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Unser Gesundheitssystem ist im permanenten Wandel, die Dynamik ungebrochen. Jede Legislaturperiode prägt unser Gesundheitswesen durch kleinere oder größere gesundheitspolitische Reformen, einige davon sinnvoll, andere nicht. Das „System Gesundheit“ muss ständig an bzw. durch ökonomische, soziale, technische und medizinische Veränderungen angepasst und weiterentwickelt werden – die Corona-Pandemie hat dies eindrucksvoll gezeigt. Manche Regelungen waren nur von vorübergehender Dauer und Wirkung, andere sind dauerhaft geblieben. Viele Strukturprobleme sind teilweise oder noch immer ungelöst, manchmal sogar hausgemacht und das Spannungsfeld zwischen optimaler Versorgung und finanzieller Machbarkeit bleibt eine Dauerherausforderung. Etliche Probleme sind nach wie vor ungelöst, aber es gibt Weiterentwicklungen hinsichtlich der Lösungswege und der Konkretisierung des angepeilten Ziels. Gleichzeitig erfordern Entwicklungen wie die digitale Transformation, die Notwendigkeit zur Stärkung der Prävention, der Einfluss des Klimawandels auf unsere Gesundheit und die drängende Weiterentwicklung der Versorgungsbereiche, dass diese Themen auf die gesundheitspolitische Agenda gehören. „Gesundheitspolitik neu aufgelegt“ liefert mehr als nur Bestandsaufnahmen: Es benennt die wichtigsten gesundheitspolitischen Handlungsfelder, wagt den Blick über den Tellerrand und liefert Ein- und Ausblicke durch Szenarien und Utopien sowie zukunftsorientierte Lösungsansätze. Das Buch bietet einen verständlichen Einstieg in die Grundlagen des deutschen Gesundheitssystems und analysiert aktuelle Reformdebatten für ein nachhaltiges Gesundheitswesen von morgen.
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Seitenzahl: 488
Veröffentlichungsjahr: 2025
Franz Knieps | Anne-Kathrin Klemm (Hrsg.)
Gesundheitspolitik neu aufgelegt
Wie die gesetzliche Krankenversicherung funktioniert und weiterentwickelt werden muss
mit Beiträgen von
J. Aleyt | L. Beuerle | A. Binder | S. Brauneis | C. Busch | C. Diessel | P. Ex | L. Feßer | D. Fuchs | T. Greb | D. Häckl | L. Hager | V. Heinz | K. Kappelhoff | E. Kexel | A.-K. Klemm | F. Knieps | M. König | M. Kretzler | S.B. Lummer | A. Müller | E.M. Müller | U. Müller | J. Nüsken | B. Pöttering | F. Sado | H. Santer | T. Schepp | J. Schröder | S. Sell | B. Simon | R. Taufer | M. Urner | D. Viehweg | M. Viol | M. Völker | J. Witte | S. Woskowski | S. Yildiz | H. Zeeb | Y. Zillner
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Das Herausgeber-Team
Franz Knieps
Vorstandsvorsitzender
BKK Dachverband e.V.
Berlin
Anne-Kathrin Klemm
Vorständin
BKK Dachverband e.V.
Berlin
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Unterbaumstr. 4
10117 Berlin
www.mwv-berlin.de
ISBN 978-3-95466-940-0 (eBook: PDF) ISBN 978-3-95466-941-7 (eBook: ePub)
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© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2025
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Die Verfasser haben große Mühe darauf verwandt, die fachlichen Inhalte auf den Stand der Wissenschaft bei Drucklegung zu bringen. Dennoch sind Irrtümer oder Druckfehler nie auszuschließen. Der Verlag kann insbesondere bei medizinischen Beiträgen keine Gewähr übernehmen für Empfehlungen zum diagnostischen oder therapeutischen Vorgehen oder für Dosierungsanweisungen, Applikationsformen oder Ähnliches. Derartige Angaben müssen vom Leser im Einzelfall anhand der Produktinformation der jeweiligen Hersteller und anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Eventuelle Errata zum Download finden Sie jederzeit aktuell auf der Verlags-Website.
Projektmanagement: Dennis Roll, Berlin
Redaktion: Sarah Kramer und Leah Palgan, Berlin
Copy-Editing: Monika Laut-Zimmermann, Berlin
Layout & Satz: zweiband.media, Agentur für Mediengestaltung und -produktion GmbH, Berlin
Coverbild: AdobeStock © tadamichi
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt
Zuschriften und Kritik an:
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Unterbaumstr. 4, 10117 Berlin, [email protected]
Mit einem Paukenschlag endete Anfang November 2024 das Experiment einer Ampelkoalition. Bei der daraufhin anberaumten Neuwahl des Deutschen Bundestags konkurrierten mehr politische Parteien denn je um Abgeordnetenmandate im 21. Deutschen Bundestag. Das Ergebnis der Wahl war bei Redaktionsschluss dieses Buchs noch nicht abzusehen, doch lässt sich wohl feststellen, dass die Koalitions- und Regierungsbildung schwierig werden dürfte. Dies passiert vor dem Hintergrund, dass sich soziale Milieus auflösen, traditionelle Bindungen lockern und politische Ideologien an Überzeugungskraft verlieren. Das soll aber nicht heißen, dass sich politische Kontroversen erledigt hätten. Die Bruchstellen verlaufen nur nicht mehr allein entlang der parteipolitischen Frontstellungen.
Auch wenn die globalen Krisen wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der wachsende Rechtsnationalismus und -populismus in Europa und den USA, die weltumspannende ökologische Krise oder die wirtschaftliche Stagnation die großen Themen der politischen Agenda bestimmen, bleibt Gesundheitspolitik traditionell ein umkämpftes Feld der innenpolitischen Auseinandersetzungen. Das Bonmot, das dem früheren Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer zugeschrieben wird, mit Gesundheitspolitik könne man keine Wahl gewinnen, aber jede Wahl verlieren, ist unverändert aktuell.
Das Gesundheitswesen ist komplex und kompliziert. Die Vielfalt der Akteure und Institutionen ist kaum überschaubar. Ihr Zusammenwirken ist wenig koordiniert. Konfrontation und Konflikt übertönen häufig Kommunikation und Kooperation. Von Transparenz über Angebote, Leistungen und Qualität kann kaum die Rede sein. Statusfragen und Interessenkonflikte prägen den Kampf um Macht und Geld. Diejenigen, denen das Gesundheitswesen nutzen soll, mögen zwar – mittlerweile – im Mittelpunkt stehen, aber da werden sie noch oft rumgeschubst, denn sie stehen im Wege. Die Beseitigung vieler Fehlentwicklungen und Mängel scheitert an Reformblockaden und tradierten Strukturen.
Seit der Blümschen Gesundheitsreform 1988 hat die Gesundheitspolitik keine Legislaturperiode ohne größere oder kleinere Reformen passieren lassen. Trotzdem geht ihr nicht die Arbeit aus. Das Gesundheitswesen muss an ökonomische, soziale, technische und medizinische Veränderungen angepasst werden, und zwar nicht in einem Big Bang für alle Zeiten, sondern kontinuierlich und in vielen Schritten. Der demografische Wandel, der medizinische Fortschritt, die digitale Transformation, die ökologische Krise, Landflucht und Migration – die Veränderungen des Krankheitspanoramas kommen nicht zum Stillstand. Das Gesundheitswesen ist wichtigster Teil der Daseinsvorsorge mit hohem Innovations-, Wachstums- und Beschäftigungspotenzial, das von der Politik mit erschlossen werden muss.
Das vorliegende Buch beschreibt im ersten Kapitel neue und alte Herausforderungen, ohne dem politischen Aktionismus und der Flüchtigkeit medialer Botschaften zu erliegen. Es umreißt die Grundlagen der Gesundheitspolitik auf der Basis des Nebeneinanders von Kontinuität und Wandel. Es erklärt Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens. Es analysiert die Politikprozesse und zeigt die Veränderung bei der politischen Meinungsbildung auf. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Publikation der Rolle der Selbstverwaltung und den rechtlichen Rahmenbedingungen. Schließlich richtet sich der Blick auf die Veränderungen in der medialen Welt im und um das Gesundheitswesen herum.
Im zweiten Teil des Buches liegt der Fokus auf aktuellen Handlungsfeldern. Damit sind nicht nur Gesetzgeber und Regierungen gemeint. Auch die eigenen Initiativen und Vorschläge zur Lösung drängender Probleme stellt das Buch ausführlich dar. Das von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BKK Dachverbands sowie von den Betriebskrankenkassen verbundenen Autorinnen und Autoren verfasste Werk will nicht in der Binnenperspektive verharren, sondern stellt sich externen Herausforderungen des Gesundheitssystems und blickt in sogenannten Utopie-Exkursen über die nächste Legislaturperiode hinaus.
Die Publikation will einen Einstieg für Neulinge in der Gesundheitspolitik ermöglichen, aber auch den Fachleuten neue Erkenntnisse und Perspektiven bieten. Sie kann keine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einzelnen Themenkomplexen ersetzen, sondern eher eine ordnungspolitische Linie zeichnen. Wer mehr sucht, der sei auf die Literaturangaben verwiesen.
Das Buch richtet sich an Entscheider und Verantwortliche in Politik, Administration und Selbstverwaltung. Es soll den Mitgliedern des BKK Dachverbandes, also Selbstverwaltern, Vorständen und Mitarbeitern der Betriebskrankenkassen, politischen Rückhalt bieten. Es ist zudem eine hilfreiche Unterstützung für professionelle Beobachter der Gesundheitspolitik in Medien, Agenturen und Verbänden sowie für Lernende und Lehrende, die sich mit dem Gesundheitssystem und Politik befassen. Last but not least richtet es sich an alle Interessierten, die dem komplexen Politikfeld nähertreten wollen.
„Politik“, so der Politikwissenschaftler Gerhard Lehmbruch, „ist gesellschaftliches Handeln, … welches darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Konflikte über Werte verbindlich zu regeln.“ In der Gesundheitspolitik tritt hinzu, dass es dabei um die Steuerung eines Wirtschaftszweigs im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge geht. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass in der 21. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages der Gesetzgeber, die Regierungen und die Akteure willens und in der Lage sind, die in diesem Buch aufgezeigten Defizite und Fehlentwicklungen zu beheben und endlich dem deutschen Gesundheitswesen klare Perspektiven zu weisen.
Das Buch hätte nicht erscheinen können ohne die engagierten Beiträge der Autorinnen und Autoren sowie die Koordination von Leah Palgan und Dennis Roll und die Schlussredaktion von Sarah Kramer. Ihnen allen gilt der besondere Dank der Herausgebenden.
Die Herausgebenden Franz Knieps und Anne-Kathrin Klemm
Becker U, Kingreen T (Hrsg.) (2024) SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, 9. Aufl., Verlag C.H. Beck München
(Der aktuellste Kommentar zum „Grundgesetz“ des Gesundheitsrechts)
Busse R et al. (2017) Das deutsche Gesundheitswesen – Akteure, Daten, Analysen, 2. Aufl., Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin
(Neuester deutscher Bericht in der internationalen Reihe über die Gesundheitssysteme der Welt)
Fleßa S, Greiner W (2020) Grundlagen der Gesundheitsökonomie – Einführung in das wirtschaftliche Denken im Gesundheitswesen, 4. Aufl., Springer Verlag Heidelberg/Berlin
(Eine auch für Nicht-Ökonomen verständliche Einführung in die Gesundheitsökonomie)
Gerlinger T, Rosenbrock R (2023) Gesundheitspolitik – Eine systematische Einführung, 4. Aufl., Hogrefe Verlag Bern
(DAS Standardwerk zur Gesundheitspolitik)
Masuch P et al. (Hrsg.) (2014 und 2015) Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats – Denkschrift 60 Jahre Bundessozialgericht, 2 Bände, Erich Schmidt Verlag Berlin
(Ausführliche und umfassende Bestandsaufnahme und der Zukunft des Sozialstaats)
Morlok M et al.
(
Hrsg.) (2022) Parlamentsrecht – Ein Handbuch. Nomos Verlag Baden-Baden
(Beantwortet jede Frage zu Parlamentsarbeit und Gesetzgebung)
Porter M, Guth C (2012) Chancen für das deutsche Gesundheitssystem: Von Partikularinteressen zu mehr Patientennutzen. Springer Verlag Heidelberg/Berlin
(Ein Harvard-Managementguru analysiert das deutsche Gesundheitswesen und macht nützliche Reformvorschläge)
Reiners H (2018) Mythen der Gesundheitspolitik. 3. Aufl., Hogrefe Verlag Bern
(Eine amüsante, faktenreiche Abrechnung mit ideologischen Vorurteilen, Fehlinformationen und Halbwahrheiten)
Ruland F et al. (Hrsg.) (2022) Sozialrechtshandbuch, 7. Aufl., Nomos Verlag Baden-Baden
(Der Klassiker zum gesamten Sozialrecht)
Schwartz FW et al. (Hrsg.) (2022) Public Health – Gesundheit und Gesundheitswesen 4. Aufl., Verlag Urban & Fischer München
(Eine Fundgrube für Wissenschaftler und Praktiker)
IGrundlagen und Organisation des Gesundheitssystems
1Gesundheitspolitik und soziale Krankenversicherung: Kontinuität und WandelFranz Knieps
2Akteure, Aufgaben, FunktionenAntonia Müller
3Politische Meinungsbildung und ProzesseSebastian Brauneis
4Rechtliche Rahmenbedingungen und GovernanceEva Maria Müller
5Selbstverwaltung zwischen einzelwirtschaftlichem Wettbewerb und staatlicher BevormundungFranz Knieps
6Gesundheitspolitik 2.0: Grundlagen der GKV-FinanzierungThomas Schepp und Yvonne Zillner
7Kommunikation im WandelThorsten Greb und Stefan Benedikt Lummer
IIAktuelle Handlungsfelder
1Prävention als neues Leitmotiv in der Lebens- und VersorgungsrealitätAnne-Kathrin Klemm und Julia Schröder
EXKURS: Integrale Prävention 2040: Wenn präventives Denken und Handeln selbstverständlich geworden sindHajo Zeeb
2Vernetzte, patientenzentrierte, teambasierte GesundheitsversorgungPatricia Ex
EXKURS: Multidimensionale Versorgung als Standard der ZukunftMoritz Völker
3Krankenhausversorgung der Zukunft: Patientenzentriert, digital und nachhaltig versorgenChristian Busch, Ellen Kexel, Matthias Kretzler und Lisa Beuerle
EXKURS: (K)eine Utopie: Die Rolle und Funktion eines Krankenhauses im Jahr 2040Benedikt Simon
4Die Reduzierung der Krankheitslast bei chronischen Erkrankungen: Chancen des Patient-Journey-AnsatzesVerena Heinz und Franz Knieps
EXKURS: Die Patient Journey der ZukunftHellmut Santer
5Neue Versorgungsformen – oder neue Versorgung?Anne-Kathrin Klemm
EXKURS: Die Zukunft der Versorgung ist gut vernetzt, aufeinander abgestimmt und bedarfsgerechtKatharina Kappelhoff
6Voll ins Schwarze: Arzneimittel der personalisierten MedizinChristina Diessel
EXKURS: Die Zukunft der Arzneimittelversorgung: Ein Blick in das Jahr 2050Julian Witte
7Die digitale Transformation von Gesundheitsversorgung und KrankenversicherungDaniel Viehweg, Jacob Aleyt, Selvi Yildiz und Florian Sado
EXKURS: Smarte Lösungen befähigen Patientinnen und PatientenBenedict Pöttering
8Pflege unter DruckMadeleine Viol und Daniel Fuchs
EXKURS: Winter is coming: (Un-)Mögliche Perspektiven der Langzeitpflege jenseits der Pfadabhängigkeit des säulenartigen SystemsStefan Sell
9Die unendliche Geschichte: Erweiterte Kompetenzen von Pflegefachpersonen und Heilmittelerbringenden endlich nutzen!Raphael Taufer und Linda Feßer
EXKURS: Versorgungsplanung mit VorbildcharakterJohanna Nüsken
10Fairer Kassenwettbewerb und RisikostrukturausgleichAndreas Binder
EXKURS: Der Morbi-RSA im Jahr 2040: Smarte Algorithmen, präventive Versorgung und Vereinfachung für mehr Stabilität und PlanbarkeitDennis Häckl
11Green Health: Anregungen für ein nachhaltiges GesundheitswesenMartin König
EXKURS: Soziale Beziehungen als wichtigste Grundlage des GesundheitswesensMaren Urner
IIIWeichenstellung für eine solidarische Zukunft
1Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung: Die Positionen von Parteien und VerbändenUlrike Müller
2Unverzichtbarkeit der Betriebskrankenkassen gestern, heute, morgen: Woher wir kommen und wohin wir gehenSilvia Woskowski und Franz Knieps
EXKURS: Die Unverzichtbarkeit von Betriebskrankenkassen: Besitzstandswahrung oder Vision?Lutz Hager
Das Herausgeber-Team
Franz Knieps
Wer Gesundheits- und Sozialpolitik von heute verstehen und Akzente für die Politik von morgen setzen will, dem sei dringend angeraten, sich mit der Ideengeschichte der vergangenen Jahrhunderte im Allgemeinen und der Historie der sozialen Krankenversicherung im Besonderen auseinanderzusetzen. Man muss nicht Friedrich Schillers Antrittsvorlesung als Historiker in Jena oder Friedrich Nietzsches Geschichtsphilosophie bemühen, um den Nutzen historischer Erfahrungen und Kenntnisse für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft schätzen zu lernen. Natürlich hilft die geschichtliche Deutung des Sozialstaats, seine Prinzipien zu erkennen und seine Instrumente zu verstehen. Der deutsche Weg der Absicherung der großen Lebensrisiken über beitragsfinanzierte Sozialversicherungen, der zum Vorbild für andere Staaten wurde, ist eng mit der Geschichte des Kaiserreichs und der Arbeiterbewegung verbunden (Ritter 2010), hat aber durchaus ältere Wurzeln. So wird die erste knappschaftliche Bruderschaft, die zur Unterstützung kranker und verletzter Bergleute sowie deren Hinterbliebenen am Rammelsberg bei Goslar gegründet worden war, bereits im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt.
Die Gesundheits- und Sozialpolitik umfasst zudem mehr als nur die Sozialversicherung und kennt viele „verschüttete Alternativen“ (Hansen et al. 1981). Sie ist von Kontinuität und Wandel geprägt. Sie kennt lange Linien ebenso wie Brüche, Irrungen und Wirrungen. So lässt sich durchaus manch roter Faden finden, der über Regierungs- und Koalitionswechsel hinaus zu verfolgen ist. Gleiches gilt aber auch für die Vorschläge, die nicht das Bundesgesetzblatt erreicht haben. Häufig reicht schon der Blick in die vorherigen Legislaturperioden, um zu erkennen, dass (fast) alles schon einmal vorgeschlagen, diskutiert, erprobt oder verworfen wurde (Knieps u. Reiners 2015). Oft bedarf es des geeigneten Zeitpunkts und glücklicher Umstände, eine gute Idee in die Realität umzusetzen. Das folgende Kapitel kann nur einige Blitzlichter auf die historische Entwicklung werfen. Detaillierteres ist der vielfältigen Fachliteratur vorbehalten.
1260: Erste urkundliche Erwähnung einer Knappschaftsbruderschaft am Rammelsberg bei Goslar
1717: Gründung der ersten Fabrikkrankenkasse in Aue/Erzgebirge
1881: Kaiserliche Botschaft mit Ankündigung einer Arbeiterversicherung
1883: Arbeiterkrankenversicherungsgesetz
1911: Reichsversicherungsordnung (RVO)
1913: Berliner Abkommen zwischen Krankenkassen und niedergelassenen Ärzten
1933: Gleichschaltung unter dem NS-Regime (Beseitigung der Selbstverwaltung, Einbeziehung der Ersatzkassen in die RVO)
1955: Wiederherstellung des Kassenarztrechts
1969: Lohnfortzahlung für Arbeiter
1977: Beginn der Kostendämpfungsgesetzgebung
1988: Gesundheits-Reformgesetz (GRG) – Blümsche Gesundheitsreform
1992: Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) – Kompromiss von Lahnstein
1993: Pflegeversicherungsgesetz (PflVG inkl. SGB XI)
1999: Gesundheitsreform 2000 – Einführung der DRGs
2003: Gesundheits-Modernisierungsgesetz (GMG)
2007: GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG)
2010: Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) – Frühe Nutzenbewertung und Preisverhandlungen
2014: Präventionsgesetz (PrävG)
2015: Krankenhaus-Strukturgesetz (KHSG)
2019ff.: Digitalgesetze
2024: Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG)
Auch wenn es die Ereignisgeschichte oft nicht wahrhaben will – die Geschichte der sozialen Sicherung beginnt keineswegs mit dem Deutschen Reich nach 1871 (Deppe 1977). Schon seit dem 13. Jahrhundert hatten sich Knappen und später Handwerker zu Büchsen, Bruderschaften und Gilden zusammengeschlossen, um wenigstens einen rudimentären Schutz gegen die Lebensrisiken aus harter Arbeit zu organisieren. Die erste urkundliche Erwähnung einer knappschaftlichen Bruderschaft zur gegenseitigen Sozialfürsorge unter Einschluss der Hinterbliebenen datiert vom 28.12.1260. Aus freiwilligen Zusammenschlüssen wurde ab Mitte des 17. Jahrhunderts zuerst im Bergbau eine verpflichtende Einrichtung, die unter Aufsicht und später unter Verwaltung des Landesherrn stand. Ebenfalls unter staatlicher Direktion entwickelten sich in dieser Zeit aus dem Gewerberecht und der kommunalen Sozialfürsorge, der sogenannten Policey, gewerbliche Hilfskassen, die Vorläufer der Ortskrankenkassen. Ganz ohne staatlichen Zwang richteten vorausschauende Unternehmer ab dem frühen 18. Jahrhundert Fabrikkrankenkassen ein. Ebenfalls auf freiwilliger Basis entstanden die Vorläufer der heutigen Ersatzkassen, deren älteste ihre Wurzeln bis in das Jahr 1773 zurückverfolgt.
Die Gründung der mutmaßlich ersten Fabrikkasse für das Blaufarbenwerk Pfannenstiel in Aue/Erzgebirge datiert auf den 17.04.1717 (Schwenger 1934). Betriebskrankenkassen feierten also im Jahr 2017 ihren 300. Geburtstag und sind damit über hundert Jahre älter als gemeinhin in der Öffentlichkeit angenommen. Die Verortung der historischen Anfänge zu Beginn des 19. Jahrhunderts mag auch darin begründet liegen, dass zu dieser Zeit viele Fabrikkrankenkassen für Trägerbetriebe geschaffen wurden, die bis heute als Trägerbetriebe von Betriebskrankenkassen fungieren. Exemplarisch seien die Gründung von Kassen im Du Mont Schauberg Verlag, Köln (heute pronova bkk), im Jahr 1815, bei der Friedrich Krupp AG, Essen (heute BKK Novitas), im Jahr 1838 oder der ältesten noch selbständigen BKK Faber Castell & Partner in Bayern im Jahr 1844 genannt.
Fabrik- und Betriebskrankenkassen waren von Anfang an mehr als reine Krankenversicherungen. Sie waren vielmehr die Keimzellen betrieblicher Sozialpolitik, die die Folgen von Tod, Erwerbsunfähigkeit und -minderung, Arbeitsunfällen und Erkrankungen absichern sollten, aber auch Fürsorge für Wohnen, Bildung, Ernährung und vieles mehr leisteten. Sicher waren die Leistungen im Vergleich zu heute bescheiden, doch ist das umfassende Verständnis der unternehmerischen Sozialpolitik ebenso bemerkenswert wie der freiwillige Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen, selbst wenn der Unternehmer im Streitfall das letzte Wort behielt. Speziell die Kruppsche Sozialpolitik wurde so berühmt, dass sie in der Bismarckschen Sozialgesetzgebung zum Vorbild der Kodifikation wurde (Knieps 2017). Die aktuelle Diskussion um Gesundheit als Produktivitätsfaktor, in den es sich für Unternehmen zu investieren lohnt, kann sich also auf historische Vorbilder stützen.
Nach der formellen Gründung des Deutschen Reiches zum 01.01.1871 sollte eine „innere Reichsgründung“ die politischen und sozialen Spaltungen überwinden, die sich im Gefolge der raschen Industrialisierung verschärft hatten. Auf der Basis der berühmten Kaiserlichen Botschaft vom 17.11.1881 (s. Abb. 1) setzte der Reichstag – mal mit, mal gegen Reichskanzler Otto von Bismarck – im folgenden Jahrzehnt in rascher Folge Gesetze zur Absicherung der Arbeiter gegen die Risiken von Krankheit, Arbeitsunfällen, Alter und Invalidität durch (Ritter 2010). Insbesondere das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15.06.1883 (KVG) sollte stilbildend für den Aufbau einer umfassenden Sozialversicherung werden. Das Gesetz regelte erstmals einheitlich für alle gewerblichen Arbeiter Versicherungspflicht, Beiträge, Leistungen, die Organisation der Versicherungsträger und das Verfahrensrecht. Die wesentlichen Grundprinzipien, speziell Solidarität und Selbstverwaltung, prägen das System noch heute, während sich der versicherte Personenkreis und der Leistungskatalog beträchtlich ausgeweitet haben. Festzuhalten ist außerdem, dass die Krankenversicherung einzig mit einer Geldleistung – dem Krankengeld – startete, die heute in Zeiten der Lohnfortzahlung nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Sachleistungen in Form von Ansprüchen auf Krankenbehandlung wurden erst im Laufe der Zeit Gegenstand des Leistungskatalogs.
Abb. 1 Erste und letzte Seite der „Kaiserlichen Botschaft“ Wilhelms I. vom 17. November 1881 © bpk-Bildagentur
Bismarck verfolgte mit seiner Sozialgesetzgebung keineswegs nur soziale Zwecke. Ihm ging es vor allem darum, Unternehmer vor der Inanspruchnahme von (Schadensersatz-)Pflichten zu schützen und den Vormarsch der Arbeiterbewegung zu stoppen (Ebsen u. Wallrabenstein 2018). Entsprechend gering war sein Interesse am Ausbau der von ihm geschaffenen Institutionen. Er würde sich mehr als wundern, dass vom „eisernen Kanzler“ heute vor allem die Sozialpolitik in lebendiger Erinnerung geblieben ist.
Schon bald nach Inkrafttreten des KVG zeigte sich, dass weitere Personenkreise in den Schutzbereich einbezogen und der Leistungsumfang erweitert werden mussten. Auch drängte es nach einer Vereinheitlichung und Systematisierung des neuen Rechtsgebiets. Ergebnis langwieriger Vorarbeiten war die Reichsversicherungsordnung vom 19.07.1911 (RVO), die Kranken-, Unfall und Invalidenversicherung in einem Gesetzbuch zusammenführte. Dieses Gesetz sollte bis zum Inkrafttreten der einzelnen Bücher des Sozialgesetzbuchs ab den 1980er-Jahren die maßgebliche Rechtsquelle der Sozialversicherung bleiben, auch wenn es den Zeitläuften angepasst, bis zur Unkenntlichkeit reformiert und von zahlreichen Sondergesetzen – beispielsweise für Angestellte, Bergleute, Seeleute und Landwirte – begleitet wurde.
Wichtigste Entwicklungsstufe war die Einführung des Sachleistungsprinzips mit Ansprüchen auf ambulante und stationäre Behandlung, in deren Gefolge das Vertragsrecht der Krankenkassen mit den Leistungserbringenden entstand. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit freiberuflichen Ärzten bis hin zu Ärztestreiks entwickelten sich im Gefolge des Berliner Abkommens vom 23.12.1913 ein Kollektivvertragssystem und schrittweise ein eigenständiges Kassenarztrecht. Das Krankenversicherungsrecht der RVO überstand zwei Weltkriege und diverse Wirtschaftskrisen. Seine Grundprinzipien blieben erhalten, während der versicherte Personenkreis ausgeweitet, die Leistungen – auch durch Rechtsprechung – ausgebaut und Instrumente zur Steuerung der Ausgaben eingeführt wurden. Im Gefolge der sogenannten Ölkrise wurde dieser Trend gestoppt und eine scharfe Kostendämpfungspolitik eingeleitet. Grundlegende Reformen scheiterten mehrfach am entschiedenen Widerstand der Interessengruppen (Rosewitz u. Webber 1990).
Unter den Bedingungen der DDR-Herrschaft wurde dort das Gesundheitswesen völlig umorganisiert. Die Versorgung wurde organisatorisch in den dreigliedrigen Verwaltungsaufbau (Regierung, Bezirke, Kreise) integriert und an die Betriebsstrukturen angebunden. Ambulatorien, Polikliniken und sogar einige Krankenhäuser wurden zu betrieblichen Einrichtungen. Aber selbst in der DDR waren die Ursprünge des Sozialversicherungssystems bis 1989 nicht völlig zu tilgen (Frerich u. Frey Bd. 2 1993). Über 90% der Bevölkerung waren in der dreispartigen DDR-Sozialversicherung versichert. Allerdings förderte die Mischfinanzierung aus festgeschriebenen Beiträgen, allgemeinen Steuern und sonstigen Zuschüssen eine intransparente Mangelwirtschaft. Auf der anderen Seite hatte das DDR-Gesundheitswesen auch durchaus moderne Ansätze.
Folglich hätten die Chancen nach friedlicher Revolution und Wiedervereinigung eigentlich nicht schlecht gestanden, das Beste aus beiden Welten in einem neuen System zu vereinen. Das sollte jedoch angesichts der realen politischen und ökonomischen Verhältnisse eine politische Vision bleiben, die allenfalls zögerlich zur Wirklichkeit wurde. Zwar wurden Ambulatorien und Polikliniken mit angestellten Ärztinnen und Ärzten, Fachambulanzen an den Krankenhäusern, die Dokumentation im Sozialversicherungsbuch, Dispensaire-Programme für chronisch Kranke oder das betriebliche Gesundheitswesen trotz des auffälligen Ressourcenmangels auch im Westen hoch geschätzt, doch standen ihrer schnellen Zulassung im Westen vielfältige Interessen, etwa der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, entgegen und lag der Schwerpunkt des gesundheitspolitischen Vereinigungsprozesses auf der schnellen und reibungslosen Übertragung der westdeutschen Strukturen in die neuen Länder. Außerdem brachte die Finanzierung der Sozialunion aus Beitragsmitteln den gesamten Sozialstaat in eine Finanzierungs- und Legitimationskrise (Ritter 2007). So verwundert es aus heutiger Sicht nicht, dass es zum Teil Jahrzehnte dauerte, bis Elemente des DDR-Gesundheitswesens – teilweise unter neuen Begrifflichkeiten (Medizinische Versorgungszentren, ambulante spezialärztliche Versorgung, Disease-Management-Programme) – Eingang in das gesamtdeutsche Gesundheitswesen fanden.
Zudem war zum Zeitpunkt der Maueröffnung in der alten Bundesrepublik die Neukodifikation des Sozialrechts in einem einheitlichen Sozialgesetzbuch in vollem Gange. Die umfasste mit dem zum 01.01.1989 in Kraft getretenen Fünften Buch (SGB V) als erster materieller Rechtsbereich die gesetzliche Krankenversicherung. Diese Kodifikation war zwar nur mit begrenzten inhaltlichen Reformen verknüpft (erwähnenswert sind vor allem die Einführung von Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit und von Festbeträgen für Arzneimittel), doch erreichten die Auseinandersetzungen mit den Interessengruppen in der Blümschen Gesundheitsreform einen ersten Höhepunkt. Viele weitere sollten folgen. Dies gilt nicht nur für die Krankenversicherung, sondern auch für die Pflegeversicherung, die seit 1994 als fünfte Säule der Sozialversicherung eng an die Krankenversicherung angelehnt ein weiteres elementares Lebensrisiko – wenn auch nur als Teilkaskoversicherung – absichert.
Die neuere Zeitrechnung der Gesundheitsreformen wird allgemein mit dem Kompromiss von Lahnstein aus dem Jahr 1992 eingeläutet (Reiners 2006). Hier verständigten sich Bund und Länder, Regierung und Opposition auf eine grundlegende Reform der Organisationsstrukturen in der Krankenversicherung einschließlich der Selbstverwaltung. Kernelement des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 (GSG) war die Einführung der Kassenwahlfreiheit unter den Bedingungen eines kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleichs (RSA) mit der Folge eines intensivierten Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen. Diese Grundentscheidung sollte das Gesundheitswesen stärker verändern als alle anderen Reformen vor- oder nachher. Wettbewerb war zwar dem sozialen Versicherungssystem nicht fremd, aber bisher nicht als eigenständiges Strukturprinzip anerkannt. Die ideologischen und praktischen Auseinandersetzungen um Wettbewerb als Steuerungselement sollten in dieser und bei anderen, jetzt nahezu im Jahresrhythmus folgenden Reformschritten selten ohne Rückgriff auf Hitler oder Honecker erfolgen – eine Beobachtung, die Richard Schröder, den geachteten Theologen und Mitgestalter der Wiedervereinigung, mehr als befremdete (Knieps 2007).
Die Grundentscheidung für „Wettbewerb in einer solidarischen Rahmenordnung“ wurde in Folgegesetzen auf das Vertragsrecht und auf die Leistungserbringung übertragen. Dies zog eine (begrenzte) Ausweitung von Wahlmöglichkeiten und Beteiligungsrechten von Versicherten sowie Patientinnen und Patienten nach sich. Speziell die Betriebskrankenkassen nutzten die neuen Chancen der Kassenwahlfreiheit und gewannen viele neue Mitglieder hinzu. Mehr als die Hälfte aller Betriebskrankenkassen haben sich für den Wettbewerb geöffnet, behielten aber in der Regel den engen Bezug zu ihren Trägerunternehmen und deren Belegschaften bei.
Der Wettbewerbsdruck entfachte nicht nur in dieser Kassenart einen Konzentrationsprozess. Durch Fusionen entstanden größere Einheiten, die oft aber auch den engen Bezug zum Mitglied kosteten. Die Institutionen – nicht nur auf Kassenseite – wurden nach innen und außen modernisiert. Politisch-strategische Verantwortung wurde von der operativen Verantwortung getrennt. Neue intermediäre Einrichtungen wurden geschaffen. Eine besondere Rolle nimmt dabei der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ein, der sich zunehmend zum „kleinen Gesetzgeber“ entwickelte, was nicht nur verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Der traditionelle Kollektivvertrag wurde ergänzt oder (nur in der Theorie) ersetzt durch Selektivverträge, speziell zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung und zur Schaffung einer sektor- und ggf. auch professionenübergreifenden integrierten Versorgung. Die Instrumente zur Steuerung von Kapazitäten, zur Honorierung der Leistungen und zur Sicherung der Qualität der Versorgung wurden zwar grundlegend erneuert, aber an der sektoralen Ausrichtung wurde grundsätzlich festgehalten. Trotzdem bekam die Politik speziell den Krankenhausbereich nicht in den Griff. Steigende Ausgaben für Arzneimittel wurden mit neuen Instrumenten (frühe Nutzenbewertung mit nachfolgenden Preisverhandlungen), aber auch mit rigiden Dirigismen (Preismoratorien, Zwangsrabatten) bekämpft. Immer wieder wurde das Finanzierungssystem der GKV verändert, die (nach Einführung des RSA allenfalls stark eingegrenzte) Finanzautonomie der Krankenkassen wurde beschränkt. Die Politik nutzte wiederholt die Vermögensreserven der Kassen, um Beitragssätze zu dämpfen und Aufgaben des Staates zu subventionieren. Dabei war es hilfreich, dass ein bundesweiter Gesundheitsfonds geschaffen wurde, der in Wirklichkeit nur die Hülle für den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich darstellt (Pressel 2012). Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen, die oft sehr grundsätzlicher Natur waren, wurde eine eigenständige Pflegeversicherung eingeführt und an der Krankenversicherung ausgerichtet. Dabei wurde der Teilkaskocharakter in der öffentlichen Debatte geschickt ausgeklammert. In jüngster Zeit wurden nicht nur die finanziellen Defizite der Pflegeversicherung zum strukturellen Problem. Ein Präventionsgesetz beschäftigte die Politik über mehrere Legislaturperioden und blieb aus vielerlei Gründen doch nur ein Torso.
Je lauter die öffentliche Begleitmusik zu diesen Veränderungen wurde, umso geringer wurden die ideologischen Vorfestlegungen in der Politik. Der Inhalt von Reformschritten hing weniger von politischen Überzeugungen als von aktuellen Herausforderungen (Finanzentwicklung der Sozialkassen, demografische Entwicklung, Landflucht …) ab. Aber grundsätzliche Fragen – wie das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung oder die Dominanz der sektoralen Steuerungslogiken – bleiben problembehaftet, auch wenn Brücken gebaut und Konvergenzprozesse angestoßen wurden. Außerdem erwiesen sich einzelne Steuerungsinstrumente als fehleranfällig. So hat zum Beispiel das DRG-System für Krankenhausleistungen Anreize zur systematischen Über-, Unter- und Fehlversorgung ausgebildet. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich verzerrt in seiner konkreten Ausgestaltung den Kassenwettbewerb durch wachsende Über- und Unterdeckung je nach Versichertenstruktur und Schwerpunktregionen der einzelnen Krankenkassen. Dies begünstigt die AOK und belastet besonders, aber nicht ausschließlich Betriebskrankenkassen. Schließlich steht die (mittlerweile aufgegebene) Einfrierung des Arbeitgeberbeitrags mit der Folge einer alleinigen Übernahme der Kostensteigerungen im Gesundheitswesen durch die Versicherten im Zentrum einer Diskussion um die paritätische Finanzierung. An diesen und einigen neuen Baustellen, wie z.B. an den Folgen der Digitalisierung oder an der Bedeutung der Migration, wird die Gesundheitspolitik mit allen Akteuren weiterarbeiten müssen (Gerlinger u. Rosenbrock 2023).
Ebsen I, Wallrabenstein A (2018) Krankenversicherungsrecht: In: Ruland F et al. (Hrsg.) Sozialrechtshandbuch 6. Aufl., Nomos Verlag Baden-Baden, 777–840
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Gerlinger T, Rosenbrock R (2023) Gesundheitspolitik – Eine systematische Einführung, 4. Aufl., Hohgrefe Verlag Bern
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Ritter G (2010) Der Sozialstaat: Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, 3. Aufl., Oldenbourg Verlag München
Rosewitz B, Webber D (1990) Reformversuche und Reformblockaden im deutschen Gesundheitswesen. Campus Verlag Frankfurt/M.
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(Eine konzentrierte Einführung in die Geschichte der Gesundheitspolitik bis zur „Wende“)
Knieps F, Reiners H (2015) Gesundheitsreformen in Deutschland – Geschichte, Intentionen, Kontroversen. Verlag Hans Huber Bern
(Ein systematischer Überblick über alle Etappen der Gesundheitsreformen von Blüm bis Gröhe mit einer Beschreibung der historischen Wurzeln und einem Ausblick auf ungelöste Probleme und kommende Herausforderungen)
Antonia Müller
Die Gesundheitspolitik setzt sich die umfassende Gewährleistung der medizinischen und pflegerischen Versorgung der Bevölkerung zum Ziel. Dabei geht es einerseits um die Finanzierung von Leistungen, andererseits um die konkrete Versorgung vor Ort (vgl. Sauerland 2022: 872). Das Bismarcksche-System von sozialen Krankenversicherungen, die nach dem Sachleistungsprinzip agieren, ist in Deutschland historisch gewachsen (vgl. Bandelow 2006: 160; GKV-SV 20204a). Das deutsche Gesundheitswesen zeichnet sich als ein Solidarsystem aus. Dabei gibt es eine Kranken- und Pflegeversicherungspflicht. Die Gewährleistung von Wirtschaftlichkeit inkludiert hier die auskömmliche Finanzierung der Leistungserbringenden zur Sicherstellung der Versorgung, ebenso wie die Gleichwertigkeit der Gesundheitsleistung unabhängig vom Einkommen der Beitragszahlenden.
Partner: Um den finanziellen Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle zu gewährleisten, umfasst das deutsche Gesundheitssystem im Gegensatz zu anderen Marktsystemen nicht nur zwei, sondern drei wesentliche Partner. Das sind die Nachfragenden medizinischer und pflegerischer Leistungen (Patientinnen und Patienten), die Anbietenden dieser Leistungen (ambulante und stationäre Leistungserbringende) und zusätzlich die Kostentragenden (Kranken- und Pflegekassen). Diese komplexe Interaktion zwischen den verschiedenen Marktpartnern mit sehr unterschiedlichen Interessenlagen prägt maßgeblich die Struktur und Funktionsweise des Gesundheitssystems, die daher nach dem Prinzip der (gemeinsamen) Selbstverwaltung organisiert ist (vgl. Bandelow et al. 2022: 19; Sauerland 2022: 872).
Duales Krankenversicherungssystem: 90% der Bevölkerung und somit 75 Millionen Versicherte sind dabei in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert. Dabei besteht Wahlfreiheit zwischen derzeit 94 Krankenkassen (Januar 2025), die miteinander im Wettbewerb stehen (vgl. GKV-SV 2024b). Daneben existiert für bestimmte Personenkreise und Berufsgruppen die Möglichkeit der Vollversicherung in privaten Krankenversicherungen (PKV). Auch für gesetzlich Versicherte besteht die Möglichkeit, durch private Zusatzversicherungen bestimmte Leistungen zusätzlich in Anspruch zu nehmen (vgl. Sauerland 2022: 876).
Beiträge: Zur Finanzierung ihrer Leistungen erhebt die Krankenkasse von ihren Mitgliedern Beiträge. Anders als in der privaten Krankenversicherung werden die Versicherungsbeiträge der gesetzlich Versicherten nach dem beitragspflichtigen Einkommen (vgl. § 223 SGB V) und nicht nach dem Krankheitsrisiko festgesetzt. Die Beiträge aus dem allgemeinen Beitragssatz werden von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden paritätisch mit dem Gehalt abgeführt. Auch Grundsicherungs- und Sozialhilfeempfangende sowie Rentnerinnen und Rentner sind versicherungspflichtig (vgl. § 5 SGB V; weiterführend s. Kap. I.6). Die GKV enthält darüber hinaus verschiedene Umverteilungselemente, wie die Beitragsfreiheit für Kinder und Ehepartner (vgl. Sauerland 2022: 876; BMG 2024b).
Wirtschaftszweig: Die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine effiziente Mittelverwendung ist unerlässlich, um die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nachhaltig zu sichern und weiterzuentwickeln (vgl. BMG 2024a; Sauerland 2022: 871). In Anbetracht der enormen finanziellen Ressourcen, die in diesem Sektor investiert werden – im Jahr 2023 beliefen sich die Gesundheitskosten auf etwa 498 Milliarden Euro, was einem Anteil von 12,8% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entspricht (Destatis 2024a) – wird die Bedeutung einer effektiven und effizienten Gesundheitspolitik besonders deutlich. Mit rund sechs Millionen Beschäftigten im Gesundheitssektor (Destatis 2024b) ist die Branche nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der Volkswirtschaft, sondern auch ein bedeutender Arbeitgeber.
Gesetzlicher Rahmen: Das deutsche Gesundheitssystem wird grundlegend durch die Sozialgesetzbücher (SGB) V für die gesetzliche Krankenversicherung und das SGB XI für die soziale Pflegeversicherung geregelt. Diese legen nicht nur den Kreis der Versicherten und Anspruchsberechtigten fest, sondern auch den Rahmen des Leistungskatalogs, die Organisation der Kranken- und Pflegekassen sowie die Beziehung zwischen Kassen und den Leistungserbringenden. Ebenso regelt es die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (SPV) (vgl. Sauerland 2022: 875).
Widersprechende Anforderungen: Die Gesundheitspolitik muss sich darüber hinaus für eine hochwertige Gesundheitsversorgung und Stärkung der Interessen der Patientinnen und Patienten einsetzen. Die mehrdimensionalen Anforderungen von flächendeckender Versorgungssicherheit, hohen qualitativen Maßstäben und Wirtschaftlichkeit sind nicht gleichzeitig in gleichem Maße optimierbar (vgl. Bandelow 2006: 159).
Gesundheitspolitische Entscheidungen sind daher von der Balance und Verhandlungen zwischen den konfligierenden Zieldimensionen und Anforderungen geprägt.
Aufgaben: Das BMG nimmt innerhalb der Bundesregierung die führende Rolle in der Gesundheitspolitik ein, indem es verantwortlich für die Entwicklung entsprechender Gesetzesvorhaben, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften ist (vgl. BMG 2024c). Es setzt so den Rahmen für die Interaktionen der Selbstverwaltungsorganisationen, insbesondere durch die SGBs.
„Zu den zentralen Aufgaben zählt die Sicherung und Fortentwicklung der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung, die Stärkung der Interessen der Patientinnen und Patienten sowie die Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems.“ (BMG 2024a)
Weitere Aufgaben sind der Gesundheitsschutz, die Krankheitsbekämpfung und der Infektionsschutz. Präventionsmaßnahmen, die Festlegung von Rahmenvorschriften für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie die Unterstützung von Forschungsvorhaben fallen ebenso in dessen Zuständigkeitsbereich. Das BMG verantwortet die Berufsgesetze zur Zulassung der bundesrechtlich geregelten Heil- und Gesundheitsberufe und vetritt die Bundesregierung in internationalen Gremien wie der EU, dem Europarat, der WHO, der OECD sowie der G7/G20 und bilateralen Kooperationen. Dem Ministerium sind der Drogenbeauftragte, der Patientenbeauftragte und die Pflegebevollmächtigte zugeordnet (vgl. BMG 2024a).
Rechtsaufsicht: Das BMG übt die Rechtsaufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), die Kassen(zahn)ärztliche Bundesvereinigung (KBV/KZBV) und den GKV-Spitzenverband (GKV-SV) sowie dem Ministerium nachgeordnete Behörden aus. Das BMG ist zudem verpflichtet, die wirtschaftliche Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane GKV-SV und KBV zu überprüfen (vgl. § 274 SGB V).
Nachgeordnete Behörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit
Robert Koch-Institut (RKI): Das RKI ist die zentrale Einrichtung für Krankheitsüberwachung, -prävention und biomedizinische Forschung. Die Hauptaufgaben sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere von Infektionskrankheiten. Zudem erarbeitet es wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen und führt epidemiologische sowie medizinische Analysen von gefährlichen oder weit verbreiteten Krankheiten durch (https://www.rki.de/DE/Institut/institut-node.html).Paul-Ehrlich-Institut (PEI): Das PEI ist zuständig für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel. Es erforscht, bewertet und genehmigt Human- und Tierarzneimittel, führt klinische Prüfungen durch und überwacht Nebenwirkungen. Weitere Aufgaben umfassen die staatliche Chargenprüfung, wissenschaftliche Beratung und Inspektionen (vgl. PEI 2024).Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Die BZgA fördert die gesundheitliche Aufklärung durch die Entwicklung von Richtlinien für Gesundheitserziehung und -aufklärung, die Koordination nationaler Präventionsprogramme, vorwiegend zu Infektionskrankheiten sowie Suchtprävention und Kinder- und Jugendgesundheit. Darüber hinaus führt sie Aufklärungsmaßnahmen zu den Themen Sexualaufklärung, Organ- und Gewebespende sowie Blutspende durch (vgl. BZgA 2024). Es ist geplant, die BZgA zu einem Institut der öffentlichen Gesundheit weiterzuentwickeln (vgl. BMG 2024d). Aufgrund des Bruchs der Ampelkoalition ist ihre zukünftige Ausgestaltung unklar.Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Das BfArM ist zuständig für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, die Erfassung und Bewertung von Risiken im Zusammenhang mit Arzneimitteln und Medizinprodukten, die Überwachung des Handels mit Betäubungsmitteln und Grundstoffen sowie die Bereitstellung medizinischer Kodiersysteme für das Gesundheitswesen (ehemals deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information – DIMDI). Es führt verschiedene Register und erstellt u.a. das Beschäftigtenverzeichnis der ambulanten Pflege (vgl. BfArM 2024).Nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
Bundesamt für soziale Sicherung (BAS)
Das BAS führt die Rechtsaufsicht über die bundesunmittelbaren Träger der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung sowie der sozialen Pflegeversicherung. Bundesunmittelbare sind Krankenkassen, wenn sich ihr Zuständigkeitsbereich auf mehr als drei Bundesländer erstreckt. Insbesondere die Betriebskrankenkassen sind bundesweit tätig (vgl. BMG 2024e).Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Finanzausgleich in der sozialen Pflegeversicherung werden durch das BAS verwaltet. Weitere Aufgaben umfassen u.a. die Zulassung von Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke (DMP), die Verwaltung von Bundeszahlungen an die Sozialversicherung und situationsbedingt die Auszahlung von Mutterschaftsgeld (vgl. BAS 2024).Zuständigkeit: Die föderale Organisation der Bundesrepublik Deutschland spiegelt sich auch in der Gesundheitssystemgestaltung wider. In vielen Fällen unterliegen Bundesgesetze der Zustimmungspflicht durch die Länder. Gestaltungskompetenzen haben sie im Rahmen der Krankenhausplanung, da sie über den Sicherstellungsauftrag der Krankenhausversorgung verfügen. Hier entsteht eine Mehrdeutigkeit der Rollen, da Länder sowohl Gesetzgeber, Aufsichtsbehörde, als auch vereinzelt Träger von Krankenhäusern sein können. Die Länder sind außerdem für den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) verantwortlich, wobei die spezifischen Aufgaben und deren Verteilung zwischen Land und Kommunen durch die jeweiligen Landesgesetze festgelegt werden. Diese umfassen in der Regel den Gesundheits- und Infektionsschutz, die Gesundheitserziehung und -förderung sowie Unterstützungs- und Beratungsangebote, insbesondere für Personen mit besonderen Bedürfnissen wie Kinder und Jugendliche, Suchterkrankte oder Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen (vgl. Sauerland 2022: 876). Die Bedeutung der Krankenhausversorgung und des ÖGD für die Länder ist seit der Covid-19-Pandemie deutlich gestiegen.
Rechtsaufsicht: Krankenkassen, deren Zuständigkeitsbereich auf bis zu drei Bundesländer beschränkt ist, unterliegen der Rechtsaufsicht des jeweiligen Landes ebenso wie die Landesverbände der Krankenkassen, berufsständische Körperschaften (Kammern) und die 17 Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (vgl. BMG 2024e).
Für eine Übersicht über die einzelnen Akteure des Gesundheitswesens siehe hier: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/details/schaubild-das-gesundheitssystem-alles-auf-einen-blick.html
Gliederung: Die Kassen(zahn)ärztliche Bundesvereinigung (KBV/KZBV) bildet sich aus den 17 Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (KVen/KZVen) auf Landesebene. Eine Ausnahme bildet Nordrhein-Westfalen, wo das Rheinland und Westfalen-Lippe eigenständig organisiert sind. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht der zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der Länder unterliegen. Meist sind dies das Sozial- beziehungsweise Gesundheitsministerium des jeweiligen Landes (vgl. BMG 2024f; BMG 2024g). Alle zugelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie (Zahn-)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte, die mit den Krankenkassen abrechnen möchten, sind automatisch Mitglieder der regionalen Verbände (vgl. § 77 SGB V).
Zuständigkeit: Beide Organisationen haben die Kernaufgabe, eine flächendeckende ambulante Versorgung für gesetzlich Versicherte zu gewährleisten – die KVen für ärztliche und psychotherapeutische Leistungen, die KZVen für zahnärztliche Leistungen (Sicherstellungsauftrag § 72 SGB V). Diese Verbände stellen damit auch sicher, dass die Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen entspricht, auch außerhalb der Sprechzeiten (vgl. BMG 2024h).
Vergütung: Die KVen/KZVen sind zudem zuständig für die Vergütung von Leistungen. Die Abrechnung erfolgt über den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), der arztgruppenübergreifende und spezifische Leistungen umfasst, die abgerechnet werden können (Sauerland 2022: 880f.). Er wird zwischen dem KBV bzw. KZBV und dem GKV-SV im Bewertungsausschuss verhandelt und bildet die Grundlage für die Gesamtvergütung, die wiederum zwischen den KVen beziehungsweise KZBVen und den Landesverbänden der Krankenkassen verhandelt wird. Die Krankenkassen zahlen für die Leistungen ihrer Mitglieder an die jeweilige KV beziehungsweise KZV. Diese verteilen die ausgeschüttete Summe an die jeweiligen Leistungserbringenden je erbrachter Leistung (vgl. KBV 2024).
Interessensvertretung: Die KBV/KZBV verhandeln u.a. den verbindlichen Bundesmantelvertrag mit dem GKV-SV über die Pflichten und Rechte von Vertrags(zahn)ärztinnen und -ärzten (vgl. § 82 SGB V).
Zuständigkeit: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist der Dachverband der Krankenhausträger und besteht aus 16 Landesverbänden und 12 Spitzenverbänden (vgl. DKG 2024).
Vergütung: Für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen wird ein leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem angewendet, wodurch jeder stationäre Behandlungsfall mittels einer entsprechenden DRG-Fallpauschale vergütet wird. Das System entwickelt das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK GmbH) weiter, welches die Partner der Selbstverwaltung tragen (vgl. InEK 2024). Ab 2025 wird die Vorhaltevergütung im Fallpauschalenkatalog als zusätzliche Rechnungsposition neben DRG und Pflege ausgewiesen. Ab 2027 wird die Vorhaltevergütung fallzahlunabhängig als Pauschale direkt an die Kliniken ausgezahlt (vgl. KHVVG).
Interessensvertretung: Die Landeskrankenhausgesellschaften sind die jeweiligen Interessenverbände der Krankenhausträger auf Landesebene. Während die Mitgliedschaft für die einzelnen Träger freiwillig ist, sind die von ihnen geschlossenen Verträge über die Krankenhausbehandlung (§ 112 SGB V), die Wirtschaftlichkeitsprüfung (§ 113 SGBV) und den Notdienst (§ 115 SGBV) verbindlich. Die Landesverbände verhandeln mit den Krankenkassen auf Landesebene zudem über landesspezifische Preise für die Krankenhausleistungen, wie den Landesbasisfallwert (§ 10 KHEntgG).
Weitere ausgewählte Akteure auf Seite der Leistungserbringenden
Berufsständische Vertretungen (Kammern): Kammern sind selbstverwaltete Organisationen, die die Interessen bestimmter Berufsgruppen im Gesundheitswesen vertreten, so zum Beispiel die der (Zahn-)Ärztinnen, Apothekerinnen und Psychotherapeutinnen. Pflegekammern gibt es nur in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Ihre Gründung ist kontrovers und daher in verschiedenen Bundesländern gescheitert (vgl. Bundespflegekammer 2024; Moiseiwitsch 2024). Eine Mitgliedschaft ist für die Ausübenden des entsprechenden Berufes verpflichtend. Ihre Aufgaben reichen von der Qualitätssicherung, über Fort- und Weiterbildung und Beratung bis hin zur Berufsstandvertretung (vgl. PtK Berlin 2024).Weitere Berufsverbände: Neben den Kammern gibt es zahlreiche Berufsverbände mit freiwilliger Mitgliedschaft, die ähnliche Aufgaben übernehmen, jedoch nicht die Standesaufsicht innehaben. Exemplarisch seien hier der Deutsche Pflegerat, der Bundesverband der Hebammen und die verschiedenen Berufsverbände der weiteren pflegerischen, (fach-)ärztlichen sowie therapeutischen Gesundheitsberufe erwähnt (vgl. Gerlinger 2017).Gliederung: Der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) ist die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland. Eine Mitgliedschaft ist für alle Krankenkassen verpflichtend. Er ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert und gestaltet die Rahmenbedingungen für einen Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung.
Zuständigkeit: Seine Hauptaufgaben umfassen alle wettbewerbsneutralen Bereiche wie das Aushandeln von Rahmenverträgen und Vergütungsvereinbarungen, das Festlegen von Richtlinien zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung sowie das Verhandeln über Arzneimittelpreise. Er setzt darüber hinaus Festbeträge für Arznei- und Hilfsmittel fest, gestaltet die Telematik aus und definiert Grundsätze der Prävention und Selbsthilfe. Die Beschlüsse des GKV-Spitzenverbands haben einen rechts- und normsetzenden Charakter, was sicherstellt, dass alle gesetzlich Versicherten Zugang zu einem hohen Versorgungsniveau haben. Die Aufgaben, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, liegen in der Gestaltungsfreiheit der einzelnen Krankenkassen, wie Rabattverträge mit der Pharmaindustrie, Sonderverträge mit Hausärzten und Bonusprogramme (vgl. GKV-SV 2024c).
Die Sozialversicherungswahlen und der Verwaltungsrat
Der Verwaltungsrat trifft Grundsatzentscheidungen über gesundheitliche, sozialpolitische und pflegerische Versorgungsfragen (GKV-SV 2024a). Er wird alle sechs Jahre im Rahmen der Sozialversicherungswahlen der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung gewählt und setzt sich je zur Hälfte aus Versicherten und Arbeitgebervertretern zusammen. Die Sozialversicherungswahlen, auch besser als Sozialwahlen bekannt, bilden das demokratische Kernelement selbstverwalteter Krankenkassen, da alle Versicherten wahlberechtigt sind (weiterführend s. Kap. „Selbstverwaltung zwischen einzelwirtschaftlichem Wettbewerb und staatlicher Bevormundung“).
Gliederung: Die Gliederung der GKV orientiert sich historisch bedingt an den Kassenarten nach regionaler, berufsständischer oder branchenspezifischer Ausrichtung. Dabei sind die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), die Betriebskrankenkassen (BKK), die Innungskrankenkassen (IKK), die Ersatzkassen sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) und Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (KBS) zu unterscheiden (§ 4 SGB V). Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen bilden für jedes Bundesland einen Landesverband, diese können sich zu länderübergreifenden Landesverbänden zusammenschließen. So gibt es im BKK-System vier Landesverbände. Mit Ausnahme der BKKen der Dienstbetriebe des Bundes sind alle Krankenkassen gesetzlich dem Landesverband des Bundeslandes zugeordnet, in dem sie ansässig sind. Gibt es lediglich eine Krankenkasse der gleichen Art in einem Land, übernimmt diese zugleich die Aufgaben eines Landesverbandes. Bei Ersatzkassen und anderen Kassenarten existiert keine Verpflichtung zur Gründung von Landesverbänden, diese verfügen aber teilweise über Landesvertretungen (§ 207 SGB V).
Zuständigkeit: Die Landesverbände führen die Verhandlungen mit Krankenhäusern, KVen beziehungsweise KZVen sowie weiteren Leistungserbringenden, schließen Versorgungsverträge und vertreten die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der Landespolitik und anderen Kassenarten (§ 211 SGBV).
Die Krankenkassen können sich freiwillig in Dach- und Bundesverbänden organisieren, die nach Kassenarten gegliedert sind. Sie übernehmen als Vereine oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts die gemeinsame Interessenvertretung ihrer Mitgliedskassen, die Öffentlichkeitsarbeit auf Bundesebene sowie Dienst- und Serviceleistungen (vgl. BKK DV 2024).
Im Gegensatz zu vielen Ländern, in denen die Gesundheitsversorgung durch staatliche Institutionen organisiert und ausschließlich durch Steuergelder finanziert wird, basiert das deutsche Gesundheitssystem auf dem Prinzip der (gemeinsamen) Selbstverwaltung. Der Staat legt lediglich die gesetzlichen Rahmenbedingungen fest und übt Rechtsaufsicht aus, während die Träger des Gesundheitswesens eigenverantwortlich agieren, Vergütungen verhandeln, Bedarfe planen, Notdienste sicherstellen und Prozess-, Ergebnis- und Strukturqualität sichern (vgl. Sauerland 2022: 873f.).
Auftrag: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und wird durch das BMG beauftragt. Gesetzlich Versicherte haben Anspruch auf Leistungen, die „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sind, aber dabei „das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ (§ 12 Abs. 1 SGB V). Der G-BA entscheidet, was hierunter zu verstehen ist und somit über Leistungen der GKV sowie verbindliche Richtlinien hinsichtlich der Qualität. Die vier großen Selbstverwaltungsorganisationen – KBV, KZBV, DKG und GKV-SV – benennen insgesamt zehn Mitglieder für das Plenum des G-BA, das regelmäßig tagt. Daneben gibt es drei unparteiische Mitglieder. Auch Vertreterinnen und Vertreter von Patientenorganisationen haben ein Antrags- und Mitberatungsrecht, jedoch kein Stimmrecht (vgl. G-BA 2024a).
Gliederung: Zu den Gremien des G-BA zählen neben dem zweiwöchentlich tagenden öffentlichen Plenum neun dauerhaft eingerichtete Unterausschüsse sowie ein temporär eingesetzter Unterausschuss „Post-Covid“, welche die Beschlüsse des G-BA fachlich vorbereiten. Die Arbeitsweise, Geschäftsführung und organisatorischen Prozesse des G-BA sind in einer Geschäftsordnung festgelegt, die der Genehmigung des BMG bedarf.
Aufgaben: Im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags trifft der G-BA kontinuierlich Beschlüsse, insbesondere zur Überarbeitung und Weiterentwicklung seiner Richtlinien, um sie auf dem aktuellen Stand der medizinischen Evidenz zu halten. Nach der Beschlussfassung prüft das BMG diese im Rahmen der Rechtsaufsicht. Zudem regelt eine durch das BMG genehmigte Verfahrensordnung die methodischen Anforderungen an die wissenschaftliche Bewertung von Nutzen, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit von Leistungen und Maßnahmen sowie weitere Verfahrensfragen (vgl. BMG 2024i).
Weitere Gremien
Innovationsfonds: Zur Förderung neuer Versorgungsformen, innovativer und sektorenübergreifender Versorgungsansätze und patientennaher Versorgungsforschung wurde beim G-BA ein Innovationsfonds eingerichtet. Der im Jahr 2016 beim G-BA ins Leben gerufene Innovationsausschuss legt die spezifischen Förderschwerpunkte und -kriterien fest, entscheidet über die Verteilung der Fördermittel und beschließt, inwieweit Ergebnisse aus geförderten Projekten in die Versorgung integriert werden sollen (vgl. G-BA 2024b).Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Das unabhängige Institut evaluiert seit 2004 den Nutzen und die Risiken medizinischer Maßnahmen. Es erstellt u.a. evidenzbasierte Gutachten zu Arzneimitteln, nichtmedikamentösen Behandlungsmethoden, Diagnoseverfahren und Behandlungsleitlinien sowie Disease-Management-Programmen (DMP) (vgl. IQWiG 2024).Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG): Das unabhängige Institut berät den G-BA hinsichtlich Verfahren und Instrumenten der Messung und Darstellung der Versorgungsqualität in Deutschland. Es entwickelt u.a. sektorenübergreifende Qualitätsindikatoren, die zur Erhebung und Bewertung der Gesundheitsversorgung eingesetzt werden (vgl. IQTIG 2024).Das deutsche Gesundheitssystem zeichnet sich durch eine ausgeprägte Selbstverwaltung aus, in der verschiedene Akteure mit oft konträren Interessen an der Gestaltung der Gesundheitsversorgung beteiligt sind. Dieser Interessenausgleich ist geprägt von einem Spannungsfeld zwischen der (solidarischen) Finanzierung des Systems, den wirtschaftlichen Interessen der Leistungserbringer und den Anforderungen an eine sowohl flächendeckende als auch qualitativ hochwertige Versorgung.
Die Spielregeln und die Akteure sind stark pfadabhängig und werden daher in Zukunft dieselben bleiben. Allerdings wird sich das Spielfeld um weitere Konfliktlinien erweitern. Künftige Debatten dürften sich etwa um demografische Veränderungen, den Fachkräftemangel und den wachsenden Stellenwert von Public Health nach der Pandemie drehen. Zudem stellen die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit neue Herausforderungen dar, die alle Akteure des Gesundheitssystems betreffen.
Diese neuen Herausforderungen werden – ähnlich den bereits bestehenden, sich konfligierenden Zieldimensionen – nicht gleichzeitig ausbaubar sein. Daher werden auch sie Teil der Verhandlungen der Selbstverwaltungspartner sein, die in der Gesundheitspolitik des Rahmengesetzgebers eine Balance finden müssen. Es gilt, die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse der Akteure zu berücksichtigen und eine ausgewogene Lösung zu finden, die sowohl den Anforderungen des Gesundheitssystems als auch den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht wird.
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BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2024) Aufgaben und Ziele. URL:
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G-BA (2024b) Der Gemeinsame Bundesausschuss. URL:
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Gerlinger T (2017) Die wichtigsten Akteure im deutschen Gesundheitswesen. Teil 3: Freie Verbände. Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin. URL:
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GKV-SV (2024b) Die gesetzlichen Krankenkassen. URL:
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Sauerland D (2022) Ziele, Akteure und Strukturen der Gesundheitspolitik in Deutschland. In: Haring R (Hrsg) Gesundheitswissenschaften.871–884. 2. Auflage. Springer Berlin
Sebastian Brauneis
Die Gesetzgebung in Deutschland ist ein komplexes und vielschichtiges Verfahren, welches maßgeblich den politischen Meinungsbildungsprozess prägt. Für die Akteure in der Gesundheitsversorgung, insbesondere für die Krankenkassen als Kostenträger und für die Versicherten, spielen diese Prozesse und die daraus resultierenden politischen Entscheidungen eine zentrale Rolle, da sie die Rahmenbedingungen für die Versorgung und die finanzielle Stabilität des Systems bestimmen. Angesichts der enormen Tragweite gesundheitspolitischer Gesetze und die Auswirkungen für alle Beteiligten – von der Patientenversorgung über die Vergütung ärztlicher Leistungen bis zu den Kosten für die Versicherten und die Gesellschaft – ist ein fundiertes Verständnis dieser Prozesse unerlässlich.
Ziel dieses Kapitels ist es, die Abläufe und Einflussfaktoren der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen näher zu beleuchten. Dabei soll ein Überblick über die entscheidenden Schritte und die Reihenfolge gegeben werden: von der Formulierung erster Ideen und Problemdefinitionen über die Strukturierung und Priorisierung in der Phase des Agenda Settings, bis zur Einflussnahme durch Koalitionsverhandlungen und der Konkretisierung in Referenten- und Kabinettsentwürfen. Im Anschluss folgt die parlamentarische Diskussion, die die Möglichkeit für Änderungsanträge beinhaltet, welche oft tiefgreifende Anpassungen bewirken können. Schließlich richtet sich der Fokus auf die letzte Phase, in der Krankenkassen und andere Akteure die gesetzlichen Vorgaben umsetzen.
Der folgende Artikel bietet damit eine Grundlage für ein vertieftes Verständnis der gesundheitspolitischen Gesetzgebungsverfahren und beleuchtet insbesondere die Interaktionen zwischen politischen Akteuren, Expertinnen und Experten sowie Krankenkassen in der oft langwierigen, aber essenziellen Gesetzgebungsarbeit.
Das deutsche Gesundheitswesen ist von einem komplexen Geflecht an Akteuren, Institutionen und politischen Prozessen geprägt. Die Gesetzgebung, die als rechtlicher Rahmen die gesundheitspolitischen Ziele und Maßnahmen bestimmt, verläuft in mehreren, klar definierten Phasen. Die zentrale Rolle spielen dabei der Bundestag, der Bundesrat und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), die gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie Interessenvertretern wie Krankenkassenverbänden, Vertretern der Leistungserbringenden (z.B. Krankenhäuser, Heilmittelerbringer oder Pflegekräfte) und Patientengruppen einen umfassenden Konsultationsprozess durchlaufen (Bundeszentrale für politische Bildung 2017).
Gesundheitspolitische Ideen können von verschiedenen Seiten in den politischen Diskurs eingebracht werden, wie etwa durch Koalitionsverträge, programmatische Reden oder Positionspapiere. Aber auch aktuelle Ereignisse und Entwicklungen wie der demografische Wandel oder lang andauernde hohe Arbeitslosigkeit im Land, die zu geringeren Einnahmen für den Gesundheitsfonds führt, können gesundheitspolitische Debatten auslösen. Diese wirken als sogenannte Agenda Setter und setzen Themen wie Pflege, Krankenhausreform oder Digitalisierung im Gesundheitswesen auf die politische Agenda (Rössler 2016). Dabei ist das Bundesministerium für Gesundheit oft der Initiator konkreter Gesetzesvorschläge, die in Form eines Referentenentwurfs die erste formale Stufe im Gesetzgebungsprozess markieren. Anschließend diskutieren Kabinett und Bundestag über den Entwurf. Die politischen Fraktionen können dabei ihre Meinung kundtun und Öffentlichkeit als Basis für eine breitere Debatte herstellen (Rauer et al. 2024).
Wichtige Rollen in diesem Prozess nehmen auch die Fachausschüsse des Bundestags ein, in denen Gesetzesentwürfe und Änderungsvorschläge im Detail erörtert werden. Interessenvertreter wie Krankenkassenverbände, Vertreter der Leistungserbringenden und weitere Akteure werden regelmäßig zu Anhörungen geladen und erhalten die Möglichkeit, ihre Positionen zu erläutern. Die Fachausschüsse und der Bundesrat haben zudem die Möglichkeit, umfangreiche Änderungsanträge einzubringen, die häufig weitreichende Anpassungen an einem Gesetz bewirken können. Letztlich folgt eine Abstimmung im Bundestag und im Bundesrat, wobei letzterer vor allem bei Zustimmungsgesetzen eine entscheidende Rolle spielt, bevor das Gesetz in Kraft tritt (Rauer et al. 2024).
Durch diese vielfach abgestimmten Prozesse soll sichergestellt werden, dass die Gesetzgebung nicht nur die aktuelle politische Richtung widerspiegelt, sondern auch die Expertise und Interessen der wichtigsten Akteure des Gesundheitswesens integriert.
Die politische Meinungsbildung im Gesundheitswesen ist ein dynamischer Prozess. Er wird von vielen Akteuren geprägt, deren Ziel es ist, ihre Interessen und Perspektiven in den gesundheitspolitischen Diskurs einzubringen. Akteure wie Krankenkassen, Vertreter der Leistungserbringer, Patientenschutzorganisationen, Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft, wie beispielsweise Pharmaunternehmen und politische Entscheidungsträger, spielen hierbei zentrale Rollen (Bundeszentrale für politische Bildung 2017). Jeder dieser Akteure verfolgt spezifische Ziele und setzt unterschiedliche Prioritäten – von der optimalen Versorgung der Versicherten über eine angemessene Entlohnung von Versorgungsleistungen bis hin zur Förderung innovativer Therapien (Hornung u. Bandelow 2023).
Für Krankenkassen und deren Verbände liegt ein Hauptanliegen darin, eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung für die Versicherten zu gewährleisten. Aus dieser Verantwortung heraus engagieren sich Krankenkassen und deren Verbände aktiv in der politischen Meinungsbildung, indem sie etwa Stellungnahmen verfassen, Gesetzesinitiativen kritisch bewerten und aktiv den Kontakt zu Entscheidungsträgern und zur Öffentlichkeit suchen. Die Meinungsbildung geschieht dabei oft nicht auf direktem Wege, sondern in einem Zusammenspiel verschiedener Dialogformate und Verhandlungsprozesse, in denen Interessen gewichtet und teils modifiziert werden (Hornung u. Bandelow 2023; Bundeszentrale für politische Bildung 2023).
Kern der politischen Meinungsbildung sind die Stakeholder-Dialoge, Expertenanhörungen und öffentlichen Debatten, in denen die Beteiligten Argumente austauschen und unterschiedliche Perspektiven abwägen. Da die Gesetzgebung in der Gesundheitspolitik teils komplex und von langfristigen Effekten geprägt ist, legt die Politik besonderen Wert auf eine breite Basis an Informationen und Einschätzungen. Wissenschaftliche Studien, Expertenrunden und die enge Zusammenarbeit mit relevanten Organisationen schaffen eine solide, evidenzbasierte Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen.
Agenda Setting beschreibt den Prozess, der bestimmte Themen in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit rückt, wodurch ihre Relevanz im politischen Diskurs an Bedeutung gewinnt (Rössler 2016). Gesundheitspolitische Themen stehen nicht nur in Krisenzeiten wie etwa bei einer Pandemie oder einer drohenden Finanzkrise im Gesundheitssystem im Fokus, sondern auch bei der Lösung struktureller Herausforderungen, wie z.B. in der Pflege oder bei der Digitalisierung.
Das Gesundheitsministerium, Medien und politische Verbände können durch gezielte Kommunikation Themen setzen, die dann als „agenda-relevant“ gelten (Rössler 2016). Die Digitalisierung hat etwa im Gesundheitswesen durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit und politische Initiativen an Relevanz gewonnen und ist inzwischen ein zentrales Thema der gesundheitspolitischen Agenda. Greifbar wird das beispielsweise durch die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) oder des elektronischen Rezepts (E- Rezept). Beim Agenda Setting beeinflussen aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und politische Interessen, welche Themen in den Vordergrund treten. Ein gut gesetztes Thema hat die Chance, Aufmerksamkeit und Handlungsdruck zu erzeugen und damit den politischen Prozess anzustoßen. Die Rolle der Krankenkassen als Mitgestaltende im Agenda Setting ist dabei kaum zu unterschätzen, da sie über umfassende Daten zur Gesundheitsversorgung verfügen und wichtige Trends identifizieren können.
Aktuelle und historische Beispiele zeigen die Wirkkraft des Agenda Settings im Gesundheitswesen: So führte die intensivere Berichterstattung über Pflegenotstände und Engpässe in der ambulanten Versorgung in den vergangenen Jahren zur Entwicklung umfassender Reformpläne und Gesetzesentwürfe. Alle beteiligten Akteure des Gesundheitswesens konnten durch gezielte Kommunikation und Stellungnahmen zu relevanten Aspekten maßgeblich mitwirken und die Dringlichkeit der politischen Handlungsbedarfe in der Pflege verdeutlichen.
Der Koalitionsvertrag bildet eine der zentralen Grundlagen der politischen Arbeit einer Regierungskoalition und bestimmt die politische Ausrichtung maßgeblich. In Koalitionsverhandlungen einigen sich die beteiligten Parteien auf gemeinsame Ziele und Prioritäten für die Legislaturperiode. Hierbei bringen die Parteien ihre unterschiedlichen Sichtweisen und Schwerpunkte ein, die im Rahmen von Verhandlungen zu einem Konsens zusammengeführt werden.
Im Bereich der Gesundheitspolitik sind die Verhandlungen oft besonders anspruchsvoll, da hier Themen wie die Stabilität der Krankenkassenfinanzen, die Stärkung der Pflege oder die Verbesserung der Versorgung in ländlichen Regionen oft unterschiedliche, bisweilen sogar gegensätzliche politische Prioritäten und finanzielle Interessen berühren. Der Koalitionsvertrag legt schließlich die geplanten Reformen fest, die dann in konkrete Gesetze münden sollen. So können breite Themen wie die Krankenhausreform, die Reform der Pflegeversicherung oder speziellere Vorhaben wie die Förderung der Telemedizin oder die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel bereits im Koalitionsvertrag benannt werden. Das erlaubt eine erste Orientierung im Hinblick auf die zu erwartenden Gesetzesinitiativen.
Für alle Akteure ist der Koalitionsvertrag von großer Bedeutung, da er die grundlegenden politischen Rahmenbedingungen und mögliche Herausforderungen für die (nächste) Legislaturperiode aufzeigt. Die frühzeitige Berücksichtigung von Interessen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen kann spätere Einflussnahmen erleichtern und langfristige Planungen ermöglichen.
Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen und der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags beginnt die konkrete Planung und Umsetzung der darin vereinbarten Ziele. Nun steht zur Debatte, welche gesundheitspolitischen Vorhaben Priorität haben und wie sie am effektivsten umsetzbar sind. Diese Abstimmung erfolgt in den Fachministerien, insbesondere im Bundesministerium für Gesundheit, sowie in den entsprechenden Arbeitskreisen und Fachausschüssen der Regierungsparteien (Bundesministerium für Gesundheit 2024).
Ein Schwerpunkt in den Koalitionsvereinbarungen für die aktuelle Legislaturperiode ist etwa die Modernisierung der Krankenhauslandschaft, die durch das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) und die geplante Notfallreform vorangetrieben werden soll. Für diese Themen beruft das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eine Krankenhauskommission, die aus ausgewählten Expertinnen und Experten besteht und die Gesetzgebung für die Reformen zur Krankenhausversorgung vorbereitet. Diese Kommission spielt eine entscheidende Rolle, da sie die Positionen des Ministeriums präzisiert und in die Entwicklung neuer Gesetzesentwürfe einfließen lässt. Die Arbeit der Kommission dient als Grundlage für die Entwürfe, die später im Gesetzgebungsverfahren durch die weiteren Instanzen diskutiert werden.
Priorisierte Themen wie die Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Strukturreform in der Pflegeversorgung münden in erste Entwürfe. Der Bundesminister für Gesundheit oder die Bundesministerin für Gesundheit und seine bzw. ihre Beratergruppe arbeiten hierbei eng mit Expertinnen und Experten sowie Akteuren – wie den Krankenkassen – zusammen, um die geplanten Reformen auf eine fundierte Grundlage zu stellen. Die Beteiligten haben in dieser Phase die Möglichkeit, durch Stellungnahmen, Gutachten oder durch Teilnahme an Gesprächsrunden frühzeitig ihre Positionen einzubringen (Bundesministerium für Gesundheit 2024).
Nach der ersten Lesung eines Gesetzesentwurfs im Bundestag wird dieser in die parlamentarischen Ausschüsse überwiesen, die sich aus Mitgliedern aller Parteien zusammensetzen. Hier unterscheidet man zwischen Regierungs- und Parlamentsarbeit: Die Regierungsarbeit erfolgt zunächst über die Ressortabstimmung des federführenden Ministeriums, bei gesundheitspolitischen Themen ist dies das BMG. In dieser Phase stimmen sich das BMG, das Bundeskanzleramt, der Vizekanzler, das Bundesfinanzministerium (BMF) und weitere zuständige Ministerien über den Entwurf ab. Erst nach dieser umfassenden interministeriellen Abstimmung wird ein Referentenentwurf (RefE) veröffentlicht und in den Bundestag eingebracht.