Glanz und Elend der Kurtisanen. Band Drei - Honoré de Balzac - E-Book

Glanz und Elend der Kurtisanen. Band Drei E-Book

Honore de Balzac

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Beschreibung

„Glanz und Elend der Kurtisanen“ ist ein Roman von Honoré de Balzac, der zwischen 1838 und 1847 erschien. Er besteht aus vier Teilen und stellt die Abseite der Gesellschaft dar, indem er die Welt des Verbrechens und der Prostitution erkundet. Die erste Hälfte des Romans wird von der satanischen Figur des entflohenen Sträflings Vautrin (der sich Don Carlos Herrera nennt) beherrscht, der in seiner letzten Inkarnation eine Form der sozialen Erlösung erfährt; die zweite rückz vor allem die junge Prostituierte Esther in den Mittelpunkt, die durch ihre Liebe zu Lucien Chardon de Rubempré erlöst wird, dem willenlosen Dichter, dessen Ehrgeiz und Eitelkeit die tragischen Triebfedern des Romans sind. Lucien de Rubempré und Vautrin (als selbsternannter Abt Don Carlos Herrera) haben einen Pakt geschlossen, wonach Lucien in Paris Erfolg haben wird, wenn er sich bereit erklärt, Vautrins Anweisungen blindlings zu folgen. Die Kurtisane Esther van Gobseck macht Vautrin jedoch einen Strich durch die Rechnung, denn Lucien verliebt sich in sie und sie sich in ihn… Anstatt Lucien zu zwingen, sie zu verlassen, erlaubt Vautrin Lucien diese heimliche Affäre, nutzt sie aber auch aus. Vier Jahre lang bleibt Esther in einem Haus in Paris eingesperrt und geht nur nachts spazieren. Eines Nachts wird sie jedoch von dem steinreichen Bankier Baron de Nucingen entdeckt, der sich in sie verliebt. Als Vautrin merkt, dass Nucingen von Esther besessen ist, beschließt er, ihre Macht zu nutzen, um Lucien voranzubringen, indem er dem Baron so viel Geld wie möglich entlockt. Die Dinge laufen jedoch nicht so glatt, wie Vautrin es sich gewünscht hätte… Dies ist der dritte von insgesamt vier Bänden.

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Honoré de Balzac

 

 

Glanz und Elend der Kurtisanen

 

 

Roman

 

 

 

 

Band Drei

GLANZ UND ELEND DER KURTISANEN wurde zuerst im französischen Original (Splendeurs et misères des courtisanes) in vier Teilen zwischen 1838 und 1847 von Edmond Werdet in Paris veröffentlicht.

Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von

© apebook Verlag, Essen (Germany)

www.apebook.de

1. Auflage 2022

 

V 1.0

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

BAND DREI

ISBN 978-3-96130-517-9

 

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

 

 

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Honoré de Balzac

GLANZ UND ELEND DER KURTISANEN

 

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GESAMTAUSGABE

 

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Glanz und Elend der Kurtisanen. Band Drei

Impressum

Band Drei

Der Weg des Bösen

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Zu guter Letzt

BAND DREI

DER WEG DES BÖSEN

Am folgenden Tage kamen um sechs Uhr zwei Wagen, die das Volk in seiner drastischen Redeweise ›Salatkutschen‹ nennt, in schneller Fahrt aus der ›Force‹, um die Richtung nach der ›Conciergerie‹ beim Justizpalast einzuschlagen.

Es gibt wenig Spaziergänger, die diesem rollenden Gefängnis noch nicht begegnet wären; aber obwohl die meisten Bücher einzig für die Pariser geschrieben werden, werden Fremde sich zweifellos freuen, hier eine Schilderung dieses furchtbaren Apparats unserer Kriminalpolizei zu finden. Wer weiß? Vielleicht wird die russische, deutsche oder österreichische Polizei, vielleicht werden die Behörden der Länder, die noch keine Salatkutsche kennen, sie sich zunutze machen; und in mehreren fremden Ländern wird die Nachahmung der Transportweise sicherlich eine Wohltat für die Gefangenen bedeuten.

Dieser häßliche Wagen mit dem gelben Wagenkasten, der auf zwei Rädern ruht und innen mit Blech verkleidet ist, zerfällt in zwei Abteilungen. Vorn befindet sich eine mit Leder überzogene Bank, die mit einem Spritzleder bedeckt ist. Das ist der offene Teil der Salatkutsche; er ist bestimmt für einen Gerichtsdiener und einen Gendarmen. Ein starkes, netzartiges Eisengitter trennt dieses Kabriolett, denn das ist es gewissermaßen, in der ganzen Höhe und Breite des Wagens von der zweiten Abteilung, in der sich wie in den Omnibussen zu beiden Seiten des Wagenkastens je eine Holzbank hinzieht; auf diese beiden Bänke setzen sich die Gefangenen; sie kommen mit Hilfe eines Trittes durch einen fensterlosen Wagenschlag am hintern Ende hinein. Der Beiname, ›Salatkutsche‹ kommt daher, daß ursprünglich der Wagen auf allen Seiten nur aus einem Gitterwerk bestand, so daß man die Gefangenen deutlich sehen konnte, wenn sie wie Salatköpfe im Korb durcheinandergeschüttelt wurden. Der größeren Sicherheit halber folgt, um jedem Zufall vorzubeugen, diesem Wagen ein berittener Gendarm; vor allem, wenn Leute darin zum Richtplatz geführt werden, die zum Tode verurteilt worden sind. Ein Ausbruch ist also unmöglich. Da der Wagen innen mit Blech ausgelegt ist, läßt er sich mit keinem Werkzeug durchbohren, zumal die Gefangenen im Augenblick ihrer Verhaftung oder ihrer Eintragung in die Gefangenenliste höchstens noch Uhrfedern besitzen können, die wohl geeignet sind, Gitterstangen zu durchsägen, aber glatten Flächen gegenüber machtlos bleiben. So ist denn auch die durch die erfinderische Pariser Polizei vervollkommnete Salatkutsche schließlich zum Vorbild für den Zellenwagen geworden, der die Sträflinge ins Bagno bringt und der an die Stelle des grauenhaften Karrens getreten ist, jener Schmach vergangener Zivilisationen, den freilich auch eine Manon Lescaut geziert hatte.

Man befördert in der Salatkutsche die Angeklagten zunächst aus den verschiedenen Untersuchungsgefängnissen der Hauptstadt in den Justizpalast, damit sie dort vom Untersuchungsrichter verhört werden. In der Gefängnissprache nennt man das ›zur Untersuchung gehen‹. Später führt man die Angeklagten aus denselben Gefängnissen noch einmal zur Aburteilung in den Palast, doch nur, wenn es sich um eine Anklage vor dem Zuchtpolizeigericht handelt; sobald es sich, wie man im Gericht sagt, um einen ›Schwerverbrecher‹ dreht, überführt man sie aus den Untersuchungsgefängnissen in die Conciergerie, das Gerichtsgebäude des Seine-Departements. Schließlich werden in der Salatkutsche auch die zum Tode Verurteilten von Bicêtre zum Sankt-Jakobs-Tor gebracht; dort finden seit der Julirevolution die Hinrichtungen statt. Dank den Bemühungen der Philanthropisten machen diese Unglücklichen nicht mehr die Folter der früheren Überführung von der Conciergerie zum Richtplatz durch, die auf einem Karren vor sich ging, wie ihn die Holzhändler benutzen. Dieser Karren wird heute nur noch zum Rücktransport vom Schafott benutzt. Ohne eine solche Erklärung würde man ein Wort nicht mehr verstehen, das ein berühmter Verurteilter zu seinem Mitschuldigen sagte, als er in die Salatkutsche stieg: ›Jetzt ist es nur noch Sache der Pferde!‹ Es ist nicht möglich, bequemer zur Hinrichtung zu kommen, als man heute in Paris hinfährt.

In diesem Augenblick dienten die beiden Salatkutschen, die so früh hatten heraus müssen, ausnahmsweise dazu, zwei Angeklagte aus dem Untersuchungsgefängnis der Force in die Conciergerie zu überführen; und jeder dieser Angeklagten hatte eine Salatkutsche für sich.

Neun Zehntel der Leser, ja auch noch neun Zehntel des letzten Zehntels der Leser kennen sicherlich die beträchtlichen Unterschiede nicht, die zwischen folgenden Worten liegen: verdächtig, beschuldigt, angeklagt, gefangen; Gewahrsam, Untersuchungsgefängnis und Strafgefängnis; daher werden denn auch alle wahrscheinlich unter Staunen hören, daß es sich da um unser ganzes Strafgesetz handelt, dessen kurze und verständliche Erklärung ihnen gleich gegeben werden soll, und zwar ebensosehr um sie zu unterrichten, wie um die Entwicklung dieser Geschichte klarzumachen. Wenn man übrigens erfährt, daß die erste Salatkutsche Jakob Collin enthielt, die zweite aber Lucien, der in wenigen Stunden vom First sozialer Größe bis zum Kerker hinabgestiegen war, so wird die Neugier zur Genüge geweckt sein. Die Haltung der beiden Genossen war charakteristisch. Lucien von Rubempré versteckte sich, um den Blicken zu entgehen, die die Vorübergehenden auf das Gitter des unheimlichen und verhängnisvollen Wagens warfen, während er seine Fahrt durch die Rue Saint-Antoine nahm, um durch die Rue du Martroi und die Arcade Saint-Jean, die man damals passieren mußte, wenn man den Rathausplatz durchqueren wollte, die Kais zu erreichen. Heute bildet jene Arkade die Einfahrt zum Hotel des Seinepräfekten im ungeheuren Stadtpalast. Der verwegene Verbrecher dagegen schmiegte das Gesicht an das Gitter des Wagens, und zwar genau zwischen dem Gerichtsdiener und dem Gendarmen, die ihrer Salatkutsche sicher waren und miteinander plauderten.

Die Julitage des Jahres 1830 und ihr furchtbarer Sturm haben die früheren Ereignisse mit ihrem Lärm so sehr zugedeckt, das politische Interesse nahm Frankreich während der sechs letzten Monate dieses Jahres so sehr in Anspruch, daß sich heute niemand mehr oder kaum noch jemand jener privaten, gerichtlichen oder finanziellen Katastrophen entsinnt, so seltsam sie auch waren, wie sie die jährliche Zeche der Pariser Neugier bilden und wie sie auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nicht fehlten. Es ist also nötig, eigens darauf aufmerksam zu machen, wie sehr Paris momentan in Aufregung geriet, als sich die Nachricht von der Verhaftung eines spanischen Priesters, der bei einer Kurtisane gefunden worden sei, und von der des eleganten Lucien von Rubempré, des Verlobten der Fräulein von Grandlieu, verbreitete, den man in dem kleinen Dorf Grez auf der Straße nach Italien verhaftet habe; beide seien sie eines Mordes angeklagt, dessen Erträgnis sich auf sieben Millionen belaufe! Der Skandal dieses Prozesses schwächte ein paar Tage lang das fabelhafte Interesse ab, das die letzten Wahlen unter Karl X. weckten.

Zunächst war dieser Kriminalprozeß zum Teil die Folge einer Klage des Barons von Nucingen. Dann erregte Luciens Verhaftung in dem Augenblick, als er Privatsekretär des ersten Ministers werden sollte, Aufsehen in der höchsten Pariser Gesellschaft. In jedem Pariser Salon entsann sich mehr als ein junger Mann, daß er Lucien beneidet hatte, als er von der schönen Herzogin von Maufrigneuse ausgezeichnet wurde, und alle Frauen wußten, daß er eben jetzt Frau von Sérizy interessierte, die Frau eines der ersten Männer des Staates. Schließlich genoß die Schönheit des Opfers in den verschiedenen Gesellschaften, aus denen Paris besteht, einer merkwürdigen Berühmtheit: in der großen Gesellschaft, in der Finanzwelt, in der Gesellschaft der Kurtisanen, in der Gesellschaft der jungen Leute und bei den Literaten. Seit zwei Tagen sprach also ganz Paris von diesen beiden Verhaftungen. Der Untersuchungsrichter, Herr Camusot, dem die Angelegenheit zugefallen war, sah in ihr eine Möglichkeit der Beförderung, und um mit jeder nur erdenklichen Beschleunigung vorgehen zu können, hatte er angeordnet, daß die beiden Angeklagten von der Force in die Conciergerie überführt werden sollten, sowie Lucien von Rubempré aus Fontainebleau angekommen wäre. Da der Abbé Carlos nur zwölf Stunden, Lucien nur eine halbe Nacht in der Force zugebracht hatte, so ist es nicht nötig, dieses Gefängnis zu schildern, das man seither völlig umgemodelt hat; und was die Einzelheiten der Aufnahme angeht, so wären sie nur eine Wiederholung dessen, was sich in der Conciergerie abspielen sollte.

Aber bevor wir uns auf das furchtbare Drama der Untersuchung in diesem Strafprozeß einlassen, ist es, wie gesagt, unentbehrlich, den normalen Gang eines derartigen Prozesses zu schildern. Zunächst wird man seine verschiedenen Entwicklungsstufen in Frankreich wie im Ausland dann leichter verstehen, und ferner werden alle, die die Ordnung des Strafprozesses, wie sie die Gesetzgeber unter Napoleon festgestellt haben, nicht kennen, sie zu würdigen wissen. Es ist das um so wichtiger, als dieses schöne und große Werk in diesem Augenblick durch das sogenannte Besserungssystem mit der Vernichtung bedroht wird.

Ein Verbrechen wird begangen. Wenn die Verbrecher auf frischer Tat ertappt werden, so werden die ›Beschuldigten‹ in den nächsten Polizeigewahrsam geführt und in jener Zelle untergebracht, die das Volk die ›Geige‹ nennt, vermutlich, weil man dort Musik macht: man schreit und weint. Von dort aus werden die Beschuldigten dem Polizeikommissar vorgeführt, der mit der Untersuchung beginnt und sie freilassen kann, wenn ein Irrtum vorliegt; schließlich werden die Beschuldigten in das Präfekturgefängnis gebracht, wo die Polizei sie dem Staatsanwalt und dem Untersuchungsrichter zur Verfügung stellt; und diese beiden kommen, je nach der Schwere des Falles mehr oder minder schnell benachrichtigt, und verhören die Leute, die sich in vorläufiger Haft befinden. Je nach Art der Mutmaßungen erläßt dann der Untersuchungsrichter einen Haftbefehl und läßt die Beschuldigten im Untersuchungsgefängnis unterbringen. Paris hat drei Untersuchungsgefängnisse: Sainte-Pélagie, die Force und die Madelonnettes.

Man beachte den Ausdruck ›die Beschuldigten‹. Unser Kodex hat im Strafrecht drei wesentliche Unterscheidungen geschaffen: die Beschuldigung, die Untersuchungshaft, die Anklage. Solange der Haftbefehl nicht unterschrieben ist, sind die vermutlichen Urheber eines Verbrechens oder eines schweren Vergehens ›Beschuldigte‹; unter der Last des Haftbefehls werden sie zu Untersuchungsgefangenen; Untersuchungsgefangene bleiben sie, solange die Untersuchung dauert. Wenn die Untersuchung abgeschlossen ist, werden sie, sobald das Gericht beschlossen hat, die Hauptverhandlung gegen den Untersuchungsgefangenen zu eröffnen, zu Angeklagten, genauer: nachdem das Gericht zweiter Instanz auf Antrag des Staatsanwalts bestätigt hat, daß genügende Verdachtsmomente vorliegen, um ihn vor ein Schwurgericht zu stellen. So machen die eines Verbrechens Verdächtigten drei verschiedene Zustände durch, sie gehen durch drei Siebe, ehe sie vor der sogenannten Landesjustiz erscheinen. Im ersten Zustand steht den Unschuldigen noch eine Fülle von Hilfsmitteln rechtlich zur Verfügung: das Publikum, die Wache und die Polizei. Im zweiten Zustand stehen sie vor einem Beamten, sie werden den Zeugen gegenübergestellt und in Paris von einer Gerichtskammer, in der Provinz von einem ganzen Gericht unter Anklage gestellt. Im dritten Zustand erscheinen sie vor zwölf Räten, und im Falle eines Rechtsirrtums oder eines Formfehlers kann der Angeklagte nach alledem noch beim Kassationshof die Rückverweisung vor das Schwurgericht beantragen. Die Jury weiß nicht, wieviel Volks-, Verwaltungs- und Gerichtsautoritäten sie ins Gesicht schlägt, wenn sie einen Angeklagten freispricht. Daher scheint es wenigstens uns in Paris – von den andern Gerichtssprengeln reden wir hier nicht – fast unmöglich, daß ein Unschuldiger sich je auf die Anklagebank vor dem Schwurgericht setzen sollte.

Der Strafgefangene ist der Verurteilte. Unser Strafrecht hat Untersuchungsgefängnisse, Gerichtsgefängnisse und Strafgefängnisse geschaffen; es sind das gerichtliche Unterscheidungen, die denen eines Untersuchungsgefangenen, eines Angeklagten und eines Verurteilten entsprechen. Das Haftgefängnis vollstreckt eine leichte Strafe zur Sühne eines geringen Vergehens; aber das Strafgefängnis vollstreckt eine Leibesstrafe, die unter Umständen entehrend ist. Wer also heute das Besserungssystem einführen will, stößt ein wundervolles Strafrecht um, in dem die Strafen in überlegener Weise abgestuft sind; und er wird dahin kommen, daß er kleine Vergehen fast ebenso schwer bestraft wie große Verbrechen. Man wird übrigens in den ›Erzählungen aus der Napoleonischen Sphäre‹ (siehe ›Eine dunkle Begebenheit‹) die merkwürdigen Unterschiede vergleichen können, die zwischen dem Strafkodex vom Brumaire des Jahres IV und dem des Napoleonischen Kodex herrschen, der jenen ersetzte.

In der Mehrzahl der großen Prozesse werden die Beschuldigten wie in diesem sofort zu Untersuchungsgefangenen. Der Richter erläßt auf der Stelle den Haftbefehl. In der Tat werden in der größeren Zahl der Fälle die Beschuldigten entweder flüchtig, oder sie werden auf der Stelle überrascht. Daher waren denn auch, wie man gesehen hat, die Polizei, die hier nur ein Werkzeug der Vollstreckung ist, und die Justiz mit der Geschwindigkeit des Blitzes in Esthers Wohnung erschienen. Selbst wenn keine Motive der Rache vorgelegen hätten, wie Corentin sie der Kriminalpolizei ins Ohr geflüstert hatte, so war doch noch die Anzeige des Barons von Nucingen über einen Diebstahl von siebenhundertfünfzigtausend Franken vorhanden.

In dem Augenblick, als der erste Wagen, der Jakob Collin enthielt, die Arcade Saint-Jean, eine enge und düstere Durchfahrt, erreichte, zwang den Postillon ein Hindernis, unter der Arkade halt zu machen. Die Augen des Untersuchungsgefangenen blitzten wie zwei Karfunkel durch das Gitter, obwohl er es noch am Abend zuvor dem Direktor der Force durch die Maske eines Sterbenden hatte als notwendig erscheinen lassen, einen Arzt zu rufen. Die Augen waren in dieser Minute frei, denn weder der Gendarm noch der Gerichtsdiener wandten sich, um nach ›ihrem Kunden‹ zu sehen; und diese flammenden Augen redeten eine so deutliche Sprache, daß ein geschickter Untersuchungsrichter, wie zum Beispiel Herr Popinot, in dem Kirchenschänder den Sträfling erkannt haben würde. Wirklich achtete Jakob Collin, seit die Salatkutsche das Tor der Force hinter sich hatte, auf alles am Wege. Trotz der schnellen Fahrt überflog er mit gierigem, umfassendem Blick die Häuser vom höchsten Stockwerk an bis zum Erdgeschoß. Er sah alle Vorübergehenden und analysierte sie. Gott durchschaut seine Schöpfung in ihren Mitteln und ihrem Ziel nicht genauer, als dieser Mensch die geringsten Nuancen in der Masse der Dinge und der Menschen unterschied. Mit einer Hoffnung bewaffnet, wie der letzte der Horatier mit seinem Schwert bewaffnet war, so wartete er auf Hilfe. Jedem anderen außer diesem Macchiavelli des Bagnos wäre die Verwirklichung dieser Hoffnung als so etwas Unmögliches erschienen, daß er mechanisch alles mit sich hätte machen lassen, wie es die Schuldigen tun. Keiner von ihnen denkt in der Lage, in die die Pariser Polizei und Justiz den Untersuchungsgefangenen bringen, an Widerstand, am wenigsten jene, die wie Lucien und Jakob Collin in strengem Einzelgewahrsam gehalten werden. Man kann sich die plötzliche Vereinsamung eines Untersuchungsgefangenen nicht vorstellen: die Gendarmen, die ihn verhaften, der Kommissar, der ihn verhört, jene, die ihn ins Gefängnis bringen, die Wächter, die ihn ins ›Loch‹ führen – man nennt es buchstäblich so –, jene, die ihn am Arm fassen, um ihn in die Salatkutsche zu heben, kurz all diese Wesen, die ihn vom Augenblick seiner Verhaftung an umgeben, sind stumm oder merken sich seine Worte, um sie der Polizei oder den Richtern zu wiederholen. Diese absolute Scheidewand, die auf so einfache Weise zwischen die ganze Welt und den Untersuchungsgefangenen geschoben wird, hat einen vollständigen Umsturz seiner Fähigkeiten, eine ungeheure Bedrücktheit des Geistes zur Folge, und zwar vor allem dann, wenn es ein Mensch ist, der durch sein Vorleben noch nicht mit den Schritten, die die Justiz unternimmt, vertraut ist. Der Zweikampf zwischen dem Schuldigen und dem Richter ist um so furchtbarer, als die Justiz das Schweigen der Mauern und die unbestechliche Gleichgültigkeit ihrer Agenten zu Helfern hat.

Jakob Collin oder Carlos Herrera – es ist nötig, ihm je nach den Umständen den einen oder den andern Namen zu geben – aber kannte das Wesen der Polizei, des Kerkers und der Justiz schon von langer Hand her. Daher hatte denn auch dieser Koloß der List und Verderbtheit alle Kräfte seines Geistes und alle Hilfsmittel seiner Mimik aufgeboten, um täuschend die Überraschung, die Einfalt eines Unschuldigen zu spielen, während er den Beamten zugleich die Komödie seines Todeskampfes gab. Wie man gesehen hat, hatte ihm Asien, jene gelehrte Locusta, ein Gift gegeben, das genau abgestimmt war, um den Schein einer tödlichen Krankheit zu erwecken. Die Wirksamkeit des Herrn Camusot, die des Polizeikommissars und die forschende Regsamkeit des Staatsanwalts waren also durch die Wirksamkeit, die Regsamkeit eines Schlaganfalls lahmgelegt worden.

»Er hat sich vergiftet!« hatte Herr Camusot ausgerufen, entsetzt über die Leiden des angeblichen Priesters, als man ihn unter grauenhaften Krämpfen aus der Mansarde herabgetragen hatte. Vier Agenten hatten den Abbé Carlos nur mit vieler Mühe über die Treppe in Esthers Schlafzimmer schaffen können, in dem sich die Richter und die Gendarmen versammelt hatten. »Das war das Beste, was er tun konnte, wenn er schuldig ist,« hatte der Staatsanwalt erwidert. »Halten Sie ihn tatsächlich für krank? …« hatte der Polizeikommissar gefragt.

Die Polizei zweifelt stets an allem. Diese drei Beamten hatten, wie man sich denken kann, flüsternd gesprochen; aber Jakob Collin hatte aus ihren Gesichtszügen erraten, um was sich ihre Mitteilungen drehten; und er hatte das ausgenutzt, um das summarische Verhör, das man im Augenblick einer Verhaftung immer vornimmt, unmöglich oder gänzlich bedeutungslos zu machen; er hatte Phrasen gestammelt, in denen sich das Spanische und das Französische in einer Weise verbanden, daß sie Unsinn ergaben.

In der Force hatte diese Komödie zunächst einen um so vollständigeren Erfolg davongetragen, als der ›Chef der Sicherheit‹ (Abkürzung für: Chef der Sicherheitspolizeibrigade), Bibi-Lupin, der Jakob Collin ehedem in der bürgerlichen Pension der Frau Vauquer verhaftet hatte, mit einer Mission in der Provinz beauftragt war, während ihn ein Agent vertrat, den man Bibi-Lupin zum Nachfolger bestimmt hatte und dem der Sträfling unbekannt war.

Bibi-Lupin, selbst ein Sträfling und ein Genosse Jakob Collins im Bagno, war sein persönlicher Feind. Diese Feindschaft entsprang Streitigkeiten, in denen Jakob Collin stets die Oberhand behalten hatte, und der von Betrüg-den-Tod über seine Gefährten ausgeübten Gewalt. Schließlich war Jakob Collin in Paris zehn Jahre hindurch die Vorsehung der freigelassenen Sträflinge, ihr Führer, ihr Ratgeber und ihr Schatzmeister und daher Bibi-Lupins Gegner gewesen.

Obwohl er also in Einzelhaft genommen wurde, zählte er auf die verständnisvolle und absolute Ergebenheit Asiens, seines rechten Arms, und vielleicht auch Paccards, seines linken Arms; denn er schmeichelte sich mit dem Gedanken, diesen sorgsamen Leutnant seinen Befehlen wieder gehorsam zu finden, sobald er nur die gestohlenen siebenhundertfünfzigtausend Franken in Sicherheit gebracht hatte. Das war der Grund der übermenschlichen Aufmerksamkeit, mit der er alles auf seinem Wege beachtete. Seltsam! Diese Hoffnung sollte sich vollkommen erfüllen.

Die beiden gewaltigen Mauern der Arcade Saint-Jean waren bis zu einer Höhe von sechs Fuß mit einer dauernden Schmutzschicht überkleidet, die aus den Spritzern der Gosse stammte; – die Fußgänger hatten damals, um sich vor dem unablässigen Hin und Her der Wagen und dem Spritzen der Karren zu schützen, nichts als die von den Radnaben seit langem angestoßenen Prellsteine. Mehr als einmal hatte dort die Karre eines Fuhrmanns unaufmerksame Leute zermalmt. So sah es lange Zeit in vielen Quartieren von Paris aus. Eine Einzelheit wird die Enge der Arkade vor Augen führen und erklären, wie leicht es war, sie zu sperren. Es brauchte nur ein Fiaker vom Richtplatz aus einbiegen zu wollen, während eine Gemüsehändlerin ihren kleinen Handwagen voller Äpfel durch die Rue du Martroi schob, so veranlaßte schon ein dritter Wagen, der hinzukam, eine Stauung. Die Fußgänger brachten sich erschreckt in Sicherheit, indem sie einen Prellstein suchten, der sie vor den alten Radnaben sichern konnte, denn diese Radnaben waren damals so maßlos lang, daß es eines Gesetzes bedurfte, um sie kürzer zu machen.

Als also die Salatkutsche ankam, war die Arkade von einer jener Gemüsehändlerinnen versperrt, deren Typus um so merkwürdiger ist, als es von ihm noch heute, trotz der wachsenden Zahl der Obstläden, einige Exemplare in Paris gibt. Sie glich so sehr der Straßenhändlerin, daß selbst ein Schutzmann, wenn diese Einrichtung damals schon getroffen gewesen wäre, sie trotz ihrer unheimlichen Physiognomie, die das Verbrechen verriet, hätte umherziehen lassen, ohne nach ihrem Gewerbeschein zu fragen. Der Kopf, der mit einem scheußlichen, zerfetzten baumwollenen Taschentuch bedeckt war, starrte von rebellischen Strähnen, deren Haare den Borsten des Wildschweins glichen. Der rote, faltige Hals erweckte Grauen, und das Brusttuch verdeckte eine von der Sonne, dem Staub und dem Schmutz gebräunte Haut nicht völlig. Das Kleid war wie ein Teppich. Die Schuhe schnitten Grimassen, daß man glauben konnte, sie machten sich über das Gesicht lustig, das ebenso große Löcher aufwies wie das Kleid. Und ein Brustlatz! … Ein Pflaster wäre weniger schmutzig gewesen. Auf zehn Schritte mußte dieser wandelnde, übelriechende Lumpen den Geruchssinn empfindlicher Leute beleidigen. Die Hände hatten hundert Ernten hinter sich! Entweder kam diese Frau von einem Hexensabbat her oder aus einem Bettlergefängnis. Und was für Blicke erst! Was für eine verwegene Intelligenz, welches verhaltene Leben, als sich die magnetischen Strahlen ihrer Augen und derer Jakob Collins begegneten, um einen Gedanken auszutauschen.

»Platz da, altes Lausspital!« rief der Postillon mit heiserer Stimme. »Willst mich wohl gleich zermalmen, du Henkershusar!« erwiderte sie; »deine Ware ist nicht soviel wert wie meine!« Und indem die Händlerin versuchte, sich zwischen zwei Prellsteine zu drücken, damit der Wagen passieren konnte, versperrte sie den Weg genau so lange, wie sie brauchte, um ihren Plan auszuführen. ›O Asien! …‹ sagte Jakob Collin bei sich selber, denn er erkannte seine Helferin auf der Stelle; ›dann geht alles gut.‹

Der Postillon tauschte immer noch Liebenswürdigkeiten mit Asien aus, und die Wagen sammelten sich in der Rue du Martroi.

»Ahe! … Pecaire fermati. Souni là. Vedrem! …« rief die Alte in jenem wilden Tonfall, wie er den Straßenhändlerinnen eigen ist; sie entstellen ihre Worte so sehr, daß sie zu Onomatopöien werden, wie nur Pariser sie verstehen.

Im Wirrwarr der Straße und unter dem Geschrei aller Kutscher, die mittlerweile warteten, achtete niemand auf diesen wilden Ruf, der von der Händlerin auszugehen schien. Aber die Laute, die Jakob Collin deutlich hörte, warfen ihm in einem verabredeten Dialekt, der aus korrumpiertem Italienisch und Provenzalisch bestand, diesen furchtbaren Satz ins Ohr: »Dein armer Kleiner ist gefangen; aber ich bin da, um über euch zu wachen. Du wirst mich wiedersehen …«

Mitten in der unendlichen Freude, die ihm sein Triumph über die Justiz einflößte, denn er hoffte jetzt, mit der Außenwelt in Verbindung bleiben zu können, traf Jakob Collin ein Rückschlag, der jeden anderen als ihn getötet hätte. ›Lucien verhaftet! …‹ sagte er bei sich selber. Und er wäre fast ohnmächtig geworden. Diese Nachricht war für ihn furchtbarer als eine Abweisung der eingelegten Revision, wenn er zum Tode verurteilt gewesen wäre.

Jetzt, wo die beiden Salatkutschen über die Kais rollen, erfordert das Interesse dieser Geschichte ein paar Worte über die Conciergerie, die die Zeit ausfüllen werden, bis sie sie erreichen.