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"EIN MEISTERWERK DES THRILLER UND KRIMI-GENRES. Blake Pierce gelingt es hervorragend, Charaktere mit so gut beschriebenen psychologischen Facetten zu entwickeln, dass wir das Gefühl habe, in ihren Gedanken zu sein, ihre Ängste zu spüren und ihre Erfolge zu bejubeln. Dieses Buch voller Wendungen wird Sie bis zur letzten Seite wachhalten." --Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (über Verschwunden) GESICHT DES Todes ist das erste Buch einer neuen FBI Thrillerserie des USA Today Bestsellerautors Blake Price, dessen Nummer 1 Bestseller Verschwunden (Buch 1) (kostenloser Download) über 1.000 Fünfsternebewertungen erhalten hat. FBI Special Agent Zoe Price leidet an einer seltsamen Störung, die ihr aber auch ein einzigartiges Talent verleiht – sie betrachtet die Welt durch einen Filter aus Zahlen. Die Zahlen quälen sie, machen es ihr unmöglich, Zugang zu andern Menschen zu finden, verhindern ein erfolgreiches Beziehungsleben – sie ermöglichen ihr aber auch, Muster zu sehen, die kein anderer FBI Agent sehen kann. Zoe verheimlicht ihr Leiden aus Scham, hat Angst, dass ihre Kollegen es herausfinden könnten. Doch als ein Serienmörder im Mittleren Westen zuschlägt, Frauen an abgelegenen Orten und scheinbar zusammenhanglos erwürgt, ist Zoe zum ersten Mal ratlos. Gibt es ein Muster? Oder kann es sein, dass überhaupt kein Muster vorliegt? Oder ist dieser Mörder von Zahlen so besessen wie sie selbst? In einem wilden Rennen gegen die Zeit muss Zoe in die teuflische Gedankenwelt eines Mörders einsteigen, der ihr immer einen Schritt voraus zu sein scheint, muss ihn davon abhalten, das nächste Opfer zu fordern, bevor es zu spät ist. Zur gleichen Zeit muss sie ihre eigenen Dämonen in Schach halten, was sich letztlich als noch bedrohlicher erweisen könnte. Gesicht des Todes, Buch 1 einer fesselnden neuen Serie, ist ein actionreicher Thriller voller mitreißender Spannung, der Sie bis spät in die Nacht an den Seiten kleben lassen wird. Buch 2 und 3 der Serie – GESICHT DES MORDES und GESICHT DER ANGST – sind ebenfalls vorbestellbar.
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Seitenzahl: 354
Veröffentlichungsjahr: 2020
G E S I C H T
D E S
T O D E S
(Ein Zoe Prime Fall—Buch Eins)
B L A K E P I E R C E
Blake Pierce
Blake Pierce ist der USA Today Bestsellerautor der RILEY PAGE Krimireihe, die sechzehn Bände umfasst (weitere in Arbeit). Blake Pierce ist außerdem der Autor der MACKENZIE WHITE Krimireihe, aus dreizehn Bänden bestehend (weitere in Arbeit); der AVERY BLACK Krimireihe, bestehend aus sechs Bänden; der KERI LOCKE Krimireihe, bestehend aus fünf Bänden; der MAKING OF RILEY PAIGE Krimiserie mit fünf Bänden (weitere in Arbeit); der KATE WISE Krimireihe mit sechs Bänden (weitere in Arbeit); der CHLOE FINE Psychothriller-Reihe mit fünf Bänden (weitere in Arbeit); der JESSE HUNT Psychothriller-Reihe mit fünf Bänden; der AU PAIR Psychothriller-Reihe mit zwei Bänden (weitere in Arbeit) und der ZOE PRIME Krimireihe mit zwei Bänden (weitere in Arbeit).
Als begeisterter Leser und langjähriger Fan der Krimi- und Thrillergenres freut Blake sich, von Ihnen zu hören, also besuchen Sie gerne www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.
Copyright © 2019 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Acts von 1976 darf kein Teil dieser Veröffentlichung ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen, in einer Datenbank oder einem Datenabfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist ausschließlich für Ihre persönliche Nutzung lizensiert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer weiteren Person teilen möchten, erwerben Sie bitte eine zusätzliche Ausgabe für jeden Empfänger. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht erworben haben, oder es nicht ausschließlich für Ihren Gebrauch erworben wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Ihre eigene Ausgabe. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Es handelt sich hier um eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle beruhen entweder auf der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebend oder tot, ist völlig zufällig. Titelbild Copyright Fred Mantel
BÜCHER VON BLAKE PIERCE
DAS AU-PAIR
SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)
SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)
SO GUT WIE TOT (Band #3)
ZOE PRIME KRIMIREIHE
GESICHT DES TODES (Band #1)
GESICHT DES MORDES (Band #2)
GESICHT DER ANGST (Band #3)
JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE
DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)
DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)
DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)
DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)
DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)
CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE
NEBENAN (Band #1)
DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)
SACKGASSE (Band #3)
STUMMER NACHBAR (Band #4)
KATE WISE MYSTERY-SERIE
WENN SIE WÜSSTE (Band #1)
WENN SIE SÄHE (Band #2)
WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)
WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)
WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)
WENN SIE SICH FÜRCHTEN WÜRDE (Band #6)
DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE
BEOBACHTET (Band #1)
WARTET (Band #2)
LOCKT (Band #3)
NIMMT (Band #4)
LAUERT (Band #5)
TÖTET (Band #6)
RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE
VERSCHWUNDEN (Band #1)
GEFESSELT (Band #2)
ERSEHNT (Band #3)
GEKÖDERT (Band #4)
GEJAGT (Band #5)
VERZEHRT (Band #6)
VERLASSEN (Band #7)
ERKALTET (Band #8)
VERFOLGT (Band #9)
VERLOREN (Band #10)
BEGRABEN (Band #11)
ÜBERFAHREN (Band #12)
GEFANGEN (Band #13)
RUHEND (Band #14)
GEMIEDEN (Band #15)
VERMISST (Band #16)
EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE
EINST GELÖST
MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE
BEVOR ER TÖTET (Band #1)
BEVOR ER SIEHT (Band #2)
BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)
BEVOR ER NIMMT (Band #4)
BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)
EHE ER FÜHLT (Band #6)
EHE ER SÜNDIGT (Band #7)
BEVOR ER JAGT (Band #8)
VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)
VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)
VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)
VORHER NEIDET ER (Band #12)
AVERY BLACK MYSTERY-SERIE
DAS MOTIV (Band #1)
LAUF (Band #2)
VERBORGEN (Band #3)
GRÜNDE DER ANGST (Band #4)
RETTE MICH (Band #5)
ANGST (Band #6)
KERI LOCKE MYSTERY-SERIE
EINE SPUR VON TOD (Band #1)
EINE SPUR VON MORD (Band #2)
EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Band #3)
INHALT
PROLOG
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
ANMERKUNG DES AUTORS:
GESICHTER:
Gesicht -- Der vordere Teil des Kopfes, der sich bei Menschen von der Stirn bis zum Kinn erstreckt und dabei Mund, Nase, Wangen und Augen umfasst.
Gesichtserkennung – das Erkennen und Interpretieren eines Gesichts, speziell des menschlichen Gesichts, durch ein Individuum, insbesondere in Bezug auf die damit verbundenen Informationen, die das Gehirn verarbeitet.
Linda lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, versuchte, auf den alten durchgesessenen Kissen eine bequeme Position zu finden. Die Sitzgelegenheit, die in den vergangenen fünfzehn Jahren das Gewicht unzähliger Tankstellenangestellter auf sich gehabt hatte, war in der gleichen Verfassung wie ihre Umgebung.
Wenigstens hatte sie einen Stuhl. Und einen Fernseher, auch wenn er so klein und altmodisch war, dass sie durch das Bildrauschen hindurch gerade eben so Gesichter ausmachen konnte.
Linda seufzte und klopfte einige Male gegen die Seite des Fernsehers, versuchte, ein deutlicheres Bild zu bekommen. Sie wartete auf den Anfang ihrer Lieblingssendung und wollte wenigstens erkennen können, wer welche Person war.
Immerhin würde sie wahrscheinlich nicht gestört werden. Diese Gegend im westlichen Missouri war nicht gerade stark frequentiert und manchmal vergingen Stunden zwischen den einzelnen Kunden. Niemand wohnte im Umkreis mehrerer Meilen und die Straße war durch einen neuen Highway verdrängt worden, der die Leute auf direkterer Strecke an ihr Ziel brachte. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis die Tankstelle geschlossen wurde, also genoss Linda ihre Ruhe, solange sie es noch konnte.
Die Titelmusik der Sendung erklang, trotz der blechernen Tonqualität beruhigend vertraut. Linda lehnte sich wieder zurück, versuchte, es sich so bequem wie möglich zu machen und nahm sich eine Tüte Chips aus dem Regal hinter ihr.
„Oh Loretta“, sagte die Figur auf dem Bildschirm. „Wie konntest du mir das antun? Weißt du nicht, dass wir–”
Die klingelnde Glocke über der Türe übertönte den Dialog. Linda sprang auf, fiel in ihrem Versuch, so auszusehen, als ob sie aufmerksam gewesen wäre, fast über ihre eigenen Füße. Schuldbewusst stopfte sie die offene Chipstüte unter die Verkaufstheke.
„Hallo“, sagte der Kunde lächelnd. Er sah amüsiert, aber freundlich aus, als ob sie ein witziges Geheimnis teilten. „Äh, könnte ich bitte Ihre Toilette benutzen?“
Er war recht freundlich. Ein schlanker, jungenhafter Mann. Er konnte kaum dreißig Jahre alt sein. Linda mochte ihn sofort. Sie hatte ein gutes Gefühl für Kunden. Sie wusste direkt, ob sie ihr Schwierigkeiten verursachen würden.
„Tut mir leid, Süßer“, sagte sie. „Die ist nur für zahlende Kunden.“
„Oh“, sagte er, während er sich umsah. An der Seite des Tresens befand sich eine Auslage mit billigen Süßigkeiten, darauf ausgerichtet, Kinder hereinzulocken, die an den Ärmeln ihrer Eltern ziehen würden. „Ich nehme die hier.“
Er griff nach einer Tüte Bonbons und warf sie behutsam auf die Theke, direkt vor ihr. Er suchte in seiner Hosentasche nach Kleingeld und der genaue Betrag folgte der Tüte.
„Bitte, Sir“, sagte Linda, schob ihm einen der Toilettenschlüssel hin. „Es ist direkt an der Rückseite des Gebäudes. Gehen Sie einfach raus und um die Ecke.“
„Oh, danke“, sagte der Mann, nahm ihn und klopfte damit gegen seinen Daumen, während er hinaus auf den Parkplatz sah. „Aber, äh. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu zeigen, wo es ist?“
Linda zögerte. Ihre Sendung lief und sie hatte schon so viel davon versäumt. Und trotz ihres Eindrucks, dass der Typ völlig in Ordnung und normal war – sogar gutaussehend, wenn sie zehn oder fünfzehn Jahre jünger gewesen wäre – meldete sich ein kleiner nagender Zweifel in ihrem Hinterkopf. Sollte sie wirklich den Verkaufstresen unbewacht zurücklassen, um ihm die Toilette zu zeigen? Alleine gehen, im Dunkeln, mit einem Fremden, von der Straße aus nicht sichtbar?
Oh, Linda, dachte sie sich. Du willst doch nur mehr Zeit für deine Sendung haben. Jetzt mach schon, steh von dem Stuhl auf und mach deine Arbeit.
„Sicher“, sagte sie, wenn auch weiterhin zögerlich. „Kommen Sie mit.“
Die Sonne war etwa eine halbe Stunde vorher untergangen, also war es nicht überraschend, dass er beim Suchen der Toilette Hilfe wollte. Man fand sich im Dunkeln an einem unbekannten Ort nicht gut zurecht. Linda begann, ihn in die richtige Richtung zu führen, machte einen Schritt über das aus dem Beton sprießende Unkraut.
„Das ist wirklich ein verlassener Ort, hm?“ sagte er.
„Yeah“, sagte Linda. Seltsam, so etwas im Dunkeln zu sagen, oder? Vielleicht fühlte er sich selbst etwas unwohl und wollte ein wenig beschwichtigt werden. Ihr gefiel die Einsamkeit ebenso wenig wie ihm. „Bei uns ist zurzeit nicht viel los.“
„Ich finde, man kann angesichts der Tankstellen viel über einen Ort schlussfolgern. Es sind diese kleine Zeichen, wissen Sie. Erkennbare Muster. Zum Beispiel, wie wohlhabend eine Gemeinde ist oder welches Essen beliebt ist.“
„Darüber habe ich bisher wohl nie wirklich nachgedacht.“ Eigentlich interessierte Linda nichts weniger als seine Erklärung der Feinheiten der Tankstellen überall im Land. Sie wollte die Toilette erreichen und dann so schnell wie möglich wieder hineingehen, ohne seltsamen Kram. Aber sie wollte nicht so unhöflich sein, ihm das zu sagen.
„Oh, yeah. Ich besuche gerne unterschiedliche Tankstellen. Einige von ihnen sind riesig, wissen Sie. Dann gibt es welche, die klein sind, etwas mitgenommen, fernab vom Schuss, wie die hier. Und man kann auch viel über die dort arbeitenden Leute erfahren.“
Das ließ einen Schauder an Lindas Rücken herunterlaufen. Er sprach über sie. Sie wollte nicht fragen, was er über sie erfahren konnte, oder was er schon wusste. Sie glaubte nicht, dass es ihr gefallen würde.
„Es ist ein seltsamer Ort, hier am Ende der Welt“, fuhr er fort. „Sie sind sicher oft alleine. Wenn Sie Hilfe brauchen, ist sie schwer zu kriegen. Eine bestimmte Art Mensch nimmt einen solchen Job an. Dadurch kann man alle möglichen Verhaltensweisen vorhersagen, die auf dem Muster basieren. Zum Beispiel, wie weit Sie gehen würden, um einem Kunden zu helfen.“
Linda beschleunigte ihre Schritte auf dem dunklen Boden, hatte jetzt das Bedürfnis, von ihm weg zu kommen. Sie wollte jetzt nicht daran erinnert werden, dass sie verletzlich war. Ein weiterer Schauder lief ihren Rücken hinunter, auch wenn sie sich selbst sagte, dass sie sich dumm verhielt. Sie spürte das harte Metall des Schlüssels zur Vordertüre in ihrer Tasche und nahm ihn zwischen zwei Finger, so dass er als Waffe dienen konnte.
Sie sagte nichts. Sie wollte ihn nicht ermutigen, noch etwas zu sagen – oder etwas zu tun. Obwohl sie nicht wissen konnte, was seine nächste Handlung sein würde, war sie sich sicher, dass sie es nicht wollte, egal, was es war. Sie gingen über den leeren Parkplatz – das Auto des Kunden war wohl vorne bei den Zapfsäulen abgestellt worden.
„Da ist die Toilette, da vorne“, sagte Linda und zeigte in die Richtung. Sie wollte nicht unbedingt weiter gehen. Wenn er alleine ging, konnte sie zurück zu ihrem Tresen gelangen, wo es ein Telefon gab, mit dem sie Hilfe rufen, und Türen, die sie abschließen konnte.
Der Kunde sagte nichts, sondern holte seine Bonbontüte hervor und öffnete sie. Er sah sie nicht einmal an, sondern schien sich ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren, als er den Beutel öffnete und alles auskippte.
Die farbigen Bonbons hüpften und verteilten sich über dem Beton. Linda schrie auf und sprang unwillkürlich einen Schritt zurück. Wer kam denn auf die Idee, Bonbons einfach so auf den Boden zu werfen? Wollte er sie nur erschrecken, oder was? Lindas Hand flog an ihre Brust, sie versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen.
„Sehen Sie sich das an!“ Der Kunde lachte, zeigte auf die Bonbons runter. „Es ist immer das Gleiche, wissen Sie? Es gibt keinen Zufall. Man bekommt die gleichen Muster und Fraktale, und es ist immer etwas da. Auch wenn Sie versuchen, es nicht zu sehen, Ihr Gehirn bildet ein Muster, einfach so.“
Linda hatte genug gehört. Dieser Typ war verrückt. Sie war alleine hier draußen, im Dunkeln, wie er extra betont hatte. Sie musste weg von ihm, zurück zum Tresen. Zurück dorthin, wo es sicher war.
Linda wählte die schnellste Lösung, der ihr einfiel. Sie ging eilig die letzten Schritte zur Toilette und schloss sie für ihn auf, das Licht über der Tür ging automatisch an.
„Oh!“ sagte der junge Mann. „Sehen Sie. Auf Ihrer Hand. Ein weiteres Muster.“
Linda erstarrte und sah hinunter auf ihre Sommersprossen, die jetzt in dem blassorangen Licht sichtbar waren. Seine Aufmerksamkeit für ihre Haut war wie ein Insekt, etwas, das sie instinktiv abschütteln wollte.
„Ich muss zurück in den Laden“, stieß Linda hervor. „Nur für den Fall, dass weitere Kunden kommen. Bringen Sie einfach den Schlüssel zurück, wenn Sie fertig sind.“
Sie begann, zur Vorderseite der Tankstelle, zur Tür und der Sicherheit des Tresens zurückzueilen. Etwas war an diesem jungen Mann seltsam, sogar ausgesprochen seltsam, und sie wollte keine weitere Sekunde in seiner Gegenwart verbringen – selbst wenn das bedeutete, dass sie nachher den Schlüssel selbst wieder holen musste. Die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf und ihr Herz hämmerte weiter.
Vielleicht sollte sie jemanden anrufen. Sie dachte an ihren Exmann, der Meilen entfernt zu Hause saß, wahrscheinlich gemütlich mit hochgelegten Füßen vor dem Fernseher. Oder ihren Chef, der aber genauso gut in Kanada sein konnte, so selten, wie sie ihn zu Gesicht bekam. Würden sie überhaupt den Hörer abheben? Und wenn ja, wie würden sie ihr helfen können?
Die Polizei vielleicht? Nein – das war doch sicher übertrieben.
Linda stolperte fast über einen einzelnen Bonbon, der weiter gerutscht war als der Rest, und versuchte, ihre Füße vorsichtiger aufzusetzen, prüfte den Boden vor sich. Ihr Herz raste und sie konnte ihre eigenen Schritte viel zu laut knirschen hören, als sie auf die Ecke des Gebäudes zu hastete. Sie wünschte, sie könnte leiser sein, schneller gehen, einfach die Türen erreichen.
Sie rannte fast, der Atem stockte ihr in der Brust. Sie umrundete die Ecke, fühlte beim Anblick der vertrauten Türen vor sich Erleichterung.
Aber etwas zog sie zurück – etwas, das sich immer enger um ihren Hals schlang.
Lindas Hände flogen instinktiv nach oben, ergriffen den dünnen scharfen Draht, der sich in ihre Finger schnitt, als sie darum kämpfte, Kontrolle über ihn zu erlangen. Ihre Füße versuchten vergeblich, ihren Körper vorwärts zu bewegen, die Schwungkraft zwang ihren Kopf nur weiter nach hinten. Sie musste die Türen erreichen. Sie musste nach drinnen!
FBI Special Agent Zoe Prime sah die Frau neben sich auf dem Beifahrersitz an und versuchte, sich nicht eingeschüchtert zu fühlen.
„In noch kälteres Wasser kann man wohl nicht geworfen werden, oder?“, witzelte Shelley.
Zoe wusste, was sie meinte. Sie waren einander gerade erst als Partner zugewiesen worden und schon rasten sie zu einem Tatort. Sogar einem wichtigen Tatort. Einem, der fette Schlagzeilen machen würde.
Aber das war es nicht, weshalb Zoe sich unbehaglich fühlte. Es lag daran, dass sie einer neuen Agentin als Partnerin zugewiesen worden war, die beim FBI bereits Aufruhr verursachte. Shelley Rose hatte ein offenes, freundliches Gesicht und Wesen, und man erzählte sich über sie, dass sie nur durch ein Lächeln ein Geständnis aus jedem herausholen konnte. Wenn man ein Geheimnis zu hüten hatte, konnte es einen ganz paranoid machen, so jemanden als Partner zugewiesen zu bekommen.
Ganz abgesehen davon, dass Zoe, die bisher beim FBI noch durch nichts besonders herausgestochen war, nicht unbedingt wenig Neid angesichts des hohen Respekts verspürte, den man ihrer Frischlingspartnerin bereits entgegenbrachte.
Shelley hatte ein nahezu symmetrisches Gesicht, gerade 1,5 Millimeter von der Perfektion entfernt, eine Abweichung zwischen ihren Augen. Es war nicht überraschend, dass ihr sofort Vertrauen und Zuneigung ihrer Mitmenschen zuflogen. Es war klassische Psychologie. Ein winziger Fehler, der ihre Schönheit menschlicher machte.
Obwohl sie das wusste, konnte Zoe nicht anders, als ihre neue Partnerin ebenfalls zu mögen.
„Was wissen wir bis jetzt?“ fragte Zoe.
Shelley blätterte durch den in einer Mappe steckenden Papierstapel in ihren Händen. „Der Sträfling ist aus dem Tent City Gefängnis in Phoenix abgehauen“, sagte sie. Die Wüste von Arizona raste außerhalb des Autos vorbei. „Zu Fuß. Das hat ihn anscheinend nicht behindert. Wir wissen bisher von drei Morden.“
„Wachen?“ fragte Zoe. Ihre Gedanken rasten vorwärts. Sie berechnete die Meilen, die ein Mann in dieser Hitze zu Fuß hinter sich bringen konnte. Ohne Rast, Unterkunft und Wasser kam man nicht weit. Wenn die nachgebende Oberfläche von Sand mit einberechnet wurde, war es noch weniger.
„Nein, zufällige Personen. Zuerst zwei Anhalter.“ Shelley hielt inne, sog den Atem durch die Zähne ein. „Die Morde waren allen Anzeichen nach … brutal. Das letzte Opfer war ein Tourist auf dem Weg zum Grand Canyon.“
„Und dahin sind wir gerade auf dem Weg“, nahm Zoe an. Die Landkarte der Gegend entfaltete sich in ihren Gedanken, zeigte die Straßen und Wege an, die jedes Opfer wahrscheinlich genommen hatte, bevor es mit dem Täter zusammengetroffen war.
„Richtig. Sieht so aus, als ob wir uns auf was gefasst machen müssen.“
Zoe nickte stumm. Sie hatte bemerkt, dass es für Leute wie Shelley schwerer war, an einem Tatort aufzutauchen und die Leiche des Opfers zu sehen. Sie spürten die Schmerzen und das Leid, die verursacht worden waren. Zoe sah immer nur einen Körper – Fleisch. Fleisch, das vielleicht Hinweise für die Ermittlung beinhaltete, und die Schilder mit Nummern, die es umgaben.
Das war es wahrscheinlich, was es ihr überhaupt erst ermöglicht hatte, alle Aufnahmeprüfungen zu bestehen und ein Special Agent zu werden – ruhig und kontrolliert zu bleiben, die Fakten anstelle der Gefühle zu analysieren. Aber ihr ruhiges Wesen und ihre Angewohnheit, sich hinter einer ausdruckslosen Miene zu verstecken, waren der Grund, dass sie einen neuen Partner gebraucht hatte. Anscheinend hatte ihr letzter Partner Zoe für zu ruhig und unnahbar gehalten.
Bei ihrem ersten Fall mit Shelley hatte sie versucht, diesem Eindruck entgegenzuwirken, indem sie zwei Kaffee in Styroporbechern gekauft und ihrer Partnerin beim Aufeinandertreffen einen davon gegeben hatte; in Anerkennung eines anscheinend uralten Rituals unter Kollegen. Es schien gut angekommen zu sein. Shelley war umgänglich genug für sie beide, weshalb Zoe hoffte, dass dies tatsächlich funktionieren würde.
Es war nicht schwer, die Stelle zu finden. Örtliche Polizisten liefen in ihren Uniformen in der heißen Sonne, eine glühende Grausamkeit, die intensiv auf ihre nackten Arme herunterbrannte, sobald Zoe das klimagekühlte Auto verließ. Wenn Haut nicht geschützt war, verbrannte sie innerhalb von fünfundvierzig Minuten. Bis sie wieder ins Auto stieg, würden ihre Wangen, Nase und Hände schon leicht gebräunt sein.
Shelley stellte sie vor und sie zeigten beide dem verantwortlichen Polizisten ihre Marken, bevor sie sich dem Tatort näherten. Zoe hörte nur mit halbem Ohr zu, war froh, Shelley übernehmen zu lassen. Auch wenn Zoe die ranghöhere Beamtin war, störte es sie nicht, wenn Shelley sich in den Vordergrund stellte. Zoe sah sich bereits um, suchte nach dem Schlüssel, der ihr alles eröffnen würde. Shelley nickte ihr zu, in stiller Vereinbarung, dass sie sich um die örtliche Polizei kümmern würde, während Zoe die Umgebung untersuchte.
„Ich glaub nicht, dass Sie viel finden werden“, sagte der Chief gerade. „Wir haben schon alles so gründlich wie möglich durchsucht.“
Zoe ignorierte ihn und setzte ihre Untersuchung fort. Sie konnte manche Dinge sehen, die anderen entgingen. Dinge, die ihr wie mit riesigen Buchstaben angekündigt erschienen, aber für normale Leute unsichtbar waren.
Das war ihr Geheimnis, ihre Superkraft. Sie sah seine Fußabdrücke im Sand und die Berechnungen erschienen neben ihnen, teilten ihr alles mit, was sie wissen musste. Es war so einfach wie das Lesen eines Buches.
Sie hockte sich leicht hin, sah sich die am nächsten liegenden Abdrücke genauer an, betrachtete, wie sie sich von der Leiche des Opfers entfernten. Die Schrittlänge zeigte ihr, dass der Täter 1,85 m groß war. Die Tiefe der Fußspuren wies deutlich auf ein Gewicht um die fünfundneunzig Kilo hin. Er war gleichmäßig gelaufen, hatte sich vor dem Angriff dem Opfer mit einer Geschwindigkeit von 3,8 Meilen pro Stunde genähert, das sagte ihr der Abstand zwischen den Abdrücken.
Zoe beugte sich vor, untersuchte als nächstes die Leiche. Der Sträfling hatte eine neunzehn Zentimeter lange Klinge benutzt, die er von oben in einem Winkel von neunundvierzig Grad in den Körper gerammt hatte. Geflohen war er in nordwestlicher Richtung, in einem schnelleren Lauftempo von 5,9 Meilen pro Stunde.
Das Blut im Sand verriet ihr, dass es weniger als vier Stunden her war. Die Berechnungen waren einfach. Zoe ging von der durchschnittlichen Ermüdungsrate aus, zog die Hitze an diesem Tag in ihre Berechnungen ein und blinzelte in die Ferne, stellte sich die genaue Entfernung vor, in der sie ihn finden würden. Ihr Herz schlug schneller, als sie vor ihrem geistigen Auge sah, wie sie ihn schnappen würden. Sie würden ihn leicht einholen. Schon ermüdet, ohne Wasser und ohne die geringste Ahnung, dass sie seine Verbrechen bereits entdeckt hatten. Das hier würde schnell vorbei sein.
Ihre Aufmerksamkeit wechselte zu den Büschen und kleinen Bäumen, die etwas entfernt wuchsen, unregelmäßig verteilt und somit einem Menschen nicht genügend Schutz bietend. Sie sah die Entfernung zwischen ihnen, Zahlen erschienen vor ihren Augen, teilten ihr die Geschichte hinter dem Muster mit. Weit voneinander verteilt, wenige natürliche Ressourcen. In Grüppchen, die Wurzeln auf der Suche nach einer unterirdischen Wasserquelle und nährstoffreichem Boden. Dem unerfahrenen Auge mochten sie zufällig erscheinen, aber der Standort jedes einzelnen Gewächses beruhte auf Planung. Der Planung der Natur.
„Was gefunden?“ fragte Shelley. Sie sah gespannt aus, als ob sie darauf wartete, dass ihre erfahrenere Partnerin alles auflöste.
Zoe sah auf, zuckte schulbewusst zusammen. Sie stand auf und schüttelte rasch den Kopf. „Ich nehme an, er ist da lang gelaufen“, sagte sie und zeigte in die offensichtliche Richtung seiner sich entfernenden Fußabdrücke. Ziemlich weit entfernt sah man eine Felsnase, ein guter Ort für eine Rast. Die Formation verriet ihr etwas über Windmuster, über tausende von Jahren der Aushöhlung und Formung. „Vielleicht wird er dort im Schatten eine Pause machen. Es ist ein heißer Tag.“
Ein Geheimnis war ein Geheimnis. Auf gar keinen Fall konnte sie zugeben, was sie wusste. Auf keinen Fall konnte sie laut aussprechen, dass sie ein Freak war, die Welt auf eine Weise begriff, wie es niemand anders tat. Oder den Rest zugeben – dass sie auch nicht verstand, wie die anderen die Welt sahen. Aber sie konnte ihnen wenigstens das geben. Die Art Hinweis, die auch eine normale Person erkennen würde.
Der Chief räusperte sich und unterbrach. „Wir haben diese Richtung schon erkundet und nichts gefunden. Die Hunde haben die Spur verloren. Dahinten ist der Boden steiniger und man sieht keine Fußabdrücke mehr. Wir nehmen an, dass er einfach weiter geradeaus gerannt ist. Oder sogar von einem Auto mitgenommen wurde.“
Zoes Augen verengten sich. Sie wusste, was sie wusste. Dieser Mann rannte voller Verzweiflung, seine Schritte lang, der Körper nah am Boden, als er sich vorbeugte, um schneller zu sein. Er hatte kein Versteck und er war nicht so weit weg, dass sie ihn nicht finden können würden.
„Tun Sie uns den Gefallen“, schlug Zoe vor. Sie tippte auf das FBI-Siegel auf ihrer Marke, die sie noch in der Hand hielt. Das war ein Riesenvorteil, wenn man ein Special Agent war: man musste sich nicht immer erklären. Man entsprach sogar dem Vorurteil, wenn man es nicht tat.
Shelley hörte auf, Zoes Gesichtsausdruck zu mustern und wandte sich um, um wieder mit dem Chief zu sprechen, ihre Haltung entschlossen. „Schicken Sie uns den Hubschrauber. Haben Sie die Hunde bereit?“
„Sicher.“ Der Chief nickte, auch wenn er nicht besonders erfreut aussah. „Sie sind der Boss.“
Shelley dankte ihm. „Fahren wir los“, schlug sie Zoe vor. „Ich habe Radioverbindung zum Piloten. Er wird uns informieren, wenn sie was entdecken.“
Zoe nickte und stieg gehorsam wieder ins Auto. Shelley hatte sie unterstützt, ihr den Rücken gestärkt. Das war ein gutes Zeichen. Sie war dankbar und fühlte sich nicht übergangen, wenn Shelley diejenige war, die die Befehle gab. Es war egal, solange Leben gerettet wurden.
„Puh!“ Shelley hielt inne, lehnte sich mit einer aufgefalteten Landkarte im Beifahrersitz zurück. „Wird nicht einfacher, oder? Eine Frau, ganz alleine unterwegs, keine Provokation. Sie hat das nicht verdient.“
Zoe nickte wieder. „Stimmt“, sagte sie, nicht sicher, was sie sonst zu der Unterhaltung beitragen konnte. Sie ließ das Auto an und fuhr los, um die Stille zu füllen.
„Du sprichst nicht sehr viel, oder?“ fragte Shelley. Sie hielt einen Moment inne, bevor sie hinzufügte: „Das ist in Ordnung. Ich will nur verstehen, wie du tickst.“
Der Mord war unverdient, das war richtig. Zoe konnte das erkennen und verstehen. Aber was geschehen war, war geschehen. Jetzt hatten sie einen Job zu erledigen. Die Sekunden vergingen, über die normale Zeit für eine erwartete Antwort hinaus. Zoe überlegte, aber ihr fiel nichts ein, was sie sagen konnte. Der Moment war vorbei. Wenn sie jetzt sprach, würde es noch seltsamer wirken.
Zoe versuchte, sich darauf zu konzentrieren, beim Fahren eine traurige Miene aufzusetzen, aber es war zu schwierig, beides gleichzeitig zu tun. Sie hörte auf, sich die Mühe zu machen, ihr Gesicht entspannte sich zu ihrem üblichen leeren Blick. Es war nicht so, dass sie nichts dachte, oder hinter ihren Augen keinerlei Gefühle stattfanden. Es war nur schwierig, darüber nachzudenken, wie ihr Gesicht aussehen sollte und es bewusst zu kontrollieren, während ihr Gehirn damit beschäftigt war, die genaue Entfernung zwischen jeder Straßenmarkierung zu berechnen und sicherzustellen, dass sie eine Geschwindigkeit einhielt, bei der das Auto nicht umkippen würde, wenn sie auf dieser Art Asphalt ausscheren musste.
Sie nahmen die Straße, folgten der glatteren Oberfläche, die sich durch die flache Landschaft wand. Zoe konnte bereits sehen, dass sie in die richtige Richtung führte, was es ihnen ermöglichte, ihn einzuholen, wenn er in direkter Linie geradeaus rannte. Sie trat fest auf das Pedal, nutzte den Vorteil des Asphalts, um schnell voranzukommen.
Eine Stimme knisterte durch das Funkgerät, riss Zoe aus ihren Gedanken.
„Der Verdächtige ist in Sicht. Over.“
„Verstanden“, antwortete Shelley. Sie war präzise und verschwendete keine Zeit, was Zoe schätzte. „Koordinaten?“
Der Hubschrauberpilot ratterte seine Position herunter und Shelley nutzte ihre Landkarte, um Zoe den Weg anzusagen. Sie mussten ihre Route nicht verändern – sie waren genau in der richtigen Richtung. Zoe umklammerte das Steuer fester, fühlte den Nervenkitzel der Bestätigung. Ihre Annahmen waren korrekt gewesen.
Schon kurz darauf sahen sie den Helikopter über einem örtlichen Streifenwagen in der Luft stehen, dessen beide Insassen anscheinend schon ausgestiegen waren und den Sträfling überwältigt und auf den Boden gedrückt hatten. Er lag im Sand, der sich durch die neue Last verschob, und fluchte.
Zoe hielt den Wagen an und Shelley sprang sofort hinaus, gab über ihr Sprechfunkgerät Informationen weiter. Eine kleine Gruppe Männer mit Hunden näherte sich bereits aus dem Südosten, die Hunde bellten vor Aufregung, nachdem sie die Quelle des Geruchs gefunden hatten, dem sie gefolgt waren.
Zoe hob die Landkarte hoch, die Shelley losgelassen hatte, verglich sie mit dem Navigationssystem. Sie waren in direkter Bahn eine Achtelmeile von dem Punkt entfernt, an dem sie ihn vermutet hatte. Er musste aus der Felszunge herausgelaufen sein, als er die Hunde gehört hatte.
Sie erlaubte sich ein Siegeslächeln, sprang aus dem Auto, um sich ihnen mit neuem Elan zuzugesellen. Draußen unter der brennenden Sonne erwiderte Shelley ihr strahlendes Grinsen, offensichtlich glücklich, dass sie ihren ersten gemeinsamen Fall schon abgeschlossen hatten.
Später, als sie wieder im Auto waren, senkte sich das Schweigen erneut herab. Zoe wusste nicht, was sie sagen sollte – sie wusste es nie. Geplauder war ihr ein absolutes Rätsel. Wie oft konnte man das Wetter erwähnen, bevor es ein offensichtliches Klischee wurde? Wie oft musste sie öde Unterhaltungen über unwichtige Dinge führen, bevor das Schweigen kameradschaftlich wurde, nicht mehr unbehaglich war?
„Du hast da draußen nicht viel gesagt“, sagte Shelley und brach endlich das Schweigen.
Zoe antwortete nicht sofort. „Nein“, stimmte sie zu, versuchte, freundlich zu klingen. Es gab nicht viel, das sie tun konnte, außer zuzustimmen.
Wieder herrschte Stille. Zoe berechnete im Kopf die Sekunden, begriff, dass es länger war, als für eine normale Pause in der Unterhaltung üblich.
Shelley räusperte sich. „Die Partner, die ich im Training hatte, die haben mit mir geübt, den Fall durchzusprechen“, sagte sie. „Zusammenzuarbeiten, um ihn zu lösen. Nicht alleine.“
Zoe nickte, ihr Blick blieb fest auf der Straße. „Ich verstehe“, sagte sie, obwohl Panik in ihr aufstieg. Sie verstand nicht – nicht völlig. Auf eine Art verstand sie, wie die Leute um sie herum empfanden, weil sie es ihr immer mitteilten. Aber sie wusste nicht, was sie damit anfangen sollte. Sie versuchte es schon, versuchte es, so gut sie konnte.
„Sprich nächstes Mal mit mir“, sagte Shelley, lehnte sich tiefer in ihren Sitz, als ob nun alles geklärt war. „Wir sind Partner. Ich möchte wirklich zusammenarbeiten.“
Das verhieß für die Zukunft nichts Gutes. Zoes letzter Partner hatte wenigstens ein paar Wochen gewartet, bevor er sich beschwert hatte, wie ruhig und unnahbar sie war.
Sie hatte gedacht, sie hätte es diesmal besser hinbekommen. Hatte sie nicht die Becher mit Kaffee gekauft? Und Shelley hatte sie vorhin angelächelt. Musste sie mehr Getränke kaufen, um es wieder auszugleichen? Gab es eine bestimmte Anzahl, auf die sie hinarbeiten sollte, um ihre Beziehung angenehmer zu gestalten?
Zoe sah die Straße vor der Windschutzscheibe vorbeirasen, unter einem sich allmählich verdunkelnden Himmel. Sie spürte, dass sie wohl noch etwas sagen sollte, aber sie wusste nicht, was. Das war alles ihre Schuld und sie wusste es.
Es schien für andere Leute immer so einfach zu sein. Sie sprachen und sprachen und sprachen, und wurden über Nacht Freunde. Sie hatte es oft geschehen sehen, aber es schien keine Regeln zu geben, die man befolgen konnte. Es wurde nicht durch eine festgelegte Zeitspanne definiert, oder der Anzahl der Interaktionen, oder der Menge der Dinge, die Menschen gemeinsam haben mussten.
Sie waren einfach wie durch Magie gut darin, mit anderen Leuten zurechtzukommen, so wie Shelley. Oder sie waren es nicht. Wie Zoe.
Nicht dass sie wusste, was sie falsch machte. Leute sagten ihr, sie solle wärmer und freundlicher sein, aber was genau bedeutete das? Niemand hatte ihr je ein Handbuch gegeben, in dem all die Dinge erklärt waren, die sie wissen musste. Zoe griff das Steuer fester, versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie aufgebracht sie war. Das war das Letzte, das Shelley sehen sollte.
Zoe begriff, dass sie selbst das Problem war. Sie machte sich darüber nichts vor. Sie wusste nur nicht, wie sie anders sein sollte, als sie war, während andere Leute es wussten und sie sich schämte, dass sie es nie gelernt hatte. Das zuzugeben würde irgendwie noch schlimmer sein.
***
Der Flug zurück nach Hause war noch ungemütlicher.
Shelley blätterte beiläufig durch die Seiten einer Frauenzeitschrift, die sie im Flughafen gekauft hatte, bedachte jede Seite lediglich mit einem oberflächlichen Blick, bevor sie aufgab und weiterblätterte. Nachdem sie sie von vorne bis hinten durch hatte, warf sie Zoe einen Blick zu, dann gelangte sie wohl zu der Überzeugung, dass es besser war, keine Unterhaltung anzufangen, und öffnete die Zeitschrift wieder, vertiefte sich mehr in die Artikel.
Zoe hasste es, so etwas zu lesen. Die Bilder, die Worte, alles sprang sie von der Seite aus an. Nicht zusammenpassende Schriftgrößen und Gesichter, widersprüchliche Artikel. Bilder, die beweisen sollten, dass irgendeine Prominente sich unters Messer gelegt hatte, die aber nur die normalen, durch Zeit und Alter verursachten Änderungen eines Gesichtes zeigten, die für jeden mit einem Grundverständnis menschlicher Biologie leicht berechenbar waren.
Mehrere Male versuchte Zoe zwanghaft, sich etwas einfallen zu lassen, was sie zu ihrer neuen Partnerin sagen könnte. Sie konnte nicht über die Zeitschrift reden. Was könnten sie sonst gemeinsam haben? Ihr fiel nichts ein.
„Gutes Ergebnis für unseren ersten Fall“, sagte sie schließlich, murmelte es, traute sich fast nicht, es zu sagen.
Shelley sah überrascht auf, ihre Augen einen Moment lang groß und leer, bevor sie grinste. „Oh ja“, sagte sie. „Wir waren gut.“
„Der nächste Fall wird hoffentlich ebenso glatt laufen.“ Zoe fühlte, wie sich ihr Inneres zusammenkrümmte. Warum war sie so schlecht im Plaudern? Es kostete sie absolute Konzentration, sich den jeweils nächsten Satz auszudenken.
„Vielleicht können wir nächstes Mal schneller sein“, schlug Shelley vor. „Du weißt schon, wenn wir wirklich aufeinander eingespielt sind, werden wir viel schneller arbeiten.“
Für Zoe fühlte es sich wie ein Schlag an. Sie hätten den Kerl schneller schnappen, den Hubschrauber direkt nach ihrer Ankunft an seinen genauen Aufenthaltsort schicken können, wenn Zoe nur mitgeteilt hätte, was sie wusste. Wenn sie nicht so besorgt darüber gewesen wäre, wie sie ihr Wissen erlangt hatte, dass sie es für sich behalten hatte.
„Vielleicht“, sagte sie unverbindlich. Sie versuchte, Shelley auf eine beruhigende Art anzulächeln, von erfahrener Agentin zu Neuling. Shelley erwiderte es ein wenig zögerlich und konzentrierte sich wieder auf ihre Zeitschrift.
Zoe öffnete ihre Wohnungstüre mit einem Seufzer der Erleichterung. Das war ihr Himmel, der Ort, an dem sie sich entspannen konnte und nicht mehr versuchen musste, die Person zu sein, die alle akzeptierten.
Als sie das Licht anmachte, erklang aus Richtung der Küche ein leises Miauen und sobald Zoe ihre Schlüssel auf den Beistelltisch gelegt hatte, ging sie sofort dorthin.
„Hi, Euler“, sagte sie, beugte sich hinunter, um eine ihrer Katzen hinter den Ohren zu kraulen. „Wo ist Pythagoras?“
Euler, eine grau getigerte Katze, miaute als Antwort nur erneut und sah zum Schrank, in dem Zoe die Beutel und Dosen mit Katzenfutter aufbewahrte.
Zoe brauchte keinen Übersetzer, um das zu verstehen. Katzen waren einfach genug. Die einzige Interaktion, die sie wirklich brauchten, war Essen und ein gelegentliches Schmusen.
Sie nahm eine neue Dose aus dem Schrank und öffnete sie, löffelte den Inhalt in den Futternapf. Ihr Burmese, Pythagoras, witterte bald den Geruch und tapste aus irgendeinem anderen Teil ihres Zuhauses heran.
Zoe sah ihnen eine Weile beim Essen zu, fragte sich, ob sie lieber einen weiteren Menschen hätten, der sich um sie kümmerte. Ihr Alleinleben bedeutete, dass sie gefüttert wurden, wenn sie nach Hause kam, egal zu welcher Zeit das geschah. Sicher hätten sie einen regelmäßigeren Ablauf bevorzugt – aber wenn sie hungrig wurden, gab es genug Mäuse in der Gegend, die sie fangen konnten. Und Pythagoras hatte in letzter Zeit einige Pfund zugelegt. Eine Diät würde ihm gut tun.
Zoe würde ohnehin nicht in nächster Zeit heiraten – weder wegen der Katzen, noch aus irgendeinem anderen Grund. Sie hatte bisher noch nicht einmal eine ernste Beziehung gehabt. So, wie sie aufgewachsen war, hatte sie sich schon fast damit abgefunden, dass sie dazu bestimmt war, alleine zu sterben.
Ihre Mutter war streng religiös gewesen, im Sinne von intolerant. Zoe hatte nie die Stelle in der Bibel gefunden, die vorschrieb, dass man wie alle anderen kommunizieren und in sprachlichen Rätseln anstatt in mathematischen Formeln denken sollte, aber ihre Mutter hatte trotzdem genau das dort herausgelesen. Sie war überzeugt gewesen, dass mit ihrer Tochter etwa nicht in Ordnung war, etwas Sündiges.
Zoes Hand wanderte zu ihrem Schlüsselbein, fuhr die Linie entlang, an der einst ein silbernes Kreuz an einer Silberkette gehangen hatte. Während der vielen langen Jahre ihrer Kindheit und Jugend hatte sie das Ding nicht abnehmen können, ohne der Blasphemie beschuldigt zu werden – nicht einmal zum Duschen oder Schlafen.
Dagegen hatte sie nicht viel tun können, ohne dass sie beschuldigt wurde, das Kind des Teufels zu sein.
„Zoe“, hatte ihre Mutter dann gesagt, ihr mit dem Finger gedroht und die Lippen geschürzt. „Du hörst sofort mit dieser Dämonenlogik auf. Der Teufel steckt in dir, Kind. Du musst ihn austreiben.“
Dämonenlogik bedeutete anscheinend Mathematik, insbesondere wenn sie von einem sechsjährigen Kind benutzt wurde.
Ihre Mutter erwähnte immer und immer wieder, wie anders sie war. Wenn Zoe sich nicht mit den Kindern ihres Alters im Kindergarten oder in der Schule beschäftigte. Wenn sie keinem der nachmittäglichen Clubs beitrat, abgesehen von Zusatzunterricht in Mathematik und Wissenschaften, und nicht einmal dort Gruppen bildete oder Freundschaften schloss. Wenn sie die Verhältnisse zwischen den Zutatenmengen verstand, nachdem sie ihre Mutter nur einmal etwas backen gesehen hatte.
Zoe hatte sehr schnell gelernt, ihren natürlichen Sinn für Zahlen zu unterdrücken. Wenn sie die Antworten auf Fragen der Leute wusste, ohne es auch nur ausrechnen zu müssen, blieb sie ruhig. Wenn sie durch reine Charakterkenntnis und zurückgelassene Hinweise herausfand, welcher ihrer Klassenkameraden den Schlüssel des Lehrers gestohlen und versteckt hatte, und wo er versteckt sein musste, sagte sie kein Wort.
Es hatte sich wenig geändert, seitdem die verängstigte Sechsjährige, begierig, ihrer Mutter zu gefallen, aufgehört hatte, jeden kleinen seltsamen Gedanken auszusprechen und angefangen hatte, so zu tun, als ob sie normal sei.
Zoe schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Das war mehr als fünfundzwanzig Jahre her. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken.
Sie sah aus ihrem Fenster auf die Skyline von Bethesda, richtete ihren Blick wie immer präzise in die Richtung von Washington, D.C. aus. An dem Tag, an dem sie den Mietvertrag unterschrieben hatte, hatte sie herausgefunden, wie sie in die richtige Richtung sah, hatte mehrere örtliche Wahrzeichen bemerkt, die sich wie zu einem Kompass aufreihten. Es war nicht aus politischen oder patriotischen Gründen, sie mochte einfach die Art, wie sie zusammenpassten und auf der Landkarte eine perfekte Linie bildeten.
Es war dunkel draußen und sogar die Lichter in den anderen Gebäuden um sie herum wurden allmählich ausgemacht. Es war spät, spät genug, um alles zu erledigen und ins Bett zu gehen.
Zoe machte ihren Laptop an und tippte rasch ihr Password ein, öffnete ihr Emailpostfach, um zu sehen, ob es etwas Neues gab. Die letzte Aufgabe ihres Tages. Einige Mails konnte sie schnell löschen – Junkmail, vorwiegend Mitteilungen über Ausverkäufe von Marken, von denen sie nie etwas gekauft hatte und Gaunereien vorgeblicher nigerianischer Prinzen.
Nachdem sie den Junk gelöscht hatte, gab es nur noch einige Mails, die sie lesen und dann entfernen konnte, Botschaften, auf die keine Antwort erwartet wurde. Aktualisierungen von Social Mediaseiten, die sie selten besuchte und Newsletter von Websites, denen sie folgte.
Eins war etwas interessanter. Eine Nachricht von ihrem Online Dating Profil. Eine kurze, aber süße Nachricht – irgendein Typ, der nach einer Verabredung fragte. Zoe klickte sich zu seiner Seite durch und betrachtete seine Bilder, zog ihn in Erwägung. Sie ermittelte schnell seine tatsächliche Größe und war angenehm überrascht, dass sie mit dem übereinstimmte, was er in seine Angaben geschrieben hatte. Vielleicht jemand, der tatsächlich ehrlich war.
Die nächste Mail war noch interessanter, aber trotzdem war Zoe nicht danach, sie gleich zu lesen. Sie war von ihrer Mentorin und früheren Professorin, Dr. Francesca Applewhite. Sie konnte sich auch so vorstellen, um was die Professorin sie bitten würde und dass es ihr nicht gefallen würde.
Zoe seufzte und öffnete die Mail trotzdem, um das Unvermeidliche hinter sich zu bringen. Dr. Applewhite war brillant, die Art Mathematikerin, die sie in ihren Träumen immer hatte sein wollen, bis sie begriff, dass sie ihre Talente im Polizeidienst nutzen konnte. Francesca war auch der einzige andere Mensch, der wusste, auf welche Art ihr Gehirn arbeitete – die Synästhesie, die Hinweise in ihrem Gehirn in sichtbare Zahlen und dann Informationen verwandelte. Der einzige Mensch, den sie genug mochte und dem sie genug vertraute, um darüber zu reden.
Dr. Applewhite war diejenige gewesen, die sie überhaupt erst auf das FBI gebracht hatte. Sie schuldete ihr viel. Aber das war nicht der Grund, aus dem sie zögerte, ihre Email zu lesen.
Hi Zoe, stand in der Mail. Ich wollte nur fragen, ob Du die Therapeutin kontaktiert hast, die ich vorgeschlagen hatte. Konntest Du schon einen Termin ausmachen? Lass mich wissen, wenn Du Hilfe brauchst.
Zoe seufzte. Sie hatte die Therapeutin nicht kontaktiert und wusste eigentlich nicht, ob sie es tun würde. Sie schloss die E-Mail, ohne zu antworten, stufte sie auf eines der morgen anzugehenden Probleme zurück.
Euler sprang auf ihren Schoß, war offensichtlich mit dem Abendessen fertig und begann, zu schnurren. Zoe streichelte ihn erneut, sah auf ihren Bildschirm, überlegte.
Pythagoras miaute empört über die Vernachlässigung und Zoe sah ihn mit einem liebevollen Lächeln an. Es war nicht unbedingt ein Zeichen, aber es reichte, um sie tätig werden zu lassen. Sie kehrte zu der vorherigen Mitteilung von der Datingseite zurück und tippte eine Antwort, bevor sie es sich überlegen konnte.
Ja, ich würde mich gerne treffen. Wann passt es Dir? – Z.
***
„Nach dir“, sagte er lächelnd und deutete auf den Brotkorb.
Zoe erwiderte das Lächeln und nahm ein Stück Brot, berechnete in Gedanken automatisch die Breite und Höhe jedes Stücks, um eines zu wählen, das irgendwo in der Mitte lag. Sie wollte nicht zu gierig aussehen.
„Also, was machst du, John?“ fragte Zoe. Es war einfach genug, die Unterhaltung auf diese Art zu beginnen – sie war schon auf genügend Verabredungen gewesen, um zu wissen, dass es die Standardeinleitung war. Außerdem war es immer eine gute Idee, sicherzustellen, dass er einen guten Verdienst hatte.
„Ich bin Anwalt“, sagte John und nahm auch ein Stück Brot. Das größte Stück. Um die 300 Kalorien. Er würde halb satt sein, bevor der Hauptgang serviert wurde. „Ich habe meistens mit Eigentumsstreitigkeiten zu tun, also gibt es zwischen deiner und meiner Arbeit nicht viele Überschneidungen.“
