Glücklich fliegen – wie auf Wolke 7 - Irene Rausch - E-Book

Glücklich fliegen – wie auf Wolke 7 E-Book

Irene Rausch

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Beschreibung

Kann man im Flugzeug aus Angst verrückt werden, ersticken oder gar sterben? Ist es normal, dass man trotz unzähliger Versuche, seine Flugangst in den Griff zu bekommen, bisher immer wieder daran gescheitert ist? Wenn Sie sich solche Fragen stellen, befinden Sie sich in Gesellschaft von mindestens einem Drittel aller Passagiere. Die Psychologin Irene Rausch behandelt seit 25 Jahren sehr erfolgreich Menschen, die unter dieser belastenden Angst leiden. Sie hat dabei immer wieder die Erfahrung gemacht, dass viele Betroffene lange Leidenswege, zahlreiche gescheiterte Selbstbewältigungsversuche und Therapien hinter sich haben. Dabei ist Angstbewältigung, richtig durchgeführt, keine Zauberei und kann zu einem Quantensprung an Lebensfreude führen. Das vorliegende Buch ist die Essenz ihrer besten Bewältigungstipps aus der Praxis, anschaulich dargestellt durch interessante und berührende Fallbeispiele vor und während des Fliegens. In lockerer und spannender Form vermittelt sie ihre Erfahrungen aus zahlreichen Flugangst-Seminaren und anderen Behandlungen. Auch die von den meisten Passagieren gefürchteten Turbulenzen und viele technische Informationen rund ums Fliegen kommen nicht zu kurz. Kein Wunder, ist die Autorin doch mit einem Flugkapitän verheiratet, der dieses Wissen beisteuert.

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GLÜCKLICH FLIEGEN – WIE AUF WOLKE 7

SO ÜBERWINDEN SIE ERFOLGREICH IHRE FLUGANGST

IRENE RAUSCH

SEIFERT VERLAG

INHALT

Teil I

1. Von Reiseverweigerern und glücklichen Fliegern

2. Flug­angst entsteht im Kopf

3. Beruhigende Fakten

4. 1-2-3 So – einfach – ­funktioniert die Behandlung

5. Sich der Situation ­stellen – Überwindung ist der Schlüssel zum Erfolg

6. Was tun bei Panikattacken?

7. Woher kommt die lästige Angst?

8. Der Flug­angst-Entstehungsmix

9. So fällt die Angst wieder ab

10. Alkohol und Medikamente – (k)ein Mittel der Wahl?

11. Vermeiden – verständlich, aber falsch

II. Wie sicher ist es wirklich? – Die Wahrheit rund ums Fliegen

12. Wie kann das alles funktionieren?

13. Ist Fliegen gefährlich, und was bedeutet Risikomanagement?

14. Die Kurve nach dem Start – »Hilfe, kippen wir um?«

15. Fliegen im Dunkeln

16. Triebwerksausfall – was nun?

17. Das große Schreckgespenst – Was tun bei Turbulenzen?

18. Mein Nachbar verwendet sein Handy – ist das riskant?

19. Das Wetter spielt keine Rolle

20. Durchstarten – wann und warum?

21. Fluggeräusche oder Lieblingsmusik?

Teil III

22. Wer hat die Kontrolle – die Gedanken oder Sie?

23. Einfach und hochwirksam

24. Der letzte Schliff – Tipps und Tricks

25. Und nun – abheben und vielleicht sogar genießen

26. Wie diese Strategien Ihr ­Leben verändern können

FAQ

Danke

Quellen und weiterführende Literatur

Anmerkungen

»Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinung, die wir dazu haben«

EPIKTET

unveränderte eBook-Ausgabe

© 2023 Seifert Verlag

1. Auflage (Hardcover): 2023

ISBN: 978-3-904123-81-5

ISBN Print: 978-3-904123-7-30

Umschlaggestaltung: Patrick Mannsberger, UnionWagner, Wien

Sie haben Fragen, Anregungen oder Korrekturen? Wir freuen uns, von Ihnen zu hören! Schreiben Sie uns einfach unter [email protected]

www.seifertverlag.at

facebook.com/seifert.verlag

TEILEINS

KAPITEL1

VON REISEVERWEIGERERN UND GLÜCKLICHEN FLIEGERN

»Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich jemals gerne in ein Flugzeug steigen würde.«

Im Licht der Ankunftshalle des Flughafens strahlte mich Karoline mit ihrem sympathischen Lächeln an. Sie war offensichtlich glücklich, und wie es dazu gekommen ist, werden Sie neben anderen Erfahrungsberichten noch genauer erfahren.

Sollten Sie sich selbst bisher noch nicht zu den glücklichen Fliegern zählen, so könnte die Lektüre für Sie genau das Richtige sein. Es gibt dazu nur einen wichtigen Hinweis: Niemand kann und muss ständig glücklich sein, und genauso sollte niemand den Anspruch haben, sich im Flugzeug glücklich fühlen zu müssen.

Doch ursprünglich panisch gefürchtete Situationen aus eigener Kraft gut zu bewältigen, führt zu einer enormen Ausschüttung an Glückshormonen. Somit kann Fliegen wunderbar zu Ihrem Glück beitragen, auch wenn es noch nicht zu Ihren Lieblingsbeschäftigungen zählt.

Vielleicht kennen ja auch Sie das Gefühl, im Flugzeug auf 10.000 m Höhe angespannt auf einem engen Sitz zu verharren und in Verzweiflung zu geraten? Nicht zu wissen, wie Sie diese Flugstunden einigermaßen unbeschadet hinter sich bringen sollen? Vielleicht haben Sie auch schon versucht, sich mit Medikamenten oder Alkohol zu beruhigen und so diese quälende Empfindung des Eingesperrtseins zu verscheuchen? Emotionen, ähnlich einer Fahrt mit der Hochschaubahn, auf der es in rasender Fahrt rauf und runter geht. Und statt der freudigen Erwartung des lange ersehnten Urlaubs fühlen Sie nur peinigende Angst und fürchten sich schon jetzt, noch vor der ersehnten Auszeit, vor dem Rückflug.

Hatten Sie etwa alptraumhafte Vorstellungen, wenn zu Hause die Urlaubsplanung bevorstand und Freunde, Partner oder Familienangehörige statt der von Ihnen bevorzugten stunden- oder tagelangen Fahrten darauf bestanden, endlich wieder einmal weiter wegzufliegen?

Oder waren auch Sie schon in der fast noch unerträglicheren Situation, beruflich fliegen zu müssen, und hatten alle Ausreden, weshalb dies in nächster Zeit schlecht möglich sei, bereits verbraucht?

Wenn Ihnen solche oder ähnliche Konstellationen gut bekannt vorkommen, werden Sie erfreut sein, dass es in diesem Zusammenhang drei gute Nachrichten gibt:

Sie sind nicht allein, denn ein Drittel bis zur Hälfte aller Passagiere leidet an unangenehmer Flug­angst.Flug­angst ist gut behandelbar.Es ist viel leichter möglich, als Sie sich vielleicht bisher vorstellen konnten.

Die im Buch beschriebenen Strategien werden Ihnen helfen, schnell und effizient die passenden Utensilien aus einem »Handwerksköfferchen« hervorzuholen, um die für Sie richtigen Hilfestellungen einzusetzen. Dieses Köfferchen wird ab nun Ihr wichtiger Reisebegleiter, und Sie brauchen dafür nicht einmal zu bezahlen. Es ist kompakt, jederzeit verwendbar, und Sie nehmen je nach Bedarf das gerade passende Werkzeug heraus.

Für alle Angstgefühle gibt es entsprechende Bewältigungswerkzeuge, die Sie je nach Anlass einsetzen können, ähnlich wie bei Arbeiten zu Hause. Diese beruhigende Tatsache kann Ihnen helfen, quälende Angstgefühle immer leichter hinter sich zu lassen.

Vielleicht kommt Ihnen die Metapher des Werkzeugköfferchens bekannt vor. Psychologen ziehen sie gerne heran, um damit den Vergleich von praktischem Handwerkszeug mit psychologischen Tools – die genauso wichtig und hilfreich für die Behebung kleinerer oder größerer seelischer Unpässlichkeiten sind – herzustellen. Unlängst stieß ich zu meiner Überraschung sogar in einer Buch-Rezension von Michelle Obama auf ihren persönlichenWerkzeugkoffer, was ich sympathisch fand und mir als Bestärkung für die Vermittlung dieses Bildes erscheint.

Zunächst ist es wichtig, den Umgang mit all den einzelnen Werkzeugen zu erlernen. Genau dafür soll Ihnen dieses Praxisbuch eine gute und brauchbare Hilfe sein.

In meiner langjährigen Tätigkeit im Rahmen der Behandlung von Flug­angst habe ich immer wieder die erstaunlichen und berührenden Erfahrungen gemacht, dass von Flug­angst gepeinigte Betroffene manchmal schon innerhalb kurzer Zeit eine durchgreifende Verbesserung bis hin zum Freiwerden von Angst erleben konnten. In vielen dieser Fälle handelte es sich dabei nicht nur um leichte Ausprägungen der Angst, sondern um oft jahrelang bestehende schwere Beschwerden. Teilweise waren sie von zugrundeliegenden starken Angststörungen verschiedenster Art begleitet.

»Ich habe schon vieles erfolglos versucht und auch Therapien gemacht, doch erst jetzt habe ich von Ihnen die richtigen Tipps bekommen, wie ich diese Angst bewältigen kann.« Motiviert durch solche Aussagen und beeindruckende Erfolge, möchte ich nun meine Anleitungen an viele von Ängsten betroffene Menschen auch in Buchform weitergeben.

Die in den folgenden Kapiteln vorgestellten Behandlungsstrategien eignen sich genauso gut zur Bewältigung anderer Angstthemen, wie beispielsweise der Furcht vor engen, geschlossenen Räumen oder einer Agoraphobie, die mit der Angst vor Menschenansammlungen einhergeht und der Befürchtung, von irgendwo nicht schnell genug wegzukommen, um Hilfe zu erhalten. Diese Angst ist weit verbreitet und kann von Panikattacken begleitet werden.

Ganz bewusst bette ich die Strategien gelegentlich in verschiedene Fallbeispiele ein. Da ich bisher viele Hunderte Menschen auf ihren Flügen begleiten durfte, möchte ich diese ganz spezielle »Live«-Expertise einfließen lassen. Dies soll all jenen helfen, die vielleicht schon Ratgeber gegen Flug­angst gelesen oder andere Hilfen in Anspruch genommen haben und damit noch nicht den erwünschten Erfolg erzielen konnten.

Sollten Sie im Allgemeinen dem Fliegen gegenüber skeptisch eingestellt sein und der Technik oder den Menschen dahinter nicht ganz vertrauen, so werden Ihre Fragen ebenfalls in einem ausführlichen Kapitel behandelt.

Der technische Teil basiert auf der Expertise meines Mannes Rudolf Rausch, eines erfahrenen Flugkapitäns. Wir haben als Team schon sehr vielen unter Flug­angst leidenden Menschen geholfen. Da er außerdem auch Fluglehrer ist, umgerechnet eine Strecke von 16-mal zum Mond hin- und zurückgeflogen ist und auf über 10.500 Flügen mehr als 900.000 Passagiere sicher befördert hat, gelingt es ihm gut, sein Wissen anschaulich weiterzugeben und vielerlei Bedenken auszuräumen.

Ich möchte Ihnen aufgrund meiner Erfahrung Mut machen, dass auch scheinbar »einbetonierte«, lange bestehende und unangenehme Gefühle nicht zwingend schwer zu verändern sind. Natürlich ist jeder Mensch, jedes Symptom und auch jeder Bewältigungsweg individuell und unterschiedlich. Doch der Glaube an die eigenen, oft unterschätzten Fähigkeiten und das Wissen, dass ein zufriedenstellender Umgang selbst mit lange vorhandenen Ängsten gut möglich ist, kann zu Erfolgen führen, die oft leichter erzielbar sind, als man sich denken würde.

Ob man die Überwindung von Ängsten in Selbsthilfe anstrebt oder dabei psychologische Unterstützung in Anspruch nimmt, ist immer eine individuelle Entscheidung, die auch vom Ausmaß des Leidensdrucks abhängt.

Das vorliegende Buch ist sowohl zur Verwendung im Selbstmanagement als auch für eine begleitende Ergänzung zu Flug­angstbehandlungen gut geeignet. Denn es ist nicht notwendig, psychotherapeutische Reisen in die Vergangenheit, Kindheit oder sonst wohin zu unternehmen, sondern einfach nur sein gut gefülltes Werkzeugköfferchen einzusetzen.

Und genau deshalb schreibe ich dieses Buch aus meinen Erfahrungen und dem Wunsch heraus, möglichst vielen Interessierten und Betroffenen diese »Best-Practice-Tipps« weiterzugeben.

Möge es auch Ihnen zu einem Zuwachs an Glück für Ihr weiteres Leben verhelfen, das wünsche ich Ihnen von Herzen!

Ihre Irene Rausch

KAPITEL2

FLUG­ANGST ENTSTEHT IM KOPF

Olivers Augen sind geschlossen. Er spürt leichte Bewegungen, wie auf einem Schiff. Beinahe wohlig. Aber plötzlich holpert es, als würde man durch ein Schlagloch fahren. Er möchte die Augen nicht öffnen, atmet schwer und hört dumpfes Grollen. War da nicht irgendwo auch eine Stimme? Er könnte es nicht sagen. Er versucht sich zu konzentrieren, als es ihn leicht aus seinem Sitz hebt. »Oh, ah«, ruft er und bemerkt, dass seine Hände nass werden. Was geschieht jetzt?

Alles neigt sich zur Seite, und Oliver klammert sich an den Armlehnen fest. Wieder ein großer Ruck. Beim nächsten Schrei öffnet er leicht die Augen. Vor sich sieht er ein Flugzeugcockpit. Durch die Scheiben kann er die Landschaft erkennen. Mächtige Wolken verdunkeln den Himmel. Ein Blitz zuckt nicht weit entfernt und kracht mit einem lauten Knall zur Erde. Regen prasselt auf die Scheiben.

Oliver bekommt vor Angst kaum noch Luft. Es fühlt sich an, als ob das Flugzeug gleich auf dem Boden aufschlagen würde. Kurz denkt er an seine Frau, die gemeint hatte: »Mach das, alles wird gut, es kann dir nichts passieren.«

Wie konnte sie nur so etwas sagen? »Jetzt kann mir niemand mehr helfen«, schießt es ihm durch den Kopf. »Was hätte ich in meinem Leben noch alles vorgehabt. Weite Reisen wollten wir gemeinsam unternehmen, doch meine Flug­angst hat uns immer abgehalten. Niemals werde ich mehr fremde Länder sehen.«

Immer noch wackelt es, und Oliver fühlt sich panisch. Kurz öffnet er die Augen und sieht die Landebahn auf sich zukommen. Viele Bildschirme leuchten in der Dunkelheit. Anzeigen laufen hin und her. Lichter blitzen auf. Diverse Töne sind zu hören. Er schreckt auf und spürt gleichzeitig, wie ihn jemand am Arm packt. Sonst nimmt er gar nichts mehr wahr. Vollkommene Stille umgibt ihn.

»Oliver, öffnen Sie die Augen und sehen Sie mich an«, hört er eine angenehme Stimme sagen. Vorsichtig schaut er auf. Es ist alles ruhig um ihn. Er verspürt keine Bewegung, keine Turbulenz. Auch das Prasseln des Regens und die Geräusche der Motoren sind verschwunden.

»Einatmen – ausatmen, einatmen und laaange ausatmen.« Das ist alles, was er hört. Ganz leicht berührt ihn eine Hand am Oberarm.

»Es ist alles gut. Atmen Sie noch ein paar Momente so, wie wir es gemeinsam schon geübt haben.«

Und wirklich, Oliver wird ruhiger und entspannter. Als er seine Lider ganz öffnet, sieht er in die Augen der Psychologin. Sie hat ihn während dieser Übung begleitet. Nun erinnert er sich, er ist gar nicht im Flugzeug, sondern in einem Flugsimulator. Der Pilot hat den Simulator angehalten. Es ist vollkommen still. Auch Oliver ist jetzt ruhig geworden.

»Ich weiß, dass es schwer für Sie war, doch Sie haben das gut gemacht«, sagt die Psychologin zu ihm. Wie geht es den anderen Teilnehmern?

Wir sind im Simulator – eine Gruppe von vier Teilnehmern, dazu der Fluglehrer und ich, die begleitende Psychologin. Zwei Teilnehmerinnen sitzen auf den Pilotensitzen und strahlen über das ganze Gesicht. Wie ist das möglich? Sie hatten doch zuvor genauso viel Angst wie Oliver.

Aufgeregt erzählt Clara, die links auf dem Kapitänsplatz sitzt, wie sie sich fühlt. »Herrlich«, sagt sie, »so etwas habe ich noch nie erlebt.«

»Aber die Turbulenz«, entgegnet Oliver, »und Regen und Blitz und die Bewegungen, es war so angsteinflößend, dass ich dachte, wir seien im Flug.«

»Das ist vom Pilotensitz aus, und wenn Sie die Augen offen haben, ganz anders zu erleben«, erkläre ich. »Beim nächsten Durchgang wechseln wir die Plätze, und Sie sitzen vorne am Pilotensitz. Dort können Sie alles genau verfolgen. Die beiden Damen werden dann hinten Platz nehmen und ihre Augen geschlossen halten. So üben wir, wie es sich anfühlen kann, wenn Sie als Passagier nicht im Cockpit zusehen können. Vor allem, wenn Sie sich von unrichtigen ›Katastrophengedanken‹ peinigen lassen.«

»Wir werden wieder ganz sanft beginnen«, sagt nun unser Flugkapitän. »Dann üben wir Turbulenzen und schlechte Wetterbedingungen, so wie sie auf den meisten Flügen gar nicht vorkommen. Doch hier haben Sie eine gute Möglichkeit, auch das einmal zu probieren. Und wenn sich jemand nicht wohlfühlen sollte, rufen Sie einfach ›Stopp!‹, und wir halten den Simulator wieder an.«

Jetzt ist Oliver schon viel zuversichtlicher und gespannt, was auf ihn zukommen wird, wenn er auf dem Pilotensitz Platz nimmt.

Und tatsächlich! Seinen nächsten Flug konnte er fast schon genießen und war ein wenig enttäuscht, dass dieser ruhig und ohne Turbulenzen verlief. Gerne hätte er noch mehr vom Handwerkszeug, das er erlernt hatte, ausprobiert. Doch er weiß, dass er es jederzeit einsetzen kann, und das gibt ihm viel Sicherheit.

Oliver ist seither immer wieder mit seiner Familie auf Nah- und Fernreisen unterwegs. Zu seinem Erstaunen empfindet er das Fliegen nun meistens sogar ohne besondere Emotionen.

Wie er das erlernt hat und wie man Flug­angst dauerhaft besiegen kann, davon lesen Sie in den folgenden Kapiteln.

KAPITEL3

BERUHIGENDE FAKTEN

Um Flug­angst gut zu bewältigen, ist es hilfreich, sich einige Grundsätze bewusst zu machen:

Flug­angst ist häufig

Mindestens ein Drittel aller Flugpassagiere leidet darunter. Alle Betroffenen befinden sich somit in guter Gesellschaft.

Flug­angst wurde gelernt

Niemand kommt mit Flug­angst auf die Welt, und alles, was erlernt wurde, kann auch wieder umgelernt werden.

Flug­angst entsteht im Kopf

Der persönliche Gedanken-Kinofilm kann mit ein bisschen Übung und Ausdauer jederzeit geändert werden.

Unwissen und Fake-News erzeugen Flug­angst

Informationen und Hintergrundwissen über das oft wenig bekannte Gebiet der Luftfahrt reduzieren Angst.

Fliegen ist sicher

Auch wenn falsche Vorstellungen bisher etwas anderes suggerieren wollten, so ist erwiesen, dass das Flugzeug zu den sichersten Verkehrsmitteln gehört.

Angst und Entspannung sind wie Tag und Nacht – sie können nicht gleichzeitig auftreten.

Bewusst eingesetzte Tools verhindern Angstgefühle.

Angst ist nicht schädlich

Auch starke Angstreaktionen sind zwar unangenehm, doch sie schaden der Gesundheit nicht.

Richtige (!) Übung verkleinert Ängste

Sollten Sie auch als Vielflieger unter Flug­angst leiden, so sind Sie bisher zwar oft geflogen, doch Sie haben ein falsches Muster eingelernt. Mit den passenden Strategien ist es möglich, die Situation gut zu bewältigen, ja manchmal sogar zu einem freudigen Erlebnis werden zu lassen.

KAPITEL4

1-2-3 SO – EINFACH – ­FUNKTIONIERT DIE BEHANDLUNG

Angst hat verschiedene Anteile, die sowohl für ihre Entstehung als auch für ihre Aufrechterhaltung eine Rolle spielen.

Diese Ebenen umfassen:

KörperGedanken/GefühleVerhalten

Die verschiedenen Komponenten treten nicht immer gleichzeitig oder gleich stark auf. Manche Menschen nehmen eher die körperlichen Signale wahr und bemerken sorgenvoll, dass ihr Herz wild pocht, dass sie schwitzen oder frieren, schnell atmen und das Gefühl haben, zu wenig Luft zu bekommen. Auch Schwindelgefühle, Mundtrockenheit, Übelkeit und so manch andere Beschwerden können Ausdruck des Angstgeschehens sein.

Auf der kognitiven und emotionalen Ebene beginnen sowohl die Gedanken als auch die Gefühle zu entgleiten, und es werden schlimmste Befürchtungen als nahezu real vorweggenommen.

»Bestimmt passiert etwas Schreckliches. Ich muss hier raus. Das Flugzeug wird abstürzen. Ich bekomme keine Luft. Es ist hier so eng. Womöglich werde ich ohnmächtig, bekomme einen Herzinfarkt … Ich halte das nicht aus …«.

Die Gedanken beginnen zu rasen, und Gefühle von Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein oder Panik werden als unerträglich erlebt und zwingen die gepeinigten Betroffenen in einen sich immer schneller drehenden Angstkreislauf, der die Symptomatik noch verstärkt.1

Die Verhaltensebene geht oft mit der Vermeidung gefürchteter Situationen oder Objekte einher. Wer unter Flug­angst leidet, wählt lieber andere Fortbewegungsmöglichkeiten, wie das Verreisen mit dem Zug oder dem Auto, oder storniert schon bereits gebuchte Flüge.

Ist ein Flug unvermeidbar, so kommt es oft zu einem »erstarrten« Verhalten. Die Passagiere sitzen stundenlang wie festgebunden in ihrem Sitz, vermeiden jede Bewegung, sind kaum ansprechbar und höchst konzentriert mit ihrer Furcht beschäftigt.

Andere ungünstige Verhaltensweisen beziehen sich auf betäubende Maßnahmen, wie ein oder mehrere Schlückchen Alkohol als Bewältigungsstrategie oder die Einnahme von Beruhigungstabletten.

Auch aggressives Verhalten ist oft Ausdruck von Angst, und so steckt bei den glücklicherweise nicht häufig auftretenden »Unruly Passengers« meist eine Kombination von Flug­angst in Verbindung mit Alkohol dahinter.

Ein weiterer Versuch, die Angst auf der Verhaltensebene zu bewältigen, ist eine Art hilflose Abhängigkeit von begleitenden Personen, die Schutz vermitteln, oder die Mitnahme diverser Notfallmedikamente.

Nach dieser nüchternen Bestandsaufnahme kommen wir zur guten Nachricht.

Bei der Bewältigung von Angst setzen wir gezielt an den richtigen Ebenen an.

Die körperlichen Angstsignale werden dort bekämpft, wo sie spürbar sind – zum Beispiel durch Atem- und Entspannungsübungen.Wer entgleitende Angstgedanken kennt, sollte sie gedanklich wieder einfangen. Anfangs mag das ungewohnt sein, doch mit den entsprechenden Anleitungen und etwas Training ist es gut umsetzbar.Und diejenigen, die Flüge so gut wie möglich umgehen oder auch schon storniert haben – ja vielleicht kurz vor Betreten des Flugzeuges oder bereits auf ihrem Platz kehrtgemacht und im Schnellschritt Richtung Ausgang marschiert sind –, können lernen, dieses Vermeidungsverhalten zu durchbrechen. Es bringt ja doch immer nur kurzfristige Erleichterung und verstärkt das Problem im Grunde.

In diesem Buch werden Sie viele Strategien kennenlernen, die Ihnen helfen, bisher furchtbesetzte Bereiche bewusst aufzusuchen. So können Sie Ihr erworbenes Repertoire an hilfreichen Verhaltens- und Denkweisen gezielt an den jeweiligen Ebenen einsetzen.

Konkrete Angstbewältigung während des Fluges finden Sie anhand zahlreicher Fallgeschichten in Teil I, wobei ergänzend dazu die ausführlichen Anleitungen in Teil III beschrieben werden.

Auch wenn ein dauerhafter und entspannter Umgang mit bisher gefürchteten Situationen gut möglich ist, so ist es doch wichtig zu wissen, dass das Ziel jeder Behandlung nicht das unwiderrufliche Verschwinden der Angst sein kann. Sollten Sie von irgendjemandem eine derartige Ankündigung hören, so wäre das eine unseriöse Versprechung, die nicht der Realität entspräche.

Gefühle begleiten uns täglich, und wir wären Roboter, würden wir keine Emotionen wahrnehmen. So wie Empfindungen von Ärger oder Aufgebrachtsein selbst buddhistischen Mönchen nicht gänzlich fremd sind, verhält es sich auch mit Angst.

Ängste sind ein normaler Bestandteil der menschlichen Gefühlspalette und haben einen wichtigen evolutionstheoretischen Hintergrund. Sie dienen dazu, Menschen vor realen Gefahren zu bewahren. Manchmal gaukeln sie jedoch auch Gefährdungen vor, die nicht vorhanden sind, und können irrational und quälend sein. Ähnlich wie die Reaktion des Immunsystems auf harmlose Pollen. Dagegen gibt es erfolgreiche Bewältigungsmaßnahmen, und genau darum geht es auf den folgenden Seiten.

Durch die vermittelten Strategien werden Sie trainiert, Situationen, die bisher gefürchtet waren, gut zu bewältigen. Dadurch verschwindet auch das belastende Gefühl, Ängsten hilflos ausgeliefert zu sein. Sobald Sie den ersten Schritt unternehmen und die passenden Bewältigungswerkzeuge einsetzen, beginnen Sie, dem imaginären, aufgeblasenen Angstmonster die Luft auszulassen. Irgendwann wird es so mickrig klein sein, dass Sie es möglicherweise gar nicht mehr wahrnehmen.

Lassen Sie sich bitte nicht schrecken, falls manchmal schon überwundene angstbesetzte Konstellationen aus verschiedenen Gründen, wie z. B. Stress oder belastende Lebensumstände, kurzfristig aktualisiert werden. Das kann, muss jedoch nicht der Fall sein und ist nicht mehr mit der Ursprungsbelastung vergleichbar. Denn nun sind ja die entsprechenden Bewältigungsstrategien bereits erlernt und können jederzeit wieder angewendet werden. Je geübter Sie darin sind, desto souveräner werden Sie ab dann mit diversen angstbesetzten Ereignissen umgehen können.

Als Nebeneffekt sind viele der vorgestellten Tools auch für die Kontrolle anderer unangenehmer Gefühlsüberflutungen, wie z. B. des schon erwähnten starken Ärgers, anwendbar.

Sie werden in diesem Buch lernen, an welchen Ebenen Sie ansetzen können, und wie Sie Ihre persönliche Checkliste erstellen. Durch die vermittelten Strategien sollte es Ihnen möglich sein, bei leichteren Angstformen die Angst selbst gut zu bewältigen und bei schwereren Beeinträchtigungen eine hilfreiche Unterstützung zur vielleicht notwendigen psychologischen oder psychotherapeutischen Behandlung zu erhalten.

Und als »Bonusmaterial« werden Sie einiges über den Zuwachs an Stärke und Selbstvertrauen durch die gelungene Überwindung von Ängsten lesen.

KAPITEL5

SICH DER SITUATION ­STELLEN – ÜBERWINDUNG IST DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG

»Tu, was du fürchtest, und die Furcht stirbt.«

FRIEDRICH NIETZSCHE

»Sie werden nicht glauben, wohin ich gestern Abend noch gefahren bin!« Das Gesicht von Ulrike zeigte einen rosigen Hauch, ein Strahlen leuchtete aus ihren blauen Augen. Einen Tag zuvor war sie, ein wenig erschöpft, direkt aus Graz in meine Wiener Praxis gekommen. Wir hatten zwei Behandlungsstunden an aufeinanderfolgenden Tagen vereinbart. Am dritten Tag ging ihr Flug nach Frankfurt und am späteren Abend wieder zurück.

Ulrike hatte sich mit einer Bitte an mich gewandt, die ich normalerweise nicht gerne erfülle. Sie wollte eine »Blitz-Vorbereitung« für ihren geschäftlichen Flug, den sie kurzfristig wahrnehmen musste. Seit vielen Jahren war sie nicht mehr geflogen und konnte bisher immer triftige Argumente finden, weshalb diverse Reisen auch mit dem Auto gut möglich waren. Ein verständnisvoller Freund, der selbst gerne fliegen würde, hatte ihr mit seiner Rücksichtnahme liebevoll den Rücken freigehalten.

Erst kürzlich hatte sie sich beruflich verändert und gehofft, dass sie weiterhin ohne Flüge durchkommen würde. Doch nun war eine Kollegin, die sonst mit Freude alle Auslandstermine wahrnahm, ausgefallen, und die einzig mögliche Vertretung war Ulrike.

Verzweifelt hatte sie mir am Telefon ihre verzwickte Lage erklärt. In drei Tagen sollte sie fliegen und wusste nicht, wie sie das bewerkstelligen sollte. Früher war es mit dem Fliegen noch so recht und schlecht gegangen, doch seit einer technischen Rücklandung, die sie als junge Frau miterlebt hatte, wollte sie nie wieder ein Flugzeug besteigen.

Und so war sie zu mir gekommen, abgehetzt nach der langen Autofahrt, voller Erwartungsangst vor dem Flug und in der verzweifelten Hoffnung, dass ich ihr sehr kurzfristig helfen könne.

Ich erklärte ihr ein wichtiges Grundprinzip, das ich Betroffenen gerne vermittle:

Um Ängste abzubauen, ist es unumgänglich, sich in die angstbesetzte Lage zu begeben. Die beste Therapie ist nicht von Erfolg gekrönt, solange die Situation nicht tatsächlich erlebt und das Behandlungsziel überprüft wird!

Nur so kann das Gefühl nicht nur verspürt, sondern auch bewusst mit allen Sinnen wahrgenommen werden. Sie erleben, wie sich dieses Gefühl verändert, wenn Sie im Geschehen bleiben, ohne real oder auch nur gedanklich zu flüchten.

Es ist wichtig, Ängsten ihren Schrecken zu nehmen, indem man die unangenehmen Gefühle zuerst bedingungslos akzeptiert und danach ablaufen lässt. Stellen Sie sich vor, Sie kommen an einem schönen Sommertag nach dem Schwimmen aus dem Wasser und verspüren etwas Kälte. Sie akzeptieren die Kälte und lassen die nassen Tropfen einfach abperlen, ohne sich abzutrocknen. Anfangs mag das vielleicht unangenehm sein, doch wenn Sie es einfach zulassen, trocknet die Nässe schnell, und Sie fühlen sich nachher herrlich erfrischt.

Leicht gesagt, aber wie soll das mit der Angst funktionieren, werden Sie nun wahrscheinlich fragen. Gerade dann, wenn Sie sich schon unzählige Male in Situationen wiedergefunden haben, die Sie vor Angst fast verzweifeln ließen. Da kam plötzlich dieses beklemmende, immer stärker werdende Gefühl, rauszumüssen, Herzrasen, schwere Atmung und fürchterliche Gedanken, die eine Schreckstarre bewirken.

Und das soll man ablaufen lassen können, anstatt es nur schnell loshaben zu wollen?

Ja, unbedingt! Nur so werden Sie ganz alleine und niemand anderer und schon gar keine ruhigstellende Substanz die peinigenden Gefühle längerfristig besiegen. Bei der Praxis des »Ablaufen-Lassens« handelt es sich anfangs oft um den schwierigsten, aber dennoch entscheidenden Aspekt. Langfristig ist nur dadurch eine nachhaltige und andauernde Wirkung erzielbar.

Wichtig ist der Entschluss, in der Situation zu bleiben, egal wie schrecklich es sich anfühlen mag. Das bewusste, wiederholte Üben ist nicht immer angenehm, aber unerlässlich. Es ist vergleichbar mit Muskel- oder Fitnesstraining. Dieses muss man ebenfalls bewusst und lange genug ausüben und so manche Anstrengung auf sich nehmen, wenn man das erwünschte Ziel erreichen will.

Die wichtigste Grundlage für jedes Angstbewältigungstraining ist die Erkenntnis, dass Ängste zwar lästig, quälend und mühsam, jedoch nicht gefährlich sind.

Ausgestattet mit diesem beruhigenden Wissen, geht es um eine achtsame Grundhaltung. Es handelt sich dabei um ein neutrales Wahrnehmen der aktuell vorherrschenden Gefühle und körperlichen Empfindungen, wie Herzklopfen, schnelle Atmung oder Magenziehen. Diese werden zwar gespürt, sollen aber nicht mit Attributen wie »schrecklich, unerträglich, schmerzhaft, unangenehm« oder anderen negativen Eigenschaften bewertet werden. So wie es sich anfühlt, darf es sein. Versuchen Sie nicht, sich dagegen zu wehren oder die Angst und ihre Begleiterscheinungen so schnell wie möglich abzuschütteln. Es darf sich so anfühlen, wie es gerade ist. Am besten ist eine Haltung des Loslassens und die Angst zu akzeptieren, anstatt gegen sie anzukämpfen. Das kostet nur unnötig viel Kraft und führt in einen Angstkreislauf, der später noch beschrieben wird.

Bei Ulrike gingen sich nach diesen Erklärungen noch einige andere Angstbewältigungstipps aus, danach verabschiedeten wir uns bis zur Sitzung am nächsten Tag.

»Jetzt bin ich gespannt, wo Sie gestern noch gewesen sind?«, fragte ich Ulrike tags darauf.

»Ich war nach Ihren Erklärungen so motiviert, dass ich meinem Freund, der mich nach Wien begleitet hat, ganz begeistert davon erzählt habe.« Schmunzelnd meinte sie weiter. »Mein Freund ist ein Praktiker und hat spontan vorgeschlagen, ich solle als Vorübung zum Flug doch gleich einen Versuch starten und etwas wagen, was ich mich bisher nicht getraut habe. Da habe ich ihm erzählt, dass ich Hochschaubahnen schrecklich finde und nach einem Versuch in meiner Jugend nie wieder in so ein Gefährt eingestiegen bin. Gleich nachdem ich mich ›geoutet‹ hatte, tat es mir schon wieder leid. Ich ahnte nämlich, was er nun sagen würde. Und tatsächlich, er meinte grinsend: ›Sehr gut, dann fahren wir jetzt in den Prater1 und setzen uns in so ein Ding.‹

In diesem Moment wurde mir ganz flau im Magen, und ich fürchtete mich immens. Aber nun hatte mich mein Freund doch so lieb herbegleitet, hatte lange für mich aufs Fliegen verzichtet, und ich möchte ja selbst morgen gut fliegen können. Also, und ich kann es selbst kaum glauben, ich bin wirklich mit einer furchterregend aussehenden Hochschaubahn gefahren. Kurz vor dem Einsteigen wollte ich am liebsten wieder davonlaufen. Aber mein Freund war hartnäckig. Ich dachte, das werde ich nicht überstehen, mir war schwindlig, und ich war nahe am Weinen. Doch dann sind mir wieder Ihre Worte eingefallen, und ich habe mir gedacht, es ist egal, wenn die Angst da ist, ich lasse sie einfach zu, und sie soll mitfahren. Was soll schon passieren? Das Gefühl im Magen war anfangs zwar unangenehm, aber irgendwann konnte ich nicht mehr unterscheiden, ob es aus Angst oder vom ständigen Rauf- und Runterfahren kam. Und nach dem ersten Schrecken habe ich mich unglaublich gefreut, dass ich mich getraut habe und dass es gar nicht so schlimm wie befürchtet war. Es war ein fast unwirklich schönes Hochgefühl, und ich bin richtig stolz auf mich!«

Nach Ulrikes Erzählungen besprachen wir noch einige weitere Tipps für den bevorstehenden Flug, und sie verließ, ausgestattet mit Vertrauen, meine Praxis.

Zwei Tage später meldete sie sich telefonisch und berichtete mir mit großer Freude über ihre gut verbrachten Flüge. Auch ihr Freund war überglücklich, er war als mein »Co-Therapeut« in diesem Fall eine große Hilfe gewesen.

Ulrike kam bei weiteren Wien-Aufenthalten noch manchmal zu einigen ergänzenden Unterweisungen. Mittlerweile ist sie schon mehrere Male mit Erfolg geflogen und fühlt sich nun frei von dieser Angst und erfüllt in ihrer neuen beruflichen Tätigkeit.

KAPITEL6

WAS TUN BEI PANIKATTACKEN?

»Ding-Dong.« Ich sitze mit einem angespannten, sich der Flug­angst stellenden Grüppchen von Passagieren angeschnallt im Flugzeug. Das Signal an die Kabinenbesatzung, sich für den Start schnellstmöglich auf ihre Positionen zu begeben, löst bei Karoline neben mir die Vorstufe zur Panik aus.

Glücklicherweise ist sie auf diese Gefühle schon lange und professionell vorbereitet. Wiederholte Male habe ich den Teilnehmern erklärt, dass auch Panikattacken, so belastend sie sein mögen, nichts anderes als intensive Angstreaktionen sind. Die dazugehörigen Gefühle, wie Atemnot, Herzrasen, Schwindel, Zittern, Übelkeit bis hin zur Angst, sterben zu müssen, werden von den bedauernswerten und im Vorfeld oft unwissenden Betroffenen natürlich als extrem bedrohlich erlebt. Es kommt daher in Folge zu noch größeren Ängsten vor einem nochmaligen Auftreten dieses Zustands. Erwartungsangst führt oft in einen Angstkreislauf, in dem sich Angstgefühle und die begleitenden körperlichen Signale immer weiter steigern. Danach kommt es längerfristig meist zu einem umfangreichen Vermeidungsverhalten, das sich auf verschiedenste Lebensbereiche ausweiten kann. Der Leidensdruck wird größer und größer, und nicht nur die angstbesetzte Situation selbst, sondern auch das Leben ganz allgemein scheint manchmal kaum noch zu bewältigen.

Das ist umso bedauerlicher, denn es fehlt häufig nur am oftmals entlastenden Wissen. Panikattacken sind ungefährlich, und sie können mit der nötigen Grundinformation und dem richtigen Verhalten gut bewältigt werden.

Oft erhöhen starke und länger dauernde Grundanspannungen das Auftreten von Panikattacken, da der Stresspegel auch bei nachlassender Belastung nicht schnell auf ein verträgliches Maß absinkt. Deshalb wird manchmal Angst sogar aus »heiterem Himmel« in einer durchwegs entspannten Lage, wie z. B. beim Fernsehen, überfallsartig erlebt.

So oder so dauern auch stark ausgeprägte Angstgefühle nur einen kurzen Zeitraum, der selten länger als einige Minuten bis zu einer halben Stunde anhält. Ausgestattet mit dieser Kenntnis und bewusst gesteuerter Atmung, klingen Panikattacken erfahrungsgemäß in überschaubarer Zeit ab.

Aufgrund ihres anderen Blickwinkels sind manchmal auch Mediziner, die aus Sorge vor einem vermeintlichen Herzinfarkt herbeigerufen werden, nicht immer umfassend über die psychologischen Ursachen von Panikattacken informiert. Es möge nicht als Kritik an Ärzten verstanden werden, denn es liegt in deren Verantwortung, schnell Hilfe zu geben, die nach Ausschluss von körperlichen Gefahren in der Verabreichung beruhigender Medikamente besteht. Kurzfristig ist dies für Betroffene oft durchaus wichtig und entlastend, doch längerfristig kommt es durch unbehandelte starke Ängste mehr und mehr zur »Angst vor der Angst«, bis letztendlich und hoffentlich irgendwann die richtige Behandlung gefunden wird. Diese besteht erfahrungsgemäß nicht in der dauerhaften Einnahme von beruhigenden oder antidepressiven Mitteln, sondern beruht auf gut bewährten, verhaltenstherapeutischen Methoden, auf die in den folgenden Kapiteln ausführlich eingegangen wird.

Wie geht es Karoline? Seit Betreten des Flugzeugs hat sie tapfer einige der gelernten Angstbewältigungsstrategien umgesetzt. Ich sitze an ihrer linken Seite und leite sie immer wieder zum adäquaten Verhalten an. Zwischendurch wende ich mich Paul zu, der an meiner anderen Seite sitzt. Er spricht viel, wohl auch, um die immer beklemmender werdende Angst zu übertönen.

Auch meine anderen Schützlinge beruhige ich mit aufmunternden Blicken und Worten.

Jetzt heulen die Triebwerke auf, der Start auf der Piste beginnt, das Flugzeug wird schneller und schneller. Karoline atmet rasch – viel zu schnell und oberflächlich hebt sich ihr Brustraum. Tränen rinnen über ihre Wangen, und sie drückt fest meine Hand. Das ist zwar in psychologischen Settings normalerweise nicht üblich, doch in solchen Ausnahmesituationen durchaus verständlich und entlastend.

»Ruhig atmen – einatmen und laaangsam ausatmen. Lassen Sie die Luft ganz bewusst bis in den Bauch strömen. Spüren Sie, wie sich die Bauchdecke hebt und senkt. Legen Sie am besten eine Hand auf den Bauchnabel, um die Bewegungen des Atems im Bauchraum zu spüren. Die Anspannung fällt mit jedem Ausatmen mehr und mehr ab, es wird immer leichter, die Atmung wird ruhiger. Lassen Sie alle unangenehmen Gefühle mit jedem Ausatmen los. Spüren Sie, wie diese Anspannungs- und Angstgefühle jedes Mal Stück um Stück Ihren Körper verlassen.« Beständig wiederhole ich diese Worte.

Nun werden wir gegen die Rückenlehnen unserer Sitze gedrückt, und das Flugzeug hebt ab. Steil zieht es nach oben. Es poltert laut, und ein kleines Ruckeln geht durch das Flugzeug, als das Fahrwerk eingezogen wird. Die nächste zusätzliche Anspannung bei Karoline und Paul ist deutlich zu beobachten. Ein bisschen fühlt es sich wie beim Bergauffahren mit einer Hochschaubahn an. Im gleichen Moment neigt sich eine Seite mitsamt dem Flügel nach unten. Diese Kurve, die oft nach dem Start zu nehmen ist, wird von fast allen Passagieren als nicht sehr angenehm wahrgenommen. Auch Karoline kämpft mit dem unheimlichen Kippgefühl.

Paul wird kurz still, ich fordere ihn ebenfalls zum langsamen Atmen auf und lobe ihn. Karoline atmet noch immer schnell, sie weint und zittert am ganzen Körper. Ein leises »Ich fühl mich so komisch« kommt von ihren Lippen. Danach spricht sie nicht weiter, was bei starken Ängsten und Paniksituationen oft üblich ist. Die Angst wird meist still gegen sich selbst gerichtet und ist dadurch noch peinigender.

»Wir sind schon oben, der Start ist geschafft. Sie machen alles wunderbar richtig. Spannen Sie kurz Ihre Muskeln an, um dann schnell wieder loszulassen. Genauso, wie ich es Ihnen zeige. Und gleich nochmals. Ja, sehr gut. Jetzt beständig weiter bis in den Bauch atmen, einatmen und laaange ausatmen, die Spannung fällt ab, es wird immer leichter.«

Erfreute Gesichter drehen sich aus verschiedenen Richtungen zu mir. Es sind Seufzer zu hören, Lachen und Worte der Erleichterung. Ich lächle, spreche meine Bewunderung aus und gebe ein Daumen-hoch-Zeichen. Eine ganz besondere Mischung aus Angst, Freude, Erleichterung, Tränen, Lachen, Skepsis ist spürbar.

Noch immer widme ich Karoline meine konzentrierte Aufmerksamkeit und beruhige sie: »Sie haben den Start schon geschafft. Es ist normal und verständlich, wie Sie sich jetzt fühlen. Lassen Sie die Angst ablaufen, so wie wir es besprochen haben. Es passiert nichts. Bleiben Sie mit der Aufmerksamkeit bei der Atmung und stoppen Sie destruktive Angstgedanken. Denken Sie an das imaginäre ›Angstmonster‹, von dem ich erzählt habe und das sich unbändig freut, Sie nun schrecken zu können. Nehmen Sie ihm den Wind aus den Segeln und lassen Sie die Angstgefühle einfach zu. Wehren Sie sich nicht dagegen, lenken Sie die Aufmerksamkeit immer wieder auf den Atem. Somit wird dem gedanklichen Störenfried die Nahrung entzogen und er schrumpft immer weiter. Bleiben Sie mit Ihrer Wahrnehmung ganz bewusst im Hier und Jetzt. Ergreifen Sie die Sitzlehnen, spüren Sie Ihre Füße am Boden und bleiben Sie mit Ihren Gedanken hier.«

Karolines Hände sind feucht. Ich merke ihren inneren Kampf. Das Zittern, die Tränen, die schnelle Atmung. Die verkrampfte Körperhaltung. »Und jetzt immer wieder die Hände zur Faust ballen und alle Muskeln anspannen, kurz gespannt halten und dann schnell wieder loslassen«, weise ich sie zusätzlich an.

Und wirklich, mit der Zeit wird ihr Atem ruhiger. Es sind ein bisschen mehr als 10 Minuten vergangen. Sie blickt hoch und sieht mich an. Ihr Gesicht ist mit Wimperntusche verschmiert. Doch erstmals an diesem Tag, der für uns gemeinsam schon viele Stunden dauert, huscht ein sehr kleines Lächeln über ihr Gesicht.

»Danke, danke«, sind ihre ersten Worte nach der Panikattacke. »Ich glaube, es wird besser. Hoffentlich hab ich Ihnen nicht wehgetan, ich hab Sie schon fest gezwickt.«

»Das ist völlig in Ordnung, ich freue mich so sehr, dass Sie die Angst ausgehalten haben und dabeigeblieben sind. Wie geht es Ihnen?«

Nun sprudelt es aus ihr heraus. Eine bunte Mischung aus Weinen, Lachen, Kopfschütteln und großer Freude. Ihre Euphorie ist spürbar und berührt mich sehr.

Inzwischen melden sich auch die anderen Teilnehmer. Fast alle haben strahlende Gesichter, gratulieren Karoline und berichten über ihre eigenen Eindrücke. Die Anschnallzeichen sind noch eingeblendet. Das Flugzeug ist nun im sanften Steigflug, und die Flugbegleiter beginnen mit den Vorbereitungen für den Kabinenservice. Unser Kapitän meldet sich über Bordfunk. Ruhig, mit der typisch tiefen Piloten-Funk-Stimme. Vertrauenserweckend und sympathisch informiert er über die Flugroute.