Georg Büchner, Gesammelte Werke - Georg Büchner - E-Book

Georg Büchner, Gesammelte Werke E-Book

Georg Büchner

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Beschreibung

Das Schaffen von Georg Büchner steht im Zeichen des Aufbegehrens. Es zeigt einen scharfsinnigen Geist, der die Menschen durchschaut und voller Fantasie und Leidenschaft für eine bessere Welt kämpft. Büchner starb sehr jung im Exil und hinterließ ein Werk voller Ecken und Kanten, das noch uns Heutigen viel Anregung und Reibefläche bietet. Neben seinen drei Theaterstücken »Leonce und Lena«, »Woyzeck« und »Dantons Tod« umfasst dieser Band die Erzählung »Lenz«, die zeitkritische Flugschrift »Der Hessische Landbote«, die Probevorlesung »Über Schädelnerven«, Jugenddichtungen und Schulaufsätze, Briefe von und an Büchner sowie Erinnerungen seiner Zeitgenossen.

  • »Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.« Georg Büchner
  • »Ein Feuerkopf. Unverändert modern« Alexander Kluge über Georg Büchner
  • Das ganze Schaffen des Dichters und Revolutionärs in bestechender Ausstattung: Von »Woyzeck«, den Flugschriften bis zu den Schädelnerven
  • Büchner schreibt mit seinen Antihelden gegen den Idealismus an, seine Sprache ist reich an Poesie und Philosophie
  • Büchners Stücke sind heute fester Bestandteil jeder Theaterbühne und Magnet für große Namen wie Tom Waits, Robert Wilson, Werner Herzog oder Klaus Kinski

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Seitenzahl: 533

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Georg Büchner

Gesammelte Werke

Anaconda

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Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlichgeschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- undData-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jeglicheunbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Texte dieses Bandes folgen der Ausgabe Georg Büchner,Werke und Briefe in zwei Bänden, hrsg. von Fritz Bergemann,Frankfurt 1958 (zuerst Leipzig 1922).Sie wurden unter Wahrung von Lautstand, Interpunktion sowiesprachlich-stilistischer Eigenheiten den Regeln der neuendeutschen Rechtschreibung angepasst. Nicht übernommen wurdendie Abteilungen ›Übersetzungen‹ und ›Paralipomena zuden Dichtungen‹ sowie Nachwort und Register.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2024 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Porträt Georg Büchner, © NPL – DeA Picture Library /Bridgeman Images

Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bad Honnef

Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus

ISBN 978-3-641-31430-9V001

www.anacondaverlag.de

Inhalt

Dichtungen

Dantons Tod

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Lenz

Leonce und Lena

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Woyzeck

Personen

Der hessische Landbote

Der hessische Landbote

Über Schädelnerven

BriefeMiszellen

Briefe

Miszellen

Poetische Ansätze

Schulaufsätze, Schulreden

Schülerglossen, Schulheftnotizen

Mündliche Äußerungen*

Anhang

Briefe an Büchner

Erinnerungen an Büchner

Erinnerungen an Büchner

Dichtungen

Dantons Tod

Ein Drama

Personen

georg danton•legendre•camille desmoulins

hérault-séchelles• lacroix•philippeau

fabre d’églantine • mercier • thomas payne

Deputierte des Nationalkonvents

robespierre • st. just • barère

collot d’herbois • billaud-varennes

Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses

chaumette, Prokurator des Gemeinderats

dillon, ein General

fuquier-tinville, öffentlicher Ankläger

amar • vouland

Mitglieder des Sicherheitsausschusses

herman • dumas

Präsidenten des Revolutionstribunales

paris, ein Freund Dantons

simon, Souffleur •weib simons

laflotte

julie, Dantons Gattin

lucile, Gattin des Camille Desmoulins

rosalie • adelaide • marion

Grisetten

Damen am Spieltisch, Herren und Damen sowie junger Herr und Eugenie auf einer Promenade, Bürger, Bürgersoldaten, Lyoner und andere Deputierte, Jakobiner, Präsidenten des Jakobinerklubs und des Nationalkonvents, Schließer, Henker und Fuhrleute, Männer und Weiber aus dem Volk, Grisetten, Bänkelsänger, Bettler usw.

Erster Akt

hérault-sébellet, einigedamenam Spieltisch.danton, julieetwas weiter weg, Danton aufeinem Schemel zu den Füßen von Julie.

danton: Sieh die hübsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! Ja wahrhaftig, sie versteht’s; man sagt, sie halte ihrem Manne immer das cœur und anderen Leuten das carreau hin. – Ihr könntet einen noch in die Lüge verliebt machen.

julie: Glaubst du an mich?

danton: Was weiß ich! Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab –, wir sind sehr einsam.

julie: Du kennst mich, Danton.

danton: Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber er deutet ihr auf Stirn und Augen da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. –

eine dame zu Hérault: Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor?

hérault: Nichts!

dame: Schlagen Sie den Daumen nicht so ein, es ist nicht zum Ansehn!

hérault: Sehn Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne Physiognomie. –

danton: Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab.

julie lieb abwendend. O!

danton: Nein, höre! Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe, und Grab und Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du süßes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein Grabgeläute, deine Brust mein Grabhügel und dein Herz mein Sarg. –

dame: Verloren!

hérault: Das war ein verliebtes Abenteuer, es kostet Geld wie alle andern.

dame: Dann haben Sie Ihre Liebeserklärungen, wie ein Taubstummer, mit den Fingern gemacht.

hérault: Ei, warum nicht? Man will sogar behaupten, gerade die würden am leichtesten verstanden. – Ich zettelte eine Liebschaft mit einer Kartenkönigin an; meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prinzen, Sie, Madame, waren die Fee; aber es ging schlecht, die Dame lag immer in den Wochen, jeden Augenblick bekam sie einen Buben. Ich würde meine Tochter dergleichen nicht spielen lassen, die Herren und Damen fallen so unanständig übereinander und die Buben kommen gleich hintennach.

Camille Desmoulins und Philippeau treten ein.

hérault: Philippeau, welch trübe Augen! Hast du dir ein Loch in die rote Mütze gerissen? Hat der heilige Jakob ein böses Gesicht gemacht? Hat es während des Guillotinierens geregnet? Oder hast du einen schlechten Platz bekommen und nichts sehen können?

camille: Du parodierst den Sokrates. Weißt du auch, was der Göttliche den Alcibiades fragte, als er ihn eines Tages finster und niedergeschlagen fand: »Hast du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren? Bist du im Wettlauf oder im Schwertkampf besiegt worden? Hat ein andrer besser gesungen oder besser die Zither geschlagen?« Welche klassischen Republikaner! Nimm einmal unsere Guillotinenromantik dagegen!

philippeau: Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir waren im Irrtum, man hat die Hebertisten nur aufs Schafott geschickt, weil sie nicht systematisch genug verfuhren, vielleicht auch, weil die Dezemvirn sich verloren glaubten, wenn es nur eine Woche Männer gegeben hätte, die man mehr fürchtete als sie.

hérault: Sie möchten uns zu Antediluvianern machen. St. Just säh es nicht ungern, wenn wir wieder auf allen vieren kröchen, damit uns der Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen, Schulbänke und einen Herrgott erfände.

philippeau: Sie würden sich nicht scheuen, zu dem Behuf an Marats Rechnung noch einige Nullen zu hängen. Wie lange sollen wir noch schmutzig und blutig sein wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen spielen? Wir müssen vorwärts: Der Gnadenausschuss muss durchgesetzt, die ausgestoßnen Deputierten müssen wieder aufgenommen werden!

hérault: Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt. – Die Revolution muss aufhören, und die Republik muss anfangen. – In unsern Staatsgrundsätzen muss das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muss sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudringen. – Jeder muss in seiner Art genießen können, jedoch so, dass keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuss stören darf.

camille: Die Staatsform muss ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muss sich darin abdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder hässlich sein, sie hat einmal das Recht, zu sein, wie sie ist; wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden. – Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. – Wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und von melodischen Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe! – Wir wollen den Römern nicht verwehren, sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen, aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen. – Der göttliche Epikur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Türsteher der Republik werden. – Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen!

danton: Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben!, sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen sein. Nicht wahr, mein Junge?

camille: Was soll das hier? Das versteht sich von selbst.

danton: O, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen?

philippeau: Wir und die ehrlichen Leute.

danton: Das ›und‹ dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, eh wir zusammenkommen. Und wenn auch! – Den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Töchter an sie verheiraten, aber das ist alles!

camille: Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?

danton: Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so. Er erhebt sich.

julie: Du gehst?

dantonzu Julie: Ich muss fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf. – im Hinausgehn: Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: Die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns noch die Finger dabei verbrennen. Ab.

camille: Lasst ihn! Glaubt ihr, er könne die Finger davon lassen, wenn es zum Handeln kömmt?

hérault: Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.

Eine Gasse

simon. Sein weib.

simon schlägt das Weib: Du Kuppelpelz, du runzliche Sublimatpille, du wurmstichischer Sündenapfel!

weib: He, Hülfe! Hülfe! Es kommen

leutegelaufen: Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander!

simon: Nein, lasst mich, Römer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin!

weib: Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich.

simon: So reiß ich von den Schultern dein Gewand.

Nackt in die Sonne schleudr’ ich dann dein Aas.

Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht.

Sie werden getrennt.

erster bürger: Was gibt’s?

simon: Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Mädchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das nicht! Nur noch ein Name; o, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem dafür.

zweiter bürger: Das ist gut, sonst würde der Name nach Schnaps riechen.

simon: Alter Virginius, verhülle dein kahl Haupt – der Rabe Schande sitzt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer! Er sinkt um.

weib: Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen; der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.

zweiter bürger: Dann geht er mit dreien.

weib: Nein, er fällt.

zweiterbürger: Richtig, erst geht er mit dreien, und dann fällt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fällt.

simon: Du bist die Vampirzunge, die mein wärmstes Herzblut trinkt.

weib: Lasst ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird; es wird sich schon geben.

erster bürger: Was gibt’s denn?

weib: Seht ihr: ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich, seht ihr – denn wir haben kein Holz, seht ihr –

zweiter bürger: So nimm deines Mannes Nase.

weib: Und meine Tochter war da hinuntergegangen um die Ecke – sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern.

simon: Ha, sie bekennt!

weib: Du Judas! Hättest du nur ein paar Hosen hinaufzuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr hinunterließen? Du Branntweinfass, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen aufhört, he? – Wir arbeiten mit allen Gliedern, warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft, wie sie zur Welt kam, und es hat ihr weh getan; kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? Und tut’s ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!

simon: Ha, Lukretia! Ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha, Appius Claudius!

ersterbürger: Ja, ein Messer, aber nicht für die arme Hure! Was tat sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen. Weh über die, so mit den Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib, und sie haben Magendrücken; ihr habt Löcher in den Jacken, und sie haben warme Röcke; ihr habt Schwielen in den Fäusten, und sie haben Samthände. Ergo, ihr arbeitet, und sie tun nichts; ergo, ihr habt’s erworben, und sie haben’s gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum ein paar Heller wiederhaben wollt, müsst ihr huren und betteln; ergo, sie sind Spitzbuben, und man muss sie totschlagen!

dritter bürger: Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: Schlagt die Aristokraten tot, das sind Wölfe! Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt: Das Veto frisst euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben gesagt: Die Girondisten hungern euch aus; wir haben die Girondisten guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen, und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!

ersterbürger: Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!

zweiter bürger: Totgeschlagen, wer auswärts geht!

alle schreien: Totgeschlagen! Totgeschlagen!

Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.

einige stimmen: Er hat ein Schnupftuch! Ein Aristokrat! An die Laterne! An die Laterne!

zweiterbürger: Was? Er schnäuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne! Eine Laterne wird heruntergelassen.

junger mensch: Ach, meine Herren!

zweiter bürger: Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!

einige singen: Die da liegen in der Erden,

Von de Würm gefresse werden;

Besser hangen in der Luft,

Als verfaulen in der Gruft!

jungermensch: Erbarmen!

dritter bürger: Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! ’s ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns losschneiden. – An die Laterne!

junger mensch: Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.

die umstehenden: Bravo! Bravo!

einige stimmen: Lasst ihn laufen! Er entwischt.

robespierretritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.

robespierre: Was gibt’s da, Bürger?

dritterbürger: Was wird’s geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht. Die Guillotine ist zu langsam. Wir brauchen einen Platzregen!

ersterbürger: Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit Aristokratenfleisch füttern. He! totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!

alle: Totgeschlagen! Totgeschlagen!

robespierre: Im Namen des Gesetzes!

ersterbürger: Was ist das Gesetz?

robespierre: Der Wille des Volks.

erster bürger: Wir sind das Volk, und wir wollen, dass kein Gesetz sei; ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt’s kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!

einige stimmen: Hört den Aristides! Hört den Unbestechlichen!

ein weib: Hört den Messias, der gesandt ist, zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl, seine Hände sind die Hände des Gerichts.

robespierre: Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht, du opferst deine Feinde. Volk, du bist groß! Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und Donnerschlägen. Aber, Volk, deine Streiche dürfen deinen eignen Leib nicht verwunden; du mordest dich selbst in deinem Grimm. Du kannst nur durch deine eigne Kraft fallen, das wissen deine Feinde. Deine Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hände führen; ihre Augen sind untrügbar, deine Hände sind unentrinnbar. Kommt mit zu den Jakobinern! Eure Brüder werden euch ihre Arme öffnen, wir werden ein Blutgericht über unsere Feinde halten.

viele stimmen: Zu den Jakobinern! Es lebe Robespierre!

Alle ab.

simon: Weh mir, verlassen!Er versucht sich aufzurichten.

weib: Da!Sie unterstützt ihn.

simon: Ach, meine Baucis! Du sammelst Kohlen auf mein Haupt.

weib: Da steh!

simon: Du wendest dich ab? Ha, kannst du mir vergeben, Porcia? Schlug ich dich? Das war nicht meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahnsinn tat es.

Sein Wahnsinn ist des armen Hamlet Feind.

Hamlet tat’s nicht, Hamlet verleugnet’s.

Wo ist unsre Tochter, wo ist mein Sannchen?

weib: Dort um das Eck herum.

simon: Fort zu ihr! Komm, mein tugendreich Gemahl.

Beide ab.

Der Jakobinerklub

ein lyoner: Die Brüder von Lyon senden uns, um in eure Brust ihren bittren Unmut auszuschütten. Wir wissen nicht, ob der Karren, auf dem Ronsin zur Guillotine fuhr, der Totenwagen der Freiheit war, aber wir wissen, dass seit jenem Tage die Mörder Chaliers wieder so fest auf den Boden treten, als ob es kein Grab für sie gäbe. Habt ihr vergessen, dass Lyon ein Flecken auf dem Boden Frankreichs ist, den man mit den Gebeinen der Verräter zudecken muss? Habt ihr vergessen, dass diese Hure der Könige ihren Aussatz nur in dem Wasser der Rhone abwaschen kann? Habt ihr vergessen, dass dieser revolutionäre Strom die Flotten Pitts im Mittelmeere auf den Leichen der Aristokraten muss stranden machen? Eure Barmherzigkeit mordet die Revolution. Der Atemzug eines Aristokraten ist das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling stirbt für die Republik, ein Jakobiner tötet für sie. Wisst: Finden wir in euch nicht mehr die Spannkraft der Männer des 10. August, des September und des 31. Mai, so bleibt uns, wie dem Patrioten Gaillard, nur der Dolch des Kato.

Beifall und verwirrtes Geschrei.

einjakobiner: Wir werden den Becher des Sokrates mit euch trinken!

legendre schwingt sich auf die Tribüne: Wir haben nicht nötig, unsere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, die seidne Kleider tragen, die in Kutschen fahren, die in den Logen im Theater sitzen und nach dem Diktionär der Akademie sprechen, tragen seit einigen Tagen die Köpfe fest auf den Schultern. Sie sind witzig und sagen, man müsse Marat und Chalier zu einem doppelten Märtyrertum verhelfen und sie in effigie guillotinieren. Heftige Bewegung in der Versammlung.

einige stimmen: Das sind tote Leute, ihre Zunge guillotiniert sie.

legendre: Das Blut dieser Heiligen komme über sie! Ich frage die anwesenden Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses, seit wann ihre Ohren so taub geworden sind …

collotd’herbois unterbricht ihn: Und ich frage dich, Legendre, wessen Stimme solchen Gedanken Atem gibt, dass sie lebendig werden und zu sprechen wagen? Es ist Zeit, die Masken abzureißen. Hört! Die Ursache verklagt ihre Wirkung, der Ruf sein Echo, der Grund seine Folge. Der Wohlfahrtsausschuss versteht mehr Logik, Legendre. Sei ruhig! Die Büsten der Heiligen werden unberührt bleiben, sie werden wie Medusenhäupter die Verräter in Stein verwandlen.

robespierre: Ich verlange das Wort.

die jakobiner: Hört, hört den Unbestechlichen!

robespierre: Wir warteten nur auf den Schrei des Unwillens, der von allen Seiten ertönt, um zu sprechen. Unsere Augen waren offen, wir sahen den Feind sich rüsten und sich erheben, aber wir haben das Lärmzeichen nicht gegeben; wir ließen das Volk sich selbst bewachen, es hat nicht geschlafen, es hat an die Waffen geschlagen. Wir ließen den Feind aus seinem Hinterhalt hervorbrechen, wir ließen ihn anrücken; jetzt steht er frei und ungedeckt in der Helle des Tages, jeder Streich wird ihn treffen, er ist tot, sobald ihr ihn erblickt habt.

Ich habe es euch schon einmal gesagt: In zwei Abteilungen, wie in zwei Heerhaufen, sind die inneren Feinde der Republik zerfallen. Unter Bannern von verschiedener Farbe und auf den verschiedensten Wegen eilen sie alle dem nämlichen Ziele zu. Die eine dieser Faktionen ist nicht mehr. In ihrem affektierten Wahnsinn suchte sie die erprobtesten Patrioten als abgenutzte Schwächlinge beiseitezuwerfen, um die Republik ihrer kräftigsten Arme zu berauben. Sie erklärte der Gottheit und dem Eigentum den Krieg, um eine Diversion zugunsten der Könige zu machen. Sie parodierte das erhabne Drama der Revolution, um dieselbe durch studierte Ausschweifungen bloßzustellen. Huberts Triumph hätte die Republik in ein Chaos verwandelt, und der Despotismus war befriedigt. Das Schwert des Gesetzes hat den Verräter getroffen. Aber was liegt den Fremden daran, wenn ihnen Verbrecher einer anderen Gattung zur Erreichung des nämlichen Zwecks bleiben? Wir haben nichts getan, wenn wir noch eine andere Faktion zu vernichten haben.

Sie ist das Gegenteil der vorhergehenden. Sie treibt uns zur Schwäche, ihr Feldgeschrei heißt: Erbarmen! Sie will dem Volk seine Waffen und die Kraft, welche die Waffen führt, entreißen, um es nackt und entnervt den Königen zu überantworten.

Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist die Tugend – die Tugend, weil ohne sie der Schrecken verderblich, der Schrecken, weil ohne ihn die Tugend ohnmächtig ist. Der Schrecken ist ein Ausfluss der Tugend, er ist nichts anders als die schnelle, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Sie sagen, der Schrecken sei die Waffe einer despotischen Regierung, die unsrige gliche also dem Despotismus. Freilich! aber so, wie das Schwert in den Händen eines Freiheitshelden dem Säbel gleicht, womit der Satellit des Tyrannen bewaffnet ist. Regiere der Despot seine tierähnlichen Untertanen durch den Schrecken, er hat recht als Despot; zerschmettert durch den Schrecken die Feinde der Freiheit, und ihr habt als Stifter der Republik nicht minder recht. Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei.

Erbarmen mit den Royalisten!, rufen gewisse Leute. Erbarmen mit Bösewichtern? Nein! Erbarmen für die Unschuld, Erbarmen für die Schwäche, Erbarmen für die Unglücklichen, Erbarmen für die Menschheit! Nur dem friedlichen Bürger gebührt von selten der Gesellschaft Schutz.

In einer Republik sind nur Republikaner Bürger, Royalisten und Fremde sind Feinde. Die Unterdrücker der Menschheit bestrafen, ist Gnade; ihnen verzeihen, ist Barbarei. Alle Zeichen einer falschen Empfindsamkeit scheinen mir Seufzer, welche nach England oder nach Östreich fliegen.

Aber nicht zufrieden, den Arm des Volkes zu entwaffnen, sucht man noch die heiligsten Quellen seiner Kraft durch das Laster zu vergiften. Dies ist der feinste, gefährlichste und abscheulichste Angriff auf die Freiheit. Das Laster ist das Kainszeichen des Aristokratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches, sondern auch ein politisches Verbrechen; der Lasterhafte ist der politische Feind der Freiheit, er ist ihr umso gefährlicher, je größer die Dienste sind, die er ihr scheinbar erwiesen. Der gefährlichste Bürger ist derjenige, welcher leichter ein Dutzend rote Mützen verbraucht, als eine gute Handlung vollbringt.

Ihr werdet mich leicht verstehen, wenn ihr an Leute denkt, welche sonst in Dachstuben lebten und jetzt in Karossen fahren und mit ehemaligen Marquisinnen und Baronessen Unzucht treiben. Wir dürfen wohl fragen: Ist das Volk geplündert, oder sind die Goldhände der Könige gedrückt worden, wenn wir Gesetzgeber des Volks mit allen Lastern und allem Luxus der ehemaligen Höflinge Parade machen, wenn wir diese Marquis und Grafen der Revolution reiche Weiber heiraten, üppige Gastmähler geben, spielen, Diener halten und kostbare Kleider tragen sehen? Wir dürfen wohl staunen, wenn wir sie Einfälle haben, Schöngeistern und so etwas vom guten Ton bekommen hören. Man hat vor Kurzem auf eine unverschämte Weise den Tacitus parodiert, ich könnte mit dem Sallust antworten und den Katilina travestieren; doch ich denke, ich habe keine Striche mehr nötig, die Porträts sind fertig.

Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit den Menschen, welche nur auf Ausplünderung des Volkes bedacht waren, welche diese Ausplünderung ungestraft zu vollbringen hofften, für welche die Republik eine Spekulation und die Revolution ein Handwerk war! In Schrecken gesetzt durch den reißenden Strom der Beispiele, suchen sie ganz leise die Gerechtigkeit abzukühlen. Man sollte glauben, jeder sage zu sich selbst: »Wir sind nicht tugendhaft genug, um so schrecklich zu sein. Philosophische Gesetzgeber, erbarmt euch unsrer Schwäche! Ich wage euch nicht zu sagen, dass ich lasterhaft bin; ich sage euch also lieber: seid nicht grausam!«

Beruhige dich, tugendhaftes Volk, beruhigt euch, ihr Patrioten! Sagt euren Brüdern zu Lyon: Das Schwert des Gesetzes roste nicht in den Händen, denen ihr es anvertraut habt! – Wir werden der Republik ein großes Beispiel geben.

Allgemeiner Beifall.

viele stimmen: Es lebe die Republik! Es lebe Robespierre!

präsident: Die Sitzung ist aufgehoben.

Eine Gasse

lacroix, legendre

lacroix: Was hast du gemacht, Legendre! Weißt du auch, wem du mit deinen Büsten den Kopf herunterwirfst?

legendre: Einigen Stutzern und eleganten Weibern, das ist alles.

lacroix: Du bist ein Selbstmörder, ein Schatten, der sein Original und somit sich selbst ermordet.

legendre: Ich begreife nicht.

lacroix: Ich dächte, Collot hätte deutlich gesprochen.

legendre: Was macht das? Er war wieder betrunken.

lacroix: Narren, Kinder und – nun? – Betrunkne sagen die Wahrheit. Wen glaubst du denn, dass Robespierre mit dem Katilina gemeint habe?

legendre: Nun?

lacroix: Die Sache ist einfach. Man hat die Atheisten und Ultrarevolutionärs aufs Schafott geschickt; aber dem Volk ist nicht geholfen, es läuft noch barfuß in den Gassen und will sich aus Aristokratenleder Schuhe machen. Der Guillotinenthermometer darf nicht fallen; noch einige Grade, und der Wohlfahrtsausschuss kann sich sein Bett auf dem Revolutionsplatz suchen.

legendre: Was haben damit meine Büsten zu schaffen?

lacroix: Siehst du’s noch nicht? Du hast die Contrerevolution offiziell bekannt gemacht, du hast die Dezemvirn zur Energie gezwungen, du hast ihnen die Hand geführt. Das Volk ist ein Minotaurus, der wöchentlich seine Leichen haben muss, wenn er sie nicht auffressen soll.

legendre: Wo ist Danton?

lacroix: Was weiß ich! Er sucht eben die Mediceische Venus stückweise bei allen Grisetten des Palais-Royal zusammen; er macht Mosaik, wie er sagt. Der Himmel weiß, bei welchem Glied er gerade ist. Es ist ein Jammer, dass die Natur die Schönheit, wie Medea ihren Bruder, zerstückt und sie so in Fragmenten in die Körper gesenkt hat. – Gehn wir ins Palais-Royal! Beide ab.

Ein Zimmer

danton. marion

marion: Nein, lass mich! So zu deinen Füßen. Ich will dir erzählen.

danton: Du könntest deine Lippen besser gebrauchen.

marion: Nein, lass mich einmal so. – Meine Mutter war eine kluge Frau; sie sagte mir immer, die Keuschheit sei eine schöne Tugend. Wenn Leute ins Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich aus dem Zimmer gehn; frug ich, was die Leute gewollt hätten, so sagte sie mir, ich solle mich schämen; gab sie mir ein Buch zu lesen, so musst ich fast immer ­einige Seiten überschlagen. Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war alles heilig; aber es war etwas darin, was ich nicht begriff. Ich mochte auch niemand fragen, ich brütete über mir selbst. Da kam der Frühling; es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphäre, sie erstickte mich fast. Ich betrachtete meine Glieder; es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann wieder in eins. Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus; er war hübsch und sprach oft tolles Zeug; ich wusste nicht recht, was er wollte, aber ich musste lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebenso gut zwischen zwei Betttüchern beieinander liegen, als auf zwei Stühlen nebeneinander sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnügen als bei seiner Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das Geringere gewähren und das Größere entziehen wollte. Wir taten’s heimlich. Das ging so fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte. Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle Männer verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann da drüber hinaus? Endlich merkt’ er’s. Er kam eines Morgens und küsste mich, als wollte er mich ersticken; seine Arme schnürten sich um meinen Hals, ich war in unsäglicher Angst. Da ließ er mich los und lachte und sagte: Er hätte fast einen dummen Streich gemacht; ich solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es würde sich schon von selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben, es wäre doch das Einzige, was ich hätte. Dann ging er; ich wusste wieder nicht, was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster; ich bin sehr reizbar und hänge mit allem um mich nur durch eine Empfindung zusammen; ich versank in die Wellen der Abendröte. Da kam ein Haufe die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen aus den Fenstern. Ich sah hinunter: Sie trugen ihn in einem Korb vorbei, der Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er hatte sich ersäuft. Ich musste weinen. – Das war der einzige Bruch in meinem Wesen. Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren Geburtstag einmal gerührt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal nach. Ich begreife nichts davon: Ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur eins; ein ununterbrochenes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom. Meine Mutter ist vor Gram gestorben; die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es läuft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen; es ist das nämliche Gefühl; wer am meisten genießt, betet am meisten.

danton: Warum kann ich deine Schönheit nicht ganz in mich fassen, sie nicht ganz umschließen?

marion: Danton, deine Lippen haben Augen.

danton: Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen.

lacroix, adelaide, rosalie treten ein.

lacroix bleibt in der Tür stehn: Ich muss lachen, ich muss lachen.

dantonunwillig: Nun?

lacroix: Die Gasse fällt mir ein.

danton: Und?

lacroix: Auf der Gasse waren Hunde, eine Dogge und ein Bologneser Schoßhündlein, die quälten sich.

danton: Was soll das?

lacroix: Das fiel mir nun grade so ein, und da musst ich lachen. Es sah erbaulich aus! Die Mädel guckten aus den Fenstern; man sollte vorsichtig sein und sie nicht einmal in der Sonne sitzen lassen. Die Mücken treiben’s ihnen sonst auf den Händen; das macht Gedanken. – Legendre und ich sind fast durch alle Zellen gelaufen, die Nönnlein von der Offenbarung durch das Fleisch hingen uns an den Rockschößen und wollten den Segen. Legendre gibt einer die Disziplin, aber er wird einen Monat dafür zu fasten bekommen. Da bringe ich zwei von den Priesterinnen mit dem Leib.

marion: Guten Tag, Demoiselle Adelaide! Guten Tag, Demoiselle Rosalie!

rosalie: Wir hatten schon lange nicht das Vergnügen.

marion: Es war mir recht leid.

adelaide: Ach Gott, wir sind Tag und Nacht beschäftigt.

danton zu Rosalie: Ei, Kleine, du hast ja geschmeidige Hüften bekommen.

rosalie: Ach ja, man vervollkommnet sich täglich.

lacroix: Was ist der Unterschied zwischen dem antiken und einem modernen Adonis?

danton: Und Adelaide ist sittsam-interessant geworden; eine pikante Abwechslung. Ihr Gesicht sieht aus wie ein Feigenblatt, das sie sich vor den ganzen Leib hält. So ein Feigenbaum an einer so gangbaren Straße gibt einen erquicklichen Schatten.

adelaide: Ich wäre ein Herdweg, wenn Monsieur …

danton: Ich verstehe; nur nicht böse, mein Fräulein!

lacroix: So höre doch! Ein moderner Adonis wird nicht von einem Eber, sondern von Säuen zerrissen; er bekommt seine Wunde nicht am Schenkel, sondern in den Leisten, und aus seinem Blut sprießen nicht Rosen hervor, sondern schießen Quecksilberblüten an.

danton: O lass das, Fräulein Rosalie ist ein restaurierter Torso, woran nur die Hüften und Füße antik sind. Sie ist eine Magnetnadel: Was der Pol Kopf abstößt, zieht der Pol Fuß an; die Mitte ist ein Äquator, wo jeder eine Sublimattaufe bekömmt, der die Linie passiert.

lacroix: Zwei Barmherzige Schwestern; jede dient in einem Spital, d. h. in ihrem eignen Körper.

rosalie: Schämen Sie sich, unsere Ohren rot zu machen!

adelaide: Sie sollten mehr Lebensart haben!

Adelaide und Rosalie ab.

danton: Gute Nacht, ihr hübschen Kinder!

lacroix: Gute Nacht, ihr Quecksilbergruben!

danton: Sie dauern mich, sie kommen um ihr Nachtessen.

lacroix: Höre, Danton, ich komme von den Jakobinern.

danton: Nichts weiter?

lacroix: Die Lyoner verlasen eine Proklamation; sie meinten, es bliebe ihnen nichts übrig, als sich in die Toga zu wickeln. Jeder macht ein Gesicht, als wollte er zu seinem Nachbar sagen: Paetus, es schmerzt nicht! – Legendre rief, man wolle Chaliers und Marats Büsten zerschlagen. Ich glaube, er will sich das Gesicht wieder rot machen; er ist ganz aus der Terreur herausgekommen, die Kinder zupfen ihn auf der Gasse am Rock.

danton: Und Robespierre?

lacroix: Fingerte auf der Tribüne und sagte: Die Tugend muss durch den Schrecken herrschen. Die Phrase machte mir Halsweh.

danton: Sie hobelt Bretter für die Guillotine.

lacroix: Und Collot schrie wie besessen, man müsse die Masken abreißen.

danton: Da werden die Gesichter mitgehen.

paris tritt ein.

lacroix: Was gibt’s, Fabricius?

paris: Von den Jakobinern weg ging ich zu Robespierre; ich verlangte eine Erklärung. Er suchte eine Miene zu machen wie Brutus, der seine Söhne opfert. Er sprach im Allgemeinen von den Pflichten, sagte: Der Freiheit gegenüber kenne er keine Rücksicht, er würde alles opfern, sich, seinen Bruder, seine Freunde.

danton: Das war deutlich; man braucht nur die Skala herumzukehren, so steht er unten und hält seinen Freunden die Leiter. Wir sind Legendre Dank schuldig, er hat sie sprechen gemacht.

lacroix: Die Hebertisten sind noch nicht tot, das Volk ist materiell elend, das ist ein furchtbarer Hebel. Die Schale des Blutes darf nicht steigen, wenn sie dem Wohlfahrtsausschuss nicht zur Laterne werden soll; er hat Ballast nötig, er braucht einen schweren Kopf.

danton: Ich weiß wohl – die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eignen Kinder. Nach einigem Besinnen: Doch, sie werden’s nicht wagen.

lacroix: Danton, du bist ein toter Heiliger; aber die Revolution kennt keine Reliquien, sie hat die Gebeine aller Könige auf die Gasse und alle Bildsäulen von den Kirchen geworfen. Glaubst du, man würde dich als Monument stehen lassen?

danton: Mein Name! Das Volk!

lacroix: Dein Name! Du bist ein Gemäßigter, ich bin einer, Camille, Philippeau, Hérault. Für das Volk sind Schwäche und Mäßigung eins; es schlägt die Nachzügler tot. Die Schneider von der Sektion der roten Mütze werden die ganze römische Geschichte in ihrer Nadel fühlen, wenn der Mann des September ihnen gegenüber ein Gemäßigter war.

danton: Sehr wahr, und außerdem – das Volk ist wie ein Kind, es muss alles zerbrechen, um zu sehen, was darin steckt.

lacroix: Und außerdem, sind wir lasterhaft, wie Robespierre sagt, d. h. wir genießen; und das Volk ist tugendhaft, d. h. es genießt nicht, weil ihm die Arbeit die Genussorgane stumpf macht, es besäuft sich nicht, weil es kein Geld hat, und es geht nicht ins Bordell, weil es nach Käs und Hering aus dem Hals stinkt und die Mädel davor einen Ekel haben.

danton: Es hasst die Genießenden wie ein Eunuch die Männer.

lacroix: Man nennt uns Spitzbuben, und sich zu den obren Dantons neigend es ist, unter uns gesagt, so halbwegs was Wahres dran. Robespierre und das Volk werden tugendhaft sein. St. Just wird einen Roman schreiben, und Barère wird eine Carmagnole schneidern und dem Konvent das Blutmäntelchen umhängen und – ich sehe alles.

danton: Du träumst. Sie hatten nie Mut ohne mich, sie werden keinen gegen mich haben; die Revolution ist noch nicht fertig, sie könnten mich noch nötig haben, sie werden mich im Arsenal aufheben.

lacroix: Wir müssen handeln.

danton: Das wird sich finden.

lacroix: Es wird sich finden, wenn wir verloren sind.

marionzu Danton: Deine Lippen sind kalt geworden, deine Worte haben deine Küsse erstickt.

danton zu Marion: So viel Zeit zu verlieren! Das war der Mühe wert! – Zu Lacroix: Morgen geh ich zu Robespierre; ich werde ihn ärgern, da kann er nicht schweigen. Morgen also! Gute Nacht, meine Freunde, gute Nacht! Ich danke euch!

lacroix: Packt euch, meine guten Freunde, packt euch! Gute Nacht, Danton! Die Schenkel der Demoiselle guillotinieren dich, der Mons Veneris wird dein Tarpejischer Fels.

Ab mit Paris.

Ein Zimmer

robespierre. danton. paris.

robespierre: Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind – seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu verteidigen, tötet mich so gut, als wenn er mich angriffe.

danton: Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.

robespierre: Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muss sich an die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muss bestraft werden, die Tugend muss durch den Schrecken herrschen.

danton: Ich verstehe das Wort Strafe nicht. – Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. – Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lügst, du lügst!?

robespierre: Mein Gewissen ist rein.

danton: Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich, wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der Mühe wert, sich darüber in den Haaren zu liegen! Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren, so herumzugehn, hast du deswegen das Recht, sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebenso gut mitansehn als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen.

robespierre: Du leugnest die Tugend?

danton: Und das Laster. Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß, d. h. er tut, was ihm wohltut. – Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?

robespierre: Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.

danton: Du darfst es nicht proskribieren, ums Himmels willen nicht, das wäre undankbar; du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast nämlich. – Übrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unsere Streiche müssen der Republik nützlich sein, man darf die Unschuldigen nicht mit den Schuldigen treffen.

robespierre: Wer sagt dir denn, dass ein Unschuldiger getroffen worden sei?

danton: Hörst du, Fabricius? Es starb kein Unschuldiger! Er geht; im Hinausgehn zu Paris: Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wir müssen uns zeigen! Danton und Paris ab.

robespierre allein: Geh nur! Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen, wie ein Kutscher seine dressierten Gäule; sie werden Kraft genug haben, ihn zum Revolutionsplatz zu schleifen.

Mir die Absätze von den Schuhen treten! Um bei deinen Begriffen zu bleiben! – Halt! Halt! Ist’s das eigentlich? – Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich hätte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen. – Und wenn sie recht hätten? – Ist’s denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muss weg. Es ist lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen. – Er muss weg. Wer in einer Masse, die vorwärtsdrängt, stehen bleibt, leistet so gut Widerstand, als trät er ihr entgegen: er wird zertreten.

Wir werden das Schiff der Revolution nicht auf den seichten Berechnungen und den Schlammbänken dieser Leute stranden lassen; wir müssen die Hand abhauen, die es zu halten wagt – und wenn er es mit den Zähnen packte!

Weg mit einer Gesellschaft, die der toten Aristokratie die Kleider ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat!

Keine Tugend! Die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen Begriffen! – Wie das immer wiederkommt. – Warum kann ich den Gedanken nicht loswerden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln, als ich will, das Blut schlägt immer durch. – Nach einer Pause: Ich weiß nicht, was in mir das andere belügt. Er tritt ans Fenster. Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. Sie öffnen die Türen, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. – Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum? Sind wir nicht Nachtwandler? Ist nicht unser Handeln wie das im Traum, nur deutlicher, bestimmter, durchgeführter? Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper nachspielt, das ist Zufall.

st. just tritt ein.

robespierre: He, wer da im Finstern? He, Licht, Licht!

st.just: Kennst du meine Stimme?

robespierre: Ah du, St. Just! Eine Dienerin bringt Licht.

st.just: Warst du allein?

robespierre: Eben ging Danton weg.

st. just: Ich traf ihn unterwegs im Palais-Royal. Er machte seine revolutionäre Stirn und sprach in Epigrammen; er duzte sich mit den Ohnehosen, die Grisetten liefen hinter seinen Waden drein, und die Leute blieben stehn und zischelten sich in die Ohren, was er gesagt hatte. – Wir werden den Vorteil des Angriffs verlieren. Willst du noch länger zaudern? Wir werden ohne dich handeln. Wir sind entschlossen.

robespierre: Was wollt ihr tun?

st. just: Wir berufen den Gesetzgebungs-, den Sicherheits- und den Wohlfahrtsausschuss zu feierlicher Sitzung.

robespierre: Viel Umstände.

st. just: Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Mörder; wir dürfen sie nicht verstümmeln, alle ihre Glieder müssen mit hinunter.

robespierre: Sprich deutlicher!

st. just: Wir müssen ihn in seiner vollen Waffenrüstung beisetzen und seine Pferde und Sklaven auf seinem Grabhügel schlachten: Lacroix –

robespierre: Ein ausgemachter Spitzbube, gewesener Advokatenschreiber, gegenwärtig Generalleutnant von Frankreich. Weiter!

st. just: Hérault-Séchelles.

robespierre: Ein schöner Kopf!

st. just: Er war der schöngemalte Anfangsbuchstaben der Konsti­tutionsakte; wir haben dergleichen Zierrat nicht mehr nötig, er wird ausgewischt. – Philippeau. – Camille.

robespierre: Auch der?

st. justüberreicht ihm ein Papier: Das dacht ich. Da lies!

robespierre: Aha, ›Der alte Franziskaner‹! Sonst nichts? Er ist ein Kind, er hat über euch gelacht.

st. just: Lies hier, hier! Er zeigt ihm eine Stelle.

robespierre liest: ›Dieser Blutmessias Robespierre auf seinem Kalvarienberge zwischen den beiden Schächern Couthon und Collot, auf dem er opfert und nicht geopfert wird. Die Guillotinen-Betschwestern stehen wie Maria und Magdalena unten. St. Just liegt ihm wie Johannes am Herzen und macht den Konvent mit den apokalyptischen Offenbarungen des Meisters bekannt; er trägt seinen Kopf wie eine Monstranz.‹

st. just: Ich will ihn den seinigen wie St. Denis tragen machen.

robespierre liest weiter: ›Sollte man glauben, dass der saubere Frack des Messias das Leichenhemd Frankreichs ist, und dass seine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden Finger Guillotinenmesser sind? – Und du, Barère, der du gesagt hast, auf dem Revolutionsplatz werde Münze geschlagen! Doch – ich will den alten Sack nicht aufwühlen. Er ist eine Witwe, die schon ein halb Dutzend Männer hatte und sie alle begraben half. Wer kann was dafür? Das ist so eine Gabe, er sieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem Tode das hippokratische Gesicht an. Wer mag sich auch zu Leichen setzen und den Gestank riechen?‹

Also auch du, Camille? – Weg mit ihnen! Rasch! Nur die Toten kommen nicht wieder.

Hast du die Anklage bereit?

st.just: Es macht sich leicht. Du hast die Andeutungen bei den Jakobinern gemacht.

robespierre: Ich wollte sie schrecken.

st.just: Ich brauche nur durchzuführen; die Fälscher geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. – Sie sterben an der Mahlzeit, ich gebe dir mein Wort.

robespierre: Dann rasch, morgen! Keinen langen Todeskampf! Ich bin empfindlich seit einigen Tagen. – Nur rasch! St. Just ab.

robespierre allein: Jawohl, Blutmessias, der opfert und nicht geopfert wird. – Er hat sie mit seinem Blut erlöst, und ich erlöse sie mit ihrem eignen. Er hat sie sündigen gemacht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die Wollust des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat sich mehr verleugnet, ich oder er? – Und doch ist was von Narrheit in dem Gedanken. – Was sehen wir nur immer nach dem Einen? Wahrlich, der Menschensohn wird in uns allen gekreuzigt, wir ringen alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst keiner den andern mit seinen Wunden.

Mein Camille! – Sie gehen alle von mir – es ist alles wüst und leer – ich bin allein. 

Zweiter Akt

Ein Zimmerdanton, lacroix, philippeau, paris,camille desmoulins.

camille: Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!

danton er kleidet sich an: Aber die Zeit verliert uns.

Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und dass Millionen es schon so gemacht haben, und dass Millionen es wieder so machen werden, und dass wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das Nämliche tun, sodass alles doppelt geschieht – das ist sehr traurig.

camille: Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.

danton: Sterbende werden oft kindisch.

lacroix: Du stürzest dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißest alle deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, dass es Zeit ist, sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom Berge auf! Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribunen erschrecken und selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Heberts bedroht! Du musst dich deinem Zorn überlassen. Lasst uns wenigstens nicht entwaffnet und erniedrigt wie der schändliche Hebert sterben!

danton: Du hast ein schlechtes Gedächtnis, du nanntest mich einen toten Heiligen. Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest recht.

lacroix: Warum hast du es dazu kommen lassen?

danton: Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! – ’s ist nicht zum Aushalten. Ich wollte mir’s bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte.

Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es lässt sich an den Fingern herzählen: Die Jakobiner haben erklärt, dass die Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent – das wäre noch ein Mittel! Aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.

Und wenn es ginge – ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür – aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten!

camille: Pathetischer gesagt, würde es heißen: Wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? Oder: Wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? Oder: Wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?

danton: Du bist ein starkes Echo.

camille: Nicht wahr, ein Pistolenschuss schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben.

philippeau: Und Frankreich bleibt seinen Henkern?

danton: Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? – Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen hören. Das ist ganz artig und passt für uns; wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden.

Es ist recht gut, dass die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? ’s ist Zeit, dass man das bisschen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus Likörgläschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen.

Endlich – ich müsste schreien; das ist mir der Mühe zu viel, das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.

paris: So flieh, Danton!

danton: Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit? Und endlich – und das ist die Hauptsache: Sie werden’s nicht wagen. Zu Camille: Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden’s nicht wagen. Adieu, adieu! Danton und Camille ab.

philippeau: Da geht er hin.

lacroix: Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! Er will sich lieber guillotinieren lassen als eine Rede halten.

paris: Was tun?

lacroix: Heimgehn und als Lukretia auf einen anständigen Fall studieren.

Eine Promenade

spaziergänger.

ein bürger: Meine gute Jacqueline – ich wollte sagen Korn… wollt ich: Kor…

simon: Kornelia, Bürger, Kornelia.

bürger: Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut.

simon: Hat der Republik einen Sohn geboren.

bürger: Der Republik, das lautet zu allgemein; man könnte sagen …

simon: Das ist’s gerade, das Einzelne muss sich dem Allgemeinen …

bürger: Ach ja, das sagt meine Frau auch.

bänkelsänger singt:

Was doch ist, was doch ist

Aller Männer Freud und Lüst?

bürger: Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins Reine.

simon: Tauf ihn Pike, Marat!

bänkelsänger: Unter Kummer, unter Sorgen

Sich bemühn vom frühen Morgen,

Bis der Tag vorüber ist.

bürger: Ich hätte gern drei – es ist doch was mit der Zahl Drei – und dann was Nützliches und was Rechtliches; jetzt hab ich’s: Pflug, Robespierre. Und dann das dritte?

simon: Pike.

bürger: Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche Namen, das macht sich schön.

simon: Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der römischen Wölfin – nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das geht nicht. Gehn vorbei.

einbettlersingt: ›Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos …‹ Liebe Herren, schöne Damen!

erster herr: Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus!

zweiterherr: Da! Er gibt ihm Geld. Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist unverschämt.

bettler: Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?

zweiterherr: Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben; ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne …

bettler: Herr, warum habt Ihr gearbeitet?

zweiter herr: Narr, um den Rock zu haben.

bettler: Ihr habt Euch gequält, um einen Genuss zu haben; denn so ein Rock ist ein Genuss, ein Lumpen tut’s auch.

zweiter herr: Freilich, sonst geht’s nicht.

bettler: Dass ich ein Narr wäre! Das hebt einander.

Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz leicht.

Singt: ›Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos …‹

rosaliezuAdelaiden: Mach fort, da kommen Soldaten! Wir haben seit gestern nichts Warmes in den Leib gekriegt.

bettler: ›Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!‹ Meine Herren, meine Damen!

soldat: Halt! Wo hinaus, meine Kinder? Zu Rosalie: Wie alt bist du?

rosalie: So alt wie mein kleiner Finger.

soldat: Du bist sehr spitz.

rosalie: Und du sehr stumpf.

soldat: So will ich mich an dir wetzen. Er singt:

Christinlein, lieb Christinlein mein,

Tut dir der Schaden weh, Schaden weh,

Schaden weh, Schaden weh?

rosaliesingt: Ach nein, ihr Herrn Soldaten,

Ich hätt es gerne meh, gerne meh,

Gerne meh, gerne meh!

danton und camille treten auf.

danton: Geht das nicht lustig? – Ich wittre was in der Atmosphäre; es ist, als brüte die Sonne Unzucht aus. – Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse? Gehn vorbei.

junger herr: Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Bäumen, das Blinken eines Sterns …

madame: Der Duft einer Blume! Diese natürlichen Freuden, dieser reine Genuss der Natur! Zu ihrer Tochter: Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen dafür.

eugenieküsst ihrer Mutter die Hand: Ach, Mama, ich sehe nur Sie.

madame: Gutes Kind!

junger herrzischelt Eugenien ins Ohr: Sehen Sie dort die hübsche Dame mit dem alten Herrn?

eugenie: Ich kenne sie.

jungerherr: Man sagt, ihr Friseur habe sie à l’enfant frisiert.

eugenielacht: Böse Zunge!

jungerherr: Der alte Herr geht nebenbei; er sieht das Knöspchen schwellen und führt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen, der es habe wachsen machen.

eugenie: Wie unanständig! Ich hätte Lust, rot zu werden.

jungerherr: Das könnte mich blass machen. Gehn ab.

danton zu Camille: Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehen bleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie müssten zu den Fenstern und zu den Gräbern herauslachen, und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen. Gehn ab.

erster herr: Ich versichre Sie, eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen Künste bekommen dadurch eine andere ­Physiognomie. Die Menschheit eilt mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen.

zweiterherr: Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen, und das alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf. Er bleibt verlegen stehn.

erster herr: Was haben Sie denn?

zweiter herr: Ach, nichts! Ihre Hand, Herr! Die Pfütze – so! Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbei; das konnte gefährlich ­werden!

ersterherr: Sie fürchteten doch nicht?

zweiter herr: Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. – Man muss mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen!

Ein Zimmer

danton. camille. lucile.

camille: Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien bekommen, verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen – welch ein Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff, und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm das Gesicht und lässt das Ding sich drei Akte hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich totschießt – ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt wie eine Tonpfeife mit Wasser die Nachtigall – ach, die Kunst!

Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche Wirklichkeit! – Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Kopisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschöpfen: wie gewöhnlich! – Die Griechen wussten, was sie sagten, wenn sie erzählten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.

danton: Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: Ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern. Danton wird hinausgerufen.

camille: Was sagst du, Lucile?

lucile: Nichts, ich seh dich so gern sprechen.

camille: Hörst mich auch?

lucile: Ei freilich!

camille: Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?

lucile: Nein, wahrhaftig nicht. Danton kömmt zurück.

camille: Was hast du?

danton: Der Wohlfahrtsausschuss hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten.

Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien überdrüssig. Mögen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben.

camille: Danton, noch ist’s Zeit!

danton: Unmöglich – aber ich hätte nicht gedacht …

camille: Deine Trägheit!

danton: Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen brennen mich.

camille: Wo gehst du hin?

danton: Ja, wer das wüsste!

camille: Im Ernst, wohin?

danton: Spazieren, mein Junge, spazieren. Er geht.

lucile: Ach, Camille!

camille: Sei ruhig, lieb Kind!

lucile: Wenn ich denke, dass sie dies Haupt –! Mein Camille! Das ist Unsinn, gelt, ich bin wahnsinnig?

camille: Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.

lucile: Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf – warum denn gerade das eine? Wer sollte mir’s nehmen? Das wäre arg. Was wollten sie auch damit anfangen?

camille: Ich wiederhole dir: Du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit Robespierre: Er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts!

lucile: Such ihn auf!

camille: Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer große Anhänglichkeit gezeigt. Ich gehe.

lucile: So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das sie küsst ihn und das! Geh! Geh! Camille ab.

Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus? Man muss sich fassen.

Singt: Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,

Wer hat sich das Scheiden erdacht?

Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, dass es den Weg so von selbst findet. – Wie er hinaus ist, war mir’s, als könnte er nicht mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter.

Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hätte ein Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. Sie geht.

Freies Feld

danton. Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen. Er setzt sich nieder; nach einer Pause:

Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, dass er vielleicht noch kräftiger wirke und einem alles verlieren mache. Wenn das wäre! – Dann lief ich wie ein Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedächtnis, zu retten.

Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtnis, aber nicht für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. Er erhebt sich und kehrt um.

Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln.

Eigentlich muss ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt: Es wird morgen sein wie heute, und übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm, man will mich schrecken; sie werden’s nicht wagen! Ab.

Ein Zimmer

Es ist Nacht.

dantonam Fenster: Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall nie modern? Will’s denn nie still und dunkel werden, dass wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? – September! –

julie ruft von innen: Danton! Danton!

danton: He?

julie tritt ein: Was rufst du?

danton: Rief ich?

julie: Du sprachst von garstigen Sünden, und dann stöhntest du: September!

danton: Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht ich kaum, das waren nur ganz leise, heimliche Gedanken.

julie: Du zitterst, Danton!

danton: Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib so zerschellt ist, dass meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen der Steine reden? Das ist seltsam.

julie: Georg, mein Georg!

danton