Gestaltpädagogik im transnationalen Studium -  - E-Book

Gestaltpädagogik im transnationalen Studium E-Book

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Beschreibung

Verschiedenartigkeit gehört heute immer mehr zur Alltagserfahrung im Bereich privaten und beruflichen Handelns und erfordert Verständigungsbereitschaft, Offenheit, Selbstrelativierung und Neugierverhalten: zugleich wichtige Bestandteile interkultureller Kompetenz. Das Buch lässt den Leser teilhaben an der Erfahrung, wie Heterogenität als bereichernde Vielfalt erlebt und als Anstoß für Entwicklungsprozesse der Persönlichkeit genutzt werden kann. Zehn Hochschullehrer aus sieben Ländern und aus unterschiedlichen Fakultäten entwickeln eine Sequenz von Intensiv-Seminaren für das gemeinsame Lernen ihrer Studierenden. Kreative Formen der Begegnung und gemeinsame Arbeit an biografischen Erfahrungen schaffen die Voraussetzung dafür, dass am Fremden das Eigene als Besonderes erlebt und reflektiert werden kann. Die Autoren: Tamara Bučková (CZ), Ilse Bürmann (DE), Jörg Bürmann (DE), Mária Daňová (SK), Stanko Gerjolj (SL), Ute Kienzl (AT), Ivica Kolečáni Lenčová (SK), Olga Ogurcova (LV), Ingrid Schweiger (AT), Wiktor Żłobicki (PL)

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Seitenzahl: 382

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EHP – Edition Humanistische Psychologie

Hg. Anna und Milan Sreckovic

„Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.“

HerausgeberInnen

Jörg Bürmann (DE)

Dr. phil., Professor für Hochschuldidaktik a. D., Universität Mainz (Lehrtherapeut und Ausbilder in Gestaltpädagogik, Supervision und Gestalttherapie)

Ilse Bürmann (DE)

Dr. phil., Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft i. R., Universität Osnabrück (Gestaltpädagogin und Gestalttherapeutin)

Ute Kienzl (AT)

Mag., Lehrerin i.R. für Physik/Mathematik an der Modellschule Graz (Gestaltpädagogin und Supervisorin)

© 2014 EHP - Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbachwww.ehp-koeln.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagentwurf: Gerd Struwe, Uwe Giese

– unter Verwendung eines Bildes (Ausschnitt) von Dorothea Cyran-Daboul: ›Untitled‹ –

Satz: Edgar David Kienzl

Gedruckt in der EUAlle Rechte vorbehalten

All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

print-ISBN 978-3-89797-090-8epub-ISBN 978-3-89797-600-9pdf-ISBN 978-3-89797-601-6

eBook-Herstellung und Auslieferung:Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhaltsverzeichnis

Ilse und Jörg Bürmann (DE): Einleitung

Teil I: Theoretische Beiträge zu den Grundlagen des Erasmus-Projekts

Ilse Bürmann (DE): Zur Aktualität der Humanistischen Psychologie für die Pädagogik

Jörg Bürmann (DE): Gestaltpädagogik als Brücke zum Fremden

Wiktor Żłobicki (PL): Auf der Suche nach den philosophischen Inspirationen der Gestaltpädagogik

Ivica Kolečáni Lenčová (SK): Gestaltpädagogik und Fremdsprachenlernen

Tamara Bučková (CZ): Dramapädagogik und gestaltpädagogische Methoden im Fremdsprachenerwerb und in der interkulturellen literarischen Kommunikation

Mária Daňová (SK): Medienvielfalt und Medienfunktion in der Gestaltpädagogik

Stanko Gerjolj (SI): Identitätsarbeit in postkommunistischen Gesellschaften - Aufgaben und Chancen einer bibelorientierten Gestaltpädagogik

Teil II: Konzepte der Lehrenden und Reflektionen der Teilnehmer

Ute Kienzl (AT): Das Erasmus Intensivprogramm „Humanistische Pädagogik, Heterogenität und Persönlichkeitsbildung“ 2010 - 2013

Ivica Kolečáni Lenčová (SK): Fünf Meilensteine auf dem Weg zur Gestaltpädagogik

Ilse Bürmann (DE): Persönlichkeitsentwicklung als Schwerpunkt meiner Seminarleitung

Patricija Kožuh (SI): „Humanistische Pädagogik, Heterogenität und Persönlichkeitsentwicklung“ - Przesieka 2012

Malgorzata Sobecki (DE/PL): „Gestaltpädagogik als Brücke zum Fremden“ Erfahrungsbericht– Przesieka 2012

B. L. (AT): Und jetzt: Reflexion! (Grundkurs: April 2012, Przesieka, PL)

Stanko Gerjolj (SI): Die spirituelle Dimension gestaltpädagogischer Persönlichkeitsentwicklung als Schwerpunkt meiner Gruppenleitung

X. Y. (PL): Reflection work (Wroclaw 2011)

T. S. (AT): Reflektionsarbeit - Celje 2013

Monika Hagenhoferová (CZ): Abschlussreflexion zum Erasmus Intensivprogramm

Ute Kienzl (AT): Was mir als Seminarleiterin wichtig ist

Mateja Centa (SI): Personal reflection: Journal (Celje, 24. 3. - 6. 4. 2013)

Daniela Teplanová (SK): Selbstreflexion (Przesieka n/ Jelenia Góra, Polen 2012)

Eva Škufca (maiden name Markovič) (SI): final report (Hirschegg /Maria Lankowitz 2011)

Ingrid Schweiger (AT): Was mir am Herzen liegt: Menschen kommen und begegnen sich

Olga Ogurcova (LV): Meine Erfahrungen als Co-Leiterin

Martina Vykouková (CZ): Aufbaukurs I (Celje, Slowenien 24.03. - 06.04.2013)

AutorInnenverzeichnis

Basisliteratur zur Gestaltpädagogik – Positionen und Perspektiven

Ilse und Jörg Bürmann (DE)

Einleitung

In diesem Buch stellen wir Vorbedingungen, Intentionen, Reflexionen und Erfahrungen dar aus unserem dreijährigen Projekt „Humanistische Pädagogik, Heterogenität und Persönlichkeitsbildung“, das im Rahmen des Erasmus-Programms der Europäischen Kommission von 2010 – 2013 durchgeführt wurde.

1. In seiner Zielsetzung und seinem methodischen Ansatz war dieses Projekt an der „Gestaltpädagogik“ orientiert, einem humanistisch-pädagogischem Ansatz mit über 50jähriger Tradition.1 Dieser Ansatz zielt darauf ab, pädagogische Professionalität auf der Basis der Arbeit an der Persönlichkeit des Lehrenden weiter zu entwickeln. Der Aufbau von Selbstkompetenz, sozialer Kompetenz und einer prozessorientierten und kreativen didaktischen Kompetenz wird in ihm durch biografische Selbsterfahrung fundiert und mit einer Kultivierung der Wahrnehmung nach innen und außen in aktuellen und experimentellen Situationen verbunden. Dabei kommt der Aufmerksamkeit für Gefühle und Körperwahrnehmungen eine zentrale Rolle zu. Ziel ist es, die so gewonnenen Erfahrungen und Fähigkeiten zur Anregung kreativer und emotional involvierter „persönlich bedeutsamer“ Lernprozesse2 zu nutzen und die angehenden Pädagogen für ein Prozess begleitendes, offenheitstolerantes Vorgehen zu qualifizieren.

Dieser hoch individualisierte und zugleich auf das Lernen in der Gruppe gerichtete Ansatz erschien der Projektgruppe geeignet für die Entwicklung von Kompetenzen im Umgang mit Heterogenität. Denn die Steigerung der Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung unter Einbeziehung von Gefühlen fördert Empathie-Entwicklung und Verstehensprozesse und lehrt einen produktiven Umgang mit Widerständen und Irritationen sowie vor allem auch Offenheit anderen Menschen gegenüber und Interesse an deren Andersheit.

Was den Kern unserer Projektgruppe bestärkte, dieses mit vielfältigen Belastungen verbundene transnationale EU-Projekt in Angriff zu nehmen und bis zu dieser auswertenden Veröffentlichung durchzutragen, waren die ermutigenden Erfahrungen aus unserem langjährigen Comenius-Projekt „Gestaltpädagogik als Brücke zum Fremden“ (1997 bis heute von der EU gefördert) und zwar:

• die durchweg positiven Evaluationsergebnisse,

• die bestärkten Überzeugungen, mit dieser „west-östlichen Brücke“, die zu bauen sich durch die Zusammensetzung der Teilnehmer als Aufgabe nach der Aufhebung der Teilung Europas als vorrangig ergab, ein Stück Versöhnungs- und Friedensarbeit im Kleinen zu leisten (saßen doch die Kinder und Enkel von Kriegsgegnern beider Weltkriege, von Tätern und Opfern, in einer Gruppe beisammen) und nicht zuletzt

• der Wunsch, die geknüpften menschlichen Beziehungen fortzuführen und die an ihren unterschiedlichen Universitäten breitenwirksamen Hochschullehrer in der Umsetzung der im Comenius-Projekt gemachten Erfahrungen und erworbenen Kompetenzen zu unterstützen.

Nicht zuletzt – und das möchten wir an dieser Stelle betonen – war es die Bereitschaft unserer langjährigen Koordinatorin des Comenius-Projekts, Ute Kienzl (AT), die umfassende Aufgabe der Antragstellung, Koordination, Berichterstattung und Abrechnung auch für das Erasmus-Projekt zu übernehmen, ohne deren engagierten und verlässlichen Einsatz beide Projekte von uns nicht hätten durchgeführt werden können.

Das in diesem Buch für den Leser erschlossene Projekt einer „Humanistischen Pädagogik“ mit den Schwerpunkten Umgang mit „Heterogenität“ und der - aus unserer Sicht dazu grundlegenden - „Persönlichkeitsbildung“ des Lehrers stellt also zum einen eine Fortführung unserer Arbeit dar an einer „Brücke zum Fremden“ und an dem Aufbau der hierzu notwendigen Lehrerkompetenzen, solche Brücken zu den ihnen immer „fremder“ werdenden Schülern für sich selbst zu gestalten. Zum anderen weiten wir damit unsere Zielgruppe auf Studierende aus (Lehrer, Sozialarbeiter, Sprach- und Kulturwissenschaftler, Psychologen und Theologen) und zum dritten rückt unsere Projektarbeit und die darin angestrebte Kompetenzentwicklung näher an die vorfindlichen Strukturen und Erwartungen der Pflichtmodule der jeweiligen beteiligten Hochschulen heran.

Aus diesen Rahmenbedingungen für unsere Arbeit ergaben sich für das Erasmus-Projekt veränderte Erwartungen, Aufgaben und Anforderungen, die in ihrer Bedeutung von uns z. T. erst im Laufe der Projektarbeit erfahren und gemeinsam reflektiert werden konnten.

Die Unterschiede zwischen dem Comenius-Projekt und dem Erasmus-Intensivprogramm wurden von der Projektgruppe nach den Erfahrungen zweier Durchgänge in folgendem gesehen: Die Studierenden haben gegenüber den praktizierenden Lehrern eine andere Einstellung zu Lernfortschritten und erwarten einen gestuften Kompetenzaufbau. Ferner ist Heterogenität ihnen vom universitären Milieu her eher geläufig und kein sie stark bewegendes Thema mehr. Auch haben die in unseren Erasmus-Seminaren vertretenen Länder eine relativ große kulturelle Nähe zueinander.

Die Comenius-Lehrerinnen haben (auch gegenüber ihrer Berufsgruppe) ein anderes Interesse an der Weitergabe ihrer persönlichen und beruflichen Erfahrungen, während die Erasmus-Studierenden eher „etwas geboten bekommen“ wollen, einen „Input“ für die eigene Entwicklung, aber auch für eine theoretische Standortbestimmung. In der freien Zeit verhalten sie sich eher als peer group als dass sie sich – wie die Comenius-Lehrerinnen – als Kolleginnen verstehen und den Austausch mit den Gruppenleitern suchen.

Die Zielsetzung für die Gruppenarbeit im Erasmus-Projekt insgesamt unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der des Comenius-Projekts und lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. Es ging den Lehrenden – bei allen unterschiedlichen Schwerpunkten – darum,

• eine vertiefte wertschätzende Begegnung von Studierenden und Dozenten aus verschiedenen europäischen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen und historisch-kulturellen Traditionen zu ermöglichen,

• nationale Heterogenität in der Gruppe als eine bereichernde persönliche Erfahrung kennen zu lernen, die zugleich eine pädagogische Ressource darstellt,

• die Erfahrung zu ermöglichen, dass familien- und bildungsbiographische Grundthematiken trotz individueller und kultureller Unterschiede einen gemeinsamen, verbindenden Erfahrungshorizont darstellen,

• die Einsicht zu vermitteln, dass eine durch biographische Selbstreflexion in die Zukunft geöffnete Persönlichkeitsentwicklung mit der Herausbildung pädagogischer Professionalität aufs engste verbunden ist,

• Erfahrungsräume und experimentelle Situationen mit kreativen Methoden zu eröffnen, um das persönliche pädagogische Methodenrepertoire zu erweitern und das individuelle pädagogische Profil zu schärfen,

• Sensibilität für Gruppenprozesse und Wahrnehmungsfähigkeit nach innen wie nach außen zu fördern und dabei insbesondere den eigenen Gefühlen wie denen der Gruppenmitglieder Beachtung zu schenken,

• Grundkonzepte und Methoden der Humanistischen Pädagogik auf der Basis konkreter Erfahrungen sowohl modellhaft zu erfahren als auch in ihren theoretischen Bezügen kennen zu lernen.

Über den Erfolg unserer Arbeit in den drei 14tägigen Intensivseminaren (2011 – 2013) zu urteilen ist nicht leicht und dürfte nach individuellen Erfahrungen und der Perspektive des Urteilenden unterschiedlich ausfallen, zumal eine methodisch anspruchsvolle Evaluation ohne gesonderte Ressourcen parallel nicht zu leisten war.

Daher haben wir uns entschieden, einen großen Teil der Erfahrungsberichte der teilnehmenden Studenten (10 von bis heute etwa 40 eingegangenen “Reflektorischen Abschlussarbeiten“) weitgehend ungekürzt in diesen Band aufzunehmen. Die Beiträge in diesem Band können - an Stelle einer zielbezogenen Evaluation - auf ihre Weise Auskunft geben über die Gedanken und Erfahrungsprozesse, die im Zusammenhang der Arbeit mit dem gestaltpädagogischen Ansatz im Erasmus-Projekt (und darüber hinaus) stehen oder einen solchen Zusammenhang herstellen. Gerade die studentischen Erfahrungsberichte enthalten eine Dokumentation der „Ergebnisse“ des Programms aus subjektiver Sicht. Die Beiträge in diesem Buch spiegeln gemäß dem Prinzip „Heterogenität und Vielfalt in der Gemeinsamkeit“ vieles von der Struktur der Zusammenarbeit der Projektgruppe, die sich immer wieder als ein Balanceakt zwischen der Arbeit an einem Konsens und der Vereinheitlichung von Vorgehensweisen sowie andererseits an der Akzeptanz von Unterschiedlichkeit darstellte.

2. Zum Aufbau des Buches:

Das Buch gegliedert sich in einen eher theoretischen und einen eher dokumentarischen Teil. Der erste Teil enthält Beiträge der Mitglieder der Projektgruppe, in denen diese ihre Grundhaltungen und Wertorientierungen und ihre Erfahrungen mit Gestaltpädagogik mit Ausschnitten sehr unterschiedlich geprägter philosophischer, psychologischer, pädagogischer, und (fach-)didaktischer Theorietraditionen und Reformansätze in Verbindung bringen. Die Unterschiedlichkeit dieser Beiträge ist im wesentlichen bestimmt durch die jeweiligen nationalen, fachwissenschaftlichen und institutionellen Kontexte der in unserem Projekt kooperierenden Hochschullehrer.3 Die damit in Zusammenhang stehenden unterschiedlichen Wege, Humanistische Pädagogik und Gestaltpädagogik einerseits auf bestehende jeweilige fachwissenschaftliche Diskurse, andererseits auf akademische Studienstrukturen und aktuelle Reformbestrebungen vor Ort zu beziehen und zu diskutieren, verdeutlichen die Vielfalt der für unser Projekt konstitutiven Bezüge und handlungspraktischen Kontexte, in denen die einzelnen Dozenten stehen. Sie lassen aber ebenso die Überschneidungen und Gemeinsamkeiten in europäischen Theorietraditionen und didaktischen Reformbemühungen erkennen und sie zeigen das je individuelle inhaltliche Profil und spezifische Engagement der Autoren.

Zu den Beiträgen im Einzelnen:

Ilse Bürmann (DE) wendet sich der Frage nach der „Aktualität der Humanistischen Psychologie für die Pädagogik“ zu. Sie rekonstruiert deren historische Entwicklung und ihre Grundprinzipien als bedeutenden und bis heute wirkungsmächtigen Paradigmenwechsel in Psychologie und Psychotherapie. Zugleich arbeitet sie am Beispiel der Ansätze von Carl Rogers, Ruth Cohn und Fritz Perls deren Bedeutung für die Pädagogik heraus und diskutiert die Leistungen, aber auch die Probleme einer pädagogischen Rezeption der humanistisch-psychologischen Ansätze.

Jörg Bürmann (DE) entwickelt in seinem Beitrag „Gestaltpädagogik als Brücke zum Fremden“ grundsätzliche Überlegungen zum Thema Heterogenität in ihren vielfältigen Dimensionen. Vor diesem Hintergrund beschreibt er das Prinzip der „Verständigung durch Begegnung“ als Bedingung und Aufgabe der Arbeit in den EU-Projekten. In einem weiteren Schritt entwickelt er die anthropologischen Prämissen des Gestaltpädagogischen Ansatzes und beschreibt dessen Grundprinzipien im Hinblick auf eine Qualifizierung von Pädagogen zum Umgang mit Heterogenität.

Der Beitrag von Wiktor Żłobicki (PL) zieht Verbindungslinien zu philosophischen Hintergründen der Gestaltpädagogik. Er stellt einen Ausschnitt dar aus seiner Habilitationsschrift4 an der Philosophischen Fakultät der Universität Wroclaw. Die aus dem einleitenden Kapitel für diesen Band ausgewählten Abschnitte zum Buddhismus und zur Existenzphilosophie und deren Rezeption im philosophischen Diskurs in Polen zeigen Parallelen von diesen philosophischen Richtungen auf zu Grundannahmen der Gestaltpädagogik. Diese fanden ja auch über die Rezeption von Fritz Perls Eingang in die von ihm entwickelte Gestalttherapie. Meditativ-spirituelle Praktiken und eine existentielle Grundhaltung haben in vielfältigen Facetten Eingang auch in gestaltpädagogische Konzepte gefunden.

Ivica Kolečáni Lenčová (SK) behandelt in ihrem Beitrag die Möglichkeiten eines gestaltpädagogischen Zugangs zur Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache. Sie arbeitet die Kompatibilität der Ziele und Methoden des gestaltpädagogischen Ansatzes mit aktuellen schul- und unterrichtsbezogenen Reformbestrebungen in der Slowakischen Republik heraus. Die Grundprinzipien einer gestaltpädagogischen Didaktik veranschaulicht sie mit Beispielen aus ihrer Arbeit in der Ausbildung von Deutschlehrern, in denen sie mit kurzen Literaturtexten (Gedichte, Parabeln) kreative Eigenaktivitäten initiiert.

Sie betont die Notwendigkeit, die Lehrpersonen für die Begleitung von kreativen und persönlich bedeutsamen Lernprozessen durch Weiterbildungen zu qualifizieren und plädiert dafür, die Möglichkeiten einer gestaltpädagogischen Aus- und Fortbildung von Fremdsprachenlehrern auch institutionell zu verankern.

Tamara Bučková (CZ) zeigt in ihrem Beitrag Möglichkeiten einer Zusammenführung dramapädagogischer und gestaltpädagogischer Methoden auf, die sie im Rahmen der Ausbildung von Lehrern an der Universität Prag im Bereich der Fremdsprachendidaktik entwickelt hat. Mit begriffsklärenden und theoriebezogenen Erläuterungen liefert sie Begründungszusammenhänge für ihren Ansatz, fremdsprachige Kinder- und Jugendliteratur dramatisierend zum Gegenstand und Ausgangspunkt mehrdimensionaler, auch die eigenen Erfahrungen der Studierenden berührender Lernprozesse werden zu lassen. Das Potential ihres Ansatzes veranschaulicht sie mit der Darstellung eines mehrstufigen Projekts zu Texten von Renate Welsh.

Mit Blick auf die Didaktik des Deutschen als Fremdsprache zeigt Mária Daňová (SK) auf, dass der Begriff der Unterrichtsmedien weit über den – oft im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden – Kreis der technischen Medien hinausgehend verstanden werden kann und alles umfasst, was im Prozess der Begegnung von Person und Sache (Inhalt) relevant werden kann – vom kreativen Selbstausdruck der Lernenden über Handlungsmedien (Rollenspiel, Pantomime) bis zu allen Materialien, die im Prozess der Symbolisierung von Erkenntnisaspekten eingesetzt werden können. Am Beispiel der Arbeit mit Münzen aus dem Seminar in Celje verdeutlicht sie, dass sich der Begriff des Unterrichts-Mediums nicht aus den eingesetzten Objekten selbst, sondern erst aus ihrer tatsächlichen Funktion im Aneignungsprozess der Lernenden bestimmen lässt – was der Kreativität der Erfindungen und des Einsatzes von „Medien“ einen schier grenzenlosen Raum eröffnet.

Stanko Gerjolj´s (SI) theologisch-pädagogisches Engagement ist - als Priester und Hochschullehrer - auf die intergenerative Begleitung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in ihren konfliktreichen Entwicklungsprozessen gerichtet. In seinen Ausführungen zu Aufgaben und Chancen einer gestaltpädagogischen Bibelarbeit stellt er diese Entwicklungsbegleitung in den Rahmen der keineswegs abgeschlossenen Entwicklung der slowenischen Gesellschaft als einer postkommunistischen Übergangsgesellschaft. Die den Kommunismus kennzeichnende Traditionsverleugnung und ideologische Verurteilung der Vergangenheit einschließlich der Verwerfung der religiösen Überlieferung wie der Kenntnis und Beziehung zur Geschichte haben in seiner Sicht die Verarmung von sinnstiftenden Bezügen und persönlichen Beziehungen zur Folge. Diese wirken sich auch heute noch schwerwiegend auf die Identitätsprobleme der Subjekte und die intergenerationalen Beziehungen aus.

Gestaltpädagogische Bibelarbeit könne hier die wichtige Aufgabe erfüllen, existentielle Grundfragen aufzuwerfen und im Medium alttestamentarischer Mehrgenerationen-Familiengeschichten hierzu eine generationsübergreifende Einsicht und Verantwortung zu entwickeln.

Der zweite Teil des Buches ist eher dokumentarisch und enthält - wie bereits erwähnt - ausgesuchte selbstreflexive Erfahrungsberichte von teilnehmenden Studierenden des Erasmus-Programms. Zum anderen enthält es selbstreflexive Texte der jeweiligen Gruppenleiter zu ihren handlungsleitenden Prinzipien und pädagogischen Grundorientierungen. Diesen Texten folgen i. d. R. jeweils drei Berichte von Studierenden, die an einer der von ihnen geleiteten Gruppen teilgenommen haben, so dass die Bezüge zwischen den Erfahrungen und den Prinzipien der Gruppenleitung einsichtig werden können. Die Texte der verantwortlichen Gruppenleiter offenbaren relativ ungeschützt und ohne Seitenblick auf wissenschaftsbezogene Legitimationen die jeweiligen subjektiven Überzeugungen und methodischen Schwerpunktsetzungen in ihrer Lehre und deren persönliche, erfahrungshaltige Begründungen. Gemeinsam ist den Leitern die Orientierung an den humanistisch-pädagogischen Grundhaltungen der Offenheit und Wertschätzung, der Respekt vor Andersheit, die Bereitschaft zu nicht hierarchischer Kommunikation und das Bemühen um flexible Prozessgestaltung. Andererseits bestehen Unterschiede vor allem im Ausmaß der Bereitschaft zu biografischer Tiefung sowie in der Ausrichtung auf die Transferierbarkeit in den pädagogischen Alltag. Dadurch wird der biografischen Arbeit, dem kreativen methodischen Repertoire, dem Gruppenprozess, aber auch den fachlichen und religiös-existentiellen (Stanko Gerjolj) Bezügen ein jeweils unterschiedlicher Stellenwert zugewiesen. Bedingt ist diese Differenz über die Individualität der Personen und ihre spezifischen Kompetenzen wiederum durch die jeweils unterschiedlichen institutionellen Kontexte, denen die Gruppenleiter an ihren Herkunftsorten eingebunden sind (oder waren).

Die jeweils zugeordneten studentischen Erfahrungsberichte („Reflektorischen Abschlussarbeiten“) sind Bestandteile des gestaltpädagogischen Qualifizierungsprozesses der Studierenden. Die schriftliche Versprachlichung von emotional involvierten Erlebnissen und Erfahrungen, denen von den Teilnehmern selbst pädagogische, biografische und/oder existentielle Bedeutung zugeschrieben wird, stellen eine den Lernprozess abrundende eigenständige Integrationsleistung dar. Sie geben Einblicke in Mikroprozesse von Persönlichkeitsentwicklung und in Situationen in der Gruppenarbeit, die diese in Bewegung brachten. Alle veröffentlichten Teilnehmerarbeiten wurden in der vorliegenden Form von den Autoren freigegeben (z. T. allerdings anonymisiert). Einzelne Texte wurden um rein referierende oder gedanklich unklar bleibende Passagen gekürzt und sprachlich leicht geglättet. Denn alle Teilnehmerberichte wurden – wie auch veröffentlicht – auf Deutsch oder Englisch geschrieben, d. h. in aller Regel nicht in der eigenen Muttersprache.

Die jeweilige Auswahl der Berichte folgte einerseits formalen Kriterien: es sollten alle teilnehmenden Länder/Institutionen vertreten sein und es sollte andererseits die Arbeit der hauptverantwortlichen Gruppenleiter durch i. d. R. jeweils drei Teilnehmerreflexionen widergespiegelt werden. Andererseits wurden als inhaltliche Kriterien für die Auswahl vor allem das Niveau der Erfahrungsreflexion und die hergestellten Bezüge zu deren Relevanz für die professionelle Entwicklung als Pädagoge herangezogen. Wichtig war uns ferner die Dichte der situativen Beschreibungen und die Erkennbarkeit eines Zusammenhangs zwischen den entstehenden Selbsteinsichten und dem Geschehen in der Gruppe.

Gestützt auf die schriftlichen Teilnehmeraussagen, die in den Reflektorischen Abschlussarbeiten der drei Durchgänge insgesamt enthalten sind, - ergänzt durch viele mündliche Rückmeldungen, können wir den Ertrag unseres gestaltpädagogischen Weiterbildungsangebotes im Blick auf die Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit und auf die Kompetenzentwicklung im Umgang mit Heterogenität in folgenden Aspekten erkennen:

• in der Erweiterung fremdsprachlicher Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit, durch die Exploration ungewohnter Themenbereiche (in Deutsch oder Englisch),

• in der gewachsenen Bereitschaft, sich durch die Mühen sprachlicher Verständigung zum Verstehen des Anderen hindurchzuarbeiten,

• in der Erfahrung, dass „Verstehen“ des Andern eine emotionale Basis hat und eine respektvolle Beziehung voraussetzt,

• in der Offenheit, sich auf Fremdheiten einzulassen und Vorurteile zu revidieren, (so dass aus merkwürdigen Unbekannten bedeutsame Freunde werden können - eine Basisqualifikation für Pädagogen in der Arbeit mit Minderheiten und Migranten),

• in der Erfahrung der Bedeutung von Gefühlen in Prozessen der Ausgrenzung und der Zugehörigkeit, in ihrer basalen Funktion für Lernmotivation bzw. Lernverweigerung und in ihrer Verlaufskurve in Erkenntnisprozessen,

• in den erweiterten Möglichkeiten, Gefühle und körperliche Reaktionen bei sich selbst und bei anderen wahrzunehmen, über sie sprachfähig zu werden und sie in ihrer Relevanz für Bildungs- und Erkenntnisprozesse zu diskutieren.

Die biografischen Erfahrungen und Reflexionen, so zeigen die Berichte, erstrecken sich auf Themen, die zugleich grundlegende Einsichten für Pädagogen ermöglichen, da sie sich auf die „Innensicht“ der Probleme des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen beziehen. So konnte die Bedeutung von Sicherheit und Geborgenheit in der Kindheit ebenso wie die Bedeutung abwesender oder kranker Eltern erfahren werden oder der Zusammenhang von Geschwisterbeziehungen zum eigenen Verhalten in Gruppen.

Auch die Bedeutung früher Erfahrungen in Kindergarten und Schule, von Kränkungen und Demütigungen durch Lehrer und deren langfristige Auswirkungen auf Fachpräferenzen und Studienentscheidungen konnten in der biografischen Arbeit in der Gruppe hautnah nach- oder miterlebt werden. Zudem konnten Erfahrungen, die zum Themenkomplex Ablösung und Versöhnung mit den Eltern gehören, in ihrer Bedeutung für die Bereitschaft zur Annahme der Aufgabe als Lehrer und Erzieher (Einnahme einer neuen Position im Generationenverhältnis) erfasst werden. Derartige Erkenntnisse und Erfahrungen von Zusammenhängen (die im Studium allenfalls abstrakt Erwähnung finden), konnten in unseren Intensivkursen - begleitet durch hierfür speziell weitergebildete Gruppenleiter - als persönliche Einsichten formuliert werden. Sie konnten in der begleiteten Reflexion in der Lerngruppe in ihrer Relevanz für Bildungsprozesse erkannt und in vielerlei theoretische Bezüge eingeordnet werden.

In dieser Hinsicht stellen die gestaltpädagogischen Intensivseminare des Erasmus-Projekts für angehende Pädagogen eine außerordentlich vielschichtige und tiefgehende Lerngelegenheit dar, wenngleich von den Teilnehmern deren Chancen nicht immer gleichermaßen genutzt werden können und auch die Gruppenarbeit selbst der Fragilität sozialer Prozesse nicht immer entgehen kann. Die Lernebene, die erreicht werden kann und deren Beschreibung immer fragmentarisch bleibt, ist die der biografischen Dispositionen und erfahrungsfundierten Handlungsorientierungen. Auf sie kann nicht auf direktem Weg - durch gezielte Unterweisung - Einfluss genommen werden, sondern nur mit Anstößen für einen offenen, mehrdimensionalen Entwicklungsprozess.

Teil I: Theoretische Beiträge zu den Grundlagen des Erasmus-Projekts

Ilse Bürmann (DE)

Zur Aktualität der Humanistischen Psychologie für die Pädagogik

1. Vorbemerkung

Im Folgenden thematisiere ich nicht nur Fragen der Beziehung der Humanistischen Psychologie zur Pädagogik, sondern immer zugleich auch meine eigene Beziehung zu beidem. Damit wird nur etwas expliziter, was aus erkenntnistheoretischer Sicht eigentlich immer geschieht, wenn ein Subjekt eine Sache oder einen Gegenstand aufzufassen und darzustellen versucht. Die mathematisierende Abstraktion physikalischer Zusammenhänge war in den vergangenen Jahrhunderten bestrebt, das erkennende Subjekt aus den beschriebenen Naturzusammenhängen methodisch zu eliminieren. Sie hat auch in weiten Teilen die Forschung über den Menschen geprägt. Andererseits hat bereits in den 50er Jahren Werner Heisenberg mit Blick auf das „nachklassische“ physikalische Weltbild formuliert:

„Wenn von einem Naturbild der exakten Wissenschaften in unserer Zeit gesprochen werden kann, so handelt es sich eigentlich nicht mehr um ein Bild der Natur, sondern um ein Bild unserer Beziehung zur Natur.“1

Ich betrachte es deshalb als eine forschungsmethodisch bedeutsame Perspektivenerweiterung, sich selbst als Forscher, Erkenntnissubjekt, Autor von Texten oder Vortragende ein Stück weit transparent und damit die eigene Beziehung zum „Gegenstand“ miterkennbar zu machen. Hierfür allerdings müssen die für wissenschaftliche Zusammenhänge geeigneten Formen erst entwickelt werden. Und damit bin ich eigentlich schon mitten in der Darstellung der erkenntnistheoretischen Implikationen der Sicht der Humanistischen Psychologen auf den Menschen als ein Teil der Natur, als Bestandteil des Organismus-Umwelt-Feldes, in seiner interdependenten Kontextualität oder wie die spezifische Begrifflichkeit in einzelnen Ansätzen der Humanistischen Psychologie auch immer geprägt sein mag.

2. Humanistische Psychologie – eine kurze Rekapitulation

Die Humanistische Psychologie ist in den frühen 60er Jahren in den USA als Sammelbewegung von Ansätzen an die Öffentlichkeit getreten, denen das naturwissenschaftliche Forschungsparadigma zur Erkenntnis des Menschen nicht angemessen schien.

Der damals vorfindlichen Polarisierung von Therapieformen in eine vielfach dogmatisch erstarrte Psychoanalyse einerseits und eine am Behaviorismus orientierte „lernpsychologische“ Forschung und Verhaltenstherapie andererseits wollten die Pioniere der Humanistischen Psychologie eine Alternative entgegensetzen. Diese Bewegung verstand sich aber nicht nur als Verbund undogmatischer neuer Therapieformen, sondern trat mit dem Anspruch auf, einen umfassenden Paradigmenwechsel innerhalb der Psychologie einzuleiten, indem diese als lebensgerechtere, menschengerechtere Wissenschaft vom Menschen neu zu begründen und zu entwickeln sei. Sie waren bemüht, eine solche in ersten Umrissen zu entwerfen und verständigten sich auf wertorientierte Grundpositionen mit dem Ziel, auf die menschlichen Lebensverhältnisse auf allen ihren Ebenen humanisierend einzuwirken. Fundamental war dabei die Ausrichtung an einem Menschenbild, das auf dem Zusammenhang von Leib, Seele und Geist besteht, das eine Bindung wissenschaftlichen Forschens über den Menschen an Sinn- und Wertkategorien im Dienste seiner Entfaltung fordert sowie eine Bindung des therapeutischen Handelns an die Respektierung seiner Würde und das ihm innewohnende Aktivitäts- und Entwicklungspotential.

Begriffe wie „Selbstaktualisierungstendenz“ und „organismische Selbstregulierung“ verweisen dabei einerseits auf das Aufgreifen früher biokybernetischer bzw. systemtheoretischer Ansätze (Karl Bühler, Ludwig von Bertalanffy und Kurt Lewin waren wie Kurt Goldstein wichtige Bezugstheoretiker dieser Gruppe). Andererseits erfolgte mit der Einbeziehung der geistigen Dimension des Menschen ein bewusstes Anknüpfen an Geistesgeschichte und philosophische Traditionen; ja, die philosophische Reflexion wurde als notwendige metatheoretische Ebene für fachspezifische Forschung und Praxis eingefordert, nachdrücklich vor allem von Charlotte Bühler. Insbesondere die existentialistischen Strömungen der Nachkriegszeit wurden aufgegriffen und gingen in sehr verschiedener Weise direkt (man denke etwa an Frankls Logotherapie und Existenzanalyse oder an Bugentals und Binswangers Daseinsanalyse) oder indirekt in die verschiedenen klinischen Ansätze ein. Die Orientierung an der Erfahrung, die methodischen Bemühungen um Wege zu möglichst großer Offenheit des Wahrnehmens, Fühlens und Denkens, die Gestaltung der Beziehung zum anderen, speziell zum Klienten als eine nicht hierarchische Begegnung (statt zielorientierter Beeinflussung aus Distanz) - alles dies sind Elemente einer Rückbesinnung des Menschen auf den primären Modus der Teilhabe und Verbundenheit und dessen bewusste Reaktivierung, Kultivierung und Nutzung als Erkenntnisweg wie als Heilungsweg.

Husserls und Merleau-Ponty’s Arbeiten zur Phänomenologie haben hierfür erkenntnistheoretische Grundlagen geschaffen.

Insgesamt versteht sich die Bewegung der Humanistischen Psychologie jedoch vor allem als Aufbruch zu neuen Ufern. Das Hier und Jetzt, die lebendige Aktualität, der primäre Erfahrungsmodus wird programmatisch akzentuiert, während das Dort und Dann zunächst in den Hintergrund tritt.

Das gefühlte Erleben wird gegenüber der reflexiven Distanznahme umfassend aufgewertet und ins Zentrum therapeutischer „Wiederbelebungen“ des unter Selbstentfremdung leidenden Menschen gestellt.

Aus dem Manifest der Humanistischen Psychologie, das auf dem Gründungskongress im Jahre 1962 beschlossen wurde, gehen die programmatischen Intentionen dieser Gesamtbewegung (die mit Namen verbunden ist wie Charlotte Bühler, Ruth Cohn, Erich Fromm, Rollo May, Abraham Maslow, Fritz und Lore Perls, Carl Rogers) deutlich hervor.

1. „Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die erlebende Person. Damit rückt das Erleben als das primäre Phänomen beim Studium des Menschen in den Mittelpunkt. Sowohl theoretische Erklärungen wie auch sichtbares Verhalten werden im Hinblick auf das Erleben selbst und auf seine Bedeutung für den Menschen als zweitrangig betrachtet.

2. Der Akzent liegt auf spezifisch-menschlichen Eigenschaften wie der Fähigkeit zu wählen, der Kreativität, Wertsetzung und Selbstverwirklichung - im Gegensatz zu einer mechanistischen und reduktionistischen Auffassung des Menschen.

3. Die Auswahl der Fragestellungen und der Forschungsmethoden erfolgt nach Maßgabe der Sinnhaftigkeit - im Gegensatz zur Betonung der Objektivität auf Kosten des Sinns.

4. Ein zentrales Anliegen ist die Aufrechterhaltung von Wert und Würde des Menschen und das Interesse gilt der Entwicklung der jedem Menschen innewohnenden Kräfte und Fähigkeiten. In dieser Sicht nimmt der einzelne Mensch in der Entwicklung seines Selbst, in seiner Beziehung zu anderen Menschen und zu sozialen Gruppen eine zentrale Stellung ein.“2

Es gehörte viel Mut dazu, sich als eine Gruppe von individualistischen Außenseitern öffentlich gegen den Mainstream der herrschenden Wissenschaftsauffassung in den Humanwissenschaften und gegen die dominanten psychotherapeutischen Schulen zu wenden. Es bedurfte ebenso sehr der Stärke, nicht in einen neuen Dogmatismus zu verfallen, sondern mit der Vielfalt von Ansätzen und Sichtweisen in den eigenen Reihen offen, dialogisch und kooperativ umzugehen, ohne auf Kritik untereinander zu verzichten.

Die Uneinheitlichkeit des Ansatzes wird von dessen Kritikern nun wieder mit dem Vorwurf der mangelnden Klarheit und vor allem auch mangelnder Präzisierung und Operationalisierbarkeit seiner Begriffe sowie der Unschärfe seiner Grenzen zu außerwissenschaftlichen Erkenntniswegen verbunden.

Anhänger der Humanistischen Psychologie betonen zumeist ihre Bahn brechenden Leistungen auf dem Feld der Psychotherapie. Bevor ich darauf unter pädagogisch-praxisbezogenem Aspekt zu sprechen komme, möchte ich aus wissenschaftsbezogener Perspektive den Beitrag der Humanistischen Psychologie zum Wandel der Selbstauffassung der Humanwissenschaften herausheben. Dieser Wandel geht dahin, dass Naturbild und Menschenbild wieder in einen einheitlichen Zusammenhang eingebettet werden. Die Humanistischen Psychologen haben sich somit als Katalysator für einen Wandel der Sicht auf den Menschen erwiesen, dessen Wirkung sich auch dort entfaltete, wo ein Rückbezug auf diese Richtung nicht explizit erfolgte. Man kann es aber auch andersherum sehen, dass sie ein spezifisches und sich prägnant artikulierendes Moment in einem disziplinenübergreifenden Wandlungsprozess darstellten, der etwa seit der Jahrhundertwende in Gang gekommen ist, sich aber nur in Schüben und Verwerfungen durchsetzen konnte. Als wichtige Momente dieses Wandels möchte ich folgende hervorheben:

• Die Relativierung des forschenden wissenschaftlichen Zugangs zum Menschen als aspekthaft gegenüber der Vielfalt der Erfahrungsrealität des erlebenden Subjekts.

• Die Einbeziehung des Forscher-Subjekts in den Forschungszusammenhang nicht als zu kontrollierende Variable, sondern als unhintergehbaren und unverzichtbaren Teil, der den Forschungsgegenstand beeinflusst und mitbestimmend dafür ist, was an ihm in Erscheinung treten kann. Transparenz und Selbstreflexivität werden zu zentralen Gütekriterien.

• Die Betonung der Unentbehrlichkeit qualitativer Methoden zur Erforschung des Menschen sowie biographischer Zugänge zu seinem Verständnis. (Hier sind als Anstöße vor allem das Eintreten für die Einzelfallstudie sowie die Lebenslaufforschungen von Charlotte Bühler zu nennen).

• Das Aufgreifen von Theorien offener Systeme im Rahmen eines ganzheitlichen Verständnisses des Menschen (nach innen) und im Hinblick auf die Erfassung interdependenter Bezüge nach außen.

• Die Hervorhebung des Aspekts der menschlichen Fähigkeit zur eigenständigen und produktiven Realitätsverarbeitung (gegenüber deterministischer Vorstellungen von der Allmächtigkeit von Sozialisationsbedingungen) ebenso wie die Betonung der menschlichen Intentionalität, Sinn- und Wertgerichtetheit gegenüber Vorstellungen von seiner Determiniertheit durch Bedürfnisse und Triebe.

• Die Annahme eines menschlichen Potentials an Spontaneität und Kreativität, das mit keinen linearen Modellen abzubilden und ebenso wenig vollständig dem Willen unterworfen ist, wie es auch nicht vorausberechnet werden kann.

Diese Positionen und Akzentsetzungen haben sich im aktuellen theoretischen Diskurs wie in der neueren humanwissenschaftlichen Forschungspraxis inzwischen verbreitet durchgesetzt; die Humanistischen Psychologen mussten seinerzeit Abwertungen und Ausgrenzungen dafür hinnehmen.

3. Zur pädagogischen Dimension der Humanistischen Psychologie

In der Pädagogik ist die Humanistische Psychologie vor allem in drei sich berührenden, aber doch wiederum auch klar unterscheidbaren Richtungen wirksam geworden, und zwar zunächst im Konzept der Schülerorientierung (auch Personen- oder Teilnehmerorientierung) unter Rückbezug auf den personenbezogenen Ansatz von Carl Rogers. Dieser ist in vielen Variationen Verbindungen eingegangen mit älteren Traditionen einer „Pädagogik vom Kinde aus“, aber auch mit Vorstellungen von Schülerorientierung als politischem Basiskonzept bis hin zu so radikalen Positionen wie der Antipädagogik eines Hubertus von Schönebeck. Rogers selbst hat seinen Ansatz auf Fragen des Lehren und Lernens bewusst ausgeweitet und hat eine Grenzziehung zwischen Erziehung, Beratung und Therapie in Bezug auf sein Verständnis von „Wachstumsförderung“ grundsätzlich abgelehnt. Rogers’ „Persönliche Gedanken über Lehren und Lernen“ und seine Ausführungen „Über das Lernen und wie man es fördern kann“ zählen in meiner Sicht zu den Perlen unter den Grundlagentexten zur Allgemeinen Didaktik.

In der Erwachsenenbildung und beruflichen Fortbildung ist besonders der Ansatz der themenzentrierten interaktionellen Methode (TZI) von Ruth Cohn pädagogisch wirksam geworden. Sie selbst – von der Psychoanalyse herkommend – hat ihr Konzept programmatisch als eine „Pädagogik für alle“ bezeichnet und versteht sie als eine therapeutisch fundierte, an existentiellen Themen orientierte Gruppen-Pädagogik.

Nachhaltig und vielfältig ist die pädagogische Rezeption der Gestalttherapie unter dem Namen Gestaltpädagogik. Diese setzt vor allem in der beruflichen Weiterbildung an der Persönlichkeitsentwicklung von Pädagogen an und ist darauf ausgerichtet, auf der Basis biographischer Selbsterfahrung und Selbstreflexion das auch pädagogisch hochwirksame Methodenrepertoire der Gestalttherapie in verantwortlicher und situationsangemessener Weise im Unterricht zu erproben. Während also Carl Rogers und Ruth Cohn selbst ihren Ansatz auf den Bereich der Pädagogik ausweiteten bzw. ihn unmittelbar darauf ausrichteten, hat die Gestalttherapie in Paul Goodman einen Pädagogen als Mitgründervater gehabt. Goodman ist allerdings vor allem als radikaler Schulkritiker und Gesellschaftstheoretiker hervorgetreten und hat Fragen der Didaktik in engerem Sinne nicht vorrangig zu seinem Thema gemacht. Dennoch kann man verallgemeinernd sagen, dass die Humanistische Psychologie in einigen ihrer wichtigsten Vertreter ein sehr offenes und engagiertes Verhältnis zur Pädagogik jenseits professioneller Abgrenzungsbestrebungen aufweist. Demgegenüber hat sich die wissenschaftliche Pädagogik mit dieser Richtung nur in seltenen Fällen in einen Dialog begeben (etwa Wolfgang Schulz mit Ruth Cohn, Hartmut von Hentig mit Paul Goodman), sondern sie hat sie oftmals für suspekt erklärt. Vorherrschend war dabei das Interesse, eine Psychologisierung und Therapeutisierung der Pädagogik zu vermeiden und ihre Eigenständigkeit zu betonen, was in der Geschichte der Pädagogik als Wissenschaft ihre nachvollziehbaren Ursachen hat und auch in der Professionalitätsdebatte immer wieder aufscheint.

Unabhängig von dem Verdikt vieler Professoren hat in der pädagogischen Praxis eine lebhafte und vielgestaltige Rezeption dieser Ansätze stattgefunden. Diese hat neben vielen positiven Effekten mitunter auch gesteigerte Grade der Trivialisierung hervorgebracht. Das Aufgreifen der Teilnehmer- oder Schülerorientierung als Bemühung der Lehrenden, die lebensweltlichen Erfahrungen von Schülern ernst zu nehmen und zum Ausgangspunkt (oft auch Gegenstand) des Unterrichts zu machen, ist teilweise so weit gegangen, dass der Ruf nach Herausforderung der Schüler zu Kontrasterfahrungen und Abstraktionsanstrengungen heute kaum mehr als reaktionär gilt. Auch wurden die Rogersschen „Basisvariablen“ für eine hilfreiche Beziehung seit eh und je technizistisch verkürzt. Die TZI ist in so viele Bereiche von Gruppenarbeit eingedrungen, dass einem manches aus diesem gut durchdachten erfahrungsfundierten Ansatz in sehr verwässerter, gelegentlich auch geistlos formalisierter Form entgegentreten kann. Und bei der Gestaltpädagogik hat sich das erlebnisaktivierende Methodenrepertoire in der Rezeption von den vorrangig zu erwerbenden persongebundenen Kompetenzen oftmals abgelöst, so dass ihre Leistungen mitunter als ein bloßer Beitrag zur Kreativitätskonjunktur wahrgenommen werden. Für umso notwendiger halte ich es, die einzelnen Ansätze wie die Humanistische Psychologie insgesamt von ihren wesentlichen Leistungen und wegweisenden Impulsen her zu würdigen und die Formen ihrer Rezeption einer differenzierenden Kritik zu unterziehen.

4. Zur Bedeutung der Humanistischen Psychologie für mich persönlich

4.1 Ich beginne mit dem historischen Kontext ihres Entstehens, verbunden mit den biographischen Erfahrungen der meisten der Hauptvertreter dieser Gruppe.

Bis auf Abraham Maslow, Carl Rogers und Rollo May waren alle führenden Vertreter und Pioniere der Humanistischen Psychologie aus Deutschland bzw. Österreich emigrierte Juden. Das gilt für Ruth Cohn ebenso wie für Erich Fromm, für Fritz und Lore Perls, für Viktor Frankl, Jakob Bugental, Charlotte Bühler oder Bruno Bettelheim, dessen Werk viele Berührungspunkte mit der Humanistischen Psychologie aufweist. Sie haben mit dem Ansatz der Humanistischen Psychologie als Entkommene oder Überlebende des Holocaust und als Psychotherapeuten auf ihre Weise auch eine Antwort zu geben versucht auf die Frage: Was ist der Mensch, und was können wir tun, damit er sich zum Guten hin entwickeln kann? Während Theodor W. Adorno etwa in seiner berühmten Rundfunkrede von 1967 unter dem Titel „Erziehung nach Auschwitz“3 die Auffassung vertritt, nach Auschwitz könne man nicht Liebe predigen oder sich um Liebe bemühen, sondern man müsse seine Anstrengungen darauf richten, „der Kälte zum Bewußtsein ihrer selbst“ zu verhelfen und sich der Erforschung des Seelenlebens der Täter zuwenden, gehen die Pioniere der Humanistischen Psychologie als Psychotherapeuten einen anderen Weg. Sie versuchen, nicht nur den Menschen „neu zu denken“, sondern sich mit dem je Einzelnen auf eine Beziehung einzulassen, die alle Vormeinungen und Verallgemeinerungen besonders hinsichtlich der Bedeutung von ethnischer, nationaler oder religiöser Zugehörigkeit sowie alle vorgängigen Zielbestimmungen zu vermeiden sucht. Man kann darin auch den Versuch sehen, mit dem je einzelnen Menschen einen neuen Anfang zu versuchen, hinter Vorurteile, gesellschaftliche Konventionen, Wertmaßstäbe und Zwecksetzungen zurückzugehen und sich mit dem Risiko der ganzen Person für neue, entwicklungsfördernde Erfahrungen in der Intersubjektivitätsbeziehung einzusetzen.

Damit ist dieser Ansatz mit seinem z. T. betont positiven Menschenbild für mich nicht nur Ausdruck eines gewissen amerikanischen Optimismus - das ist er auch, zumal bei Rogers und Maslow - sondern zugleich Ausdruck der erstaunlichen konstruktiven Möglichkeiten des Menschen zur Überwindung eigener tiefer traumatischer Verletzungen und einer Gut und Böse polarisierenden Sicht auf den Menschen. Die Humanistischen Psychologen sind nicht, wie Adorno, darauf aus, den Menschen zu analysieren und über sich selbst kritisch aufzuklären, sondern sie sind bereit, sich mit ihm neu einzulassen.

Das ist mehr als nur eine abstrakte ethische Entscheidung; diese Bereitschaft hat auch Konsequenzen für die Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden.

Erik Homburger Erikson (auch ein Emigrant mit teilweise jüdischer Herkunft), der in vielen seiner Auffassungen zwischen Psychoanalyse und Humanistischer Psychologie steht, hat seine Grundüberzeugung mit Blick auf die experimentelle psychologische treatment-Forschung, in der Affen in die Psychose getrieben wurden, einmal so formuliert:

„Man kann das Wesen der Dinge untersuchen, indem man ihnen etwas antut, aber über die eigentliche Natur lebender Wesen kann man nur etwas lernen, wenn man etwas mit ihnen oder für sie tut“4

Ein positives Beispiel aus der Tierforschung dafür, dass eine solche Auffassung zu einer höchst produktiven Erkenntnishaltung führen kann, sind Konrad Lorenz’ Forschungen an Graugänsen, zu denen er in eine ernsthafte und respektvolle soziale Beziehung trat. Für die dabei gewonnene bahnbrechend neue Sicht auf das Verhalten von Tieren wurde er Ende der 60er Jahre mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Die Pioniere der Humanistischen Psychologie, denen selbst in ihrer Mehrzahl direkt oder indirekt Schlimmstes angetan worden ist, reagierten auf diese Erfahrung, indem sie einen radikal anderen Beziehungsmodus dem je einzelnen Menschen gegenüber nicht nur einforderten, sondern selbst zu leben und in ihr berufliches Handeln zu integrieren suchten. Sie haben damit einen wegweisenden Impuls gegeben.

4.2 Ein weiteres Moment, das mir persönlich an diesem Ansatz wichtig ist, ist der Mut zur ungeschützten Offenheit für den in der eigenen konstruktiven Entwicklung blockierten Anderen. Das setzt voraus, dass der veränderte Beziehungsmodus zunächst und vor allem sich selbst gegenüber realisiert werden muss. Ungeachtet der Notwendigkeit einer sekundären Einbettung in eine professionelle Methodik besteht hierin meines Erachtens ein entscheidendes Kernstück des humanistisch-psychologischen Ansatzes. Dies ist eine Aufgabe von so hohem Anspruch an die personale Integrität, dass gerade dieses Moment sich der Trivialisierung - wie aber auch der Sicherung durch Methode - entzieht. Fasst man die von Rogers herausgearbeiteten Grundelemente einer hilfreichen Beziehung - also Wertschätzung, Empathie und Kongruenz - auf als Aspekte einer Begegnungshaltung im Buberschen Sinne, so wird deutlich, dass es sich um Haltungen handelt, die ihre Wirksamkeit in der existentiellen Aufrichtigkeit eines Subjekts haben, das sich selbst körperlich, seelisch und geistig wahrnimmt und ungeschützt in die Beziehung einbringt. Ich zitiere zur Veranschaulichung eine Ausführung des späten Rogers zur Kongruenz, die er als wichtigste Bedingung für eine entwicklungsfördernde Beziehung ansieht.

„Je mehr der Therapeut in der Beziehung er selbst ist, d.h., kein professionelles Gehabe und keine persönliche Fassade zur Schau trägt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich der Klient äußern und auf konstruktive Weise wachsen wird. Das bedeutet, daß der Therapeut offen die Gefühle und Einstellungen darbietet, die ihn im Augenblick bewegen. Der Begriff der Transparenz wird diesem Sachverhalt gerecht:

Der Therapeut macht sich dem Klienten gegenüber transparent; der Klient kann ohne weiteres sehen, was der Therapeut in der Beziehung ist; der Klient erlebt kein Zurückhalten seitens des Therapeuten. Was den Therapeuten betrifft, so ist das, was er oder sie erlebt, dem Bewußtsein zugänglich, kann in der Beziehung gelebt und, falls angebracht, kommuniziert werden. Es besteht also eine genaue Übereinstimmung zwischen dem körperlichen Empfinden, dem Gewahrsein und den Äußerungen gegenüber dem Klienten.“5

Die Bereitschaft zur ungeschützten Transparenz ist, wie auch im Zitat angedeutet, selbstverständlich nicht identisch mit hemmungsloser Selbstoffenbarung des Therapeuten in der Kommunikation mit dem Klienten. Ruth Cohn hat in diesem Zusammenhang treffend von „selektiver Authentizität“ gesprochen, die sie auch als pädagogische Haltung versteht. Sie ist gegründet in der Offenheit der Selbstwahrnehmung und ist von der bloßen Attitüde der Menschenfreundlichkeit gerade durch ein Zulassen auch „unerwünschter“ Regungen wie durch verantwortliche Auswahl und Differenziertheit ihrer Mitteilung zu unterscheiden. Auch ist, obgleich dies oftmals nicht genügend betont wird, im Konzept der Empathie nicht nur die menschliche Möglichkeit angesprochen, sich selbst im Anderen wieder zu erkennen, sondern Empathiefähigkeit impliziert auch, den Anderen im Anderen zu erfahren und dieses auszuhalten. So wird auch die Grenze zum Anderen transparent, d. h. zugleich durchlässig und wahrnehmbar.

In der Ausarbeitung eines Verständnisses der hilfreichen Beziehung, die nicht bemächtigend und objektivierend, sondern offen und begegnend ist, verbunden mit einer genauen Beschreibung von Grundhaltungen, die diese ermöglichen sowie des Aufweisens methodischer Wege zu ihrem Erwerb, liegt für mich die Hauptbedeutung des personenzentrierten Ansatzes von Rogers. Dessen Relevanz für das Verständnis der pädagogischen Beziehung ist meines Erachtens offenkundig und unbestritten, wenngleich natürlich nicht alle Aspekte des Pädagogischen darin aufgehoben sind.

Es bestehen im Übrigen Übereinstimmungen nicht nur mit Martin Bubers philosophischem Konzept der Begegnung, sondern auch mit Otto Friedrich Bollnows Bemühungen, die „gefühlsmäßigen Grundlagen der Erziehung“ genauer zu beschreiben, wie er es in seinem Buch „Die pädagogische Atmosphäre“ von 1964 getan hat. Viele Pädagogen meiner Generation konnten in den 1970er Jahren Rogers leichter und besser rezipieren als die existenzphilosophischen Texte zur Pädagogik in ihrer spezifischen Sprache der Schwere und Bedeutsamkeit.

4.3 Demgegenüber ist es der von Fritz und Lore Perls entwickelte und in Zusammenarbeit mit Paul Goodman theoretisch fundierte Ansatz der Gestalttherapie, der das dritte für mich wesentliche Moment der Humanistischen Psychologie besonders ins Zentrum stellt.

Das ist die Betonung des Gewahrseins, der „awareness“, der phänomenologischen Wahrnehmungsoffenheit. In ihm wird letztlich auch Erkenntnis als Begegnung aufgefasst. Heik Portele hat einmal die Gestalttherapie in Abgrenzung von anderen therapeutischen Richtungen nach ihrem jeweiligen sprachlichen Grundgestus folgendermaßen zu fassen gesucht:

„Der Freudsche Therapeut sagt: ‘Assoziiere, ich werde Deine geheimnisvollen Triebmechanismen aufdecken.’ - Reich: ‘Befreie Dich von Deinem Panzer!’ - Rogers: ‘Ich versteh Dich, ich weiß, wie das ist.’ - Und Perls: ‘Schau doch richtig hin.’“6

Das klingt vielleicht trivial, erweist sich aber immer wieder als hochbrisant, denn das „genaue Hinschauen“ im Sinne von Perls verlangt uns ab, unsere habituellen Wahrnehmungsroutinen hinter uns zu lassen, die objektivierende und analysierende Distanznahme eine Zeitlang auszusetzen und uns dem zu überlassen, was dann geschieht. Perls und Goodman prägten für eine solche phänomenologische Erkenntnishaltung den Begriff des Einlassens auf den mittleren Modus, einen Zustand zwischen Tun und Erleiden, mit dem sie das Phänomen basaler Spontaneität des lebendigen Organismus verbunden sehen.

„Spontaneität ist das Gefühl, den gerade ablaufenden Organismus Umwelt-Prozeß handelnd zu erleben, nicht nur Gestalter oder das Gestaltete zu sein, sondern darin zu wachsen. Spontaneität ist nicht gelenkt oder selbstlenkend, noch ist sie ein Dahingetragenwerden, wobei man im Grunde unbeteiligt wäre, sondern sie ist ein Entdecken und Erfinden, während man unterwegs ist, sich einlässt und anerkennt. Das Spontane ist zugleich aktiv und passiv, sowohl das, wozu man bereit ist, wie auch das, was einem zustößt. Oder besser, es ist ein mittlerer Modus zwischen Tun und Erleiden, eine schöpferische Unparteilichkeit, ein Desinteresse, nicht in dem Sinne, dass man nicht erregt oder nicht schöpferisch wäre, denn Spontaneität ist dies beides in außerordentlichem Maße, sondern als Einheit vor (und nach) der Trennung von Aktivität und Passivität, die beides einschließt.“7

Mit der Bemühung um die Beschreibung und Realisierung nicht bemächtigender Grundvorgänge der Wahrnehmung wie des Erkennens verknüpft sich bei Perls eine Tendenz zur polemischen Abwertung der kulturell-dominanten Haltung der reflexiven Distanznahme als einer habitualisierten Form der Kontaktvermeidung, deren Beweggrund die Angstabwehr sei.

Diese Sicht enthält meines Erachtens ein sehr wahres, aber genauso ein vereinseitigend falsches Moment. Soweit der Modus der reflexiven Distanznahme Herrschaft über den anderen ausübt, ist auch der Perlssche Rebellionsimpuls legitim. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass das Zulassen des mittleren Modus nicht in eine Alternative zur reflexiven Distanznahme verwandelt werden darf, sondern dass es gilt, das Verhältnis beider Zugangsmodi zur Wirklichkeit, die dem Menschen möglich sind, produktiv zu reorganisieren. „Neben“ statt „anstelle von“ ist die Gedankenfigur, die ich dabei im Auge habe. Dieser Anspruch lässt sich in unterschiedlicher Ausprägung zwar und nur bei genauem Hinsehen bei allen Autoren der Humanistischen Psychologie aufspüren – allerdings besonders dort, wo der Dialog mit der Wissenschaft gesucht und nicht für obsolet erklärt wird.

Wahrnehmungsoffenheit nach innen und außen ist nicht nur für die intersubjektive Beziehung, sondern auch für die Kunst des Unterrichtens von Bedeutung. Ich habe dies in meiner Arbeit über bildendes Lehren und Lernen8 am Beispiel Wagenscheins und an Ansätzen aus der Grundschulpädagogik herausgearbeitet und sie zugleich als das Herzstück des gestaltpädagogischen Ansatzes beschrieben, dem ich mich besonders verbunden fühle.

4.4 Was ich vom Ansatz der TZI gelernt habe - ich hatte das Glück, ihn durch Ruth Cohn persönlich als Teilnehmerin eines ihrer ersten Seminare in Deutschland kennen zu lernen - ist demgegenüber etwas bescheidener, aber von großer pragmatischer Bedeutung. Es ist das Gespür für die Dynamik einer Lerngruppe, das Vertrauen in ihre Selbstorganisationsfähigkeit, die Bereitschaft, Macht abzugeben und ein Gefühl für das, was sie dynamische Balance nennt. Hüter der dynamischen Balance zu sein, wie Ruth Cohn die Funktion des Gruppenleiters beschreibt, habe ich für mich in der Universität vor allem darauf bezogen, den Dualismus von Personenorientierung einerseits und Sachorientierung andererseits, von Erfahrungs- und Theoriebezug, aber auch von persönlicher Begegnung mit Menschen und des ebenso erforderlichen bewertenden Distanzverhältnisses in Vorstellungen von der Möglichkeit eines fluktuierenden Wechsels einzubetten. Um diese begrifflich zu erfassen bedurfte ich persönlich allerdings auch des Weges oder Umweges über erkenntnistheoretische Grundfragen. Das Kernstück der Theorie der TZI, das berühmte Dreieck in der Kugel, lädt nämlich m. E. allzu sehr dazu ein, mit einem einfachen Bild und griffigen Formeln die schwierigen Fragen des Lehrens und Lernens für beantwortet zu halten.

5. Gedanken zur Aktualität der Humanistischen Psychologie für die Pädagogik

Wenn ich nun abschließend versuche, die allgemein als charakteristisch dargestellten wie die mir persönlich besonders bedeutsamen Aspekte der Humanistischen Psychologie mit Blick auf die Pädagogik zusammenzuschauen, erscheinen mir folgende drei Punkte zentral:

1. Für die pädagogische Forschung, auch zur Zeit der neuen Blüte der Entwicklung und Verwendung qualitativer Methoden zur Erforschung des Subjekts und seiner interdependenten Bezüge bleibt die Warnung der Humanistischen Psychologen aktuell, dass die notwendige methodische Sicherung der Erkenntniswege immer auch der Gefahr ausgesetzt ist, als ein raffiniertes Instrumentarium einer Bemächtigungshaltung verwendet zu werden. Forschungsmethoden, auch qualitative, sind doppelgesichtig. Sie dienen dazu, den Erkenntnisweg transparent und nachvollziehbar zu machen, und zugleich legen sie dem Forscher mit der Notwendigkeit der Distanznahme auch immer nahe, sich von dem erforschten Gegenüber nicht selbst berühren zu lassen. Die Forscher schneiden sich damit aber allzu leicht von der Wahrnehmung ihrer eigenen subjektiven Resonanz ab, die in der Sicht der Humanistischen Psychologen als eine Erkenntnisquelle ersten Ranges zu werten ist und auch in Forschungszusammenhängen ihren Stellenwert behalten muss -durchaus in Analogie zu dem, was Gadamer für das hermeneutische Verstehen eindrücklich herausgearbeitet hat. Wahrheit und Methode stehen zueinander nicht in einem Kausalitätsverhältnis. Vor allem müssen wir bereit bleiben, uns von den Erlebnisweisen der erforschten Subjekte „etwas sagen zu lassen“.

2. Hinsichtlich der Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen ist die mit dem humanistisch-psychologischen Ansatz verbundene Vorordnung der Haltungen des Lehrenden vor die von ihm verwendeten didaktischen Methoden m. E. eine weiterhin aktuelle und überaus anspruchsvolle Position. Sie rückt die Entwicklung der Persönlichkeit des Lehrers aus dem Status einer „auch noch“ hinzukommenden Komponente oder eines Zufallsfaktors an eine wichtige, ja zentrale Stelle auch in Ausbildungszusammenhängen. Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung müssen dabei nicht unbedingt selbst zum Thema gemacht werden, aber es ist sicherlich hilfreich, wenn Themen von Lehrveranstaltungen sich auch auf biographisch relevante Zusammenhänge richten wie Kindheit, Wandel der Familie, weibliche und männliche Adoleszenz, Alter, Fragen des Lebenslaufs und der Entwicklungspsychologie, Umgang mit Fremdheit und Differenz sowie last but not least natürlich Grundfragen der Erziehung und Bildung.

Persönlichkeitsentwicklung wird aber auch dann mitgefördert, wenn in unseren Lehrveranstaltungen nicht nur der Stoff, die Sache oder die Wissenschaft im Zentrum stehen, sondern immer zugleich auch Achtsamkeit auf die Wahrnehmung des jeweiligen Gegenübers, der Lernenden als Personen gerichtet wird. Personenorientierung kann m. E. in die wissenschaftliche Lehre besonders gut eingehen, wenn dialogische Formen des Lehrens und Lernens gepflegt werden und wenn neben der Vermittlung von Sachzusammenhängen das Denken- und Verstehenlernen mitgelehrt wird, d. h. die eigenständigen Suchbewegungen der Lernenden unterstützt werden und das aufrichtige lernende Interesse des Lehrenden finden.

3.