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Nur ein Moment mit ihm, um die Welt zu vergessen ...
Nach einer Beziehung, die sie fast zerstört hätte, und einer Trennung, die zu einem öffentlichen Skandal wurde, hat sich Popstar Ashley Cruz endlich zurückgekämpft. Ihre neue Musik soll zeigen, dass sie niemanden mehr braucht. Kein Drama, kein Gerede über ihre Vergangenheit - und schon gar keine Schlagzeilen über Männer an ihrer Seite. Doch dann begegnet sie Logan Buckley, gefeierter Gitarrist von Scarlet Luck, der angesagtesten Band der Welt. Ein harmloser Moment wird zu mehr - eine Freundschaft mit gewissen Vorzügen, ohne Verpflichtungen, und vor allem ohne Öffentlichkeit. Doch je näher sie sich kommen und je mehr sie übereinander erfahren, desto mehr verschwimmen ihre Regeln. Und bald schon muss sich Ashley fragen, ob sie nicht doch bereit ist, Logan in ihr Herz zu lassen ...
Eine Standalone-Romance in der Welt von SCARLET LUCK
Nach LONELY HEART und FRAGILE HEART - der lang ersehnte neue Band der SCARLET-LUCK-Reihe von Platz-1-SPIEGEL-Bestseller-Autorin Mona Kasten
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Seitenzahl: 493
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Über das Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
Playlist
Part I
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Part II
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Part III
20
21
22
23
24
25
26
27
28
Part IV
29
30
31
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33
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36
37
38
39
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Bücher von Mona Kasten bei LYX
Leseprobe
Impressum
MONA KASTEN
Gentle Heart
ROMAN
Seit Ashley Cruz denken kann, steht sie im Rampenlicht. Als Schauspielerin, Sängerin – und zuletzt wegen ihrer Beziehung mit dem toxischen Rapper Menace, die von den Medien ausgeschlachtet wurde und die nicht nur ihr Herz, sondern beinahe auch ihre Karriere zerstört hätte. Nie wieder will Ashley so etwas durchmachen, nie wieder ihr Privatleben so in die Öffentlichkeit tragen. Deshalb hat sie sich geschworen: keine Beziehungen mehr, schon gar nicht mit jemandem, der selbst berühmt ist. Mit ihrem neuen Album will sie der Welt zeigen, dass sie niemanden braucht und ihr Leben wieder selbst bestimmt. Doch ausgerechnet auf der Releaseparty trifft sie auf Logan Buckley, den Gitarristen von Scarlet Luck, der angesagtesten Band der Welt. Logan ist viel zu ruhig, viel zu aufmerksam und viel zu attraktiv – und steht mit seinem Leben in der Öffentlichkeit für all das, was Ashley eigentlich hinter sich lassen wollte. Dennoch kann sie sich nicht gegen die Anziehungskraft wehren, die er auf sie ausübt. Gegen ihre Vernunft schließt sie einen Deal mit ihm: eine Freundschaft mit gewissen Vorzügen, ohne Verpflichtungen, ohne Gefühle und vor allem fernab der Öffentlichkeit. Doch je näher sie Logan kommt und je mehr sie über ihn und sein Leben erfährt, desto stärker geraten ihre Regeln ins Wanken. Und bald schon muss sich Ashley fragen, ob sie nicht doch bereit ist, Logan in ihr Herz zu lassen …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält Elemente, die triggern können. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für alle, die den Mut haben, immer wieder über sich hinauszuwachsen.
that way – Tate McRae
messier – Tate McRae
positions – Ariana Grande
Maroon – Taylor Swift
I Wanna Be Yours – Arctic Monkeys
Tidal Wave – Chase Atlantic
SLIDE – Chase Atlantic
Better Than This – Lauv
Please Me – Cardi B, Bruno Mars
Heartbreaker – Justin Bieber
Lächeln und Tränen sind bei mir so ähnlich, sie sind nicht auf bestimmte Gefühle beschränkt: Ich weine oft, wenn ich glücklich bin, und lächle, wenn ich traurig bin.
Anne Brontë
Ashley
Wenn ich eines kannte, dann das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Genau so sah Adam »Beast« Sinclair in dieser Sekunde aus, während er an der Bar auf meiner Terrasse stand und die Cocktails begutachtete, die an diesem besonderen Abend zubereitet worden waren. Er beäugte die fein verzierten Gläser mit leicht gerümpfter Nase. Auch das konnte ich ihm nicht verdenken. Das Zeug war wirklich speziell und durch die blaue Farbe wirkte es auf die meisten Gäste abschreckend. Das funkelnde Blau mit dem essbaren Glitzer darin passte perfekt zu meinem neuen Album, das heute Nacht releast wurde.
»Glaub mir, den Gesichtsausdruck hatte ich auch, als sie mir die Cocktails zum ersten Mal gezeigt haben«, sagte ich und trat neben Beast. Er musterte mich kühl.
Ich kannte ihn nicht wirklich, nur so, wie man eben Leute in Hollywood kannte, wenn man in derselben Branche steckte, und sein abschätziger Blick machte seinem Ruf alle Ehre. Er war Drummer bei Scarlet Luck, einer der angesagtesten Bands zurzeit, und angeblich war Beast eine einzige Eiswand, die durch nichts zum Schmelzen gebracht werden konnte. Als ich ihm zulächelte, zeigte seine Miene keine Regung. Er hatte Ausdruckslosigkeit scheinbar perfektioniert. Aber das war okay für mich. Am heutigen Abend war mir ohnehin alles so ziemlich egal. So egal, wie es einem eben sein konnte, wenn man sich auf der eigenen Party befand und kaum jemanden richtig kannte. Nur deshalb redete ich weiter mit diesem Typen, der offensichtlich von seinem Label gezwungen worden war, hier aufzukreuzen.
»Davon wird sogar die Zunge blau.« Um das zu veranschaulichen, streckte ich sie ihm entgegen, woraufhin sein Blick skeptisch wurde.
»Wenn das dafür sorgen soll, dass ich das Zeug probiere, ist deine Strategie nicht besonders erfolgversprechend«, gab er zurück, und ich zuckte mit den Achseln. Was echt keine gute Idee war, denn prompt verlor ich das Gleichgewicht. Ich schwankte zur Seite, geradewegs gegen die Bar, und die Gläser darauf klirrten unheilvoll.
»Ups«, murmelte ich, als Beasts Drink über die Theke geschoben wurde. Er nahm ihn entgegen und nickte mir zu.
»Willst du dich setzen?«, fragte er.
Ich strahlte. Der Kerl schien doch gar nicht so übel zu sein, wie alle stets behaupteten. Da steckte bestimmt ein ganz weiches Herz in ihm, tief vergraben unter der Eisschicht.
Als Beast kehrtmachte und zurück in mein Haus lief, folgte ich ihm auf den High Heels, die mit voranschreitender Stunde immer wackeliger zu werden schienen – und das, obwohl ich auf hohen Schuhen lief, seit ich zwölf war. Ich war froh, als wir bei der Couch ankamen, wo ein weiteres Mitglied von Scarlet Luck saß.
Er spielte mit einer Handheld-Konsole und ich musste zugeben, dass ich ein klein bisschen neidisch auf ihn war. Wie gern ich allen hier gezeigt hätte, dass ich genauso wenig an ihrer Gesellschaft interessiert war wie sie an meiner. Doch heute hatte ich mir eigentlich etwas ganz anderes vorgenommen. Der heutige Abend sollte ein Symbol dafür werden, dass ich noch feiern konnte. Dass ich stolz auf mich und meinen Erfolg sein konnte, ohne Rücksicht darauf, wer damit vielleicht ein Problem haben würde.
Es war Ewigkeiten her, seit ich das letzte Mal richtig gefeiert hatte. Denn jedes Mal, wenn ich auf Partys war, höllisch gut aussah, mich toll fühlte und begann, Spaß zu haben, hatte ich seine Stimme im Ohr. Aber jetzt nicht mehr. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Deshalb hatte ich heute auch extra auf die Kacke gehauen, das wunderschöne Kleid eines befreundeten Designers angezogen, mich stylen lassen und sah genau aus wie das, als was die meisten mich kannten: ein Superstar. Eigentlich sollte ich mich sexy fühlen. Wundervoll. Wie die Hauptperson des heutigen Abends. Leider war dem nicht so, und ich zweifelte daran, dass ich mich jemals wieder frei und gut fühlen würde. Ich kämpfte seit Jahren darum, und mal klappte es mehr, mal weniger. Jetzt gerade eher weniger.
»Dein Freund scheint auch nicht besonders begeistert von der Party zu sein«, sagte ich nach einer Weile zu Beast und nickte zu seinem Bandkollegen, an dessen Namen ich mich nicht mehr ganz erinnern konnte. Es war auch irgendetwas mit B. Glaubte ich zumindest.
»Er ist nicht so das Partytier«, drang Beasts Stimme wie aus weiter Ferne an mein Ohr, während ich seinen Freund nach wie vor musterte. Der weite löchrige Strickpullover und seine Haltung ließen eine schlaksige Statur vermuten, sein blondes Haar war durcheinander, als wäre er mehrfach hindurchgefahren. Er wirkte völlig weggetreten, eingenommen von dem Spiel, das all seine Aufmerksamkeit erforderte.
Ich nippte an meinem Cocktail. »Da geht es ihm wohl genauso wie mir«, murmelte ich. »Keine Ahnung, was ihr alle hier wollt. Ich kenne nicht mal drei der Gäste persönlich.«
Beast trank ebenfalls einen Schluck, doch mir entging sein skeptischer Blick nicht. Ich hatte das Gefühl, noch mehr sagen zu müssen.
»Ich meine, klar, ich kenne dich. Und ich weiß auch, wer dein Freund da ist. Aber richtig kennen tue ich niemanden. Keine einzige Person hier.«
Er ließ die Worte eine Weile sacken, bis er schließlich trocken antwortete: »Willkommen in Hollywood.«
Wir leerten beide unsere Getränke, und ich sah mich noch einmal in dem kargen Wohnzimmer um. All diese Leute hier … wie gern ich mich über sie gefreut hätte. Wie gern ich ebenfalls auf einem der Tische getanzt hätte, laut und ausgelassen, ohne einen Hauch der Last, die mich niederdrückte. Und je verzweifelter ich mir das wünschte, desto größer wurde mein Zorn.
»Verfickte Scheiße.« Erst als Beast mich verwundert ansah, wurde mir bewusst, dass ich das laut ausgesprochen hatte, und sofort schaute ich mich noch einmal um. Wenn irgendwer aus meinem Team mitbekam, dass ich laut herumfluchte, würde ich Ärger bekommen. Als ich niemanden entdeckte, drehte ich mich wieder zu Beast. »Sorry.«
Ich wollte noch mehr sagen, als sein Bandkollege das Wort ergriff. »Fluchen ist gut«, sagte er unvermittelt und nahm den Blick von seiner Konsole. »Dafür …«
Zum ersten Mal, seit ich bei ihnen saß, sah er mich an. Der Blick seiner grünen Augen bohrte sich in meinen, und der Rest seines Satzes verwandelte sich in ein merkwürdig raues Keuchen. Er spähte an mir hinab, nur ganz kurz, bevor er wieder in mein Gesicht schaute und ein paarmal blinzelte, als handelte es sich bei mir um eine Art Halluzination. »Dafür braucht man sich nicht zu entschuldigen«, führte er den Satz schließlich zu Ende.
Er wirkte, als hätte es ihm den Atem verschlagen, und irgendwie fand ich es süß. Ein Kichern verließ meinen Mund, bevor ich es zurückhalten konnte. »Gut, dann ziehe ich die Entschuldigung zurück.«
»Sehr schön.« Er hatte eine angenehme Stimme. Sanft und leise mit einem irischen Akzent. Und er wirkte überhaupt nicht so kühl wie der undurchdringliche Beast. Alles an ihm war warm: von dem Ausdruck in seinen Augen bis hin zum Lächeln, das in seinen Mundwinkeln lag.
Als er den Blick zurück auf sein Spiel richtete, mich dann wieder ansah und das Ganze noch ein paar Mal wiederholte, nahm ich ihm die Entscheidung ab und beugte mich näher zu ihm. »Was spielst du da?«
»The Witcher«, gab er zurück. Dann hielt er mir die Konsole hin. »Willst du mal?«
Beast neben mir atmete scharf ein. Dann erhob er sich wortlos, als würde er den Platz zwischen uns frei machen wollen. Sofort rutschte ich dichter zu seinem Bandkollegen und zog die Knie auf die weiße Couch. »Okay. Aber bevor ich deine Konsole mit meiner Unerfahrenheit entweihe, sollte ich dich vielleicht noch mal nach deinem Namen fragen. Der ist mir nämlich gerade peinlicherweise entfallen.« Ich konnte selbst hören, dass ich teilweise über die Worte stolperte, aber immerhin war das hier eine Party. Ich durfte trinken. Genauso, wie ich mit süßen Männern flirten durfte, die mich ansahen, als wäre ich anbetungswürdig.
»Ich bin Logan Buckley. Meine Freunde nennen mich Buck«, sagte er und drückte mir seine Nintendo Switch in die Hand. Seine Finger streiften meine und dort, wo er meine Haut berührte, kribbelte es.
»Ich bin Ashley. Meine Freunde nennen mich Ash«, gab ich lächelnd zurück.
Als Logan mein Lächeln erwiderte, schlug etwas in meinem Magen einen Salto. Es schien von Herzen zu kommen, und sein Blick wurde noch wärmer, was das Kribbeln in meinem ganzen Körper ausbreiten ließ. So ein schönes Gefühl. Ich hatte fast vergessen, dass ich dazu noch imstande war.
In diesem Moment nahm ich mir fest vor, mir heute Nacht noch mehr davon zu holen.
Logan
Normalerweise konnte ich Partys nicht ausstehen.
Nicht die vielen Menschen, nicht die Lautstärke und schon gar nicht den oberflächlichen Small Talk, den ohnehin niemanden interessierte. Jetzt hatte sich meine Einstellung allerdings um hundertachtzig Grad gedreht. Was an der Frau lag, die gerade meine Konsole in der Hand hielt und mit Geralt ihr fünftes Pferderennen absolvierte. Ich spielte das Spiel zum dritten Mal, weil ich mich gern in der Welt des Hexers verlor, doch Ashley schien mehr Gefallen an Geralts Pferd Plötze zu finden. Während ich hingegen großen Gefallen an Ashley gefunden hatte. Normalerweise mochte ich nicht mit Fremden reden, aber ein Blick in ihr Gesicht und auf ihre gesamte Erscheinung hatte genügt, um all meine Vorbehalte kurzzeitig zu vergessen.
Als ich sie vor einer knappen Stunde gesehen hatte, war mir buchstäblich die Luft weggeblieben. Das silbrige Kleid schmeichelte ihrer gebräunten Haut, auf der überall Glitzer verteilt worden war, und zusammen mit ihren dunklen Haaren hatte sie auf mich im ersten Moment wie eine Elfe aus einer anderen Welt gewirkt. Kein Witz. Dabei waren es ihre Worte gewesen, die mich überhaupt erst dazu bewogen hatten, mit ihr zu sprechen. Man hatte ihnen deutlich angehört, wie wenig Lust sie auf ihre eigene Party hatte und dass ihr das alles gegen den Strich ging. Das hatte ich gut nachvollziehen können, denn mir ging es oft ganz genauso, weshalb ich bloß selten mit meinen Bandkollegen zu Hollywood-Partys ging. Da war eine Verbundenheit zu dieser Fremden. Eigentlich hätte ich nicht so erstaunt sein müssen, als ich sie erblickt hatte, immerhin waren wir uns bei der einen oder anderen Awardshow begegnet. Aber da hatte ich sie nie richtig angesehen. Nicht so wie jetzt. Im Vorbeigehen fiel einem nicht auf, wie viel Schmerz in den Augen einer Person lauerte. Man sah nicht, wie jemand die Hände zu Fäusten ballte, weil er sich krampfhaft davon abhielt, das zu sagen, was ihm eigentlich durch den Kopf ging. Und man bemerkte nicht, wie einsam jemand umgeben von unzähligen Menschen aussehen konnte. All das und noch mehr erkannte ich in Ashleys Miene und ihrer gesamten Erscheinung. Nur war inzwischen etwas von der Verlorenheit verschwunden. Ihre Augen funkelten siegessicher, als sie auf den Knöpfen der Konsole herumdrückte, und der Anblick gefiel mir viel besser, als wenn sie sich unsicher hin und her wand, weil sie Angst hatte, das Falsche zu sagen.
»Ash?«, erklang eine Stimme über die dröhnende Musik hinweg und sofort riss Ashley den Kopf hoch.
Vor uns stand ein Mann mit dunklem Haar, gebräunter Haut und angegrauten Schläfen. Er trug einen teuer aussehenden Anzug und eine rahmenlose Brille und hielt ein überdimensional großes Blumenbouquet aus tiefblauen Rosen in der Hand, die in einer schwarzen Box drapiert waren. Ashleys Augen wurden groß. Benommen reichte sie mir meine Switch zurück, dann nahm sie das Bouquet entgegen.
»Es ist eben angekommen«, sagte er mit einem höflich distanzierten Lächeln. »Noch mal herzlichen Glückwunsch.« Er nickte ihr kurz zu und verschwand zurück in der Menge.
Stirnrunzelnd sah ich ihm nach, dann wieder zu Ashley. Mit einem Mal waren ihre Wangen aschfahl, ihre Augen groß.
»Alles klar bei dir?«, fragte ich, doch sie schien mich gar nicht mehr wahrzunehmen. Stattdessen zog sie eine weiße Karte aus dem Bouquet und klappte sie auf. Keine Ahnung, was darauf stand, doch als sie den Inhalt las, fing ihre Hand an zu zittern. Hatte ich eben noch gedacht, dass sich Verlorenheit in ihrer Miene widerspiegelt, wurde ich nun eines Besseren belehrt. Da war nur noch Leere. Leere und dann ein unsäglicher, tiefschürfender Schmerz, noch viel intensiver als zuvor.
»Ashley?« Sie reagierte nicht. Ihr Blick war auf irgendeinen Punkt auf dem Boden gerichtet und so weggetreten, dass ich langsam Angst bekam. Vorsichtig berührte ich sie am Arm. Das schien sie zurückzuholen. Sie sah mich an, ein verdächtiger Glanz in den Augen.
»Tut … tut mir leid«, stammelte sie und erhob sich von der Couch. Im nächsten Moment taumelte sie los. Ich konnte nur noch von hinten sehen, wie sie sich mit dem Handrücken über die Wangen wischte.
Fuck. Das war gar nicht gut. Ich hatte zwar keine Erfahrung mit Situationen wie dieser, eines aber war mir sofort bewusst: Ich konnte sie keineswegs betrunken und in diesem Zustand allein lassen. Also sah ich zu, dass ich meine Konsole mit Müh und Not in die hintere Hosentasche schob und ihr hinterherlief. Nur nebenbei nahm ich wahr, dass Thorn mich rief, doch ich brachte nur ein halbherziges Winken zustande. Ashley war ganz schön schnell dafür, dass sie taumelte und mörderisch hohe Schuhe anhatte, aber auf der Treppe nach oben holte ich sie ein. Im ersten Stock angekommen, bog sie links ab, öffnete die erste Tür und verschwand in dem Raum dahinter. Die Tür war nur angelehnt und ich zögerte. Doch dann tönte ein lautes Klirren, kurz danach ein Schluchzen, und mein Entschluss war gefällt. Ich schob mich durch den schmalen Spalt und schloss die Tür hinter mir. Gleich darauf sah ich, woher das Klirren gekommen war: Ashley hatte das Bouquet mitsamt Box gegen den Badezimmerspiegel geworfen, der nun mehrere Sprünge aufwies, die sich in gezackten Linien in alle Richtungen zogen. Mit beiden Armen stützte sich Ashley auf den Waschtisch, und ihre Schultern bebten.
Ich war mir nicht sicher, ob ihr klar war, dass ich ihr nachgekommen war, also machte ich mich mit einem Räuspern bemerkbar. Sie fuhr zu mir herum. Tränen waren über ihre Wangen gelaufen und hatten ihre Schminke verwischt, dunkle Spuren hatten sich unter ihren Augen gesammelt.
»Kann ich irgendetwas für dich tun?«, fragte ich, unsicher, ob ich überhaupt das Recht hatte, sie so etwas zu fragen. Immerhin kannten wir uns kaum.
Ashley überlegte. Dann wich die Traurigkeit aus ihrem Gesicht, und ein entschlossener Ausdruck zeichnete sich auf ihrer Miene ab. »Ja«, sagte sie und wischte sich mit den Händen über die Wangen und unter den Augen entlang. »Da gibt es tatsächlich etwas.«
Ich horchte auf. »Sag mir was, und ich mache es möglich.«
Sie räusperte sich. Drückte dann die Schultern nach hinten, durchquerte langsam und leicht schwankend das Badezimmer, bis sie bei mir angekommen war. Durch dichte, schwarze Wimpern sah sie mir ins Gesicht, wobei sie auf ihren Schuhen fast mit mir auf Augenhöhe war. Langsam hob sie die Hände und legte sie mir auf die Brust. Mein Mund wurde trocken, als sie sanft zu meinen Schultern hinaufstrich, bis sie die Arme schließlich um meinen Hals schlang.
»Dich zu treffen ist mit Abstand das Beste, was mir heute passiert ist, Logan Buckley.« Bei ihren Worten kehrte das lebendige Funkeln in ihre dunklen Augen zurück, und mein Puls beschleunigte sich. »Bitte mach meinen Abend noch schöner und lenk mich von diesem ganzen Scheiß ab.«
Logan
Einen Moment lang fragte ich mich, ob ich vielleicht etwas falsch verstanden haben könnte. Mein Hirn schaltete manchmal nämlich ziemlich langsam. Als Ashley anfing, mit ihren Fingern über meinen Nacken bis zum Haaransatz zu streicheln, und dabei ihr Blick zu meinem Mund glitt, schoss mir eine Mordshitze in die Wangen und den gesamten Körper.
Man musste schon wirklich sehr schwer von Begriff sein, um das misszuverstehen. Ich war wie hypnotisiert von ihren dunklen Augen, aus denen die aufgewühlten Emotionen von zuvor nun völlig verschwunden waren. In dem tiefen Braun war nur noch Sehnsucht zu erkennen. Sehnsucht nach … ja, wonach eigentlich? War es wirklich Sehnsucht nach mir? Oder eher Ablenkung von dem Absender der Blumen?
Leider schien meinem Körper die Antwort egal zu sein. Wie von selbst lehnte ich mich in die Berührung und legte eine Hand an Ashleys Taille. Der Stoff des Kleides fühlte sich kühl und hauchzart an und erinnerte mich an flüssiges Silber. Der merkwürdige Impuls, ihn zu zerreißen, keimte in mir auf.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, murmelte ich, als sie mit einer Hand zurück über meine Schulter bis hin zu meinem Brustkorb fuhr, während die andere in meinem Nacken verharrte und mit dem sanften Streicheln fortfuhr. Oh, sie war gut darin. Sehr gut sogar. Ich konnte nur schwer einen klaren Gedanken fassen, wenn sie mich so berührte.
»Ich halte das für eine sehr gute Idee.« Ihre Lippen glitzerten im Licht des Badezimmers, genau wie ihre nackten Schultern und ihr gesamtes Dekolleté. Stockend stieß ich die Luft aus. Ich tat das hier nicht häufig, dafür war ich nicht der Typ. Ich fühlte mich bloß selten zu irgendwem hingezogen, und wenn ich es tat, waren die Frauen in den meisten Fällen an etwas anderem interessiert als ich.
»Wieso?« Ich war mir nicht sicher, ob sie verstand, was ich mit der Frage bezweckte.
Sie sah mir weiter in die Augen. »Weil du mir erlaubt hast zu fluchen, obwohl mir sonst immer jeder sagt, dass ich gefälligst aufpassen soll, mein Image nicht zu beschädigen. Weil du der Einzige warst, der mir am heutigen Abend ein gutes Gefühl vermittelt hat. Weil ich dich gerade einfach wahnsinnig gern küssen würde.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich meine Hand an ihrer Taille weiter nach hinten bis auf ihren Rücken schob. Wie hypnotisiert zog ich sie an mich. All die Gründe, weshalb das hier wahrscheinlich keine gute Idee war, rückten plötzlich in den Hintergrund. Ashleys Präsenz war so einnehmend, dass für nichts anderes mehr Platz blieb. Ihre Antwort hallte in meinem Kopf nach.
Sie wollte mich küssen.
Ich wollte sie küssen.
Es gab nur eine Antwort darauf.
»Alles klar.« Die Worte verließen meine Lippen so rau, dass ich mich fragte, ob sie mich überhaupt verstanden hatte. Aber wahrscheinlich waren weitere Worte jetzt auch überflüssig, denn irgendwie verselbstständigte sich mein Körper.
Ich wusste nicht, wer wen zuerst küsste, doch plötzlich lagen unsere Münder aufeinander. Meine zweite Hand fand den Weg an ihre Wange und ich neigte ihren Kopf, um ihre Lippen zu teilen. Ashleys Seufzen klang wie Musik in meinen Ohren und reines Feuer schoss durch meine Adern. Sie fuhr mit einer Hand in mein Haar und zog mich noch dichter an sich, obwohl unsere Zungen bereits miteinander tanzten. Mit der anderen Hand strich sie an meinem Rücken entlang, über meine Schulterblätter weiter nach unten zu meinem Hintern. Fest packte sie zu, und ich stöhnte auf und drängte mich gegen sie. Sie stolperte mit der Rückseite gegen den Waschtisch. Dann löste sie sich kurz von meinem Mund und ich half ihr auf die glänzende Marmoroberfläche. Ashley spreizte die Beine und zog mich wieder an sich. Da lag keine Finesse in unseren Küssen, sie waren wild und ungestüm und sorgten dafür, dass die Erektion in meiner Jeans pochte. Ashley berührte mich überall. Sie rieb sich an mir, als ich meinen Mund auf ihren Hals drückte und anfing, dort zu saugen.
»Beiß mich«, flüsterte sie, und ich kam ihrem Wunsch nach und grub die Zähne in ihrer Haut.
Das leise Wimmern, das sie ausstieß, war gefährlich. Denn es sorgte dafür, dass ich ihr noch viel mehr Wünsche erfüllen wollte. In diesem Moment hätte ich wahrscheinlich alles für sie getan.
Irgendwann glitten ihre Hände unter meinen Pullover und das darunter liegende T-Shirt und schoben beides nach oben. Bereitwillig hob ich die Arme und ließ zu, dass sie es mir auszog. Meine Finger tanzten über ihre Haut, bewegten sich über ihre Schultern, unter die dünnen Träger dieses magischen Kleides und streiften sie zur Seite, sodass der obere Teil des Stoffes hinunterrutschte und viel, viel nackte Haut preisgab. Scharf holte ich Luft. Ich küsste sie flüchtig.
»Du bist verflucht schön«, murmelte ich.
Dann küsste ich erneut ihren Hals.
Ihr Schlüsselbein.
Ihre Brüste.
Ashley lehnte sich auf den Armen zurück, und als ich einen kurzen Blick nach oben riskierte, hatte sie die Augen geschlossen, ihr Gesicht leuchtete vor Verzückung. Dieser Anblick gefiel mir besser als alles andere. Ich konnte dafür sorgen, dass sie so aussah. Glücklich. Hingerissen. Lebendig. Wie berauschend das war.
Wieder widmete ich mich ihrer nackten Haut und genoss die leisen Geräusche, die sie ausstieß. Ihre fordernden Berührungen. Die Art, wie sie meinen Namen sagte. Noch nie hatte jemand meinen Namen auf diese Weise ausgesprochen, voller Verlangen und ehrlicher Sehnsucht. In meiner Brust zog sich wehmütig etwas zusammen.
Irgendwann nahm sie mein Gesicht in ihre Hände und führte meinen Mund wieder zu ihrem. Ihr Kuss war so leidenschaftlich, dass er mir förmlich den Boden unter den Füßen wegriss. Ihre nackte Haut traf auf meine und ich schien zu schweben … bis ihre Hände plötzlich zu meinem Hosenbund wanderten.
Als sie an meinem Gürtel herumnestelte, war es, als hätte man mich mit Eiswasser übergossen. Ich löste mich von ihr und packte ihre Hände. Dann brauchte ich ein paar Atemzüge, bis ich mich einigermaßen gefasst hatte.
»Das geht nicht, Ash«, stieß ich rau hervor.
Sie schluckte schwer und sah mich mit lustverhangenem Blick an und, bei Gott, noch nie hatte ich mich beschissener gefühlt als in diesem Augenblick. Sie sah an sich hinab, auf ihren halb entblößten Körper, von dem ich vor weniger als einer Minute nicht genug hatte kriegen können.
»Okay«, flüsterte sie. Dann, nach einem Moment: »Habe ich etwas falsch gemacht?«
Sofort schüttelte ich den Kopf. »Nein. Nein, überhaupt nicht.«
Es gab verschiedene Gründe dafür, dass ich innehielt, und ich war mir nicht sicher, wie ich es erklären sollte. Allem voran war es nicht richtig. Genau genommen war es sogar verdammt falsch. Sobald sie morgen nüchtern aufwachte, würde ihr das bestimmt auch bewusst werden. Trotzdem beugte ich mich noch mal vor. Ich küsste ihre Wange, dann ihren Mundwinkel. Ihr Blick wirkte vernebelt, gleichzeitig bildete sich eine kleine irritierte Falte zwischen ihren Augenbrauen.
»Du sendest mir gerade irgendwie widersprüchliche Signale«, murmelte sie, und ich stieß ein atemloses Lachen aus.
»Tut mir leid, das will ich nicht. Es ist nur …« Ich verlor den Faden, weil sie mich immer noch so anschaute und der Drang, sie erneut zu küssen, übermäßig groß wurde.
Geduldig sah sie mich an. »Versuch es mir zu erklären. Bitte.«
Ich nickte, bemühte mich, mein rasendes Herz zu beruhigen und sammelte mich. »Erstens möchte ich dich in diesem Zustand nicht ausnutzen«, antwortete ich und strich mit den Daumen über ihre Rippenbögen, bevor ich ihre Träger von den Armen zurück nach oben streifte, bis der Stoff wieder an Ort und Stelle saß. Ich hätte gar nicht erst so weit gehen dürfen. Aber dieses Kleid. Dieses elende Kleid brachte mich um den Verstand.
»Was, wenn ich ausgenutzt werden möchte?«
Meine Kehle wurde trocken. Sie war mir immer noch so nah, dass unsere Körper sich an mehreren Stellen berührten. Meine Haut prickelte und ich konnte nicht aufhören, sie anzufassen. Es ging einfach nicht anders. In diesem Moment hätte ich fast alles getan, um sie glücklich zu machen, und das, obwohl mir bewusst war, wie verkehrt das war.
Ashley zahlte es mir mit gleicher Münze heim, sie fuhr fort, mich zu streicheln, so wie ich es nicht lassen konnte, über ihre Taille zu fahren. Sie hob die Hand an meinen Bauch und rieb darüber nach oben, bis sie an meinem Hals angekommen war. Dann beugte sie sich vor, und ich spürte ihren Atem an meiner Kehle, bevor sie mit der Zunge darüberglitt und die Haut dort zwischen ihre Zähne zog. Stockend atmete ich ein. Das fühlte sich so gut an. Besser als alles andere. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich würde sie nicht ausnutzen, aber ich war auch kein Heiliger.
Wieder beugte ich mich vor und küsste sie. Als unsere Münder erneut aufeinandertrafen und ich ihre Lippen mit der Zunge teilte, war ich wie berauscht, obwohl ich völlig nüchtern war. Ich packte sie an den Hüften, um sie dichter an mich zu ziehen. Ashley keuchte, als ich mich gegen sie presste. Ich gab ein gequältes Stöhnen von mir, als sie in meine Unterlippe biss. Noch nie war ich so geküsst worden. Es war besitzergreifend und überwältigend; ich wollte mehr und gleichzeitig fürchtete ich mich fast davor, weil es so intensiv war.
»Mach mit mir, was du willst. Es ist mir egal«, flüsterte sie.
Nicht so.
Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände und hielt sie fest. Ashley wankte zur Seite. Mein Körper war das Einzige, was sie aufrecht hielt, und wieder wurde ich daran erinnert, wie falsch das war, was wir hier gerade taten. Es ging so wirklich nicht, ganz gleich, wie gut es sich auch anfühlte.
»Mir ist es aber nicht egal.«
Sie umklammerte meine Oberarme und hielt sich an mir fest. »Du bist süß. Viel zu süß. Ich …« Sie blinzelte und etwas flackerte in ihren Augen auf. »Was ist zweitens?«
Ich blinzelte ebenfalls. »Was?«
»Du hast gesagt erstens, aber da fehlt noch ein Zweitens. Was ist der zweite Grund?«
Oh.
Verflucht.
Eigentlich hatte ich damit nicht anfangen wollen, doch sie sah mich neugierig an, und nach dem, was wir gerade miteinander getan hatten, war ich ihr eine Antwort schuldig. Also war es wohl so weit.
»Ich …«, fing ich an, aber meine Stimme versagte, weil Ashleys Hände mich immer noch berührten, als würde sie mir in der nächsten Sekunde die restlichen Kleider vom Leib reißen wollen. Doch ich musste mich konzentrieren. Denn sie verdiente Ehrlichkeit. Und ich wiederum verdiente jemanden, der mich wirklich wollte und nicht nur nahm, weil ich gerade da war.
»Zweitens werde ich nicht mit dir schlafen, weil ich mir mein erstes Mal irgendwie anders vorgestellt habe.«
Sie blinzelte. Dann öffnete sie den Mund. Doch statt Worten kam etwas anderes raus.
Ashley Cruz erbrach sich mit einem lauten Würgen direkt auf mich.
Ashley
Dieser Abend würde in die Annalen der Peinlichkeit eingehen. Mir waren schon einige unangenehme Dinge passiert, aber das hier übertraf das alles bei Weitem.
Seit einer guten halben Stunde hing ich über der Kloschüssel und würgte blaue Cocktails und Glitzer hervor, was genauso eklig war, wie es sich anhörte. Logan hielt mir mit einer Hand die Haare aus dem Gesicht, mit der anderen strich er in trägen Kreisen über meinen Rücken.
»Ich sterbe«, stöhnte ich, nachdem ich den nächsten Krampf überstanden hatte.
»Das lasse ich nicht zu.«
Dafür, dass ich ihn angekotzt hatte, war er erstaunlich lieb zu mir. Das kannte ich nicht. Nicht dass ich während der letzten Jahre besonders oft einen über den Durst getrunken hatte – ich trank so gut wie nie –, aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass er bei mir blieb, nachdem ich ihn mitten beim Rummachen auf diese Weise überrumpelt hatte.
»Es tut mir leid.« Neue Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln und ich wünschte, der Boden würde sich unter mir auftun und mich bei lebendigem Leib verschlingen, denn ich hielt diese Schande keine Sekunde länger aus. Außerdem war irgendwo in mir nach wie vor das Gefühl, jeden Moment bestraft zu werden. Vielleicht wartete er nur auf den Augenblick, bis ich wieder halbwegs gerade stand. Bestimmt würde er mich dann kleinmachen. »Es tut mir so leid.«
»Schon okay. Das kann jedem mal passieren.«
Ich lehnte die Stirn gegen die kühle Klobrille und wartete auf den nächsten Magenkrampf, als ich plötzlich hörte, wie die Tür hinter uns aufging.
»Da bist du! Mann, ich habe dich überall …«, fing eine dunkle Stimme an. Dann fluchte derjenige. »Alles okay?«
»Alles bestens. Hör mal, gerade ist es ganz schlecht.«
»Geht klar, Chef.« Die Tür wurde wieder zugemacht.
»Ich bin sofort zurück.« Logans Stimme an meinem Ohr. Er verschwand kurz, ein leises Klicken war zu hören, dann berührte er mich an der Schulter. »Da bin ich wieder.«
»Wer war das?«, stöhnte ich und hob den Kopf, um ihn anzusehen. Sein Lächeln war noch genauso süß und ehrlich wie vorhin, doch es hatte ein wenig an Leuchtkraft eingebüßt.
»Das war nur Hunt. Keine Sorge, er weiß, wann er besser den Mund halten sollte.«
Mir war es so oder so egal. Sollten sie doch alle hier hochkommen und mir beim Absturz zusehen. Eine merkwürdige Gleichgültigkeit ergriff Besitz von mir. Die war mir vertraut. Ich flüchtete mich gern in sie, wenn alles zu viel wurde.
»Geht es einigermaßen?«, fragte Logan jetzt.
Ich horchte in meinen Magen und nickte schließlich langsam. Selbst das sorgte dafür, dass sich die Wände drehten.
»Okay. Na, komm.« Er half mir auf, schloss den Klodeckel und setzte mich darauf. Er wartete kurz, um sicherzustellen, dass ich keine Hilfe benötigte, bevor er zum Waschbecken trat, wo noch immer Bens Blumen verstreut lagen. Aus zusammengekniffenen Augen sah ich sie an.
Er konnte mich nicht einmal an einem Abend wie diesem in Ruhe lassen und musste weiter seine Psychospielchen mit mir treiben, obwohl wir seit einer Ewigkeit getrennt waren. Als wäre der Knacks, den ich seinetwegen hatte, nicht schon groß genug.
Logan trat zurück in mein Sichtfeld. Er hielt einen nassen Waschlappen in der Hand und hob ihn an.
»Darf ich?«, fragte er und deutete auf mein Gesicht.
Unten war zwar noch die Party in vollem Gange, wenn man der lauten Musik nach urteilte, doch ich hatte nicht vor, mich dort noch einmal blicken zu lassen. Sie würden den Ausgang schon alle finden. Deshalb nickte ich und ließ zu, dass Logan mit dem Lappen über mein Gesicht fuhr. Ich schloss die Augen, als er die Schminke, die Tränen und den Schweiß fortwischte, und genoss die Kühle auf meiner Haut. Er ließ sich Zeit, und als er fertig war, betrachtete er sein Werk eingehend. Ein paar kleine Spuren schienen übrig geblieben zu sein, denn er nahm eine Ecke des Lappens und rieb damit vorsichtig über meine Wange und unter den Augen entlang. Danach wirkte er zufrieden und stand wieder auf. Er lief zur ebenerdigen Dusche auf der anderen Seite des Badezimmers und schaltete den kleineren Duschkopf ein. Dann kam er zurück und hielt mir die Hand hin.
Ohne groß nachzudenken, ergriff ich sie. Als ich aufstand, war ich froh über den Halt. Logan führte mich zur Dusche. Davor hielten wir inne und unschlüssig sah er mich an.
»Dein Kleid hat was abbekommen«, sagte er mit einem Nicken zu mir.
Während ich es vor Kurzem ganz eilig gehabt hatte, mich von ihm ausziehen zu lassen, war es mir nun unangenehm. Logan schien dies zu merken und drehte sich mit dem Gesicht zur Wand. Danach streifte ich das Kleid ab und verzog angewidert das Gesicht, als ich es zu Boden sinken ließ und die Flecken darauf erkannte. Ich riss mich davon los und stieg schnell in die Dusche. Mit zittrigen Fingern seifte ich mich ein und duschte mich ab. Als ich fertig war, lugte ich mit dem Kopf aus der Dusche und räusperte mich. Logan reichte mir ein Handtuch und sah beharrlich weiter die Wand an. Ich griff es mir und wickelte mich darin ein, als Logan sich hinabbeugte und mir sein T-Shirt hinhielt, das ich ihm zuvor zusammen mit dem Pullover ausgezogen hatte. Zögerlich nahm ich es entgegen.
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich auch kurz unter die Dusche springe?«, fragte er unvermittelt.
Oh Gott. Selbstverständlich musste er duschen. Er hatte sich nach dem Vorfall notdürftig mit einem meiner Handtücher abgewischt, während ich zum Klo gehechtet war, und hatte die Dusche wahrscheinlich viel nötiger als ich.
»Natürlich nicht.« Ich trocknete mich schnell ab, streifte sein Shirt über und trat aus der Dusche. »Du kannst.«
»Danke.«
Seine Hände gingen zu seinem Gürtel und er öffnete ihn. Hitze schoss mir in die Wangen und ich drehte mich weg. Nun war ich diejenige, die die Wand anstarrte, während ich hinter mir hörte, dass Stoff raschelte. Danach schaltete er das Wasser ein, und ich schloss die Augen und lehnte mich gegen die kalten Fliesen. Noch immer war mir schummrig zumute. Ich wollte einfach nur ins Bett. Aber bevor ich das tat, musste ich dringend den schalen Geschmack in meinem Mund loswerden. Also trat ich zum Waschtisch und schnappte mir meine Zahnbürste. So schnell ich konnte, putzte ich mir die Zähne. Mein Spiegelbild wurde geteilt von den Sprüngen auf der glatten Oberfläche. Ich senkte den Blick auf die blauen Rosen und die Karte, die mit meinem Wurf gegen den Spiegel aus dem Bouquet gerutscht war. Vorsichtig nahm ich sie in die Hand und betrachtete die geraden, handgeschriebenen Buchstaben.
Ich hoffe, du denkst heute an mich. Immerhin sind diese Songs meinetwegen entstanden.
– Menace
Meine Hand fing wieder an zu zittern, als ich die Zeilen mehrmals hintereinander las. Wie lächerlich es war, dass er mit seinem Künstlernamen unterschrieb, hatte ich ihn doch nie so genannt. Es sollte mich nicht wundern. Ich war mir sicher, Ben wollte, dass diese Karte von meinen Partygästen gelesen wurde und dass sie in diesem Fall genau wussten, wer die Blumen geschickt hatte. Das war seine Art, mir das Leben zur Hölle zu machen. Selbst nach all der Zeit.
Ich hasste, dass er diese Macht über mich besaß. Zwar wollte ich nicht zittern, weinen oder seinetwegen die Kontrolle verlieren, doch ich tat es trotzdem. Ganz gleich, wie sehr ich mich auch dagegen wehrte. Jedes Mal, wenn ich glaubte, den nächsten Meilenstein meiner Karriere zu erreichen, tauchte er auf und erinnerte mich daran, dass er nur eine seiner Aktionen abziehen musste, um meinem Image zu schaden.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich zusammenzuckte, als Logan hinter mich trat. Wasser perlte von seinen Haaren, seinen nackten Oberkörper hinab bis zu dem Handtuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte. Hitze stieg in meine Wangen, als ich seine Statur betrachtete. Ich war immer noch ziemlich betrunken. Der Wunsch, mich aufs Neue in seinen Küssen zu verlieren, keimte in mir auf. Schnell sah ich zurück auf die Karte und der Wunsch verpuffte so schnell, wie er gekommen war.
»Dieses Arschloch«, knurrte ich.
Ich spürte Logans Präsenz hinter mir so stark, als lägen seine Hände wieder auf meinen Hüften. »Das mit dem Fluchen hast du dir gut eingeprägt.«
»Ich lerne schnell.« Frustriert rieb ich mir über die Stirn. Dann knüllte ich die Karte zusammen und ließ sie in den Mülleimer fallen. Anschließend fing ich an, die Rosen zusammenzusammeln. Dabei geriet ich erneut ins Schwanken. Sofort war Logans Hand da und stützte mich.
»Lass mich das machen.«
Vehement schüttelte ich den Kopf. Das hier war meine Aufgabe. Ich würde ihn nicht davon abhalten, mir zu helfen, aber ich ging hier nicht raus, bis jede Spur von Ben aus dem Bad verschwunden war. Logan schien das zu begreifen, denn er fing an, mir zu helfen und schmiss eine Rose nach der anderen weg. Erst als sie alle weg waren, verließen wir den Raum.
Niemand sonst schien ins Obergeschoss gekommen zu sein, und ich war froh darüber, als wir nach links abbogen und auf zwei schmale weiße Holztüren zusteuerten, die in der Wand eingelassen waren. Ich zog sie auf.
»Hier sind Waschmaschine und Trockner«, erklärte ich und schnappte mir das Waschmittel und goss es in die Waschmaschine. Logan schmiss seine Sachen rein und legte den aus der Hose gezogenen Gürtel, Handy und Portemonnaie zur Seite. Als die Maschine lief, wandte er sich mir zu.
»So, und jetzt zeig mir dein Schlafzimmer«, forderte er.
Perplex starrte ich ihn an. Seine Wangen wurden rosa.
»Du solltest dich besser hinlegen«, stellte er klar. »Und mir vielleicht vorher ein Outfit leihen, falls du irgendetwas da hast, solange die Wäsche noch nicht durch ist.«
Schnell drehte ich mich um und bedeutete ihm, mir zu folgen, wobei ich mich mit einer Hand an der Wand abstützte. Das nächste Zimmer auf der rechten Seite war mein Schlafzimmer. Als wir reingingen, hoffte ich inständig, dass nichts Peinliches rumlag, aber auf der anderen Seite war das nach dem heutigen Abend auch einfach egal. Wahrscheinlich hatten wir eine bestimmte Hemmschwelle inzwischen überschritten und es gab kein Zurück mehr – und somit auch keinen Grund für Scham. Mein logisches Hirn verstand das, doch ein Teil von mir machte sich immer noch Gedanken darüber, was Logan nach dieser ganzen Sache wohl von mir halten mochte. Mir hatte gefallen, wie ehrfürchtig er mich angesehen hatte. So mächtig hatte ich mich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt. Doch jetzt war dieser Moment dahin und das Einzige, was am Ende dieses Abends noch übrig sein würde, wäre Abscheu. Da war ich mir absolut sicher. Deshalb war es wohl besser, das Ganze schnell über die Bühne zu bringen.
Ich lief in die angrenzende Ankleide und wühlte in der Schublade mit Sportsachen nach einer Jogginghose, von der ich hoffte, dass sie ihm halbwegs passen würde. Als ich zurück in mein Zimmer ging, schaute er sich gerade die abstrakten Bilder an der Wand an, die ein Geschenk gewesen waren.
»Hier«, sagte ich und reichte ihm die Jogginghose.
Er bedankte sich mit einem kleinen Lächeln – und löste das Handtuch von seinen Hüften. Schnell wandte ich den Blick ab. »Und jetzt«, sagte Logan. »Ab ins Bett mit dir.«
Als ich ihn ansah, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, denn die graue Hose stand ihm besser als mir. Er lief zu dem Kingsize-Bett und nahm die Dekokissen runter, als hätte er es schon unzählige Male zuvor getan. Dann schlug er die Decke beiseite und nickte mir auffordernd zu. Ich tapste durchs Zimmer, kam der stummen Aufforderung nach und kuschelte mich in die Kissen. Logan deckte mich zu und zögerte dann. Vorsichtig hob ich die Hand. Ich konnte einfach nicht anders.
Bedächtig strich ich ihm eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. »Ich wünschte, du würdest mich noch so ansehen wie vorhin.«
»Du meinst, als mir fast die Augen rausgefallen sind?«
Ich nickte, und er stieß ein kehliges Lachen aus, das mich selbst zum Lächeln brachte. Ich rutschte ein Stück zur Seite. Es war keine direkte Aufforderung, aber Logan folgte ihr nach ein paar Sekunden dennoch, was das Kribbeln in meinem Magen wieder weckte.
»Dieser Abend sollte so toll werden«, sagte ich, als er sich auf das zweite Kissen gelegt hatte, einen Arm unter dem Kopf angewinkelt, und mich betrachtete.
»Du hast unten schon gesagt, dass dich die Leute nerven. Und dann kam der Blumenstrauß der Hölle.«
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und fing an, an der Decke herumzuspielen. »Nicht zu vergessen: das große Finale im Badezimmer.«
Erneut lachte Logan leise. Dann schob er die Finger unter mein Kinn und brachte mich damit dazu, ihn anzusehen. Da war er wieder. Der warme, ehrfürchtige Blick. Er beugte sich vor und küsste mich flüchtig. Womit er mich völlig schockierte. Ich hatte Unaussprechliches getan, das dafür gesorgt hatte, dass er unter die Dusche springen musste. Trotzdem küsste er mich, brachte mich ins Bett und kümmerte sich um mich. Vor Rührung schnürte sich mir die Kehle zu. Ich schloss die Augen.
»Tut mir leid, dass der Abend nicht so war, wie du ihn dir vorgestellt hast«, raunte Logan und streichelte mein Haar.
Ich hoffte, er konnte nicht sehen, wie mir Tränen in die Augen gestiegen waren.
»Danke, dass du bei mir bleibst.« Meine Stimme zitterte.
Er fuhr fort, meinen Kopf zu streicheln. »Ich bin gern bei dir.«
Ich rutschte dichter an ihn heran und zog die Decke über uns beide. Mehr sprachen wir nicht miteinander. Mit Logans Wärme dicht an meinem Körper und seinem sanften Streicheln meines Haars schlief ich wenig später ein.
Ashley
In meinem Kopf donnerte ein unnachgiebiger Vorschlaghammer, und ich stöhnte auf. Es dauerte eine Weile, bis ich es schaffte, die Augen aufzubekommen. Als ich es tat, blieb mir fast das Herz stehen.
Auf meinem Bettrand saß … ein Kerl. Ich blinzelte.
»Guten Morgen, Sonnenschein.«
Auffordernd hielt er mir ein Glas Wasser entgegen. Ich starrte ihn weiterhin stumm an. Er war oberkörperfrei, sein blondes Haar war völlig zerzaust und in seinem Gesicht war der eine oder andere Glitzerpartikel zu erkennen. Bläulich silbriger Glitzer, der mir vage vertraut vorkam. Weil es der Glitzer war, den meine Stylistin Isabelle für meine Album-Releaseparty extra auf mein Kleid abgestimmt hatte.
Ich blinzelte.
Da war ein halb nackter Typ in meinem Bett. Der aussah, als hätte er die Nacht hier verbracht. Mit mir.
Ich grub in meinem Gedächtnis durch meine Erinnerungen. Ich war gestern Abend dermaßen genervt von der Party gewesen, weil nur Leute eingeladen worden waren, die ich nicht wirklich kannte, dass ich ein paar Cocktails zu viel getrunken hatte. Aber an besonders viel konnte ich mich nicht erinnern.
»Ich muss jetzt leider los«, sagte der Fremde jetzt. Irgendwoher kannte ich ihn. Ich glaube, ich hatte ihn schon auf roten Teppichen gesehen.
Ich setzte mich auf, wobei mein Schädel so heftig pochte, dass mir kurz schwarze Flecken vor Augen traten. Frustriert rieb ich mir die Stirn.
»Hier, trink einen Schluck.«
Ich nahm das Glas entgegen und nippte daran. Mein Magen war flau, aber ich zwang mich dazu, die Hälfte auszutrinken. Danach schwang ich die Beine über die Bettkante. Verwirrt blickte ich an mir hinab. Ich trug ein fremdes, schwarzes T-Shirt, das am Saum einige Löcher hatte. Es roch nach ihm, realisierte ich. Genau wie mein Bett nach diesem Fremden roch, herb und angenehm.
»Ich … ähm.« Ich wusste nicht so recht, wie ich anfangen sollte und zupfte am Saum des Shirts herum. »Lass mich das hier kurz …«
Er winkte ab. In diesem Moment stand er auf und trat an meinen Schminktisch. Über dem Stuhl dort hing ein schwarzer Pullover, den er sich überzog. »Du kannst es mir irgendwann anders zurückgeben.«
Ich nickte, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie und wann das geschehen sollte. Als teilte er denselben Gedanken, beugte er sich runter zum Tisch und nahm sich den Eyeliner, der dort lag. Dann griff er sich die Taschentuchbox, zog ein Tuch raus und kritzelte etwas darauf. »Hier ist meine Nummer. Du kannst dich immer bei mir melden. Auch wenn du einfach nur jemanden brauchst, bei dem du laut fluchen kannst.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er da redete, nickte aber, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Dann öffnete er die Tür und ich ging ihm mit pochendem Schädel und erstaunlich voller Blase hinterher. Kurz vor dem Treppenabsatz angekommen, konnte ich mehrere Stimmen hören. Ich sah nach unten – und gefror zur Salzsäule.
Ein paar Puzzleteile setzten sich in meinem Kopf zusammen. Jetzt fiel mir ein, woher mir der Fremde bekannt vorkam.
Er war ein Mitglied von Scarlet Luck. Einer der wohl angesagtesten Bands weltweit. Dort unten standen nämlich die drei anderen Mitglieder, und zusammen vervollständigte sich das Bild für mich.
Jasper Thorn, der Frontman mit den extravagantesten Outfits und dem Tausendwattlächeln, das selbst die kühlsten Herzen zum Schmelzen bringen konnte.
Adam »Beast« Sinclair, der unnahbare Drummer mit der durchweg steinernen Miene, den man in nichts anderem als Anzügen antraf.
Bassist Cillian Hunt, der mit den Narben in seinem bleichen Gesicht und den eingefallenen Wangen immer einen recht gruseligen Eindruck machte, was durch die wilden Gerüchte, die über ihn kursierten, bloß verstärkt wurde.
Schockiert sah ich den Typ neben mir an, mit dem ich die Nacht verbracht hatte. Logan Buckley, der Gitarrist der Band, der nichts mit Menschen anfangen konnte, selbst bei öffentlichen Anlässen lieber auf seiner Handheld-Konsole spielte und allgemein eher als zurückhaltend galt. Nur dass er jetzt so überhaupt nicht zurückhaltend war. Er beugte sich zu mir, um mir ins Ohr zu flüstern.
»Keine Sorge, wir verlieren kein Wort über die Sache von letzter Nacht. Hunt ist echt verschwiegen.«
Ich hatte keinen blassen Schimmer, was das bedeuten sollte. Also nickte ich nur und murmelte: »Okay.«
»Hat mich wirklich gefreut, Ash.« Er schien noch etwas sagen zu wollen, sah aber zurück zu seinen Freunden, die anscheinend ungeduldig wurden.
Die Jungs der Band starrten immer noch zu uns hoch. Mein Fluchtinstinkt meldete sich. Mechanisch hob ich die Hand. Dann machte ich auf dem Absatz kehrt. Ich trat die Flucht an, so schnell, dass ich beinahe über meine eigenen Füße stolperte, und rannte ins Bad. Drinnen angekommen, schloss ich die Tür hinter mir ab, lehnte mich mit dem Kopf dagegen und fragte mich, was zum Teufel letzte Nacht passiert war.
Logan
Wenn ich ein Spiel spielte, das mich begeisterte, versank ich so sehr darin, dass ich alles um mich herum ausblendete. Ich war nicht mehr Logan Buckley, Gitarrist und Sänger von Scarlet Luck, sondern ein Assassine auf Jagd nach Opfern. Ein Hexer mit einem Auftrag. Ein Überlebender, der versuchte, sich in einer postapokalyptischen Welt gegen Zombies durchzubeißen. Wenn ich etwas fand, das mich begeisterte, wurde ich süchtig davon. Das war mit Musik so. Es war mit Spielen so. Und jetzt … jetzt war es mit Ashley Cruz so. Was leider überhaupt nicht gut war.
Noch immer dachte ich an ihren verlorenen Blick. Daran, wie sie sich krampfhaft zurückgehalten hatte, bloß keine Flüche von sich zu geben, weil ihr anscheinend jemand eingeredet hatte, dass sie das besser bleiben ließ. Ich dachte daran, wie sie die Blumen gegen den Spiegel geschmissen hatte und wie sie so krampfhaft versucht hatte, zu verbergen, wie beschissen es ihr ging. Daran, wie sie schließlich eingeschlafen war und dabei ein leises Seufzen ausgestoßen hatte, als würde sie Frieden in meinen Armen finden. Aber es war nur eine Nacht. Und mir war klar, dass ich besser nicht allzu sehr daran festhalten sollte.
Dass Ashley etwas anderes wollte als ich, war mehr als nur offensichtlich. Das hatten mir die Blumen verraten, die sie bekommen hatte, genau wie die Tränen, die daraufhin geflossen waren, und auch die Art, wie sie sich bloß Ablenkung von mir gewünscht hatte. Außerdem zeigte es mir ihr Schweigen nach jener Nacht. Ich hatte innerhalb der letzten eineinhalb Wochen täglich garantiert zweihundert Mal auf mein Handy geschaut, doch von einer fremden Nummer war dort keine Spur.
Leider suchten mich die Erinnerungen immer noch heim. Ich dachte immer wieder daran, wie sie mich geküsst hatte, wie ihre Hände über meinen Körper geglitten waren und an alles, was danach kam. Ich dachte daran, wie sie sich bei mir für etwas völlig Selbstverständliches bedankt hatte, und fragte mich unentwegt, wer ihr je das Gefühl gegeben hatte, unzulänglich zu sein.
Merkwürdig, wie viel eine Nacht in einem auslösen konnte. Auch wenn Ashley anscheinend keinen Gedanken mehr daran verschwendete. Ich fragte mich, ob sie immer noch fürchtete, ich würde überall herumerzählen, was geschehen war. Ob es ihr vielleicht peinlich war, dass sie so abgestürzt war. Gern hätte ich ihr noch mal versichert, dass das Schnee von gestern war. Aber ich respektierte ihren Wunsch, so wie sie meinen in jener Nacht respektiert hatte, und versuchte mich mit der Situation abzufinden. Bis zu dem Tag, an dem wir gerade für unsere Album-Releaseparty probten und unsere Managerin Leah reingestürmt kam, um Thorn anzuschreien.
»Ashley Cruz’ Management hat mich heute wissen lassen, dass sie bei den Teen Flame Awards nicht in eurer Nähe sitzen möchte. Und mir fällt nur ein guter Grund ein, weshalb das Mädchen das verlangt. Herrgott, Jasper, kannst du dich nicht einmal zusammenreißen und das machen, worum man dich bittet?«
Mein Herz wummerte mit einem Mal so laut, dass es in meinen Ohren rauschte. Stirnrunzelnd sah ich Leah an, während ich die Worte in Gedanken wiederholte. Thorn stand auf und antwortete irgendetwas, doch ich hörte es nicht richtig.
Ashley wollte sich nicht nur nicht bei mir melden. Sie ging zu ihrem Management, um dort jeglichen Kontakt zu mir zu verhindern. Das tat weh. Nicht sehr, aber schon so, dass ich kurz tief durchatmen musste.
»Ich habe nichts mit ihr angefangen. Und ich war auch nicht auf Drama aus. Aber schön zu wissen, dass du so viel Vertrauen in mich hast. Das wärmt mein Herz.« Thorn sah aus wie ein geprügelter Welpe, als er mit in den Taschen vergrabenen Händen den Proberaum verließ.
Ich musste den Mund aufmachen. Das wusste ich. Leider brauchte ich zu lange, um die Nachricht zu verdauen.
Leah sah Thorn noch eine Weile hinterher, bevor sie sich Beast, Hunt und mir zuwandte. »Hat einer von euch eine Ahnung, wieso unseretwegen die komplette Sitzordnung bei den Teen Flame Awards geändert werden muss? Das wirft echt kein gutes Licht auf uns.«
Ich riss mich zusammen und räusperte mich. Dann hob ich die Hand, denn Leah sah inzwischen Hunt an, als wäre er der Nächste auf ihrer Liste. »Ich glaube, das ist meine Schuld.«
Mit geweiteten Augen sah sie mich an. »Was ist passiert?«
Oh, nein. Das ging nicht. Von der Nacht und allem, was passiert war, konnte ich noch nicht mal Leah erzählen, obwohl sie eine der Personen war, mit der ich am häufigsten über Dinge redete, die mich beschäftigten. Diese Sache konnte ich nur mit Hunt besprechen, weil er derjenige gewesen war, der Ashley und mich über der Kloschüssel gefunden hatte und mich seitdem damit aufzog. Kurz riskierte ich einen Blick zu ihm, doch er sah schnell weg und stimmte seinen Bass, als hätte er das nicht zuvor schon mehrmals getan. Dann sah ich Leah wieder an und erwiderte ihren besorgten Blick.
»Das kann ich dir leider nicht sagen.«
Sie öffnete bereits den Mund auf, doch ich machte einen Schritt auf sie zu. »Ich habe jemandem ein Versprechen gegeben. Tut mir leid, Leah. Aber das ist allein auf meinem Mist gewachsen. Die anderen haben nichts damit zu tun.«
Ein resigniertes Seufzen war ihre Antwort. Im nächsten Moment hatte sie eines ihrer gefühlt hundert Handys gezückt und war direkt wieder im Arbeitsmodus. »Ich sorge dafür, dass sich das nicht weiter rumspricht.«
Erleichterung spülte durch mich hindurch. Ich beugte mich zu ihr und umarmte sie flüchtig. »Du bist die Beste«, sagte ich und meinte die Worte von Herzen. Zwar kannte ich Ashleys Gründe nicht, aber ich wollte keineswegs, dass es nach außen hin wirkte, als hätten wir Stress mit ihr. Das konnte weder sie noch wir gerade gebrauchen.
Leah machte sich nach einigen Sekunden von mir los und sah mich mit ihrem Killerblick an. Jedes Mal, wenn sie den aufsetzte, war ich mir sicher, sie wäre diejenige von uns, die eine Zombieapokalypse am ehesten überstehen würde. »Du brauchst nicht schleimen, Logan. Ich mache nur meinen Job. Und es wäre toll, wenn ihr euren machen könntet, ohne für negative Schlagzeilen zu sorgen.«
»Geht klar.«
Sie gab uns noch die Liste, auf der wir unsere Gäste für die Releaseparty notieren sollten, dann verschwand sie aus dem Proberaum. Hunt machte sich schon an die Liste, während ich nachdachte. Ich verstand nicht, was das sollte. Ob ich irgendeinen Fehler gemacht hatte, als ich bei Ashley geblieben war? Ich dachte an all das, was vorgefallen war, und verstand es einfach nicht. Auf jeden Fall konnte ich das so nicht auf mir – und der Band – sitzen lassen. Wir mussten reden, so viel stand fest. Also schnappte ich mir den Stift von Hunt und schrieb ihren Namen auf die Liste mit Gästen.
»Im Ernst jetzt?« Hunt klang genervt.
»Nur, um weiteres Drama zu vermeiden«, antwortete ich und gab nun Beast den Stift. »Wir können uns ja schlecht für den Rest unserer Karriere ignorieren.«
»Scheint mir aber, als wäre das genau das, wonach dem Mädchen gerade ist, wenn sie sogar ihr Management einschaltet, um nicht in deiner Nähe sitzen zu müssen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Lass das mal meine Sorge sein.«
Erst als Beast mit der Liste nach draußen lief, vermutlich, um Thorn zu suchen, atmete ich frustriert aus und rieb mir übers Gesicht.
»Mal ehrlich, was hast du mit ihr gemacht?«, fragte Hunt, als wir allein waren.
»Keine Ahnung. Ich war lieb zu ihr … glaube ich.«
»Glaubst du?«, hakte er nach und Skepsis stand in seinen schwarzen Augen geschrieben. »Wie ich dich kenne, hast du irgendetwas Komisches gesagt, was sie verjagt hat. Oder aber sie schämt sich, weil sie dich vollgekotzt hat.«
»Dann mache ich ihr eben klar, dass alles ganz normal ist und kein Grund zur Sorge besteht. Das kriege ich schon irgendwie hin.«
»Ich kann mit dir üben. Vor allem, wenn du sie aufreißen willst, Casanova.« Er wackelte mit den Brauen, und ich starrte ihn an. Hunt hatte inzwischen sicher schon mit halb Los Angeles geschlafen und kompensierte damit irgendein Trauma aus seiner Jugend. Er war damit in jeder Hinsicht das Gegenteil von mir und ich war mir nicht sicher, ob seine Ratschläge diesbezüglich die besten waren.
»Nein, danke«, sagte ich schließlich.
Daraufhin kam er breit grinsend auf mich zu. »Du regelst das schon ganz von selbst, Buck. Wie ein großer Junge. Ich bin so stolz auf dich.«
Bevor ich mich wehren konnte, hatte er mich in den Schwitzkasten genommen und rieb über mein Haar, bis ich ihm den Ellenbogen in den Magen rammte.
Ashley
In diesem Jahr waren die Teen Flame Awards unglaublich wichtig für mich. Das lag vor allem daran, dass ich das wohl persönlichste Album meiner Karriere rausgebracht hatte. Ich hatte darin die schmerzhaften Erfahrungen der letzten Jahre verarbeitet und war dabei so offen und ehrlich wie noch nie gewesen. So sehr, dass mein Management mir vehement davon abgeraten hatte, es zu veröffentlichen. Ich würde mich damit zu angreifbar machen, mich zu verletzlich zeigen und damit das Bild zerstören, das die Welt und insbesondere meine Fans über die vergangenen fünfzehn Jahre von mir aufgebaut hatten – und damit meiner Karriere noch größeren Schaden zufügen, als es ohnehin schon durch die Sache mit Menace geschehen war.
Es dennoch zu tun und mich ihrem Wunsch zu widersetzen, war eine neue Erfahrung für mich gewesen, die mich immens viel Mut gekostet hatte, aber ich hatte darauf vertraut, dass die Emotionen in First Dreams die richtigen Menschen erreichten. Dieser Wunsch zog sich bis heute, denn bei der Nominierung am heutigen Abend lag das Voting in den Händen der Fans. Es war das neunte Jahr in Folge, dass ich anwesend war, und ich hatte auch schon verschiedene Kategorien gewonnen, doch mit First Dreams wäre ein Sieg etwas ganz Besonderes. Es war ein Album, das aus einer dunklen Zeit meines Lebens heraus entstanden war und in dem ich mir ganz viel von der Seele geschrieben hatte. Es hatte einige Kämpfe mit meinem Label gegeben, weil jede Menge Leute dort versucht hatten, mich davon abzuhalten, mein Innerstes so bloßzulegen. Doch ich hatte mich durchsetzen können – zum ersten Mal, seit dem Start meiner Karriere.
Ich steckte seit meinem siebten Lebensjahr in dieser Branche, aber obwohl mir das Ganze in Fleisch und Blut übergegangen war, war ich am heutigen Abend besonders aufgeregt. Ich strahlte in die Kameras, zeigte das champagnerfarbene, rückenfreie Kleid, das für mich angefertigt worden war, aus den besten Winkeln und gab mir große Mühe, mir die Nervosität nicht anmerken zu lassen. Im Inneren zitterte ich jämmerlich, doch nach außen hin zeigte ich eine stolze Haltung, einen geraden Rücken, einen verruchten Blick und ein angedeutetes Lächeln, das ich mit der Zeit perfektioniert hatte.
Nachdem einige Fotos auf dem roten Teppich geschossen worden waren, lief ich zu den Fans, von denen ich sogar ein paar wiedererkannte.
»Hallo, Sabrina«, sagte ich lächelnd zu einem Mädchen, das ganz vorn an der Balustrade stand. Ich erkannte sie an der auffälligen Handyhülle mit riesigen Hasenohren und dem Schild, das sie mir hinhielt. Dort war ein Foto von uns zusammen zu sehen, das im letzten Jahr auf einer anderen Awardshow entstanden war. Eilig griff ich mir den Stift, der mir hingehalten wurde, und fing an zu signieren. Ich beugte mich vor, nahm verschiedene Handys entgegen, lächelte und klatschte die Hände ab, die mir zum High five hingehalten wurden. Das Ganze ging so schnell, dass ich hoffte, niemanden übersehen zu haben. Am Ende winkte ich den Fans zu und warf ihnen Luftküsse zu, woraufhin lautes Kreischen aus der Menge zu mir hervordrang.
Danach ging es in den Saal. Es war ein Gewusel und ich verabschiedete mich von den Leuten aus meinem Team, wobei noch ein letztes Mal mein Make-up aufgefrischt und Lipgloss aufgetragen wurde. Anschließend nahm ich in dem Saal Platz – zum ersten Mal allein. Damit wollte ich ein Statement setzen. Ich brauchte niemanden an meiner Seite, denn ich befand mich in einer Phase der Unabhängigkeit, und genau das spiegelte mein neues Album wider. Ich wollte niemanden bei mir haben, der mich stützte, dem ich weinend um den Hals fallen konnte oder der mich hielt. Ich konnte das selbst schaffen, erhobenen Hauptes und mit einem Lächeln im Gesicht, das ich mir hart zurück erkämpft hatte.
Mit dieser Einstellung lief ich zu meinem Platz in der zweiten Reihe. Gerade wollte ich mich dorthin zwängen, als ich auf der Stelle erstarrte. Das musste ein schlechter Scherz sein.
Genau vor dem Sitz, auf dem mein Name auf einem Zettel stand, war Scarlet Luck platziert worden. Sie waren bereits angekommen und hatten in der Reihe vor meiner Platz genommen. Direkt vor meinem Stuhl saß Jasper Thorn, rechts von ihm Logan Buckley.