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Louisiana 2025: Der Geologe Jeff McLane verrichtet täglich seine Arbeit auf einem Fracking-Ölfeld der Smith Oil ltd.. Nach einer Kneipenschlägerei trifft er auf die schöne Umweltaktivistin Harmony. Während die beiden sich immer näher kennenlernen, ereignen sich auf dem Ölfeld merkwürdige Dinge. Gleichzeitig nehmen die Umweltschäden in der Umgebung dramatisch zu. McLane gerät in einen Sumpf aus Verstrickungen und dubiosen Machenschaften und entdeckt beim Herumirren im Labyrinth der Ereignisse völlig neue Seiten an sich…
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Seitenzahl: 366
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Alexander Schatzlmayr
Besonderer Dank an meine Lektorinnen Linda Streit und Sandra Schatzlmayr sowie an Michael Schäble für die Gestaltung des Umschlags.
Impressum
Texte: © Copyright by Alexander Schatzlmayr
Umschlaggestaltung: © Copyright by Michael Schäble
Alexander Schatzlmayr
Griesfeldweg 6
86316 Friedberg
Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen ist,
werdet ihr feststellen,
dass man Geld nicht essen kann.
Alanis Obomsawin
Im nachhallenden Sonnenuntergang lag das Areal düster und bedrohlich vor ihnen. Die blaue Stunde ging nahtlos in die Nacht über und das letzte Blau am Horizont schwand, während Finsternis den Himmel flutete. Die Umrisse der Anlagen zeichneten sich schwach gegen das Licht der vereinzelten Sterne und des aufgehenden Mondes, der sich von Wolkenfetzen verhangen am Himmel erhob, ab. In der Ferne dröhnten die Pumpen, doch hier an der Grenze des Firmengeländes war es totenstill. Kein Tier regte sich, kein Lüftchen wehte und niemand sprach. Ein letztes Mal nickten sie sich zu, dann zogen sie die schwarzen Sturmhauben über die Gesichter und verschmolzen zu einer emotionslosen Einheit. Der Bolzenschneider arbeitete sich klickend durch den Zaun, während die anderen die Rucksäcke mit dem Material schulterten. Alle wussten, was zu tun war und die kleine Gruppe robbte flink durch die soeben geschaffene Öffnung. Harmony hielt inne, hob den Kopf und lauschte. Nichts regte sich. Leise richtete sie sich auf und wies ihren Mitstreitern mit einer Geste die Richtung. Langsam schob sich der Trupp auf dem staubigen Untergrund an verkümmerter Vegetation vorbei auf die hochaufragenden Türme zu, die sich wie Titanen in einigen hundert Yards Entfernung vor ihnen aufbäumten. Harmony spürte, wie ihr Blut durch die Ader an ihrer Schläfe schoss. Der schwere Rucksack hinderte sie daran, noch schneller zu laufen und sie musste immer wieder kurze Stopps einlegen, um die Gruppe zu sammeln. Der Lärm der Anlagen wurde mit jedem Yard, welchen sie vorankamen, lauter, was jedoch für sie als Eindringlinge von Vorteil war. Weniger spielte ihnen die sehr helle Beleuchtung um die Fördertürme in die Karten, daher versuchten sie die Lichtkegel möglichst zu umgehen. Das Areal lag menschenleer vor ihnen. Alles war automatisiert und nur darauf ausgerichtet, ohne Unterlass Öl aus den Tiefen des Bodens an die Oberfläche zu pumpen. Harmony führte die Gruppe zu dem Turm, den sie vorher als geeignet ausgewählt hatten. Er konnte vom Highway aus sehr gut gesehen werden, was für ihr Vorhaben von Bedeutung war. Der Lärm war nun ohrenbetäubend. Sie nickte ihrem Kollegen zu, öffnete ihren Rucksack und gab ihm die beiden Seilenden, welche er an seinem Gürtel festknotete. Während die restliche Gruppe neben dem monströsen Bauwerk Deckung suchte, arbeitete sich ihr Mitstreiter über Rohre und Streben in die Höhe. Harmony sorgte dafür, dass die Seile sich stets problemlos nachziehen ließen. Sie blickte gebannt in den Nachthimmel, konnte aber im diffusen Streulicht kaum etwas erkennen. Nach etwa drei Minuten wurde von oben dreimal stark am Seil gezogen. Das war das Zeichen! Harmony packte das riesige Banner aus dem Rucksack und es erhob sich langsam in die Höhe. Nun begannen auch die anderen Aktivisten ihre Taschen zu entleeren und die Farbbomben vor ihnen auszubreiten. "Das wird ein schönes Feuerwerk", dachte die junge Frau und wartete darauf, dass ihr kletternder Kollege auf den Boden zurückkehren würde. Argwöhnisch suchten ihre Blicke die Umgebung ab. Waren sie schon entdeckt worden? Bisher wohl noch nicht. Als ihre Augen erneut nach oben sahen, erkannte sie, dass das weiße Banner mit dem roten Schriftzug nun etwa ein Drittel des Turmes verdeckte und ihr Kollege sich abzuseilen begann. Alles schien nach Plan zu laufen. Jetzt nur noch die Farbbomben überall auf die Anlage werfen und dann nichts wie weg! "Das Banner ist aufgehängt. Los! Werft die Bomben!", zischte es von oben und Harmonys Kollege berührte kurz darauf wieder mit seinen Füßen den Boden. Die junge Frau packte sich in jede Hand eine Farbbombe und schleuderte sie mit voller Wucht gegen den Bohrturm, was ein durch den Lärm hörbares Platschgeräusch erzeugte. Nun begannen auch die anderen ihre Bomben möglichst hoch oben am Turm zum Zerbersten zu bringen. Farbe spritzte und Harmony reckte triumphierend die Faust in den Lichtkegel eines Scheinwerfers. Plötzlich schrie einer ihrer Kollegen laut auf und grelles Licht blendete sie. "Verdammte Ökoterroristen! Dieses Mal wandert ihr in den Knast!", brüllte eine wütende Männerstimme durch den Lärm der Pumpen. Harmony war kurz wie erstarrt und sah vier schwarzgekleidete Männer mit starken Taschenlampen auf sich zu stürmen, doch dann reagierte sie geistesgegenwärtig und schrie: "Rückzug! Schnell!" Die Aktivisten stoben in verschiedene Richtungen auseinander und Harmony rannte in die finstere Nacht, während sie den schweren Atem eines von Donuts geformten Securitymitarbeiters hinter sich hörte. Geschmeidig sprintete sie zwischen Gestrüpp hindurch in den unbeleuchteten Teil des Geländes, aus dem sie gekommen waren. Ein dorniger Ast zerkratzte ihr die Wade und ihre Lunge begann langsam zu brennen, doch sie ignorierte den Schmerz und stürmte entschlossen weiter. Nach einigen Haken wurde das Keuchen hinter ihr zunehmend leiser. Der Mann brüllte ihr noch einige unfreundliche Worte hinterher, doch seine armselige Konstitution schien ihren Tribut zu fordern und die Beleidigungen verhallten in der Dunkelheit. Harmony lief so schnell sie konnte weiter Richtung Zaun. "Das war für meinen Geschmack zu nah! Wo sind die so schnell hergekommen? Hoffentlich haben die anderen es auch rausgeschafft", schossen ihr die Gedanken durch den Kopf, "Haben wir etwas übersehen? Waren wir zu unaufmerksam? Mist, jetzt werden sie das Banner abhängen, bevor die Menschen es lesen können! Immerhin ist alles voller Farbe, die bekommen sie nicht so schnell ab." Kurz darauf hatte sie die geöffnete Stelle im Zaun gefunden, warf sich in den Staub und verließ das Firmengelände, ohne sich nochmal umzusehen.
Der Morgen graute über der kleinen Stadt Antaatak im Herzen Louisianas. Glutrot schob sich die Sonne wie ein langsam anschwellendes Inferno am Horizont gen Himmel. Die Sonnenstrahlen durchbrachen wie Klingen das dämmrige Dunkel des stickigen Zimmers, in dem Jeff McLane laut schnarchend dem neuen Tag entgegendöste. Als das Licht stärker wurde, begannen auch die ersten Vögel lautstark zu singen. Jeff grunzte irritiert und versuchte im Halbschlaf mit einer wedelnden Handbewegung das Sonnenlicht, welches mittlerweile auf seine geschlossenen Augen fiel, zu verjagen. Gleichzeitig vergrub er sein kantiges Gesicht tief im Kissen, um dem Vogellärm zu entgehen. McLane war kein Morgenmensch, deshalb besaß er auch keinen Wecker. Er hatte eine intakte innere Uhr und das funktionierte gut, es sei denn, er war mit seinen Freunden um die Häuser gezogen, dann spielte sein immanenter Wecker gerne für ein bis zwei Tage verrückt. Nach einigen Minuten Ringen mit sich selbst, dem Vogelgebrüll und dem unzumutbaren Sonnenlicht wälzte sich Jeff an den Rand seines alten Holzbettes, welches diese Aktion mit einem gequälten Knarren quittierte. Er setzte sich auf und streckte sich mit geschlossenen Augen. Er blinzelte. Prompt traf ihn das Morgenlicht mitten im Gesicht und er stöhnte grimmig: "Diese verdammte Sonne." Kleine Blitze, die eine Art Lichtabdruck des zu hellen Lichts waren, flimmerten in seinen Augen. Mit derart eingeschränkter Sicht schlurfte Jeff nur mit Boxershorts bekleidet ins Badezimmer, um sich zu erleichtern. Nach einem Schwall Wasser ins Gesicht und dem Zähneputzen begann er munter zu werden. Ausgeprägte Morgenroutinen kannte er nicht. Frühstücken tat er ohnehin nie, ein schneller Kaffee musste stets genügen. Er stellte die Kaffeemaschine an und nutzte die Zeit, um sich anzuziehen. Eine ausgewaschene Jeans, ein grob kariertes Flanellhemd und eine Trucker-Cap bildeten heute sein Outfit. Er sog den Kaffee schnell ein, schlüpfte in seine Sneakers und verließ sein Appartement.
Es war ein ruhiger Freitagmorgen in Antaatak, was Jeff mit einem zufriedenen Nicken registrierte. Suchend blickte er sich nach seinem schwarzen Plymouth Barracuda von 1973 um. Auf der anderen Straßenseite erblickte er die kantige Silhouette des Muscle-Cars. Die Sonne spiegelte sich in der Seitenscheibe und die Chromfelgen blitzten einladend herüber. Mit einem Lächeln überquerte der Petrolhead voller Vorfreude die Straße, zückte die für ein derart massives Auto geradezu filigranen Schlüssel und schloss den Plymouth auf. Er liebte, dass alles an diesem Wagen manuell war: Ein mechanisches Schloss, Fensterkurbeln, keine Fahrassistenzsysteme und wenig Schnickschnack. Er stieg ein und drehte den Zündschlüssel herum. Mit einem ohrenbetäubenden Brüllen erwachte der 426er Hemi V8 und die Eichhörnchen, die in Antaatak munter die Straßen bevölkern, stoben panisch auseinander. Jeff schob den Wählhebel auf "Drive" und der Wagen rollte brabbelnd aus der Parklücke.
Der Weg zur Arbeit lief reibungslos und ohne besondere Vorkommnisse. Im kleinen Südstaatenstädtchen war nie viel Verkehr, auch nicht am Morgen. Das Muscle-Car rollte zwischen heruntergekommenen Häusern hindurch, an deren Fassaden die Farbe zunehmend abblätterte. Nach etwa einer Meile überquerte Jeff auf einer rostigen Stahlbrücke den Fluss an der Stadtgrenze. Er glitt einige Meilen auf dem Highway zwischen Sumpfgebieten, Feldern und kleinen Hainen dahin. Die Sonne hatte sich mittlerweile gänzlich vom Horizont getrennt und ihre Strahlen entfalteten bereits Wirkung. Mit der Sonnenbrille im Gesicht und dem Arm lässig auf der Wagentür abgelegt, cruiste Jeff McLane bis zu einer staubigen Schotterpiste. An der Abzweigung hing windschief ein verrostetes Schild, welches zudem offenbar von einigen Halbstarken als Zielscheibe für nächtliche Schießübungen missbraucht worden war und drei Einschusslöcher aufwies. Auf der Tafel stand: "Smith Oil ltd.". Jeff bog ab und ließ den Plymouth mit einem Gasstoß kurz ausbrechen. Er driftete einige Yards und fing das nervöse Heck des Wagens locker wieder ein. Mit einem breiten Grinsen ließ er anschließend eine Staubwolke hinter dem Barracuda aufsteigen und beschleunigte auf 50 Meilen pro Stunde, bis er wegen eines großen Trucks, der vor ihm aus einer weiteren Staubwolke auftauchte, bremsen musste. Die riesigen LKWs waren die Lastenesel des Ölfelds, brachten Chemikalien, Wasser, Sand und allerlei Material an die entlegenen Orte der Bohrlöcher mitten im Nirgendwo. Einige Minuten zuckelte Jeff hinter dem Truck her, denn überholen wollte er aufgrund der großen Steinschlaggefahr nicht. Vor ihm ragten alsbald Bohrtürme, Ölpumpen und einige Gasfackeln auf. Es stank nach Rohöl, Chemikalien und Abgasen, als er seinen Wagen vor einer zweistöckigen Containerbaracke parkte und die Tür des Plymouth öffnete. Schwungvoll stieg er aus, schloss die Tür, stieg die Treppen hinauf und betrat die Baracke: "Hey Jungs! Wie geht’s?" Bob, der beleibte Vorarbeiter, den alle nur liebevoll Fatso nannten, rief ihm gut gelaunt "Morgen, Jeff! Alles klar? Wir haben bereits auf dich gewartet!" entgegen. McLane setzte sich an seinen Computer und fuhr ihn hoch. Er war Geologe bei der Smith Oil ltd. und vor allem für die Erschließung neuer Bohrlöcher zuständig. Zuerst verschaffte er sich einen Überblick über die neuesten Messwerte seiner Instrumente, die er permanent laufen ließ. Es schien alles in Ordnung zu sein. Anschließend nahm er sich einen Helm aus dem Regal, streifte einen Gummimantel über und verließ mit den Worten "ich drehe eine Runde und sehe nach dem Rechten" die Baracke. Sobald er die Tür geschlossen hatte, stieg ihm der Gestank wieder in die Nase. Hinzu gesellten sich der Lärm der Pumpen und des Bohrturmes sowie die Motorengeräusche der ständig an- und abfahrenden Trucks. Jeff lief über den großen Vorplatz, stieg dann eine Leiter empor und nickte den Arbeitern zu, die gerade das Bohrgestänge verlängerten und beim Wechsel eine kleine Ölfontäne freisetzten, die auch den Geologen leicht streifte. Am Kommandostand angekommen fragte Jeff den Leiter der Bohrung: "Hey Larry, wie weit seid ihr seit gestern gekommen?" Der Gefragte antwortete, dass es aufgrund harten Grundgesteins und Wassereinbrüchen lediglich 40 Yards gewesen seien. Jeff McLane verzog das Gesicht, reckte jedoch den Daumen nach oben, um zu zeigen, dass er verstanden hatte, und verließ wortlos den Bohrturm. Er mochte den Gestank, den Lärm und auch den Dreck nicht, er versah sich lieber auf die theoretische Arbeit der Planung und Suche nach Ölvorkommen sowie auf das Messen und die Interpretation der Messergebnisse.
In der Mittagspause unterhielt er sich mit Bob alias Fatso über den schwankenden Ölpreis und die daraus resultierende instabile Situation der Fracking-Industrie. Seit die OPEC die Ölförderung wieder angekurbelt hatte, befand sich der Industriezweig des Frackings auf einer nie enden wollenden Berg- und Talfahrt. Ständige Schwankungen zwischen Rentabilität und Stillstand hatten über die Hälfte aller Firmen wieder aus dem Geschäft verschwinden lassen. Geblieben waren nur noch die Unternehmen, die effizient und günstig arbeiten konnten, sowie entsprechende Rücklagen für schlechte Zeiten gebildet hatten. Auch stellten die immer strengeren Umweltauflagen ein zunehmendes Problem dar. Etliche kleinere und größere Unfälle an Standorten anderer Firmen, bei denen giftige Chemikalien wie Benzol oder kontaminiertes Wasser aus undichten Tanks entwichen waren, hatten den Umweltschützern Munition für ihre Kampagnen gegeben. "Diese verdammten Umweltschützer!", murmelte Jeff grimmig, "Wen interessiert das Niemandsland Louisianas? So viele seltene Wurmarten kann es doch gar nicht geben. Solange das Trinkwasser nicht betroffen ist, ist doch alles in Ordnung." Auch Fatso hielt, ganz im Sinne der Geisteshaltung eines Rednecks, nichts von den Umweltaktivisten und ihren Bemühungen, das Fracking in Louisiana zum Erliegen zu bringen. "Hast du die neue Rede des Präsidenten gehört?", fragte er Jeff. "Nein", antwortete dieser einsilbig. "Er will die Anstrengungen gegen den Klimawandel erhöhen und das Land zunehmend von den fossilen Brennstoffen unabhängig machen. Was für ein Schwachkopf! Auf Öl, Kohle und Gas ist diese Nation gebaut. Und wir halten täglich unsere Knochen dafür hin!", führte Bob aus. Jeff machte eine wegwerfende Handbewegung, schüttelte den Kopf und stellte fest: "Diese Öko-Hippies mit ihren realitätsfernen Vorstellungen. Die gefährden tausende von Jobs mit ihren ölfeindlichen Aussagen. Das wäre ein großer Schlag für die Wirtschaft, wenn wir jetzt alles auf Ökotechnologie umstellen. Strom kann nicht für alles die Lösung sein. Außerdem ein Cuda ohne V8? Nein danke! Verdammte Ökos!"
Im weiteren Verlauf des Arbeitstags las Jeff die Daten für den Standort eines neuen Bohrlochs aus und plante gemeinsam mit dem Bohrteam Datum und Herangehensweise für die neue Bohrung. Ein derartiges Unterfangen war sehr kostspielig und der Ertrag musste stimmen, vor allem, da letzterer nach einigen Monaten unweigerlich sinken würde.
Als am Nachmittag die Sonne bereits etwas an ihrer Unerbittlichkeit eingebüßt hatte, beendete Jeff müde seinen Arbeitstag. Er startete den Plymouth und machte sich auf den Heimweg. Nach einem Zwischenstopp im Supermarkt, er hatte noch Bier, Bacon, Munition für seine Shotgun und seinen Revolver kaufen müssen, erreichte er sein Appartement.
Heute Abend wollte er sich noch mit einigen Freunden auf ein paar Bier in der örtlichen Bar treffen, daher nahm er eine Dusche, um Staub und kleine Ölreste zu entfernen. Anschließend zog er sich um. "In der Bar sollte ich vielleicht eine Frisur haben. Die Cap ist außerdem voller Öl. Warum muss man sich für ein paar Bier nur so herausputzen?", dachte Jeff, als er sich die Haare machte. Das Outfit, welches er als herausgeputzt auserkoren hatte, bestand aus einer äußerst ausgewaschenen Jeans, einem Skater-T-Shirt und einer Jeansjacke, bei der er die Ärmel abgeschnitten hatte. Dazu immerhin die Frisur. Jeff war ein wahrer Styler. Lässig stieg er in seinen Barracuda und cruiste zu seiner Lieblingsbar, welche sich "Redneck’s Tavern" nannte und am Rand von Antaatak lag.
Auf dem Schotterparkplatz angekommen inspizierte Jeff nach dem Parkvorgang die dort abgestellten Fahrzeuge. Eine Menge Pickups mit überdimensionierten Stollenreifen und gehobenem Chassis, etliche Muscle-Cars sowie einige Mittelklassewagen prägten das Bild. Elektroautos waren hier Grund, um eine ordentliche Tracht Prügel zu beziehen. Darüber hinaus wurde jeder Motor kleiner als ein V6 mit Hohn und Spott bedacht. Auch bei den Motorrädern existierte ein strenger Kodex, dieser lautete Harley Davidson oder nichts, dementsprechend waren um die zwanzig Maschinen seitlich des Eingangs aufgereiht. Fahrer mit Helm wurden mit Frauennamen oder der Anrede "Pussy" verunglimpft. Aus dem Innenraum des heruntergekommenen Holzgebäudes mit üppiger Südstaatenveranda dröhnte Hardrock-Musik, aktuell Ballbreaker von AC/DC. Auf der Veranda standen vereinzelt kleine Trauben von rauchenden Männern, die sich unterhielten, grölten oder alkoholschwanger stumm auf ihre Zigaretten oder Zigarren stierten. Immer wieder flog die Tür mit einer Explosion vergleichbar auf und torkelnde Barbesucher stürzten lachend heraus. Frauen waren kaum zu sehen. Jeff nickte zufrieden, stieg die Stufen zur Veranda hinauf, schob sich an einer kleinen Gruppe Biker vorbei und öffnete die Tür der Bar. Im Innenraum befand sich alles, was eine Südstaatenkneipe erfüllen musste. Über dem Tresen hing eine riesige Konföderiertenflagge, umgeben von Schnaps in jeder erdenklichen Geschmacksrichtung. Besonders üppig vertreten war natürlich Whiskey in unzähligen Sorten und Altersklassen. Er floss in rauen Mengen durch die Kehlen der Rednecks. Der Bartender, ein stark untersetzter, bärtiger Mann Mitte Vierzig mit Zigarrenstummel im Mundwinkel, schenkte großzügig ein und spendierte für Stammgäste auch immer wieder einen Whiskey aufs Haus. Jeff nickte ihm zu und deutete mit einer Handbewegung an, dass er das Übliche, ein Bier, bekommen würde. Im hinteren Teil der Bar befanden sich einige Billardtische und vier Dartscheiben. Auf der anderen Seite waren wahllos Tische platziert worden, an denen die Gäste saßen, die nicht anderweitig aktiv waren oder am Tresen herumlungern wollten. Manche spielten Karten. Jeff lief zum Tisch, an dem er sich immer mit seinen Freunden platzierte, und entdeckte, dass bereits zwei seiner Kumpels anwesend waren. Freudig riefen sie ihm: "Jeff, du alter Steineklopfer, komm‘ rüber!", entgegen. Im Vorbeigehen nahm er sein mittlerweile fertig gezapftes Bier vom Tresen und gesellte sich zu Richard und Joseph, seinen Freunden. "Cheers guys!", sagte Jeff und trank einen großen Schluck, bevor er das Gespräch eröffnete: "Wie geht’s?" Joseph, ein quirliger Mann, der stets Hemd und Krawatte trug, ergriff sofort das Wort: "Habt ihr schon gehört? Drüben im Nachbarcounty wurden wieder Ölförderstätten sabotiert. Sie haben die Druckschläuche der Pumpen aufgestochen, aber an Stellen, die schlecht einsehbar sind. Außerdem haben sie sich die Schläuche ausgesucht, die besonders schwer auszutauschen sind. Die wussten, was zu tun war. Insgesamt entstand ein Produktionsstillstand von sechs Stunden und ein Schaden von ein paar Tausend Dollar. Diese Umweltaktivisten werden immer radikaler. Wisst ihr etwas darüber?" Jeff schüttelte den Kopf und stieß nur "verdammte Umweltschützer" hervor. Richard, der Sheriff des Countys um Antaatak, runzelte die Stirn, rückte seinen Hut zurecht und antwortete: "Ja, ich glaube die Kollegen haben es per Funk durchgegeben, aber woher weißt du das schon wieder, Joseph?" Letzterer trank zügig sein Bier leer. So schnell das Getränk seinen Hals hinabgeronnen war, so schnell schossen die Worte nun aus diesem hervor, als ob sie Platz im Inneren schaffen müssten: "Tja, mein Lieber, ich mache meinen Job bereits seit 14 Jahren. Auch ich bin gut vernetzt und habe meine Quellen." Jeff schaltete sich ein: "Großer Gott, bitte nicht wieder der Vortrag über deine geheimnisvollen Quellen. Jeder weiß, dass du nur überall deine Nase reinsteckst und die Menschen einfach so lange nervst, bis sie etwas ausspucken." Anschließend stieß er Joseph versöhnlich den Ellbogen in die Rippen, sodass dieser fast vom Stuhl fiel. Jeff freute sich immer, wenn er den leicht reizbaren Reporter aus der Fassung bringen konnte. Er machte sich gerne einen Spaß daraus und drückte dann die entsprechenden Knöpfe seines Freundes. Leicht pikiert, aber bemüht unbeirrt fuhr jener fort: "Im Gegensatz zu dir bin ich wenigstens offen und wortgewandt, während du den ganzen Tag vor dich hin grummelst. Aber Spaß beiseite, ich war tatsächlich bereits vor Ort und habe mir selbst ein Bild machen können. Heute Abend schreibe ich meinen Artikel für die Zeitung und du, Jeff, wirst ihn ohnehin nicht lesen." Versöhnlich und besänftigend hob Richard sein Glas und unterbrach die Sticheleien, wohlwissend, dass Jeff im aufkeimenden Wortgefecht den Kürzeren gezogen hätte. "Joseph", sprach er augenzwinkernd, "du sollst nicht betrunken deine Artikel schreiben, am Ende liest sie doch noch jemand. Trinken wir noch einen, Freunde. Wir wollen uns doch amüsieren, wie damals, als wir noch auf der High-School waren!" Jeff und Joseph stießen an, grinsten sich zu und antworteten im unerträglichen Singsang von Grundschulkindern: "Ja, Sheriff Richard. Wir werden ganz brav sein!"
Im weiteren Verlauf des Abends tranken die Freunde noch einige Runden, schwelgten in Erinnerungen und spielten ein paar Partien Billard, bei denen Jeff jedes Spiel gewann. Schließlich war es kurz vor Mitternacht und Joseph verabschiedete sich leicht lallend, um seinen Artikel zu schreiben. Kopfschüttelnd blickten ihm Jeff und Richard hinterher, als er leicht torkelnd die Kneipentür aufstieß und in der Dunkelheit verschwand. "Das wird bestimmt ein äußerst seriöser Artikel", frotzelte Jeff grinsend und imitierte den betrunkenen Reporter beim Tippen seiner Beobachtungen. Hierzu nahm er die Zeigefinger beider Hände, spreizte sie übertrieben von der sonst geschlossenen Hand ab und tat so, als würde er die Tasten verfehlen. Richard lachte laut auf und kündigte an, noch eine Runde Whiskey zu besorgen.
Während der Sheriff an der Bar wie üblich in ein kurzes Gespräch verwickelt wurde, blickte sich Jeff in der noch halb gefüllten Bar um. Seine Augen wanderten ziellos im Raum umher, bis sie plötzlich an einer jungen Frau hängenblieben. Sie war für die Lokalität herausragend hübsch und nicht im Stile der sonstigen Frauen gekleidet, die üblicherweise in Biker-Optik aufliefen. Sie mochte Mitte Dreißig sein wie er, hatte langes braunes lockiges Haar mit zwei Dreadlock-Strähnen, die an der rechten Seite des Gesichts herabfielen, und eine sportlich-feminine Figur. Ihr Kleidungsstil war leicht alternativ, aber nicht im ungepflegt wirkenden Hippie-Look, den Jeff nicht mochte, sondern durchaus attraktiv. Die junge Frau saß in der Nähe der Bar an einem Tisch und trank Cola. Nebenbei blätterte sie in einem Magazin und machte sich ab und an Notizen auf einem kleinen Block. Hierbei spielte sie mit einer ihrer verfilzten Strähnen, was in Jeffs Augen ein sehr anmutiger Anblick war. Plötzlich wurde McLane von zwei auf den Tisch aufschlagenden Whiskeygläsern jäh aus seiner Beobachtung gerissen. "Hier, mein Freund, es ist ein besonders Guter", meinte der zurückgekehrte Richard und setzte sich wieder zu Jeff. Sofort bemerkte der Sheriff, dass sein Trinkgenosse nicht bei der Sache war und raunte grinsend: "Ah, wie ich sehe bist du auf Beutezug. Die Kleine bei der Bar hat es dir wohl angetan. Sie ist mir vorher auch schon aufgefallen, aber du weißt ja, dass ich ein treuer Ehemann bin, daher lasse ich dir heute ausnahmsweise den Vortritt." Jeff machte eine wegwerfende Handbewegung, trat seinem Gegenüber freundschaftlich vors Schienbein und leerte den Whiskey in einem Zug. Richard schüttelte den Kopf: "Hast du ihn überhaupt geschmeckt? Du bist aber auch ein Banause. Das ist ein 25 Jahre in echten Eichenfässern gereifter Whiskey. Sie lagern ihn in alten Bergwerksstollen, weil dort die Temperatur konstant ist, aber was erzähle ich dir das…" "Er war gut, aber die 25 Jahre Bergwerk habe ich nicht geschmeckt", antwortete Jeff in seiner maulfaulen Art. Die junge Frau blätterte immer noch eifrig in ihrem Magazin und er bemerkte, dass sie am Schulterblatt tätowiert zu sein schien. Leider konnte er das Motiv nicht erkennen, da ihre Haare es fast vollständig verdeckten. Das friedliche Bild der anmutigen Frau mitten im Chaos der trunkenen Kneipe wurde jäh durch einen herantorkelnden Burschen durchbrochen. Er war mindestens zwei Meter groß und sehr breit gebaut. Er trug ein Holzfällerhemd, welches er hochgekrempelt hatte, offenbar, um seinen üppigen Bizeps zur Schau zu stellen. Ungefragt setzte sich der Koloss zu ihr an den Tisch und fläzte sich wie ein balzender Vogel in seinen Stuhl. Jeff konnte durch den Lärm nicht verstehen, was er sagte, beobachtete aber, dass die Frau zurückschreckte und das Gesicht verzog. Offensichtlich kannte sie den Kerl nicht und schien auch seine Anwesenheit nicht zu genießen. Richard war ebenfalls auf den Vorfall aufmerksam geworden und vermutete: "Ich glaube kaum, dass er ihr ein Liebesgedicht aufsagen wird." Jeff nickte grimmig, wandte aber den Kopf nicht von dem Tisch an der Bar ab. Seine Muskeln gingen in Vorspannung und er biss die Zähne kräftig aufeinander, sodass die hervortretende Kaumuskulatur sein Gesicht noch kantiger erscheinen ließ. Richard kannte dieses Schauspiel und legte beruhigend den Arm auf Jeffs Schulter: "Abwarten, es ist nichts passiert." Der baumgroße Holzfäller fuhr mit seinen scheinbar plumpen Avancen fort und die Frau wirkte zusehends genervt, schien sich aber aufgrund der geradezu titanenhaften Statur ihres Verehrers nicht zu trauen, ihm deutlich klarzumachen, dass er sie belästigte. Einige Augenblicke später setzte der Störenfried auf körperliche Annäherung und rückte nah an sie heran. Ihre subtilen Signale der Ablehnung drangen nicht zu ihm durch, daher packte er sie schließlich am Arm. Als sie versuchte diesen zu lösen, wurde er grob und hielt sie fest. Nun war der Moment gekommen, in dem sich Jeff nicht mehr zurückhalten konnte. Er stand auf und lief auf den Tisch des Geschehens zu. Richard blieb zunächst sitzen und stieß ein leises "verdammter Mist!" hervor. In diesem Augenblick hatte Jeff McLane sich vor der hilflosen Frau und ihrem Peiniger aufgebaut und er verschränkte die Arme. Auch er war mit Sicherheit kein Hänfling und durchaus mit Muskeln versehen, doch er erfasste schnell, da er nun unmittelbar vor ihm stand, wie stark sein Gegenüber sein musste. Jeff sprach den Koloss mit ruhiger Stimme direkt an: "Hey, Herkules! Du bist hier nicht auf einer Viehauktion. Lass‘ sie los." Der Mann gewordene Baum reagierte und stieß aggressiv hervor: "Verschwinde, das geht dich nichts an." Die junge Frau hatte sich durch den kurzen Moment der Ablenkung losgerissen, stand auf und rannte Richtung Ausgang. Richard hatte sich indes ebenfalls erhoben, seinen Sheriffstern angesteckt und geleitete die Flüchtende nach draußen. Inzwischen war der wuchtige Kerl aufgestanden, stieß den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, mit dem Fuß um und machte einen Schritt auf Jeff zu: "Das hättest du lassen sollen, jetzt bist du dran." Unbeeindruckt blieb McLane stehen, ballte die Fäuste und antwortete: "Nein, Jumbo, du hättest es lassen sollen." Schlagartig wurde es still in der Bar. Die Menschen hatten einen Sinn für Ärger und erkannten flugs die Situation. Die Schaulustigen scharten sich mit Sicherheitsabstand um den Tisch, die Ängstlichen verzogen sich Richtung Billardtische oder verließen die Kneipe. In der Playlist der Musik war aktuell Liedwechsel und ein kurzer Augenblick der absoluten Stille erfüllte die Szenerie. Bezeichnenderweise lief als nächster Song Hells Bells von AC/DC an. Der erste Schlag der Höllenglocke ertönte und die Streithähne standen sich Gesicht an Gesicht gegenüber. Die realistische Darstellung gebietet es jedoch zu erwähnen, dass sich Jeffs Stirn eher auf der Höhe des Kinns des Riesen befand. Beim zweiten Schlag der Glocke zischte der Koloss: "Letzte Chance", doch Jeff blickte ihm tief in die Augen und schüttelte in Zeitlupe den Kopf. Der dritte Glockenschlag ertönte. Immer noch regte sich keiner. Als die Höllenglocke das vierte Mal durch die Bar schallte, schlug Jeff seinem Kontrahenten beide Hände auf die Brust und versetzte ihm einen wuchtigen Stoß, der diesen zwei Schritte zurücktaumeln ließ. Schnaubend stürmte der Koloss nun auf seinen Gegner zu und wollte ihn mit einem mächtigen rechten Schwinger auf den Boden der Bar befördern, doch Jeff wich aus und konterte mit einem kräftigen Schlag in die Magengrube des Angreifers. Dieser stieß einen würgenden Laut hervor und krümmte sich kurz. Dann richtete er sich jedoch auf, holte aus und traf McLane, der durch einen umgefallenen Stuhl irritiert worden war, mit einem Schwinger mitten im Gesicht. Der Getroffene fiel in einen Tisch, der voller Bierflaschen und halbvollen Gläsern gestellt war, und räumte diesen bei seinem Sturz komplett leer. Er schmeckte Blut im Mundwinkel und ihm war schwindelig. Jeffs Blick fiel auf seine Hose, die nun vor Bier und Whiskey triefte. Seine geliebte Jeansjacke zierte ein frischer Blutfleck. Langsam rappelte er sich auf, während der Koloss grölend und Beifall heischend die Arme hob. Jeff spuckte Blut aus und grinste: "Gut gemacht, Hulk! Hat dir Mutti Kraftfutter ins Essen gemischt?" Durch diese Provokation erzürnt stürzte der große Kerl erneut auf seinen Gegner zu. Hierauf hatte McLane gewartet. Erneut wich er aus und dieses Mal traf er den Riesen mit einem gezielten Aufwärtshaken am Kinn. In Sekundenbruchteilen drehte sich Jeff um die eigene Achse, trat dem taumelnden Kerl in die Kniekehle und streckte ihn dann mit einem erneuten Schlag final nieder. Aus den Lautsprechern dröhnte Brian Johnsons Stimme:
Hells bells, they’re taking you down.
Hells bells, they’re dragging you down.
Hells bells, gonna split the night.
Hells bells, there’s no way to fight!
Als der Koloss stöhnend am Boden lag und Jeff sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Mundwinkel wischte, stürmte Richard heran, legte dem Benommenen Handschellen an und rief laut: "Die Show ist vorbei, zurück auf eure Plätze! Es gibt nichts mehr zu sehen! Jeff, hilf‘ mir mal!" Die beiden Freunde zogen den Verhafteten, der seine Sinne noch nicht vollständig beisammenzuhaben schien, auf die Beine und schoben ihn Richtung Tür. "Los, wir bringen ihn zu meinem Wagen. Ich rufe von dort aus die Kollegen, die ihn auf unser Revier bringen werden." Jeff war immer noch übel und der Blutgeschmack im Mund war unangenehm. "Verdammter Bauerntrampel!", dachte er und entwickelte erneut das Bedürfnis, den Gefangenen zu treten, unterließ es aber, da es nicht fair gewesen wäre. vor allem jedoch, weil Richard ihn dann angeblafft hätte. Der Koloss leistete zum Glück kaum Widerstand, als er auf den Rücksitz des Dienstwagens, einem großen Pickup, geschoben wurde. Richard schlug die Tür zu und schloss ab. Danach setzte er sich auf den Fahrersitz und funkte seinen Deputy an, welcher versprach in einigen Minuten vor Ort zu sein. Jeff saß derweil auf der Motorhaube und blickte in den Sternenhimmel. Sein Bauch wurde durch die frische Luft langsam besser und der Blutgeschmack in seinem Mund nahm ebenfalls ab. Sein Kiefer schmerzte allerdings und er zog es vor, nicht zu sprechen. Nach einiger Zeit gesellte sich Richard zu ihm und fragte: "Alles in Ordnung?" Jeff nickte. "Hätten wir das nicht anders lösen können, mein Freund? Warum hast du dich nicht mit mir abgestimmt? Ich hätte einfach meinen Stern zeigen können und den Kerl aus der Bar geworfen", tadelte der Sheriff seinen lädierten Freund, "Er hätte dir auch sämtliche Knochen brechen können!" McLane zuckte grimmig mit den Schultern. Er war nicht in Stimmung für eine Diskussion, zumal er auch ein wenig stolz war, den Koloss niedergestreckt zu haben. Er fühlte sich etwas wie Captain America, der stets edel und altruistisch handelt. "Wo ist die, die mir das eingebrockt hat?", fragte Jeff. "Ich habe überprüft, ob es ihr gut geht und sie dann nach Hause geschickt. Sie weiß aber, bei wem sie sich zu bedanken hat. Ich habe ihr deinen Namen gesagt", berichtete Richard und grinste seinem Freund zu, der daraufhin theatralisch die Augen verdrehte. Insgeheim freute sich Jeff jedoch, dass die Schmerzen nicht umsonst waren, schließlich gefiel ihm das Mädchen wirklich sehr. Anschließend stand er auf und erklärte Richard, dass er noch seine Getränke bezahlen müsse und er dem Barkeeper noch beim Aufräumen helfen wolle. Richard wartete weiter auf die Kollegen und bewachte den Gefangenen im Auto.
Als Jeff die Bar erneut betrat, klopften ihm einige Bekannte auf die Schulter und lobten sein Einschreiten. Er nickte ihnen zu und begann, die verbleibenden Scherben einzusammeln und den Boden notdürftig zu wischen. Die Kellnerin schritt jedoch nach kurzer Zeit ein und unterband Jeffs Aufräumaktion. "Du hast heute einer wehrlosen Frau geholfen. Du hast genug getan. Ich räume das gerne für dich auf." Der Barkeeper erließ Jeff seine Rechnung für den Abend und gab ihm einen Eisbeutel für den Heimweg. Jeff bedankte sich mit schmerzendem Kiefer und verließ die Bar. Auf dem Parkplatz befanden sich bereits die Kollegen des Sheriffs und führten den Raufbold ab, der Widerstand leistete und Jeff zurief: "Wir sehen uns noch!" McLane ging wortlos an ihm vorüber und zeigte ihm für einige Sekunden den Mittelfinger. Richard bot Jeff noch an, ihn heimfahren zu lassen, da sie beide getrunken hätten. McLane lehnte mit den Worten: "Nicht nötig. Ich laufe. Wir sehen uns morgen", ab. Richard nickte und beschwerte sich über den anstehenden Papierkram, dann fuhr er mit den Kollegen und dem Gefangenen in Richtung Sheriffbüro.
Jeff verließ, den Eisbeutel auf seinen Kiefer gepresst, den Parkplatz und lief an der Seite der Straße in die Dunkelheit. Er liebte die nächtliche Ruhe und Einsamkeit nach Abenden in Gesellschaft. Insgesamt war er gerne für sich, da ihn die meisten Menschen mit all ihren Meinungen, Bedürfnissen und ihrer Mitteilsamkeit über kurz oder lang zu nerven begannen. Seine Schritte hallten leise über den noch warmen Asphalt. Er sog tief die frische, kühle Luft ein und flutete seine Lungen mit ihr. Sie war im Gegensatz zur verrauchten, schweißgetränkten Kneipenluft eine Wohltat. Jeff blieb kurz stehen und nahm die Geräusche der Nacht wahr. Die Grillen zirpten leise, in der Ferne heulte ein Coyote und ein leichter Wind strich sanft durch die Blätter einer Baumkrone. Leise rauschte das trockene Gras am Straßenrand. McLane hob den Kopf und blickte hinauf zu den Sternen. Immer wieder dachte er an die schöne Frau aus der Bar. Was verschlug sie ins Niemandsland um Antaatak? Wie mochte sie wohl sein? Und wieso zum Geier las sie in einer Bar ein Magazin und machte sich Notizen? Nach einigen Sekunden riss er sich los und begann wieder zu laufen. Mit zunehmender Strecke nüchterte er mehr und mehr aus, was nicht nur den Gang sicherer, sondern auch den Kiefer schmerzhafter machte. Gegen halb zwei erreichte er sein Appartement, streifte nur seine Schuhe ab und fiel ungeduscht ins Bett.
Am nächsten Morgen wurde Jeff von seinem Kiefer geweckt. Sein ganzes Gesicht pochte und jede kleinste Mundbewegung schmerzte. Er hob vorsichtig den Kopf aus dem Kissen, in das er letzte Nacht sein Gesicht gerammt hatte, und ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Nacken. Er hatte wohl ungünstig gelegen und sich die Nackenmuskulatur verspannt. Sein Mund fühlte sich trocken an und der Geschmack, den er wahrnahm, erinnerte an faule Eier. Jeff stöhnte auf, drückte sich mit den Armen aus der Matratze, verharrte kurz im Vierfüßlerstand und setzte dann seine Füße unbeholfen auf den Boden. Die gesamte Prozedur zeichnete ein jämmerliches Gesamtbild und McLane war froh, dass ihn niemand sehen konnte. Wie in Zeitlupe schlurfte er ins Bad, wobei jeder Schritt in seinem Kopf ein Pochen verursachte, das sich wie ein Tsunami aufbaute und in seinem schmerzenden Kiefer dumpf ausrollte. Jeff spülte seinen Mund mit Wasser, peinlich darauf bedacht diesen nicht zu weit zu öffnen, um keinen stechenden Schmerz zu provozieren. Als er feststellte, dass der Öffnungswinkel es zuließ, putzte er Zähne, um den unerträglichen Geschmack, der seine Mundhöhle ausfüllte, final zu vertreiben. Ein kurzer Blick in den Spiegel bestätigte ihm, was er ohnehin bereits fühlte. Jeff hatte einen Bluterguss, der sich wie ein Halbmond über die linke Gesichtshälfte zog. Zudem wies sein linker Mundwinkel eine Hautverletzung auf, an der noch verkrustetes Blut klebte. Er reinigte die Wunde mit einem feuchten Handtuch und kühlte den Bluterguss für einige Sekunden im Strahl des Wasserhahns. Anschließend nahm er eine Kopfschmerztablette, welche er ohne Flüssigkeit herunterwürgte, tat seiner Notdurft genüge und verließ das Badezimmer, um sich in der Küche ein Glas Wasser einzuschenken. Als er auf die Uhr sah, erinnerte er sich dumpf, dass Richard ihm gestern angeboten hatte, ihn mittags zu seinem Wagen zu fahren. Es war bereits viertel vor zwölf, daher trank Jeff das Glas in einem Zug leer und trottete ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Nach Essen stand ihm aufgrund seines flauen Magens ohnehin nicht der Sinn. Kurze Zeit später klopfte bereits Richard an die Tür. "Guten Morgen! Wie geht es Floyd Mayweather nach seinem gestrigen Kampf?" Als Jeff seinem Freund wortlos seine lädierte Gesichtshälfte zudrehte, reagierte Richard leicht geschockt. "Der hat dir wohl ordentlich eine verpasst. Wie schlimm sind die Schmerzen? Soll ich dich zum Arzt bringen?" McLanes Mine verfinsterte sich und er schüttelte den Kopf, was er jedoch schnell unterließ, da der stechende Schmerz seinen Nacken förmlich zerriss. "Ich hoffe, der Mistkerl hatte eine schöne Nacht in der Ausnüchterungszelle", sagte Jeff grimmig, wobei er den Mund nahezu geschlossen hielt. "Da kann ich dich beruhigen", antwortete Richard grinsend, "Der Kerl sitzt immer noch ein. Ich habe ihm eine kleine Geldbuße wegen Störung der öffentlichen Ordnung auferlegt. Natürlich steht es dir noch frei, ihn zu verklagen. Könnte aber schwierig werden, da du ihn zuerst geschubst hast." Jeff winkte ab. "Wenn dann bekommt er noch eine Tracht Prügel. Lass uns fahren." Auf dem Weg zur "Redneck’s Tavern" erzählte Richard von den gestrigen Ereignissen auf dem Weg ins Büro. Der Raufbold hätte sich noch einige Male heftig widersetzt und sogar den Deputy getreten. Schließlich wäre er dann in der Zelle laut schnarchend eingeschlafen. Der Sheriff beklagte sich anschließend ausladend über den unzumutbaren bürokratischen Aufwand mitten in der Nacht, da er noch den Bericht zum Vorfall hatte verfassen müssen. "Wann lasst ihr ihn wieder raus?", durchbrach Jeff die Wehklage seines Freundes. "Heute Nachmittag, sofern er seine Strafe sofort begleicht", berichtete Richard. Die beiden Freunde vereinbarten für den späteren Nachmittag noch ein Treffen auf der Schießanlage. Jeff hatte schon lange seine neue Pumpaction Shotgun einschießen wollen, zudem war das Schießen ein gemeinsames Hobby der Freunde und in der tiefsten Südstaatenprovinz ohnehin Volkssport. Lediglich Joseph war ein Waffengegner und wurde deshalb des Öfteren von Jeff und Richard aufgezogen. Als sie auf dem Parkplatz der Bar ankamen, waren dort nur drei weitere Fahrzeuge abgestellt. Richard ließ Jeff aussteigen und verabschiedete sich. McLane hatte gerade die Tür seines Autos geöffnet, doch dann erblickte er am Eingang der Bar eine weibliche Gestalt. Er kniff die Augen zusammen und versuchte das Gesicht der Frau zu erkennen, die auf den Parkplatz lief und sich einem Elektroauto zu nähern schien, welches im hinteren Teil des Areals abgestellt war. Jeff kamen die Silhouette und der Gang bekannt vor. Auch die braunen lockigen Haare hatte er bereits zuvor gesehen. Als er die beiden Dreadlocks erkannte, realisierte er, dass dies die Frau war, wegen der er sich gestern geprügelt hatte. Unbeholfen stieg er aus und tat so, als würde er auf dem Boden sein Handy suchen. Hierbei stöhnte er kurz auf, da sein Kopf und sein Nacken dies mit Schmerzen quittierten. Die Frau näherte sich mit federnden Schritten und lächelte ihm zu. Sie hatte ihr Notizbuch unter den Arm geklemmt. Es hatte einen bunten Einband, welcher in Batikdesign gemustert war. Aus der Buchmitte ragten mehrere bunt geflochtene Einmerker und auf dem Buchrücken erkannte Jeff die goldenen Initialen "H.F.". McLane nickte ihr zu und tippte an seine Trucker-Cap. Die Frau blieb nun unmittelbar vor ihm stehen und sagte freundlich: "Guten Morgen. Wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, habe ich dir zu verdanken, dass ich gestern entkommen konnte." Jeff antwortete und war bemüht, der hübschen Frau nur seine unverletzte Gesichtshälfte zuzudrehen: "Hi, nicht der Rede wert. Ich hoffe, du bist okay." Aufgrund der gequälten Aussprache, welche von McLanes schmerzendem Kiefer herrührte, bemerkte die Frau natürlich sofort, dass er verletzt war. "Du siehst übel aus, war das der Kerl? Das tut mir wirklich sehr leid! Ich weiß gar nicht, wie ich mich bedanken soll. Ich heiße übrigens Harmony." "Sehr erfreut, es sieht schlimmer aus, als es ist. Ich bin Jeff", erwiderte McLane mit möglichst minimaler Kieferbewegung. Harmony ließ nicht locker: "Sehr erfreut, Jeff, ich würde gerne deine Arztkosten übernehmen, das muss schrecklich wehtun und sollte untersucht werden!" Jeff winkte ab: "Es ist alles in Ordnung, wirklich. Du bist mir nichts schuldig. Der Kerl war mir auch einfach unsympathisch." "Dann lass mich dich wenigstens nächste Woche auf einen Kaffee einladen!" Harmony griff sich sanft Jeffs Handy, welches er in der Hand hielt, und speicherte ihre Nummer ein. Anschließend rief sie sich selbst an, um ihrerseits Jeffs Nummer zu erhalten. "Ich melde mich bei dir, keine Widerrede", schob sie hinterher und lächelte über das ganze Gesicht. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief zu ihrem Auto. McLane stand verdattert auf dem Parkplatz und hielt sein Handy wie einen kontaminierten Fremdkörper in der Hand. "Harmony, was für ein schöner Name", dachte er sich. Anschließend realisierte er, wie unvorteilhaft er im Moment aussehen musste, riss sich von den Gedanken an die junge Frau los und stieg in seinen Wagen. Er ließ seine Hand liebevoll über das Armaturenbrett gleiten und erweckte den V8 zum Leben. Der Kaltstart der großen Maschine war stets ein Spektakel. Jeff liebte den Moment, wenn das hohe Anlassgeräusch dem donnernden Bollern des erwachenden Achtzylinders wich und der Wagen laut aufbrüllte, um dann in den Takt der typischen V8 Zündfolge überzugehen. McLane ließ das Gefährt langsam über den Parkplatz gleiten, genoss den Motorensound und bog auf die Landstraße ab. Er steuerte den Wagen in die Stadt, um seine Waffen für das Schießen vorzubereiten.
In seiner Wohnung packte er Munitionskartons, Waffenpflegeartikel und seinen Gehörschutz in eine Kiste. Zudem holte er seine neue Pumpgun aus dem Waffenschrank, stellte sicher, dass sie nicht geladen war und prüfte die Leichtgängigkeit des Vorderschafts. Anschließend legte er die Waffe in ihre Tasche und lud alles in sein Auto. Auf Frühstück verzichtete er weiterhin, trank jedoch eine Tasse kräftigen Kaffee, welchen er sich durch einen Strohhalm einflößte. Hierbei verbrannte er sich zu allem Überfluss noch die Zunge. "Verdammter Mist!", presste er zwischen den Zähnen hervor. Er schüttete den Rest des Kaffees wütend in den Ausguss und machte sich auf den Weg zur Schießbahn.