Gipfelblut - Ralf Weber - E-Book

Gipfelblut E-Book

Ralf Weber

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Beschreibung

In der Nähe eines bekannten Skiresorts in den Walliser Alpen wird kurz vor Beginn der neuen Wintersaison die entstellte Leiche eines Bankers gefunden. Kommissar Frank Studer wird mit den Ermittlungen beauftragt und richtet sich mit seinem Team im Wallis ein. Der Fall scheint schon fast geklärt, als inmitten der grandiosen Bergwelt Ungeheuerliches geschieht. Nur langsam kommt Studer einer Verschwörung auf die Spur, die ihn in tödliche Gefahren und immer schwindelerregendere Höhen führt.

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Ralf Weber

Gipfelblut

Kriminalroman

Zum Buch

Eiskalt erwischt Zwei zerstrittene Brüder führen benachbarte Skiresorts in den Walliser Alpen. Während auf der einen Seite Peter Zogg in Faltmoos mit seiner familiären und nachhaltigen Art am Rande des Konkurses um Gäste wirbt, herrscht in Riggen Jetset-Atmosphäre mit dem Drang nach immer ausgefalleneren Bahnprojekten, geführt von seinem Bruder Adam Zogg, selbst ernannter König von Riggen. Russische Investoren haben viel Geld in das futuristische Bahnprojekt ›Riggen 3000‹ gesteckt und warten ungeduldig auf die Baubewilligung. Dem König ist jedes Mittel recht, um die Investoren bei Laune zu halten. Ein brutaler Mord an einem Banker und merkwürdige Vorkommnisse in einer Bergbahn führen Kommissar Frank Studer und sein Team für Ermittlungen ins Wallis. Schnell verstrickt sich Studer im undurchsichtigen Netz des Königs und entdeckt eine Verschwörung aus Gier, Drogen, Mord und Sex. Umgeben von der majestätischen Walliser Bergwelt, begeben sich die Ermittler in immer tödlichere Gefahren und schwindelerregende Höhen.

Ralf Weber wurde 1969 im Kanton Baselland geboren. Nach seiner Schulzeit und einer technischen Ausbildung verbrachte er mehrere Monate in den USA und absolvierte anschliessend diverse Weiterbildungen im technischen Bereich sowie in mehreren Fremdsprachen. Heute ist Ralf Weber Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglied einer technischen Firma. Seine Freizeit verbringt Ralf Weber gerne mit seiner Familie, mit Sport, Lesen und Schreiben, mit Fremdsprachen und der Aviatik. Das Schreiben von Romanen und Gedichten fasziniert ihn seit seiner Jugend. In der Natur, speziell in den Bergen beim Wintersport, lässt er sich gerne von neuen Ideen inspirieren. Ralf Weber lebt in der Nordwestschweiz.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Engelsfall (2016)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2017

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © froodmat / photocase.de

ISBN 978-3-8392-5560-5

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Epilog

Anmerkungen des Autors

Dank

Karte

Lesen Sie weiter …

1. Kapitel

Riggleralp, 1.960 Meter über Meer – Oktober 1976

Die Sonne warf ein anmutendes Licht auf die majestätischen Berggipfel. Darunter erstreckten sich die weitläufigen sanften Wiesen rund um die Riggleralp. Die beiden Knaben hatten sich bis zu einem kleinen Felsvorsprung hochgewagt und saßen dicht nebeneinander. Die zwei Brüder beobachteten, wie ihr Vater weit unter ihnen die kleine Berghütte winterfest machte, nachdem er zusammen mit ihnen und ihrer Mutter das Vieh vor drei Tagen zurück ins Dorf gebracht hatte. Alpabzug. Es hatte diese Woche bis zur Baumgrenze geschneit. Der Blick auf den ersten Schnee verzückte die beiden. Nichts auf der Welt bedeutete ihnen mehr als Schnee und Skifahren.

Ein neuer Dreier-Sessellift war den Sommer durch gebaut worden und ersetzte einen in die Jahre gekommenen Schlepplift. Stolze sechs Lifte umfasste mittlerweile das Skigebiet von Riggen. Zwei Übungslifte, zwei Schlepplifte, eine Zweier-Sesselbahn und eben den neuen DreierSessel auf die Gantfluh.

Es war der letzte Alpabzug ihres Vaters. Als Kurdirektor und Gemeindepräsident des schnell wachsenden Dorfes musste er sich um die Geschäfte rund um den Tourismus kümmern. Zeit für die Landwirtschaft blieb keine mehr. Nächstes Jahr sollte ihre kleine Berghütte zu einem Restaurant mit Sonnenterasse umgebaut werden. Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des Dorfes und der Wintersportregion. Adam, der jüngere Sohn von Adolf Zogg war Feuer und Flamme für diese Pläne, während der drei Jahre jüngere Peter viel lieber das Vieh behalten hätte. Das Dorf Riggen mit seinen 850 Einwohnern brachte es auf stattliche 600 Hotelbetten. Adolf Zogg war maßgeblich an der Entwicklung des Dorfes beteiligt.

Unter anderem gründete er im zarten Alter von 20 Jahren die Skischule und war an sämtlichen Bahnprojekten als treibende Kraft tätig. Damals, als Riggen noch ein verschlafenes Nest in einem abgelegenen Seitental des Walliser Goms war, mit einem Schlepplift aus der Nachkriegszeit und einer zu Saisonzeiten geöffneten Pension, hatten nicht alle im Dorf Gefallen an seinen Plänen. Unermüdlich suchte er Investoren für weitere Ausbauten und für die Beschaffung moderner Pistenfahrzeuge. In seinem Kopf entwickelte er stets neue Projekte und Visionen. Eine international bekannte moderne Wintersportdestination, die sich mit anderen mondänen Orten in den Alpen messen konnte – das war sein großes Ziel. Zweifellos bot die Region alles, was dazu benötigt wurde. Weite Alpwiesen mit abwechslungsreichem Terrain, steile Bergflanken Richtung Osten und sanft geneigte Hänge im Westen. Ein atemberaubendes Bergpanorama, eine optimale Erreichbarkeit aus dem Tal und dem nahen Italien waren ebenso vorhanden wie ausreichend Platz im Dorf für neue Hotels, Parkplätze und weitere Infrastruktur.

Was fehlte, war der Aussichtsberg für den Sommertourismus als Anziehungspunkt. Aber auch diesen Traum würde er sich früher oder später erfüllen: eine Pendelbahn auf die 3.260 Meter hohe Sporrspitze. Im Sommer mit einer Aussichtsplattform hoch über den Ausläufern des Sporrgletschers und im Winter für Skifahrer erschlossen mit einer zehn Kilometer langen Abfahrt entlang schroffer Felsen und endlosen Hängen hinunter zur Riggleralp und weiter bis ins Dorf. Diese Investition würde dem Ort und der Region den endgültigen Durchbruch verschaffen. Gespräche mit den Behörden, den Naturschützern, Banken und verschiedenen Investoren waren schon weit fortgeschritten und Adolf Zogg sehnte sich nach dem Tag, an dem er vor versammelter Gemeinde den Startschuss für dieses Jahrhundertprojekt bekanntgeben würde. Und der schönste Tag seines Lebens würde sein, wenn er die neue Bahn mit einer glamourösen Eröffnungsfeier Seite an Seite mit seinen beiden Söhnen in Betrieb setzte.

Adam legte seinen Arm auf die Schulter seines größeren Bruders und zeigte mit dem anderen zur Sporrspitze. »Eines Tages wird eine Luftseilbahn dort hoch führen, Peter, und wir werden die ersten sein, die mit unseren Skiern die Abfahrt fahren dürfen.«

Peter zuckte mit seinen Schultern. »Ich weiß nicht. Mir gefällt es so besser. Die unberührte Natur, die vielen Tiere. Ich mag es nicht, wenn immer mehr Leute hierherkommen. Denk nur an den ganzen Müll, den die hierlassen und die vielen Autos.«

Adam schmunzelte. »Aber Riggen wird eines Tages berühmt sein, Peter. Vater sagt, dann kommen Leute aus der ganzen Welt hierher und wir werden viel Geld verdienen mit großen Hotels und Restaurants.«

Peter schüttelte den Kopf. »Mama hat aber gesagt, man müsse die Natur so sein lassen, wie sie ist. Sonst wird sie sich eines Tages rächen. Man kann doch auch so Skifahren und es kommen ja auch so genug Leute in die Ferien mit ihren Kindern.«

Adam erhob sich. »So ein Blödsinn.« Und er deutete mit seinem rechten Zeigefinger auf die Riggleralp. »Vater sagte, dort unten auf der Riggleralp gibt es zuerst ein Restaurant. Dann eine Gondelbahn hoch zur Sporrspitze und eine andere Bahn nach links zum Krappjoch. Dort kann man das Krapptal erschließen, ebenfalls mit einem oder zwei Liften.« Seine Augen funkelten gierig. »Wir werden über 100 Pistenkilometer haben.« Er schnippte dabei mit seinen Fingern. Etwas, was Adam konnte und Peter nicht. Und nochmal schnippte er die Finger. Direkt vor Peters Augen.

Peter wandte sich ab und stand auf. »So viel Geld, um das alles zu bauen, hat gar niemand.« Er machte sich an den Abstieg zu ihrem Vater und ärgerte sich, seinem jüngeren Bruder unterlegen gewesen zu sein. Adam verweilte mit auf den Hüften aufgestützten Händen und dem Blick ins Tal auf dem Felsvorsprung. Er sah dabei aus wie ein Denkmal eines Königs. König von Riggen.

2. Kapitel

Palace Hotel Riggen – 40 Jahre später

Fordernd schnippte der Hoteldirektor seine Finger vor der Nase der Chef-Rezeptionistin und drängte sie, den Hörer endlich aufzulegen. »Ich habe ausdrücklich Privatgespräche untersagt«, zischte er.

»Das war ein …«

Er schlug die flache Hand auf den Tresen. »Und widersprechen Sie mir nicht. Ich brauche die Reservationen für den Dezember.« 20 Sekunden später surrte der Drucker hinter der Rezeptionistin und brachte eine Liste mit Kleingedrucktem hervor. Mit einem verachtenden Blick entriss der Hoteldirektor, in feinstem Zwirn gekleidet, der Rezeptionistin das Papier und wandte sich ab. Einige Meter weiter betrat er den Lift und benutzte seinen Schlüssel, um direkt in das oberste Stockwerk zu gelangen, wo sich sein Büro befand. Er setzte sich an sein fein säuberlich aufgeräumtes Pult. Anerkennend nickte er.

»Ausgezeichnet«, murmelte er. Die Buchungen waren großartig. Und das schon im Oktober. Die für fünf Millionen Franken umgebauten zehn Luxus-Suiten waren von Mitte Dezember bis Mitte Januar allesamt ausgebucht zu den maximalen Tarifen. Acht davon haben Russen gebucht, zwei Suiten deutsche Stammgäste. Zufrieden entnahm er seinem Humidor eine Gran Corona Zigarre. Gekonnt schnitt er sich die teure Zigarre mit seinem Cutter zurecht und zündete sie an. Der Qualm des ersten Zugs entwich seinen Lungen und versteckte sein Gesicht für einen Moment hinter blauem Dunst. Er legte beide Hände auf den leeren Schreibtisch, während die Zigarre im exklusiven Keramik-Aschenbecher glühte. Der Direktor erhob sich und ging zu einem Glasschrank. Seine Hände hatten auf dem Klarlack seines Pultes Striemen hinterlassen. Er betrachtete die Flaschen hinter der Glasscheibe. Sein Blick wanderte von Flasche zu Flasche. Mit seiner rechten Hand öffnete er den Schrank, nachdem seine Wahl auf einen 18-jährigen Scotch von den Orkney Islands fiel. Gleichzeitig warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. Heute trug er die »TAG Heuer«, ausnahmsweise. Am Morgen hatte er gedacht, heute müsse es eine sportliche sein. Warum, wusste er nicht mehr.

Eigentlich war es noch zu früh für einen Drink. Es war erst kurz nach 14 Uhr. Aber die Dezemberreservationen ließen ihn frohlocken. Er fand, er habe sich diesen einen Drink verdient. Und nur den einen. Die Eiswürfel aus dem im Büro fest eingebauten Kühlschrank klirrten anmutig, als er sie ins Glas fallen ließ. Und als er den Scotch darüber goss, knackten die Würfel für einen Moment. So wie sie es immer taten. Er hob das Glas an und hielt es zwischen sich und dem vom Sonnenlicht durchfluteten Panoramafenster.

Der kräftige Schluck brannte in seinem Hals, als müsste sich der Scotch eine Schneise in den Magen schlagen. Die Augen kniff er dabei zu. Er setzte sich auf die Tischkante und betrachtete die Berggipfel. Schlechtes Wetter zog auf und das war gut so. Der erste Schnee lag in der Luft.

Das Telefon auf seinem Pult surrte und kündete ein internes Gespräch an. Lässig drückte er die Lautsprechertaste und blieb dabei auf der Tischkante sitzen. Es war das Direktionssekretariat, Sonja Groebli.

»Adam, denk bitte an den Termin um 15 Uhr mit den Herren der Bergbahnen und dem Projektleiter ›Riggen 3000‹. Ich habe dir das Dossier bereitgelegt. Es liegt auf dem kleinen Besprechungstisch in deinem Büro. Die Sitzung findet im Konferenzraum ›Sporrspitze‹ statt. Ich habe alles vorbereitet. Brauchst du noch etwas?«

Zogg schielte zum Tisch mit dem Dossier und schmunzelte. Und ob er noch etwas brauchte. Eine kurze sexuelle Fantasie zog in seinen Gedanken vorüber. Nun lächelte er leise. »Nein, ich brauche nichts mehr. Danke. Aber ich möchte dich dabeihaben.« Er unterbrach die Leitung. Dabei regnete Asche von seiner Zigarre auf die Tastatur des Telefons. Er blies sie fort. Sonja Groebli, seine Direktionssekretärin, war eine der wenigen Angestellten, die Zogg respektierte. Er brauchte sie. Sie wusste über alles Bescheid im Haus und hielt ihm den Rücken frei. Angriffsfläche bot seine Person genug. Sei es als Hoteldirektor des Palace Hotels oder als Kurdirektor von Riggen. Außerdem war er Mehrheitsaktionär der Bergbahnen Riggen und Mitglied des Verwaltungsrates. Seine Macht überstieg jene des Gemeinderates bei Weitem und sein Einfluss war allgegenwärtig in der Gegend.

Zogg hatte Sonja Groebli auf einer Tourismusmesse in Zürich kennengelernt. Sie war damals noch für eine internationale Hotelkette tätig gewesen. Ihre kommunikative Art hatte ihn derart begeistert, dass er ihr Hals über Kopf eine Stelle als Direktionsassistentin in seinem frisch renovierten Hotel in Riggen angeboten hatte. Für Groebli war damit ein Traum in Erfüllung gegangen: Seite an Seite mit einem erfolgreichen Hotelier in einem Luxushotel zu arbeiten.

Sie erwies sich als absoluter Glücksfall. Denn wie sich bald herausstellte, waren auch ihre fachlichen Fähigkeiten außergewöhnlich. Viele im Ort hielten die beiden für ein Paar. Aber dazu kam es nie. Zogg hielt sich selbst für beziehungsunfähig und zog es vor, sich gelegentlich mit einer oder mehreren Tänzerinnen seines eigenen Nachtclubs von gegenüber zu vergnügen.

Zogg kreiste einmal um den kleinen Tisch mit dem Dossier. Dann schlug er das Dokument auf, um es gleich wieder zu schließen. »Riggen 3000« war seine Idee. Selbstverständlich. Ein lange gehegter Traum sollte nächstes Jahr in Erfüllung gehen. Die Krappjochbahn und die Erschließung des Krapptals. Eine ultramoderne Umlaufbahn mit einer futuristischen Berg- und Talstation. Dazu zwei Sechser-Sesselbahnen mit allem denkbaren Komfort für seine Gäste.

Mit dieser Investition würde Riggen endgültig in die oberste Liga der europäischen Skiresorts aufsteigen und brauchte keinen Vergleich mehr mit anderen Orten zu scheuen. Der Name Riggen würde dann zusammen mit St. Moritz, Kitzbühel, Gstaad oder Zermatt fallen. Zogg war überzeugt, mit der heutigen Besprechung den Grundstein für die lange ersehnte Bewilligung zu legen. Jahrelanger Zwist mit den Behörden aus Bern und lästigen Naturschützern waren dem Projekt vorausgegangen. Riggen musste sich verpflichten, große Flächen Berggebiet als Naturschutzzone auszuscheiden und unter anderem den bei Familien beliebten Lift auf den Grimpen zu entfernen. Noch waren nicht alle Details für die Erlangung der Bewilligungen geklärt. Aber Zogg befand sich mit großer Vorfreude auf der Zielgeraden.

3. Kapitel

Faltmoos, Talstation Menzhornbahn – Zur gleichen Zeit

Peter Zogg war spät dran. Schnaufend erreichte er mit seinem Fahrrad den großen Parkplatz bei der Talstation der Luftseilbahn Faltmoos-Menzhorn. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, pünktlich zu erscheinen. Denn die bevorstehende Sitzung war eine Art Krisensitzung. Akuter Geldmangel nach zwei schlechten Betriebsjahren und unplanmäßig hohe Revisionskosten erforderten einen Nachkredit bei der im Tal ansässigen Filiale der Walliser Sparkasse. Diese hatte Alarm geschlagen und den Kredit zuerst verweigert. Es hatte enorme Anstrengungen gebraucht, um wenigstens diese Besprechung zusammen mit Vertretern der Bank auf die Beine zu stellen.

Peter Zogg stellte sein Fahrrad ab und richtete seine Kleidung. Er nahm seine zerschundene Aktentasche und schritt zum Eingang des Betriebsgebäudes. Der Parkplatz war beinahe leer und nur von Autos belegt, deren Fahrer schon zur Sitzung eingetroffen waren.

»Du hast vielleicht Nerven.« Der besorgte Blick von Damian Sprecher, Chefmaschinist der Bergbahnen Faltmoos, wies Peter Zogg einen Platz zu. Zogg machte seine Runde mit Hände schütteln und nahm seinen Platz ein. Dr. Theo Steiger von der Sparkasse hatte sich zuvor mit seiner Mitarbeiterin Ariane Wolf die Bahngebäude und Technikräume von Sprecher zeigen lassen und saß mit ernster Miene hinter einem Aktenstapel.

Steiger begann die Sitzung mit einem besorgten Kopfschütteln. »Um es vorwegzunehmen: Es sieht nicht gerade rosig aus. Ich würde sagen nicht ohne Ausweg, aber sehr, sehr ernst. Noch einmal ein solches Jahr wie das letzte und es ist aus. Selbst bei einer optimistischen Berechnung von zehn Prozent mehr Gästen legt ihr drauf. Ihr müsstet um ein Viertel steigern, um in die schwarzen Zahlen zu kommen. Und ich bin gespannt, wie ihr das anstellen wollt.«

Sein Blick blieb bei Zogg hängen, der um eine Antwort rang. Sprecher erlöste ihn. Die Blicke wandten sich zum Chefmaschinisten. Zogg hatte seine Augen geschlossen.

»Wir kamen schon auf diese Gästezahlen. Im Jahr 2001 hatten wir sogar noch etwas mehr. Wir müssen um jeden Gast kämpfen, dann klappt das.«

Das reichte Steiger nicht. »Wie wollt ihr denn Gäste anlocken? Etwa mit Werbung, die ihr euch nicht leisten könnt? Oder mit einem Tourismusbüro, das selbst in der Hauptsaison nur am Samstag geöffnet hat? Es tut mir leid. Aber ihr braucht dringend flüssige Mittel, einen Investor oder einen Partner. An ein Wunder glauben hilft nicht. Nicht bei dieser Konkurrenz ein paar Kilometer weiter östlich. Riggen wird euch weiter die Gäste abjagen.«

Beim Wort Riggen öffneten sich die Augen von Zogg explosionsartig. Wie von einer Schlange gebissen, wand er sich auf seinem Stuhl. »Riggen also, meinen Sie, soll unser Vorbild sein. Ich darf daran erinnern, was in Riggen abgeht. Rücksichtsloses Bauen sowohl im Dorf wie am Berg. Größenwahnsinnige Projekte Jahr für Jahr, getrieben von der Gier nach den Millionen der Jetset-Touristen. Reiche, die sich auf Partys kiloweise Kokain reinziehen, nachdem sie zuvor Wachteleier und Froschschenkel zu edlen Weinen aus französischen Schlössern verzehrten. Das sollen unsere Vorbilder sein? Ich darf doch bitten, meine Herren. Wir betreiben hier ein Ferienort für Familien und Naturliebhaber. Hat das keinen Platz mehr in dieser Welt? Und wir bitten lediglich um diesen einen Nachkredit für den nötigen Ersatz des Zugseiles der ersten Sektion. Wir sind darauf angewiesen die Bahn im Dezember in Betrieb zu nehmen.«

»Ich meine doch nur, Sie müssten sich Gedanken machen über eine Partnerschaft. Zusammen mit Riggen könnte eine ganze Region vermarktet werden. Auf der einen Seite Faltmoos mit seiner intakten Natur und einem idyllischen Dorf, und auf der anderen Seite Riggen für die Gäste, die den Trubel suchen.«

Zogg vergrub sein Gesicht unter seinen Händen und schwieg.

»Es ist immerhin Ihr Bruder, denken Sie darüber nach«, legte Steiger noch einen drauf.

»Niemals!«, ertönte es hinter Zoggs Händen. »Niemals!«

Zum Bruch zwischen den beiden Brüdern war es Jahre vorher gekommen. Zu verschieden waren sie. Er, Peter, auf der einen Seite. Ruhig, besonnen und ein naturverbundener Mann, verheiratet mit einer Lehrerin aus Faltmoos. Vater zweier Söhne. Er hatte sich nach dem großen Krach mit seinem jüngeren Bruder aus Riggen verabschiedet und war zu seiner jetzigen Frau nach Faltmoos ins Nachbartal gezogen. Bald erhielt er ein Angebot von den Bergbahnen, für sie zu arbeiten. Das Gebiet war viel kleiner als jenes in Riggen und hatte mit der Bahn auf das Menzhorn seinen Anziehungspunkt für Familien und Wanderer. Im Winter wurden daneben noch drei Schlepplifte aus den 60er-Jahren betrieben. Auch im Winter waren es vornehmlich Familien und ältere Gäste, die Faltmoos wegen seiner wenig anspruchsvollen Pisten anzog. Nachhaltigkeit und Kontinuität waren immer Peter Zoggs höchste Prioritäten gewesen. So hatte er auch lange auf technische Beschneiung der Pisten im Winter verzichtet. Einige schneearme Winter ließen dann jedoch die Gästezahl einbrechen und die Finanzen wurden zunehmend knapp. Nur mit Mühe konnten im letzten Jahr die nötigen Bahnrevisionen finanziert werden, und so kam es einem Genickbruch gleich, als kurz vor dem Testbetrieb für die anstehende Wintersaison ein Defekt am Zugseil der ersten Sektion der Menzhorn-Luftseilbahn zum Vorschein kam. Um dieses Seil ersetzen zu können, war ein Zusatzkredit in der Höhe von 180.000 Franken bei der Walliser Sparkasse beantragt worden.

Auf der anderen Seite des Tales schien das Geld nur so zu sprudeln. Sein jüngerer Bruder Adam peitschte die Infrastruktur in Riggen mit eisernem Besen voran. Durch einen lächerlichen Zufall war er in den Besitz des Palace Hotels gekommen, dessen Vorbesitzer früh starb. Die Frau des Besitzers war nicht in der Lage gewesen, das Hotel zu führen, ihr einziger Sohn noch zu jung, um in den Betrieb einzusteigen. So hatte die Frau den Besitz zu einem lächerlichen Preis an Adam Zogg verkauft, samt enormer Baulandreserven.

Adam verstand es in der Folge, das Hotel und die Bergbahnen nach und nach auszubauen. Rücksichtslos und von der stetigen Gier besessen, aus Riggen ein zweites St. Moritz oder Kitzbühel zu machen. Nach und nach erlangte Adam die Kontrolle über Riggen. Seine Geldressourcen waren riesig und so beteiligte er sich als Mehrheitsaktionär an den Bergbahnen und an zahlreichen anderen Betrieben im Ort. Alles tanzte nach seiner Pfeife. Adam hatte den Ort komplett umgekrempelt. Herausgemistet, wie er sagte. Nichts, wo Adam nicht seine Finger im Spiel hatte. Als er dann auch noch Kurdirektor wurde, war seine Macht beinahe erdrückend.

So unterschiedlich waren die beiden, und so verwunderte es niemanden, als sie sich damals an der Beerdigung ihres Vaters auf dem Friedhof prügelten. Ihre Mutter konnte sie ebenso wenig daran hindern wie der Pfarrer. So endete die Keilerei mit einer Blutlache neben Vaters Grab. Zu dem Streit war es gekommen, weil Adam sich über ihre weinende Mutter lustig gemacht hatte, als diese am Grab ihres Mannes stand. Zum Glück fand die Beerdigung im engsten Kreis statt, sonst wäre der Skandal perfekt gewesen. Schließlich gelang es zwei ihrer Onkel, die beiden zu trennen. Peter rannte darauf hin ohne einmal anzuhalten bis auf den Grimpen und schwor sich, mit Adam nie mehr ein Wort zu wechseln.

Nur ein Jahr später starb ihre Mutter an einer Hirnblutung. Adam war damals gerade mal zwanzig Jahre alt und beim Militär. Er hielt es nicht für nötig, zur Beerdigung zu kommen, und als sie sich danach das erste Mal wieder sahen, prügelten sie sich erneut. Es war ihrem Nachbar zu verdanken, einem Polizisten im Ruhestand, dass es nur bei einer Prügelei blieb. Peter hatte daraufhin seine Sachen gepackt und war zu seiner Freundin nach Faltmoos gezogen.

Und nun also, fast 30 Jahre später, sollte er auf den Knien vor seinen Bruder treten und um Geld flehen. Peter bat um eine kleine Pause und verließ den Raum. Er begab sich auf eine Plattform der Luftseilbahn und blickte am mangelhaften Zugseil entlang zur Mittelstation. Dunkle Wolken, vom Wind gepeitscht, zogen über die Berggipfel.

Er hörte das Öffnen einer Türe hinter sich, drehte sich aber nicht um. Eine Hand berührte seine Schulter. Es war Damian, der Chefmaschinist. Peters treuer Weggefährte in all den Jahren. Aus dem gleichen Holz wie er geschnitzt. Eine wahre und ehrliche rechte Hand. Sie sind Freunde geworden, als Peter nach Faltmoos gezogen ist.

Wahre Freunde.

»Die machen ernst, Peter. Steiger hat den Kredit abgelehnt. Ohne Kredit kein neues Zugseil. Ohne Zugseil kein Betrieb zum Menzhorn. Es wäre das Ende und das weißt du.«

Peters Blick verharrte unablässig an der Mittelstation in der Ferne. Unter den dunklen Wolken sah sie aus wie eine unschuldige Angeklagte, die gerade eben zum Tod verurteilt worden war. »Du bist also auch der Meinung, wir sollten auf den Knien zu diesem Mistkerl? Kannst du dir die Schmach vorstellen für mich? Nach allem, was damals passiert ist. Er würde mich verachtend auslachen. Nein. Es muss einen anderen Weg geben. Ich werde meine Hand nicht nach dem Teufel ausstrecken.«

4. Kapitel

Sitzungszimmer »Sporrspitze«, Palace Hotel – zwei Stunden später

Es hatte alles sehr gut begonnen. Keine Probleme mit der Finanzierung. Ein grandioses Projekt. Tollkühn, spektakulär in jeder Hinsicht. Genau nach dem Geschmack von Adam Zogg. Wäre da nicht dieser verdammte Geologe Dr. Paul Reuss, der die Party versaute. Unerwartete geologische Störungen, so sagte er, verunmöglichten es in einem Trassenabschnitt, Stützen zu bauen. Er demonstrierte auf eindrückliche Art und Weise die Beschaffenheit des Hanges an einer Cremeschnitte, die er in Schräglage auf einem Teller Projektleiter Orlando Kolb hinhielt und ihn bat, seinen Kugelschreiber senkrecht in das Blätterteiggebäck zu bohren, was natürlich misslang. Die oberste Schicht der Cremeschnitte rutschte einfach weg. Mit leeren Blicken verstummte die Runde. Das war nicht das, was Adam hören wollte. Er hätte sich eine atemberaubend eindrückliche PowerPoint-Präsentation gewünscht mit allen technischen und touristischen Highlights der neuen Bahn. Spektakuläre Bilder des Glasbaus auf dem Krappjoch, von einem Hubschrauber umkreist in gleißendem Sonnenlicht. Stattdessen stand auf dem Tisch eine von einem Kugelschreiber zermatschte Cremeschnitte. Am liebsten hätte er das Ding mit seinen Lackschuhen zertreten. Reuss war sich des sich anbahnenden Dramas bewusst und ließ den Teller entfernen. Kolb, seit beinahe drei Jahren mit dem Projekt »Riggen 3000«’ beschäftigt, rang um Worte.

»Peinlich, peinlich meine Herren.« Adam Zogg blieb dabei wohl dank der Wirkung des Whiskys erstaunlich ruhig.

Kolb fasste Mut, holte tief Luft und wollte etwas sagen. Dazu kam es aber nicht.

»Schnauze, Kolb«, unterbrach ihn Zogg. Er kreiste um den Tisch. Dr. Reuss war eine anerkannte Fachkraft, dessen Meinung es zu respektieren galt. Es musste ihm gar hoch angerechnet werden, die Gefahren dieses Hanges bereits im Vorfeld erkannt zu haben. Peinlich wäre es gewesen, wenn man erst während des Bauens zur Erkenntnis gekommen wäre, dass der Hang untauglich war.

Was Zogg aber brauchte, war eine Lösung. Seine russischen Investoren würden ohne zu zögern abspringen und die Folgen wären verheerend. Sie würden mit einem Schlag 20 Jahre zurückgeschleudert werden.

Kolb griff nach dem Mineralwasser und füllte mit zitternden Händen sein Glas. Zogg blieb am Fenster stehen und drehte der Runde den Rücken zu.

»Ich glaube, ich hätte eine Idee.« Es war Moritz Fink, Junior-Projektleiter der Firma Peak-2-Peak AG, der das Schweigen brach. Ganz aufgeregt erhob er sich von seinem Stuhl unter den verdutzten Blicken der Anwesenden. Fink, gerade frisch ab Hochschule, richtete seinen schlecht gebundenen Schlips und wartete auf ein Zeichen von Zogg.

Sollte dieser Grünschnabel seine Bahn retten? Zogg nickte und Fink eilte an den Flipchart, wo er geschickt mit einem quietschenden Schreiber zu zeichnen begann.

»Also«, leitete er seine Ausführungen ein. »Das hier ist das Krappjoch und hier die geplante Führung der Bahn, auf direktem Weg zum Gipfel. Hier«, er malte einen Kreis mitten durch den Verlauf der Bahn, »hier ist der üble Hang, die Cremeschnitte.«

Er zeichnete noch weitere Umrisse des Geländes und drehte sich danach zur Versammlung um. Es war seine Show und er begann sie zu genießen.

»Ich habe mir überlegt, wie man den Hang umgehen könnte, als ich heute früh auf dem Berg stand.« Er begann zu lächeln und wandte sich wieder zum Flipchart, wo er mit einer anderen Farbe wieder zu zeichnen begann. Er zog lediglich zwei Linien mit dem Stift. »Meine Herren, die Krappjochbahn Variante Fink.«

Ein Raunen ging durch die Runde. Die Linien führten mit einem Knick um den Problemhang herum.

»Eine technische Zwischenstation, die aber auch weitere Pistenkilometer zulässt. Von der Topographie her geht die Bahn neu durch diese windgeschützte Mulde, ehe sie an diesem Kamm hier entlang auf den Gipfel führt.« Fink drückte den Deckel des Stiftes zu und stand da, als ob er auf Applaus warten würde.

Zogg wusste sofort, wo der Haken an der Variante Fink lag. Aber es schien tatsächlich so, als ob dieser freche Fast-noch-Student gerade eben die einzige Möglichkeit aufgezeichnet hatte, wie die Bahn und das Projekt zu retten waren.

»Aus geologischer Sicht keine Bedenken, absolut problemlos.« Reuss lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

Kolb klopfte Fink auf die Schulter. »Sie sollten sich freuen, Herr Zogg.«

Zogg schritt zur Zeichnung und nahm seinerseits einen Stift. Er zog eine gestrichelte Linie mitten durch die ganze Zeichnung und kreuzte dabei zweimal die Fink-Variante. Die gestrichelte Linie stellte die Grenze zu Faltmoos dar. Die Zwischenstation der von Fink vorgeschlagenen Bahn lag jenseits der gestrichelten Linie. Sie befand sich auf Faltmooser Boden. Die Originalvariante des Bahnverlaufes wäre zwar nahe der Grenze, aber vollständig auf Riggergebiet gestanden. Die Variante Fink wusste zwar in allen Belangen zu gefallen, aber Zogg wusste genau, was das bedeutete. Er müsste die Zustimmung des Stimmvolkes von Faltmoos haben, um das Projekt zu realisieren. Und da saß sein Bruder im Gemeinderat und verkörperte den quasi guten Zogg. Ein Ding der Unmöglichkeit, wie es schien.

Mit einem Mal war der Ball wieder bei ihm. Er wollte raus hier. Mit entschuldigenden Worten beendete er die Sitzung und bat um Bedenkzeit.

Seine Assistentin bat er zu sich ins Büro. Der Rest der Versammlung verließ den Raum.

Groebli zog die Tür zu Zoggs Büro hinter sich zu und sprach ihrem Chef Mut zu. »Versuch doch, mit deinem Bruder in Faltmoos zu sprechen. Es ist Jahre her. Vielleicht ist er einsichtig.«

Zogg schüttelte den Kopf und betrachtete seine Assistentin. Sie trug eine rote Bluse, die obersten beiden Knöpfe waren offen. Die Wölbungen ihrer Brüste ließen Öffnungen zwischen den geschlossenen Knöpfen entstehen, durch welche man ihren schwarzen BH sehen konnte. Die Bluse steckte in einem grauen Jupe, der kurz über ihren Knien endete. Zoggs Gedanken drifteten bei ihrem Anblick ab.

Groebli wusste alles über das gestörte Verhältnis zu seinem Bruder. Er hatte sie wie immer voll und ganz in sein Vertrauen gezogen. Deshalb würde er sich hüten, sich an Groebli heranzumachen, obschon es Momente wie diesen gab, die ihm das nicht einfach machten. Aber Groebli verbreitete eine Aura um sich, die er nicht erklären konnte. Sie war einer der wenigen Menschen, die er respektierte, ja heimlich sogar verehrte. Er würde sich heute eine andere Frau nehmen, ohne Zweifel. Denn das war es, was er jetzt brauchte.

»Mein Bruder müsste eine Kehrtwende um 180 Grad gemacht haben, um dieses Vorhaben gutzuheißen. Nein, so geht es nicht. Ich muss nachdenken. Das Projektteam soll in einer Woche wieder herkommen. Bitte vereinbare einen neuen Termin. Ich muss darüber nachdenken, wie es weitergeht. Die Russen wollen noch diesen Monat Ergebnisse sehen, sonst fließt kein Geld mehr.« Groebli nickte und drehte sich zur Türe.

Zogg betrachtete ihren Hintern. Der dünne Jupe ließ die Umrisse ihres Slips erkennen. Sie trug keinen String, heute nicht. »Ach, und Sonja«, sie drehte nur ihren Kopf, »hör dich doch bitte ein bisschen in Faltmoos um. Ich will wissen, was dort so läuft.«

»In Ordnung, wird erledigt.« Groebli verließ den Raum.

Zogg stand abermals am Fenster seines Büros und sein Blick streifte die Straße unter ihm. Etwas weiter hinten, auf der anderen Straßenseite, erkannte er das Reklameschild des einzigen Rigger Nachtclubs. Das »Freia«, benannt nach Freyja, der germanischen Göttin der Liebe, der Schönheit und der Fruchtbarkeit. Letztes Jahr hatte Zogg das zehnjährige Bestehen des Clubs gefeiert, zusammen mit seinen neu gewonnenen russischen Freunden und einigen wenigen geladenen Gästen im Rahmen einer privaten VIP-Party.

Der Club war den alteingesessenen Einwohnern anfangs ein herber Dorn im Auge gewesen. Die meisten von ihnen hatten sich aber rasch daran gewöhnt und einige waren mittlerweile Stammgäste des Clubs. Der Club war zu Beginn nur während der Skisaison offen, hatte sich aber so gut entwickelt, dass ihn Zogg seit drei Jahren das ganze Jahr geöffnet ließ. Zogg konsultierte sein Handy und suchte nach der Telefonnummer des Geschäftsführers des Freias, Tom Lutry.

5. Kapitel

Nachtclub Freia – kurz vor Mitternacht

Es war bisher ein ruhiger, ja fast beschaulicher Abend im Freia. Adam betrat den Club gegen 23 Uhr, nachdem er sich zuvor im Palace mit den neuen Kreationen der Küchenmannschaft hatte verköstigen lassen. Das Silvestermenü musste zusammengestellt werden und Küchenchef Dirk Peters übertraf sich wieder selber bei der Auswahl der exquisitesten Speisen. Wachteleier, Trüffel, Beluga Kaviar und Kobe-Beef. Alles ganz nach dem Geschmack der zahlfreudigen Silvestergäste. Für das Silvestermenu mussten da schon einmal 1.200 Franken abgedrückt werden. Pro Person versteht sich, ohne den Wein, aber dafür mit einem Champagnerbuffet auf der »Riggen VIP Terrace« zu Mitternacht und einem spektakulären Feuerwerk.

Zogg wechselte ein paar Worte mit Tom Lutry und musterte die Runde. Normalerweise besuchte er den Club ein- bis zweimal pro Monat. Während der Hochsaison etwas seltener, um nicht in einem schlechten Licht zu stehen. Die meisten der Tänzerinnen kannten Zogg und schätzten ihn zugleich als spendierfreudigen Gast. Prostitution war ein absolutes Tabu im Club. Die Tänzerinnen mussten auch sofort Alarm schlagen, wenn sie berührt wurden. Tanzen war drin, Händchen halten auch. Aber nicht mehr.

Zogg bestellte sich bei Lorenzo, ebenfalls seit der Eröffnung des Clubs dabei, einen Scotch. Einen doppelten mit einem Eiswürfel. Lorenzo nickte und Zogg schnippte nervös mit seinen Fingern, als er auf den Drink wartete. Außer ihm waren noch fünf weitere Gäste anwesend, die er nicht kannte. Eine Gruppe mit drei Holländern, die es sich in einer bequem gepolsterten Sitzgruppe gemütlich machten, geflankt von je einem Mädchen. Ein Gast saß alleine an der Bar. Eine weitere bequeme Nische war verwaist. Eine Flasche Champagner und zwei Gläser standen alleine auf dem Tisch. Der Gast dort hatte sich vermutlich zu einem Private Dance in einem der Separees überreden lassen. Eine kurze Stripshow, so lang wie ein Song, für 50 Franken. Auch dort galt die absolute No-Touch-Regel. Kein Begrabschen der Mädchen. Macht es einer trotzdem, fliegt er mit Hilfe von Türsteher Pat raus und erhält Lokalverbot. Die Regel hatte sich bewährt und gab den Mädchen eine gewisse Sicherheit.

Zogg genoss dabei als Mitbesitzer des Clubs ein paar Ausnahmeregeln, von welchen er ab und zu Gebrauch machte. So fand schon die eine oder andere Tänzerin für einen Obolus von 1.000 Franken oder mehr den Weg in Zoggs Büro oder in sein Chalet etwas oberhalb von Riggen.

Die Mädchen wechselten im Abstand ihrer jeweiligen Aufenthaltsbewilligung. In der Nebensaison waren sechs bis acht Tänzerinnen anwesend. Während der Hochsaison etwa doppelt so viele. Die Mädchen wurden jeweils von verschiedenen Agenturen an Tom Lutry vermittelt und wohnten eher bescheiden in einem nahen Mehrfamilienhaus.

Zogg sah sich die Mädchen etwas genauer an und stellte fest, dass er neben der dunkelhäutigen Stella aus Marokko lediglich die blonde Xenia kannte. Die schöne Ukrainerin war schon mehrere Male im Freia tätig gewesen. Beide waren sie am Tisch mit den Holländern beschäftigt und lächelten Zogg nur kurz zu. Gegenüber von dem Gast an der Bar saß eine Brünette und zog etwas gelangweilt an einer Zigarette. Sie trug lediglich einen Bikini mit Mickey-Mouse-Aufdruck. Trotz des albernen Aufdruckes wirkte der Bikini äußerst sexy. Tom flüsterte ihr etwas ins Ohr und sofort setzte Mickey Mouse ein Lächeln auf. Sie drückte ihre halb fertig gerauchte Zigarette aus und setzte sich in Bewegung. Zogg sah der jungen Schönheit erwartungsfroh entgegen und wischte seine rechte Hand an seinem Anzug trocken.

»Hallo, wie geht’s?« Sie streckte ihre Hand aus und Zogg nickte.

»Darf ich mich zu dir setzen?« Zogg nickte ein weiteres Mal. Während sie sich erneut eine Zigarette anzündete, schnippte Zogg mit seinen Fingern zu Lorenzo.

»Was möchtest du trinken?«

»Was darf ich denn haben?«

Zogg orderte eine Flasche Moët und zwei Gläser. Mickey Mouse lächelte. Zogg bat Lorenzo, die Flasche weiter hinten, bei einer der freien Sitzgelegenheiten zu servieren.

»Du bist ein Gentleman. Ich heiße übrigens Bianca.« Sie strich ihm mit der Hand über den Rücken.