskalter Plan - Olaf-Axel Burow - E-Book
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GENIUS – Eiskalter Plan E-Book

Olaf-Axel Burow

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Beschreibung

Er bedroht die klügsten Köpfe der Welt: Der Wissenschaftssthriller »GENIUS – Eiskalter Plan« von Jens Johler und Olaf-Axel Burow als eBook bei dotbooks. Diese Morde schockieren die Welt … Der berühmte Klimaforscher und Nobelpreisträger John Eklund wird tot in seinem Haus aufgefunden – um seinen Kopf herum zieht sich ein kunstvoll vernähter Schnitt: Mit größter Präzision hat der Killer Eklunds Gehirn geraubt. Kurz darauf kommt in Berlin ein weiterer Forscher ums Leben. Der Wissenschaftsjournalist Troller und die Gerichtsreporterin Jane sind überzeugt: Hinter den Morden steckt mehr als nur ein kranker Trophäensammler. Gemeinsam ermitteln sie in dem Fall, der sie schon bald in die Labore der Zukunft führt – und ins Visier eines Täters, der mit seinen eiskalten Plänen die ganze Menschheit bedroht … »Johler und Burow präsentieren die Trends der rasanten Entwicklung in Technik und Biowissenschaften auf einem verständlichen Level, verpackt in einen originellen Thriller mit Science-Fiction-Elementen.« Frankfurter Rundschau Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Wissenschaftsthriller »GENIUS – Eiskalter Plan« von Jens Johler & Olaf-Axel Burow. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 481

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Über dieses Buch:

Diese Morde schockieren die Welt … Der berühmte Klimaforscher und Nobelpreisträger John Eklund wird tot in seinem Haus aufgefunden – um seinen Kopf herum zieht sich ein kunstvoll vernähter Schnitt: Mit größter Präzision hat der Killer Eklunds Gehirn geraubt. Kurz darauf kommt in Berlin ein weiterer Forscher ums Leben. Der Wissenschaftsjournalist Troller und die Gerichtsreporterin Jane sind überzeugt: Hinter den Morden steckt mehr als nur ein kranker Trophäensammler. Gemeinsam ermitteln sie in dem Fall, der sie schon bald in die Labore der Zukunft führt – und ins Visier eines Täters, der mit seinen eiskalten Plänen die ganze Menschheit bedroht …

»Johler und Burow präsentieren die Trends der rasanten Entwicklung in Technik und Biowissenschaften auf einem verständlichen Level, verpackt in einen originellen Thriller mit Science-Fiction-Elementen.« Frankfurter Rundschau

Über die Autoren:

Jens Johler, geboren 1944 in Neumünster, war nach seiner Ausbildung in München drei Jahre lang Schauspieler an den Städtischen Bühnen in Dortmund. Danach studierte er Volkswirtschaft in Berlin und arbeitete als wissenschaftlicher Assistent an der FU. Er schreibt Radiofeatures, Theaterstücke, Erzählungen, Politthriller und Biographien.

Die Website des Autors: jens-johler.de

Olaf-Axel Burow, geboren 1951, war bis 2017 Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Kassel und berät seitdem mit dem IF – Institute for Future Design Bildungseinrichtungen im In- und Ausland. Er ist Co-Herausgeber der Zeitschrift „Pädagogische Führung“ und lehrt an der Deutschen Akademie für Pädagogische Führung (DAPF). Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und schrieb zwei Romane mit Jens Johler.

Die Website des Autors: www.olaf-axel-burow.de/

Von Jens Johler & Christian Stahl erscheint bei dotbooks:

»RAGE – Gerechter Zorn«

Von Jens Johler & Olaf-Axel Burow erscheint bei dotbooks:

»GENIUS – Eiskalter Plan«

Von Jens Johler erscheint bei dotbooks:

»CONTROL – Mörderische Rache«

***

eBook-Neuausgabe Januar 2022

Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Gottes Gehirn« bei Ullstein.

Copyright © der Originalausgabe 2010 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de unter Verwendung von © Shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-137-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

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***

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Jens Johler & Olaf-Axel Burow

GeniusEiskalter Plan

Thriller

dotbooks.

Kapitel 1

EKLUND

Am Nachmittag des siebten Juli machte Britta Eklund, die Frau des Nobelpreisträgers John Eklund, eine grauenhafte Entdeckung.

Britta hatte, da ihr Mann an einem neuen Buch arbeitete und Ruhe brauchte, einige Freundinnen zu einem Ausflug auf ihre Yacht eingeladen. Eigentlich hatten sie drei volle Tage fortbleiben wollen, aber da Ethel, die Frau des Senators, ganz überraschend einen Anruf bekam und erfuhr, dass sie Großmutter geworden war, kehrte die Yacht mit den Champagner trinkenden Damen einen Tag früher als beabsichtigt nach Fort Lauderdale zurück.

Sie waren alle bester Stimmung, als sie in die Millionaire’s Row einbogen, den weit verzweigten Wasserarm, an dessen Ufern sich die Happy few aus Film, Politik, Wissenschaft und Big Business ihre Villen gebaut hatten. Hinter einem Wald von Masten und Segeln mehr oder weniger eleganter, zumeist aber luxuriöser Yachten und hinter den tief hängenden Zweigen ausladender Trauerweiden bot sich ein Querschnitt durch die architektonischen Träume und Verirrungen der Menschen, die sich über Geschmack und Zurückhaltung keine Gedanken mehr zu machen brauchten. Wie selbstverständlich duckte sich zwischen zwei opulenten Kolonialvillen der flache Kubus eines vom Bauhaus inspirierten Bungalows. Neben einem luxuriösen Palast im maurischen Stil moderte ein Holzhaus aus dem Südwesten mit umlaufender Veranda und Staketenzaun vor sich hin.

Britta setzte Ethel und die übrigen Damen ab und tuckerte mit der gewohnten Vorfreude auf ihr Haus zu. Sie liebte dieses Haus. John hatte es von dem Geld bauen lassen, das er mit seinem ersten und einzigen Bestseller verdient hatte. Wege aus der Klimafalle war vor siebzehn Jahren ein Aufsehen erregendes Buch gewesen, es war in zweiundzwanzig Sprachen übersetzt worden und hatte sie reich gemacht. Nun ja, reich. Aber zusammen mit dem Geld für den Nobelpreis hatte es für das Haus und das sündhaft teure Grundstück gereicht.

Zwischen den Weiden, deren Zweige bis hinunter ins Wasser reichten, konnte Britta jetzt das Haus sehen. Alles schien wie sonst. Der Wagen stand im Carport, also war John zu Hause. Irritierend war nur der Lieferwagen mit dem Dell-Logo, der in der Einfahrt stand. Hatte John sich einen neuen Computer bringen lassen? Das hätte sie sehr gewundert, benutzte er doch die neuen Geräte ausschließlich in der Universität. Zu Hause begnügte er sich immer noch mit seinem alten Mac, auf dem damals das Buch entstanden war. Merkwürdig, obwohl er einen so strengen mathematischen Verstand hatte, war John zutiefst abergläubisch. Sie hatte ihn schon oft damit aufgezogen, dass er glaubte, der Zauber seines Erfolges würde sofort verfliegen, wenn er seinem alten Mac untreu würde.

Britta drosselte den Motor und nahm Kurs auf den Landungssteg. Sie war nun doch beunruhigt. Zwei Männer hatten die Hecktüren des Transporters geöffnet und offenbar in höchster Eile eine Trage ins Haus gebracht, auf der jemand zu liegen schien. Was ging hier vor? War John etwas passiert? Warum kamen die Männer mit der Trage aus einem Dell-Transporter?

Für einen Augenblick war Britta unaufmerksam gewesen. Es gab einen fürchterlichen Schlag, ein heftiger Ruck zog ihr den Boden unter den Füßen weg, und sie prallte gegen die Frontscheibe der Steuerkabine. Ich hab den Steg gerammt, dachte sie noch, dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Als sie wieder zu sich kam und sich benommen am Steuer hochzog, sah sie, wie dicke, schwarze Rauchschwaden aus dem Haus drangen. Mit einem Satz sprang sie vom Schiff auf den Anlegesteg und begann zu laufen.

John! John! Sie wollte seinen Namen rufen, aber sie kriegte keinen Ton heraus. Als sie die Terrasse erreicht hatte, fiel ihr ein, dass ihre Handtasche mit den Schlüsseln noch auf der Yacht war. Sie dachte daran zurückzulaufen, aber als sie sich umdrehte, sah sie, wie die Yacht auf die Mitte des Flusslaufes zutrieb. Die Terrassentür, dachte sie, vielleicht ist die Terrassentür offen. Sie hastete über die Terrakottaplatten und rüttelte am Türgriff. Verschlossen. Sie presste ihr Gesicht gegen die Scheibe und versuchte zu erkennen, was drinnen los war. John lag im Wohnzimmer auf dem Boden. Der Holzstapel neben dem Kamin brannte lichterloh. Aus Sofa und Sesseln drang dichter Qualm hervor.

Britta hämmerte mit den Fäusten gegen die Scheibe, aber es gelang ihr nicht, sie einzuschlagen. Sie brauchte einen Stein, einen Hammer, irgendetwas. Ihr Blick fiel auf die beiden Golfschläger, die am Rande der Terrasse lagen. Sie schnappte sich einen, lief zurück zum Fenster, holte aus und zertrümmerte mit einem einzigen Schlag die Scheibe.

»John!« Ihre Stimme war wieder da. Es war heiß im Wohnzimmer, beißender Qualm legte sich auf ihre Schleimhäute. Sie stürzte auf John zu, der bewusstlos dalag, fasste ihn unter die Achseln und schleifte ihn rückwärts aus dem Haus heraus, über die Terrasse, auf den Rasen.

»John?«

Sie nahm seine Hand und fühlte den Puls. Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und horchte auf seinen Herzschlag. Sie kniete über ihm und versuchte, ihn wiederzubeleben.

»John, John, bitte nicht, bitte nicht! Bitte, komm zurück! Komm zurück!«

Sie nahm seinen Kopf in beide Hände und hob ihn an. Der Schreck, der sie in diesem Moment durchfuhr, war furchtbar, unerträglich. Es war das Grauen.

Der Kopf, den sie in ihren Händen hielt, war nicht bloß kalt, er war leicht. Auf der Stirn, direkt unter dem Ansatz der vollen, fast weißen Haare ihres Mannes, entdeckte Britta Eklund eine feine, blassrosa Naht, die wie eine exakt gezeichnete Linie um den ganzen Schädel herumlief.

Kapitel 2

DER ANRUF

Troller schreckte aus seinen Gedanken hoch, als das Telefon klingelte. Er wollte sich eine Notiz machen, um nachher den Faden wiederzufinden, aber der Gedanke war schon nicht mehr da.

Vor ein paar Minuten erst hatte ihn Weber angerufen, sein Kollege aus der Wirtschaftsredaktion. Hektisch und im Verschwörerton des Insiders hatte er ihm geraten, sofort Genimprove zu kaufen. »Notier dir die Wertpapier-Kennnummer. Die arbeiten an Stammzellen, Telomeren und Klontechnologie.« Und in einem noch konspirativeren Ton hatte er das Wort Organzüchtung in die Leitung gehaucht, als könne er damit verhindern, dass Lauscher von diesem Geheimtipp erführen. »In den nächsten Tagen beginnt eine grandiose Rally.«

Troller hatte ihn abzuwimmeln versucht, aber Weber war hartnäckig geblieben. »Kauf jetzt. In zwei Stunden kann es zu spät sein. Solche Gelegenheiten verbreiten sich wie ein Lauffeuer im Netz. Kauf jetzt. Das ist die Chance.«

Dieser Weber war eine Nervensäge, auch wenn Troller zugeben musste, dass er durch seine Tipps schon einen Haufen Geld hätte verdienen können. Wenn er nur auf ihn gehört hätte. Stattdessen hatte er immer wieder selbst irgendwelche Werte ausgesucht. Er verstand, das musste Troller langsam einsehen, eine Menge von Wissenschaft und Journalismus, aber in Gelddingen war er eine ziemliche Pfeife. Trotzdem hatte er Weber gefragt: »Was hältst du eigentlich von Brain Inc.?«

»Brain Inc.?«

»Künstliche Intelligenz. Und Robotik. Die sind gerade dabei, einen neuen Haushaltsroboter serienreif zu machen. Das wird ein Wahnsinnsmarkt.«

»Vergiss es«, hatte Weber gesagt. »In den nächsten zwei Jahren spielt die Musik in der Biotechnologie.«

Troller ahnte, dass Weber recht hatte. Aber vielleicht konnte er doch mit Brain Inc. einen Überraschungserfolg landen. Nur um Weber eins auszuwischen, hatte er auch noch für zehntausend Euro Brain Inc. geordert.

Und nun klingelte das Telefon schon wieder.

Troller wusste, dass es Maria war. Sie hatte ihm schon gestern auf den Anrufbeantworter gesprochen – er solle verdammt noch mal ans Telefon gehen, sie wisse doch, dass er da sei und wieder über seinem Scheißbuch hocke, geh endlich ran, ich hab mit dir zu reden. Sie hatte ihm unrecht getan, er war wirklich nicht zu Hause gewesen, er hatte bis abends um halb neun in der Redaktion zu tun gehabt, und als er zu Hause den Anrufbeantworter abgehört und versucht hatte, sie zu erreichen, war sie nicht da gewesen.

Aber er wusste auch so, was sie wollte. Dabei lag er mit seinen Unterhaltszahlungen weit über dem festgelegten Satz. Warum ging sie nicht wieder arbeiten? Sie konnte doch auch mal etwas tun. Stattdessen spielte sie die Löwenmutter, alles für Sarah, und presste ihn nach Strich und Faden aus.

Er hätte sie nicht heiraten dürfen. Niemals. Es war ein Fehler gewesen, eine Riesendummheit.

Nur das mit Sarah war keine Dummheit gewesen. Troller liebte seine Tochter, er war stolz auf sie. Mit ihren fünf Jahren war sie das einzige weibliche Wesen, das ihn verstand. Sonst hatte er kein Glück mit den Frauen. Er hatte noch niemals eine Frau getroffen, die es nicht darauf abgesehen hatte, ihn von seiner Arbeit abzuhalten. »Du hörst mir nie zu«, hatte Maria ihm immer wieder vorgeworfen, »du interessierst dich nur für deine Arbeit.«

Das stimmte nicht, er interessierte sich auch für Sarah und sie, aber es war nun einmal so, dass der Tag nur vierundzwanzig Stunden hatte.

Vor allem sein Buch war ihr ein Dorn im Auge gewesen. Seinen Job musste er machen, das sah sie ein, aber warum musste er auch noch jahrelang an irgendeinem Buch über Wissenschaft und Philosophie schreiben? Er wurde ja doch nie damit fertig. Außerdem war es völlig egal, ob das Wissen der Welt einmal eine Einheit gewesen war, ein philosophisches Ganzes, und sich dann, mit dem Aufkommen der modernen Wissenschaft, in tausend miteinander konkurrierende Disziplinen zersplittert hatte. Wen interessierte das?

Maria jedenfalls nicht. Eines Tages hatte sie dann eine Entscheidung verlangt: Entweder wir oder dein Buch. Jetzt wohnte sie allein mit Sarah in der Fünfzimmerwohnung, und er hockte in dieser Bude hier und drohte zu verwahrlosen.

Das Telefon hatte inzwischen aufgehört zu klingeln. Troller wünschte sich inständig, dass Maria aufgegeben hätte, aber gerade als er seinen Faden wiedergefunden hatte, ging es wieder los.

Er atmete tief durch und nahm den Hörer ab. »Mach’s kurz«, sagte er, »ich hab nicht viel Zeit.«

»Okay, so kurz wie möglich«, sagte eine tiefe, etwas raue Stimme. Es war Kranich.

»Entschuldige. Ich dachte, es wäre Maria.«

»Ich halte einen Vortrag in der Urania«, sagte Kranich. »Hättest du nicht Lust zu kommen? Wir könnten hinterher was essen.«

»Aber sicher, jederzeit.«

»Also, dann bis nachher. Es fängt um sieben an.«

»Heute?« Er hatte mal wieder den Mund zu voll genommen. »Warum hast du denn nicht früher angerufen? Es ist nämlich so, dass ich morgen für zwei Wochen in mein Ferienhaus fahre und heute Abend eigentlich noch …«

»Verschieb deinen Urlaub«, sagte Kranich. »Meine Geschichte ist wichtiger.«

»Warum?«

»Ich sag’s dir nachher.«

»Gib mir wenigstens ein Stichwort.«

Kranich zögerte einige Sekunden. Dann sagte er leise: »Eklund.«

»Eklund? Was ist mit dem?«

»Hast du nichts davon gehört?«

»Doch, natürlich. Grauenhafte Geschichte. Aber was hast du damit zutun?«

Kranich wurde noch leiser, dafür aber umso eindringlicher: »Ich habe einen Verdacht, eine Vermutung.«

»Was für eine?« Troller war auf einmal wie elektrisiert. Kranich war nicht jemand, der so etwas einfach nur dahersagte.

»Eine bloße Vermutung, wie gesagt.« Er sprach jetzt so leise, dass Troller ihn kaum noch verstehen konnte. »Aber wenn ich Recht habe, dann war das erst der Anfang. Also, bis nachher.«

»Was ist das für ein Vortrag?«, fragte Troller noch.

Aber Kranich hatte schon aufgelegt.

Kranich – Professor Dr. Ralph G. Kranich – war einer der angesehensten, aber auch umstrittensten Zukunftsforscher Europas. Troller kannte ihn seit ungefähr dreißig Jahren. Sie waren in Hamburg auf demselben Gymnasium gewesen, allerdings nicht in derselben Klasse. Kranich war zwei Jahre älter als er. Troller hatte ihn damals für seine Artikel in der Schülerzeitschrift bewundert, während Kranich Trollers Existenz zunächst gar nicht zur Kenntnis genommen hatte. Aber dann hatten sie sich auf einer Ferienfreizeit in der Schweiz kennen gelernt und gemeinsam eine Band gegründet. Troller hatte Rhythmusgitarre, Kranich Leadgitarre gespielt. Lennon und McCartney waren ihre Vorbilder gewesen, und es war keine Frage, wer von beiden Lennon war. Kranich hatte Troller den ersten Joint in die Hand gedrückt und ihm Frank Zappa und Jack Kerouac nahegebracht. Kranich war immer einen Tick schneller, immer einen Schritt näher dran, und Troller hatte schon damals seine Fähigkeit bewundert, Trends und Entwicklungen vorauszuahnen.

Nach der Schulzeit hatten sie sich eine Zeit lang aus den Augen verloren. Erst Jahre später waren sie einander wieder begegnet. Kranich arbeitete zu der Zeit am Massachusetts Institute of Technology, dem MIT, und hatte sich mit einigen brillanten Arbeiten über künstliche Intelligenz und die Zukunft der Computer einen Namen gemacht. Troller hatte ihn damals im Auftrag eines großen Nachrichtenmagazins interviewt. Inzwischen hatte Kranich einen Großteil seiner Thesen revidiert, aber das hatte seinem Renommee nicht geschadet.

Später hatte er dann einen Ruf an die Freie Universität angenommen, und Troller war zufällig zu derselben Zeit nach Berlin gekommen, um als Leiter des Ressorts Wissenschaft bei der Gründung des Magazins Fazit mitzuwirken. Seitdem hatten Kranich und er sich häufiger getroffen, einfach so oder, wenn es die Zeit erlaubte, zum Joggen oder zu gelegentlichen Abendessen. Die Tatsache, dass sie beide einmal auf derselben Schule gewesen waren und zusammen in einer Band gespielt hatten, schuf schnell eine Atmosphäre von Nähe und Vertrauen, und irgendwann hatte Troller festgestellt, dass er in Kranich so etwas wie einen Freund gefunden hatte, seinen besten Freund.

Gerade als er sich in den Mantel geworfen und sein Notizbuch eingesteckt hatte, kam doch noch Marias Anruf. Sie habe vor einer Woche ein Fahrrad für Sarah gekauft, sagte sie, es sei vielleicht noch ein bisschen früh dafür, aber sie habe gedacht, je früher, desto besser, na jedenfalls habe sie das Fahrrad gekauft und mit einem Scheck bezahlt. »Und stell dir vor, was mit dem Scheck passiert ist.«

»Er ist geplatzt.«

»Woher weißt du das?«

»Ich hab’s mir vorgestellt, das sollte ich doch.«

Und er versprach ihr, das Geld zu überweisen, obwohl er wegen der Brain-Inc.-Aktien sein Konto überziehen musste.

»Zukunft als Aufgabe« stand auf dem Plakat im Foyer. Troller stieg die Treppe hoch und öffnete vorsichtig die Tür.

»… und deswegen, meine Damen und Herren, sollten wir auf den Zeitgeist nicht allzu viel geben«, hörte er Kranich sagen, als er sich durch die Saaltür schob, »denn der Zeitgeist irrt immer. Mal ist er optimistisch, wie in den sechziger Jahren, als die Ihr werdet es erleben-Studie von Kahn und Wiener die Diskussion beherrschte, dann wieder entdeckt er, wie in den Siebzigern, die Grenzen des Wachstums und sieht auf einmal alles schwarz. So schnell ändert sich der Zeitgeist. Zehn Jahre reichen aus, um aus einer Welt von Optimisten eine Welt von Pessimisten zu machen. Aber hat sich die Welt entsprechend geändert? Nein, nur der Blickwinkel, nur das Paradigma.

Heute scheinen Optimisten und Pessimisten in einer Art friedlicher Koexistenz zu leben. Die einen feiern die Chancen von Internet und Computer, die anderen warnen vor den Gefahren der Robotik. Die einen erwarten sich Wunder von der Gentechnologie, die anderen malen Schreckensvisionen von Menschen- und Chimärenzüchtung und vor allem von der Klimakatastrophe an die Wand. Aber beide«, sagte Kranich und hob die Stimme, »die Optimisten wie die Pessimisten, übersehen einen Aspekt, den man niemals vergessen darf.«

Er machte eine Pause und sagte dann: »Die Überraschungswahrscheinlichkeit. Denken Sie einmal an den Fall der Berliner Mauer«, fuhr er fort, und in seiner Stimme schwang Begeisterung mit, »auch den hatte niemand vorhergesehen. Eben noch verhält sich ein komplexes System scheinbar völlig stabil – und im nächsten Moment steuert es auf einen Zustand äußersten Ungleichgewichts zu, der zu einem völlig veränderten Verhalten führt. Totaler Vernichtungskrieg oder friedlicher Übergang zur Demokratie, alles ist in einer solchen Grenzsituation möglich. Die Chaostheorie nennt so etwas eine Bifurkation, eine Weggabelung: An einem solchen Punkt genügen geringe Kräfte, um die Entscheidung für das weitere Systemverhalten zu bestimmen. Ein Meer kann plötzlich umkippen, ein Organismus lebensgefährlich erkranken, in einem Staat kann Anarchie ausbrechen. Die DDR steuerte auf eine solche Grenzsituation zu, ohne dass die Experten dies vorhersahen. Durch den Fall der Mauer, durch den plötzlichen Umschlag, wurden von einem Tag auf den anderen alle Pläne und Prognosen Makulatur. Der Fall der Mauer aber«, sagte Kranich mit erhobener Hand, um anzudeuten, dass er jetzt zum Kern seiner Thesen kam, »ist kein einmaliges Ereignis. Schon bald wird es den Experten unserer Zunft, den Pessimisten wie den Optimisten, wieder so ergehen, wenn nämlich morgen eine andere Mauer fällt. Eine Mauer«, sagte er, »die ich bereits bedenklich bröckeln sehe.«

Kranich hielt inne. Troller konnte die Spannung im Saal fühlen. Jeder schien sich zu fragen: Was ist das für eine Mauer, die da bröckelt? Selbst Troller, für den Kranichs Vortragsstil nicht neu war, musste sich eingestehen, dass er wieder einmal beeindruckt war.

Es schien so, als ob es Kranich schwer fiel, das Neue in die richtigen Worte zu fassen. Er räusperte sich, warf einen Blick ins Publikum und sagte zögernd: »Es ist schwer, verständlich auszudrücken, was ich meine. Es ist mehr eine Ahnung, auch wenn ich so etwas als Wissenschaftler gar nicht sagen dürfte. Die Mauer, von der ich rede, ist eine geistige Mauer, eine Mauer des Bewusstseins. Sie ahnen wahrscheinlich, worauf ich hinauswill.«

Niemand ahnte etwas. Nun ja, Troller doch.

»Ich rede, meine Damen und Herren,« fuhr Kranich fort, »von der Mauer, welche die Wissenschaft zwischen sich und den anderen Feldern der Erkenntnis errichtet hat. Diese Mauer, so lautet meine These, wird fallen.«

Schweigen. Das Publikum schien ergriffen zu sein. Troller war es nicht. Was Kranich da vortrug, war nichts Neues für ihn. Sie hatten schon einige Male darüber gesprochen.

»Im Auge der Wissenschaft«, fuhr Kranich fort, »gibt es wie in jedem Auge einen blinden Fleck. Die Wissenschaft leugnet oder übersieht gern, was ihr nicht ins Konzept passt. Wenn wir also wissen wollen, was das Neue ist, das auf uns zukommt, dann müssen wir uns den Rändern, den Randzonen, den Grenzbereichen zuwenden.«

Er ist schon wieder einen Tick schneller als ich, dachte Troller. Ich denke darüber nach, und er hält Vorträge darüber.

»Wer von Ihnen, meine Damen«, sagte Kranich jetzt und lächelte charmant, »interessiert sich nicht für Horoskope oder alternative Heilverfahren? Ich bin sicher, Sie alle haben schon einmal Zuflucht zu magischen Beschwörungsformeln genommen oder die eine oder andere fernöstliche Weisheit befolgt. Nun, je mehr die Wissenschaft versucht, diese Phänomene wegzuerklären, desto hartnäckiger kommen sie zur Hintertür wieder herein – von den Naturheilverfahren bis zum biologischen Anbau, von der Orgontheorie bis zur Theorie der morphogenetischen Felder, vom Vitalismus bis zu den Psi-Kräften. In diesem ganzen Bereich, der sich vom Alternativen bis zum Esoterischen erstreckt, sind – das fühlen wir im Grunde genommen alle – tiefe Wahrheiten verborgen. Hier könnte eine weitere Bifurkation entstehen, eine veränderte Weichenstellung, und wer weiß, vielleicht ist es ja schon geschehen? Jedenfalls scheinen die Menschen den Wissenschaftlern davonzulaufen und ihr Glück bei anderen Ratgebern zu suchen.« Kranich hielt inne und schien ganz zufrieden mit der Vorstellung von der Entwertung seiner Zunft. »Und warum auch nicht?«, sagte er. »Jedenfalls handelt es sich bei der Hinwendung zu den Phänomenen, von denen ich gesprochen habe, um eine sehr praktische und lebendige Kritik an der Wissenschaft. Um eine Abstimmung mit den Köpfen, mit den Herzen, mit den Füßen, mit dem Geldbeutel. Und, ob Sie mich nun dafür auslachen oder nicht, ich behaupte: Es handelt sich dabei um Vorboten einer Entmachtung der Wissenschaft, wenigstens in ihrer begrenzten, in Einzeldisziplinen zersplitterten Form.«

Ja, dachte Troller, aber das Problem ist doch: Kann es überhaupt eine neue Einheit der Wissenschaft geben? Oder ist sie für immer verloren? Das war genau die Frage, die ihn in seinem Buch beschäftigte.

In diesem Augenblick stockte Kranich, als hätte er Trollers Frage gehört, als herrschte zwischen ihm und Troller ein telepathischer Zusammenhang. Er schaute wie suchend ins Publikum, und Troller verspürte für einen Moment den Impuls, aufzustehen und »hier« zu rufen. Dann richteten sich Kranichs Augen nach links oben, als ob er an der hinteren Wand des Raumes ein Bild sähe, eine Erscheinung.

Im Publikum entstand eine gewisse Unruhe. Hatte der Professor einen Blackout? Kam noch was? Oder sollte man lieber gehen?

Doch bevor die Pause unerträglich peinlich wurde, kam Kranich wieder zu sich. Er habe eben einen Gedanken gehabt, sagte er, der ihn nicht losgelassen habe. Er habe nämlich an eine sehr eigenartige Konferenz denken müssen, an der er einmal teilgenommen hätte, an eine Konferenz von Wissenschaftlern aller Disziplinen, die im Jahre 2011 auf Hawaii stattgefunden habe, die sogenannte Blake-Konferenz. Phineas Blake, der Nobelpreisträger für Biologie, habe damals namhafte Wissenschaftler aller Länder und aller Couleur zusammengerufen, um mit ihnen über die Möglichkeiten interdisziplinärer, ja transdisziplinärer Zusammenarbeit zu diskutieren – und gerade eben sei ihm, Kranich, der Gedanke gekommen, dass Blake damals wohl wirklich so etwas vorgeschwebt habe wie eine Wiedervereinigung der zersplitterten Wissenschaften, also die Einheit des Wissens. Es sei bei dieser Konferenz allerdings so drunter und drüber gegangen – »ano kato« hätte sein griechischer Kollege Kostadidis immer nur kopfschüttelnd gesagt, »ano kato« –, dass man sich von dem Traum, die Wissenschaften wiederzuvereinigen, wahrscheinlich ein für alle Mal verabschieden könne. »Doch das nur nebenbei«, sagte Kranich und machte eine entschiedene Handbewegung, wie um sich von der Erinnerung an diese Konferenz zu lösen und den Faden seiner Vorlesung wieder aufzunehmen.

Aber er schien es jetzt doch eilig zu haben, seinen Vortrag zu beenden. Er sprach noch eine Weile über diverse Möglichkeiten einer aktiven Gestaltung der Zukunft, über »Zukunftswerkstätten«, »Zukunftskonferenzen«, »Open Spaces« und andere Patentrezepte, und damit ging der Vortrag zu Ende.

Troller wartete, bis die Masse der Zuhörer den Saal verlassen hatte, und ging dann vor zum Rednerpult. Zwei gut gekleidete Herren standen bei Kranich und sprachen mit ihm. Der kleinere der beiden war Japaner oder Chinese, vielleicht auch Koreaner, der andere Amerikaner. Er war mindestens einsneunzig groß, hatte eine athletische Figur, eine Bürstenfrisur und eine gewisse Ähnlichkeit mit Clint Eastwood. Als Kranich Troller bemerkte, löste er sich von den beiden und ging auf ihn zu. Die beiden Fremden reagierten etwas erstaunt, der Amerikaner machte sogar einen Schritt hinter Kranich her, als ob er ihn begleiten wollte, aber der Japaner hielt ihn zurück.

»Tut mir leid«, sagte Kranich leise. »Es ist noch was dazwischengekommen. Willst du nicht vorgehen?«

»Wohin?«

»Ach so, ja.« Kranich lachte nervös. »Ich hab gedacht, wir gehen in das vegetarische Restaurant da drüben. Auf der anderen Straßenseite. Ich komme in spätestens einer halben Stunde nach.«

Hakuin hieß das Restaurant. Es befand sich im Erdgeschoss eines Hochhauses, in dem es sonst offensichtlich nur Büros gab, und kaum jemand wäre auf die Idee gekommen, dass sich im Basement ein fernöstlich inspiriertes Restaurant mit einem schilfrohrbestandenen Fischteich befand, in dem bunte Fische ruhig ihre Bahnen zogen. Troller ahnte, dass diese Diskrepanz Kranich gefallen musste, allein schon wegen der Überraschungswahrscheinlichkeit.

Nur drei Tische waren besetzt. Troller suchte sich eine Nische, in der er möglichst ungestört mit Kranich würde reden können, und begann, die Speisekarte zu studieren. Obwohl er selbst kein Vegetarier war, musste er zugeben, dass vieles sehr verlockend klang, wenn auch oft recht apart, wie das Haselnuss-Steak mit geröstetem Tofu-Carpaccio an Steinpilz-Feldsalat.

»Mit dem Essen warte ich noch«, sagte er, als der Kellner die Bestellung aufnehmen wollte. »Bringen Sie mir erst mal nur ein Mineralwasser.«

»Mit oder ohne?«

Troller verstand nicht: »Mit oder ohne was?«

»Kohlensäure.«

»Mit. Am besten eine große Flasche.«

Troller war unruhig. Selten hatte er Kranich so eindringlich erlebt. Was wollte er ihm so Wichtiges über Eklund erzählen?

John Eklund, so hatte es in einem kurzen Fernsehbeitrag geheißen, den Troller am Nachmittag gesehen hatte, war 1950 in Lillehammer, Norwegen, geboren worden. Er war eine der führenden Kapazitäten auf dem Gebiet der Klimaforschung gewesen. Nachdem er im Jahre 1989 den Nobelpreis bekommen hatte, wurde er von der Presse gern als »Klimapapst« bezeichnet. Auf allen internationalen Klimakonferenzen war er ein beliebter und zugleich gefürchteter Redner. Besonders mit den unzureichenden Umweltmaßnahmen der Industriestaaten, allen voran der USA, ging er hart und unerbittlich ins Gericht. Wieder und wieder wurde der Satz des US-Vizepräsidenten auf der Klimakonferenz in Tokio zitiert, der damals vielen Beobachtern Rätsel aufgegeben hatte: »Mr. Eklund, Sie sollten sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.« Es hatte beinahe wie eine Drohung geklungen.

Ein endgültiger Obduktionsbericht lag noch nicht vor. Einer vorläufigen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft von Florida war zu entnehmen, dass Eklund von seiner Frau tot und ohne Gehirn aufgefunden wurde. Hätte sie seine Leiche nicht aus dem brennenden Haus herausgeholt, wäre wohl niemals ans Licht gekommen, dass ihm das Gehirn extrahiert worden war.

Die große Frage war natürlich: Wer hatte das getan? Und vor allem: wie? Erste Recherchen ergaben, dass eine solche Operation von den führenden Hirnforschungszentren zwar ins Auge gefasst, aber noch niemals am Menschen durchgeführt worden war. So stand die Welt vor dem Rätsel, welcher bislang unbekannten Technik sich die Mörder bedient und welches Motiv sie geleitet hatte.

Frau Eklund hatte angegeben, ihr Mann habe zwar eine Menge Gegner gehabt, aber keine nennenswerten Feinde. Der Satz des damaligen US-Vizepräsidenten sei vollkommen überbewertet worden. Ihr Mann sei mit ihm sogar befreundet gewesen. Allenfalls »ein paar verrückte Umweltfanatiker« hätten sich in der letzten Zeit gegen ihren Mann gewandt, weil er seine früher sehr radikalen Thesen über den Einfluss der Menschheit auf den Klimawandel der Erde ein wenig modifiziert und abgeschwächt hatte.

Als Troller das Mineralwasser getrunken und sich einen Mango-Ananas-Shake bestellt hatte, fing er an, sich über Kranichs Geheimnistuerei zu ärgern. Erst zitierte der ihn zu diesem Vortrag, und dann hatte er auf einmal etwas anderes vor. Warum hatten sie sich nicht gleich hier verabredet? Vierzig Minuten wartete er jetzt schon.

Er ließ sich erneut die Speisekarte bringen und bestellte einen Kiwi-Shake. Als er ihn getrunken hatte, war es zehn vor zehn. Bis um zehn gab er sich noch Zeit. Wenn Kranich bis dahin nicht da wäre, würde ergehen.

Um zehn nach zehn verlangte er die Rechnung. Kranich war, was Verabredungen betraf, noch nie der Zuverlässigste gewesen, aber das ging jetzt zu weit. Wer hatte denn so geheimnistuerisch um dieses Treffen gebeten?

Troller bezahlte die Rechnung. Er würde Kranich anrufen. Morgen. Er stand auf und ging.

Es war eine warme, schwüle Nacht. Ein Gewitter kündigte sich an.

Kapitel 3

DER FALL

Als er am Morgen die Haustür öffnete und ins Freie trat, schlug ihm die vom nächtlichen Regen noch frische Sommerluft entgegen. Mit einem unerwarteten Glücksgefühl, wie er es lange nicht mehr erlebt hatte, ging Troller zu seinem Auto. Er musste sich beherrschen, nicht wie ein Kind zu hüpfen. Es war wunderbar dieses Leben, wunderbar, dass er heute Nachmittag aufs Land fahren, ein bisschen joggen und an seinem Buch Weiterarbeiten konnte.

Viel zu tun war nicht mehr in der Redaktion. Routineprogramm. Ein paar Korrekturen an dem Artikel eines freien Mitarbeiters, ein kurzes Brainstorming mit Hebold, seinem engsten Mitarbeiter, über die Konzeption neuer Artikel; die Post durchsehen, E-Mails lesen, den Anrufbeantworter abhören und Schluss. Er hatte eine Auszeit mehr als nötig. Als er in den Volvo stieg, dachte er kurz daran, das Fahrrad zu nehmen, aber dazu war die Zeit zu knapp. Er musste zusehen, dass er nachher so früh wie möglich los kam, je später er fuhr, desto sicherer stand er im Stau.

Als er den Kurfürstendamm hinunterfuhr, dachte er an Sarah. Er nahm sich fest vor (aber wie oft hatte er das schon getan?), sich ihr wieder mehr zu widmen, er würde ihr das Fahrradfahren beibringen und endlich mal wieder mit ihr in den Zoo gehen. Das letzte Mal war es noch Winter gewesen, und die Tiere hatten alle in engen Käfigen hinter Glas gehockt oder waren wie die Idioten im Kreis herumgelaufen. Er hatte sich darüber gewundert, dass sie keine Notiz von den Menschen nahmen, die an ihren Käfigen vorbeispazierten oder davor stehen blieben und ihnen beim Gefangensein zuschauten. Waren sie so abgestumpft, dass es ihnen schon egal war, wer da auf der anderen Seite der Glasscheibe stand? Oder existierte die Welt hinter der Scheibe gar nicht für sie, so wenig, wie die Welt auf dem Bildschirm eines Fernsehers? Von Schlangen, Lurchen, Nerzen, Wieseln, selbst von Hyänen oder Löwen erwartete man ja nichts anderes, aber wie war es mit unseren Verwandten, den Affen? Als Troller vor ein paar Monaten mit Sarah im Affenhaus gewesen war, hatten beide durch Klopfen, Winken und Grimassenschneiden versucht, die Aufmerksamkeit der Gorillas auf sich zu lenken, und waren damit kläglich gescheitert. Die Burschen dachten nicht daran zurückzuwinken. Sie schienen gar nicht zu bemerken, was auf der anderen Seite der Scheibe war. Das Draußen, die Welt hinter der Scheibe, existierte für sie nicht.

Wenn es uns selber nun auch so ginge, dachte Troller. Wenn unser eigenes Leben sich auch auf einer Bühne abspielte, ohne dass wir die Zuschauer bemerkten? Die alten Griechen hatten noch dieses Lebensgefühl gehabt, das Gefühl, ihre Daseinstragödie vor einer zuschauenden Götterschar aufzuführen. Aber wir, wir Heutigen? Wir haben den unsichtbaren Zuschauer in unser Inneres verlegt und fühlen uns wer weiß wie erhaben über unsere Vorfahren. Aber was, wenn sie Recht gehabt hatten? Wenn es die Scheibe nun doch gibt? Wenn es dahinter nur so dunkel geworden wäre, dass wir in der Scheibe immer nur uns selbst erblickten?

Er fuhr an der Urania vorbei. Hatte Kranich nicht etwas Ähnliches gesagt? Er hatte zwar nicht von einer Scheibe gesprochen, aber von einer Mauer. Von der Mauer in unserem Bewusstsein. Vom blinden Fleck im Auge der Wissenschaft. Davon, dass die Psi-Kräfte im Kommen seien. Das hatte er doch gemeint, oder? Troller hätte ihn gestern Abend gern danach gefragt, aber er war ja nicht gekommen, der Chaot. Troller wollte es nicht wahrhaben, aber er hatte sich doch über Kranich geärgert. Er hatte sich sogar Sorgen gemacht.

In der Redaktion begann er die Post durchzusehen. Die meisten Briefe setzten sich kritisch mit einem Artikel über neuere Erkenntnisse der Evolutionsbiologie auseinander, der im letzten Heft erschienen war. Ein Teil der Leserschaft konnte sich offenbar nicht mit der Erkenntnis des Evolutionsbiologen Row abfinden, dass der Einfluss der Erziehung auf die Entwicklung der Individuen erheblich geringer sei, als man bisher angenommen hatte. Von »pseudowissenschaftlichem Unsinn« war die Rede, von »altem Wein (Blut!) in neuen Schläuchen (Gene!)« und sogar von »faschistischer Rassentheorie in neuem Gewand«.

Dabei waren für Troller diese Erkenntnisse eher tröstlich gewesen. Es war also gar nicht so schlimm, dass er Sarah so selten sah.

Die Kinder schafften sich aufgrund ihrer genetischen Vorprägung sowieso die soziale Nische, die sie brauchten. Außerdem wurden sie von ihrer Peergroup viel stärker geprägt als durch ihre Eltern. Was hatten diese Dummköpfe dagegen?

Die meisten anderen Briefe enthielten Mitteilungen über die neuesten Forschungsergebnisse wissenschaftlicher Institute, die alle erwarteten, dass in großer Aufmachung über sie berichtet wurde. Das war zwar in der Regel überflüssiger Kram, aber man konnte nie wissen. Troller warf sie allesamt in einen eigenen Waschkorb, den ein Volontär später für ihn vorsortierte.

Dann hörte er den Anrufbeantworter ab. Kranich hatte sich noch nicht gemeldet.

Achselzuckend begann er mit der Überarbeitung des Artikels, den der freie Mitarbeiter über die neuesten Mittel zur Behandlung von Polyarthritis geschrieben hatte. Interessantes Thema und auch nicht schlecht geschrieben, er brauchte nur einen besseren Anfang, damit die Leser auf Anhieb begriffen, welche Bedeutung diese neuen Medikamente hatten. Rheumatische Polyarthritis entstand dadurch, dass das Immunsystem überreagierte und sich gegen den eigenen Körper wendete. Die neuen, gentechnologisch hergestellten Mittel versuchten, direkt auf das Immunsystem einzuwirken und es weniger aggressiv zu machen. Aber was, wenn sie über das Ziel hinausschossen und das Immunsystem zu sehr schwächten? Wären dann nicht auf einmal Tür und Tor geöffnet für alle möglichen anderen Krankheiten?

Als er den neuen Anfang für den Artikel gefunden hatte, musste Troller nur noch ein paar Absätze umstellen. Das war zwar Tüftelarbeit, machte ihm aber immer wieder Spaß. Zum Schluss vereinfachte er noch ein paar allzu umständlich gebaute Sätze, dann gab er den Artikel in Satz.

Nun musste er nur noch mit Hebold über die Marschroute für das nächste halbe Jahr sprechen. Drei- bis viermal im Jahr bekam die Wissenschaftsredaktion die Chance für einen Fazit-Titel. Dafür musste Monate im Voraus ein möglichst spektakuläres Thema gefunden werden – das Neueste über unser Universum, das Unheimlichste aus dem Genlabor, die allerletzte Theorie über die Entstehung der Arten oder Ähnliches. Als Hebold zum Brainstorming ins Zimmer kam, kramte Troller gerade in einem Ablagekorb, in dem, wie er ganz sicher wusste, sein Notizzettel liegen musste, konnte ihn aber nicht finden. »Ich weiß, dass er da ist«, murmelte er, »er muss hier sein, er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben. Es gibt hier offensichtlich jemanden, der in meinen Sachen herumwühlt.«

»Paranoia wäre auch mal ein Thema«, sagte Hebold.

»Ist schon auf meiner Liste.«

»Vor allem Paranoia im Internet«, fuhr Hebold fort. »Da wimmelt es nur so von Ufos, Psi-Phänomenen, Aliens, Replikanten und den wildesten Weltverschwörungstheorien. Die Schwachköpfe hocken nur noch vor ihren Bildschirmen und verlieren jeden Kontakt zur Realität. Die virtuelle Realität ersetzt die richtige.«

»So wie die richtige Realität einst die Wirklichkeit ersetzt hat.«

»Verstehe ich nicht.«

»Descartes«, sagte Troller. »Aber die Idee mit dem Psi-Kram ist gut. Das wär jedenfalls ein Titel, der Auflage brächte: Der blinde Fleck im Auge der Wissenschaft. Ein neues Paradigma, Fragezeichen. Oder: Was ist hinter der Scheibe?«

»Hinter welcher Scheibe?«

Troller erklärte ihm die Sache mit dem Affenhaus.

»Die haben einfach keine Lust«, sagte Hebold. »Warum sollten die vor jedem, der ihnen aufs Fell schaut, einen Kotau machen? Ich bin mal im Zoo gewesen, als Till drei Wochen alt war, und hatte ihn im Tragetuch vor dem Bauch. Als wir bei den Affen waren, kam eine Schimpansenlady direkt auf uns zu, schaute sich Till an und polkte mit dem Zeigefinger an der Scheibe herum, als wollte sie das Baby kraulen. Die Leute haben mich alle gefragt, ob ich die Dame kenne.«

»Ob sie die Mutter wäre?«

Hebold überging Trollers Sottise. »Jedenfalls war für die Schimpansendame die Welt hinter der Scheibe durchaus nicht dunkel.«

»Vielleicht hatte sie übersinnliche Kräfte. Vielleicht war sie eine Schimpansen-Schamanin. Außerdem sind Schimpansen uns am nächsten. Nur ein Prozent unseres Erbguts unterscheidet sich von dem, was die in ihrer DNA haben. Ein paar Synapsen mehr im Gehirn, und die sind wie wir. Was hältst du von der Story? Ich meine die mit dem blinden Fleck?«

»Ich hab Hunger«, sagte Hebold.

»Heißt das, du bist dagegen?«

»Das heißt, ich habe Hunger und würde lieber bei Giuseppe weiterreden.«

Giuseppe war das Restaurant im Erdgeschoss des Hauses, in dem auch noch andere Hauptstadtredaktionen verschiedener Zeitungen und Zeitschriften untergebracht waren. Im vorderen Teil des Restaurants gab es eine kleine Theke, an der man sich selbst Salate und Vorspeisen zusammenstellen und nach Gewicht abrechnen lassen konnte, im hinteren Teil des Restaurants wurde man bedient. Troller und Hebold setzten sich an einen der Tische, auf denen Körbe mit Grissini und frisch aufgeschnittenem Baguette standen.

»Deine Idee mit der Scheibe ist nicht schlecht«, sagte Hebold. »Man müsste vielleicht doppelgleisig vorgehen. Einerseits die neuen Phänomene beschreiben und andererseits die Wissenschaftler befragen, die sich an der Grenze bewegen, Leute wie Morris Jackson oder Lennart Lansky. Man könnte daraus locker eine Serie machen. Da werden jede Menge Spinner drunter sein, aber spannend wäre das schon.«

»Klingt so, als würdest du gern ein bisschen in der Welt herumreisen«, sagte Troller und nahm einen Schluck Pinot Nero.

»Könnten wir doch zusammen machen. Wir müssten nur irgendeinen Dreh finden, der so zwingend ist, dass Bäumler nicht nein sagen kann.«

Bäumler war ihr Chefredakteur. Über ihm thronte nur noch der Herausgeber, der sich aber in der Regel an das Votum von Bäumler hielt. Wenn Bäumler sagte, ich will die beiden Jungs über den großen Teich schicken, dann bekam er auch das Geld dafür.

»Der Haken ist nur«, sagte Troller, »dass ich keine Lust auf Reisen habe.« Interviews mit hochkarätigen Wissenschaftlern hatte er in seinem Leben genug geführt. Ihm kam es darauf an herauszufinden, was sie alle miteinander verband. Er dachte an sein Buch und daran, dass er nach dem Essen sofort aufbrechen würde. »Du müsstest die Sache schon allein machen.«

Ernüchtert stocherte Hebold in seinem Essen herum.

Sie hatten beide das Tagesmenü bestellt, Linguine alla Berlusconi, schwarze Nudeln mit roter Sauce. Troller überlegte, ob er sich ein zweites Glas Wein bestellen sollte, aber er ließ es, weil er noch fahren musste. Als er sich umdrehte, um beim Kellner ein Mineralwasser zu bestellen, sah er, wie Schmidt-Schönbein auf ihn zukam, der Kollege von der FAZ. Troller mochte ihn nicht. Er hielt ihn für den perfekten Abstauber, der seine Kollegen anzapfte, wo er nur konnte, selbst aber nie etwas preisgab. Man erzählte ihm was, und zwei Wochen später las man es in der FAZ.

»Hallo, Troller«, begann Schmidt-Schönbein, »du kanntest doch diesen Futorologen, stimmt’s?«

»Ich kenne eine Menge Futurologen«, sagte Troller und schob sich eine extragroße Portion Nudeln in den Mund.

»Ich meine Kranich«, sagte Schmidt-Schönbein.

Troller nickte und kaute weiter.

»Wo würdest du seine Bedeutung sehen?«, fragte Schmidt-Schönbein.

»Der einzige Zukunftsforscher, der sich nicht einbildet, die Zukunft zu kennen.«

»Danke«, sagte Schmidt-Schönbein, »das ist ’ne gute Formel für ’n Nachruf.«

»Schleimscheißer«, murmelte Hebold, als der Kollege ein paar Schritte entfernt war.

Troller starrte ihn entgeistert an. In seinem Kopf arbeitete es. »Hat er Nachruf gesagt?« Er schob mit einem Ruck seinen Stuhl zurück, lief hinter Schmidt-Schönbein her und hielt ihn unsanft an der Schulter fest.

»He, was soll das?«

»Was war das mit dem Nachruf eben?«

»Tschuldigung«, sagte Schmidt-Schönbein und machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Ich dachte, du wüsstest es.«

»Ich wüsste – was?!«

»Kranich ist heute Nacht gestorben.«

Troller starrte den anderen fassungslos an. »Woran?«, brachte er schließlich heraus.

Schmidt-Schönbein zuckte mit den Achseln: »Ich hab nur die dpa-Meldung gelesen.«

Die dpa-Meldung. Er hatte heute die Meldungen nicht gelesen.

Abrupt ließ er Schmidt-Schönbein stehen und rannte zum Ausgang. Während er im Fahrstuhl stand, überschlugen sich seine Gedanken. Wieso war Kranich tot? Er hatte doch gestern mit ihm gesprochen, seinen Vortrag gehört. Dann war Kranich nicht zu ihrer Verabredung gekommen. Er hatte ihm etwas Wichtiges mitteilen wollen, etwas, das mit Eklunds Tod zusammenhing. Seine Stimme am Telefon hatte geklungen, als hätte er vor irgendetwas Angst gehabt. Aber vor was? Vor wem?

Er hastete in sein Büro und rief im Internet die Seite mit den neuesten Agenturmeldungen auf. Dann las er:

Zukunftsforscher tot aufgefunden

Der Zukunftsforscher Ralph G. Kranich ist tot. Der 47-jährige international renommierte Professor für Futorologie starb gestern unter noch ungeklärten Umständen in Berlin.

Ein Polizeisprecher teilte mit, die Leiche des Wissenschaftlers sei gestern von zwei Spaziergängern gegen 23.30 Uhr unter einer Brücke am Landwehrkanal gefunden wurden. Die 18- und 21-jährigen Augenzeugen hätten angegeben, sie hätten den Toten zunächst für einen schlafenden Obdachlosen gehalten, so der Polizeisprecher weiter.

Die Todesumstände des Zukunftsforschers geben der Polizei allerdings Rätsel auf. Ein Raubmord, so der Polizeisprecher, könne ausgeschlossen werden. Der Tote habe Kreditkarte, Scheckheft und eine größere Summe Bargeld bei sich getragen. An dem Toten wurde keinerlei Zeichen äußerer Gewaltanwendung festgestellt. Aufschluss über die noch ungeklärte Todesursache soll jetzt eine Obduktion bringen. Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen übernommen.

Kranich gehörte zu den bekanntesten und umstrittensten europäischen Zukunftsforschern. Aufsehen erregte der Wissenschaftler in den vergangenen Jahren vor allem durch seine Forschungen zur künstlichen Intelligenz.

Die Polizei sucht jetzt nach Zeugen, die den Wissenschaftler gestern zwischen 21.00 und 23.00 Uhr in Berlin gesehen haben.

Sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen, (dpa)

Kranich war also wirklich tot. Oder war es ein Irrtum, eine Falschmeldung?

Wie in Trance gab Troller dem Drucker den Befehl, die Agenturmeldung auszudrucken. Als er das Papier in den Händen hielt, las er die Meldung noch einmal durch, als könne er etwas entdecken, das auf dem Monitor noch nicht zu sehen gewesen war. Irgendeine Information, die er übersehen hatte. Aber da war nichts. Kranich war tot.

Wieso war er nach seinem Vortrag nicht ins Restaurant gekommen? Wieso war er an den Landwehrkanal gegangen? Hatten die beiden Ausländer etwas damit zu tun, der Asiat und der Clint-Eastwood-Typ? War Kranich mit ihnen zusammen an den Kanal gegangen oder allein?

Es gab keine Antworten. Noch nicht einmal die Todesursache stand fest. Er musste die Obduktion abwarten. Er musste sich beruhigen.

Aber er fand keine Ruhe. Ein Gedanke, der ihm schon durch den Kopf geschossen war, als Schmidt-Schönbein gesagt hatte, Kranich sei tot, nahm nun ganz und gar von ihm Besitz. Kranich war ermordet worden. Troller war sich plötzlich ganz sicher. Sein Tod musste im Zusammenhang mit dem Anruf stehen. Er hatte ihm etwas über Eklund erzählen wollen, aber nicht am Telefon. Was für eine Verbindung gab es zwischen den beiden?

Als Troller aufstand, spürte er, wie seine Knie weich wurden. Er hielt sich am Stuhl fest und blieb einen Augenblick stehen. Dann ging er in die kleine Teeküche auf dem Gang, nahm ein Glas, goss sich Wasser ein und trank es in einem Zug aus. Sein Herz hämmerte. Seine Zunge fühlte sich immer noch trocken an. Er trank ein zweites Glas, füllte das Glas ein drittes Mal mit Wasser und ging damit zurück in sein Büro.

Der Computer war immer noch online. Troller rief die Suchmaschine auf und gab ein:

»John Eklund« »Ralph Kranich«

Das Ergebnis waren 286 Nennungen, in denen entweder Kranich oder Eklund vorkamen, aber keine für beide zusammen. Sie hatten offenbar nie etwas zusammen veröffentlicht und waren auch nicht zusammen aufgetreten. Troller schaute sich ein paar der angeführten Einträge genauer an, aber da es sich, abgesehen von allerlei zoologischen Einträgen, immer nur um Veröffentlichungen und Veranstaltungen von entweder Kranich oder Eklund handelte, gab er bald wieder auf. So kam er nicht weiter.

Er hätte Kranich gestern gleich am Telefon fragen sollen: Was ist mit Eklund? Aber woher hätte er wissen sollen, dass Kranich ein paar Stunden später nicht mehr leben würde? Er hatte gesagt, der Tod Eklunds sei erst der Anfang. Der Anfang von was?

Troller beschloss Kranichs Vortrag in Gedanken noch einmal durchzugehen, aber es fiel ihm nicht leicht. Gestern noch hatte Kranich so lebendig und mitreißend gewirkt, und jetzt lag er in einem Kühlfach der Gerichtsmedizin und wartete auf seine Obduktion.

Hatte Kranich eigentlich den Namen Eklund erwähnt? Nein. Es hatte nur diesen merkwürdigen Moment während des Vortrags gegeben, dieses seltsame Stocken, das Troller aber nicht unbekannt war. Kranich hatte auch früher schon solche Momente gehabt, ganz früher, bei den Proben mit der Band. Mitten im Stück hatte er aufgehört zu spielen und mit leerem Blick in die Ferne geschaut. Anfangs waren sie alle irritiert gewesen, doch nach einer Weile wussten sie, dass es sich bei diesen Absenzen um eine Art Meditation handelte, um eine Konzentration auf seine inneren Quellen. Danach war Kranich immer wieder voll da gewesen und hatte irgendein atemberaubendes Solo hervorgezaubert. Und bei dem Vortrag? Was war es da gewesen?

Troller versuchte, sich stichwortartig ins Gedächtnis zurückzurufen, was Kranich in diesem Moment gesagt hatte: Einheit der Wissenschaften – interdisziplinäre Zusammenarbeit – Blake-Konferenz – Hawaii 2011 – ano kato – drunter und drüber. War Eklund vielleicht auch auf dieser Konferenz gewesen?

Troller trank das Glas Wasser aus. Er wusste sich nicht mehr zu helfen. Sein Kopf sank auf die Platte seines Schreibtischs, und seine Schultern begannen leicht zu zucken.

Zweiter Stock, am Ende eines langen freudlosen Flurs. Troller trat ein, ohne anzuklopfen.

Kowalski, der Doku-Redakteur, blickte vom Bildschirm seines Computers auf. »Und?«

» Kranich «, sagte Troller.

»Vogel oder Professor?«

»Kowalski, bitte.«

»Ist ja gut«, sagte Kowalski. »Aber ich weiß nur, dass er heute Nacht gestorben ist.«

»Warum?«

»Frag den Arzt.«

»Komm, Kowalski, ich muss mehr darüber wissen.«

»Ich kann dir wirklich nicht weiterhelfen.«

»Vielleicht doch.« Troller erzählte ihm von dem Vortrag und von der Konferenz, 2011 auf Hawaii.

»Future Search Conference der WSS«, sagte Kowalski lakonisch.

»WSS?«

»World Survival Society – eine Art Club of Rome. Die Teilnehmer, alles Leuchten ihres Fachs, strebten so etwas wie eine Wiedervereinigung der Wissenschaften an. Ist aber nichts draus geworden.«

»Woher weißt du das alles?«

»Wieso? Das weiß man doch.«

Kowalski hatte ein schier unvorstellbares Gedächtnis. Er wusste, dass ihm in dieser Hinsicht niemand das Wasser reichen konnte, aber es bereitete ihm immer wieder Vergnügen, so zu tun, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Wahrscheinlich kompensierte er damit seinen geheimen Neid auf die schreibenden Redakteure. Er hätte selbst gern geschrieben, aber sein Gedächtnis war auch sein Problem. Wenn er über ein Thema schreiben wollte, fiel ihm so viel ein, dass er sich nicht entscheiden konnte, wo und wie er anfangen sollte. Und wenn er doch einen Anfang gefunden hatte, fand er kein Ende.

»Ich brauche alles über diese Konferenz«, sagte Troller. »Wer war dabei? Wie war der Verlauf? Was ist aus den Teilnehmern geworden? Was für eine Beziehung besteht zwischen ihnen? Haben sie heute noch Kontakt miteinander? Und so weiter. Außerdem gibt’s noch einen Wissenschaftler, der mich besonders interessiert. John Eklund.«

»Der Klimapapst? Dem sie das Gehirn geklaut haben?«

»Möglicherweise war er dabei.«

»Sind ’ne Menge Fragen«, sagte Kowalski und wiegte bedenklich den Kopf. »Bis wann brauchst du die Informationen?«

»Sofort. Wenn ich nicht bald loskomme, stehe ich im Stau.«

»Der Stau ist doch ein Geschenk der Götter. Entdeckung der Langsamkeit. Man sitzt und denkt.«

»Ich würde lieber in meinem Haus am See sitzen und denken. Bessere Aussicht, bessere Luft, bessere Gedanken.«

»Vorurteil. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass der Ort unerheblich für das kreative Denken ist. An den ungemütlichsten Plätzen sind die besten Ideen entstanden.«

»Dann muss dies hier ja ein wahnsinnig innovativer Ort sein«, sagte Troller mit Blick auf das chaotische Durcheinander, das in Kowalskis Verlies herrschte. »Also, bis wann?«

» Hab verdammt viel zu tun.«

Troller wusste schon, warum Kowalski sich zierte. Er war Gourmet. Er kochte hervorragend, sammelte kostbare Weine und speiste gern in teuren Restaurants. »Ich wollte übrigens mal wieder ins Langhans«, sagte er. »Hast du nicht Lust, mitzukommen?«

Kowalski wiegte den Kopf. »Es gibt eins, das mich mehr interessieren würde.«

»Das wäre?«

»Das Adlon.«

»Okay«, sagte Troller. »Wir gehen demnächst ins Adlon. Ich komm dann in ’ner Stunde wieder.«

Kapitel 4

DIE ENTSCHEIDUNG

Drei Stunden später stand Troller im Stau. Aus der Stadt heraus war er noch einigermaßen zügig gekommen, stop and go, aber jetzt war Schluss mit go.

Sein Blick fiel auf die Akte, die auf dem Beifahrersitz lag. Kowalski hatte ganze Arbeit geleistet. Es war ein ansehnlicher Packen. Computerausdrucke und Kopien von Zeitungsartikeln.

»Ist übrigens ein Foto dabei, das dich interessieren wird«, hatte Kowalski gesagt.

»Was für ein Foto?«

»Blake-Konferenz. Gruppenfoto aller zweiunddreißig Teilnehmer.«

»Zeitungsfoto?«

Kowalski nickte.

»Ein Artikel dazu?«

»Nur ein kurzer. Schau’s dir einfach an.«

Der Twingo hinter Troller hupte. Troller ließ den Motor an, entschuldigte sich mit einer Handbewegung dafür, dass er den Verkehr aufhielt, und fuhr zehn Meter vor. Dann konnte er den Motor wieder abstellen. Er nahm die Akte und suchte nach dem Foto.

Es handelte sich um einen Artikel der Wochenendausgabe der Washington Post vom 19.8.2011. Unter der Überschrift Five Minutes to Twelve. The Millennium Project of the WSS war ein großes Foto platziert, das die Teilnehmer der Konferenz zu Beginn der dreitägigen Zusammenkunft zeigte. Sofort fiel Troller Kranich ins Auge. Obwohl er in der zweiten Reihe stand, wirkte er wie die zentrale Figur. Irgendwas an ihm zog den Blick auf sich. War es sein heller Anzug? Oder der Strohhut? Oder lag es nur daran, dass Troller ihn am besten kannte? Direkt vor ihm stand ein kleiner Mann mit einer riesigen Aktentasche. Phineas Blake. Troller kannte ihn von Fotos aus der Zeit, als er den Nobelpreis bekommen hatte. Blake war der Organisator dieser Fünf-vor-Zwölf-Konferenz. Gab es noch mehr bekannte Gesichter?

Ja, da war Lennart Lansky, der berühmte KI-Forscher, wie immer in weiter Hose und mit heraushängendem Hemd, James Kagan, der britische Militärhistoriker, und zu Trollers Verblüffung auch J. F. Behrman, der ursprünglich ein berühmter Genetiker gewesen war, dann einer der schärfsten Wissenschaftskritiker und schließlich Esoteriker wurde.

Troller war beeindruckt. Blake hatte es geschafft, die absoluten Koryphäen der jeweiligen Zunft um sich zu scharen. Dass ein Fachwissenschaftler eine Konferenz mit einer solch bunten Mischung der verschiedensten Disziplinen zustande brachte, war zudem äußerst ungewöhnlich.

Noch ein paar weitere Gesichter kamen Troller bekannt vor, aber er hätte nicht auf Anhieb sagen können, um wen es sich handelte. Und dann entdeckte er ihn, links außen in der zweiten Reihe. Sein volles, fast weißes Haar leuchtete unverkennbar. John Eklund. Da waren sie also zusammen, Kranich und Eklund. Und nun waren sie beide tot.

Der Artikel der Washington Post berichtete davon, dass Phineas Blake die Hawaii-Konferenz einberufen hatte, um den drei Hauptgefahren für die Menschheit mit einer einzigartigen Bündelung transdisziplinären Know-hows zu begegnen. »Warum sollte das, was für die Rüstung möglich ist, nicht auch für das Wohl der Menschheit getan werden können?«, wurde Blake zitiert. »Was wir brauchen, ist eine Art Apollo-Programm zur Überwindung der Kriegsgefahr, der ökologischen Bedrohung und zur Entwicklung einer tragfähigen Bevölkerungspolitik.«

Journalisten hatten an der Konferenz nicht teilnehmen dürfen, auch nicht als Beobachter. Sie waren nur für einen Informations- und Fototermin zu Beginn zugelassen. Der Autor des Artikels war damit natürlich nicht einverstanden gewesen. »Ist das Wohl der Menschheit Geheimsache?«, fragte er. »Dient die Konferenz wirklich dem hehren Ziel, das Phineas Blake uns selbstherrlich in die Feder diktierte, oder verfolgen die Organisatoren in Wirklichkeit andere Zwecke? Und was für eine Rolle spielt Jeff Adams dabei?«

Das würde ich auch gern wissen, dachte Troller. Jeff Adams, der schon damals milliardenschwere Software-Gigant, war der Sponsor der Konferenz gewesen. Warum? Was hatte er sich davon versprochen?

Fast bedauerte Troller, dass der Stau sich auflöste. Die Leute vor ihm ließen die Motoren an und sausten los, als wollten sie der verlorenen Zeit nachjagen. Troller sauste hinterher.

Kurz vor acht bog er von der Landstraße ab. Sein Volvo holperte über das Kopfsteinpflaster der Seestraße, die nach zweihundert Metern durch ein dunkles Waldstück den Blick auf das Wasser freigab. Es war jedes Mal von neuem ein Glück, hier anzukommen, besonders wenn die Sonne schien, aber auch jetzt noch, wo der See wie ein rätselhaftes Wesen in der Dämmerung vor ihm lag. Troller fühlte, wie er sich entspannte, wie der Schmerz über Kranichs Tod nachließ und das Geheimnis, das ihn umgab, ein wenig an Bedeutung verlor.

Er fuhr an zwei Hotels und den dazwischen liegenden Wohnhäusern vorbei und hielt vor einem rau verputzen Haus, das durch das Erkerzimmer in der Mitte des Hochparterres und der ersten Etage in drei Partien unterteilt war, beinahe wie ein Schloss mit Seitenflügeln.

Troller sperrte die Haustür auf, ging in die Küche, öffnete eine Flasche Wein, probierte einen Schluck, um zu sehen, ob er einen Fehler hatte, und trug Flasche und Glas hinauf ins Erkerzimmer. Ein Glas würde er jetzt trinken. Dann würde er hinübergehen ins Restaurant. Sein Blick fiel auf die Akte.

Mach dir nichts vor, dachte er, du kommst doch nicht davon los. Kranich war dein Freund. Du kannst nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Er hat etwas über Eklunds Tod gewusst. Sie kannten sich zumindest von der Blake-Konferenz. Also versuch gar nicht erst zu denken, dass das alles Zufall ist. Schau dir wenigstens an, was Kowalski alles gefunden hat.

Er nahm die Akte und ging ins Restaurant des Seeschlösschens nebenan.

Die Kellnerin, eine zierliche Person mit kurzen roten Haaren, begrüßte ihn halb als Nachbarn, halb als Gast. Sie war immer so freundlich zu ihm, dass es ihn ganz verlegen machte. Er wünschte sich manchmal, er hätte den Mut, sie zu fragen, ob sie nicht mal an ihrem freien Tag mit ihm an die Ostsee fahren wollte. Aber er war auch wieder nicht sicher, ob er sie noch so begehrenswert finden würde, wenn er mit ihr allein wäre.

Er bestellte ein auf der Haut gebratenes Zanderfilet mit Safransauce und ein Glas sächsischen Weißburgunder. Während er auf das Essen wartete, nahm er sich die Akte vor. Erst jetzt sah er, dass Kowalski Dossiers über alle Teilnehmer der Blake-Konferenz zusammengestellt hatte. Eine abenteuerliche Mischung hatte Blake da zusammengebracht. Genforscher, Neurophysiologen, Militärforscher – alles, was dazugehörte, wollte man über die drängendsten Probleme der Welt konferieren. Als er Behrmans Dossier entdeckte, erinnerte er sich daran, wie er ihn vor ein paar Jahren auf dem Einstein-Forum kennen gelernt hatte. Nach der Veranstaltung waren sie in einer Musikkneipe gelandet, in der eine Jamsession stattfand. Behrman hatte einem Tenorsaxophonisten sein Instrument abgeschwatzt und dafür gesorgt, dass Troller auf einmal eine Gitarre in der Hand hatte. Und dann ging’s los. Sie hatten eine Ewigkeit zusammen improvisiert und waren die ganze Zeit auf derselben Welle geritten. Unglaublich war das. Oder waren sie beide nur blau gewesen?

Troller las weiter in dem Bericht. Blake sei es darum gegangen, schrieb der Reporter, die zersplitterten Wissenschaften wieder zusammenzuführen und die verloren gegangene Einheit des Wissens wiederherzustellen. Genau das hatte Kranich auch gesagt.

Warum bin ich bei den Recherchen für mein Buch nicht auf Blake gestoßen, dachte Troller. Blake war es immerhin gelungen, die namhaftesten Wissenschaftler aus aller Welt zusammenzubringen, und zwar aus demselben Interesse, das auch Troller in seinem Buch verfolgte.

Er aß sein Zanderfilet, zahlte, ging hinüber ins Haus und machte sich nun systematisch über die Dossiers der Wissenschaftler her, die an der Blake-Konferenz teilgenommen hatten. Als er ungefähr die Hälfte gelesen hatte, ging er hinunter in den Keller, holte sich eine zweite Flasche Rotwein und las weiter und weiter und weiter, bis er nicht mehr konnte. Zweiunddreißig Dossiers – und keinen Schritt vorangekommen. Nur müde war er. Und betrunken.

Als er aufwachte, hatte er rasende Kopfschmerzen. Zwei Flaschen waren einfach zu viel. Was er brauchte, war Aspirin, am besten für jede Flasche eins. Er stand auf, schlurfte ins Bad, warf zwei Brausetabletten in ein Glas mit Wasser und wartete darauf, dass sie sich auflösten. Nun kommt schon. Es sprudelte und schäumte, wühlte das Wasser auf und beruhigte sich wieder. Der Rest schwamm sichelförmig, weißlich oben. Runter damit. Und wieder warten. Wenn sie wirkten, könnte er vielleicht wieder einschlafen. Es war zwanzig vor sechs. Viel zu früh, um aufzustehen. Trotzdem beschloss er, sich einen Kaffee zu machen.

Während er die Maschine in Gang setzte, versuchte er sich zu erinnern, was er in der Nacht geträumt hatte, aber er kam nicht mehr drauf.

Als der Kaffee durch war, nahm er die Kanne mit ins Wohnzimmer, schenkte sich eine Tasse ein und zog die Vorhänge zurück. Da war er: der See. Milchigweiß lag er da. Dunst lag über dem Wasser. Der Tag kündigte sich an. Die Vögel hatten ihren Klangteppich schon ausgebreitet. Er liebte diese einzigartigen Morgenstunden am still daliegenden See. Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Das Aspirin begann zu wirken.

Die Akte lag immer noch auf dem Tisch. Mehr als zwei Dutzend Dossiers und keine Erkenntnis, keine Antwort auf die Fragen, die er sich gestern Abend immer wieder gestellt hatte. Vielleicht waren es die falschen gewesen?

Er ging ins Bad, putzte sich die Zähne, rasierte sich und ging unter die Dusche. Als ihm das warme Wasser über den Kopf lief, fiel ihm auf einmal ein, welche Fragen er sich noch nicht gestellt hatte: Was war eigentlich aus den Teilnehmern der Konferenz geworden? Wie viele von ihnen lebten noch? Wie viele waren tot? Gab es noch andere, die ermordet wurden?

Ein paar Minuten später saß er am großen Tisch und ging die Dossiers noch einmal durch. Neun der zweiunddreißig Teilnehmer waren inzwischen gestorben. Kranich und Eklund mitgerechnet, elf. Immerhin mehr als ein Drittel. War das ungewöhnlich?

Der Gesichtspunkt Todesort ergab jedenfalls nichts. Alle elf Wissenschaftler waren an unterschiedlichen Orten gestorben. Ein Muster war nicht zu erkennen. Auch die Todesarten deckten das normale Spektrum ab: Herzinfarkte, Krebserkrankungen, Unfälle.