Gesänge der Maria Sabina -  - E-Book

Gesänge der Maria Sabina E-Book

0,0

Beschreibung

Der schamanische Gebrauch von psilocybinhaltigen Pilzen ist bei den Mazateken bis heute lebendig geblieben. Erstmals wurde dieser bekannt durch: Maria Sabina (1894-1985), der Botin der heiligen Pilze. Ihr ist es zu verdanken, dass das Geheimnis um die heiligen Pilze Mexikos gelüftet wurde. In einer nächtlichen Zeremonie gab sie erstmals einem Weissen die Zauberpilze (Psilocybe) - R. Gordon Wasson (1898-1986), der die schamanischen Gesänge der Maria Sabina 1962 aufnahm und publizierte. Das Buch enthält unter anderem die deutsche Übersetzung der auf mazatekisch gesungenen Lieder. Texte aus ihrem Leben und zu den schamanischen Pilz-Ritualen wie auch "bepilzte" Musik - speziell geeignete Musik für Rituale, von Christian Rätsch zusammengestellt - ergänzen dieses besondere und längst erwartete Buch. Mit Übersetzung Ihrer Gesänge (von CD ISBN 3-03788-110-0).

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 91

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gesänge der María Sabina

Aztekische Musiker und Sänger (Codex Florentino, Buch IV und IX)

Impressum

Verlegt durch

Nachtschatten Verlag AG

Kronengasse 11

CH 4502 Solothurn

© Nachtschatten Verlag AG

Lektorat: Conny Schoenfeld, Freiburg

Layout: trigger.ch, Zürich, Berlin

Herstellung: Druckerei Uhl, Radolfzell

Printed in Germany

ISBN 3-03788-112-7 (CD mit Booklet im Schuber)

ISBN 3-03788-100-0 (nur CD)

ISBN 3-03788-111-9 (nur Booklet)

eISBN 978-3-03788-258-0

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen

Teonanácatl, der »wunderbare Pilz«

Temicxoch, die »blühenden Träume«

Xochicuicatl, »Gesänge der blühenden Träume«

Blüten der Freude

Die Pilz-Schamanin María Sabina

Pilze und Gesang

Die Pilze der Sprache – die Sprache der Pilze

María Sabina erzählt aus ihrem Leben

Die Niños Santos, die »Heiligen Kinder«

Tanzen mit den Grundexistenzen

Eine Pilz-Frau-des-Buches

Die Schamanischen Gesänge von María Sabina

»Bepilzte« Musik

Pilzköpfe im Krautrock-Land

Die Welt des Quetzal

Vom mazatekischen Pilzkult zur modernen Partykultur

Musik für moderne Pilzrituale

CDs für Pilz-Rituale

Discographie »Bepilzte« Musik

Literatur

Anmerkungen

Altmexikanische Darstellung einer Blume (Siegel, Stempel)

Vorbemerkungen

GORDON WASSON hat bei seinen Forschungsreisen nach Huautla de Jiménez in der Sierra Madre Oriental (Oaxaca, Mexiko) nicht nur an den Pilzritualen teilgenommen, er hat sie auch mit Hilfe seiner Frau VALENTINA WASSON, seinem New Yorker Fotographen ALLAN B. RICHARDSON und dem LSD-Entdecker ALBERT HOFMANN dokumentiert. Zu der groß angelegten und bibliophilen Dokumentation gehören auch ethnographische Tonbandaufnahmen der Gesänge und der nächtlichen Rituale der María Sabina. Diese Aufnahmen sind ein einzigartiges Dokument des traditionellen Gebrauches psychoaktiver Pilze im Schamanismus der amerikanischen Ureinwohner. Sie entstanden in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1958, während einer von María Sabina geleiteten velada*. Bei dieser velada wurden Pilze der Art Psilocybe caerulescens eingenommen.

Die ethnomusikologische Analyse sowie die Transkriptionen der Gesänge in Noten stammen von dem Musikwissenschaftler WILLARD RHODES und sind in WASSON ET AL. (1974: 251-267) veröffentlicht.

Der deutsche Elektronik-Musiker und Keyboarder STEVE A. SCHROYDER (Tangerine Dream, Ash Ra Tempel & Timothy Leary, Augenstern, Star Sounds Orchestra) hat eine Auswahl dieser Tondokumente überspielt, bearbeitet und digitalisiert.

ÁLVARO ESTRADA, geboren in der Mazateken-Stadt Huautla de Jiménez, spricht Mazatekisch und Spanisch. Durch seine Vertrautheit mit Land und Leuten gelang es ihm, die Lebensgeschichte der María Sabina aufzuzeichnen (1980, 1989). Heute lebt der studierte Ingenieur in Mexiko Stadt und schreibt unter anderem auch über die Hippiezeit in Huautla.

Altmexikanische Darstellung einer Blüte (Siegel, Stempel)

*Vela heißt im Spanischen »Kerze«. In Spanien ist eine velada ein »Abend« oder eine »Soiree« mit Theater, Musik oder Literatur. In Mexiko bedeutet velada »Nachtwache«, bezeichnet aber speziell die nächtlichen Pilzzeremonien der Indianer. Besonders im mexikanischen Oaxaca werden die nächtlichen Advents- und Weihnachtsfeiern veladas genannt. Bei diesen Zusammenkünften der Familien werden Kerzen entzündet, wird ein Altar errichtet oder geschmückt, gesungen und musiziert. Es werden Krippenspiele aufgeführt und Umzüge veranstaltet (SELER-SACHS 1992)

CHRISTIAN RÄTSCHTeonanácatl, der »wunderbare Pilz«

»Den Wunsch, das Bewusstsein zu verändern, gibt es seit jeher. Zauberpilze gehören hierbei zu den ältesten Drogen der Welt. Die Menschen haben sie schon genutzt, als die Sahara noch grün war.« (ADELAARS 2003: 9)

Zauberpilze, Rauschpilze, Psilos mit psychoaktiven oder psychedelischen Wirkungen gibt es auf der ganzen Welt. Bekannt geworden sind sie vor allem durch ihren rituellen Gebrauch im alten Mexiko und bei den heutigen Indianern. Wann die Ureinwohner Amerikas die wunderbaren Eigenschaften der Pilzarten, die die Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin enthalten, zuerst entdeckt und wegen ihrer magischen Kräfte rituell genutzt haben, ist unbekannt. Auf jeden Fall lange bevor die ersten Europäer in die Neue Welt eindrangen.

Die spanischen Konquistadoren stießen sofort bei ihrer Ankunft in Mexiko (ab 1512) auf den einheimischen Gebrauch bestimmter »heiliger« Pilze, die Visionen auslösen konnten.

Wegen ihrer ungewöhnlichen Eigenschaften und heilenden Kräfte wurden und werden die psilocybinhaltigen Pilze als etwas Heiliges, Göttliches verehrt oder sogar als Gottheiten selbst angesehen. Die Azteken nannten diese Pilze teonanácatl, »wunderbarer Pilz«. Wer sie rituell verspeist, betritt das Reich der göttlichen Wesen, kann die Seelen Kranker wiederfinden und wahrsagen.

Manche präkolumbianischen Bilderhandschriften der Azteken (tlacuilolli) und anderer mesoamerikanischer Völker zeigen Szenen, die gemeinhin als Pilzrituale gedeutet werden. Besonders einige Seiten in der mixtekischen Handschrift, die unter dem Namen Codex Vindobonensis Mexicanus I bekannt geworden ist, vermitteln den Eindruck einer entheogenen Zeremonie. Mehrere Figuren sitzen, rituell angeordnet, mit jeweils zwei Pilzen (Paaren!) in ihren Händen (CASO 1963).

In der kolonialzeitlichen Literatur Neu-Spaniens gibt es zahlreiche Texte, die die Pilze, deren Wirkungen sowie den rituellen und medizinischen Gebrauch bezeugen. 1535 wurde in Tlatelolco das Colegio Imperial de Santa Cruz eingeweiht. Diese Lehranstalt ließ der erste spanische Vizekönig von Neu-Spanien, Antonio de Mendoza (1490-1552), errichten. In ihr wurden die Söhne aztekischer Adeliger von Franziskanermönchen unterwiesen.

Nur wenige Jahre nach der militärischen Conquista (1523) trat dort der Franziskaner FRAY BERNHARDINO DE SAHAGUN (1499-1590) seinen Dienst an. In den folgenden Jahren (1578-1580) entstand dort sein epochales Werk Historia universal de las cosas de Nueva España.1 In einem Prolog schrieb er: »Mir wurde aufgetragen, in heiligem Gehorsam gegenüber meinen Ordensoberen, in mexikanischer Sprache niederzuschreiben, was mir für die Lehre, die Kultur und die Bewahrung des Christentums unter diesen Eingeborenen in diesem Neu-Spanien und zur Unterstützung der Helfer und Priester, die sie unterweisen, nützlich erschien.« (SAHAGUN, Prolog, Buch II).

Sein propagandistisches Werk sollte also der Missionierung dienen, das heißt, der aktiven Kulturzerstörung. Andererseits ist SAHAGUNS Werk eine einzigartige ethnohistorische Quelle. Die Texte wurden von gelehrten Azteken mit lateinischen Lettern in ihrer Sprache, dem Nahuatl, verfasst.

In der aztekischsprachigen Chronik des FRAY BERNARDINO DE SAHAGÚN heißt es: »Nanacatl. Sie werden Teonanácatl, ›wunderbarer Pilz‹, genannt.2 Sie wachsen in den Ebenen, im Gras. Der Kopf ist klein und rund, der Stengel lang und dünn. Er ist bitter und kratzt, er brennt in der Kehle. Er macht einen töricht; er verwirrt einen, bedrängt einen. Er ist Heilmittel bei Fieber, bei Gicht. Nur zwei, drei werden gegessen. Er macht traurig, bedrückt, bedrängt; er läßt einen fliehen, erschrecken, sich verstecken. Derjenige, der viele von ihnen ißt, sieht viele Dinge, die ihn erschrecken und die ihn erheitern. Er flieht, erhängt sich selbst, stürzt sich von einem Felsen, schreit, hat Angst. Man ißt ihn mit Honig. Ich esse Pilze; ich nehme Pilze. Von einem, der hochmütig, dreist, eitel ist, sagt man: ›Er hat sich selbst bepilzt.‹« (SAHAGUN XI, 7)

Der spanische Missionar DIEGO DURÁN (16. Jahrhundert) hat in seiner Historia de las Indias de Nueva España mehrfach darauf hingewiesen, dass Pilze bei Festlichkeiten eingenommen beziehungsweise »wie Wein getrunken« wurden: »Niemand hat erwähnt, daß irgendwer irgendwelchen Wein getrunken hätte oder gar betrunken wurde; nur Pilze aus dem Wald, die sie roh verzehrten, durch die sie glücklich und außer sich wurden, sind erwähnt, aber der Wein nicht. Erwähnt wird lediglich die riesige Menge Schokolade, die bei diesen Festen getrunken wurde.«3

So heißt es in dem Buch Memoriales o Libro de las Cosas de la Nueva España (1541) des FRAY TORIBIO DE BENAVENTE O MOTOLINÍA (1482/91-1569): »Sie nannten diese Pilze teunamacatlh in ihrer Sprache, was ›Fleisch Gottes‹, oder des Teufels, den sie angebetet haben, und in dieser Art, mit dieser bitteren Speise, erhielten sie von ihrem grausamen Gott die Kommunion.« (MOTOLINÍA 1979: 20)

Altmexikanische Darstellung einer Blüte (Siegel, Stempel)

Temicxoch, die »blühenden Träume«

Im Nahuatl, der Sprache der Azteken4, heißen Visionen »Trancereisen« und psychedelische Erfahrungen Temicxoch, »blühende Träume« (WASSON 1973b: 324).5 Sie werden durch xóchitl, »Blüten, Blumen«, ausgelöst, unter anderem durch psychoaktive Pflanzen wie Teonanácatl (Psilocybe spp.), Péyotl (Lophophora williamsii), Ololiuqui (Turbina corymbosa), Tlitliltzin (Ipomoea violacea), Toloatzin oder Toloache (Datura spp.), Piciétl (Nicotiana rustica), Chichihualxochitl (Solandra spp.) und Yauhtli (Tagetes lucida) (GARZA 1990, RÄTSCH 1994).

Xóchitl, diese visionären »Blüten« sind dem jugendlichen und fröhlichen Gott Xochipilli, dem »Herrn der Blüten« oder dem »Blumenprinzen«, heilig und geweiht.6 In einer aztekischen Hymne berichtet Xochipilli, der sich hier selbst Cintéotl7, »Maisgott«, nennt, von seiner Herkunft:

Mein Herz trägt Blüten und Früchte inmitten der Nacht …

Ich, Cintéotl, bin im Paradies geboren.

Aus dem Blumenlande komme ich.

Ich bin die neue, die ruhmreiche, die einzigartige Blume.

Cintéotl ist aus Wasser geboren;

als Sterblicher, als junger Mann

wurde er geboren aus dem himmelblauen Haus der Fische.

Ein neuer, siegreicher Gott.

Er leuchtet wie die Sonne.

Seine Mutter wohnte im Hause der Dämmerung,

bunt wie ein Quetzal, eine neue, liebliche Blume.8

Der Gott wird also mit einer »Blume« identifiziert, ist ein anthropomorphes Entheogen, ein Fleisch gewordenes psychoaktives Gewächs. Es gibt eine herausragende Statue des Xochipilli aus Stein (15. Jahrhundert). Der Gott sitzt in Trance mit visionärem Blick in die Unendlichkeit gerichtet. Auf seinem Körper befinden sich halbplastische Darstellungen floraler Motive, die GORDON WASSON als Repräsentationen entheogener Pflanzen und Pilze überzeugend gedeutet hat. Dabei hat er folgende Pflanzen beziehungsweise Blüten und Zauberpilze identifiziert: Die Blüte und Knospen von Ololiuqui (Turbina corymbosa), die Blüte von der Prunkwinde (Ipomoea violacea), die aufgehende Blüte von Sinicuiche (Heimia salicifolia), die Blüte vom Echten Tabak (Nicotiana tabacum), die aufblühende Knospe von Calea zacatechichi, und den Hutquerschnitt von Psilocybe aztecorum (WASSON 1973b)9. Also alles »Blumen«, die »blühende Träume« auslösen können!

Über die außergewöhnliche Statue, den »cultural Rosetta Stone«10, schrieb er: »Wir haben hier das in Stein gehauene Bild eines Menschen, der sich mitten in einer unirdischen Erfahrung befindet, die Plastik eines offiziellen Priesters, ein Bildnis des Gottes des Rausches und der ›Blumen‹, eines Gottes der Jugend, des Lichtes, des Tanzes und der Musik und der Spiele, der Dichtung und der Kunst, des Kindgottes, des Gottes der aufgehenden Sonne, des Sommers und der Wärme, der Blumen und Schmetterlinge, des ›Baumes-in-der-Blume‹, den die Nahuatl-Dichter häufig anrufen, der berauschenden Pilze, der Wunderpflanzen, die einen in ein himmlisches Paradies befördern.« (WASSON 1980)

GORDON WASSON kam bei seiner Studie zur Ansicht, dass Xóchitl auch psychoaktive Pilze bezeichnet und eigentlich mit »Entheogen« oder »Zauberpflanze« zu deuten wäre. Dabei verweist WASSON auf das aztekische Wort xochinanacatl, das 1571 im großen Nahuatl-Wörterbuch von FRAY ALONSO DE MOLINA als »Blumen-Pilz«11 übersetzt und von xóchitl, »Blume«, abgeleitet wird (WASSON 1973b: 305).

Xochinanacatl kann auch als »Blühender Pilz« oder »Blüte ohne Wurzeln« gelesen werden (GARZA 1990: 60).12 Vielleicht steht dahinter das Konzept, dass der Pilz das Bewusstsein erblühen lässt, also temicxoch, »blühende Träume« oder »Visionen«, auslösen kann. In der aztekischen Kultur waren Visionen, durch »Blüten« ausgelöst, in Gruppenritualen durchaus üblich. Ein aztekischer Text berichtet über solche Rituale: »Das Erste, was man bei derlei Zusammenkünften aß, war ein schwarzer Pilz, den sie Nanacatl nannten. Er wirkt berauschend, erzeugt Visionen und reizt zu unzüchtigen Handlungen. Sie nehmen das Zeug schon früh am Morgen des Festtages und trinken vor dem Aufstehen Kakao. Die Pilze essen sie mit Honig. Wenn sie sich mit ihnen trunken gemacht haben, beginnen sie erregt zu werden. Einige singen, andere weinen13