Geschichten für schlaflose Nächte, Band 10 - Guy de Maupassant - E-Book

Geschichten für schlaflose Nächte, Band 10 E-Book

Guy de Maupassant

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Beschreibung

Dieser Band enthält die folgenden Novellen des Meisters der Schauerliteratur: Nutzlose Schönheit Das Olivenfeld Die Fliege Der Ertrunkene Die Probe Die Maske Das Bild Der Krüppel Die fünfundzwanzig Franken der Oberin Ein Scheidungsgrund Wer weiß!

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Geschichten für schlaflose Nächte, Band 10

Guy de Maupassant

Inhalt:

Henri René Albert Guy de Maupassant – Biografie und Bibliografie

Nutzlose Schönheit

Das Olivenfeld

Die Fliege

Der Ertrunkene

Die Probe

Die Maske

Das Bild

Der Krüppel

Die fünfundzwanzig Franken der Oberin

Ein Scheidungsgrund

Wer weiß!

Geschichten für schlaflose Nächte, Band 10, G. de Maupassant

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster, Deutschland

ISBN: 9783849624323

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Thaut Images - Fotolia.com

Henri René Albert Guy de Maupassant – Biografie und Bibliografie

Franz. Romanschriftsteller, geb. 5. Aug. 1850 auf Schloß Miromesnil in der Normandie, gest. 7. Juli 1893 in Paris, begann seine Laufbahn als Ministerialbeamter. Für den angehenden Schriftsteller war Gustave Flaubert, ein Vetter seiner Mutter, gebornen Le Pottevin, ein treuer, unnachsichtiger Berater, der sogleich erkannte, daß in der Novellistik seine Stärke lag. Bekannt wurde M. nicht durch die Gedichte »Des Vers« (1880), sondern erst durch die 1870 in Rouen spielende musterhafte Novelle »Boule de Suif«, das Glanzstück der von Zola und seinen Schülern vereinigten »Soirées de Médan« (1880). Durch Objektivität und scharfe Hervorhebung des charakteristischen Merkmals zeichnete sich M. vor den übrigen Naturalisten, auch vor Zola selbst, aus. Seine Novellen sind im ganzen seinen Romanen überlegen, weil die hastige Produktion von 27 Bänden innerhalb 10 Jahren die planmäßige Arbeit erschwerte. Hervorragend sind immerhin die beklemmend traurige Ehegeschichte »Une Vie« (1883) und der Journalistenroman »Bel-Ami« (1885). Es folgten »Mont-Oriol« (1887), »Pierre et Jean« (1888) und endlich die einen unheilvollen Einfluß Bourgets verratenden sentimentalen Romane »Fort comme la Mort« (1889) und »Notre cœur« (1890). Unter den 20 Novellenbänden ragen besonders hervor: »La Maison Tellier« (1881), »Miss Harriet« (1884), »Monsieur Parent« (1885), »Le Horla« (1887), »L'inutile Beauté« (1890). Die Novelle »Musotte« dramatisierte M. mit J. Normand 1891 mit großem Erfolg. Der direkt für die Bühne geschriebene Zweiakter »La Paix du Ménage« (1893) gelang weniger. M. verfiel, wie sein älterer Bruder und mehrere andre Verwandte, in Wahnsinn, machte in Cannes einen Selbstmordversuch und starb in der Privatanstalt Blanche zu Paris. Eine illustrierte Gesamtausgabe seiner Werke erschien in 27 Bänden 1900–04. Von den zahlreichen Übersetzungen nennen wir die von H. v. Ompteda (»Gesammelte Werke«, Berl. 1898–1903, 20 Bde.). Ein Denkmal wurde ihm 1897 im Parc Monceaux zu Paris gesetzt.Vgl. A. Lumbroso, Souvenirs sur M., sa dernière maladie, sa mort (Par. 1905).

Nutzlose Schönheit

I

Vor dem Palais wartete die mit zwei wundervollen Rappen bespannte Viktoria. Es war Ende Juni, gegen ein halb sechs Uhr, und zwischen den Dächern der Seitenflügel, die den Ehrenhof umschlossen, strahlte der Himmel klar, warm und heiter herab.

Gräfin Mascaret erschien auf der Treppe gerade in dem Augenblick, als ihr Mann, der heimkehrte, in die Thür trat. Er blieb ein paar Sekunden stehen, um seine Frau zu betrachten, und ward ein wenig bleich. Sie war sehr schön, schlank, und sah vornehm aus mit ihrem länglichen, feinen Gesicht, ihrem goldigen Elfenbeinteint, den großen grauen Augen und dem schwarzen Haar. Ohne ihn anzublicken, stieg sie ein. Sie schien ihn nicht einmal bemerkt zu haben bei ihrem so ausgesprochen hochmütigen Wesen, daß ihm die fürchterliche Eifersucht, die ihn so lange schon quälte, von neuem das Herz zerriß. Er trat heran, grüßte und fragte:

Über ihre verächtlich zuckenden Lippen drangen nur die drei Worte:

– Wie Du siehst.

– In das Bois?

– Wahrscheinlich.

– Dürfte ich Dich begleiten?

– Es ist Dein Wagen.

Ohne sich über den Ton zu wundern, in dem sie antwortete, stieg er ein, setzte sich neben seine Frau und befahl:

– Ins Bois.

Der Diener schwang sich auf den Sitz neben den Kutscher, und die Pferde schnickten, wie sie es immer machten, grüßend mit den Köpfen, bis sie zur Straße hinaus waren.

Die beiden Gatten saßen Seite an Seite, ohne mit einander zu sprechen. Er suchte ein paar Einleitungsworte, aber ihr Gesicht blieb so starr, daß er es nicht wagte.

Endlich ließ er wie zufällig seine Hand nach der behandschuhten Hand der Gräfin hingleiten und traf sie. Aber die Bewegung, die sie machte, als sie den Arm zurückzog, war so lebhaft und so voller Ekel, daß er ängstlich sich zurückhielt, obgleich er sonst etwas Despotisches nnd Herrisches hatte. Da flüsterte er:

– Gabriele.

Sie fragte, ohne den Kopf zu wenden:

– Was willst Du?

– Ich finde Dich schön.

Sie antwortete nicht und blieb im Wagen ausgestreckt, mit der Miene einer verletzten Königin.

Sie fuhren jetzt die Champs-Elysées hinauf zum Arc de Triomphe de l'Etoile. Das riesige Bauwerk zeichnete sich am Ende der langen Straße mit seinem gewaltigen Bogen vom roten Horizonte ab. Die Sonne schien darauf niederzusteigen, vom Himmel einen feurigen Staub herabschüttend.

Und ein doppelter Strom von Wagen, an denen die Beschläge der Geschirre und das Cristall der Laternen im Lichte glänzte, ergoß sich zum Bois hinaus und zur Stadt zurück.

Graf Mascaret begann noch einmal:

– Meine liebe Gabriele.

Nun konnte sie nicht mehr zurückhalten und sagte mit zorniger Stimme: – Bitte, laß mich in Ruhe. Jetzt kann ich nicht mal mehr in meinem Wagen allein sein.

Er that, als hätte er es nicht gehört, und fuhr fort:

– Du hast nie so schön ausgesehen wie heute. Sie war mit ihrer Geduld zu Ende und antwortete mit hervorbrechender Wut:

– Das hat gar keinen Zweck, das jetzt zu merken, denn ich schwöre Dir, daß Du mir nicht mehr zu nahe kommen sollst.

Er war ganz verstört und erschrocken. Seine Heftigkeit ging mit ihm durch, und er rief ein:

– Was soll das bedeuten? das mehr den brutalen Herrn und Meister verriet, als den liebenden Gemahl.

Sie antwortete leise, obgleich die Bediensteten auf dem Bock bei dem ohrenbetäubenden Rädergerassel nichts hören konnten:

– Was das bedeuten soll? Was das bedeuten soll? Soll ich Dir's wirklich sagen?

– Ja.

– Soll ich Dir alles sagen?

– Ja.

– Alles, was ich auf dem Herzen habe, seitdem ich das Opfer Deines brutalen Egoismus geworden bin?

Er war rot geworden vor Staunen und Erregung und brummte mit zusammengekniffenen Zähnen:

– Also sprich.

Er war hochgewachsen, breitschulterig, mit langem, rötlichem Bart, ein schöner Mann, ein Gentleman und ein Herr der Gesellschaft, der für einen tadellosen Ehegatten und ausgezeichneten Vater galt.

Zum ersten Mal, seitdem sie das Palais verlassen, wendete sie sich ihm zu und sah ihm ins Gesicht:

– Du wirst aber unangenehme Dinge zu hören bekommen. Ich will Dir nur gleich sagen, mache Dich auf alles gefaßt. Ich fürchte nichts und heute Dich weniger als einen anderen.

Er sah ihr in die Augen, und schon packte ihn die Wut. Er brummte:

– Du bist verrückt.

– Nein. Aber ich will diese fürchterliche Qual, die ich seit elf Jahren erdulde, nicht mehr ertragen: immer Mutter zu werden. Ich will endlich der Gesellschaft leben, das ist mein Recht, wie das Recht aller Frauen.

Er wurde plötzlich blaß und stammelte:

– Ich verstehe Dich nicht.

– Doch. Du verstehst mich sehr wohl. Vor einem Vierteljahr habe ich mein letztes Kind gehabt. Und da ich noch schön bin und, trotz Deiner Bemühungen, nicht umzubringen, wie Du es eben anerkannt hast, als Du mich auf der Treppe sahst, so findest Du es abermals an der Zeit, ich solle Mutter werden.

– Du redest ja Unsinn. – Nein. Ich bin dreißig Jahr alt und habe sieben Kinder. Wir sind elf Jahr verheiratet, und Du hoffst, daß das noch zehn Jahr so fortgehen soll. Dann wirst Du allerdings nicht mehr eifersüchtig sein.

Er nahm ihren Arm und umklammerte ihn:

– Ich verbiete Dir, so weiter zu reden.

– Und ich werde Dir bis aufs tz alles sagen, bis ich alles los geworden bin, was ich Dir zu sagen habe. Und wenn Du mich daran hindern willst, werde ich so laut sprechen, daß die beiden auf dem Bock mich hören. Ich habe Dich nur einsteigen lassen dazu, denn hier habe ich Zeugen, die Dich zwingen, zuzuhören und Deine Haltung zu bewahren. Also hör zu.

Du bist mir immer unsympathisch gewesen, und ich habe Dir's immer gezeigt. Ich habe Dir nie etwas vorgemacht. Du hast mich gegen meinen Wunsch geheiratet und meine Eltern dazu genötigt, die es wünschten, weil Du reich bist. Sie haben mich gezwungen, und ich fand nur Thränen.

Du hast mich also gekauft. Und sobald ich in Deiner Gewalt war, sobald ich eine Gefährtin geworden war, die sich anschmiegen an Dich, alles vergessen und nur eines wollte, eine treue Frau sein und Dich so lieben, wie es mir möglich ist, bist Du eifersüchtig geworden, wie noch nie ein Mann. Die Eifersucht eines Spions, eine niedrige, unanständige Eifersucht, für Dich entwürdigend und beleidigend für mich. Wir waren noch nicht acht Monate verheiratet, als Du mich aller Gemeinheiten bezichtigtest. Du hast es mir sogar gesagt, das ist schändlich. Und da Du es nicht hindern konntest, daß ich schön war und gefiel, daß man mich in den Salons und auch in den Zeitungen eine der hübschesten Frauen von Paris nannte, hast Du alles versucht, um jedes Hofmachen von mir fern zu halten und bist auf jene niederträchtige Idee gekommen, mich so lange immerfort zur Mutter zu machen, bis ich allen Männern unangenehm sein würde. Leugne es nicht! Ich habe es lange nicht eingesehen, aber jetzt habe ich es verstanden. Du hast Dich dessen sogar gegen Deine Schwester gerühmt, die mir es wiedererzählt hat, denn sie hat mich gern und ist empört über Deine Proletariermanier.

Erinnerst Du Dich unserer Zänkereien, der aufgebrochenen Thüren? Du hast mich seit elf Jahren zu dem Dasein einer Mutterstute im Gestüt gezwungen. Sobald ich dann in dem Zustand war, ekeltest Du Dich vor mir, und ich habe dich Monate lang nicht wiedergesehen. Ich wurde aufs Land geschickt, auf den Familiensitz, auf die Wiesen, auf die Weide, um dort mein Kind zu bekommen. Und wenn ich frisch und hübsch, unzerstörbar, immer verführerisch, immer von Hofmachern umgeben, wieder erschien, in der Hoffnung, daß ich nun endlich wie eine junge reiche Frau aus der Gesellschaft leben könnte, dann packte Dich von neuem die Eifersucht, Du begannst wieder, mit dem niedrigen, gräßlichen Wunsch mich zu verfolgen, der Dich in diesem Augenblick hier an meiner Seite quält, nicht der Wunsch, mich zu besitzen, dagegen hätte ich mich nicht gewehrt, sondern der Wunsch, meine Schönheit zu zerstören.

Und dann ist etwas Niederträchtiges und so Wunderliches eingetreten, daß ich lange Zeit gebraucht habe, um dahinter zu kommen. Aber jetzt verstehe ich Deine Handlungs- und Denkweise. Du hast Dich an Deine Kinder angeschlossen aus Dank für all die Ruhe, die sie Dir gegeben, als ich sie unter dem Herzen trug. Du hast Liebe für sie geheuchelt bei all der Abneigung, die Du gegen mich empfandest, bei all der unedlen Furcht, die für den Augenblick wieder gegenstandlos geworden und im Gefühl der Freude, mich in anderen Umständen zu sehen.

O wie oft habe ich diese Freude in Dir verspürt, in Deinen Augen gelesen, erraten. Du liebst Deine Kinder wie einen Sieg, aber nicht wie Dein Blut. Einen Sieg über mich, meine Jugend, meine Schönheit, meinen Reiz, über die Artigkeiten, die man mir sagte und die man in meiner Nähe flüsterte ohne sie mir auszusprechen. Und Du bist stolz darauf. Du renommierst mit den Kindern, fährst sie im Break im Bois de Boulogne spazieren, läßt sie Esel reiten in Montmorency, Du führst sie in die Matineen, in die Theater, damit man Dich mit ihnen steht, damit man nur immerfort sagen soll: das ist aber ein guter Vater.

Er hatte mit wilder Wut ihr Handgelenk ergriffen und drückte es so heftig, daß sie schwieg und vor Schmerz nicht weitersprechen konnte.

Und er sprach ganz leise:

– Ich liebe meine Kinder, hörst Du. Was Du mir da eben gesagt hast, ist schmachvoll für eine Mutter. Aber Du gehörst mir, ich bin der Herr, Dein Herr. Ich kann von Dir verlangen, was ich will, wann ich's will, und habe das Gesetz auf meiner Seite.

Er suchte ihre Finger, indem er sie mit seiner großen, muskulösen Hand wie mit einer Zange umschloß, zu zerdrücken. Sie war bleich vor Schmerz und bemühte sich vergeblich, aus der Umklammerung, die sie quetschte, ihre Hand zu ziehen. Sie war außer Atem vor Schmerz, die Thränen traten ihr in die Augen. – Du siehst wohl, ich bin der Herr, – sagte er. – Ich bin der Stärkere.

Der Druck ließ etwas nach. Sie fragte:

– Hälst Du mich für fromm?

Er stammelte erstaunt:

– Gewiß.

– Meinst Du, daß ich an Gott glaube?

– Gewiß.

– Meinst Du, daß ich lügen könnte, wenn ich Dir vor einem Altar, auf dem der Leib des Herrn steht, etwas schwöre?

– Nein.

– Willst Du mit mir in eine Kirche kommen?

– Wozu?

– Das wirst Du sehen. Willst Du?

– Wenn es sein muß, ja.

Und sie befahl laut:

– Philipp!

Der Kutscher neigte etwas den Kopf, ohne die Pferde aus den Augen zu lassen, als wendete er nur das Ohr zur Herrin. Und sie rief:

– Fahren Sie zur Kirche Saint-Philippe du Roule.

Und die Viktoria, die an den Eingang des Bois de Boulogne gekommen war, kehrte nach Paris zurück.

Während der Fahrt wechselten Mann und Frau kein Wort. Als dann der Wagen vor der Kirche hielt, sprang die Gräfin heraus, und der Graf folgte ein paar Schritte hinterdrein.

Ohne sich aufzuhalten ging sie bis an das Gitter, das den Chor abschließt, ließ sich auf einer Bank in die Kniee fallen, versteckte das Gesicht in den Händen und begann zu beten. Sie betete lange und er, der hinter ihr stand, gewahrte endlich, daß sie weinte. Sie weinte lautlos, wie Frauen bei großem Leid weinen. Über ihren Körper lief etwas wie Wellenzuckungen, die sich in leisem, versteckten, in den Fingern erstickten Schluchzen lösten.

Aber Graf Mascaret fand, daß die Sache zu lange dauerte, und legte die Hand auf ihre Schulter.

Unter der Berührung zuckte sie zusammen als habe sie sich verbrannt. Sie erhob sich und sah ihn Auge in Auge an:

– Jetzt hör zu, was ich Dir zu sagen habe. Ich fürchte mich vor nichts, thue, was Du willst, wenn Du willst, töte mich. Eines Deiner Kinder, ein einziges, gehört nicht Dir. Das schwöre ich Dir vor Gott, der mich hier hört. Das war die einzige Rache, die ich an Dir üben konnte, gegen Deine niederträchtige Mannestyrannei, gegen diese Sträflingsarbeit, zu der Du mich gezwungen hast. Wer mein Liebhaber gewesen ist, wirst Du nie erfahren. Du wirst jeden in Verdacht haben, Du wirst ihn nie entdecken. Ich habe mich ihm ohne Liebe, ohne daß er mir sympathisch gewesen wäre, überlassen, nur um Dich zu betrügen. Und auch er hat mich Mutter gemacht. Welches sein Kind ist, wirst Du nie erfahren. Ich habe sieben, also nun suche! Ich wollte Dir das später sagen, viel später, denn man hat sich an einem Mann – wenn man ihn betrügt – erst gerächt, sobald er es weiß. Du hast mich gezwungen, es heute zu beichten. So, ich bin jetzt fertig.

Und sie floh durch die Kirche zum offenen Portal, in der Erwartung, hinter sich den eiligen Schritt des herausgeforderten Mannes zu vernehmen und unter dem tötlichen Schlag seiner Faust auf dem Pflaster zusammenzubrechen.

Aber sie hörte nichts und stieg in den Wagen mit einem Sprung, entsetzt, zitternd vor Angst, und rief dem Kutscher zu: – Nach Haus.

In scharfem Trabe fuhren die Pferde davon.

II

Gräfin Mascaret erwartete, in ihrem Zimmer eingeschlossen, die Essensstunde, wie ein zum Tode Verurteilter der Hinrichtung entgegensieht. Was würde er thun? War er heimgekehrt? Er, der Tyrann, der jähzornige Mann, der jeder Gewaltthat fähig war, was hatte er sich ausgedacht was vorbereitet, was beschlossen? Nichts regte sich im ganzen Haus, und sie sah immer nach dem Zeiger der Kaminuhr. Die Jungfer war zum Umziehen gekommen, jetzt war sie wieder fort.

Es schlug acht, und unmittelbar darauf klopfte es zweimal an der Thür.

– Herein.

Der Diener erschien und meldete:

– Es ist angerichtet, Frau Gräfin.

– Ist der Herr Graf nach Haus gekommen?

– Jawohl, Frau Gräfin, Herr Graf ist im Eßzimmer.

Ein paar Augenblicke kam ihr der Gedanke, sich mit einem kleinen Revolver zu bewaffnen, den sie einige Zeit vorher in Voraussicht des Dramas, das sich bei ihnen vorbereitete, gekauft.

Aber sie überlegte, daß alle Kinder da sein würden, und nahm nur Riechsalz mit.

Als sie ins Eßzimmer trat, stand ihr Mann an seinem Stuhl und wartete. Sie wechselten einen leichten Gruß und nahmen Platz. Dann setzten sich auch die Kinder, die drei Söhne mit ihrem Erzieher, dem Abbé Marin, rechts von der Mutter, die drei Mädchen mit der englischen Gouvernante Miß Smith links. Das jüngste Kind, erst drei Monate alt, blieb mit der Amme auf seinem Zimmer.

Die drei blonden Mädchen, von denen das älteste zehn Jahr alt war, trugen blaue Kleider mit kleinem weißen Spitzensaum und sahen wie reizende Püppchen aus. Die Jüngste von ihnen war noch nicht drei Jahr alt. Alle waren schon hübsch und versprachen schön zu werden, wie die Mutter.

Die drei Söhne, zwei mit kastanienfarbigem Haar und der älteste, neun Jahr alt, schon braun, sahen aus, als würden sie einmal starke Männer, breitschultrig und groß. Die ganze Familie schien lebhaft und kräftig zu sein, eines Bluts.

Der Abbé sprach wie immer, wenn keine Gäste da waren, ein Gebet: denn wenn sie jemand eingeladen hatten, erschienen die Kinder nicht bei Tisch. Dann setzte man sich wieder.

Die Gräfin saß da mit so übermächtiger innerer Bewegung, wie sie sie nie für möglich gehalten hätte, mit niedergeschlagenen Augen, während der Graf ab und zu die drei Jungen, dann wieder die drei Mädchen mit unbestimmten Blicken betrachtete, die ängstlich wanderten von einem zum anderen. Da plötzlich zerbrach er sein Glas beim Niedersetzen, und der Wein rötete das Tischtuch. Bei dem ganz leisen Geräusch, der das kleine Unglück hervorrief, schrak die Gräfin zusammen, daß sie von ihrem Stuhl fast emporgefahren wäre. Zum ersten Male blickten sie sich an. Und nun, ohne es zu wollen, trotz des körperlichen und seelischen Leides, das sie bei jedem Zusammentreffen ihrer Blicke quälte, kreuzten sie sie unablässig wie ein paar Klingen.

Der Abbé fühlte, daß irgendeine Verlegenheit, deren Grund er nicht ahnte, vorhanden war und suchte eine Unterhaltung zu beginnen. Er schnitt verschiedene Themata an, ohne daß seine vergeblichen Versuche einen Gedanken oder ein Wort hervorlockten.

Die Gräfin versuchte mit weiblichem Zartgefühl, ihrer Erziehung als Weltdame folgend, zwei oder drei Mal zu antworten. Vergeblich. In der Zerstörtheit ihrer Seele fand sie keine Worte, und ihre Stimme machte ihr im Schweigen des großen Raumes, in dem nur leises Gläser- und Silberklirren klang, fast Angst.

Plötzlich beugte sich ihr Mann vor und fragte:

– Schwörst Du mir hier mitten unter Deinen Kindern, daß das, was Du mir gesagt hast, wahr ist?

Die Wut, die durch ihre Adern lief, packte sie plötzlich, und sie antwortete mit derselben Energie. Sie blickte ihn fest an, hob beide Hände, die rechte gegen die Stirn ihrer Söhne, die linke zur Stirn ihrer Töchter, und dann sagte sie, ohne zu zucken, entschlossen und fest:

– Ich schwöre Dir auf das Haupt meiner Kinder, daß ich wahr gesprochen habe.

Er erhob sich, schleuderte mit verzweifelter Gebärde die Serviette auf den Tisch, wendete sich herum, daß sein Stuhl gegen die Wand flog und verließ, ohne ein Wort zu sprechen, das Zimmer.

Sie aber sagte, indem sie einen langen Seufzer ausstieß, wie nach einem ersten Sieg, mit ruhiger Stimme:

– Achtet nicht darauf, meine lieben Kinder, Papa hat heute einen großen Kummer gehabt, und er ist noch sehr traurig. In ein paar Tagen wird es vorbei sein.

Dann sprach sie mit dem Abbé, sprach mit Miß Smith und sagte allen ihren Kindern zärtliche, liebe Worte, kleine Schmeicheleien, wie Kinderherzen sie lieben und eine Mutter sie spricht. Als das Essen beendet war, ging sie mit der ganzen Familie in den Salon hinüber. Sie ließ sich von den Ältesten erzählen und erzählte den Kleinen Geschichten. Als dann die allgemeine Schlafensstunde gekommen war, küßte sie sie lange, schickte sie zu Bett und suchte allein ihr Zimmer auf.

Sie wartete, sie zweifelte nicht daran, daß er kommen würde. Wie nun ihre Kinder fern von ihr waren, entschloß sie sich, ihren Frauenkörper ebenso zu verteidigen, wie sie ihre Existenz als Dame der Gesellschaft verteidigt hatte. Und sie versteckte im Kleid den kleinen geladenen Revolver, den sie ein paar Tage vorher gekauft.

Die Stunden gingen vorüber, die Uhr schlug. Jedes Geräusch im Haus war erstorben, nur von der Straße herauf tönte dumpf das Rollen der Wagen, fern, gedämpft durch die Mauern.

Sie wartete entschlossen, nervös, aber jetzt ohne Furcht vor ihm, zu allem bereit, fast triumphierend, denn sie hatte eine Qual für ihn entdeckt, unter der er sein ganzes Leben hindurch leiden würde.

Aber der erste Lichtstrahl glitt unter den Fransen der herabgelassenen Vorhänge durch, ohne daß ihr Mann erschienen wäre. Da sah sie ganz erstaunt ein, daß er nicht kommen würde. Und nachdem sie ihre Thür verschlossen und noch dazu den Riegel vorgeschoben, den sie hatte anbringen lassen, legte sie sich endlich zu Bett und blieb mit offenen Augen nachsinnend, ohne zu begreifen, was da vor ging, nicht fassend, was er nun thun würde, liegen.

Als die Jungfer ihr den Thee brachte, übergab sie ihr einen Brief ihres Mannes. Er zeigte ihr an, er würde eine lange Reise antreten, und eine Nachschrift enthielt die Notiz, daß sein Notar ihr alle zu ihren Ausgaben notwendigen Summen anzuweisen hätte.

III

Es war in der Oper im Zwischenakt von Robert dem Teufel. Im Parkett standen die Herren, den Hut auf dem Kopf; man sah die weiße Hemdenbrust leuchten, auf der das Gold und die Steine der Knöpfe blitzten. Sie blickten hinauf nach den Logen, in denen Damen saßen in ausgeschnittenen Kleidern, mit Diamanten und Perlen geschmückt, in diesem erleuchteten großen Glashaus, in dem die Schönheit der Gesichter und das Glänzen der Schultern zu blühen scheint für die Blicke, die während der Musik oder im Summen der menschlichen Stimmen hinaufgesendet werden.

Zwei Freunde standen nebeneinander, den Rücken zum Orchester, unterhielten sich und betrachteten durch die Operngläser diese ganze Galerie von Eleganz, diese Ausstellung von wirklichem oder falschen Liebreiz, von Edelsteinen, Luxus und Aufgeblasenheit, die da im Halbrund des großen Theaters sich breit machte.

Einer der beiden, Roger de Salins, sagte zu seinem Freunde Bernard Grandin:

– Sieh nur mal da die Gräfin Mascaret, wie schön die noch immer ist.

Der andere betrachtete nun durch sein Glas in einer Mittelloge eine stattliche Frau, die noch sehr jung schien und deren auffallende Schönheit die Augen von allen Ecken des Theaters auf sich lenkte. Ihr bleicher, elfenbeinfarbiger Teint gab ihr das Aussehen einer Bildsäule, während in ihrem Haar, schwarz wie die Nacht, ein schmales regenbogenförmiges brillantenübersätes Diadem glitzerte, wie die Milchstraße am Himmel.

Als Bernard Grandin sie einige Zeit angesehen hatte, antwortete er in überzeugtem Ton:

– Das glaube ich schon, daß die schön ist. Wie alt kann sie etwa sein?

– Warte mal, das kann ich Dir genau sagen. Ich kenne sie von Jugend auf, ich habe ihren Eintritt in die Gesellschaft erlebt. Sie ist – – sie ist dreißig – – – sechsunddreißig.

– Nicht möglich!

– Ganz sicher.

– Sie sieht wie fünfundzwanzig aus.

– Und hat doch sieben Kinder gehabt.