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Geradegerückt E-Book

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Beschreibung

Was glaubt sie, wer sie ist? Berühmte Männer kommen mit allem durch, Frauen im Rampenlicht verzeihen wir: nichts. Beate Hausbichler und Noura Maan fragen, was das soll – und rehabilitieren Whitney, Britney &Co. Huren, Hexen, Hochstaplerinnen: Prominente Frauen müssen sich im Windkanal der Öffentlichkeit oft warm anziehen. Unerbittlich jagt der Boulevard in Ungnade gefallene Royals wie Meghan Markle, verleumdet lebenslustige Starlets wie Paris Hilton und wird zum Richter, wenn Natascha Kampusch sich weigert, das Opfer zu sein. Schmutzkübelkampagnen sorgen dafür, dass widerständige Frauen als schwierig, undankbar oder labil gelten. Warum das so ist, durchleuchten Beate Hausbichler, Noura Maan und viele weitere Autorinnen anhand von Schicksalen berühmter Frauen – und rücken die Perspektive auf sie gerade. Mit geradegerückten Porträts von: Pamela Anderson, Marie Antoinette, Mariah Carey, Mia Farrow, Paris Hilton, Whitney Houston, Janet Jackson, Natascha Kampusch, Amanda Knox, Monica Lewinsky, Gina Lisa Lohfink, Courtney Love, Meghan Markle, Sinead O'Connor, Yoko Ono, Camilla Parker Bowles, Pocahontas, Romy Schneider, Jean Seberg, Caster Semenya, Britney Spears, Sharon Stone, Taylor Swift, Tic Tac Toe, Serena Williams, Chien-Shiung Wu, Bettina Wulff

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Beate Hausbichler,Noura Maan (Hrsg.)

GERADE

gerückt

Vorverurteilt, skandalisiert, verleumdet:Wie Biografien prominenter Frauenverzerrt werden

Mit Illustrationen von Ūla Šveikauskaitė

Inhalt

Vorwort

Wie Frauen das Böse über die Welt brachten

Beate Hausbichler, Noura Maan

Pamela Anderson: Kein Recht auf Privatsphäre

Anya Antonius

Marie-Antoinette: Die Königin, die es niemandem recht machen konnte

Noura Maan

Mariah Carey: Was bildet die sich eigentlich ein?

Ana Wetherall-Grujić

Mia Farrow: Der Stempel der rachsüchtigen Ex

Vanja Nikolić

Paris Hilton: Geschieht ihr recht

Anya Antonius

Whitney Houston: Die Verkörperung der tragisch gefallenen Frau?

Selina Thaler

Janet Jackson: „Nipplegate“ und ein Sorry für nichts

Ricarda Opis

Natascha Kampusch: Das falsche Opfer

Ricarda Opis

Für Amanda Knox galt nie die Unschuldsvermutung

Amira Ben Saoud

Monica Lewinsky: Wenn der Name zum Herrenwitz wird

Noura Maan

Gina-Lisa Lohfink: Fifty Shades of „Nein“?

Beate Hausbichler

Courtney Love: Unanständige Witwe

Brigitte Theißl

Meghan Markle: Der falsche Kopf für die Krone

Noura Maan

Als Sinead O’Connor das Papstbild zerriss

Doris Priesching

Yoko Ono: Die Frau, die die Beatles nicht zerstörte

Selina Thaler

Camilla Parker Bowles: Die vielgehasste „andere Frau“

Beate Hausbichler

Pocahontas: Kolonialismus fürs Kinderzimmer

Anika Dang

Warum Romy Schneider keine Kaiserin der Herzen ist

Magdalena Waldl

Jean Seberg: Vernichtet vom FBI

Ricarda Opis

Caster Semenya: Die verbotene Siegerin

Noura Maan

Anna Nicole Smith: Abgelichtet und abgestempelt

Daniela Rom

Britney Spears: Popstar im Streik

Beate Hausbichler

Sharon Stone: Nur kurz die Beine übereinanderschlagen

Davina Brunnbauer

Taylor Swift: Mehr als die Summe ihrer Ex-Freunde

Davina Brunnbauer

Tic Tac Toe: „Zickenkrieg“ statt Street Credibility

Maria von Usslar

Serena Williams: Nicht nur Schwarz und wütend

Ana Wetherall-Grujić

Chien-Shiung Wu: Der unterschlagene Nobelpreis

Julia Sica

Bettina Wulff: Kollateralschaden einer Männer-Karriere

Davina Brunnbauer

Autorinnen

Vorwort

Wie Frauen das Böse über die Welt brachten

Von Beate Hausbichler und Noura Maan

Was war das für ein Leben – damals im Paradies! Ohne beengende Kleidung flanieren Adam und Eva durch wunderbare Landschaften, haben nicht einmal eine vage Vorstellung vom „Bösen“. Sie verbringen ihre Tage damit, die Tierwelt zu erkunden und von den Früchten aller Bäume zu essen, mit der kleinen Ausnahme dieses einen Baumes.

Die Zeit, bevor Eva alles ruiniert hat, klingt im Alten Testament ziemlich gut. Bevor sie sich von der Schlange dazu verführen ließ, von der verbotenen Frucht am Baum der Erkenntnis zu naschen und damit das Böse in die Welt kam.

Es ist die erste in einer langen Reihe von Erzählungen über Frauen, die schuld sind. Schuld an dem Unheil, das sie über die Welt bringen. So wie Marie-Antoinette über das französische Volk, Meghan Markle über die britische Monarchie oder Janet Jackson über das familienfreundliche Hauptabendprogramm.

Der Argwohn gegenüber Frauen ist uralt – und uns bis heute erhalten geblieben. Viele können sich noch gut erinnern: An die Kommentare, Witzchen, an die schmierigen Anzüglichkeiten über Frauen, die wir schon als Kinder mitbekommen haben. Richtig einordnen konnten wir sie da freilich noch nicht. Doch egal, wie verklausuliert die Abwertung von prominenten Frauen, etwa bei Familienfeiern oder in Klatschspalten, eingestreut wurde: Sie war da und deutlich spürbar – diese Art und Weise, wie die Welt über Frauen spricht, oder besser: lästert. Führen wir uns etwa diese Szene wieder vor Augen, die gefühlt in Dauerschleife zu sehen war, als 1998 der „Lewinsky-Skandal“ publik wurde. Monica Lewinsky, die Bill Clinton bei einer Wahlveranstaltung Jahre zuvor fasziniert und bewundernd ansieht. Dieser ikonische Auftritt liefert eine dominante Interpretation der Geschehnisse, die alles andere überstrahlt. Eine, in der sie, Lewinsky, der Skandal an sich ist. Eine, in der sie sich ihm an den Hals wirft, ihn anhimmelt und dann den Schmutz ins Weiße Haus bringt.

Oder nehmen wir ein anderes diffuses Bild aus der Popkultur, das gleich mehreren Generationen aufgedrängt wurde: John Lennon und Yoko Ono in den weißen Laken eines Amsterdamer Hotelbettes. Etwas, das sich bei vielen nicht als die Kunstaktion, die es war, ins Hirn eingebrannt hat, sondern als Symbol für das Ende der Beatles; für das Loseisen von den Band-Kollegen – von wegen „Bruder vor Luder“. Das Image der Zerstörerin einer der wichtigsten Bands der Welt, ach was, des Universums, war für Generationen eng mit dem Namen Yoko Ono verbunden. Wer heute, im Jahr 2023, Yoko Ono googelt, findet zwar die Information, dass sie eine einflussreiche Künstlerin ist, aber auch – mindestens ebenso prominent – das Phänomen, für das sie Patin stehen muss: den Yoko-Ono-Effekt. Nicht schwer zu erraten, worum es dabei geht: das Stereotyp der sich hineindrängenden Frau, die das harmonische Gefüge zerstört. Eine Frau, die die Party crasht.

Und was, wenn die Frau selbst quasi die Mensch gewordene Party ist? Auch wieder nicht okay. Stellen wir uns vor, was gewesen wäre, handelte es sich bei Paris Hilton um einen männlichen jungen Hotelerben: Würde seine Feierei als „herumludern“ betitelt werden? Würde ihm ständig zwischen die Beine fotografiert werden? Wohl kaum. Die junge Popkulturkonsumentin lernte, damals in den 2000er-Jahren: Eine junge Frau, die feiert, verdient jede noch so erdenkliche Respektlosigkeit. Wir sollten auch lernen, keines dieser Mädchen zu sein, damit uns so eine Behandlung erspart bleibt. Wobei: Die, die nicht feiert, ist prüde. Die, die nicht weint, eiskalt. Und die, die doch weint, hysterisch. Wie sie es auch macht, es ist verdammt falsch.

Die Vorbilder

Diese Ungerechtigkeit inspirierte die US-Autor:innen Michael Hobbes und Sarah Marshall 2018 zum Podcast You’re Wrong About, und Kollegin Anya Antonius 2021 zum Vorschlag für eine Standard-Reihe über Frauen, die rehabilitiert werden müssen: Geradegerückt. Nicht nur zahlreiche Kolleginnen meldeten sich sofort mit Ideen für mögliche Porträts, auch das Leser:innen-Feedback war überwältigend – was für ein feministisches Thema alles andere als selbstverständlich ist.

In diesem Buch finden sich nun 28 Texte über Frauen, die darin ins richtige Licht gerückt werden. Diese Frauen wurden für Dinge verantwortlich gemacht, für die sie nichts konnten, für Kleinigkeiten, die man Männern nie anlasten würde; sie wurden in der Öffentlichkeit gedemütigt, diffamiert, entmündigt.

In den meisten Fällen handelt es sich dabei um privilegierte Frauen, die sich selbst und ihrem Umfeld mit ihrer Berühmtheit, etwa durch Film, Musik oder Sport, ein gutes Leben ermöglichen können. Dennoch ist es wichtig, ihre Geschichten und das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, zu erzählen – eben weil unsere noch immer vorherrschenden patriarchalen Strukturen und der Sexismus nicht isoliert verbreitet werden; sie machen vor niemandem halt. Mag sein, dass die steinreiche Monarchin Camilla Parker Bowles beim Fünf-Uhr-Tee in einem riesigen Landhaus irgendwo in Schottland herzlich darüber lacht, wie sich der Boulevard jahrelang an ihrem Aussehen abgearbeitet hat. Das sehen und lesen aber nun mal auch weniger privilegierte Menschen. Und so lernen wir immer wieder aufs Neue: So sollte eine Frau nicht aussehen, so sollte sie sich nicht verhalten, so sollte sie nicht sein, wenn sie nicht beleidigt werden will. Auf diese Weise werden üble Bewertungskriterien für Frauen festgetackert und können somit letztlich jede treffen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Schwerer haben es Mehrfachdiskriminierte und auch jene, deren Geschlechtsidentität nicht den vorherrschenden Vorstellungen des starren binären Systems entspricht.

In jedem Fall reicht es als Frau nicht, es zu Erfolg und Berühmtheit gebracht zu haben. Gleichberechtigung ist nicht erreicht, wenn manche Frauen sich durchbeißen und es an die Spitzen von Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft schaffen – wie der von Spitzenmanagerin und Bestsellerautorin Sheryl Sandberg geprägte neoliberale „Lean in“-Feminismus predigt.

Ganz oben angekommen, haben Frauen zwar symbolisch etwas bewirkt, vor allem als Vorbild für eine jüngere Generation. Doch die als „erfolgreich“ und „stark“ abgefeierten Frauen sind nicht dort, wo sie sind, weil es nun weniger Hindernisse für sie gibt. Vielmehr feiert der „Lean in“-Feminismus sie dafür ab, dass sie es trotz frauenfeindlicher Strukturen geschafft haben – und damit bleibt das System dahinter weitgehend unangetastet. Der Fokus richtet sich weiterhin auf die Einzelne und ihre Leistung, und die muss in unserer misogynen Welt eben nach wie vor umfangreicher sein als jene von Männern.

Der Nährboden

Die Abwertung und die an Frauen angelegten Doppelstandards werden noch immer oft isoliert betrachtet. Und damit landet man letztlich wieder bei den einzelnen Frauen und der Frage: Ist das jetzt tatsächlich Sexismus, wenn ein paar Klatschspalten das Verhalten von Frauen sezieren, Frauen, die schließlich selbst im Rampenlicht stehen wollen? Die offenbar alles dafür tun?

Dabei ist es doch ziemlich offensichtlich: Das grelle Scheinwerferlicht, der hämische Fokus, ist fast immer auf Frauen gerichtet. Warum wurde Justin Timberlakes Ungeschicklichkeit bei einem gemeinsamen Super-Bowl-Auftritt mit Janet Jackson zum „Nipplegate“-Skandal? Warum ging die außereheliche Beziehung eines US-Präsidenten, ohne ihn namentlich zu erwähnen, als „Lewinsky-Affäre“ und „Monica-Gate“ in die Geschichte ein? Warum wurde nicht über Tommy Lee jahrelang sabbernd und abwertend gewitzelt, der schließlich gemeinsam mit Pamela Anderson auf dem inzwischen berühmten Sex-Tape zu sehen war?

Es ist ein uralter misogyner Nährboden, der unser frauenfeindliches Denken, Sprechen und Handeln am Leben erhält. Misogynie beschreibt die Verachtung, die Abwertung von Frauen und den Hass auf sie – aber nicht von Einzelnen, sondern als System: über tausende Jahre eingeübte und verinnerlichte Hierarchien zwischen den Geschlechtern, die in der Gesellschaft fest verankert sind. Die Philosophin Kate Manne sieht in ihrem Buch Down Girl. Die Logik der Misogynie als zentralen Aspekt von Misogynie, dass Frauen „nicht einfach Menschen sein“ können. „Sie dürfen nicht einfach sein, wie es für ihn gilt.“

Die Zeit

Eines wird beim Lesen und Betrachten der hier geradegerückten Frauenschicksale auffallen: Es ist schon einiges an Zeit vergangen. Es scheint also, dass es viel Distanz braucht, bis wir misogyne Muster klarer erkennen. Äußerungen, Bewertungen oder Urteile, die man Jahre oder Jahrzehnte später eindeutig als sexistisch bezeichnet, werden im Moment des sogenannten Skandals oft nicht als solche erkannt.

Das zeigte sich erst 2022 wieder beim Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard. Der Hohn, der Hass, die Morddrohungen, die die damals 36-jährige Schauspielerin während des Rechtsstreits erhalten hat, wird Betroffenen von Gewalt noch lange in Erinnerung bleiben. Denn auch diesmal hat die Mehrheit im Moment des Skandals die misogynen Strukturen nicht erkannt und aufgezeigt.

Es dauert noch immer zu lange, bis wir das ganze Bild sehen – oder bereit sind, es zu sehen? Womöglich ist es schlicht zu schwer, uns einzugestehen, wie unfrei wir noch immer von klischeehaften Geschlechterrollen sind, wie stark sie uns noch immer einengen, wie sehr wir ihnen noch immer auf den Leim gehen. Kein Wunder, sind wir doch alle mit ihnen aufgewachsen. Dieses Buch, 28 ins rechte Licht gerückte Geschichten, soll dabei helfen, klarer zu sehen.

Wie die Öffentlichkeit mit Frauen umgeht, bleibt in der Gesellschaft vor allem bei Jüngeren hängen: als Bild, wie sie später (nicht) zu sein haben oder wie man Frauen zu behandeln hat. Völlig egal, was sie tun, wie sie aussehen oder was sie leisten. Für künftige Generationen von Mädchen ist es wichtig, dass sich diese frauenverachtenden Erzählungen nicht mehr durchsetzen – und sie einfach Menschen sein können.

Pamela Anderson: Kein Recht auf Privatsphäre

Eine Frau zieht sich für Fotos aus und hat trotzdem das Recht, über die Darstellung ihres Körpers zu bestimmen: Die Geschichte von Baywatch-Star Pamela Anderson zeigt, dass das alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist

Anya Antonius

Es sind nur acht Filmminuten, doch sie beeinflussen das Leben Pamela Andersons bis heute. Bis der Skandal über ihr Leben hereinbricht, hat die junge Frau eine steile Karriere hingelegt. In einfachen Verhältnissen in einer kanadischen Kleinstadt aufgewachsen, wird sie 1989, mit 22 Jahren, bei einem Footballspiel als Werbegesicht entdeckt. Dann geht alles ganz schnell: Noch im selben Jahr landet sie auf dem Playboy-Cover. Drei Jahre später ergattert sie in der international erfolgreichen Serie Baywatch die Rolle der Rettungsschwimmerin C. J. Parker und zementiert damit ihren Status als Sexsymbol der 1990er-Jahre. Ihre Poster hängen rund um den Globus in Klassen- und Jugendzimmern, Werkstätten und Büros. Kaum jemand, der nicht weiß, wie sie aussieht, kaum jemand, der mit ihrem Namen nichts anfangen kann. Sie scheint ein wahr gewordener Männertraum zu sein, wie es so schön heißt: sexy, aber nicht bedrohlich; lasziv, aber süß; dazu lange blondierte Haare und eine üppige Oberweite. Pamela Anderson wird zur perfekten Verkörperung eines klassischen Pin-up-Girls.

Ende 1994 trifft sie Tommy Lee. Er ist Drummer der Glamrock-Band Mötley Crüe, die den Zenit schon leicht überschritten hatte. Sie kommen zusammen, heiraten am Strand in Cancún. Für das extravagante Paar muss es nun auch eine extravagante Villa sein. Doch besonders Lee ist mit der Arbeit der Handwerker unzufrieden. Er feuert den Elektriker Rand Gauthier trotz noch offener Rechnungen von über 20.000 US-Dollar. Als der sein Werkzeug holen will, verjagt ihn Lee mit der Schrotflinte.1 Gauthiers Rache ist simpel: Eines Nachts stiehlt er den Safe des Paares aus dessen Garage. Die Konsequenzen sind für alle Beteiligten nicht absehbar.

Im Safe befinden sich Waffen, Schmuck, der Hochzeitsbikini – und eine Videokassette. Als Gauthier sie abspielt, wird ihm klar, dass er auf einer Goldgrube sitzt. Hochprivate, intime Aufnahmen der frisch Verheirateten, ein 54 Minuten langes selbstgefilmtes Tape – davon acht Minuten, die das Ehepaar beim Sex zeigen. Erst drei Monate später bemerken Pamela Anderson und Tommy Lee, dass sie Opfer eines Raubes wurden und schalten Polizei und Privatermittler:innen ein. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits etliche Kopien ihres Tapes im Umlauf. Gauthier hatte im damals noch brandneuen Internet, einem mehr oder weniger rechtsfreien Raum, einen Versandhandel aufgezogen.

Bericht plus Filmstills

Auch das Penthouse-Magazin sichert sich eine Kopie. Aussichten, die das Paar nervös machen. Sie reichen eine einstweilige Verfügung gegen das Magazin ein und klagen auf zehn Millionen Dollar Schadenersatz. Die Klage wird abgewiesen. Das Argument der Penthouse-Anwält:innen: Nachdem Anderson bereits des Öfteren nackt im Playboy posiert hatte und sie und Lee in Interviews recht offen über ihr Sexleben sprachen, hätten sie ihr Recht auf Privatsphäre verwirkt. Die schlimmsten Befürchtungen des Paares werden wahr: Penthouse bringt einen großen Bericht inklusive expliziter Filmstills. Etwas, das nach heutiger US-amerikanischer Rechtsprechung gar nicht mehr möglich wäre. Im Jahr 1996 attestiert der zuständige Richter den Bildern allerdings Nachrichtenwert. Das Tape hat sich verselbstständigt, zahllose Bootleg-Kopien sind am Markt, die Geschichte ist nicht mehr zu kontrollieren. Verlief sie bis dahin unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit und der Medien, brechen nun alle Dämme.

Dabei folgt die öffentliche Meinung der Argumentation der Penthouse-Anwält:innen. Und schnell wird klar: Pamela Anderson trifft die Welle der Empörung und der Schadenfreude härter. Denn während Tommy Lee in der Diskussion eher die Rolle eines Nebendarstellers zukommt, steht sie voll im Fokus. Sie wird zur Zielscheibe pausenloser Talkshow-Herrenwitze und sexistischer Schlagzeilen. Kaum ein:e Interviewer:in schafft es, sie nicht nach „ihrem“ Sex-Tape zu fragen. In einem mittlerweile gelöschten Tweet2 erinnert sich Hole-Frontfrau Courtney Love zurück: „Als das Tape herauskam, waren wir [Frauen] gerade alleine im Studio. Denn alle, ALLE!, Tontechniker, Produzenten, Eigentümer sahen sich den Film mit enormer Schadenfreude an … Gelächter! Es war widerlich.“

Dass es sich dabei um gestohlenes Material handelte und dass das Ehepaar Opfer eines Verbrechens wurde, spielt in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle – obwohl beide es immer wieder betonen. Dass eine Frau sich zu ihren eigenen Bedingungen für Fotos nackt ablichten lassen kann, und dennoch nicht das Recht verliert, über die Darstellung ihres Körpers zu bestimmen, mit diesem Gedanken können viele nichts anfangen. Es scheint zu gelten, was Autorin Roxane Gay der Gesellschaft noch viele Jahre später diagnostiziert, als zahlreiche Nacktbilder weiblicher Stars geleakt werden: „Sie hat sich in die Öffentlichkeit begeben, darum sind wir berechtigt, so viel von ihr zu sehen, wie wir wollen.“3 Mit anderen Worten: Selbst schuld.

Tatsächlich hat auch Anderson davor und danach nie einen Hehl daraus gemacht, kein Problem mit ihrem Image als „Sexbombe“ zu haben. Auf ihre 14 Playboy-Cover – so viele wie keine Frau vor oder nach ihr für sich verzeichnen kann – ist sie stolz. Dass ihr Körper ihr Kapital ist, weiß sie, dass sie einen rein männlichen Blick bedient, ist ihr bewusst. „Ich bin lieber ein Sexsymbol als kein Sexsymbol“, sagt sie in einem Interview.4 Es hätten sich ihr und den Anliegen, die sie unterstützt, dadurch viele Türen geöffnet.

Ein Vierteljahrhundert später ist Pamela Anderson immer noch Teil des öffentlichen Diskurses. Dem Schatten ihres schwer beschädigten Images kann sie bis heute zwar nicht entkommen – sie scheint damit aber ihren Umgang gefunden zu haben, und kann in Interviews sogar Witze darüber machen. Ihre anhaltende Popularität setzt sie gezielt für Themen ein, die ihr wichtig sind. Bereits in den 1990er-Jahren schreibt sie der Tierschutzorganisation Peta: „Ich bin in einer Serie namens Baywatch, die Medien sind besessen von meinem Privatleben. Ich würde die Aufmerksamkeit gern auf Dinge lenken, die wichtiger sind als meine Brüste und meine Partner. Können wir uns zusammentun? Seit meiner Kindheit bin ich Tierfreundin und Peta-Mitglied. Ich wollte schon immer mehr tun. Bitte verwendet mich.“5

Sie sorgt aber auch für Kontroversen: Zu Beginn der #MeToo-Bewegung, als die zahlreichen Vorwürfe gegen Produzent Harvey Weinstein bekannt werden, sagt sie in einem BBC-Interview, die betroffenen Frauen hätten ihren Hausverstand verwenden sollen.6 Das sei Victim-Blaming, wendet die Interviewerin ein. „Ich gebe ihnen nicht die Schuld, aber Frauen müssen sich besser schützen.“ Denn sie seien immer in einer gefährdeten Position. Diese Kommentare lassen sich nach einem Blick auf ihre Biografie besser einordnen: Wie sie erst 2014 erzählt, wurde sie im Alter zwischen sechs und zehn Jahren von einer Babysitterin sexuell missbraucht.7 Mit zwölf Jahren wird sie von einem 25-Jährigen vergewaltigt, mit 14 Jahren Opfer einer Gruppenvergewaltigung durch ihren damaligen Freund und sechs seiner Freunde. Wie schlimm es für sie gewesen sein muss, in ihren intimsten Momenten den Blicken der ganzen Welt ausgesetzt zu sein, lässt sich vor diesem Hintergrund nur erahnen.

Serie ohne Zustimmung

2022 widmet sich schließlich die hochkarätig besetzte Serie Pam & Tommy der Geschichte rund um das Sex-Tape und seine Folgen – und schlägt sich dabei klar auf die Seite des ehemaligen Paares. Deutlich wird herausgearbeitet, wie einseitig, unfair und sexistisch die Berichterstattung in den 1990ern vor allem gegenüber Anderson war. Der einzige Schönheitsfehler: Auch in diesem Fall hat sie ihre Einwilligung zur Veröffentlichung nicht erteilt. Anderson, die eigenen Angaben zufolge das Tape nie angesehen hat und damit absolut nichts zu tun haben will, ist für Serienmacher:innen und Darsteller:innen nicht erreichbar. Zur Serie, für die Teile des Tapes nachgestellt werden und in der das Paar nackt und beim Sex gezeigt wird, gibt sie keinen einzigen Kommentar ab. Pam & Tommy, dessen zentrales Thema „Consent“ ist, führt sich damit selbst ad absurdum.

Pamela Anderson wird ihre eigene Geschichte aber doch noch erzählen: Eine Autobiografie und eine Dokumentation sind 2022 in Arbeit. Dabei folgt sie wohl ihrem persönlichen Motto: „Ich habe die Kontrolle darüber, was ich tue und was ich getan habe. Das ist die ultimative weibliche Superkraft. Mach, was du willst.“8

Quellen

1Chicago Lewis, Amanda: Pam and Tommy: The Untold Story of the World’s Most Infamous Sex Tape, Rolling Stone Magazine, 22.12.2014

2Heller, Corinne: Courtney Love Slams Pam & Tommy Miniseries and Star Lily James, E! Online, 16.5.2021

3Gay, Roxane: The Great 2014 Celebrity Nude Photos Leak is only the beginning, The Guardian, 30.9.2014

4From Playboy to Politics – inside the extraordinary life of Pamela Anderson, 60 Minutes Australia, 6.11.2018

5Evans, Claire: Inside the Surreal, Self-Invented World of Pamela Anderson, Vice, 8.2.2016

6Pamela Anderson: Women must better protect themselves, BBC News, 23.1.2018

7Pamela Anderson talks about being gang-raped as a child, Sky News, 19.5.2014

8Spiegel, Amy Rose: Exclusive: Pamela Anderson On Beauty, "Baywatch," And Feminism, Buzzfeed, 16.4.2013

Marie-Antoinette: Die Königin, die es niemandem recht machen konnte

Die Erzählung über die abgehobene Verschwenderin hält sich hartnäckig – dabei ließ ihr das starre Korsett der Erwartungen am Hof kaum Handlungsmöglichkeiten

Noura Maan

„Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen!“ – Dieses Zitat hat Marie-Antoinette zeit ihres Lebens und auch lang danach begleitet. Dass die einstige Königin von Frankreich das so nie gesagt hat1, ist bis heute nicht überall angekommen. Die Erzählung über die wirklichkeitsfremde Monarchin ohne Bezug zum Volk hält sich hartnäckig.

Das Leben der 1755 als Maria Antonia von Österreich geborenen Erzherzogin war schon früh von schlechten Vorzeichen geprägt. Am Tag vor ihrer Geburt: das Erdbeben von Lissabon, das zehntausende Todesopfer forderte und die portugiesische Hauptstadt fast zur Gänze zerstörte.2 Am Tag ihrer Hochzeit, bei der sie erst 14 Jahre alt war: eine durch Feuerwerkskörper ausgelöste Panik, die zum Tod von mehr als 130 Menschen führte.3

Als 15. von insgesamt 16 Kindern von Kaiserin Maria Theresia war sie gar nicht für eine hochrangige Ehe vorgesehen, hatte sie doch zahlreiche ältere Schwestern. Deshalb wurde in ihrer Ausbildung auch nicht sehr viel Wert darauf gelegt, wie sie sich in einer Hochadelsfamilie als gute Ehefrau zu verhalten hatte.4

Mitte der 1750er-Jahre wurde allerdings der jahrhundertealte Habsburgisch-französische Gegensatz beendet. Um das Bündnis mit Frankreich zu festigen, kam es 1770 zur Hochzeit Maria Antonias und des Dauphins Ludwig August – all ihre älteren Schwestern waren zu diesem Zeitpunkt bereits vermählt oder verstorben.

Mit 14 Jahren ließ sie ihr gesamtes bisheriges Leben zurück – im wörtlichen Sinne: An der Grenze zu Frankreich musste sie tatsächlich alles Österreichische ablegen und abgeben, bis hin zu ihrer Unterwäsche. Aus Erzherzogin Maria Antonia wurde Dauphine Marie-Antoinette – von nun an beäugte man sie bis ins kleinste Detail, ihre Aktivitäten, jede kleinste Bewegung. Für viele im französischen Volk und am französischen Hof blieb sie trotz des neuen Namens und der Besiegelung des Habsburgisch-französischen Friedens Österreicherin – und damit eine Feindin. Am Hof war sie aufgrund ihres teilweise legeren Umgangs mit der Hofetikette als jung und unerfahren verschrien – Eigenschaften, die für eine 14-Jährige selbstverständlich sein sollten. Verächtlich wurde sie „l’Autrichienne“ genannt, was „die Österreicherin“ bedeutet, im Französischen aber auch wie l’autre chienne („die andere Hündin“) klingt – und in den meisten Fällen wohl auch so gemeint war.

You Had One Job

Die Thronbesteigung des jungen Königspaares folgte im Mai 1774, nach dem Tod von Ludwig XV. Lange kam Marie-Antoinette ihrer – damals in den Augen der Gesellschaft – wichtigsten Aufgabe nicht nach: einen Thronfolger zu gebären. Wegen medizinischer Probleme oder sexueller Ahnungslosigkeit des Königs – darüber sind sich Historiker:innen uneinig5 – folgte die Geburt ihrer ersten Tochter erst im Jahr 1778. Der damals wesentlich wichtigere männliche Nachkomme kam erst 1781 zur Welt. Dafür wurde Marie-Antoinette die Schuld gegeben, Karikaturen zeigten sie etwa als „schlechtes Schloss“, für das der Schlüssel nicht passte: eine Anspielung auf die besondere Vorliebe des Königs für Schlösser. Damit machte man sich zwar auch über Ludwig den XVI. lustig, das Versagen wurde allerdings Marie-Antoinette vorgeworfen.

Das war natürlich nicht der einzige Kritikpunkt an der jungen Monarchin: Hinzu kamen wiederholte Anschuldigungen, sie sei österreichische Spionin, sowie Gerüchte über zahlreiche, auch homosexuelle Affären, die auch nicht abnahmen, nachdem sie sich vorrangig als Mutter porträtieren ließ. Nicht zu vergessen die ständigen Verschwendungsvorwürfe.

Marie-Antoinette hatte tatsächlich eine Vorliebe für das Glücksspiel und gab viel Geld für Kleidung und extravagante Frisuren aus6, die oft eher Kunstwerken glichen. Doch war dies damals absolut üblich für eine Königin – und Teile der Wirtschaft waren von diesem Lebensstil abhängig. Als sie sich vermehrt in Leinenkleidern präsentierte, protestierten die Hersteller:innen luxuriöser Stoffe, weil sie Marie-Antoinettes Verhalten für geschäftsschädigend hielten.7

Lebensstil als Schuldeingeständnis

1785 kam noch die sogenannte Halsbandaffäre dazu, bei der Marie-Antoinette eigentlich gar keine aktive Rolle gespielt hatte: Dabei ging es um ein Diamantencollier, das König Ludwig XV. für seine Mätresse anfertigen ließ. Als er verstarb, gab es dafür plötzlich keine:n Abnehmer:in mehr; das Königshaus lehnte einen Kauf aufgrund des hohen Preises mehrfach ab. Doch die Erzählung, Marie-Antoinette habe das Halsband besitzen wollen,