Geschenke aus dem Paradies - Katie Fforde - E-Book

Geschenke aus dem Paradies E-Book

Katie Fforde

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Beschreibung

Wenn im Paradies Verwirrung herrscht ...

Eigentlich weiß Nel kaum, wo ihr der Kopf steht: In ihrem Geschenkeladen herrscht Chaos, die pubertierende Tochter macht ihr die Hölle heiß, und Nels eifersüchtiger Freund Simon sorgt auch nicht gerade für pure Glückseligkeit.

Das Ganze wird nicht eben entspannter, als Nel in der Vorweihnachtszeit zufällig unter einem Mistelzweig steht und von einem geheimnisvollen Fremden geküsst wird. Zwar fühlt sie sich augenblicklich wie im siebten Himmel, aber dieser Zustand hält nicht lange an, denn plötzlich steht Simon vor ihr ...

Eine heitere Liebesgeschichte, die zum Träumen einlädt - von Bestsellerautorin Katie Fforde.

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Seitenzahl: 586

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungDanksagungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22

Über dieses Buch

Wenn im Paradies Verwirrung herrscht …

Eigentlich weiß Nel kaum, wo ihr der Kopf steht: In ihrem Geschenkeladen herrscht Chaos, die pubertierende Tochter macht ihr die Hölle heiß, und Nels eifersüchtiger Freund Simon sorgt auch nicht gerade für pure Glückseligkeit. Das Ganze wird nicht eben entspannter, als Nel in der Vorweihnachtszeit zufällig unter einem Mistelzweig steht und von einem geheimnisvollen Fremden geküsst wird. Zwar fühlt sie sich augenblicklich wie im siebten Himmel, aber dieser Zustand hält nicht lange an, denn plötzlich steht Simon vor ihr …

Über die Autorin

Katie Fforde wurde in Wimbledon geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Heute lebt sie mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England. Erst vor wenigen Jahren begann sie mit dem Schreiben romantischer, heiterer Gesellschaftskomödien, die stets sofort die englischen Bestsellerlisten eroberten.

Katie Fforde

Geschenke ausdem Paradies

Aus dem Englischen von Michaela Link

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2003 by Katie Fforde

Titel der englischen Originalausgabe: »Paradise Fields«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2004/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelillustration: Mauritius Images/Vierow

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Kozhadub Sergei; © iStock: CatLane

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-4824-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Kate Parkin, meine Herausgeberin und Freundin

Danksagung

Wie jedes Mal haben mir wieder viele Leute bei den Nachforschungen für dieses Buch geholfen. All diesen Menschen gilt mein tiefer, herzlicher Dank. (Aber wie viel Mühe sie sich dabei auch gegeben haben: Irgendwelche Fehler schlüpfen unvermeidlicherweise immer durch die Maschen aller eigens für sie ausgelegten Netze.)

Clare Gerbrands hat mir alles über den Bauernmarkt von Stroud gesagt, den sie ins Leben gerufen hat. Mein Dank auch an alle Standbesitzer auf dem Markt, die mir nicht nur wunderbare Produkte verkauft, sondern mir auch gestattet haben, ihre Zeit in Anspruch zu nehmen. Ich danke allen.

Ian Hamilton, Emma Gaudern, Anne Styles and Arabella McIntyre-Brown haben mir auf vielfache Weise bei juristischen Fragen weitergeholfen. Danke!

Dank auch an das Pflegehospiz Cotswold – bitte vergebt mir, dass ich alles falsch gemacht habe.

Vanessa Kemp stellt wahrlich inspirierende Kosmetik her. Auch ihr ein Dankeschön.

Dank an die Familie Williams: an Tom für seine Informationen über die Bienen, Miranda für alles über die Forest Green Rovers und an Lesley für Fragen, die die Gemeindeverwaltungen betreffen.

Wie immer ein Danke meinem Lektoratsteam bei Random House: meiner geliebten Kate Parkin, Kate Elton, Tiffany Stansfield, Justine Taylor und Georgina Hawtrey-Woore, die sich für mich mehr ins Zeug gelegt haben, als sie es hätten müssen.

Und nicht zu vergessen Richenda Todd, meine allererste Lektorin und die beste, gewissenhafteste und einfühlsamste Redakteurin auf der Welt.

Kapitel 1

Nel tat langsam der Arm weh. Die Mistelzweige, die sich zu ihren Füßen türmten, verkauften sich gut. Die sorgfältig mit roten Bändern zusammengeschnürten Bündel waren ihr bereits ausgegangen, und sie verkaufte jetzt die größeren Äste, die zu dick gewesen waren, um sie klein zu schneiden. Einen davon hielt sie einladend über ihren Kopf, doch langsam erwies er sich als zu schwer.

Sie wollte ihn gerade durch ein kleineres Exemplar ersetzen, als ein Mann auf sie zukam. Sie hatte ihn vage wahrgenommen, als er am Nachbarstand den Glühweinsirup und die kleinen Büschel getrockneter Blumen und Kräuter betrachtet hatte, die ihre Schöpferin als »Duftsträußchen« bezeichnete. Sie hatte gerade noch Zeit zu bemerken, dass er groß war, einen dunkelblauen Mantel trug und wie ein Städter aussah, als er auch schon eine Hand auf ihren Mistelzweig legte und sie küsste.

Sie konnte nicht recht fassen, dass es wirklich geschah. Niemand küsst einen Fremden vor den Augen der halben Welt auf die Lippen – oder zumindest küsste niemand Nel. Es war im Nu vorbei, und doch überkam sie, als seine kühlen, festen Lippen sich auf ihre legten, von den Bügeln ihres BHs bis zu den Knien ein seltsames Gefühl. Es raubte ihr den Atem, und sie fühlte sich, als hätte sie eine Grippe – ganz schwummrig im Kopf.

Es war erstaunlich, wie viele Leute diesen Kuss beobachteten. Nel verkaufte normalerweise nicht auf dem Markt – sie hatte keine Zeit dazu, da sie immer alle Hände voll damit zu tun hatte, ihn zu organisieren. Aber diesmal hielten ihre Waren sie an ihrem Stand fest, und in diesem Moment schien es, als hätten sämtliche Käufer und Verkäufer auf dem Markt den Blick in ihre Richtung gewandt. Sie versuchte, so zu tun, als sei sie nicht rot geworden, nahm die Münzen des Mannes entgegen, reichte ihm den großen Mistelzweig und sah ihm nach, als er weiterging, erleichtert darüber, dass er sie nicht in ein Gespräch verwickelte oder sonst irgendetwas tat.

Ihre Tochter kam mit blitzenden Augen herbeigelaufen. »Oh oh!«, sagte sie, und Nel hatte den Eindruck, dass die Leute sie daraufhin erst recht anstarrten. »Mum! Wer war das? Schnuckeliger Typ!«

Nel fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wolle sie sich die Haare aus den Augen streichen, obwohl sie in Wirklichkeit nur Zeit gewinnen wollte, um sich zu fassen. »Er hat lediglich einen Mistelzweig gekauft, Fleur. Also, wie sieht’s aus bei dir? Bist du schon so weit, dass du für mich übernehmen kannst? Ich bin seit sieben Uhr heute Morgen hier, und ich muss noch mit einer Unmenge von Leuten sprechen.« Ob sie wohl immer noch leuchtend rot im Gesicht war, fragte sie sich?

Glücklicherweise hatte Fleur aufgehört, ihre Mutter anzusehen, und suchte in ihrer engen Hose und ihrer hellblauen Fleecejacke nach ihrem Handy. »Ich weiß, ich weiß. Bin gleich wieder da. Ich muss nur noch schnell Anna etwas simsen. Wir wollten heute Abend ausgehen.«

Fleur, achtzehn, blond und entzückend, förderte schließlich ein Handy zu Tage, das kaum größer war als eine Kreditkarte, und tippte drauflos. Warum ein Mensch, für den die Abfassung des kürzesten Aufsatzes eine Herkulesarbeit war, lieber eine SMS verschickte als zu telefonieren, überstieg Nels Begriffe. Was wahrscheinlich daran lag (hatte ihre Tochter ihr erklärt), dass Nel glaubte, man müsse jedes Wort ausschreiben: Sie kannte die Tastaturkürzel nicht und hatte noch nie etwas von Predictive Text gehört. Fleur hatte Nel eine freundliche, wenn auch unverständliche Erklärung gegeben, als ihre Mutter sie wegen der Höhe ihrer Handyrechnung ermahnen wollte. Wie es bei Nel und ihren Kindern so häufig geschah, verkehrten sich die Rollen, und am Ende belehrten sie Nel über Dinge, die sie ihrer Meinung nach wissen sollte, und der elterliche Tadel fiel ins Wasser.

Lavender, die passenderweise Weizenkissen und mit Lavendel gefüllte Produkte verkaufte, »aus reiner Selbstverteidigung, wegen meines Namens«, verließ zwar ihren Marktstand nicht, aber sie winkte ihr zu und zwinkerte anerkennend.

Sacha, die in blauen Glaskrügen in Kleinserie selbst hergestellte Schönheitscremes und -wässerchen verkaufte, zeigte mit dem Daumen nach oben.

Das war das Schlimme, wenn man jeden kannte, dachte Nel, man konnte nichts tun, ohne dabei beobachtet zu werden. Als sie seinerzeit hierher gezogen war, eine junge, unglückliche Witwe, war sie dankbar gewesen für die Anteilnahme und die Fürsorge der Leute in der kleinen Stadt, aber das hatte auch seine Schattenseiten. Sie konnte Reg an seinem Obst und Gemüsestand sehen, der ihr ebenfalls einen unverschämten Blick zuwarf. Das Leben in einer kleinen Gemeinschaft hatte tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Leben in einem Goldfischglas, und gelegentlich hatte Nel das Gefühl, der einzige Goldfisch zu sein.

Sie gab den Versuch auf, Mistelzweige zu verkaufen, und betrachtete die Marktstände, die hufeisenförmig auf den Feldern vor Hunstanton Manor aufgebaut waren. Es war ein entzückendes Bild mit all den weihnachtlichen Angeboten. An einem Stand wurden Wild und Geflügel angeboten: Riesige, bronzefarbene Truthähne mit glänzend schwarzem Gefieder hingen neben Fasanen, Enten und Gänsen. Ein kleines Stück weiter schmückten baumelnde Wurstkringel zwischen dicken Sträußen frischer Kräuter einen Stand, der Ökoschweinefleisch verkaufte. Dann waren da noch die Marktstände, die Nel bei sich die »Hippiebuden« nannte; dort wurden bunt marmoriertes Einpackpapier, selbst gemachte Kerzen und Krippenfiguren feilgeboten. Letztere waren (wie sie auf Nachfrage erfahren hatte) aus Weinflaschen und gipsgetränktem Musselin modelliert und anschließend bemalt worden. Die Ergebnisse waren ziemlich realistische, wenn auch ein wenig finstere biblische Gestalten.

Alle waren dort, und ausnahmsweise einmal war jeder mit dem ihm zugewiesenen Platz zufrieden gewesen. Sie wussten alle, dass dies der letzte Markt vor Weihnachten war, und sie waren fest entschlossen, das Ereignis auszukosten. Die Lebensmittelverkäufer gingen auch auf andere Märkte, aber die Übrigen waren dort meist nicht zugelassen, sodass der Paradise-Fields-Markt hier in Hunstanton sich bei den Handwerkern großer Beliebtheit erfreute. Die Besucher wussten ihn wegen der Mannigfaltigkeit des Warenangebots sehr zu schätzen.

Simon, der Mann, den Nels Kinder als ihren »Freund« bezeichneten, hatte Nel ebenfalls bei dem Verkauf des übergroßen Mistelzweigs beobachtet. Simon und Nel waren seit etwa sechs Monaten auf eine zurückhaltende Art und Weise miteinander verbandelt, und selbst Nel musste zugeben, dass er nicht besonders aufregend war, aber zumindest erledigte er kleine Arbeiten für sie – solche, die Nel lästig und Zeit raubend fand wie etwa das Säubern der Regenrinnen. Jetzt bahnte er sich gerade durch die Menge einen Weg zu ihr, und Nel konnte ihm ansehen, dass er verärgert war.

»Wer war das?«, wollte er wissen.

»Hallo, Simon. Wie geht es dir? Ich wusste gar nicht, dass du heute hier sein würdest.« Als sie sah, dass er eine Antwort haben wollte, fügte sie hinzu: »Das war einfach nur ein Mann, der Mistelzweige gekauft hat. Der Kuss war lediglich ein Weihnachtsbrauch. Schau mal!« Sie schüttelte ihre Schürze, deren Tasche voller Geld war. »Ich habe Unmengen davon verkauft.«

»Und du wirst sämtliche Einnahmen Sam geben, nehme ich an?«

»Nun, er hat wirklich sein Leben aufs Spiel gesetzt, um die Zweige abzuschneiden. Es ist nur fair, wenn er das Geld bekommt.« Nel nahm ihren ältesten Sohn, der seit seiner Kindheit süchtig danach war, auf Bäume zu klettern, und der jetzt auch auf Berge kletterte, immer in Schutz.

»Hm. Wenn das Stehlen von Äpfeln Diebstahl heißt, wie nennt man dann jemanden, der Mistelzweige stiehlt?«

Ohne auf die Frage einzugehen, blickte sie zwinkernd zu ihm auf: »Sei ein Schatz und kauf mir einen Hamburger. Sie sind aus Ökorindfleisch gemacht, und der Geruch treibt mich zum Wahnsinn. Ich möchte Majonäse und eine Gurkenscheibe und nur einen winzigen Spritzer Ketschup. Bitte! Ich bin halb verhungert. Ich hatte keine Zeit zum Frühstücken, und jetzt ist es fast zwei.«

Simon erwiderte ihren Blick mit ernster Miene. »Ich habe deine Reifen überprüft, und sie sind jetzt wieder in Ordnung.«

»Du bist ein Engel. Oder der Weihnachtsmann, du kannst es dir aussuchen.« Sie zog seinen Kopf zu sich herunter und küsste ihn, wobei sie sich flüchtig der Tatsache bewusst war, dass sie nichts anderes fühlte als seine glatte Wange unter ihren Lippen. »Also, wie sieht’s jetzt aus mit dem Hamburger?«

Er runzelte die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher, ob sie hygienisch einwandfrei sind. Sie werden im Freien gebraten und sind wahrscheinlich voller Salmonellen.« Sein Abscheu zeigte sich in dem unwillkürlichen Kräuseln seiner Lippen und dem ängstlichen Glitzern in seinen Augen.

Das warme Gefühl, das Nel für ihn verspürte, flaute ab. »Die Leute von diesem Bauernhof verkaufen Fleisch auf sämtlichen Bauernmärkten ringsum. Das könnten sie nicht tun, wenn sie keine Sondergenehmigung dafür hätten. Also, willst du mich verhungern lassen?«

Er zuckte die Achseln und ging.

Vivian hatte sich offensichtlich eigens für den Anlass in Schale geworfen. Sie war Physiotherapeutin von Beruf und hatte eine wunderschöne Körperhaltung. Als sie nun auf Nel zukam, sah sie einfach prachtvoll aus mit ihrem flammend roten Haar und dem dramatischen Samtmantel. Obwohl sie etwas jünger war als Nel, war sie ihre engste Freundin und der Grund, warum Nel und die Kinder nach dem Tod ihres Mannes in die Cotswolds gezogen waren.

Vivian strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich habe meinen letzten Honig verkauft und fast meinen ganzen Vorrat an Bienenwachs und Terpentinpolitur. Zu Weihnachten kaufen die Leute immer Unmengen davon. Ob das wohl bedeutet, dass das die einzige Zeit im Jahr ist, in der sie putzen?«

»Wenn du mich persönlich fragst, ja«, antwortete Nel, die mehrere Töpfe von Vivians selbst gemachter Politur zu Hause stehen hatte, die meisten davon noch ungeöffnet. »Aber das Zeug riecht himmlisch.«

»Ich weiß«, sagte Vivian. »Und das ist kein Zufall. Ich habe mit Sacha darüber gesprochen, ob ich ihr das Bienenwachs für ihren Lippenbalsam liefern soll, aber ich glaube nicht, dass ich die erforderliche Qualität jemals hinkriegen würde. Für ihre Sachen muss alles perfekt sein.«

»Deshalb sind sie auch so gut«, sagte Nel, erleichtert darüber, dass ihre Freundin offensichtlich gerade in die andere Richtung gesehen haben musste, als sie so unerwartet überfallen worden war.

Ihre Erleichterung war jedoch nur von kurzer Dauer. Vivian musterte sie argwöhnisch. »Verbirgst du eigentlich etwas vor mir? Wer war dieser Mann, der dich geküsst hat? Den hast du mir verheimlicht.«

»Nein, habe ich nicht. Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen, und er hat Mistelzweige gekauft. Genau wie viele andere heute.«

»Hat dich jeder geküsst, der Mistelzweige kaufen wollte?«

»Viele haben es getan. Es ist ein Berufsrisiko. Obwohl es größtenteils Leute waren, die ich kenne und die mich wahrscheinlich ohnehin geküsst hätten. Es ist nichts dabei.«

Vivian, die sich eines aktiven und abwechslungsreichen Liebeslebens erfreute, missbilligte Nels gleichgültige Haltung. »Du hättest deine Chance besser nutzen sollen. Das war der attraktivste Mann, der mir seit Wochen untergekommen ist.«

»Und ich habe einen Freund, wie du sehr wohl weißt.«

»Simon, ja.« Vivian hielt nicht viel von Simon, und obwohl sie das niemals aussprach, war Nel sich dessen doch vollauf bewusst. »Oh, hm«, fuhr sie fort, »er muss wohl ein Pendler sein, der über Weihnachten hergekommen ist. Vielleicht wohnt er ja auch bei seinen Eltern. Er sieht jedenfalls jung genug aus, um noch Eltern zu haben. Oh, tut mir Leid, Nel.«

»Schon gut, meine Eltern sind vor Jahrzehnten gestorben. Aber ich wäre trotzdem noch jung genug, um welche zu haben.«

»Was meinst du?«, fragte Vivian. »Ob er sich vielleicht ein Cottage gemietet hat, um Weihnachten bei Freunden in den Cotswolds zu verbringen? Er war allein, also ist er wahrscheinlich nicht mit einer Freundin hier.«

»Ich habe keine Ahnung, und ich sehe keinen Sinn darin, Spekulationen anzustellen!«, sagte Nel abwehrend.

»Also, ich habe ihn bestimmt noch nie gesehen, sonst hätte ich mich an ihn erinnert.«

Nel dagegen hatte ihn durchaus schon einmal gesehen, beim Squashspielen im Freizeitzentrum. Als sie am Montag von den Weight Watchers nach Hause gefahren war, hatte sie auf den Squashplatz gesehen, um festzustellen, ob ihr Sohn dort war und vielleicht mitgenommen werden wollte. Statt zweier verschwitzter Teenager war dort jedoch dieser Fremde gewesen und hatte einen großen blonden Mann in Grund und Boden gespielt. Sie jagten beide wie junge Bullen über den Platz, dass die Sohlen nur so quietschten, und Squashbälle schossen wie Pistolenkugeln über das Spielfeld. Nel hatte sich damals gefragt, ob diese Art von Squash wohl besser zum Abnehmen geeignet war als das kalorienreduzierte Gebräu, das zu trinken sie sich gelegentlich zwang, wenn sie viel lieber zum Weinglas gegriffen hätte. Aber da die Koordination von Hand und Auge bei ihr einfach verheerend war, war es wahrscheinlich keine so tolle Idee – obwohl es vielleicht mehr Spaß gemacht hätte, als jede Woche stundenlang Schlange zu stehen, nur um herauszufinden, dass sie trotz all ihrer Anstrengungen immer noch genauso viel wog wie in der Woche zuvor und sich immer noch auf der fülligen Seite von Größe vierzig befand.

Sie erwähnte jedoch nichts von alledem Vivian gegenüber, bei der Diäten auf noch mehr Ablehnung stießen als Simon. »Hm, wenn du alles über ihn herausgefunden hast, einschließlich seiner Kragenweite, gibst du mir dann Bescheid, ja?«

Vivian lachte. Ihre Fähigkeit, Menschen – insbesondere Männern – in sehr kurzer Zeit ungeheure Mengen von Informationen zu entlocken, war ein Talent, an dem sie jahrelang gefeilt hatte.

Harry, Nels jüngerer Sohn, der seinem Vater geradezu unheimlich ähnlich sah, kam leicht atemlos herbeigelaufen. Ebenso wie Sam war er über Weihnachten von der Universität heimgekehrt. »Hallo, Mum – oh, hey, Viv –, Mum, ich habe gerade etwas aufgeschnappt, das dich interessieren könnte.«

»Oh?«, fragte Vivian. »Geht es zufällig um den heimlichen Verehrer deiner Mutter?«

Harry runzelte verwundert die Stirn. »Was? Nein! Diese Freundin von dir, die im Rathaus sitzt, du weißt, wen ich meine?«

»Fenella, ja?«

»Sie hat sich mit einer Frau unterhalten, während die beiden die Äpfel ausgesucht haben – mein Gott! Wie kann man nur so ein Theater um ein paar Äpfel machen! Da stand ich mit meiner offenen Papiertüte bereit, und diese Frauen haben sich jeden Apfel angesehen, als könnten Würmer drin sein.«

»Hm, so weit hergeholt ist das gar nicht«, bemerkte Nel, »aber was hast du denn aufgeschnappt?«

»Anscheinend soll eine Planungssitzung stattfinden. Und die beiden haben Paradise Fields erwähnt – in dem Augenblick habe ich dann die Ohren gespitzt. Es ging irgendwie um eine Bauplanungsgenehmigung. Wie dem auch sei, die Sitzung ist heute Abend. Ich habe Fenella danach gefragt, und sie meinte, jeder könne hingehen. Als ich sagte, dass du vielleicht Interesse hättest, antwortete sie, ja, das könnte sie sich denken. Also, hast du Interesse?«

Sowohl Nel als auch Vivian runzelten die Stirn, während sie versuchten, sich einen Reim auf diesen verworrenen Bericht zu machen. »Du hast nicht zufällig noch andere Informationen aufgeschnappt, nein?«, fragte Nel. »Ich meine, ich verstehe das nicht. Dieses Land gehört dem Hospiz. Wir benutzen es seit Jahren. Ich glaube wirklich nicht, dass irgendjemand anderes darauf bauen könnte.«

»Ist Fenella noch hier?«, wollte Vivian wissen und sah sich um. »Wir könnten sie fragen.«

Harry schüttelte den Kopf, sodass ihm das schlaff herunterhängende braune Haar in die Augen flog. »Nein. Sie meinte, sie habe es eilig. Ich habe ihr gesagt, dass sie dir wegen der Sitzung Bescheid sagen solle. Du sollst sie anrufen, wenn du Näheres erfahren willst. So aus dem Stegreif konnte sie sich nicht erinnern.«

»Oh Gott! Das klingt nicht gut!«, sagte Nel. Sie war verwirrt und ziemlich besorgt. »Aber danke, dass du es uns erzählt hast. Ich bin davon überzeugt, dass es keine Probleme gibt, aber wir kümmern uns besser trotzdem darum. Hast du heute Abend etwas vor, Viv?«

Vivian nickte. »Ein heißes Date. Neuer Mann. Könnte lustig werden.«

Nel seufzte. »In Ordnung, hm, ich gebe dir Bescheid, falls ich etwas Aufregendes erfahren sollte.«

»Oh ja. Ich möchte auf keinen Fall etwas verpassen. Ob Simon vielleicht etwas weiß? Wo er doch Makler ist, könnte das durchaus sein.«

»Wir können ihn ja fragen«, meinte Nel.

»Nein, vielen Dank.«

Um Viv von Simon abzulenken, bevor sie abermals andeuten konnte, dass Nel etwas Besseres verdient habe, wechselte Nel hastig das Thema. »Also, was für Pläne hast du für Weihnachten, Viv? Ich glaube nicht, dass ich dich schon danach gefragt habe.«

»Ich fahre zu meiner Tante in die Highlands. Du weißt schon: tosende Kaminfeuer, literweise Whisky und lange Spaziergänge. Vielleicht nehme ich das heiße Date mit, wenn er sich dem gewachsen fühlt. Was habt ihr denn vor?«

»Dasselbe wie immer, schätze ich.« Nel lächelte, um die Furcht zu vertuschen, die das Wort für sie barg. Sie mochte die Weihnachtslieder, die sie mit dem Hospizchor sang, sie mochte bunte Lichter, und sie mochte – nein, sie liebte den weihnachtlichen Bauernmarkt, auf dem sie sich gerade befanden. Aber seit dem Tod ihres Mannes war jede andere Freude an Weihnachten geheuchelt. Sie verstand sich so gut auf diese Art von Heuchelei, dass sie daran zweifelte, ob selbst ihre Kinder wussten, wie sie wirklich zu dem Thema stand.

»Was, ihr feiert bei euch, mit Simon und deiner Cousine und ihrem Mann? Was ist mit den Kindern? Werden sie auch da sein?«

Nel wusste sehr wohl, dass die Kinder die Weihnachtstage schon bald mit ihren jeweiligen Flammen würden verbringen wollen, aber bisher hatten sie nichts dergleichen gesagt. Nel hatte keine Ahnung, ob das die Dinge besser oder schlechter machen würde. Wenn Fleur und Harry nicht da waren, konnte sie ebenfalls wegfahren. Wenn sie nicht zu Hause wäre, würde der verwaiste Platz am Kamin, der nie erwähnt wurde, aber immer da war, weniger offenkundig sein.

»Simon fährt zu seiner Mutter, aber ich denke, die meinigen werden alle da sein«, erklärte sie Viv. »Aber ich mache mir ein wenig Sorgen um deine Patentochter. Sie hat einen neuen Freund. Er stammt aus London.«

Vivian lachte. »Das heißt nicht, dass er ein Vergewaltiger ist. London ist heutzutage doch ziemlich zivilisiert. Es gibt dort Polizisten und alles andere auch.«

Nel schnitt eine Grimasse. »Die beiden haben sich in einer Disko kennen gelernt. Es ist das erste Mal, dass sie mit einem Jungen ausgeht, dessen Mutter ich nicht kenne. Und wenn ich sie nicht persönlich kenne, kenne ich doch immer jemanden, der es tut. Es ist wohl eine Erfahrung, die zum Erwachsenwerden dazugehört.«

»Was? Für Fleur?«

»Nein, für mich. Oh, wunderbar, da kommt mein Hamburger.«

»Hey, Simon«, sagte Vivian. »Ich gehe dann mal besser wieder rüber. Ich habe deinem Sam die Verantwortung für meinen Verkaufsstand überlassen«, sagte sie und wandte sich zu Nel um. »Wenn ich ihn zu lange allein lasse und er sich langweilt, klaut er womöglich das Geld und kauft davon Drogen.«

Nel blickte lachend zu ihrem Sohn hinüber, der gerade einer Frau, die daran offensichtlich gar nicht interessiert war, zwei Bienenwachskerzen aufschwatzte.

Simon sah auf Nel hinab. »Ich verstehe dich nicht«, sagte er mit geheuchelter Verletztheit. »Du wirst sauer, wenn ich auch nur andeute, dass die Jungen ihre Füße vom Sofa nehmen sollen, solange sie Schuhe anhaben, aber wenn Vivian Sam Diebstahl und Drogenkonsum unterstellt, zuckst du nicht einmal mit der Wimper.«

Nel lächelte ihn an, als hielte sie seine Worte für einen Scherz. »Hast du ihre Füße mal ohne Schuhe gerochen?« Die Wahrheit wurde häufig als Scherz bemäntelt, und so war es auch diesmal. Aber sie wollte dieses Gespräch nicht jetzt führen – daher biss sie in ihren Hamburger. Die Majonäse sickerte auf höchst verlockende Weise an den Rändern heraus. »Hm, himmlisch! Das ist vielleicht das Köstlichste, was ich je gegessen habe, und du bist ein Held, weil du mir den Hamburger geholt hast. Und du hast dir auch einen mitgebracht. Eine gute Entscheidung! Nimm mal einen Bissen.« Nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass er den Mund voll hatte und daher nicht sprechen konnte, fuhr sie fort: »Ich bin ja so froh, dass Sam hier ist. Er kann gleich auf meinen Stand aufpassen, damit ich noch eine letzte Runde über den Markt drehen kann. Ich habe meine Weihnachtseinkäufe immer noch nicht alle beisammen, außerdem muss ich den Leuten schonend beibringen, dass es eine Menge Papierkram geben wird, wenn wir unsere offizielle Genehmigung bekommen. Fleur ist offensichtlich irgendwohin verschwunden, und wer weiß, wo Harry steckt. Oh, Mist! Das wird nie mehr rausgehen.«

Ein großer Klecks mit Ketschup durchmischter Majonäse war auf ihrer Wachsjacke gelandet. Leise vor sich hin murrend wischte sie den Schlamassel mit dem Finger weg, wobei sie aus den Augenwinkeln einen Blick auf den Mann erhaschte, der sie geküsst hatte. Er hielt den Mistelzweig vor sich hin, als sei er der Inbegriff der Peinlichkeit, und beobachtete Nel, wie sie die Majonäse ableckte. Er lächelte. Nel blieb nichts anderes übrig, als sein Lächeln zu erwidern; wenn sie sich jetzt zickig gab, würde sie noch lächerlicher wirken, als sie sich ohnehin schon vorkam. Nachdem sie gelächelt hatte, errötete sie. Oh, wenn sie doch nur ein Zehntel von Fleurs Selbstbewusstsein im Umgang mit Jungs hätte, dachte sie. Auch wenn er nicht gerade mehr ein Junge zu nennen war.

»Hier.« Simon reichte ihr ein Taschentuch. »Warum musst du nur so eine Schweinerei machen?«

Nel wischte sich den Finger ab und rückte dann dem Fleck auf ihrem Mantel zu Leibe. »Ich tue so etwas nicht mit Absicht. Außerdem ist der Mantel alt, also ist es nicht weiter schlimm.«

»Du wirst ihn in die Reinigung geben müssen«, sagte Simon. »Wirklich, du solltest vorsichtiger sein.«

Nel wollte gerade erwidern, dass es unmöglich sei, einen Hamburger zu essen, ohne dass dessen Inhalt sich überall breit machte, als ihr auffiel, dass Simon seinen bereits zur Hälfte verspeist hatte, und kein Tropfen davon war irgendwo anders gelandet als in seinem Mund. »Soll ich dein Taschentuch für dich waschen?«

»Nein, danke. Ich möchte nicht, dass es rosa wird.«

Ein wenig gekränkt, aber entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen, stopfte Nel Simon das Taschentuch wieder in die Tasche. »Nochmal danke, dass du mich vor dem Hungertod bewahrt hast, Simon.« Mit diesen Worten schob sie sich den Rest ihres Hamburgers in den Mund.

»Ich könnte es wieder tun. Hast du Lust, mit mir auszugehen? In der Nähe hat ein neues Restaurant aufgemacht, und ich habe gehört, dass es wirklich gut sein soll.«

Nel kaute hastig zu Ende. »Klingt verlockend, aber ich werde wohl todmüde sein. Ich denke, ich fläze mich einfach vor den Fernseher. Wenn ich hier fertig bin, muss ich noch meine Weihnachtskarten im Dorf verteilen. Das dauert eine Ewigkeit.« Die Sitzung erwähnte sie lieber nicht. Simon würde sie nur begleiten wollen und alles noch komplizierter machen.

»Du könntest einfach eine Briefmarke draufkleben.«

»Ich weiß, aber es ist eine gute Gelegenheit, mit den Leuten zu reden. Ich habe immer so viel um die Ohren, wenn wir die Stände aufbauen, dass einfach keine Zeit zum Plaudern bleibt. Sie haben bestimmt Fragen, was die Veränderungen betrifft, die wir durchführen müssen, um unser Niveau zu heben und zu einem offiziell anerkannten Markt zu werden.«

»Das wird eine Menge Arbeit nach sich ziehen. Ist es das wirklich wert?«

Nel holte tief Luft und schluckte ihren Ärger herunter. »Es gibt Zuschüsse, die wir beantragen können, und Websites, auf denen wir Reklame machen könnten. Als offiziell anerkannter Bauernmarkt würden wir viel mehr Publicity bekommen und damit mehr Besucher. Wenn ich der Gemeindeverwaltung einen richtigen Plan vorlege, meint Fenella, und den Leuten klar mache, dass alle sich an die Regeln halten werden, dass sie geeichte Waagen haben werden und solche Dinge, dann bekommen wir vielleicht die Zustimmung für unser Projekt. Je mehr Verkaufsstände wir haben, umso mehr Miete bekommt das Hospiz.«

»Nur weil Fenella bei der Gemeinde arbeitet, heißt das noch lange nicht, dass sie alles weiß«, erwiderte Simon verschnupft. Es gefiel ihm nicht, dass Nel außer ihm noch andere Informationsquellen hatte. »Und wollen wir wirklich noch mehr Verkehr hier im Ort?«

»Der Markt soll am Anfang nur einmal im Monat stattfinden!«

»Damit dürfte er sich kaum selbst tragen.«

»Oh Simon, verbreite nicht immer so viel Optimismus. Das ist so anstrengend!«

Simon lachte als Antwort auf ihre Meckerei. »Meiner Meinung nach wird diese Aufstockung des Marktes zu einem anerkannten Bauernmarkt einfach nur viel Arbeit mit sich bringen und keine nennenswerten Einkünfte. Jetzt, da deine Kinder praktisch das Haus verlassen haben, könntest du dir einen richtigen Job suchen.«

Nel wollte keinen richtigen Job. Marcs Versicherung hatte ihnen genug ausbezahlt, um gut zu Rande zu kommen, und Nel tat lieber Dinge, die sie interessierten, statt um eine Karriere zu kämpfen. Da sie dieses Gespräch schon viele Male geführt hatten und dies nicht der geeignete Zeitpunkt war, es ein weiteres Mal zu tun, lächelte sie nur.

Simon sah sie ungehalten an, verärgert darüber, dass es ihm nicht gelang, Nel dazu zu bewegen, Geld zu verdienen. »Und du hättest deine Weihnachtskarten einfach mitnehmen und sie gleich hier verteilen können.«

Tatsächlich hatte Nel genau das vorgehabt, aber als sie noch vor Sonnenaufgang aus dem Haus gestürzt war, hatte sie so viel im Kopf gehabt, dass sie die Post auf dem Tisch im Flur liegen gelassen hatte. »Ich habe doch gesagt, dass ich mit den Leuten reden muss. Und die Organisation des Marktes wird zwar eine Menge Arbeit nach sich ziehen, aber wir tun es für einen guten Zweck, und obendrein haben wir vielleicht viel Spaß dabei.« Sie runzelte die Stirn, als der Gedanke an eine Baulandausweisung für die Paradise Fields in ihr aufstieg. Das Land gehörte doch sicher dem Hospiz! Harry hatte das Ganze wahrscheinlich falsch verstanden. Er war viel verträumter als die beiden anderen. »Aber wie gesagt, ich möchte mit den Leuten reden.«

»Du lebst für Klatsch und Tratsch«, sagte Simon.

»Stimmt, stimmt vollkommen!«, pflichtete Nel ihm bei. »Welchen besseren Sinn könnte das Leben haben? Und da kommt jemand, der Mistelzweige braucht. He, Adrian! Kauf ein paar Zweige für deine Frau. Dieser große hier würde sich wunderbar in eurer Halle ausmachen.«

»Wir haben selbst Mistelzweige auf dem Hof, Nel.« Adrian Stewart bewirtschaftete einige Meilen außerhalb der Stadt einen Hof. Nel kannte ihn, weil sie früher im Catering-Unternehmen seiner Frau gearbeitet hatte.

»Das glaube ich gern, aber ich wette, ihr lasst sie einfach an den Bäumen. Mistelzweige nutzen nichts, wenn man sie nicht ins Haus holt. Mitten auf einer Weide voller Kuhfladen wird wohl kaum jemand einen Kuss bekommen wollen.«

Adrian lachte und schob die Hand in seine Tasche. »Wie viel willst du mir denn dafür abknöpfen?«

»Entscheide selbst, was die Zweige wert sind. Hier ist ein besonders schönes Exemplar. Sagen wir, ein Pfund. Es ist für eine gute Sache.«

»Ich dachte, du hättest gesagt, Sam bekäme das Geld«, meinte Simon.

»Sam ist eine gute Sache. Vielen Dank, Adrian. Grüß Karen von mir. Ich komme später noch mit meiner Weihnachtskarte bei euch vorbei.«

Adrian küsste Nel auf die Wange. »Das wird sie sicher freuen. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, kämpfte sie gerade mit einem Weihnachtskranz.«

»Oh, dabei will ich ihr gerne helfen! Wenn es für den Markt ein nächstes Jahr gibt, mache ich vielleicht selbst welche. Es macht so viel Spaß.«

Adrian griff nach seinem Mistelzweig. »Dir vielleicht. Jetzt muss ich dieses Ding in den Supermarkt mitschleppen.«

Nel nahm ihm das Bündel wieder ab. »Ich bringe euch die Zweige mit der Karte zusammen rüber.«

»Wenn du nicht so viel Zeit damit vergeuden würdest, anderen Leuten gefällig zu sein, hättest du mehr Zeit, um mit mir auszugehen«, sagte Simon, der für Nels Fähigkeit, so freundlich zu allen Menschen zu sein, nie richtiges Verständnis aufbringen konnte.

»Ich gehe schrecklich gern mit dir aus, Simon. Das weißt du doch.« Sie holte tief Luft. »Hör mal, warum kommst du nicht heute Abend einfach zu mir? Ich koche uns etwas – oder noch besser, ich kaufe uns eine Portion Fisch und Pommes frites –, und wir können ein Video ausleihen. Und eine Flasche Wein trinken.« Diese Einladung kostete sie eine gewisse Überwindung. Die Vorstellung, einen Abend lang einfach »herumzuhängen«, überstieg Simons Begriffe, und Nel hatte immer noch das Gefühl, dass sie das Haus vor seinen Besuchen aufräumen müsste. Trotzdem, mit ein wenig Glück würde die Sitzung nicht allzu lange dauern, sodass ihr noch genug Zeit zum Aufräumen blieb.

»Darfst du bei deiner Diät denn überhaupt Fisch und Pommes frites essen, Nel?«

»Es ist Weihnachten! Oder jedenfalls fast. Willst du nun kommen oder nicht?«

»Eigentlich habe ich selbst noch Verschiedenes zu erledigen. Ich führe dich stattdessen Sonntag zum Mittagessen aus.«

»Wunderbar. Lass uns bitte irgendwohin gehen, wo das Essen nicht zu fett ist.«

»Du hast doch gesagt, es sei Weihnachten.«

»Das stimmt, und gleichzeitig stimmt es auch nicht«, meinte Nel und fragte sich, ob Simon die Sache mit dem Abnehmen je verstehen würde oder ob das Ganze sein Vorstellungsvermögen ebenso überstieg wie das gemütliche Nichtstun am Abend. Da er selbst ausgesprochen fit war und alles essen konnte, was er wollte, glaubte er, die Leute hätten nur deshalb Gewichtsprobleme, weil sie sich voll stopften. Nur wer selbst darunter zu leiden hatte, konnte begreifen, dass die Dinge komplizierter lagen. In diesem Moment sah sie jemanden, den sie kannte, vom Käsestand kommen, wo man neben anderen Produkten einen einheimischen Käse kaufen konnte, der liebevoll ›Toms alte Socken‹ genannt wurde. Sie rief den Mann zu sich.

»Hallo, Ted! Hast du schon deinen obligatorischen Mistelzweig gekauft? Komm schon, kauf deinen Mistelzweig bei mir.«

»Hey, Nel. Na, dann gib mir schon einen. Meine bessere Hälfte wird sich freuen. Der Markt ist gut gelungen, wie?«

»Großartig. Aber nächstes Jahr, wenn wir ganz offiziell sind, dürfte es noch besser werden.«

»Dann wissen wir also nicht, was aus dem alten Grundstück wird?« Er zeigte auf das riesige, von vielen Anbauten umgebene Haus direkt gegenüber dem Markt. »Ich meine, Sir Geralds Erbe und seine Frau könnten vielleicht etwas dagegen haben, einen Markt quasi mitten in ihrem Garten stattfinden zu lassen.«

»Das ist nicht ihr Garten, und es gibt keinen Grund, warum sie Einwände haben sollten. Der Markt ist seit eh und je etwas Schönes, das vielen Menschen Freude macht. Außerdem hätten sie eben früher aus Amerika zurückkommen sollen, wenn sie etwas dagegen haben.«

»Dann weißt du also noch nicht, welche Pläne sie mit dem Grundstück haben?«

»Nein.« Jedenfalls, wenn man das hässliche Gerücht über die Felder nicht mitrechnete, das sie, Nel, gewiss nicht verbreiten würde. »Aber warum sollte ich auch Näheres wissen. Ich habe für Sir Gerald gearbeitet, und sein Sohn braucht mich nicht über seine Pläne zu informieren. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein Vermögen kosten wird, das alles wieder in Ordnung zu bringen.«

»Mindestens eine Million, schätze ich. Wie es aussieht, ist der alte Knabe einfach von einem Raum zum anderen gewandert, wenn es ihm irgendwo auf den Kopf getropft hat.«

Nel seufzte, da sie das Gespräch überaus niederschmetternd fand. »Dann wollen wir hoffen, dass sie jede Menge Geld haben.«

»Hm, ich darf nicht länger hier rumstehen und schwatzen. Ich muss noch ein Geschenk für meine Frau besorgen. Irgendwelche Vorschläge, Nel?«

»Ich persönlich freue mich immer über Diamanten«, sagte sie ernsthaft.

Er lachte, was sie auch beabsichtigt hatte. »Da müsste sie aber verdammtes Glück haben!«

»Ich hoffe, das hat sie!«

Kapitel 2

Weihnachten kann manchmal so verdammt nervig sein!«, sagte Nel. »Ich meine, das ist wirklich ein wunderbarer Zeitpunkt, um zu erfahren, dass es seit Jahren eine Bauplanungsgenehmigung für Paradise Fields gibt. Wenn niemand da ist, um etwas deswegen zu unternehmen! Es ist unglaublich! Ich meine, ich war mir ganz sicher, dass das Grundstück dem Hospiz gehört. Mein Gott! Der Markt hat ihnen bisher sogar Pacht bezahlt! Der Gedanke an eine Eigenheimsiedlung dort ist einfach unerträglich!«

Vivian, die sich genauso darüber aufregte wie Nel, das Ganze aber ein wenig gelassener nahm, erwiderte: »Das ist wahrscheinlich der Grund, warum sie ausgerechnet jetzt den Antrag auf Erneuerung der Erlaubnis gestellt haben, weil sie hoffen, dass die Leute zu viel zu tun haben, um Notiz davon zu nehmen.«

Vivian sah zu, wie Nel einen Weihnachtskuchen mit kleinen Figürchen verzierte, die sie selbst geformt hatte. Nel war jedoch in Gedanken anderswo und machte immer wieder Fehler. Von oben kam das gedämpfte Dröhnen von Musik, ein Hinweis darauf, dass ein Junge im Haus war. Sie wusste nicht, welcher, denn obwohl die beiden ständig über die relativen Vorzüge von Breakbeat kontra Drum’n’Brass debattierten, konnte Nel das eine nicht vom anderen unterscheiden.

»Also, warum ist Weihnachten nervig? Ich dachte, du machst das alles furchtbar gern«, sagte Fleur und zeigte auf den Tisch, der mit Puderzuckerglasur und abgeschnittenen Biskuiträndern bedeckt war.

»Ich spreche nicht von dem Kuchen, Schätzchen, ich meinte die Tatsache, dass diese Geschichte ausgerechnet dann passiert, wenn jedes Büro im Land für vierzehn Tage geschlossen bleibt. Ich bin sofort zu den Anwälten gelaufen, um in Erfahrung zu bringen, wer dieser Gideon Freebody ist, nur um mir anhören zu müssen, dass erst nach Neujahr wieder jemand im Büro sein wird.«

»Oh.« Fleur knibbelte etwas scharlachrote Puderzuckerglasur ab, die eine Sekunde vorher noch der Hut des Weihnachtsmannes gewesen war, und formte sie zu einer Rose.

»Es nervt«, sagte Vivian, »aber ich glaube nicht, dass es schlimm ist. Schließlich kann auch sonst niemand etwas unternehmen. Wissen wir, wer die Bauplanungsgenehmigung beantragt hat?«

Nel schüttelte den Kopf. »Ich habe mit Fenella darüber gesprochen, und sie meinte, jeder könne für jedes beliebiges Gelände eine Bauplanungsgenehmigung beantragen. Du könntest sie für meinen Garten beantragen.«

»Das ist ja schrecklich!«

»Ich weiß. Ich sage mir immer wieder, dass ich nicht in Panik ausbrechen darf, aber solange ich nicht weiß, wie die Dinge liegen, kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken. Du hättest die Pläne sehen sollen, Viv! Sie wollen unzählige Häuser da unterbringen. Ich konnte es nicht fassen. Ich kann es immer noch nicht fassen. Obwohl ich das Gefühl habe, ich würde es wissen, wenn das Land den Hunstantons gehört hätte. Immerhin habe ich jahrelang für Sir Gerald gearbeitet! Und jetzt ist auch noch Michael weg.«

»Wer ist Michael?«, fragte Fleur, die gerade versuchte, in einer Schneelandschaft einen passenden Platz für ihre lebensgroße Rose zu finden.

»Unser Finanzmensch im Hospiz. Er ist Rechtsanwalt oder Steuerberater – irgendetwas Langweiliges. Er müsste Genaueres wissen.«

»Es geht nicht nur darum, dass alles für die Katz wäre, was wir getan haben, damit die Kinder Zugang zum Fluss erhalten«, sagte Vivian zu Fleur. »Das Gebiet ist außerdem sehr wichtig für die Pflanzen und Tiere dort. Ich kann einfach nicht glauben, dass jemand ein Bauvorhaben auf dem Gelände plant, ohne dass irgendeiner von uns es gewusst hat. Weiß Gott, wie viele Lebewesen ihre angestammte Heimat einbüßen würden, wenn die Sache durchginge.«

Obwohl Nel Vivian nun so lange kannte, überraschte sie sie immer wieder. Sie vereinte schillernde Eleganz mit einer echten Liebe für bodenständige Aktivitäten wie Bienenzucht, ausgedehnte Spaziergänge und Vogelbeobachtungen auf entlegenen Inseln. Weil sie überhaupt nicht so aussah, als beschäftige sie sich mit etwas Schmutzigerem als Einkaufsbummeln, vergaß man leicht ihre Reisen nach Galapagos, ihre Märsche durch den Regenwald und die Urlaube, die sie dem Naturschutz widmete.

»Ist dir aufgefallen, dass wir einfach davon ausgehen, dass dem Hospiz das Land doch nicht gehört?«, bemerkte Nel. »Was meinst du, woran liegt das?«

Vivian zuckte die Achseln. »Es liegt daran, dass diese Verwaltungsleute im Endeffekt immer Recht haben. Die Bank macht niemals einen Fehler; man hat sein Konto immer überzogen. Hast du etwas dagegen, wenn ich den Teekessel aufsetze?«

»Nein, ich hätte liebend gern eine Tasse Tee, aber ich wünschte doch, ihr zwei würdet aufhören, zu naschen. Die Reste könnt ihr meinetwegen gern essen, aber das war ein absolut tadelloser Schneemann, den du dir gerade in den Mund gesteckt hast, Fleur.«

»Übrigens, wie läuft deine Diät, Mum?«, fragte Fleur, die Zuckerguss und Feuchtwiesen gleichermaßen langweilig fand. Sie griff nach einem Gerät, das Nel noch nie zuvor gesehen hatte, und machte sich daran, ihr Haar damit zu glätten. In Kürze würde sie mit dem Bus nach London fahren. Da sie wusste, dass ihre Mutter sich deswegen Sorgen machte, verbrachte sie pro forma ein wenig Zeit mit ihr und Vivian, bevor sie aufbrach.

»Sie läuft nicht, sie steht. Ich nehme ein wenig ab, nehme ein wenig zu und wiege am Ende dasselbe.«

»Ich verstehe nicht, warum du dir überhaupt die Mühe machst«, sagte Vivian. Groß und gut gebaut, mit tadellosem Teint und blitzenden grünen Augen, konnte sie essen, was sie wollte.

»Du hast gut reden, du kannst es dir leisten, nicht darüber nachzudenken, was du dir in den Mund stopfst. Was ein Glück ist«, fuhr Nel fort, »wenn man bedenkt, wie viel Zucker du gegessen hast.«

»Aber du bist entzückend, Nel. Findest du nicht auch, Fleur?«

»Hmhm. Kuschelig und mamahaft.«

Nel, der diese Attribute nicht besonders gefielen, sagte: »Wenn ich einsfünfundneunzig groß wäre, wäre an meinem Gewicht nicht das Geringste auszusetzen. Leider oder vielleicht sogar glücklicherweise bin ich es nicht. Außerdem geht es in erster Linie um Selbstachtung und darum, dass man einen gewissen Standard wahrt.«

»Es ist Simon, nicht wahr?«, hakte Vivian nach. »Weil er so mager ist, denkt er, du solltest es ebenfalls sein.«

Nel errötete. »Nein, ich tue das für mich!« Sie wollte das Thema Simon nach Möglichkeit umgehen.

»Hast du denn Cellulitis?«, fragte Fleur. Sie hatte von ihrem Haar abgelassen und strich sich jetzt über die Hüften ihrer Hose. »Du weißt schon, Orangenhaut?«

»Ich weiß, was Cellulitis ist, Fleur, und ich glaube nicht, dass Orangenhaut die richtige Bezeichnung dafür ist.«

»Wie meinst du das?«, fragten Fleur und Vivian wie aus einem Mund.

Nel dachte nach. »Hm, es ist eher, sagen wir – stell dir vor, du hättest einen Eiskugelstecher und würdest Fladen von Kartoffelpüree oben auf meine Schenkel klatschen. Das dürfte dir eine gewisse Vorstellung davon geben, worüber wir hier reden. Orangenhaut ist einfach eine Beschönigung.«

Es folgte entsetztes Schweigen, dann inspizierten Nels Tochter und ihre Freundin beide Nels hosenbetuchtes Bein, um zu überprüfen, ob Nel die Wahrheit sagte. Nel neigte ein klein wenig zu Übertreibungen.

»Was ist mit deinem Hintern?«, wollte Fleur wissen.

»Eine der kleinen Gnaden im Leben«, sagte Nel, »ist die, dass ich meinen Hintern nicht sehen kann. Ich vermute, der ist ebenfalls mit Klecksen von Kartoffelpüree bedeckt.«

Vivian, die nichts Unziemliches unter Nels schwarzer Röhrenjeans entdeckt hatte, schüttelte den Kopf. »Was sagt denn Simon dazu? Meiner Erfahrung nach stehen nur Pädophile und Schwule auf ganz magere Frauen. Richtige Männer stehen auf Fleisch.«

»Simon hat mein Fleisch noch nicht gesehen. Zumindest nicht diesen Teil davon.«

»Was?« Vivian kreischte vor Erstaunen und Entsetzen. »Du meinst, du hast noch nicht mit ihm geschlafen? Aber ihr seid seit mehr als sechs Monaten zusammen!«

Fleur schluckte, offensichtlich unentschieden, welche von beiden Möglichkeiten die unheimlichere war: dass ihre Mutter überhaupt Sex hatte oder der Gedanke, dass eine Frau so lange mit einem Mann zusammen sein konnte, ohne mit ihm zu schlafen.

»Ich weiß, aber Simon ist sehr rücksichtsvoll und drängt mich nicht.«

»Das ist nicht Rücksicht! Das ist unterentwickelter Geschlechtstrieb!« Vivian, die eine ganze Kolonne von Ringen ihrer Exverlobten an der rechten Hand trug, war anerkanntermaßen die Expertin auf diesem Gebiet.

»Nein, das ist es nicht. Es liegt an mir. Es fällt mir einfach schwer, mir vorzustellen, mit einem anderen Mann zu schlafen.«

»Was meinst du mit einem ›anderen Mann‹?«, fragte Fleur brutal. »Dad ist seit Jahren tot!«

»Du meinst, es hat seit Marcs Tod niemanden mehr gegeben?«

Nel schüttelte den Kopf. Sie war älter als die beiden anderen: Warum kam sie sich plötzlich so naiv vor?

»Also, Mum, bei welcher Nummer bist du?«

»Wovon sprichst du?«

»Oh je! Von der Zahl der Männer, mit denen du geschlafen hast.«

»Oh«, murmelte Nel.

»Hm«, gestand Vivian, »als ich neulich abends nicht schlafen konnte, habe ich versucht, meine Zahl zu ermitteln, und festgestellt, dass ich so weit ohne einen Taschenrechner kaum zählen kann. So schlimm kann es bei dir doch nicht sein.«

»Hm, nein.« In gewisser Hinsicht war es schlimmer.

»Also, wie viele waren es? Mehr als die Finger beider Hände?«, bohrte Fleur weiter nach. Jetzt, nachdem sie ihre Mutter als geschlechtliches Wesen akzeptiert hatte, wollte sie Einzelheiten wissen.

»Du meinst, mehr als zehn? Quatsch.«

»Dann kannst du sie an den Fingern einer Hand abzählen?«, hakte Vivian nach.

»Das eigentlich auch nicht.«

»Was soll das denn heißen?«, fragten die beiden wie aus einem Mund.

Nel fand, dass sie ebenso gut das Schlimmste erfahren konnten. »Meine Süßen, ich kann die Männer, mit denen ich geschlafen habe, am Daumen einer Hand abzählen. Ich brauche meine restlichen Finger gar nicht.«

Die beiden anderen Frauen benötigten einen Augenblick, um zu begreifen, was das bedeutete.

»Oh, das ist wirklich süß!«, rief Fleur.

»Das ist ausgesprochen bedenklich«, sagte Vivian. »Und wahrscheinlich ungesund. Du solltest die Situation auf der Stelle korrigieren.«

»Hm, ich kann ja Simon ausrichten, was du gesagt hast.«

»Simon ...«, hob Vivian zu sprechen an, und obwohl Fleur ihrer Patentante nicht einmal einen Blick zuwarf, wusste Nel, dass die beiden dasselbe dachten. »Es muss nicht unbedingt Simon sein«, beendete Vivian ihren Satz.

»Doch, muss es wohl! Wir sind schließlich zusammen! Mit wem soll ich denn sonst schlafen?«

»Wie wär’s mit dem Mann, der dich auf dem Markt geküsst hat?«, sagte Fleur.

Nel errötete. Genau derselbe Gedanke war auch ihr durch den Kopf geschossen. »Unmöglich. Ich kann unmöglich mit jemandem schlafen, mit dem ich keine feste Bindung habe.«

»Oder auf den du so scharf bist, dass du ihm am liebsten die Kleider vom Leib reißen würdest«, sagte Vivian.

»Ich bin nicht scharf auf Männer, jedenfalls nicht so, wie du es bist! Ich brauche Liebe, Bindung, Zeit, all diese Dinge. Außerdem«, fügte sie hinzu und fragte sich, ob sie jemals wieder echte Leidenschaft empfinden würde, »außerdem werde ich niemandem meine Kartoffelbreischenkel zeigen. Sobald mein potenzieller Partner sie zu Gesicht bekäme, würde er sich höflich entschuldigen und verschwinden.«

»Unsinn! Die körperliche Erscheinung ist nur ein Teil davon«, widersprach Vivian. »Lass dich endlich flachlegen, Mädchen!«

»Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich dich als Patentante für meine Tochter ausgesucht habe.«

»Ehrlich, Mum, sie hat Recht. Die Leute nehmen den Sex viel zu ernst.«

Nels Mutterherz krampfte sich zusammen. »Ich hoffe, du nimmst ihn ernst, Liebes.«

»Fang bloß nicht davon an! Ich weiß alles über sexuell übertragbare Krankheiten und dergleichen mehr. Und ich habe noch nicht mit Jamie geschlafen, also krieg dich wieder ein.«

Nel, der es ausgesprochen schwer fiel, zu akzeptieren, dass ihre Tochter keine Jungfrau mehr war und bereits eine höhere »Zahl« erreicht hatte als sie selbst, gab sich geschlagen. Hinzunehmen, was man nicht ändern konnte, war eine wichtige Lektion im Leben, und Fleur schien eigens auf die Erde gekommen zu sein, um Nel sämtliche wichtige Lektionen im Leben zu erteilen.

»Was du brauchst, ist eine Art Aufbaukurs in Sachen Bejahung des eigenen Körpers«, sagte Vivian.

»Für mich klingt das stark nach Fitnesscenter, und da wollen wir doch lieber nicht hingehen!«

»Ich tue es jedenfalls bestimmt nicht«, stimmte Vivian ihr zu, »viel zu langweilig. Obwohl einige der Männer ganz süß sind. Nein, ich meinte eine Art Therapie. ›Ich bin eine schöne Frau, und alle Männer fühlen sich sexuell angezogen von mir‹«, gab sie mit monotoner Stimme von sich.

»Das Problem ist, ich bin nicht schön«, sagte Nel.

»Doch, bist du wohl!«, riefen Fleur und Vivian im Chor. »Du bist bildhübsch. Vor allem seit du dir Strähnchen hast machen lassen«, fügte Vivian hinzu.

»Hört mal, ich bin ganz in Ordnung! Ich weiß, dass ich keine Vogelscheuche bin, aber niemand wird mich davon überzeugen, dass ›alle Männer‹ oder auch nur ›irgendwelche Männer‹ mich in meinem Alter sexy finden! Außerdem habe ich neulich ein graues Haar entdeckt.«

»Aber das ist mit den Strähnchen kein Problem«, versetzte Fleur. »Das Grau kommt nicht durch.«

»Das weiß ich, aber das Haar war nicht auf meinem Kopf!«

Wieder folgte entsetztes Schweigen. Nel war nie der Typ gewesen, der andere Leute mit Absicht schockierte, aber heute schien sie es recht oft zu tun. »Alter hat damit nichts zu tun«, fuhr Vivian fort. »Frauen können mit achtzig noch sexy sein.«

»Wirklich?« Diesmal waren es Nel und Fleur, die erstaunt klangen.

»Das weiß ich natürlich nicht aus persönlicher Erfahrung«, sprach Vivian, die die vierzig noch nicht erreicht hatte, weiter, »aber ich bin davon überzeugt, dass es stimmt. So etwas kommt von innen.«

»Dann hat es keinen Sinn, wenn ich einen Kurs mache«, bemerkte Nel.

»Genau das versuche ich dir doch gerade beizubringen, Schätzchen. Wenn du dich so fühltest, als seiest du die erotischste Frau auf Erden, würdest du es werden.«

»Ach ja?« Der Mann, der sie geküsst hatte, kehrte immer wieder in ihre Gedanken zurück, wie eine beharrliche Motte zu einer Glühbirne. Ihr war die Tatsache keineswegs entgangen, dass er schön gebogene Wimpern hatte, ebenso wie die Fähigkeit, Teile ihres Körpers anzusprechen, deren Existenz sie schon beinahe vergessen hatte.

»Nun, es würde helfen«, meinte Vivian.

»Ich werde mal in die Buchhandlung gehen und sehen, was sie in Richtung Selbsthilfe so auf Lager haben.« Vivian und Fleur sahen sie immer noch auf eine Art und Weise an, die Nel nervös machte. Allerdings neigten die beiden dazu, sich gegen sie zu verschwören. Im nächsten Augenblick würden sie darauf beharren, dass sie etwas Farbe in ihre Garderobe brachte, und dann würden sie ihr nie wieder erlauben, Schwarz zu tragen. Um sie abzulenken, sagte Nel: »Was ich wirklich brauche, ist ein Buch mit dem Titel Fit für eine Affäre. Ihr wisst schon, ein Buch, das einem erklärt, wie man seinen Körper in Schwung bringt, wenn man es erwägt, nach etlichen Jahren ohne Sex wieder mit einem Mann zu schlafen. Ich wette, so ein Buch gibt es nicht.«

»Hm, aber ich könnte eins schreiben«, meinte Vivian nachdenklich. »Mir würden da alle möglichen guten Tipps einfallen. Und nicht nur solche, an die auch alle anderen denken würden.«

»Als da wären?«, fragte Nel.

»Kleine Tricks eben. Man kann zum Beispiel einen Conditioner in sein Schamhaar geben oder in deinem Fall eher ein Tönungsmittel.«

Nel ignorierte diesen Seitenhieb. »Das tust du doch nicht wirklich, oder? Conditioner draufgeben?«

»Doch! Und warum auch nicht? Wir geben alle ein Vermögen für unsere anderen Haare aus. Warum sollte man da nicht auch dort ein wenig ...?«

»Also ehrlich!« Fleur, die inzwischen ihr Make-up aufgelegt hatte, zog mit Gewalt den Reißverschluss ihrer Handtasche zu und stand auf. »Wenn man mit euch beiden zusammen ist, kommt man sich manchmal vor wie in einer Folge aus Sex and the City.«

»Ja, du darfst meinen Lidschatten nach London mitnehmen«, sagte Nel, die ihn in Fleurs Sammelsurium von Schminkutensilien entdeckt hatte, »wenn du mir versprichst, mich anzurufen, sobald du dort ankommst.«

»In London oder bei Jamie zu Hause?«

»Beides. Und ...«

»Mach ich. Ich rufe dich an, ich werde der perfekte Hausgast sein, und ich werde in London auf mich Acht geben, und ich fahre nur für zwei Tage weg. Sam bringt mich zum Bus.« Fleur legte ihre kühle Wange an die ihrer Mutter. »Hab dich lieb. Wir sehen uns später. Hm, am Heiligen Abend.«

»Ich finde, es wird langsam Zeit, zum Wein überzugehen«, meinte Vivian, als die plötzliche Stille ihnen sagte, dass sie das Haus jetzt für sich allein hatten. »Hast du welchen da, oder soll ich uns schnell eine Flasche besorgen? Im Regal steht keiner.«

»In dem Schrank da, hinter den Cornflakes, habe ich die eiserne Ration. Ich muss die Flaschen verstecken, sonst nehmen sie die Kinder immer mit zu irgendwelchen Partys. Man sagt, das Leben sei zu kurz, um billigen Wein zu trinken. Ich finde, es ist zu lang, um es nicht zu tun. Ich mache das hier nur schnell fertig, dann versuche ich, einen Korkenzieher zu finden.«

»An dem Tag, an dem ich keinen Korkenzieher finde, werde ich Abstinenzlerin. Er liegt in dieser Schublade, nicht wahr?«

»Könnte sein. Er sollte dort liegen, aber das heißt nicht zwangsläufig, dass er sich auch dort befindet«, sagte Nel zweifelnd.

»Ich hab ihn!« Vivian triumphierte. »Also, wollt ihr, du und die Kinder, den ganzen Kuchen allein essen?«

»Gütiger Himmel, nein! Er ist für den Weihnachtsbasar im Hospiz. Viv, du hast nicht das Gefühl, dass Fleur irgendwie anders ist als sonst? Nicht übermäßig schreckhaft oder so etwas in der Art?«

»Nein. Sie ist reizend wie eh und je, und sie wird dir von Tag zu Tag ähnlicher.«

Da Nel und Fleur ständig zu hören bekamen, wie sehr sie einander ähnelten, und keine der beiden diese Ähnlichkeit sehen konnte, ignorierte Nel die Bemerkung. »Es ist nur so ... Simon hat neulich etwas in der Art gesagt und mich gefragt, ob sie Drogen nähme.«

»Das halte ich für höchst unwahrscheinlich.« Vivian schwieg kurz. »Machst du dir nur deshalb Sorgen, weil ihr Freund in London wohnt? Es gibt auch in Bristol Drogen. Und sogar hier bei uns.«

»Ich weiß! Es ist nur so, dass ich hier binnen Minuten bei ihr sein könnte, falls irgendetwas passiert.«

»Rauchen die Jungen Haschisch oder etwas in der Art?«

»Wahrscheinlich, aber sie tun es nicht hier, wo ich’s mitbekommen könnte.«

»Sie sind sehr rücksichtsvoll.«

»Ja. Aber was ist mit Fleur? Du findest wirklich nicht, dass sie irgendwie anders ist?«

»Nein, finde ich nicht. Ich denke, dass Simon zu übertriebener Sorge neigt. Und er bringt dich dazu, dir ebenfalls Sorgen zu machen, was noch schlimmer ist.«

»Er meint es nur gut.«

»Ich war immer schon der Meinung, dass das das Schlimmste ist, was man über jemanden sagen kann.«

Nel aß ein verunglücktes Stechpalmenblatt, das sie nicht wollte. »Ich meinte das nicht böse. Simon ist ein guter Mensch. Er macht sich Gedanken um meine Familie.«

Vivian tätschelte den Arm ihrer Freundin. »Ich weiß. Und ich bin davon überzeugt, dass er auch viele gute Seiten hat.«

Als Nel später allein war und darauf wartete, dass die Hunde die letzten Reste des verkleckerten Zuckergusses aufleckten und sie den Fußboden wischen konnte, dachte sie über die Feuchtwiesen nach.

Im ersten Sommer nach ihrem Umzug war sie mit den Kindern dort hingegangen. Es war während der Schulferien gewesen, und sie hatte sich große Mühe gegeben, etwas Schönes zusammen mit ihnen zu unternehmen. Etwas Normales.

Es spielten bereits andere Kinder dort; von kleinen Knirpsen, die gerade erst laufen konnten, bis hin zu Schulkindern waren alle Altersklassen vertreten. Einige der Älteren teilten die Jüngeren gerade für ein Ballspiel ein. Eine Gruppe von Müttern hatte sich um eine Bank geschart, und sie forderten Nel lächelnd auf, mit ihrer Decke zu ihnen herüberzukommen. Die Frauen fragten sie, ob sie neu in der Stadt sei, und waren sichtlich verlegen, als sie ihnen erzählte, dass sie verwitwet sei.

»Oh Gott«, sagte eine von ihnen. »Und da haben wir gerade die letzte halbe Stunde damit zugebracht, über unsere Männer und ihre nervigen Angewohnheiten zu jammern.«

»Schon gut«, sagte Nel. »Mein Mann glaubte immer, er mache sich nützlich, wenn er seinen Kaffeebecher ausspülte, wobei er überhaupt nicht mitbekam, dass er den Rand nicht mit abgespült hatte und auf der Außenseite überall noch Kaffeesatz klebte.«

»Und jetzt würden Sie alles darum geben, wenn er klebrige Kaffeebecher herumstehen ließe?«, fragte eine andere Frau.

»Und ihn schnarchen zu hören und im Bett furzen und all die anderen abscheulichen Dinge, die Männer so tun.« Nel hielt inne, um ihre Fassung wiederzugewinnen. »Aber trotzdem war es manchmal sehr ärgerlich.«

»Was hat er beruflich gemacht?«

»Er war in der City beschäftigt.« Nel zuckte die Achseln. »Um ehrlich zu sein, ich habe mich immer gefragt, ob der Stress bei der Arbeit etwas mit seiner Krankheit zu hatte.«

»Oh? War es ein Herzinfarkt?«

Nel schüttelte den Kopf. »Krebs. Es ging sehr schnell.« Dann lächelte sie, um die Tränen zu unterdrücken, die sich in ihren Augen sammeln wollten. »Aber die Versicherung hat sehr gut gezahlt!«

Eine Frau, die vielleicht gesehen hatte, wie nahe Nel den Tränen war, sagte: »Dann können Sie sich also die Pralinentherapie leisten?«

Nel nickte und biss sich auf die Lippen. »Nur leider können es meine Hüften nicht.«

Es war ein goldener Nachmittag gewesen, ein Wendepunkt für Nel und ihre Familie. Von diesem Tag an hatten sie sich als Teil der Gemeinschaft gefühlt, und obwohl ihre Trauer immer noch allgegenwärtig war, fiel es ihnen ein wenig leichter, damit zu leben.

Als die Hunde, ein Trio von King-Charles-Spaniels, sich bei ihrer Beschäftigung ekelhaft klebrige Ohren geholt hatten, kamen sie endlich zu dem Schluss, dass nichts mehr auf dem Fußboden zu holen war, und Nel griff zu ihrem Mopp. Nachdem sie einen Teil des Bodens gewischt hatte, beschloss sie, dass sie ebenso gut auch den Rest putzen konnte. Simon hatte gesagt, dass er vielleicht vorbeikommen würde, und da »vielleicht« bei ihm oft »bestimmt« bedeutete, konnte Nel sich auf keinen Fall vor den notwendigen Arbeiten im Haus drücken. Allerdings hätte sie einen ruhigen Abend allein vorgezogen.

Sie hatte Simon von Anfang an gesagt, dass sie den Gedanken an einen Stiefvater für ihre Kinder nicht ertragen könne, nicht solange sie noch zu Hause lebten. Ihre beiden Söhne waren die meiste Zeit fort, an der Universität oder auf Reisen oder sonst wo, aber sie wusste, dass ihnen ein Mann im Haus, der ihnen sagte, was sie zu tun und zu lassen hätten, nicht gefallen würde. Auch Nel war sich nicht sicher, ob ihr diese Vorstellung behagte. Sie würde vielleicht einige Dinge anders machen müssen, und das wollte sie nicht. Aber Simon war nett zu ihr, führte sie zum Essen aus und erledigte die Art von Arbeiten, die für größere, stärkere Menschen einfacher waren. Da sie so viele Jahre lang auf sich gestellt gewesen war, war sie sehr unabhängig geworden und durchaus in der Lage, die meisten Arbeiten im Haus selbst zu erledigen, aber manchmal war es angenehm, keine Leiter herbeischleppen zu müssen, sondern jemandem einfach die entsprechenden Werkzeuge reichen zu können.

Ihre behagliche Küche hatte sie zum Teil eigenhändig gebaut aus Elementen zur Selbstmontage. Außerdem hatte sie sich aus einer Kiste ein Weinregal gemacht und aus einer lackierten Holzkiste, die die Pfadfinderinnen weggeworfen hatten, ein nützliches Behältnis für Putzutensilien. Die Küche war ziemlich voll gestellt, aber genauso gefiel es ihr. Die damals zwölfjährige Fleur hatte ringsum direkt unterhalb der Decke mit Schablonen ein Blumenfries an die Wände gemalt, das inzwischen glücklicherweise zu akzeptabler Unkenntlichkeit verblasst war. Wenn die Küche aufgeräumt war, was kaum je einmal vorkam, war sie ausnehmend hübsch. Tatsächlich konnte man die Leute kaum dazu bewegen, sie wieder zu verlassen, was lästig war, wenn Nel für Gäste kochte und nicht beobachtet werden wollte. Morgens schien die Sonne hinein; wenn alle guter Laune waren, war sie groß genug für die Familie und reichte sogar aus, um Gäste zu bewirten, vorausgesetzt, diese waren nicht allzu sehr auf Förmlichkeit bedacht. Glücklicherweise kannte Nel solche Leute nicht.

Gegenüber der Küche führte vom Flur aus eine Tür ins Wohnzimmer. Es war mit zwei Sofas und einem Sessel möb-liert, es hatte einen Kamin, und der Fernseher stand dort: Zu viele Möbel eigentlich, aber die üppige Anzahl von Tischlampen, Bildern und Büchern verlieh dem Raum im Winter echte Behaglichkeit. Und im Sommer strömte durch das Fenster, das mit einer breiten Fensterbank die ganze Querseite des Zimmers in Anspruch nahm, helles Licht. Natürlich sah das Zimmer besser aus, wenn es dort nicht von Zeitungen, Coladosen, Gameboys und Hundehaaren wimmelte, aber wenn Nel die Kerzen auf dem Kamin anzündete (ungeachtet Simons Ermahnung, dass die Decke dadurch rußig wurde), fühlte Nel sich in ihrem Wohnzimmer sehr wohl.

Die vier recht kleinen Schlafzimmer lagen im ersten Stock. Ihres wurde fast zur Gänze von dem Doppelbett ausgefüllt, das sie sich früher mit Marc, ihrem Mann, geteilt hatte. Als sie nach seinem Tod hier hergezogen waren, hatten sie alle in dem Zimmer geschlafen, hatten sich in ihrer Trauer aneinander geklammert, bis sie, des Weinens müde geworden, beschlossen, es sei an der Zeit, ihr normales Leben wieder aufzunehmen.

Als der Küchenfußboden gesäubert war (zumindest dort, wo man es sehen konnte), saugte Nel noch rasch das Wohnzimmer wegen der Hundehaare. Sie hatte im Grunde gar nicht mehr die Energie für einen Gast, nachdem sie den ganzen Tag lang Weihnachtskuchen mit Zuckerguss verziert hatte, aber ihr letztes Telefongespräch mit Simon war mit einem Misston zu Ende gegangen. Sie hatte sich darüber geärgert, dass er nicht angemessen reagiert hatte, als sie ihm von der Bauplanungsgenehmigung für das Grundstück erzählte, von dem sie immer geglaubt hatte, es gehöre dem Hospiz. Simon hatte – ziemlich bissig – bemerkt, dass sie sich ja immer noch vor die Bulldozer legen könne. Außerdem war er schuld daran, dass sie sich jetzt – wahrscheinlich unnötig – um ihre Tochter sorgte. Wie Vivian bemerkt hatte, war Nels mütterliche Sorge schon stark genug ausgeprägt, ohne dass Simon ihr zusätzliche Nahrung gab. Aber um ihr schlechtes Gewissen zu besänftigen, würde sie ihm, falls er tatsächlich kam, anbieten, für ihn zu kochen.

Sie wählte seine Nummer, in der Hoffnung, dass ihm irgendetwas dazwischengekommen war und er nicht kommen könnte. Ihre Hoffnung erwies sich als vergeblich.

»Es wird nichts Exotisches geben«, warnte Nel ihn, um ihn vielleicht doch noch von einem Besuch abzubringen. »Aber die Kinder sind alle aus dem Weg, sodass wir ein wenig Ruhe hätten.«

»Du solltest auch Ruhe finden können, wenn sie zu Hause sind, Nel. Es ist ein entzückendes Haus, oder das wäre es jedenfalls, wenn es nicht so voll gestopft wäre mit dem Kram deiner Kinder. Sie haben schließlich alle ein eigenes Zimmer. Außerdem sind sie im Grunde gar keine Kinder mehr.«

Stille folgte. Selbst wenn Nel den Wunsch gehabt hätte, Simon bei sich einziehen zu lassen, hätte ihre Politik der Nichteinmischung in puncto Kindererziehung ihn gewiss abgeschreckt. Fleur würde im nächsten Jahr wie ihre Brüder zur Universität gehen, und Nel war sich im Klaren darüber, dass sie, was Simon betraf, bald zu einer Entscheidung kommen müsste. Aber dies schien nicht der richtige Zeitpunkt dafür zu sein. »Kinder bleiben für ihre Eltern immer Kinder, Simon. Denk an deine Mutter.«

Er kicherte. »Das tue ich, regelmäßig. Also, wann soll ich kommen?«

»Gegen acht. Ich mache uns ein Käsesoufflé.«

»Ein gutes Käsesoufflé ist ein echter Heiratsgrund, weißt du das?«