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Die humorvolle Cosy Crime-Reihe auf der Nordsee-Insel geht unterhaltsam weiter
Der bayrische Polizist Georg Pampelhuber und sein Vorgesetzter Matthis Jüllich haben sich gerade erst in ihrer neuen Rolle als Inselcops auf Norderney eingefunden, als die eigentlich idyllische Insel schon von der nächsten Mordserie heimgesucht wird. Schnell wird klar: Die Opfer sind nicht zufällig gewählt und alle Fäden scheinen in der forensische Psychiatrie Lippestrand zusammenzulaufen. Während die Inselbewohner noch rätseln, was es mit den mysteriösen Morden auf sich hat, steht Georg vor seiner bisher größten Aufgabe: Er muss undercover in der Klinik ermitteln. Doch schon bald entgleist die Mission und Georg findet sich in einer Zwangsjacke wieder. Hoffentlich kommt er da auch wieder lebend raus …
Weitere Titel in der Reihe
Zwei auf Norderney (ISBN: 9783987784828)
Erste Leser:innenstimmen
„Ein spannender Inselkrimi mit viel Humor und Charme!“
„Der Undercover-Einsatz in der Psychiatrie sorgt für jede Menge Nervenkitzel, ohne dabei die gemütliche Atmosphäre zu verlieren, die man in einem Cosy Crime erwartet.“
„Das Ermittlerduo tritt in dieser Cosy Crime Fortsetzung wieder sehr sympathisch und humorvoll auf!“
„Eine perfekte Mischung aus packender Ermittlungsarbeit und Lokalkolorit.“
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Seitenzahl: 310
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Der bayrische Polizist Georg Pampelhuber und sein Vorgesetzter Matthis Jüllich haben sich gerade erst in ihrer neuen Rolle als Inselcops auf Norderney eingefunden, als die eigentlich idyllische Insel schon von der nächsten Mordserie heimgesucht wird. Schnell wird klar: Die Opfer sind nicht zufällig gewählt und alle Fäden scheinen in der forensische Psychiatrie Lippestrand zusammenzulaufen. Während die Inselbewohner noch rätseln, was es mit den mysteriösen Morden auf sich hat, steht Georg vor seiner bisher größten Aufgabe: Er muss undercover in der Klinik ermitteln. Doch schon bald entgleist die Mission und Georg findet sich in einer Zwangsjacke wieder. Hoffentlich kommt er da auch wieder lebend raus …
Erstausgabe August 2024
Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98998-374-8 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-511-7
Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock: © Wow Pho, © mapman, © mapman Lektorat: Katrin Gönnewig
E-Book-Version 17.07.2025, 18:16:53.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Norderney 1984
Es war noch früher Morgen, als die ersten Fahrzeuge auf das Gelände des Camps donnerten. Autotüren wurden aufgerissen und kommentarlos zugeschlagen von den zahlreichen Neuankömmlingen.
Für Dirk war dies wie Musik in seinen Ohren. Wenn es nach ihm ginge, könnte es das ganze Jahr über Sommerferien geben. Es waren seiner Meinung nach einfach zu viele verkorkste Gören und Götzen in der Missachtung ihrer Erzeuger herangewachsen. Er musste handeln, um so viele wie möglich auf den rechten Weg zurückzuführen. Auch wenn er seine Mission unter das Kreuz stellte und seine Worte vorerst unter dem Deckmantel des Glaubens verweilten, so waren es doch der Zorn und die Sehnsucht nach Gewalt, die seine Seele wandern ließen. In ihm schlummerten Philosophien und pädagogische Ansätze, die seiner Zeit noch nicht erprobt waren. Trotzdem glaubte der ein Meter neunzig große Hüne, die richtigen Erziehungsregeln für seine Schutzbefohlenen stets in der Hand zu haben. Wenn jemand an seinen Methoden zweifelte oder den richtigen Weg nicht erkannte, dann ließ der Campleiter dies, so oft es ging, die Kinder spüren.
Dirk fand sich selbst als unfehlbar und mit seinem charismatischen Lächeln und den langen, verfilzten, blonden Rastalocken machte er wohl auf dem Handzettel seines Camps neben seinen lachenden Kollegen Ralf und Barbara einen guten Eindruck auf die ahnungslosen Eltern.
Vielleicht war es jenen aber auch egal, was auf dem Papier gedruckt wurde, und sie wollten einfach nur ihre Brut in den Sommerferien nicht zu Hause haben. Oft waren es die Karrieren, die ihnen wichtiger waren als ihr eigener Nachwuchs.
Patsch … mit voller Wucht knallte wieder ein Knabe die Tür eines Fahrzeuges zu. Es quietschten die Reifen auf dem sandigen Boden der Einfahrt. Der Fahrer hatte es eilig, seinen Balg wie einen Köter auf der Autobahnraststätte auszusetzen.
Dirk sah den abwesenden, lustlosen Blick seines Neuankömmlings. Hinter dicken, runden Brillengläsern starrten die blauen Augen des Jungen in die trostlose Leere.
Dirk wusste sofort, welche Maßnahme dieses Kerlchen benötigte. Leicht tänzelnd bewegte sich der Hüne mit dem eisigen Lächeln zwischen den Lippen auf den Knaben zu.
Der Junge war sicherlich um die zehn Jahre alt, seine dunklen Haare waren etwas zu lang für die gesellschaftliche Norm, aber noch lange kein Grund, ihn ins Abseits zu stellen. Wenn es an seiner Frisur etwas zu bemängeln gab, dann waren es die fettigen Verklebungen, die auf eine mangelnde Körperhygiene hindeuteten.
Dirk zog ein gelbes Armband aus seiner Jackentasche und präsentierte es strahlend dem Knaben. Freundlich aufgelegt begrüßte er ihn.
Doch der Junge reagierte nicht und es wirkte, als schaute er an ihm vorbei.
Das war ein Verhalten, das Dirk nicht hinnehmen konnte, aber noch musste er es, da nach wie vor fleißig Eltern ihre Kinder auf das Gelände karrten. Aber eine Sache konnte er schon tun und das tat er auch. Mit einem breiten Grinsen steckte er das gelbe Bändchen wieder ein und zog dem Knaben mit einer festen und zügigen Bewegung ein rotes Bändchen ums Handgelenk.
Der Junge schaute ihn mit großen Augen an.
»Du kommst in die rote Gruppe. Ein Ort, in dem du dich ganz wohlfühlen wirst. Siehst du da hinten den freien Platz?«
»Welcher?«, antwortete der Junge lustlos und gereizt. »Etwa der, um den diese schäbigen Holzhütten stehen?«
»Ja genau, dieser Platz«, sagte Dirk und dachte sich, du wirst noch beten, um auch nur einmal in deinem Leben eine Nacht in so einer schäbigen Hütte zu erleben. Mit dir habe ich noch etwas ganz Besonderes vor. Darauf kannst du Gift nehmen. Obwohl die Stimme in seinem Kopf zornig war, blieb sein Tonfall ruhig und freundlich. »Wir versammeln uns immer alle jeden Morgen, Mittag und Abend auf dem großen Platz am Fahnenmast. Jetzt beeil dich, du bist schon spät dran und Barbara hat ein schönes Frühstücksbuffet für alle Neuankömmlinge gezaubert.«
»Paahh, diesen Fraß lange ich nicht an!«, erwiderte der Junge, ohne überhaupt zu wissen, was es gab.
Alles klar, dann wirst du eben nicht essen, dachte Dirk. Er unterdrückte seinen aufsteigenden Zorn und sagte freundlich: »Dann iss halt nichts, eingeteilt habe ich dich bereits.« Seine Stimme schwang um, als er seine Aufforderung beendete. Jegliche Wärme und Freundlichkeit verschwanden und der Campleiter gab sich kühl und reserviert ihm gegenüber. »Schließ dich dann am Platz mit den anderen Kindern zusammen und schau dir an, wo du die nächsten sechs Wochen wohnen wirst.«
Hätte der eingebildete Knabe aufmerksam zugehört, hätte er die eisige Kälte in der Stimme des Campleiters erkennen und noch durch das geöffnete Tor fliehen können.
Es dauerte nicht mehr lange, dann hatte Dirk alle Namen auf seiner Liste abgehakt und das letzte Auto fuhr vom Gelände. Insgesamt waren es fünfundzwanzig Geschöpfe, die laut Dirks Auffassung nur darauf warteten, von ihm, dem Meister höchstpersönlich, mit der entsprechenden Therapie geheilt zu werden.
Er lächelte in freudiger Erwartung, als er das große, schwere Eisentor zuschob und einrasten ließ.
Neben dem Tor war eine kleine Hecke. In diese griff er hinein und zog Tobi heraus. Tobi war sein treuster Begleiter. Andere sahen in Tobi nicht mehr als das, was es war, nämlich einen langen, schweren Stock. An seiner Spitze steckte ein großer, halbmondförmiger Widerhaken. Bei näherer Betrachtung sah man ihn leicht rötlich schimmern.
Dirk streckte den Stock nach oben und löste einen Mechanismus auf dem Tor aus. Nun war es ihm möglich, mit einem gekonnten Griff einen Stacheldraht, der auf einer Schiene lief, über das Tor zu spannen. Nachdem der Draht zu seiner linken Seite eingerastet war, versteckte Dirk Tobi wieder an derselben Stelle im Gebüsch und machte sich auf den Weg zum Campplatz, dem Mittelpunkt seines Schaffens.
Von diesem Punkt aus sah das Ferienlager einladend und idyllisch aus. Der Platz war rund, um ihn herum befanden sich kreisförmig angelegt fünf schöne kleine Holzhütten. Die Stuben waren halbkreisförmig nach Westen, Süden oder Osten ausgerichtet. Vor jeder Hütte ragte ein Fahnenmast hoch in den Himmel. An jedem wehte eine einfarbige Flagge im sanften Lied der Meeresbrise und direkt darunter befand sich ein kleiner beiger Lautsprecher. Die Fahnen vor der Hütte waren grün, gelb, blau, orange und lila. In nördlicher Ausrichtung stand ein großes, längliches Gebäude. Dieses Gebäude hatte ebenfalls einen Fahnenmast direkt vor dem Eingang. Hoch oben wehte das Camplogo im Wind.
Dirk erreichte den Platz und gesellte sich zu seinen Kollegen Barbara und Ralf. Zusammen musterten sie die Neuankömmlinge und beobachteten sie beim Frühstück. Manche waren schon fertig und versuchten untereinander, die ersten Bekanntschaften zu schließen; andere, so wie auch der Junge mit dem roten Bändchen, isolierten sich von der Gruppe und verweilten stur und regungslos abseits im Schatten.
»Saubere Arbeit, Dirk!«, sagte Ralf. »Ich bin begeistert, wie du jedem bei der Ankunft seine Gruppe zugewiesen hast.«
Ralf war Neuling in dem Camp und eigentlich nur auf Barbaras Anraten eingestellt worden. Auch wenn Dirk schon seit seiner Jugendzeit mit dem Herrn enger befreundet war. Mit einem weiteren Betreuer konnten sie dieses Jahr zehn Kinder mehr in ihr wundervolles Lager aufnehmen. Auch wenn Ralf für Dirks Geschmack viel zu freundlich war, so waren seine Gesangseinlagen und das musikalische Geschick mit der alten Westerngitarre am Lagerfeuer doch ein gutes Stilmittel, um den Kindern und Jugendlichen den Anschein eines normalen Sommercamps zu wahren, um im Hintergrund an den wahren Baustellen zu arbeiten. Außerdem brauchten sie jemanden, bei dem sie sich absolut sicher sein konnten, dass er im Falle eines Konfliktes zu ihnen stand.
»Ach ja!«, sagte Dirk. »Es gibt vorab einen Fragebogen und wenn du die Kinder dann zum ersten Mal siehst … Tja, was soll ich sagen.« Dirk hielt kurz inne, ehe er seinen Satz vollendete. »Mit den Jahren bekommt man ein Gespür dafür und man erkennt ziemlich schnell, was die guten Seelen benötigen.«
»Interessant!«, sagte Ralf und grinste dabei. Ralf war ein großer, schlaksiger Kerl und trotz der krummen Nase und den hervorstehenden Wangenknochen wirkte er auf die Damenwelt attraktiv. Vielleicht war es auch einfach die Tatsache, dass der Herr Gitarre spielte und mit seiner rauen Stimme angenehm singen konnte.
Wie von Geisterhand erwachten die Lautsprecher aus ihrem festen Schlaf, es rauschte und knisterte, ehe eine Melodie alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Alle Kinder verstummten und lauschten dem mächtigen Instrumentalstück. Es wob den gesamten Campplatz in eine elitäre Atmosphäre.
Nachdem die Melodie verklungen war, herrschte Ruhe und Ordnung auf dem großen Platz. Niemand traute sich, diese Stille zu brechen. Dirk trat auf die Holzplattform vor dem Haupthaus und genoss den Moment der Spannung. Wie ein mächtiger Diktator seines Reiches baute er sich erhaben vor seinem Volk auf. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Auch wenn der Vorbau gerade einmal drei Stufen hoch war, wirkte der Flecken wie eine mächtige Bühne vor der Eingangstür.
Dirk konzentrierte sich, ging dafür noch einmal vollkommen in sich. Er spürte und hörte in diesem Moment der absoluten Ruhe nur seinen eigenen Atem. Nicht mal mehr ein Vögelchen zwitscherte, nachdem diese Melodie seinen ganz eigenen Startschuss gesetzt hatte. Innerlich wusste er, dass die Arbeit wieder begonnen hatte und er mit Barbara, Ralf und Tobi dieses Jahr wieder jede Menge zu tun hatte. Auch wenn seine ersten Worte vor versammelter Meute »Herzlich willkommen« waren.
Draußen tobte ein schweres Gewitter. Es war auch kein Wunder, denn die letzten Tage waren einfach zu drückend und schwül auf der Norderney gewesen. Das Wetter war trotz des vergangenen Hochsommers für Anfang September noch viel zu warm. Fast schon tropisch.
Wieder pfiff eine Böe über ihr Grundstück. Die Traumfänger und Windspiele in ihrem Garten hatten heute Nacht jede Menge zu tun.
Die Straßenlaterne vor ihrem Schlafzimmerfenster schaukelte im stürmischen Wind und warf die merkwürdigsten Schatten und Abbildungen an ihre Schlafzimmerwände.
Auf einmal wurde es um sie herum taghell, aber nur für einen Augenblick. Kurz darauf folgte ein mächtiger Donnerschlag in der Dunkelheit. Gefühlt der hundertste diese Nacht. An Schlaf war in diesem Augenblick einfach nicht zu denken. Warum musste dieses Unwetter auch gerade in dieser Nacht sein?, fragte sie sich, während sie an ihren Gatten dachte. Warum musste er auch gerade diese Woche mit seinen Kegelfreunden ein Turnier in Wittmund spielen und anschließend in dem Gasthof ein Zimmer beziehen? Klar, auf der einen Seite wusste sie, dass es einfach unmöglich war, mitten in der Nacht vom Festland auf die Insel zu kommen, aber andererseits fragte sie sich, ob dieser Kegelclub wirklich gut für ihn war.
Sie drehte sich auf die Fensterseite, machte es sich gemütlich und beobachtete, wie es immer stärker regnete. Ihre Gedanken blieben jedoch an Ort und Stelle. Sie wusste, dass ihr Gatte nicht mehr viel im Leben hatte, seit er das Leben als Rentner »genoss«. Wenn sie ihm das mit seinen Kegelfreunden vermiesen würde, dann würde er nur noch zurückgezogener und einsamer leben. Das war nun mal der Preis, den sie für den Altersunterschied zahlen mussten.
Irgendetwas polterte. Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, zuckte zusammen. Es war wie ein dumpfer Schlag, aber nicht durch die Witterung ausgelöst. Ihr Herz pochte. Sie setzte sich in ihrem Bett auf, als es plötzlich wieder taghell wurde. Der mächtige Donnerschlag folgte im selben Augenblick und ließ die Fensterscheiben vibrieren.
Jetzt war es für sie klar, das Thema Schlaf war erledigt. Sie bemerkte einen ziemlich starken Druck auf ihrer Blase, schlug die Bettdecke zurück und setzte sich auf die Bettkante.
Nachdem sie sich die müden Augen gerieben hatte, streckte sie ihren Hals und schaute einen Augenblick wie in Trance aus dem Fenster.
Es regnete wie aus Eimern. Die Seitenstraße hatte sich wieder in einen kleinen Fluss verwandelt und die Regenmassen strömten eifrig in Richtung Strand.
Sie wunderte sich, dass in den gegenüberliegenden Häusern nirgends ein kleines, schwaches Licht zu erkennen war. War sie etwa die Einzige, die bei diesem Gepolter nicht schlafen konnte?
Es wurde schon wieder taghell, doch diesmal folgten zwei sehr laute Schläge und die Straßenlaternen erloschen alle in derselben Sekunde. Nichts außer dem Plätschern in der Finsternis umgab sie.
Wieder spürte sie ihr Herz bis zum Halse schlagen. Sie erhob sich und machte zwei Schritte nach vorne bis zum Fenstersims. Die Frau streckte ihren Kopf erst nach links und dann nach rechts. Doch das Bild blieb dasselbe, alles war dunkel.
Als sie sich abwenden wollte, um endlich ihre Blase zu entleeren, blitzte es erneut. Es war nur für einen Augenblick hell, doch dieser reichte aus, um etwas Seltsames zu erkennen. In ihrer Straße, nicht weit von ihrer Einfahrt entfernt, stand ein fremder großer Geländewagen. Ein Bild, das in jedem größeren Ort zur Normalität gehörte, aber nicht in ihrer Straße, zumal der Wagen auch genau vor dem Haus parkte, von dem sie sich sicher war, dass die Besitzer aktuell noch verreist waren.
Während sie endlich kehrtmachte und den Weg zum Badezimmer einschlug, kombinierten ihre Gedanken den dumpfen Schlag von vorhin mit dem ominösen Fahrzeug. Es wird doch nicht gerade nebenan eingebrochen? Gut, bei den zwei Chaoten, die aktuell in der neuen Inselwache für Recht und Ordnung sorgen sollten, würde sie es nicht wundern, wenn Norderney mit der Zeit noch zu einem richtigen Paradies für Einbrecher werden sollte. Doch dann beruhigten sich ihre Gedanken wieder, als sie sich erinnerte, dass die beiden überraschend doch ein ganz großes Ding in den Dünen aufgedeckt und so die Insel vor einem großen Unheil bewahrt hatten.
Das Knarzen ihrer eigenen Schritte auf dem alten Laminatboden vor dem Badezimmer holte sie wieder zurück aus ihren Gedanken und sie tapste vorsichtig zum Lichtschalter im Badezimmer.
Nichts geschah!
Herrlich, dachte sie sich. Doch es wurde allmählich immer dringender, somit entschied sie, es ohne Licht zu versuchen.
Manchmal waren es schon kleine Dinge, die einem Freude ins Leben brachten, in ihrem Fall war es die Tatsache, dass die Toilettenspülung einwandfrei funktionierte.
Als sie das Badezimmer hinter sich gelassen hatte, war ihr nächstes Ziel die Küche. Das Objekt der Begierde: eine kalt gestellte Wasserflasche aus dem stromlosen, dunklen Inneren des Kühlschranks.
Nach den ersten Schlucken des eiskalten Wassers merkte sie, dass ihr Kreislauf allmählich wieder etwas mehr in Schwung kam.
Von draußen war ein Geräusch zu hören. Sie konnte es nicht richtig einordnen. War es ein einfaches Knacken, weil das Holz, aus dem ihre Gartenterrasse bestand, einfach immer arbeitete, oder war irgendjemand draußen zugange? Fakt war, dass in demselben Moment die Straßenlaternen wieder ihren Dienst aufnahmen. Wenigstens etwas.
Ihr Blick fiel auf die Wanduhr und die Zeiger präsentierten ihr die aktuelle Uhrzeit. Es war 03:21 Uhr. Eine ziemlich schlechte Zeit, wie sie feststellte. Um wach zu bleiben, war es definitiv noch viel zu früh, auch wenn ihr Arbeitstag als Küchenhilfe meistens gegen 06:30 Uhr begann. Aber erholsamen Schlaf konnte sie sich in diesem verbleibenden Zeitfenster auch nicht mehr großartig vorstellen, denn ihr Kreislauf war hochgefahren und die Müdigkeit war längst abgeschüttelt. Außerdem beschäftigten sie in diesem Augenblick zwei weitere Themen. Nummer eins: Was hat das ominöse Auto hier zu suchen, es wird doch nicht etwa bei unseren Nachbarn eingebrochen oder saß vielleicht sogar jemand in dem Fahrzeug, um hier irgendetwas auszukundschaften? Und Thema Nummer zwei: Warum funktionieren die Straßenlaternen wieder, aber mein Kühlschrank nicht? Eigentlich, um genau zu sein, lief überhaupt nichts in ihrer Wohnung. Nicht mal ein Lichtschalter reagierte auf ihren Befehl.
Sicherlich waren wieder die alten Sicherungen bei dem Stromausfall rausgesprungen. Ein Problem, das sie in dem alten Einfamilienhaus bereits zur Genüge kannte. Selbst der Weg in den dunklen Keller war ihr vertraut und mit dem Licht, das ihr die Handykamera schenkte, hatte sie eigentlich überhaupt nichts gegen dieses Vorhaben zu setzen. Sie machte nur vorher einen kleinen Umweg über das Wohnzimmer, um ihr Handy vom Wohnzimmertisch zu holen.
Die alten Holzstufen, die hinab in den Keller führten, waren durch die drückende Schwüle der letzten Tage ganz feucht geworden. Schon auf der zweiten Stufe bemerkte sie, dass die Treppe viel rutschiger war als sonst. Sie leuchtete auf die nächste Stufe. Das Holz war durch die Feuchtigkeit dunkel gefärbt. Das war so vorher noch nie der Fall gewesen. Aber dieses Thema musste warten, diesem Problem könnte sich morgen Nachmittag auch ihr Gatte widmen, wenn er wieder zurück war und seinen Rausch auskuriert hatte.
Sie ging also einfach etwas vorsichtiger und langsamer die Treppe hinab.
Als sie die Sicherung überprüft und festgestellt hatte, dass alles in Ordnung war und somit das Stromnetz der Anwohner und das der Straßenbeleuchtung getrennt sein musste, schlug sie enttäuscht die Klappe des Sicherungskastens zu.
Exakt in diesem Moment hörte sie etwas Ungewöhnliches. Das Geräusch war nur sehr kurz, aber es gehörte definitiv nicht hierher. Sie drehte sich um und war sich absolut sicher, im Augenwinkel einen Schatten durch das Fenster des seitlich liegenden Kellerschachtes gesehen zu haben.
Da war es wieder, dieses Pochen, das Herz schlug ihr bis zum Halse. Am liebsten wäre sie jetzt an Ort und Stelle geblieben, für immer. Aber sie wusste, dass sie die Angst kontrollieren konnte. Und nichts anderes blieb ihr übrig. Als sie ihre Atmung wieder beherrschte, überlegte sie, was zu tun sei.
»Also«, sprach sie sich selbst Mut zu und flüsterte leise vor sich hin. »Wir haben ein unbekanntes Auto, einen dumpfen Schlag, der auf einen Einbruch hindeuten könnte, und einen Schatten von irgendjemandem, der sich hier herumtreibt. Das Geräusch gerade eben klang wie das Klackern schwerer Stiefelsohlen auf den Steinplatten …«
Als sie sich selbst das Wort Steinplatten sagen hörte, stockte ihr der Atem, denn bei den Nachbarn war auf der am Fenster gelegenen Seite nur eine Rasenfläche. Der Steinboden musste also jener in ihrer Einfahrt, direkt seitlich vom Kellerschacht, sein.
Für sie war die Lage somit klar, irgendwas stimmte hier nicht und sie brauchte Hilfe, sofort. Geistesabwesend wählte sie die drei Ziffern des Inselnotrufs und drückte ihr Mobiltelefon gegen das Ohr.
Mist … kein Freizeichen, musste sie feststellen. Sie schaute auf ihr Display und erkannte sofort die fehlenden Balken ihres Netzanbieters, hier unten im Keller.
Mutig stieg sie die rutschige Treppe hinauf und wählte die drei Ziffern erneut. Es klingelte, endlich ein Freizeichen. Nach dem zweiten Klingeln übernahm ein Piepton und anschließend eine freundliche Bandansage. »Vielen Dank für Ihren Anruf bei der Inselwache Norderney. Leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Diese wären …«
War das ein Witz? Sie schaute auf das Display, um die Nummer zu überprüfen. Aber das war alles richtig. Das war die Nummer, die sie vor ein paar Wochen im Rahmen einer amtlichen Bekanntmachung vom ehemaligen Bürgermeister Fiete Jensen in der Zeitung gelesen hatte.
Sie hob ihr Telefon wieder gegen das Ohr, der Beamte war mit seinen Öffnungszeiten durch. Sie hatte glücklicherweise der Ansage im richtigen Moment wieder ihre Aufmerksamkeit gewidmet, denn jetzt wurden die zuständige Telefonnummer für akute Notfälle außerhalb der Öffnungszeiten genannt.
Als sie sie hörte, war es für sie klar. Sie legte auf, um die neuen drei Ziffern zu wählen, doch in diesem Moment klopfte es an der Tür.
Wer konnte das nur sein? Also Einbrecher klopfen doch nicht einfach an der Tür, dachte sie und spürte, wie ihre Angst verschwand. Das ist bestimmt jemand aus ihrer Nachbarschaft, der überprüfen möchte, ob es bei ihr Strom gab, oder vielleicht war es sogar jemand, dem dieser gruselige Geländewagen auch ins Auge gefallen ist und nicht mehr ruhig weiterschlafen konnte und bei ihr einfach nur nach dem Rechten schauen wollte.
Noch während sie durch den langen Flur auf die Eingangstür zuging, klopfte es erneut.
»Ich komme gleich!« Sie wunderte sich selbst über ihre automatische und geistesabwesende Antwort, die ihr über die Lippen schoss.
Von draußen kam keine Antwort, aber es klopfte noch einmal fester und dumpfer. Durch das kleine milchige Fenster an der Tür erkannte sie mittlerweile die Statur der unbekannten Person.
Sie bekam doch wieder etwas mehr Angst; die drei Ziffern des akuten Notrufs waren bereits auf ihrem Display eingetippt.
Sie hielt inne und zögerte, obwohl sie mit ihrer linken Hand bereits den Türknauf umschloss. Sie entschied, mit der unbekannten Person noch einmal zu kommunizieren, ehe sie den Notruf absetzen wollte. »Wer ist da?«, rief sie, ehe sie »Ich rufe sonst die Polizei!« ergänzte.
Ein Moment herrschte Stille. Sie meinte, die Atmung ihres stummen Besuchers durch die geschlossene Tür pfeifen zu hören. Doch dann klopfte es erneut. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie drückte auf den grünen Telefonbutton und ihr Handy wählte den Notruf. Das alles überschnitt sich mit einem anderen Geräusch. Etwas, das eigentlich überhaupt nicht sein konnte. Als sie die Klänge der längst vergessenen elitären Melodie hörte, gefror ihr das Blut in den Adern. Das konnte unmöglich wahr sein. Alle Erinnerungen an jenen Tag kamen ihr wieder ins Gedächtnis. Ihre Hände begannen wie wild zu zittern. Tränen liefen ihr übers Gesicht und ihr Handy fiel wie ein Stein zu Boden, wo prompt das Display, das keine Schutzhülle besaß, zersplitterte und der Anruf abrupt beendet wurde.
Die Melodie lief immer und immer wieder, wie in einer Endlosschleife. Es musste aufhören. Sie mussten verschwinden, diese schlimmen Gedanken und vor allem diese Bilder in ihrem Kopf. Auch wenn sie die Schuldgefühle all diese Jahre hatte unterdrücken können, in diesem Augenblick konnte sie es nicht mehr. Ihre folgende Handlung war völlig unüberlegt und absolut impulsiv. Sie wusste, wer gekommen war, und sie drückte die Klinke trotz alledem nach unten, öffnete die Tür und schaute in das Gesicht. Auch wenn sie es nicht verstand, wie es möglich sein konnte, erkannte sie es sofort.
»Es tut mir so leid, aber wir hatten keine andere Wahl.« Sie jammerte, sichtlich vor Schmerz und Neugier hin- und hergerissen, während sie versuchte, Augenkontakt herzustellen.
Doch die Antwort: »Man hat immer eine Wahl«, war das Letzte, was sie in ihrem Leben hörte.
Der zuvor braune, vertrocknete Rasen vor der Inselwache war noch ganz matschig vom Unwetter der letzten Nacht. Der steinharte und staubtrockene Boden war mit dem Starkregen der vergangenen Nacht vollends überfordert. Es flutschte richtig, als die beiden Polizisten in den frühen Morgenstunden über das Areal gingen, um die Wache wie jeden Morgen zu eröffnen.
Im Glanz des neuen Tages legten sich die ersten Sonnenstrahlen der noch tief stehenden Sonne über die Ostseite der L-förmigen Holzhütte.
Der groß gewachsene und schlanke junge Polizist mit den kurzen dunkelblonden Haaren ging voran und knipste das Licht an.
Das trübe Licht der Energiesparlampen erhellte den offenen Bereich der Wache und Matthis nahm prompt an dem vorderen Schreibtisch Platz. Sein Schreibtisch war immer noch das Erste, was die Inselbewohner zu sehen bekamen, wenn sie die kleine Wache aufsuchten. Das war durchaus so gewollt, denn Matthis hinterließ mit seinem gepflegten Erscheinungsbild und dem strahlend weißen Zahnpastalächeln einfach einen kompetenteren Eindruck als sein Kollege Georg Pampelhuber, der aktuell jeden Morgen treu hinter ihm hertrottete.
Wie so üblich zankten sich die beiden wieder. Das aktuell doch sehr eintönige Tagesprogramm, das sich nach der Lösung ihres ersten großen Falls als ihr Alltag auf Norderney herausgestellt hatte, zehrte allmählich an ihren Gemütern. Denn so ganz ohne Einsatz konnte ein Arbeitstag schon sehr lang werden.
Der stämmig gebaute Herr mit dem Vollbart und den langen braunen, gelockten Haaren, die fast einer Dauerwelle glichen, hatte gerade erst wieder tief Luft geschnappt, um die Diskussion ihres Arbeitsweges fortzuführen. »Naa, du musst scho eingestehen, dass i viel besser geworden bin.«
Der junge Revierleiter, der gerade seinen Monitor eingeschaltet hatte, zog die Augenbrauen kraus. »Ja, im Vergleich zu deinen ersten zwei Wochen hast du dich schon wesentlich verbessert. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, bei den Sachen, die du zu Beginn deiner Versetzung angestellt hast, wäre es auch wirklich schwer geworden, diese Leistungen noch einmal zu unterbieten.«
»Was willst du damit sagen?«
Matthis legte die Stirn in Falten. »Mensch, Georg, ich meine, die letzte Zeit war schon ganz okay, aber erstens hatten wir die letzten Wochen, nachdem wir das mit den Dünen geklärt hatten, auch überhaupt nichts mehr zu tun. Zweitens, sei mir nicht böse, aber deine Vergesslichkeit liegt mir halt doch ein wenig im Magen.«
»Woas? Vergesslich i? Naa! Ach woher!«, polterte der selbst ernannte bayrische Inselkommissar Pampelhuber los und zeigte dabei mit dem Zeigefinger auf sich selbst.
Matthis verdrehte ein wenig die Augen. Eigentlich wollte er es gut sein lassen, aber dann überkam es ihn doch. »Ich verstehe ja, wenn man im Vollsprint mit der Stirn eine Straßenlaterne touchiert und man nach wie vor trotz Sturz und Lärm unerkannt bei der besagten Observation bleiben möchte, dann muss man eben auch mal zu Fuß die Flucht antreten. Aber dann, wenn man sich wieder in Sicherheit befindet, muss man doch wissen, dass man ursprünglich mit dem Auto zu diesem Einsatz gefahren war, und nicht einfach dann zu Fuß nach Hause geht und den Caddy einfach so stehen lässt. Und wir dürfen am nächsten Morgen dann tatsächlich kilometerweit zu unserem ersten Einsatz wandern.«
»Ahh, do hängt der Schuh. Mir war klar, dass du mia des noch immer nachträgst. I sags mal so, wie du es immer gerne auflistet. Erstens hab i kein Auto vergessen, sondern unseren Polizeicaddy. Das Ding haben die doch von einem Golfplatz geklaut und uns ein Polizeilogo drübergebabbt und fertig. So viel also zum Thema Änderung im Haushaltsbudget. Und zweitens, a echtes Auto würd i nie vergessen. Das war a einmalige Sache!«
»Wenn du meinst!«, erwiderte Matthis, während er mit einem Auge schon seine E-Mails checkte.
Ein wenig später betrat wie jeden Tag Herbert, der Postbote, die Wache. Oft machte sich der ältere Herr mit dem diebischen Grinsen einen Spaß und er kam mit einer Hand voll Briefe in die Wache. Nachdem er seinen Finger befeuchtet hatte, blätterte er alles durch, um dann im Anschluss die beiden Herren mit der Aussage: »Wieder nichts für euch dabei!«, stehen zu lassen. Aber heute war es anders. Diesmal hatte der schlaksige Senior mit dem silbern schimmernden Bartwuchs wirklich einen schönen dicken Brief für sie in der Hand. Genauer gesagt sogar ein Einschreiben, für das Matthis auf dem leicht angefaulten Klemmbrett unterschreiben musste.
»Oha, der feine Herr Revierleiter darf sogar mal was unterschreiben, dann hat er wenigstens was zu tun«, moserte der bayrische Ermittler hinter seinem Schreibtisch, der ganz hinten in dem großen Hauptraum der Wache stand.
Matthis schaute auf den Absender des Einschreibens. »Was will denn die Autovermietung von uns?«, fragte er sofort, nachdem Herbert die Wache verlassen hatte und den beiden wie immer einen schönen Tag gewünscht hatte.
»Schaust nei, dann woasts«, grummelte der Bayer im Rausch seines Dialektes.
Matthis fühlte, dass der Brief schwer und dick war. Mit seiner Rechten griff er zu seinem Brieföffner. Elegant sauste die scharfe Klinge durch das Kuvert und öffnete den Brief.
Er faltete den Brief auseinander und las.
Georg bemerkte, dass seinem Kollegen die Farbe aus dem Gesicht wich. Das war noch nie ein gutes Zeichen gewesen. Georgs nächster Blick fiel auf Matthis’ linke Hand. Als er bemerkte, dass die Fingerchen zuckten, kam es ihm anhand des Stichwortes Autovermietung doch so langsam in den Sinn.
Vorsichtig stand er auf, den Blick auf den Nebenraum gerichtet. Die beiden Verwahrungszellen waren aktuell nicht belegt. Der große runde Tisch vom Pausenraum war auf seiner Seite noch von den Resten des gestrigen Mittagsessens belegt. Mist … vergessen, dachte er, als er sich erinnerte, dass er die Verpackungen gestern noch entsorgen wollte.
Als er das Schnauben vom Eingangsbereich hörte, wusste er, dass es nur noch einen sicheren Ort für diesen Vormittag gab, nämlich das gute alte Dixi-Klo vor der Wache.
Doch den kurzen Fußweg konnte er nur teilweise antreten, da ihn sein Kollege in einer ziemlich merkwürdigen Tonlage zu sich zitierte.
»Was kann i für Sie tun, lieber Herr Revierleiter Jüllich?«, fragte der Kommissar.
»Weißt du, was das ist?«, fragte ihn Matthis mit einem überaus freundlichen Tonfall.
»Ja«, antwortete Georg stolz. »Ein Stück Papier mit vielen bunten Sachen drauf.«
»Das ist die Autovermietung! Weißt du, was die uns schicken?«
Der Kommissar stockte, ehe er langsam das Wörtchen »Werbung?« über seine Lippen brachte.
»Kollege!« Matthis schnaufte. »Das ist eine Zwischenrechnung.« Matthis wiederholte das letzte Wort noch einmal ohne Aufforderung. »Georg, kann es vielleicht sein, dass du den Leihwagen, als du die Verdächtigen bis zu dem Naturschutzgebiet verfolgt hattest, vergessen hast?«
Georg wurde kleinlaut. »Naa … Also … Das war … alles nur wegen dem depperten Kamel!«
»Was hat Abdul jetzt damit zu tun?«
»Mei verdammt, kann scho sein, dass i den Wagen vergessen hab. Mei oh Mei.«
»Was heißt hier kann schon sein?«
»Ja, i hab den net zurückgebracht. Aber du hättest mi ja auch mal fragen können.«
»Wonach? Nach einer Selbstverständlichkeit? … Siehst du? Da haben wir es wieder mit deiner Vergesslichkeit.« Matthis stockte. Er überlegte einen Atemzug lang. »Ich würde vorschlagen, du nimmst die Zwischenrechnung, holst den Wagen, bringst ihn der Autovermietung gewaschen zurück und schaust, wie du dieses Missverständnis irgendwie lösen kannst, weil ich eine Rechnung für fünfundvierzig Tage Leihwagen nicht bei der Buchhaltung einreiche. Hast du das verstanden?«
»Okay, i kümmer mi drum!«, sagte der Starermittler und gab sich geschlagen.
»Ach … Georg!«
»Was ist denn noch?«
»Lass die Schlüssel für den Caddy hier, sonst steht der ja dann in den Dünen!«
»Ja, wie soll i dann …«
»Nimm das E-Bike, der Kombi hat doch einen großen Kofferraum.«
»Puuhh, das woas i nicht mehr, das ist scho so lange her.«
Als Matthis ihn anlächelte, erkannte er seinen Fauxpas und änderte blitzschnell seine Meinung. »Ja, ja doch, an ganz großen Kofferraum hatte der … Ach, Matthis, steht zufällig auf der Rechnung, was das noch mal für ein Fahrzeugmodell war?«
»Ja, tut es … Aber bevor du so anfängst, mitten in den Weißen Dünen, so abgerutscht vom Fahrbahnrand in einer Sanddüne, da werden wahrscheinlich nicht so viele Fahrzeuge stehen, oder?«
»Hast ja recht!«, sagte Georg, nahm den Brief an sich und machte sich mit dem Fahrrad auf den Weg in das Naturschutzgebiet.
Georg erreichte nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die besagte Stelle, an der er das Fahrzeug zuletzt gesehen hatte. Als er den großen Kombi so einsam und verlassen in einer Kuhle zwischen Fahrbahn und Sandberg stehen sah, erinnerte er sich an den damaligen Einsatz zurück und in ihm stieg ein Hauch von Zorn, gegen sich selbst gerichtet, empor. Denn er fragte sich, ob sein Kollege nicht doch recht hatte und er nicht sogar wirklich etwas zu vergesslich war. Gut, früher zu Hause in Bayern hatte es viele Situationen gegeben, die seine Verwandtschaft mit Faulheit kommentiert und kritisiert hatte. Aber was war, wenn es keine Faulheit war, sondern er einfach wirklich nur ein extrem vergesslicher Mensch war?
Georg fokussierte seine Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt und bemerkte, dass der Wagen wirklich gelitten hatte. Die hohen wüstenähnlichen Sandberge um ihn herum hatten das Fahrzeug gut mit einer Sand- und Dreckschicht überzogen.
Der Kommissar machte sich umgehend an die Arbeit. Zuerst verstaute er sein E-Bike im großzügigen Kofferraum des ockerfarbenen Kombis, danach setzte er sich auf den Fahrersitz. Da der Schlüssel noch steckte, startete der Polizist den Motor.
Der Wagen stotterte und kämpfte, aber nach dem dritten Anlauf schnurrte der Motor gleichmäßig und Georg versuchte, langsam die Kupplung kommen zu lassen, um das schwere Gefährt aus der Kuhle zu manövrieren.
Durch den starken Regen der vergangenen Nacht war der Boden nicht mehr so sandig glatt wie damals, sondern eher matschig.
Also einfach war es nicht, aber nach einer Weile hatte Georg den Wagen zurück auf der Fahrbahn. Sein nächstes Ziel war die Tankstelle in der Hafenstraße, genauer gesagt die Autowaschanlage auf jenem Gelände.
Georgs Blick, als sich das Tor der Autowaschanlage wieder öffnete, sprach Bände. Es war dieser Moment, in dem man feststellte, dass das Gefährt, das man hineinfuhr, eine andere Lackierung angenommen hatte. Als Georg die silbergraue Lackierung sah, konnte er sich auch detaillierter an das Fahrzeug erinnern.
Mit der Autovermietung konnte sich Georg auch ziemlich zügig einigen. Ein Teil der Rechnung wurde neu auf die Wache ausgestellt. Es handelte sich hierbei um den Zeitraum des eigentlichen Einsatzes. Einen weiteren Teil musste Georg aus eigener Tasche stemmen und einen fingierten entstandenen Sachschaden sollte Georg bei seiner Haftpflichtversicherung einreichen.
Mit den entsprechenden Unterlagen schwang sich Georg wieder aufs Rad und fuhr zurück zur Wache.
Als Georg die Wache betrat, legte Matthis gerade den Telefonhörer auf. Sein Gesicht war käseweiß und sein Blick wirkte für einen Moment geschockt, vielleicht sogar eher apathisch. Als er Georg bemerkte, schaute er ihn an und sagte: »Wir müssen los, wir haben einen neuen Mordfall!«
»Ah, woher, du verarschst mi … oder … oder?«, hörte sich der Kommissar mit einer immer stottrigeren Stimme antworten.
Am äußersten Rand stand der kleine Junge mit dem roten Armbändchen. So weit außen, wie er seinen Platz gewählt hatte, waren es mehr die Reflexionen der Begrüßungsansage als der Direktschall, die seine Ohren erreichten. Aber das war ihm egal, denn er wollte eigentlich sowieso nicht hören, worum es hier ging, und vor allem waren ihm die Worte des Betreibers auch mehr als gleichgültig. Der Junge war tief in seinem Inneren einfach enttäuscht. Eigentlich sogar weniger von der Situation seiner Sommerferien, sondern mehr von seinen Eltern. Was war er nur für ein Narr gewesen, zu denken, dass sein Vater, der edle Herr Geschäftsführer, auch nur für ein paar Wochen seine Aufgaben beiseitelegen würde, um ihn, sein eigen Fleisch und Blut, besser kennenzulernen. Manchmal hatte er das Gefühl, sein Vater sei ein fremder Mensch, nicht einmal mit ihm verwandt. Selbst seine Mutter, Frau Geschäftsführerin, die sich nur über den Titel ihres Gatten definierte, und noch nie auch nur eine Stunde für ihren Lebensunterhalt arbeiten musste, sah sich zwischen den ganzen Sektempfängen und Anweisungen, die sie an den Haushälter verteilte, außerstande, sich mit ihrem eigenen Sohn zu beschäftigen.
Sind wir doch ganz ehrlich. Das gesamte Jahr über war der feinen Familie alles, was er machte, nicht gut genug. Er war doch nicht dumm, und er merkte, dass sich mit der Zeit eine dicke, schwere Mauer zwischen ihm und seinen Eltern aufgebaut hatte. Er spürte täglich die Missachtung und die Gleichgültigkeit, die sie ihm gegenüber präsentierten. Selbst etliche Infobroschüren über diverse Internate fand er eines Nachmittags achtlos auf dem Küchentisch liegen. Also, warum konnte er jetzt nicht einfach zu Hause bleiben, fragte sich der Junge gedanklich. Es schien ja sowieso bereits entschieden, dass er ab dem nächsten Schuljahr, also in sechs Wochen, auf ein ausländisches Internat wechseln müsste. Also, warum waren es jetzt genau diese Ferien, die seine Eltern ihm mit diesem albernen Camp vermiesen mussten? Es wären ja nicht einfach irgendwelche Ferien gewesen, sondern vermutlich die letzten Sommerferien, die er mit seiner Familie und seinen Freunden zu Hause auf Norderney in Freiheit ohne Internatsdruck hätte verbringen können.
Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als alle Kinder um ihn herum verhalten in ihre Hände klatschten. Diesem Gruppenzwang schloss er sich nicht an. Doch irgendetwas musste er verpasst haben, denn die ganze Meute setzte sich in Bewegung, und es schien so, als würden sich Gruppen bilden.
Sein Blick schweifte über das Areal. Der dicke Junge mit den blonden Haaren trug ein orangenes Armband und das Mädchen, auf das er zusteuerte, auch. Also musste das irgendwas mit den albernen Armbändchen zu tun haben, dachte er und überprüfte die anderen Kinder auf dem Campplatz. Die Kinder und Jugendlichen auf dem Gelände waren schätzungsweise allesamt zwischen zehn und fünfzehn Jahren. Ein großer, kräftiger Junge mit lila Armbändchen fiel ihm ins Auge, er ging lächelnd auf eine kleine Gruppe zu. Alle trugen die lila Bändchen.
Also gut, der kleine Junge mit dem roten Bändchen gab sich einen Ruck und warf sich ins Getümmel.
Grün … lila … gelb … grün … orange, scannte er die Handgelenke der anderen Kinder. Alle möglichen Farben waren im Umlauf außer seine. Hatte er sich etwas verguckt?, fragte er sich, während er immer schneller nahezu im Kreis ging.
Gelb … gelb … blau … blau … blau … orange. Das kann doch nicht sein! Ihn überkam eine Scheißwut. Er bewegte sich immer schneller und enger um die bereits gebildeten Grüppchen, als ihn ein Mädchen anrempelte.