Woyzeck. Dantons Tod - Georg Büchner - E-Book

Woyzeck. Dantons Tod E-Book

Georg Büchner

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Beschreibung

Dieser Sammelband enthält die beiden Dramen »Woyzeck« und »Dantons Tod« von Georg Büchner. Woyzeck: Das Drama »Woyzeck« von Georg Büchner ist eines der meistgespielten Theaterstücke des 19. Jahrhunderts. Der Erfolg des Dramas über den entwurzelten Gelegenheitsarbeiter Woyzeck, der aus Eifersucht mordet, ist ein Phänomen. Denn Büchner hat den »Woyzeck« unvollendet zurückgelassen. Lange war in der Wissenschaft sogar die richtige Szenenfolge strittig. Den Stoff für die Woyzeck-Geschichte bezog Georg Büchner aus einem realen Leipziger Mordfall. In einer Fachzeitschrift wurden mehrere gerichtsmedizinischen Gutachten zu diesem Fall veröffentlicht. Sie setzten sich detailreich mit dem Gemütszustand und der Zurechnungsfähigkeit Woyzecks zum Tatzeitpunkt auseinander. Georg Büchner gestaltet »Woyzeck« als soziales Drama, in dem die staatlichen Autoritäten und ihr zynischer Umgang mit dem Delinquenten Woyzeck kritisch beleuchtet werden. Dantons Tod: »Dantons Tod« von Georg Büchner schildert in 4 Akten die letzten zwei Wochen vor der Hinrichtung des französischen Revolutionärs Danton 1794 in Paris. Der Hinrichtung war ein Machtkampf unter verschiedenen revolutionären Gruppierungen vorausgegangen, die sich über das Vorgehen im Staatsaufbau und über den Umgang mit der entmachteten Aristokratie uneins waren. Für das Stück von 1835 hatte Georg Büchner zahlreiche historische Quellen gesichtet und in Redeausschnitten und Szenenbeschreibungen des Stücks ausführlich aus ihnen zitiert. In »Dantons Tod« zeigt Georg Büchner die Ohnmacht des einzelnen gegenüber den Zwängen der äußeren Verhältnisse, wie etwa den Gesetzmäßigkeiten einer Revolution. Büchner sprach vom »grässlichen Fatalismus der Geschichte«.

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Woyzeck. Dantons Tod

WOYZECKVorbemerkungPersonenWoyzeckDANTONS TODPersonenErster AktZweiter AktDritter AktVierter AktImpressum

WOYZECK

Vorbemerkung

Dieses Stück ist ein Fragment. Es gibt keine einzig richtige Reihenfolge der einzelnen Szenen, denn sie sind weder nummeriert noch in Akte aufgeteilt.

Das Stück spielt in Darmstadt, die Figuren sprechen größtenteils in dortigem Dialekt. Deshalb haben im Hochdeutschen grammatikalisch falsche Konstruktionen hier ihre Richtigkeit.

Personen

WoyzeckMarieHauptmannDoktorTamboumajourUnteroffizierAndresMargretBudenbesitzerMarktschreierAlter Mann mit LeierkastenJudeWirtErster HandwerksburschZweiter HandwerksburschKätheNarr KarlGrossmutterErstes, zweites, drittes Kinderste, zweite PersonPolizeikommissar

Soldaten. Studenten. Burschen und Mädchen. Kinder. Volk

Woyzeck

Beim Hauptmann

Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn.

Hauptmann: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat noch seine schönen dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck!

Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann.

Hauptmann: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist ewig, das ist ewig – das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick – Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch.

Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann.

Hauptmann: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red er doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter?

Woyzeck: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind!

Hauptmann: Ich spür's schon. 's ist so was Geschwindes draußen: so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. –Pfiffig:Ich glaub', wir haben so was aus Süd-Nord?

Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann.

Hauptmann: Ha, ha ha! Süd-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! –Gerührt:Woyzeck, Er ist ein guter Mensch – aber –Mit Würde:Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwürdiger Herr Garnisionsprediger sagt – ohne den Segen der Kirche, es ist ist nicht von mir.

Woyzeck: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen.

Hauptmann: Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' ich Ihn, Ihn –

Woyzeck: Wir arme Leut – Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat – Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.

Hauptmann: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet hat, und den weißen Strümpfen nachseh', wie sie über die Gassen springen – verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch –gerührt: –, ein guter Mensch, ein guter Mensch.

Woyzeck: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend – ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt' ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!

Hauptmann: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. – Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter!

Freies Feld, die Stadt in der Ferne

Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebüsch. Andres pfeift.

Woyzeck: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es wär ein Igel: drei Tag und drei Nächt, er lag auf den Hobelspänen. –Leise:Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab's, die Freimaurer!

Andressingt:Saßen dort zwei Hasen,fraßen ab das grüne, grüne Gras...

Woyzeck: Still: Hörst du's, Andres? Hörst du's? Es geht was!

Andres:Fraßen ab das grüne, grüne Gras...bis auf den grünen Rasen.

Woyzeck: Es geht hinter mir, unter mir. –Stampft auf den Boden:Hohl, hörst Du? Alles hohl da unten! Die Freimaurer!

Andres: Ich fürcht' mich.

Woyzeck: 's ist so kurios still. Man möcht' den Atem halten. – Andres!

Andres: Was?

Woyzeck: Red was! –Starrt in die Gegend.– Andres, wie hell! Über der Stadt is alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! – Fort! Sieh nicht hinter dich! –Reißt ihn ins Gebüsch.

Andresnach einer Pause: Woyzeck, hörst du's noch?

Woyzeck: Still, alles still, als wär' die Welt tot.

Andres: Hörst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort!

Die Stadt

Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht vorbei, der Tambourmajor voran.

Mariedas Kind wippend auf dem Arm: He, Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da kommen Sie!

Margret: Was ein Mann, wie ein Baum!

Marie: Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw.

Tambourmajor grüßt.

Margret: Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an ihr nit gewöhnt.

Mariesingt: Soldaten, das sind schöne Bursch ...

Margret: Ihre Auge glänze ja noch –

Marie: Und wenn! Trag Sie Ihr Aug zum Jud, und laß Sie sie putze; vielleicht glänze sie noch, daß man sie für zwei Knöpfe verkaufen könnt.

Margret: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, aber Sie, es weiß jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch!

Marie: Luder! –Schlägt das Fenster durch.– Komm, mei Bub! Was die Leute wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter Freud mit deim unehrlichen Gesicht! Sa! sa! –SingtMädel, was fangst Du jetzt an?Hast ein klein Kind und kein' Mann!Ei, was frag' ich danach?Sing' ich die ganze Nachtheio, popeio, mei Bu, juchhe!Gibt mir kein Mensch nix dazu.

Es klopft am Fenster.

Marie: Wer da? Bist du's, Franz? Komm herein!

Woyzeck: Kann nit. Muß zum Verles'.

Marie: Hast du Stecken geschnitten für den Hauptmann?

Woyzeck: Ja, Marie.

Marie: Was hast du, Franz? Du siehst so verstört.

Woyzeckgeheimnisvoll: Marie, es war wieder was, viel – steht nicht geschrieben: Und sie, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom Ofen?

Marie: Mann!

Woyzeck: Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Was soll das werden?

Marie: Franz!

Woyzeck: Ich muß fort. – Heut abend auf die Meß! Ich hab wieder gespart. –Er geht.

Marie: Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn! Er schnappt noch über mit den Gedanken! – Was bist so still, Bub? Furchtest dich? Es wird so dunkel; man meint, man wär' blind. Sonst scheint als die Latern herein. Ich halt's nit aus; es schauert mich! –Geht ab.

Buden. Lichter. Volk.

Alter Mannsingt und Kind tanzt zum Leierkasten:Auf der Welt ist kein Bestand,Wir müssen alle sterben,das ist uns wohlbekannt.

Woyzeck: Hei, Hopsa's! – Armer Mann, alter Mann! Armes Kind, junges Kind! Sorgen und Feste!

Marie: Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst ein Narr. – Komische Welt! Schöne Welt!

Beide gehn weiter zum Marktschreier.

Marktschreiervor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und einem kostümierten Affen: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Säbel! Der Aff ist Soldat; s' ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho! Mach Kompliment! So – bist Baron. Gib Kuß! –Er trompetet:Wicht ist musikalisch. – Meine Herren, hier ist zu sehen das astronomische Pferd und die kleine Kanaillevögele. Sind Favorit von alle gekrönte Häupter Europas, verkündigen den Leuten alles: wie alt, wieviel Kinder, was für Krankheit. Die Repräsentationen anfangen! Es wird sogleich sein Commencement von Commencement.

Woyzeck: Willst Du?

Marie: Meinetwegen. Das muß schön Ding sein. Was der Mensch Quasten hat! Und die Frau Hosen!

Beide gehn in die Bude.

Tambourmajor: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein Weibsbild!

Unteroffizier: Teufel! Zum Fortpflanzen von Kürassierregimentern!

Tambourmajor: Und zur Zucht von Tambourmajors!

Unteroffizier: Wie sie den Kopf trägt! Man meint, das schwarze Haar müßt' sie abwärts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen –

Tambourmajor: Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein hinunter guckt. Fort, hintendrein! –

Das Innere der hellerleuchteten Bude

Marie: Was Licht!

Woyzeck: Ja, Marie, schwarze Katzen mit feurigen Augen. Hei, was ein Abend!

Der Budenbesitzerein Pferd vorführend:Zeig dein Talent! Zeig deine viehische Vernünftigkeit! Beschäme die menschliche Sozietät! Meine Herren, dies Tier, was Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf seine vier Hufe, ist Mitglied von alle gelehrt Sozietät, ist Professor an unsre Universität, wo die Studente bei ihm reiten und schlagen lernen. – Das war einfacher Verstand. Denk jetzt mit der doppelten Raison! Was machst du, wann du mit der doppelten Raison denkst? Ist unter der gelehrten Société da ein Esel? –Der Gaul schüttelt den Kopf.– Sehn Sie jetzt die doppelte Raison? Das ist Viehsionomik. Ja, das ist kein viehdummes Individuum, das ist ein Person, ein Mensch, ein tierischer Mensch – und doch ein Vieh, ein Bête. –Das Pferd führt sich ungebührlich auf.– So, beschäme die Société. Sehn Sie, das Vieh ist noch Natur, unideale Natur! Lernen Sie bei ihm! Fragen Sie den Arzt, es ist sonst höchst schädlich! Das hat geheißen: Mensch, sei natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand, Dreck. Willst du mehr sein als Staub, Sand, Dreck? – Sehn Sie, was Vernunft: es kann rechnen und kann doch nit an den Fingern herzählen. Warum? Kann sich nur nit ausdrücken, nur nit explizieren, ist ein verwandelter Mensch. Sag den Herren, wieviel Uhr ist es! Wer von den Herren und Damen hat ein Uhr? ein Uhr?

Unteroffizier: Eine Uhr? –Zieht großartig und gemessen eine Uhr aus der Tasche:Da, mein Herr!

Marie: Das muß ich sehn. –Sie klettert auf den ersten Platz; Unteroffizier hilft ihr.

Tambourmajor: Das ist ein Weibsbild.

Mariens Kammer

Mariesitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in der Hand:Der andre hat ihm befohlen, und er hat gehen müssen! –Bespiegelt sich:Was die Steine glänzen! Was sind's für? Was hat er gesagt? – – Schlaf, Bub! Drück die Augen zu, fest! –Das Kind versteckt die Augen hinter den Händen.– Noch fester! Bleib so – still, oder er holt dich! –Singt:Mädel, mach's Ladel zu's kommt e Zigeunerbu,führt dich an deiner Handfort ins Zigeunerland.Spiegelt sich wieder.– 's ist gewiß Gold! Wie wird mir's beim Tanzen stehen? Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stück Spiegel, und doch hab ich ein' so roten Mund als die großen Madamen mit ihrem Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herrn, die ihnen die Händ küssen. Ich bin nur ein arm Weibsbild! –Das Kind richtet sich auf.– Still, Bub, die Augen zu! Das Schlafengelchen! Wie's an der Wand läuft. –Sie blinkt ihm mit dem Glas:Die Auge zu, oder es sieht dir hinein, daß du blind wirst!

Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie fährt auf, mit den Händen nach den Ohren.

Woyzeck: Was hast du?

Marie: Nix.

Woyzeck: Unter deinen Fingern glänzt's ja.

Marie: Ein Ohrringlein; hab's gefunden.

Woyzeck: Ich hab' so noch nix gefunden, zwei auf einmal!

Marie: Bin ich ein Mensch?

Woyzeck: 's ist gut, Marie. – Was der Bub schläft! Greif ihm unters Ärmchen, der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen stehn ihm auf der Stirn; alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir arme Leut! – Da ist wieder Geld, Marie; die Löhnung und was von meim Hauptmann.

Marie: Gott vergelt's, Franz.

Woyzeck: Ich muß fort. Heut abend, Marie! Adies!

Marieallein, nach einer Pause:Ich bin doch ein schlechter Mensch! Ich könnt' mich erstechen. – Ach, was Welt! Geht doch alle zum Teufel, Mann und Weib!

Beim Doktor

Woyzeck. Der Doktor.

Doktor: Was erleb' ich, Woyzeck? Ein Mann von Wort!

Woyzeck: Was denn, Herr Doktor?

Doktor: Ich hab's gesehn, Woyzeck; er hat auf die Straß gepißt, an die Wand gepißt, wie ein Hund. – Und doch drei Groschen täglich und die Kost! Woyzeck, das ist schlecht; die Welt wird schlecht, sehr schlecht!

Woyzeck: Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt.

Doktor: Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab' ich nicht nachgewiesen, daß der Musculus constrictor vesicae dem Willen unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit. – Den Harn nicht halten können! –Schüttelt den Kopf, legt die Hände auf den Rücken und geht auf und ab.– Hat Er schon seine Erbsen gegessen, Woyzeck? Nichts als Erbsen, cruciferae, merk Er sich's! Es gibt eine Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff 0,10, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul – Woyzeck, muß Er nicht wieder pissen? Geh Er einmal hinein und probier Er's!

Woyzeck: Ich kann nit, Herr Doktor.

Doktormit Affekt: Aber an die Wand pissen! Ich hab's schriftlich, den Akkord in der Hand! – Ich hab's gesehen, mit diesen Augen gesehen; ich steckt' grade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten. –Tritt auf ihn los:Nein, Woyzeck, ich ärgre mich nicht; Ärger ist ungesund, ist unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig; mein Puls hat seine gewöhnlichen sechzig, und ich sag's Ihm mit der größten Kaltblütigkeit. Behüte, wer wird sich über einen Menschen ärgern, ein' Mensch! Wenn es noch ein Proteus wäre, der einem krepiert! Aber, Woyzeck, Er hätte nicht an die Wand pissen sollen –

Woyzeck: Sehn Sie, Herr Doktor, manchmal hat einer so 'en Charakter, so 'ne Struktur. – Aber mit der Natur ist's was anders, sehn Sie; mit der Natur –er kracht mit den Fingern –, das is so was, wie soll ich sagen, zum Beispiel ...

Doktor: Woyzeck, Er philosophiert wieder.

Woyzeckvertraulich:Herr Doktor, haben Sie schon was von der doppelten Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mattag steht und es ist, als ging' die Welt in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredt!

Doktor: Woyzeck, Er hat eine Aberratio.

Woyzecklegt den Finger auf die Nase:Die Schwämme, Herr Doktor, da, da steckt's. Haben Sie schon gesehn, in was für Figuren die Schwämme auf dem Boden wachsen? Wer das lesen könnt!

Doktor: Woyzeck, Er hat die schönste Aberratio mentalis partialis, die zweite Spezies, sehr schön ausgeprägt. Woyzeck, Er kriegt Zulage! Zweite Spezies: fixe Idee mit allgemein vernünftigem Zustand. – Er tut noch alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann?

Woyzeck: Jawohl.

Doktor: Ißt seine Erbsen?

Woyzeck: Immer ordentlich, Herr Doktor. Das Geld für die Menage kriegt meine Frau.

Doktor: Tut seinen Dienst?

Woyzeck: Jawohl.

Doktor: Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck, Er kriegt Zulage, halt Er sich brav. Zeig Er seinen Puls. Ja.

Mariens Kammer

Marie. Tambourmajor.

Tambourmajor: Marie!

Marieihn ansehennd, mit Ausdruck:Geh einmal vor dich hin! Über die Brust wie ein Rind und ein Bart wie ein Löw. So ist keiner! – Ich bin stolz vor allen Weibern!

Tambourmajor: Wenn ich am Sonntag erst den großen Federbusch hab' und die weiße Handschuh, Donnerwetter! Der Prinz sagt immer: Mensch, Er ist ein Kerl.

Mariespöttisch:Ach was! –Tritt vor ihn hin:Mann!

Tambourmajor: Und du bist auch ein Weibsbild! Sapperment, wir wollen eine Zucht Tambourmajors anlegen. He? –Er umfaßt sie.

Marieverstimmt:Laß mich!

Tambourmajor: Wild Tier!

Marieheftig:Rühr mich an!

Tambourmajor: Sieht dir der Teufel aus den Augen?

Marie: Meinetwegen! Es ist alles eins!

Straße