Gleis der Vergeltung - Astrid Korten - E-Book
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Astrid Korten

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Beschreibung

"Sein Tod hat sich wie Stacheldraht um mich gewickelt. Ich kenne die Wahrheit und ich will Vergeltung ..." Lynn-Elisabeth von Raaben erlebt den dunkelsten Tag ihres Lebens, der ihr schönster hätte werden sollen. Benedikt, ihr Verlobter, verunglückt tödlich auf dem Weg zu seiner Braut. Sieben Jahre später erhält Lynn den Anruf einer Frau, der sie völlig aus der Bahn wirft und der Benedikts Unfalltod in ein anderes Licht rückt. Sie trifft eine folgenschwere Entscheidung. Als wenig später ein Mord geschieht, stürzt Lynn in den Abgrund ihrer eigenen Vergangenheit ... Ein erschütternder Psychothriller um Opfer und Täter, um Recht und Unrecht, um Irreführung und Rache. Gleis der Vergeltung handelt von Gleichgültigkeit, Verstörung, Wut und tiefem Hass. Der Thriller beruht auf einer wahren Begebenheit. Erste Stimmen: "Ein erschütternder Psychothriller um Opfer und Täter, um Recht und Unrecht, um tiefem Hass, um Irreführung und Rache, der in seiner Größe an Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" erinnert." (JayL, LB) "Dieser Thriller verdient das Prädikat wertvoll, denn er ist so intensiv und fesselnd, dass man das Ende des Buches fürchtet und sich doch nicht daraus lösen kann, eine Geschichte aus dem Leben und über die Maske der Verlogenheit." WAZ "Grandios - Ein Psychothriller der Meisterklasse, der ein Thema aufgreift, das selbst den hartgesottensten Leser in seinen Standfesten erschüttern und umhauen wird. Für mich das beste Werk der Autorin." Melanie Hinterreiter "Das ist für mich der bis jetzt beste und vor allem tiefgreifendste Thriller, den ich bisher von der Autorin gelesen habe – und ich kenne sie alle." Christine Hochberger

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Recht und Unrecht,

Irreführung und Rache

Über das Buch

„Sie“

Prolog

Sieben Jahre später

Lynn, 6. Mai 2017

Lynn, 7. Mai 2017

Teil I – Maarten

Kapitel 1

„Sie“

Kapitel 2

Kapitel 3

„Sie“

Kapitel 4

Lynn, 8. Mai 2017

Kapitel 5

Kapitel 6

„Sie“

Kapitel 7

Lynn, 14. Mai 2017

Lynn, 15. Mai 2017

Kapitel 8

Kapitel 9

Lynn, 17. Mai 2017

„Sie“

Kapitel 10

Kapitel 11

Lynn, 19. Mai 2017

Kapitel 12

Kapitel 13

Lynn, 21. Mai 2017

Kapitel 14

Lynn, 22. Mai 2017

Kapitel 15

Kapitel 16

„Sie“

Lynn, 29. Mai 2017

Lynn, 30. Mai 2017

Teil II – Hendrik

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Lynn, 1. Juni 2017

Lynn, 3. Juni 2017

„Sie“

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Lynn, 15. Juni 2017

Lynn, 16. Juni 2017

Kapitel 8

Kapitel 9

De Limburger

Lynn, 26. Juni 2017

Kapitel 10

Lynn, 28. Juni 2017

Lynn, 28. Juni 2017

Kapitel 11

Kapitel 12

Lynn, 30. Juni 2017

„Sie“

Lynn, 6. Juli 2017

Kapitel 13

Kapitel 14

Lynn, 9. Juli 2017

Lynn, 5. Juli 2017

Kapitel 15

Kapitel 16

„Sie“

Lynn, 13. Juli 2017

Lynn, 14. Juli 2017

Kapitel 17

Lynn, 20. Juli 2017

Lynn, 22. Juli 2017

Teil III – Annabelle

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Lynn, 4. August 2017

Lynn, 9. August 2017

Kapitel 4

Lynn, 12. August 2017

Lynn, 13. August 2017

Kapitel 5

Kapitel 6

Lynn, 14. August 2017

Lynn, 17. August 2017

Kapitel 7

Lynn, 17. August 2017

Kapitel 8

Lynn, 17. August 2017

Lynn, 19. August 2017

Lynn, 20. August 2017

Kapitel 9

Lynn, 20. August 2017

Lynn, 22. August 2017

Kapitel 10

Lynn, 27. August 2017

„Sie“

Lynn, 29. August 2017

Lynn, 27. September 2017

Epilog

Über die Autorin

Anmerkungen

Danke

Für Ihre Notizen

Impressum

ASTRID KORTEN

GLEIS DER VERGELTUNG

PSYCHOTHRILLER

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 Astrid Korten

http://www.facebook.com/Astrid.Korten.Autorin

Website: www.astrid-korten.com

Twitter: https://twitter.com/charbrontee

Google: Astrid Korten

Lektorat: Christine Hochberger, Buchreif

Korrektorat: Melanie Hinterreiter

Bildnachweis: ©Shutterstock /PicFine / © Ebru Sidar / Trevillion Images

Covergestaltung ©ZERO Werbeagentur München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Recht und Unrecht,

Irreführung und Rache

Wenn nur wenige Beweise existieren, ist die Tat dann nicht geschehen? Um ein Verbrechen aufzuhalten, müssen wir zunächst daran glauben.

Das größere Verbrechen ist das Schweigen.

Über das Buch

„Sein Tod hat sich wie Stacheldraht um mich gewickelt. Ich kenne die Wahrheit und ich will Vergeltung ...“

Lynn-Elisabeth von Raaben erlebt den dunkelsten Tag ihres Lebens, der ihr schönster hätte werden sollen. Benedikt, ihr Verlobter, verunglückt tödlich auf dem Weg zu seiner Braut.

Sieben Jahre später erhält Lynn den Anruf einer Frau, der sie völlig aus der Bahn wirft und der Benedikts Unfalltod in ein anderes Licht rückt.

Sie trifft eine folgenschwere Entscheidung.

Als wenig später ein Mord geschieht, stürzt Lynn in den Abgrund ihrer eigenen Vergangenheit ...

Ein spannender Psychothriller um Opfer und Täter, um Irreführung, Rache, tiefem Hass und einem erschütternden Familiengeheimnis.

Nach einer wahren Begebenheit.

Erste Stimmen:

"Dieser Thriller verdient das Prädikat wertvoll, denn er ist so intensiv und fesselnd, dass man das Ende des Buches fürchtet und sich doch nicht daraus lösen kann." WAZ

„Ein erschütternder Psychothriller um Opfer und Täter, der in seiner Größe an Dürrenmatts Besuch der alten Dame erinnert." JayL

„Das ist für mich der bis jetzt beste und vor allem tiefgreifendste Thriller, den ich bisher von der Autorin gelesen habe – und ich kenne sie alle." Christine Hochberger

„Erschütternd und ganz groß.“ Susanne Paraquin

„Niveauvoller Thriller der Extraklasse." Vronika22

„Ein ungewöhnlicher Psychothriller, der leise beginnt, sehr bewegt, nachhallt und mich absolut überzeugt hat.“ Ursula K.

„Grandios – Astrid Korten übertrifft sich selbst. Ein Psychothriller der Meisterklasse, der ein Thema aufgreift, das selbst den hartgesottensten Leser in seinen Standfesten erschüttern wird. Für mich das beste Werk der Autorin." Melanie Hinterreiter

„Ein Psychothriller der auf ganzer Linie überzeugt, bewegt und mich fassungslos zurücklässt!“ Bücherseele79

„Bewegend und zugleich erschütternd. Mich wird die Handlung gedanklich auf jeden Fall noch lange begleiten.“ Jeanette Lube.

„Sie“

Tagebucheintrag, Dezember 1965

Die Nacht schärft ihre Sinne

Ein Wohngebiet.

St. Pieter, ein Villenviertel in Maastricht, nur zehn Geh-Minuten von der historischen Altstadt entfernt.

Perfekte Vorgärten.

Pleasant Ville.

Auf der einen Straßenseite sauber aneinandergereihte Einfamilienhäuser, auf der anderen die freistehenden Anwesen.

Mittendrin ein hübsches Einfamilienhaus.

Die Nacht schärft dort die Sinne.

Die Schatten und die Geräusche kommen, die Geheimnisse vertiefen sich.

Ein Fenster.

Die Augen eines Teddybären funkeln böse in der Finsternis.

„Sie“ stehen dicht nebeneinander. Lockige Haare umrahmen ihre schönen Gesichter. Ihre Haltung verspricht nichts Gutes, sie haben eine Schere und ein Rasiermesser bereitgelegt.

Gemeinsam üben sie an dem Teddybären und rasieren ihm den Kopf, lächeln zum Schluss.

Ein Junge betritt den Raum.

Er starrt seinen Teddy an, will sprechen. Der Klang seiner Stimme ist verloren.

Sein Wispern soll aufhören, denken „sie“.

Ein Schrei.

Das Undurchdringliche.

Die Stille.

Am nächsten Morgen wachen „sie“ schweißgebadet auf. Sie starren auf den schlafenden Jungen, lächeln und streicheln ihn.

Die Schleusen ihrer Erinnerung an die vergangene Nacht sind offen und sie können den Fluss von Bildern und Geräuschen, die in ihre Köpfe strömen, nicht aufhalten.

Sie wollen mehr.

Prolog

6. Mai 2010

Er war glücklich.

„Nach 15.00 Uhr wird alles anders sein.“

War es der Wind, der ihm die Worte zuflüsterte und durch sein Haar blies? Er wollte seiner Braut nicht mit einer zerzausten Frisur entgegentreten. In der Innentasche seines Jacketts war ein Kamm, den seine Mutter ihm zugesteckt hatte. Auch hatte sie versucht, ihrer Stimme einen missvergnügten Klang zu geben, als sie zum Abschied gesagt hatte, dass seine zukünftigen Schwiegereltern gewiss nicht von seiner Idee begeistert seien, seine Braut auf einem getunten Motorroller zum Standesamt zu fahren, zumal sie ihren weißen Rolls-Royce für die Hochzeit auf Hochglanz gebracht hatten. Aber ihr Lächeln sagte etwas anderes. Seine Mutter hatte einen Mordsspaß bei dem Gedanken.

„Nur ein Emporkömmling fährt mit einem weißen Rolls-Royce zum Standesamt, Mom. Wir werden die Dinge anders regeln, wir knattern zum Amt.“

„Du bist dir sicher, dass Lynn nicht so ein Sissi-Kleid anziehen wird? Dann wird es schwierig, sie dort hinzubringen.“

„Kein Sissi-Kleid für diese Braut, Mom.“

„Aber was, wenn es regnet, Junge?“

„An unserem Hochzeitstag gibt es keinen Regen!“

Nach dem heutigen Tag würden Lynn und er selbstbestimmt sein. Nach 15.00 Uhr!

Der Krawattenknoten schnürte ihm fast die Kehle zu. Er versuchte, ihn ein wenig zu lockern. Dieser Affenanzug war erst recht ein Zugeständnis, zu dem er nur widerwillig bereit gewesen war. Seine Schwiegereltern waren der Meinung, dass zu einer Frau im Hochzeitskleid ein Mann im Frack gehörte, dass einen solchen Frack nur Männern aus einer höheren sozialen Schicht tragen könnten, und dass er gewiss nie dazu gehören würde. Seine zukünftige Schwiegermutter ließ keinen Zweifel daran, dass sie für ihre Tochter einen Mann aus den eigenen Kreisen bevorzugt hätte. Ein Schwiegersohn mit einem Universitätsabschluss, der während seiner Studienzeit ein Mitglied einer Studentenvereinigung gewesen war, der wohlhabende Eltern hatte und der seine Stimme den Christdemokraten gab. Auf der Liste der geeigneten Schwiegersöhne standen er und seine Eltern auf der Skala von null bis zehn weit unter null. Nein, weder sie noch er würden jemals auf dieser Liste stehen.

Dessen ungeachtet heiratete er heute ihre Tochter.

In ein paar Stunden würde der Standesbeamte Lynn und ihn bitten, aufzustehen und sich gegenseitig die rechte Hand zu reichen, um zuerst ihm die Frage aller Fragen zu stellen.

„Benedikt Hallbach, nehmen Sie Lynn-Elisabeth von Raaben zu Ihrer rechtmäßigen Ehefrau, und versprechen Sie, alle Aufgaben wahrzunehmen, die Ihnen das Gesetz der Ehe auferlegt?“

Und er würde sich vergewissern, dass seine Schwiegermutter, Elisabeth von Raaben, sein Ja, das in diesem Augenblick schönste Wort der Welt, hören würde.

Lynns Familie mochte ihn nicht. Dennoch würden die Angehörigen seiner zukünftigen Frau akzeptieren müssen, dass er im Frack und mit Roller seine Braut abholte und dass nach der heutigen Trauung ihr Adelsname nur als Geburtsname im Stammbuch erwähnt würde.

„Lynn-Elisabeth Hallbach.“ Das klang herrlich.

Er lächelte breit. Kein Doppelname, nur Hallbach.

Benedikt hatte die Straße entlang der Gleise für sich allein. Niemand war weit und breit zu sehen. Der Wind spielte mit seinem Haar und ließ ihn erneut lächeln. Er dachte an Lynn, an das Leben, das sie ab morgen führen würden und daran, dass er sich kämmen musste.

Er sah zur Seite. Auf dem Bahngleis spielte ein kleiner Junge mit einem hässlichen Stofftier. Plötzlich blendete die Sonne Benedikt und er nahm das Kind nur noch als Schemen wahr. Der Junge stolperte oder strauchelte, und drehte sich um. Jemand hob das Kind hoch, drückte es an sich und hielt es ganz nah vors Gesicht.

Benedikt hörte in der Ferne den Protest des Kindes, dann Gebrüll, dann verebbte ein Schrei. Vermutlich hatte der Vater seinem Kind eine Tracht Prügel verpasst. Man spielte ja nicht auf den Gleisen. Viel zu gefährlich.

Noch fünf Minuten bis zu seiner Braut. Lynn … Unser gemeinsames Leben fängt morgen an.

Plötzlich kam etwas auf ihn zu. Die Sonne blendete ihn, er blinzelte, musste ausweichen!

Er wollte ausbrechen – bremsen … Lynn … Zu spät!

Sieben Jahre später

Lynn, 6. Mai 2017

Der achtjährige Patrick hat mich mit seinem Fahrrad bis zur Straßenkreuzung begleitet, wo seine gleichaltrige Freundin auf ihn wartet. Das letzte Stück radle ich allein.

Ich konzentriere mich auf die Straße, die zum Bahnübergang führt. Mit erhobenem Kopf, entschlossen – gegen den Wind. Diese Stunde gehört nur mir. Meine graue Lederjacke offen, die Ärmel hochgekrempelt, eine Frühlingssonne, die meine nackten Arme wärmt. Vor sieben Jahren hätte ich eine weiße Lederjacke getragen. Weiß war die Farbe meines Hochzeitskleides. Weiß steht für Unschuld.

Für die Menschen in Maastricht ist dieser schöne Tag der Auftakt zu einem vielversprechenden Sommer. Nicht für mich. Der Himmel wölbt sich wie eine hohe blaue Kuppel, aber für mich trägt er, wie jedes Jahr am sechsten Mai, Schwarz; tiefschwarz wie meine Seele.

Ich bleibe an der Fußgängerampel vor der Brücke stehen. Es ist die letzte Ampel, die ich noch überqueren muss, um zu den Gleisen zu gelangen. Das Signal ist rot wie die Rosen in meiner Hand – oder wie die Farbe des Blutes.

Allein stehe ich dort, wie vor sieben Jahren Benedikt. Ich schaue nach links und rechts. Weder Autos noch Busse fahren vorbei. Das sinnlose Warten strapaziert meine Geduld.

Endlich springt die Ampel auf Grün, die Farbe der Hoffnung. Ich steige auf mein Fahrrad und radle geradeaus weiter.

Ein Kleintransporter zieht, wie aus dem Nichts kommend, an mir vorbei, hüllt mich in eine blaue Dieselwolke. Ich huste, wedle mit der Hand vor meinem Gesicht und höre kurz auf zu treten.

Der Transporter braust in Richtung Gleise davon. In der Ferne hält der Fahrer an und steigt aus. Er lädt etwas ab. Die Gestalt kommt mir auf eigenartige Weise vertraut vor.

Ich fahre weiter, denke an meine Verabredung. Urplötzlich ist mir nicht mehr wohl bei der Sache. Vielleicht hätte ich mich doch lieber für eine spätere Uhrzeit entscheiden sollen.

Es ist auf den Tag genau sieben Jahre her. Seit sieben Jahren wache ich in der Nacht vom sechsten auf den siebten Mai auf. Es sind die Geräusche der vorbeifahrenden Züge, die über die roten Rosen fahren und mich aus dem Schlaf holen. Aber nicht nur. Ich darf mich nicht auf diese Geräusche konzentrieren, aber natürlich tue ich nichts anderes. Dabei starre ich auf meinen Wecker, beobachte, wie die Zeiger sich im Schneckentempo fortbewegen, wie die Zeit langsam vergeht. Rote Rosen. Ich schnappe nach Luft …

Die Signale sind eindeutig, sie lassen sich nicht leugnen. Ich kenne dieses Gefühl, dass mir den Atem raubt. Ich leide unter Angstzuständen, aber nicht erst seit Benedikts Unfall. Die Angst umfließt mich seit Ewigkeiten. Ich ging deswegen zu einem Psychiater, aber in Wahrheit war ich nicht bereit, mich zu öffnen. Als er anfing, sich nach meiner Kindheit zu erkundigen, ging ich nicht mehr hin.

Meine Kindheit sind seine überhöhten Honorarrechnungen nicht wert und so bin ich ihm die Antwort schuldig geblieben.

Da ist etwas, dem ich mich nie wirklich gestellt habe: der Wahrheit – und meiner seelischen Verfassung seit meinem Selbstmordversuch. Seit sieben Jahren hat Benedikts Tod sich wie Stacheldraht um mich gewickelt. Mich davon zu befreien, wird mit Verletzungen einhergehen. Bisher habe ich es jedenfalls nicht gewagt. Aber jetzt ist es so weit. Ich kenne die Wahrheit und ich will Vergeltung ...

6. Mai 2010

Ich erwachte in dem Bett, entspannt und mit einem Lächeln auf meinem Gesicht, in dem ich zwei Nächte zuvor Auf Wiedersehen gesagt hatte. Das Bett, in dem ich das erste Mal mit Benedikt geschlafen hatte, das Bett, in dem er mir seine Geschichten erzählt und in dem er mir poetische Liebeserklärungen vorgelesen hatte. Das Bett, in dem wir lagen, als er mir sagte, dass seine Eltern den weißen Rolls-Royce nehmen sollten, aus dem er niemals vor meinem Elternhaus aussteigen würde.

Mein erster Gedanke galt Benedikt und den wunderbaren Verstößen, die wir heute gegen die Tradition der Familie von Raaben und ihren gesellschaftlichen Stand begehen würden.

Der Hochzeitstag: ein Donnerstag. Kein Samstag!

Die Uhrzeit: 15.00 Uhr. Nicht 11.00 Uhr!

Keine kirchliche Trauung, nur eine standesamtliche!

Kein Sissi-Kleid. Keinen Brautschleier!

Keinen Rolls Royce!

Keine zelebrierte Hochzeitsmesse!

Kein gemischter Chor!

Kein Geschwisterpaar als Trauzeugen!

Ich grinste. Und später?

Niemals eine Taufe für unsere zukünftigen Kinder!

Keine auf christlichen Werten basierende Erziehung!

Das allein hatte meine Mutter schon in Rage versetzt. „Es obliegt der elterlichen Verantwortung, den Kindern eine religiöse Basis zu bieten, worauf sie später zurückgreifen können.“

No way, Mom!

„Kinder haben vor allem Anspruch auf ein Elternhaus, in dem sie behütet aufwachsen können. Sie haben das Recht auf eine Jugend, die sie widerstandsfähig und stark macht, Mutter!“

Mein Vater schmunzelte und sah mich erstaunt an, mischte sich aber nicht ein. Er hatte in den vergangen Wochen allerdings zu oft erwähnt, dass er mich zum Altar führen wollte wie meine Schwester Bernadette. Das war Tradition und Traditionen musste man pflegen.

No way, Dad!

Sobald mein Vater zu viel Text von sich gab, war er für mich ein Fremder, der sich zufällig an unseren Tisch gesellte. Armer Papa.

Der Himmel war bewölkt, es windete und die Temperaturen lagen bei knapp vierzehn Grad.

Der Friseur legte letzte Hand an meine Frisur.

„Wusstest du, Lynn, dass vor acht Jahren ein Freund deines Vaters ermordet wurde?“, sagte Mutter beiläufig, während sie dem Friseur auf die Finger schaute.

Fast wäre ich vor Zorn aufgesprungen, weil sie tatsächlich versuchte, mir meinen großen Tag mit einer derartigen Bemerkung zu ruinieren. „Warum sagst du das?“, erwiderte ich bissig. „Du warst nie ein Fan von Papas Freund. Du konntest ihn nicht mal leiden.“

„Fan? Was für ein lächerliches Wort in diesem Zusammenhang. Man ist Fan von einer Band oder einer anderen Art der öffentlichen Unterhaltung. Es spielt keine Rolle, ob ich mich mit seinem Gedankengut identifizieren konnte oder auch nicht, es hätte nicht passieren dürfen. Es ist eine schwarze Seite im Buch unserer nationalen Geschichte. Politischer Mord gehört einfach nicht zu unserem Volk.“

„Heute ist der Hochzeitstag deines jüngsten Kindes“, schnauzte ich sie an. „Willst du diesem Tag nicht endlich eine festliche Note verleihen?“

Meine Mutter schwieg.

Sie wusste, wie sehr sie mich damit treffen konnte, und was sie mit ihrem Schweigen anrichtete.

Zwei Uhr. Eine seltsame Unruhe machte sich unter uns breit. Meine Schwester bat ihren Mann, nach dem weißen Rolls-Royce Ausschau zu halten.

Halb drei: noch immer kein Bräutigam in Sicht.

„Er lässt dich sitzen“, zischte meine Mutter durch ihre makellosen Zähne. „Ich wusste ja, dass er nichts taugt.“

Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Es war unmöglich, dass Benedikt es sich anders überlegt hatte, es musste einen anderen Grund für seine Verspätung geben.

Mein Schwager und mein Bruder gingen mit meinem Vater durch den Garten zu dem weit geöffneten Tor, um nach Benedikt Ausschau zu halten.

Ich stand am geöffneten Fenster meines Schlafzimmers und hörte die Signale von Krankenwagen und Polizeifahrzeugen. Mir kam es vor, als fuhren sie in unsere Richtung.

Ich sah, wie mein Vater und mein Bruder in Richtung Straße liefen, aus meinem Blickfeld verschwanden und zurückkehrten. Die Sirenen waren jetzt ganz nah.

Mein Vater kam wie ein Betrunkener auf unser Haus zu, mein Bruder musste ihn stützen. Er sah zu mir herauf und bedeutete, mich vom Fenster zu entfernen.

Aber ich blieb stehen und blickte zum Himmel. Kein Blau, sondern ein tief verhangenes Grau, kein Crescendo der Farben.

Im Haus erklangen Stimmen, Aufregung – dann Totenstille.

Ich wartete.

Drei Uhr, Viertel nach drei, halb vier.

Wir hätten schon seit einer halben Stunde Mann und Frau sein sollen.

Um fünf nach vier stand meine Mutter mit ernster Miene vor mir. Ihr Blick war furchterregend, aber ich sah auch Verwirrung darin. Und Kälte.

Ich ertrug diesen Blick nicht und schaute wieder aus dem Fenster. Ein Sturm kam auf, der die Äste der Bäume brach, wie Minuten später mein Herz.

„Setz dich!“

Ich blieb stehen.

„Benedikt hat seinen Motorroller gegen einen Baum gefahren. In seinem Jackett. Er ist tot.“

Ich ertrug es nicht, sie um mich zu haben. Sie hielt wie stets die Welt zum Narren.

Als ich nicht antwortete, drehte sie sich um und ging.

Es dauerte lang, bis mich der Sinn ihrer Worte erreichte. Schließlich zog ich mein Kleid aus.

Um halb fünf sah mein Vater nach mir und umarmte mich. „Du solltest herunterkommen, Lynn. Wir haben etwas vom Chinesen bestellt.“

Dann ging auch er.

Ich rührte mich nicht, saß eine Weile in meinem Unterkleid auf dem Stuhl. Mir war nur kalt, sonst fühlte ich nichts.

Später half mir meine Schwester beim Anziehen und brachte mich in meine Wohnung.

„Soll ich jemanden für dich anrufen, Lynn?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich möchte allein sein.“

Ich fühlte nichts.

*

Die Maas ist ein Fluss wie die Zeit, ein Strom, kraftvoll und sanft, in dem ich mich sieben Jahre habe treiben lassen. Zumindest habe ich das geglaubt. Am 6. Mai 2010 haben drei Menschen mein Leben zerstört. Ich habe erfahren, wer sie sind und wo sie leben.

Seit ich weiß, dass Benedikts Unfall kein Unfall war, raubt mir das Gefühl der Ohnmacht den Schlaf und sorgt dafür, dass ich noch immer nicht alle Puzzlestücke zusammensetzen kann.

Ich will den Blick nicht mehr abwenden, will endlich wieder leben, zurückschlagen, wenn die Zeit dafür reif ist.

Und die Zeit ist reif.

Lynn, 7. Mai 2017

Ich wache auf. Es dämmert, der Sonnenaufgang ist nah. Die Trauer flimmert wie Lichter über meine Netzhaut. Seit sieben Jahre denke ich daran. Der 7. Mai ist the day after, der Tag danach. Seit ich das erste Mal am Tag danach, am Tag nach meinem vermeintlichen Hochzeitstag, aufgewacht und aus meinen Trümmern geklettert bin, haben sich mir diese drei Worte eingebrannt und sie sind immer präsent. Der siebte Mai wird immer jener Tag sein, der auf den sechsten Mai folgt, und der sechste Mai wird immer von der Erinnerung an ein Ereignis geprägt sein, das niemals hätte geschehen dürfen.

Vor sieben Jahren hoffte ich auf eine Hochzeitskutsche mit Pferden und sah uns beide damit vor dem Standesamt ankommen, der weiße Rolls-Royce hinter uns. Voller Schadenfreude dachte ich an den Gesichtsausdruck meiner Mutter, sobald sie mit Papa aus der Limousine stieg. Und die Gefühle, die ich dabei empfinden würde.

Tief in meinem Herzen fand ich mein Verhalten aber ein wenig kindisch. Mit meinen einundzwanzig Jahren sollte ich in der Lage sein, meine Jugend hinter mir zu lassen und negativen Erinnerungen weniger Raum geben.

Manchmal erschrecke ich noch heute regelrecht vor der Verachtung und dem Hass in mir. Ich musste mich häufiger zwingen, mich von meinen mörderischen Fantasien zu verabschieden, insbesondere von denen, die meine Mutter betrafen. Töchter lieben nun mal keine Mütter und Mütter keine Töchter. Wir sind Konkurrenten, betonte Mutter immer wieder. Na ja!

Ich war davon überzeugt, dass ich erst dann von meinem Elternhaus loskommen konnte, sobald ich mit Benedikt verheiratet war. Sobald ich mein anderes, neues Leben führen würde. Sobald ich eine Lynn-Elisabeth Hallbach geworden wäre. Diese Betrachtung brachte mir den Frieden und ich konnte die unschönen Gedanken von mir fernhalten.

Aber seitdem sind die frühen Vögel, die den neuen Tag besungen haben und mit denen ich voller Elan aufgewacht war, davongeflogen.

Ich habe seither keine Verabredung mehr für den siebten Mai getroffen. Dieser Tag ist nur für mich und meine Gedanken. Für meine Erinnerungen, und in diesem Jahr auch für meine Planung.

Am Tag danach habe ich mein Hochzeitskleid noch einmal angezogen und mich auf die Gleise gelegt, wollte mit einer Rose in der Hand dem Leben entfliehen. Benedikt liebte rote Rosen. Aber dann war da plötzlich seine Stimme in meinem Kopf. Denk an den Lokführer. Warum noch einen Menschen ins Unglück stürzen, Lynn? Ich bin doch bei dir. Immer. Der Schmerz wird nachlassen, die Wunde heilen.

Benedikt nahm mich an diesem Tag in Gedanken an die Hand und brachte mich von den Gleisen wieder nach Hause. Aus dem Spiegel im Badezimmer sah mich ein Wesen mit fahler Haut und grauen Lippen an. Ich drehte ein wenig den Kopf, betrachtete mich halb von der Seite. Ich sah aus wie ein Wrack, aber noch immer mit wunderschönen Haaren. Rotblond, lang und leicht gewellt.

Benedikt hat sein Versprechen gehalten, er war bei mir und zog mich aus, legte mich ins Bett, tröstete mich, liebte mich. Nur deshalb habe ich überlebt.

Heute lebe ich, weil er noch immer bei mir ist. Nur in einem Punkt hat er sich geirrt: Die Wunde hat sich nicht geschlossen. Ich weine jede Nacht, schlucke die Dunkelheit und finde keine Ruhe. Wie in diesem Moment.

Ich setze mich an den Küchentisch. Und in diesem Moment vernehme ich ein Knistern.

Die Wohnung ist ständig voller Geräusche, aber die habe ich längst auf irgendeiner Ebene meines Bewusstseins abgespeichert. Ich kenne das Gluckern in den Heizungsrohren, das Rauschen des Windes in den Bäumen und die Stimmen der Menschen, die am Vrijthof leben. Doch dieses Geräusch ist anders und lässt mich jäh den Kopf heben.

Es klingt, als geht jemand auf dem Flur vor meiner Wohnungstür auf und ab. Was macht jemand mitten in der Nacht vor meiner Tür?

Ich erhebe mich und blicke durch den Türspion. Es ist stockdunkel. Ich halte den Atem an, lege mein Ohr an die Tür, lausche nach draußen. Nichts ist mehr zu hören, was sich von den üblichen Geräuschen unterscheidet. Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet. Meine Nerven sind ziemlich angeschlagen.

Ich muss die Tür verriegeln! Dann kann ich mich sicher fühlen. Die Haustür aufzubrechen, kostet eine Menge Kraft und Zeit und verursacht dazu erheblichen Lärm. Das Schlimme ist nur, dass ein Junkie das locker schaffen kann. In der Stadt lungern um den Vrijthof-Platz jede Menge Junkies herum, es gibt zahlreiche Coffee-Shops mit bekifften, lächelnden Menschen.

Benimm dich nicht wie eine hysterische alte Frau! Vielleicht ist da gar nichts. Ich habe aber nicht nur ein Geräusch gehört. Mehrmals ist eine Person vor meinem Küchenfenster auf und ab gegangen. Mehrmals! Mitten in der Nacht. Hier stimmt etwas nicht, und das hat nichts mit Hysterie und Einbildung zu tun!

Ich ignoriere meine innere Stimme.

Ich verriegele die Wohnungstür noch nicht, muss einen Blick riskieren. Danach kann ich mich meiner Angst und allen möglichen grauenhaften Vorstellungen hingeben. Im Augenblick darf ich mich nicht paralysieren lassen.

Entschlossen öffne ich die Tür, betätige den Lichtschalter.

Ich starre den Fußboden des Hausflures an.

Mein Gehirn arbeitet seltsam, so langsam ...

Nasse Fußspuren. Draußen regnet es. Kleinere Schuhgröße.

Jemand ist in das Haus eingedrungen. Jemand muss vor Kurzem die Holztreppe hinaufgekommen sein. Irgendwann innerhalb der letzten zehn Minuten.

Ein Schatten löst sich im Gang von der Hauswand. Aus den Augenwinkeln werde ich ihn gewahr. Fast zeitlupenartig drehe ich mich um. Ich erkenne nicht viel. Es gibt keinen erklärbaren Grund, weshalb jemand hier im Dunkeln steht.

Es gibt zumindest keinen harmlosen Grund.

„Hallo?“

Ich hätte um keinen Preis die Tür öffnen dürfen.

In Windeseile verriegle ich die Haustür, gehe in die Küche, setze mich an den Tisch und betrinke mich mit meiner imaginären Freundin Prosecco Rosarot.

Nach zwei Gläsern nehme ich Benedikts Duft war und glaube, sein Flüstern zu hören. Ich bin doch bei dir, Lynn.

Seit neun Monaten weiß ich, wer für die Tat verantwortlich ist, die mein Leben zerstört hat. Heute ist der siebte Mai. Ich werde meinen Plan in die Tat umsetzen und mit einer Rose zu den Gleisen gehen. Die Wut schnürt mir die Kehle zu. Ich denke nur noch eines: Dafür werdet ihr bezahlen.Ich will Vergeltung.

„Ich will Vergeltung.“ Die Wörter segeln davon.

Der Erste, der verstehen wird, dass das Verbrechen, das er begangen hat, nicht ohne Folgen bleiben wird, ist Maarten Senger, verheiratet mit Laura.

Teil I – Maarten

Kapitel 1

Maarten

Es hat ihn den ganzen Tag verfolgt. Jetzt betrachtet Maarten Senger das flache weiße Päckchen, das er gerade aus seinem Briefkasten genommen hat. Es enthält keinen Absender, keinen Firmennamen, nur einen Adressatenaufkleber mit seinem Namen und seiner Adresse. Das erste Versprechen hat die Website erfüllt, das Testpaket auf diskrete Weise zu versenden.

Er legt den Inhalt auf den Esstisch und prüft, ob alles in Ordnung ist: Sterilisierte und versiegelte Wattestäbchen, Transportbehälter zum sicheren Versand des Testmaterials, Gebrauchsanleitung mit Illustrationen, Rückumschlag für die DNA-Proben. Alles okay.

Sein Magen krampft, sein Körper schmerzt, seine Hände zittern. Er nimmt die Gebrauchsanleitung in die Hand, die Antworten auf die häufig gestellten Fragen kennt er dank Google bereits. Natürlich weiß er, dass ein Kind die DNA von der Eizelle der Mutter und der Samenzelle des Vaters erbt, dass beide Zellen dreiundzwanzig Chromosomenpaare enthalten. In einem Vaterschaftstest werden die spezifischen DNA-Sequenzen für mehrere Chromosomen untersucht. Das Ergebnis ist ein einzigartiger genetischer Bauplan: das DNA-Profil.

Durch das Bestimmen und Vergleichen von DNA-Profilen wird festgestellt, ob ein biologischer Verwandtschaftsgrad besteht.

Er liest die Passage noch einmal. Der Text ist ihm vertraut, er kennt ihn auswendig. Bis jetzt sind die letzten beiden Wörter dieses Abschnitts nicht mehr als eine zu Papier gebrachte Schlussfolgerung, aber jetzt ist alles anders. Jetzt liegt ein komplettes Testpaket für die Wahrheit vor ihm auf dem Tisch. Er kann nun feststellen, ob er der leibliche Vater seiner Töchter ist.

Einige Tage zuvor

„Du hast mich schon während der Ehe betrogen, du hinterhältiges Stück Scheiße!“, schrie Laura ihm vor Tagen ins Gesicht. Ihre Augen flackerten, ihr Mund war zu einem schmalen Strich verzogen, ihre ganze Haltung durchdrungen von Widerstand und unbändiger Wut.

Er hatte ihr vor ein paar Minuten gestanden, dass es da eine neue Frau in seinem Leben gab. Für Laura stand fest, dass diese andere Frau die Ursache für seine Entscheidung war, dass er sie schon während der Ehe betrogen hatte, was aber nicht der Fall war. Erst nach seinem Auszug aus dem gemeinsamen Haus hatte er sich für eine andere Frau interessiert.

Maarten zwingt sich, ruhig zu bleiben, lässt sie toben, will gehen. Die Dinge könnten entgleiten. Nur fort von hier.

„Du weißt es jetzt“, sagt er, „denk darüber, was du willst. Mit dir kann man sich nicht in Ruhe austauschen. Im Übrigen bin ich derjenige, der das Recht hat, in der Vergangenheit deine Loyalität und Treue infrage zu stellen. Merke dir das! Spiele nur weiter die Unschuld vom Lande, mich kannst du damit nicht mehr täuschen.“ Er ist schon an der Haustür, dreht sich aber noch einmal um. „Ich werde es Flor und Diana dieses Wochenende sagen. Sollte ich feststellen, dass sie es schon wissen, dann ...“

Laura kommt auf ihn zu. „Dann was ...?“

„Ich warne dich. Lass es sie ja nicht wissen“, wiederholt er kalt, kontrolliert.

Blitzschnell und fluchend greift sie nach einem Glas. Er verliert die Kontrolle. Seine geballte Faust schmettert gegen die Wand. Er starrt auf seine aufgeplatzten Knöchel, auf das Blut an der weiß getünchten Wand.

„Ich werde es meinen Kindern sagen. Meinen Kindern!“, brüllt sie. „Wenn du verstehst, was ich meine!“

Einen Moment lang sagt keiner etwas, dann dreht er sich wortlos um und verlässt das Haus. Verdammt. Erschrocken darüber, wie dünn die Membran sein kann, die ihn von Gewalttätigkeit und völligem Irrsinn trennt, wartet er draußen in seinem Wagen. Langsam beruhigt er sich wieder.

Das Gespräch hat bei Maarten einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Ein enges Band hat sich um seine Brust legt. Das Atmen fällt ihm schwer. Anfangs ignoriert er Lauras Worte und denkt nicht weiter darüber nach. Er kennt ihr Verhalten, ihre zynische Art, ihn in die Enge zu treiben. Es ist an der Zeit, dass er ihr das nicht mehr erlaubt. Denk nach, Maarten, denk nach!

Soweit es ihn betrifft, kann sie tief im Dreck wühlen. So tief, dass sie selbst darin erstickt und nie wieder auftaucht.

Er schafft es drei Tage, ihre Worte zu ignorieren, tut, als seien sie ihm entfallen. Sobald ihn die Erinnerung einzuholen droht, lenkt er sich mit Arbeit ab oder ruft einen seiner Freunde an. Aber ihre Worte meine Kinder lassen ihn nicht mehr los. Es kommt ihm vor, als hätte sich das Licht in seinem Leben verändert, es ist nicht mehr warm, sondern düster wie die Dämmerung im Winter.

Seine Gedanken wandern stets zu einer Frage: Was, wenn er nicht der biologische Vater seiner Töchter oder auch nur von einem der Mädchen ist? Tief in seinem Herzen ist das Wissen immer noch besser, als die Unsicherheit, unter der er seither leidet. Er wird aber immer ihr Vater sein, selbst mit einem negativen Testergebnis. Er hat miterlebt, wie die Mädchen auf die Welt gekommen sind, sie sind in seinem Herzen, gehören zu ihm. Das wird sich nie ändern. Seine Bindung zu den Kindern ist zu stark. Was ihm zu schaffen macht, ist diese Unruhe, die von ihm Besitz ergriffen hat und die er Laura verdankt. Auch sein Körper reagiert auf seine psychische Belastung. Seine Gliedmaßen schmerzen neuerdings so sehr, dass es ihm schwerfällt, morgens aufzustehen.

Laura …

In Gedanken schlägt er mit aller Kraft zu. Laura stürzt zu Boden. Sie schafft es aber, sich wieder hochzurappeln, und versucht in Panik zu entkommen, aber er ist so viel schneller als seine Frau, die nicht den Hauch einer Chance hat. Er packt sie bei ihren langen Haaren und schlägt ihren Kopf mit aller Wucht auf den Boden, wieder und wieder, bis sie verstummt.

Er hasst sie.

Maarten fragt sich, ob es klug ist, den Test zu machen. Nur noch zwei Tage, dann sieht er die Mädchen zum ersten Mal seit sechs Wochen wieder. Wenn Laura im letzten Moment nicht wieder eine Ausrede einfällt, um das Treffen zu boykottieren.

Er weiß, dass die Kinder den Kontakt wollten, das hat Flor ihn in ihren WhatsApp-Nachrichten wissen lassen, die sie ihm heimlich schickt. Ich bin nicht wütend auf dich, wie Mama, hat sie kürzlich geschrieben. Aber ich will Mama nicht traurig machen.

Flor schreibt ihre Nachrichten nur, wenn sie sich sicher ist, dass Laura es nicht bemerkt, wie auf der Toilette in der Schule. Oder in der Garderobe nach dem Ballettunterricht. Diana traut sich das nicht. Sie hat Angst, dass sie sich versprechen könnte, wenn ihre Mutter sie fragt, ob sie Kontakt zu ihrem Vater habe. Diana kann nicht lügen, Flor hingegen schon. Genau wie Laura. Gut möglich, dass Flor deshalb nicht meine biologische Tochter ist.

Er ist schockiert über diesen Gedanken und macht sich Vorwürfe. Flor ist ein zehnjähriges Mädchen mit einer blühenden Fantasie. Sie schwärmt von Sternschnuppen, Küken, bunten Luftballons, Überraschungen. Sie ist wie ihre Mutter, als sie sich gerade kennengelernt hatten: Jungsein, Gewitter, Sommerhimmel. Seine Welt kommt mit wenigen Farben aus.

Was tun? Das Ganze wieder in den Umschlag stecken und in den Mülleimer werfen?

Er will sich weniger mies fühlen.

„Sie“

Tagebucheintrag, Oktober 1965

Die Liebenden

Sie sind dem Jungen gefolgt.

Da steht er, auf dem kopfsteingepflasterten Vrijthof und blickt über Maastrichts größten Platz. Es ist sehr früh am Morgen, noch lange nicht hell, und er scheint keine Eile zu haben. Die einstige Hinrichtungsstelle mit ihren sorgsam getrimmten uralten Bäumen und den Hinterhofgärten hat es ihm wohl angetan.

Wie „Sie“. Nur nicht um diese Zeit. Erst später, nachdem sie beide ... „Egal“, flüstern sie. Jedenfalls später, wenn sie in einem der Straßencafés das lauschige Lebensgefühl dieses Platzes entspannt und mit entblößten Zähnen auf sich wirken lassen.

„Sie“ haben viele Namen: die Hübschen, die Beobachter, die Verliebten, die Unzertrennlichen, die Unversehrten, die Unberührten, die Unerhörten. Sich „sie zu nennen, ist für sie unverfänglicher, erlösender, vertrauter, dankbarer.

Sie beobachten den Jungen, der sinnierend zur gotischen St. Jans-Kirche blickt, deren rote Kirchturmspitze er gestern erklommen hat. Seine Glatze glänzt in der Morgensonne, als er auf einen der kleinen Hinterhofgärten zugeht.

Auch wenn der Himmel ausnahmsweise nicht vollkommen bedeckt ist, sich der Mond dafür nur in seiner halben Pracht zeigt, wird er nur schemenhaft Bäume, Sträucher und seine Verfolger erkennen.

Er öffnet das schmiedeeiserne Tor. Man könnte meinen, die Stille des Gartens gefällt dem Zehnjährigen. Sie beide mögen dieselben Dinge in dieser beschaulichen Stadt. Das Schattenrissartige der Pflanzen erinnert sie an die poetische Ästhetik alter Schwarz-Weiß-Filme. Dem Jungen machen sie vermutlich Angst, denken sie.

„Warum kommt Nobody dann hierher?“, flüstern sie und denken: Was für eine dumme Frage. Weil wir ihn hierher gelockt haben. Weil er gesagt hat: „Ich will nicht mehr!“

Diese schwachsinnigen Worte äußern alle Straßenkinder, die sie Nobodys nennen. Die Nobodys ahnen nicht, dass sie damit ein Tor öffnen, das sie sicher nicht in einen der schönen Gärten von Maastricht führen wird.

Der Junge

Der Junge nähert sich langsam dem Brunnen in der Mitte des Gartens. Obwohl er keine Angst verspürt, steigt seine Aufmerksamkeit. Er schwitzt ein wenig, dennoch ist es nicht warm. Plötzlich hört er ein Geräusch, das nicht zu den anderen Geräuschen der Nacht passt. Ein Rascheln, rechts hinter ihm, zu laut, um von einer durch das Laub huschenden Maus oder einem Vogel zu stammen.

Dann erneutes Rascheln. Jetzt kommt es von der linken Seite. Schritte, eindeutig Schritte.

Der Junge hält den Atem an und dreht sich vorsichtig um. Seine Augen sind geweitet, die Muskulatur angespannt bis zur Schmerzgrenze.

Nun ist das Rascheln links hinter ihm, ganz nah, zu nah.

Noch bevor er sich umdrehen kann, wird er von hinten angesprungen, fällt in einen Busch, unter dem ein großer, kantiger Stein verborgen liegt. Er hört seine Rippen knacken, stöhnt auf. Hilfe suchend hebt er einen Arm. Er weiß, dass er wiederum auf obskure Weise betrogen worden war.

Hände drücken ihn nieder, eine Hand hält ihm den Mund zu. Der Junge beißt zu. Hört einen Schmerzenslaut.

Der Angreifer reißt seine Hand zurück, ist kurz irritiert, woraufhin der Junge sich unter ihm wegrollen kann. Dann schlägt ihm eine andere Hand heftig ins Gesicht.

„Wir haben dich gewarnt!“, zischen sie.

Kapitel 2

Maarten

Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, zieht Maarten es nun vor, Silke einzuweihen und seiner Freundin zu sagen, dass das Testmaterial eingetroffen ist. Nach dem atemberaubenden Sex hat er für sie gekocht und ihr seine Häppchen ans Bett gebracht. Jetzt nimmt er ihre Hand und streift sie mit seinen Lippen. „Du riechst so gut“, sagt er zärtlich.

Silke sieht ihn fragend an. „Was ist los mit dir? Was beschäftigt dich?“

Sein Herz schlägt schneller. Er gibt ihre Hand frei. „Da ist nichts. Ich bin müde, es ist der zermürbende Streit mit Laura. Sie entwickelt sich zu einer Monster-Mom und ich bin der Punchingball. Ich sollte das alles nicht so sehr an mich heranlassen.“ Seine Stimme klingt zu laut, weil er sie angelogen hat, zu heftig, um seiner Lüge Nachdruck zu verleihen, zu unstet, um Silke davon zu überzeugen, dass die Lüge Wahrheit ist. In Wahrheit ist der Betrug um seine Kinder der wahre Grund. Es kostet ihn enorme Überwindung, gelassen zu bleiben.

„So eine Trennung ist schwer. Sie ist für niemanden eine gute Zeit“, erwidert sie und küsst ihn. „Was kann ich für dich tun, damit du dich besser fühlst?“

Maarten umarmt sie.

„Schon wieder?“, kokettiert Silke. „Kein Problem, weißt du? Vertreibt Laura aus dem Kopf. Ich bin jetzt hier und ich bleibe bei dir. Darauf kannst du vertrauen.“

Es ist dieses Wort. Vertrauen. Er möchte sich gedanklich nicht wirklich mit seiner Noch-Ehefrau auseinandersetzen, aber dieser Begriff Vertrauen erinnert ihn an Laura, und er denkt an ihren Verrat ...

Er war vor Laura zu Hause und nahm die Post von der Fußmatte. Darunter war auch ein Brief der Stadt.

Er reißt den Umschlag auf. Erst da fällt ihm auf, dass das Schreiben an Laura adressiert ist: ein Bußgeldbescheid über eine Geschwindigkeitsübertretung, drei Wochen zuvor an einem Nachmittag auf einer Autobahn. Ein Ort, wo sie seiner Meinung nach nicht hätte sein sollen.

Er steckt den Bescheid wieder in den Umschlag.

Laura antwortet später mit einem Achselzucken. „Ein Irrtum. Ich war gar nicht dort. Einer meiner Stammkunden hat das auch schon zweimal erlebt. Eine Verwechslung der Nummernschilder. Ich verstehe nicht, wie so etwas passieren kann. Ich rufe da morgen mal an.“

Am nächsten Tag sagt sie beiläufig, dass es tatsächlich eine Verwechslung gewesen sei und dass die Behörde den Bußgeldbescheid zurückgenommen habe.

Er glaubt ihr und vergisst das Schreiben. Immerhin hatte dem Schreiben kein Beweisfoto beigelegen.

Der Vorfall kommt wieder hoch, als Laura eines Abends übel wird und sie zur Toilette läuft. Er hört, wie sie sich übergibt, und geht, ohne genau zu wissen, warum, zum Computer. Er sieht das Online-Banking-Portal auf dem Bildschirm, die Rechnungen auf dem Schreibtisch, dann klickt er mit der Maus auf ihr Konto und schaut sich den Kontoauszug an. Am Ende der Übersicht fällt ihm eine Zahlung über 58 Euro an die Stadtverwaltung auf.

Sein Magen zieht sich zusammen. Jetzt hat er es endlich geschafft.

---ENDE DER LESEPROBE---