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»Ich kann küssen, wen ich will!« »Das ist so nicht richtig - dem Gesetz nach gehörst du mir.« Laire McLeod wächst unter dem grausamen Gesetz des schottischen Königs auf, das junge Frauen nach 22 Wintern an den meistbietenden Laird verkauft. Um zu verhindern, dass ihre Schwester an einen anderen Clan übereignet wird, bietet Laire bei ihrer Auktion mit. Ein Recht, das nur einem Mann zusteht. Als ihre Lage aussichtslos scheint, muss sie ihren Laird Kelden McLachlan um Hilfe bitten und eine Abmachung mit ihm eingehen - ihr Körper gegen das Leben ihrer Schwester. Der Handel schafft eine gefährliche Nähe zwischen ihr und dem geheimnisvollen Clanchief und berührt sie gleichzeitig auf eine Weise, wie sie es noch nie zuvor erlebt hat. Doch Laire ist keine gewöhnliche Frau. Ihre Eltern waren die Anführer der Aufständischen, welche einst ihr Leben für die Freiheit der Frauen gaben. Als sich der Widerstand formiert, muss sich Laire entscheiden: Tritt sie ihr Erbe an oder kämpft sie für eine Liebe, die selbst eine größere Gefahr birgt, als sie ahnt?
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Seitenzahl: 455
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Drachenmond Verlag GmbH
Auf der Weide 6
50354 Hürth
https://www.drachenmond.de
E-Mail: [email protected]
Lektorat & Korrektorat: Gina Mecke
Satz & Layout Ebook: Stephan Bellem
Umschlag- und Farbschnittgestaltung:
Christin Thomas – Giessel Design
www.giessel-design.de
Bildmaterial: Shutterstock
Illustrationen Print: Sameena Jehanzeb
www.saje-design.de
ISBN 978-3-95991-784-1
Alle Rechte vorbehalten
Es handelt sich um ein fiktives Werk, Ähnlichkeiten zu realen
Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Warnung
Laires Geschichte ist von grausamen Erlebnissen geprägt, die für sensible Leser Auslösereize darstellen und sie beunruhigen können. Wenn du dazu gehörst, betrachte diesen Hinweis als Reisewarnung und brich nur dann zum Lesen auf, wenn du es für dich verantworten kannst.
Playlist
Prolog
1. Auktion
2. Gebot
3. Kaltes Herz
4. Umwege
5. Zorniges Mädchen
6. Parfüm der Toten
7. Schatten
8. Hexe
9. Ablehnung
10. Spiel mit dem Feuer
11. Trunkenbold
12. Rattenloch
13. Erröten
14. Farben
15. Festlichkeit
16. Abmachung
17. Aufbruch
18. Würgemale
19. Ratte
20. Eine McLeod
21. Krieg
Ailis’ Haferbrei
Danksagung
Drachenpost
Für mich
Einfach mal machen
Main Theme
Jacob Ladegaard – Arrival of the birds
Laires Song
Jacob Ladegaard – Spring Melody
Keldens Song
Jacob Ladegaard – Winter Melody
Ebrels Song | Kapitel 1
Peter Gundry - The last of her kind
Anice’ Auktion | Kapitel 2
Ruelle, Fleurie – I will carry you
Alecs Song | Kapitel 5
DYATHON – Hope
Parfum der Toten | Kapitel 6
Dirk Maassen – To the Sky
Ablehnung | Kapitel 10
Brian Crain – Innocent Heart
Erröten | Kapitel 13
Jacob Ladegaard – Una mattina
Callums Song
Philip Wesley – Unbridled Spirit
Struans Song | Kapitel 14
The High Kings – Star of the county down
Tanz | Kapitel 14
The High Kings – Step it out Mary
Abmachung | Kapitel 16
Fabrizio Paterlini – Soffia la note
James Spiteri – A walk in the snow
Aufbruch | Kapitel 17
Greta Svabo Bech – Circles
(based on Ludovico Einaudi »Experience«)
Würgemale | Kapitel 18
Audiomachine – The Falling
Ratte | Kapitel 19
Audiomachine – I will Find you
Eine McLeod | Kapitel 20
Ólafur Arnalds ft. Arnor Dan – So Far
Finale | Kapitel 21
Jacob Ladegaard – First Step
Audio Machine – Barren History
Nenn mir nur einen Grund, weshalb ich dich nicht einfach töten sollte!«
Wir sind einander so nah, dass sich seine Wärme durch den Stoff meines Kleides brennt. Sein Atem schlägt mir aufgebracht ins Gesicht. Eine Mischung aus Whisky und Minze, die ich zwischen meinen leicht geöffneten Lippen schmecken kann.
Ich recke das Kinn. »Weil in meiner Gegenwart etwas so schnell hinter deiner Brust schlägt, dass du es nicht kannst. Und du erst herausfinden musst, ob es ein Herz ist.«
Laire
Ich wusste nicht, wie es sich anfühlen würde, auf der anderen Seite zu stehen. Wie es sein muss, still zuzusehen, wenn die Leben der Mädchen die Besitzer wechseln. Machtlos ihren Ängsten, ihrer Scham und Verzweiflung zu begegnen, während die Masse um sie herum begierig nach mehr verlangt. Nach dem endgültigen Bruch in ihrer Seele.
Niemals hätte ich gedacht, dass die Grausamkeit des Gesehenen meiner Vorstellung bitter ins Gesicht lachen würde. Denn es ist noch weitaus schlimmer, als selbst eine von ihnen zu sein.
Dabei erinnere ich mich noch genau an meine Auktion. An den Tag, an dem ich verkauft worden bin. Die Kälte, die sich in meinem Nacken ausbreitete, als der Auktionator die Stimme erhob und mich mit ausschweifenden Worten anpries wie ein schlachtreifes Stück Vieh. An die Übelkeit, die meine Kehle emporkroch, sobald er für alle hörbar meinen Namen nannte: »Laire.«
Ich wollte mir die Augen zuhalten, als er mich in das Blickfeld der Anwesenden schubste. Vor Abscheu und Angst und unbändigem Ekel. Doch meine Hände klebten schweißnass und schwer an meiner Seite, unfähig sich zu bewegen. Als hätte man einen Stein daran festgebunden und ihn im Loch versenkt, während ich in einem letzten Aufbäumen nach Luft schnappe und doch nichts weiter als Wasser schlucke. Nicht einmal meine Fäuste ließen sich mehr öffnen. Ich ballte sie so fest zusammen, dass das Fleisch dem Druck nachgab und Blut unter meine Nägel kroch. Jeglicher Wille mich zu wehren war einer stummen Übereinkunft mit mir selbst gewichen: Ich würde ihnen nichts von mir zeigen. Keine Furcht, keine Tränen, kein Zerbrechen.
Aber all das brauchte eine immense Kraft. Bis heute weiß ich nicht, woher ich sie nahm. Mein Atem ging viel zu schnell und der Versuch, ihn zu bändigen, raubte mir noch mehr davon. Danach kam der Schwindel und weil ich die Lippen hart aufeinanderpresste, dröhnte auch mein Kopf. Ich betete dafür, dass er einfach zersprang. Doch es geschah nicht und ich hielt es aus. Um die Verzweiflung nicht hinauszuschreien und zu verhindern, dass sich der Saal mit meinem Schluchzen füllte.
Hätte ich gewusst, dass mich das besonders teuer machte, hätte ich ihnen gegeben, was sie begehrten. Stattdessen ließ das Vortäuschen meiner Stärke die Chiefs ihre Geldsäcke immer schneller emporreißen, als Zeichen, dass sie mich wollten. Das Feuermädchen mit den wilden Locken und den stürmischen Augen, die trotz des Schleiers darin leuchteten wie das Grün eines Smaragds. Jeder von ihnen war siegessicher, mich in ihr Haus zu holen.
Ich habe schnell aufgehört ihren Blicken zu begegnen, weil ich die Gier darin nicht ertrug. Keiner von ihnen hatte Mitleid, keiner war barmherzig. Alle hatten sie ihre Menschlichkeit in ihren Burgen zurückgelassen. Oder sie nie besessen.
Einer von ihnen, ein Laird eines Clans mit Land im Nordosten, war jedoch so hässlich, dass ich mich an seiner Fratze festfraß. Sein Gesicht war aufgedunsen und trug einen ungepflegten Bart auf zerklüfteter Haut, rund um blutunterlaufene Augen. Ein Säufer, der gern prügelte. Man sagte, die Faust zu heben, befriedigte ihn, wie es sonst nur eine Dirne in seinem Bett konnte. Darüber hinaus war er bekannt dafür, dass er bereits mehr Frauen gekauft hatte, als bisweilen an seinem Hof lebten. Die Wenigsten hatten die ersten Jahre bei ihm überlebt. Der Kerl konkurrierte besonders erbittert mit einem Mann, dessen Konturen ich im Halbdunkel einer Ecke des Raumes nicht erkennen konnte. Seine Alabasterhaut tauchte nur dann und wann aus den Schatten auf, um erhaben ein Handzeichen zu geben. Bis heute weiß ich nicht, wer er war.
Irgendwann stiegen die beiden aus und ich erlaubte mir aufzuatmen. Der Gedanke, an einen dieser Männer zu geraten, hatte Übelkeit in mir ausgelöst und ein schmerzendes Ziehen in meinem rebellierenden Magen. Doch das Ausscheiden der Lairds war wie ein Weckruf für die anderen. Unter ihnen entbrannte ein regelrechter Kampf. Immer mehr, immer schneller, immer energischer erhöhten sie ihre Gebote. Ich stellte mir vor, dass es ihnen Vergnügen bereiten würde, meinen Willen zu brechen. Den Stolz aus meinen Augen weichen zu sehen, indem man mich nur lang genug erniedrigte, meine Widerspenstigkeit zerschlug und meinen Körper schändete. Dass sie deshalb derart willens waren, mich zu besitzen. Doch das alles fürchtete ich nicht. Viel größer war meine Angst, mich selbst zu vergessen und das Versprechen aus den Augen zu verlieren, das ich mir gegeben hatte. Denn es war das Einzige, das meinen Kopf aufrecht hielt und mir Hoffnung gab: der Widerstand. Geboren aus dem Wunsch nach der Befreiung der Frauen, dem Zusammenhalt der Familien und einem selbstbestimmten, freien Schottland, das es seit König Artair nicht mehr gegeben hatte.
* * *
Auch heute Abend sind sie wieder gekommen, die angesehensten Männer des Landes. Abgesandte des Königs und Chiefs der größten Clans jenseits der Lowlands. Sie sind dem Ruf der alljährlichen Einladungen gefolgt und scharen sich wie Hähne um das Podest der großen Treppe, dem Herzstück des Saals. Ihre Holzkonstruktion führt auf kurzen Pfeilern zu beiden Seiten in das obere Stockwerk und wirkt mit den detailreichen Verzierungen und der sanften Maserung edel und prunkvoll. Ihre Stufen sind blank poliert und fügen sich in das festliche Gesamtbild des Raumes ein. Die holzverkleideten Wände zieren Portraits bedeutender Männer der Geschichte und golden gerahmte Landschaften, welche die Hochländer oder Serpentinen zeigen. Zu ihren Füßen glimmt ein steingehauener Kamin, der zusammen mit mehrarmigen Kerzenständern und Leuchtern von den Decken ein behagliches Licht spendet.
Gemütlichkeit heuchelt.
Die langen Tafeln in der Mitte des Saals sind üppig gedeckt mit verschiedenen Braten, dampfenden Gemüseplatten, gekochten Kartoffeln, ofenfrischem Brot und reifem Obst. Und Whisky. Literweise Whisky. Die goldbraunen Flaschen wechseln häufiger über den Tisch, als alle Speisen, welche die Luft mit einem überwältigenden Duft schwängern. Mir ist schlecht davon. Während sich die ersten Kerle ungeniert ihre Wänste vollschlagen, pfercht man die Mädchen im oberen Teil des Hauses ein, die mit ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag reif genug sind, an einen Clan weitergereicht zu werden. Was nichts anderes heißt als:
Der Meistbietende gewinnt ihr Leben.
Ich sehe mich um. Die Lairds üben sich im regen Austausch, während sie Fleisch von Tierknochen reißen, mit ihren Esswerkzeugen in der Luft gestikulieren oder das zu Brei zerkaute Essen mit Hochprozentigem hinunterspülen. Ich bin nicht die einzige Frau, die heute Abend mit ihrem Chief hier ist. Meist handelt es sich um Gespielinnen, erzwungene Eheweiber oder Frauen, die darum bemüht sind, ihrem Herren jeden Wunsch von den Augen abzulesen, weil sie sonst Prügel erwarten. Ich bin nichts von alldem. Ich begleite meinen Laird Kelden McLachlan und seinen Cousin Callum. Dank ihm bin ich hier. Weil ich es geschafft habe, dass vor allem er es für eine gute Idee hielt, mich mitzunehmen.
Unter dem Vorwand, Callum mit den anderen Clans vertraut zu machen, durfte ich am heutigen Abend mit anreisen. Ich kenne ihre Geschichte, die Strukturen und Zusammenhänge und kann Freund und Feind herauszukristallisieren. Da mein Laird mit bald dreißig Wintern noch immer keine Nachkommen hat, bereiten ausgewählte Mitglieder Callum darauf vor, später einmal Chief des Clans zu werden. Dazu zählen natürlich McLachlan selbst, aber auch ich, da ich über ein umfassendes Wissen verfüge und es zu lehren weiß. Bis Callum die nötigen Fähigkeiten erlernt hat, die ihn als Clanchief auszeichnen werden, soll er als einer der Unterstützungsmänner seines Cousins, den Daoine uaisle, die Landverteilung regeln und für Gerechtigkeit sorgen. Außerdem wird er zukünftig die Abgaben einfordern, was ein außergewöhnliches Maß an Reife benötigt – die er ebenfalls noch beweisen muss. Und er wird mit Frauen handeln, so, wie er es heute Abend bei den führenden Chiefs beobachten wird. Männer, die mit keiner Wimper zucken, wenn sie Mädchen aus ihren Familien reißen und in ein ungewisses Schicksal verschleppen. So sehr ich es auch versuche, ich kann mir Callum nicht in dieser Rolle vorstellen.
Weil die Auktion nicht nur ein Markt, sondern zugleich Schauplatz der Abgründe des derzeitigen Machtgeflechtes ist, bietet sie einen wahren Schatz an Möglichkeiten zu lernen. Hier sitzen Verbündete, die im Laufe der Clangeschichte zu Erzfeinden geworden sind, und umgekehrt. Und zwischen ihnen jene, die lieber unter sich bleiben würden. Spannungen sind zu erwarten. Der ideale Rahmen also, um sein Wissen inmitten des Geschehens zu erweitern.
Die Burg, in der wir uns befinden, ist der Sommersitz der McLachlans. Sie sind die Gastgeber des Abends. In jedem Jahr, wenn sich das Laub unter den kahlwerdenden Bäumen zu sammeln beginnt, gebührt einem anderen Laird die vermeintliche Ehre in sein Haus einzuladen. In der angrenzenden Bibliothek, deren papierne Schätze sich in meterhohen Regalen bis an die Decke türmen, habe ich unzählige Stunden meine Nase zwischen die Seiten gesteckt und Wissen inhaliert. Sie bietet einen Zugang zu einem wildblühenden, groß angelegten Garten. Er eignet sich in den wärmeren Monaten hervorragend, um die Natur zu studieren, über die auf dem Papier berichtet wird. Und um die Freiheit herbeizusehnen, die sie mir vorgaukelt, während mich unsichtbare Fesseln an das Haus McLachlan binden.
»Ah, der alte Fergusson ist auch hier«, schmatzt Callum neben mir, während wir uns durch den Raum bewegen. Er hat sich im Gehen eine Traube in den Mund geschoben und klingt dadurch ein wenig, als hätte er Zahnweh. »Hast du ihm nicht beim letzten Mal die alte Maisie vor der Nase weggeschnappt? Wette, er wollte sie nur haben, um zu sehen, ob sich noch was regt unter seinem Kilt. Müsste sie nicht eigentlich netter zu dir sein, weil du sie vor ihm gerettet hast?«
Er lacht für sich selbst und lässt dann zwei weitere Früchte hinter seinen Zähnen verschwinden. Mit einem lauten Knirschen zerkaut er ihre Kerne, während McLachlan antwortet:
»Maisie ist zu niemandem nett. Wahrscheinlich drückt es ihre Dankbarkeit aus, dass sie mich nicht längst hinterrücks ermordet hat. Sie zieht den Tieren wie keine Andere die Haut vom Leib.«
»Aye, du bist schon ein mutiger Mann. Ich nässe mir schon beim Gedanken an ihre irren Augen ein. Hätte keinen Penny für sie ausgegeben.«
Darüber lachen beide.
Ich mag Callum. Den kleinen Laird, wie ich ihn nenne. Denn er sagt unbekümmert und frei heraus, was er denkt, ohne auf die Folgen zu achten. Aber immer ist er ehrlich. Er ist jünger als ich, nicht selten impulsiv und tut häufig Dinge ohne Kopf. Am liebsten, wenn ihn ein Mädchen vom Denken abhält, indem es ihn unter ihren Rock lässt. Während meiner ersten Zeit auf der Burg habe ich gestaunt, wie viele junge Dinger es gab, die bereitwillig mit ihm das Bett teilten. Bis heute sieht man ihn selten ohne eine Gespielin am Arm, die in seiner Gegenwart kichert und unter seinem Blick errötet. Er ist aber auch wissbegierig und ein guter Schüler, vorausgesetzt, ihn interessiert das Thema, das ich für den Unterricht ausgesucht habe.
Trotzdem gibt es Dinge, die er nicht laut ausspricht. So hat er mich nie nach meiner Auktion gefragt und auch nichts über die bevorstehende wissen wollen. Dabei spüre ich seine Neugier, die wie eine unstillbare Quelle in ihm sprudelt. Ob er wusste, dass mir die Worte fehlen würden? Fragt er aus Rücksicht nicht nach?
Er ist so anders als sein Cousin, der die Menschen meidet und den etwas Dunkles und Einnehmendes umgibt, sobald er den Raum betritt. Etwas an ihm wirkt immer verschlossen, selbst, wenn er offen lacht. Als gäbe es dahinter eine geheime Tür, die etwas im Verborgenen hält und es vor ungebetenen Eindringlingen schützt.
Wir erreichen unsere Plätze an der vordersten der Tafeln, direkt am Fuß der großen Treppe. Als sich eine Bedienstete mit einem Krug hinüberbeugt, muss ich ihr ausweichen und streife dabei McLachlans Arm. Es ist nur der Hauch einer Berührung und trotzdem halte ich augenblicklich die Luft an. Als würde sie sonst in Flammen aufgehen. Und auch der Laird sieht mich nach der winzigen Berührung zwischen zusammengezogenen Brauen an, als hätte er sich am Moment verbrannt. Seine blassgrünen Augen flackern kurz zu meinen und tasten eindringlich über mein Gesicht, das unter ihnen Farbe annimmt. Doch nach einem nächsten Wimpernschlag ist der Augenblick schon wieder vorbei und ich atme endlich wieder aus.
Ich warte noch, bis die Frau mit dem Nachschenken fertig ist, dann setze ich mich neben Callum. Er hat den Platz zwischen dem Laird und mir eingenommen und die langen Beine von sich gestreckt. Seitdem wirkt auch er angespannt. Seine Finger trommeln aufgeregt auf den Stoff seines Sitzes, während seine Augen durch den Raum zu den letzten einströmenden Gästen wandern. Ich erzähle ihm von denen, die ich erkenne, aber ablenken kann es ihn nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er mir überhaupt zuhört.
Schließlich wenden sich die Köpfe der Lairds. Die letzten Plätze werden eingenommen, die Becher gesenkt, Bissen hinuntergeschluckt. Eine aufmerksame Stille setzt ein.
Es geht los.
Das erste Mädchen setzt den Fuß auf die Treppe. Die nackte Angst beherrscht ihr Gesicht, ihre verhärteten Züge, die verweinten Augen und zusammengepressten Lippen. Sie klammert sich hilfesuchend an das weichgeschwungene Geländer und stiert mit geweiteten Augen zurück in den Schatten. Sie will fliehen, sucht einen Ausweg. Doch das Licht ist auf sie gerichtet. Von überall her leckt Kerzenschein an ihrer fahlen Haut, der ihre Blässe nicht wärmen kann. Wie ein Pappelblatt im frischen Herbstwind irren ihre Augen widerwillig durch den Raum voller hungriger Männer. Was sie sehen, lässt sie hilflos zum Nächsten weiterfliegen. Nur nicht ruhen. Blaue Flecken an ihren Armen und der Schorf an ihrer Lippe lenken ein wenig davon ab, wie schön sie ist, doch die ersten Oberhäupter regen sich bereits ob ihres Interesses.
Der Kerl vor mir, William de Cochrane, schnalzt genießerisch und fährt sich mit der Zunge über die schiefen Zähne. Ein Anderer, den ich nicht zuordnen kann, stöhnt tief und packt sich ungeniert zwischen die Beine. Ich spüre Wut in mir aufsteigen, wie ich sie schon damals empfunden habe, aber auch Demut, auf der anderen Seite der Treppe zu sitzen.
Noch im selben Moment schäme ich mich dafür.
Schließlich schält sich der Auktionator hinter dem Mädchen aus dem Dunkel fern des Kerzenscheins. Ich kenne ihn.
»Gentleman!«, ruft er langgezogen. Beim Luftholen spannen sich die Knöpfe seiner zweireihigen Weste bedrohlich über einem kleinen Wanst, als würden sie jeden Moment aufplatzen. Zusammen mit dem erwartungsvollen Grinsen, das sich anschließt, sieht er genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe: Klein, untersetzt und mit schütterem Haar, das seither noch durchscheinender geworden ist. Ein durchschnittlicher Mann mit der Aura eines Edelmannes.
Als wir uns zum ersten Mal gegenüberstanden, warteten wir vor meiner Auktion in einer kleinen Nische auf den Beginn. Der Mann schwitzte fürchterlich und rieb sich mit der bloßen Hand ständig die nassen Perlen von seiner Stirn. Außerdem hustete er bis er würgte und sich beinahe übergab. Ich konnte sehen, wie seine Finger zitterten, als er sich über den Mund fuhr, und fragte mich, weshalb ihn in seiner Position eine derartige Aufregung erschüttern konnte. Als er meinen Blick auffing, sammelte er sich jedoch schlagartig. Er trocknete sich die Augen, rückte sich die Kleidung zurecht und trat dann mit geübtem Lächeln vor die Bieter. Mit einer Präsenz, die seinesgleichen suchte. Sicher hatte ihm ein anteiliges Zubrot gewunken, das er nicht aufs Spiel setzen wollte. Er war der geborene Auktionator.
Dieses Mal hingegen zeigt sein Gesicht keine Spur von Unsicherheit.
»Wie schön, Euch alle hier versammelt zu sehen. Laird McLachlan sei Dank haben wir einen besonderen Rahmen für unsere diesjährige Auktion. Standesgemäß, wenn Ihr mich fragt. Denn was Ihr heute Abend erwerben könnt, ist wieder einmal außergewöhnlich.«
Wie er die Mädchen verhöhnt. Wie ein Händler preist er sie als Ware an, die das Interesse der machthabenden Herren gegen möglichst viel Geld erwecken soll. Niemand stört sich daran. Stattdessen erntet er den ersten auf die Schenkel geklopften Beifall des Abends.
Das angepriesene Mädchen stellt er als Catriona vor, eine Zugezogene, die mit ihrer Familie südlich der Berge lebte. Sie sei sehr geschickt mit Nadel und Faden und eine hervorragende Sängerin. Allerdings hat sie das Lesen und Schreiben nie erlernt, was ihren Preis schmälern wird. Bevor das erste Gebot des Abends abgegeben werden kann, erhebt sich eine Stimme aus den Reihen:
»Ayeee!« Sie gehört zu Dougal Inversen, einem schmutzigen Laird, dessen Ländereien sich an die der McLachlans anschließen. Die Clans liegen zwar nicht im Streit miteinander, aber es gibt immer wieder Unstimmigkeiten, wo die Grenzen der Gebiete enden und wer an den Rändern die Abgaben einholen darf. Inversen erscheint gern randvoll zu Zusammenkünften, in denen über wichtige Clan-Angelegenheiten beraten wird – und erinnert sich später an die Abmachungen nicht mehr. Seit ich ihm das letzte Mal begegnet bin, hat er einen Zahn verloren. Sicher ist die Lücke in seinem Kiefer der Mundfäule zu verdanken und dem allgemeinen Dreck, der wie eine zweite Haut an ihm klebt. Callum stelle ich ihn möglichst sachlich vor, doch sein schiefes Grinsen sagt mir, dass er meine Abneigung heraushören kann.
»Und ihre Titten?« Inversen wartet nicht auf eine Antwort des Auktionators und speit stattdessen seinen Speichel durch die Luft. Eine Strähne seines ungewaschenen Haars bleibt ihm im Mundwinkel kleben, ohne dass er es bemerkt, während er kehlig über seine eigenen Worte lacht. Dabei gestikuliert er mit seinem Whiskybecher in der Hand, wodurch das Gesöff beinahe über den Rand schwappt. Gelächter bricht aus und allgemeine Zustimmung macht sich breit. Es heizt ihn noch weiter an: »Ich will ihre Titten sehen!«
Ich bebe. Die Szene zu beobachten ist für mich kaum zu ertragen. Es ist eine völlig neue Grausamkeit, auf die ich nicht vorbereitet war. Meine Auktion liegt nun zwei Winter zurück. Damals hatte es noch ausgereicht, uns Mädchen zur Schau zu stellen. Jetzt beginnt die Demütigung gleich hier, statt nach Auktionsende hinter verschlossenen Türen. Und es wird noch schlimmer.
»Aye. Kommt, mein Laird! Überzeugt Euch von ihrer Schönheit!« Der Auktionator ergreift das verängstigte Mädchen am Arm und bedeutet Inversen zugleich, näher zu kommen. Vor Entsetzen weiß es sich nicht einmal zu wehren. Lediglich ein lautloses: »Nein«, dringt über ihre Lippen. Inversen gibt ein Grunzen von sich. Dann drückt er seinem Nachbarn seinen Whisky in die Hand, der ihm wohlgesonnen zuprostet, und setzt sich in Bewegung. Er torkelt bereits.
»Nur zu«, hält der Auktionator ihn zur Eile an. »Begutachtet das Weib.«
Der Angesprochene wankt die letzten Meter und hat Mühe die Stufen zu nehmen, doch bei dem Mädchen angekommen, steht er stramm. Ohne ein weiteres Wort rafft er das Leinen ihrer Bluse und reißt den Stoff über ihrer Brust entzwei. Ihr Busen fällt ihm entgegen.
»Aaaye«, sagt er bewundernd und Catriona wimmert. Man sieht es nicht, da er mit dem Rücken zum Saal steht, doch sein Blick muss ihre Haut versengen. Das Mädchen versucht ihre Arme vor die Brust zu heben, aber Inversen schlägt ihr mit den Handkanten brutal auf die Finger. Durch die Wucht sackt sie in die Knie, während der Kerl wie benebelt ist und sie grob am schwarzen Schopf packt. Ein Schmerzenslaut entweicht ihr, dann wird sie von ihm gnadenlos wieder auf die Beine gezogen.
Ich straffe mich, bin kurz davor aufzuspringen und damit alles zu vergessen, was ich mir vorgenommen habe. Den eigentlichen Grund, wegen dem ich heute Abend hier bin und die Gefahr, die mich inmitten der anwesenden Lairds einpfercht. Da fasst plötzlich eine Hand nach mir. Ich weiß sofort, dass es McLachlan ist. Sein Griff ist nicht besonders fest, aber warnend und schickt augenblicklich eine Gänsehaut von meiner Schulter über den gesamten Körper. Als ich mich ihm zuwende, sieht er aus dunklen Augen zu mir herüber und schüttelt kaum merklich den Kopf.
»Tu das nicht«, sagen sie und ich ergebe mich sofort. Weil er recht hat. Ich bin nur hier, um zu beobachten, nicht um das Mädchen zu retten.
Nicht sie.
Erst als McLachlan die Berührung von mir nimmt, weicht auch die Hitze aus meinem Körper. Ich bin es nicht gewohnt, berührt zu werden. Nicht von einem Mann und nicht auf diese Weise. Schon gar nicht von ihm.
Der Laird hat sich längst wieder dem Geschehen zugewendet, als ich endlich meinen Blick von seinem Profil lösen kann und zu Catriona zurücksehe. Sofort wünsche ich mir, ich hätte es nicht getan. Inversen hält Catrionas Kopf noch immer gefangen. Ihre langen Haare hat er sich einmal um die Hand geschlungen. Gerade zieht er sie zu sich heran und leckt ihr mit der Zunge langgezogen über die Wange.
»Mhhh«, gurrt er. »Schmeckt nach Kätzchen.«
Das Mädchen ist in Tränen ausgebrochen. Heiß und beschämt rinnen sie über ihre gerötete Haut, auch dort, wo Inversen eine Spur des Ekels hinterlassen hat. Der ist davon unbeeindruckt. Er reißt sie am Haar zurück, sodass ihr Kopf in den Nacken fällt und verleibt sich vor unser aller Augen ihre Brust ein. Dabei schmatzt er wie wild und stampft mit den Füßen auf, als bereite es ihm das größte Vergnügen. Das Schwein scheint so benebelt zu sein, dass er vergessen hat, wer ihm alles zusieht. Wer er ist. Ich weiß nicht, was mich fassungsloser macht. Inversen, oder dass seine Brutalität von den Männern im Raum ungerührt hingenommen wird. Als wäre es völlig natürlich.
Nachdem niemand ihr zu Hilfe geeilt ist, lässt Inversen Catriona endlich los. Das Mädchen sinkt erneut in die Knie und schluchzt hemmungslos in ihre Faust, die den Stoff ihrer Bluse fest vor ihrer Nacktheit zusammenhält. Diesmal lässt er sie gewähren.
Inversen wendet sich den Anwesenden zu und brüllt: »Aaaye!! DAS sind Titten!«
»Aaaye!!«, echot es aus dem Raum von verschiedenen Stellen und man trinkt sogar auf sein Wohl. Dann folgen die ersten Gebote.
* * *
Catrionas Leben ist genau fünf Schillinge und drei Pennys wert. Inversen bekommt sie, nachdem er einen anderen Laird um wenige Münzen überboten hat. Während zwei Hünen sie aus unserem Blickfeld schleifen, weint sie noch immer und ich spüre ihr Leid bis hinter meine eigene Brust. Mein Herz schmerzt.
Ihr zahnfäuliger Laird wartet bereits am Treppenabsatz auf sie, um sie in Empfang zu nehmen. Selbst aus der Entfernung erkenne ich die Erregung unter seinem fleckigen Kilt und die Zufriedenheit in seinen Augen, weil er weiß, was er damit anstellen will. Es wird noch lange brauchen, ehe ich den Gedanken abschütteln kann, was er Catriona nach der Auktion antun wird.
Das nächste Mädchen wird angekündigt.
»Nun, das war doch sehr … erfreulich«, leitet der Auktionator ein, doch seine Stimme klingt erstickt. Er hustet wieder, wie damals, als ihm der Magen hochkam. Für einen kurzen Moment zeichnen seine Augen ein anderes Bild als seine Worte. Doch es geht zu schnell vorbei, als dass ihm jemand Beachtung schenken kann und auch ich bin mir plötzlich nicht mehr sicher, etwas bemerkt zu haben.
Er fährt fort: »Nun, werte Lairds, zückt Eure Geldbeutel! Es folgt eine ganz besondere Augenweide.«
Wie auf einen unhörbaren Glockenschlag, erscheint eine junge Frau neben ihm. Sie ist so zart, als wäre sie eines der zerbrechlichen und unnatürlich schönen Wesen, die alten Überlieferungen zufolge unentdeckt in den Bergen leben sollen. Sie sind nur ein Mythos und eine Geschichte, die man den Kindern zur Nacht erzählt, damit sie das Träumen nicht aufgeben. Doch in diesem Augenblick bin ich gewillt an sie zu glauben und daran, eines vor mir stehen zu haben.
Selbst das Kerzenlicht flackert neugierig über ihre Haut, die ohne Fehl und Makel ist und es golden reflektiert. Ihr Haar fällt in seidigen Wellen über ihre Schultern, an denen sich nur ein zartes Hemd festhält. Sie ist eine Sünde. Die großen Augen, der leicht geöffnete Mund, die vollen Lippen. Dazu schaut sie, als wäre sie ein verschrecktes Tierjunges, das man mithilfe einer Leuchte im Dunkel aufgespürt hat.
»Das, Gentleman, ist–« Der Auktionator kann seine Ankündigung nicht beenden. Es ist die junge Frau selbst, die ihm die Rede abschneidet: »Ebrel Dunn«, sagt sie mit klarer Stimme. Ihre Züge umspielt ein fast schon überlegenes Lächeln.
Ein Raunen geht durch den Saal. Das Mädchen hat ungefragt das Wort ergriffen und dabei keine Spur von Unsicherheit oder angemessener Furcht gezeigt. Nicht das kleinste Zittern lag in ihrer Stimme oder Ehrfurcht, die sie in die Rolle pressen sollte, die für uns Frauen vorgesehen ist. Wie kann das sein?
Doch das ist noch nicht alles. Als nächstes fängt Ebrel an, sich zu drehen. Ganz langsam präsentiert sie sich den Männern zu ihren Füßen und schenkt ihnen verheißungsvolle Augenaufschläge hinter langen Wimpern. Ich kann es nicht fassen. Was tut sie da? Es ist, als biedere sie sich an. Als möchte sie, dass in den Köpfen der Lairds der Wille sie zu kaufen laut wird. Und es funktioniert. Die erstaunten Rufe werden zu lüsternen Blicken und selbst Callum neben mir raunt:
»Ich will sie in meinem Bett.«
Kurz zuvor hat sie ihn lange angesehen. Zu lang. Callum tauscht einige geflüsterte Worte mit seinem Cousin, während die ersten Ledersäckchen in die Luft gerissen werden. Münzen klimpern. Und Ebrel lächelt weiter.
Der Auktionator findet allmählich seine Sprache wieder und kommentiert die stetig steigenden Gebote. Nebenbei verrät er den Interessierten mehr über das außergewöhnliche Mädchen. Ebrel kann mit der Schere umgehen und Haare und Bart damit stutzen. Außerdem versteht sie sich im Textilfärben, einer besonders seltenen Gabe, die noch nicht weit verbreitet ist. Dass sie schön ist, lässt er unerwähnt. Niemand im Raum zweifelt an ihrem makellosen Auftreten.
Immer mehr Männer sind nun an ihr interessiert. Auch die, die aus offensichtlichen Gründen nicht ihren Körper wollen, wie Laird Rupert Duncan. Er verzehrt sich überhaupt nicht nach Frauen. Beinahe vergesse ich, Callum von ihm zu erzählen und er nickt auch nur geistesabwesend, nachdem ich fertig bin.
Als Ebrel sich erneut dreht, rutscht ihr ein Träger ihres Kleides so weit herunter, dass die Bewegung beinahe eine ihrer festen, kleinen Brüste entblößt. Es wirkt nicht zufällig. Ebenso wenig wie ein weiterer Blick zu Callum. Was geschieht hier?
Der kleine Laird stößt seinem Cousin den Ellenbogen in die Seite. McLachlan schenkt ihm einen bösen Blick, woraufhin Callum witzelt: »Ich werde ihr schon nicht das Herz brechen.«
Monoton entgegnet McLachlan: »Ich bezweifle, dass das möglich ist.«
Callum schnaubt nur, gibt aber nicht nach. Nachdem er noch kurz abwartet, steigt McLachlan schließlich doch in das Bieten mit ein. Er kauft Ebrel am Ende für sechs Schilling und fünf Pennys.
»Dafür habe ich etwas gut bei dir, Co-ogha beag.«
Das bedeutet kleiner Cousin. Ich habe Callum einmal nach der Bedeutung gefragt, als ich hörte wie McLachlan ins Gälische verfiel und ihn so nannte. Es klang liebevoll. Beinahe hatte ich vergessen, wie sich so etwas anhören konnte und es von McLachlan am wenigsten erwartet.
Der Laird gibt dem Auktionator ein Handzeichen, das ihm bedeutet, dass er Ebrel heute Nacht nicht mit zur Burg nehmen wird. Für gewöhnlich heißt das, dass sich die Erkaufte noch einen Tag der Vorbereitung unterziehen muss, an dem man sie auf die Ankunft in ihrem neuen Heim vorbereitet. Dazu gehört neben einem Bad, neuen Kleidern und einer stärkenden Mahlzeit für die Reise auch, dass man sie über die Geschichte ihres Clans unterrichtet. So sollen sich die jungen Frauen in ihrem neuen Leben schnell zurechtfinden.
Mit gemischten Gefühlen sehe ich Ebrel nach. Sie hingegen hat ihre Aufmerksamkeit auf McLachlan gerichtet. Ihr gefällt, was sie sieht, und der Mann, den er verkörpert. Der ewig Mürrische mit dem undurchdringlichen Blick und der hochgewachsenen Gestalt. Und den fast schon sanften Augen, die einen Kontrast zu dem langen Haar bilden, das er heute ungebändigt offen trägt. Callum ist die Begegnung ihrer Augen nicht entgangen.
»Vergiss nicht, ich will sie für mich«, beschwert er sich.
»Ich habe kein Interesse an ihr.«
McLachlan hält den Blickkontakt zu dem Mädchen aufrecht. Erst als Ebrel von den Wachen außerhalb unseres Sichtbereichs geführt wird, wendet er sich Callum zu. »Und du hast es besser auch nicht. Versuch gern dein Glück bei ihr, aber beschwer dich nicht, wenn sie nur Ärger bringt.«
Es ist eine Warnung, von der ich ahne, dass sie berechtigt ist. Das Mädchen ist wirklich außergewöhnlich.
Schön.
Stolz.
Und gefährlich.
Laire
Für die nächsten Auktionen wird Whisky nachgeschenkt, der von den Bediensteten auf schweren Holztabletts durch die Reihen getragen wird. Während ich einer der Frauen mit den Augen folge, wirft ein Laird an einem der hinteren Tische seine Essensreste auf den Boden, damit ein anderes Mädchen sie aufkehrt. Als sie vor ihm niederkniet, um ihre Arbeit zu verrichten, langt er mit seiner Hand ungeniert an ihre Backen. Das widerwärtige Lachen des Kerls prallt dabei auf ihren Nacken und wird von Worten begleitet, die er nach dem Hinunterbeugen in ihr Ohr flüstert. Ihr Gesicht versteinert. Sofort spüre ich ihre Scham, als wäre es meine eigene. Die Wut über ihre Hilflosigkeit. Doch auch sie kann ich nicht retten und muss schließlich wegsehen.
Zwei Mädchen Namens Olivia und Kerye werden in zwei unangenehm zähen Runden verkauft. Sie sind nicht besonders ansehnlich, verfügen jedoch über Begabungen, die ihnen mehr Interesse zusprechen müssten. Aber um die Fähigkeiten geht es den Chiefs heute Abend nicht. Sie sind vor allem hier, um sich neue Gespielinnen ins Haus zu holen, die sie gegen ihren Willen zu ihren abgrundtiefsten Fantasien zwingen können.
Es fällt mir immer schwerer, Callum über die Anwesenden zu unterrichten, weil ich von meinem Mitleid für die Frauen abgelenkt bin. Und außerdem von dem Gedanken, gar nicht hier sein zu dürfen. Alles hieran ist falsch. Es ist nicht richtig, dass ich ihrem Elend zusehe. Dass es so wirken muss, als hieße ich ihr Schicksal gut, während ich offenbar selbst nicht in Not bin. Dabei bin ich eine von ihnen.
Callum bemerkt die Veränderung an mir. Er beobachtet mich vorsichtig und folgt dann meinem Blick zu dem Mädchen. Doch er sagt nichts. Dabei wünsche ich mir so sehr, dass er den Knoten in meinem Magen mit irgendeiner Frage löst und es mich ablenken kann, ihm zu antworten. Nicht nur von dem, was um uns herum geschieht, sondern auch davon, was vor uns liegt. Denn mindestens eine Auktion steht noch aus.
Und nur wegen ihr bin ich hier.
Als das nächste Mädchen hereingeführt wird, eine stämmige junge Frau mit üppigen Rundungen und einem freundlichen Gesicht, wird es unruhig im Saal. Jon Drummond erhebt sich, ein Laird aus Siorrachd Pheairt. Ein auf den ersten Blick gut aussehender Mann mit gepflegtem weißen Bart an den Wangen und kahl rasiertem Schädel. Bei genauerem Hinsehen besitzt er böse Augen. Er sitzt direkter Hand meines Lairds und räuspert sich unangenehm laut, um die Aufmerksamkeit des Auktionators zu erlangen.
»Ist das Weib überhaupt schon beritten worden?« Es klingt so beiläufig, dass es ein Frösteln über meinen Rücken jagt. Bei den anderen Lairds erntet seine Frage Zustimmung. Nur dem Mädchen entweicht ein Keuchen, als sich Furcht in ihre Augen stiehlt.
»Sag, Kind, bist du schon beritten worden?« Die Stimme des Auktionators ist behutsam, aber kalt.
Als ihr statt einer Antwort Tränen über die Wangen laufen, öffnet Drummond ungeduldig seinen Lederbeutel und zieht einen Schilling daraus hervor. In einer fließenden Bewegung schnippt er die Münze zum Auktionator und wartet den Moment ab, in dem dieser ihn leichthändig auffängt. Dann befiehlt er: »Bringt sie zu mir!«
Der Auktionator neigt den Kopf zum Dank, lässt die Münze spielerisch über seine Fingerrücken wandern und letztlich unter seiner Weste verschwinden. Anschließend gibt er einem der Wachmänner ein Zeichen, der die junge Frau grob ergreift. Sie windet und wehrt sich und wimmert, als man sie die Treppe hinabschleift. Doch sie kann nichts ausrichten. Als sie auch noch zu schluchzen anfängt, wirbelt der Hüne sie herum und packt sie an der Kehle, damit sie unter dem schmerzhaften Druck schneller läuft. Es funktioniert. Ihre Fußspitzen fliehen vor der Luftnot über den Boden. Manches Mal berühren sie ihn kaum mehr.
Als man sie vor Drummond abstellt, ignoriert er ihr Röcheln und die Abdrücke auf ihrem Hals. Seine kalten Augen stieren sie einmal von oben bis unten an, dann umfasst er ihr Kinn und zwingt sie, ihn anzusehen: »Antworte! Hat man dich schon zugeritten?«
Der Unterton in seiner Stimme macht mir Angst. Ich fürchte mit einem Mal um das Leben des Mädchens. Ich versteife mich und auch im Saal ist es totenstill geworden. In einigen Gesichtern sehe ich Belustigung aufblitzen, andere warten einfach nur ab. Keiner interessiert sich wirklich für die Antwort des Mädchens. Wir alle kennen sie.
Die junge Frau ringt noch immer nach Luft und macht so den Fehler und zögert.
»Antworte!!« Drummond brüllt ihr mitten ins Gesicht. Sein Atem scheucht einige ihrer Haarsträhnen auf, während sie die Augen vor Schreck zusammenkneift. Durch die geschlossenen Lider rollen ihr weitere Tränen über die Wangen. Erst dann schüttelt sie mit angstverzerrter Miene den Kopf. »So ist das«, sagt Drummond nun wieder beherrscht und rückt ein Stück von der jungen Frau ab. Fast denke ich, ihm reicht die Antwort. Doch dann öffnet er seinen Gürtel.
»N-nein …« Die Unbefleckte stößt ein Wimmern aus, weil sie ahnt, was Drummond vorhat.
Dessen nächste Worte kommen vollkommen gleichgültig aus seinem Mund. Er stellt nur fest:
»Du wirst mir nachsehen, dass ich mich erst von der Ware überzeugen muss, ehe ich sie erwerbe.«
»Bi-bitte nicht, mein Laird. N-nein …« Sie fleht und weiß doch, dass sie keine Wahl hat.
Mit einem lauten Schnalzen lässt Drummond bereits den Gürtel aus der Halterung seines Kilts schnappen und schlingt ihn ihr blitzschnell um die Hüfte. Dann reißt er sie zu sich herum, beugt sie mit dem Gesäß zu sich nach vorn und schiebt ihr Kleid bis zu den Nieren hinauf. Sein Kilt rutscht durch den Schwung der Bewegung zu seinen Füßen herab. Darunter trägt er nichts außer seiner Männlichkeit.
Der Knoten in meinem Magen ist zu einer Geschwulst herangewachsen, die kurz davor ist, zu platzen. Ich will aufstehen, doch Callum hält mich mit sanftem Druck zurück, bevor es jemand bemerkt.
»Wenn du jetzt eingreifst, bist du die Nächste und wir können nichts dagegen tun«, flüstert er über das Jammern der jungen Frau hinweg.
»Sie alle sehen einfach nur zu. Ihr seht zu.« Das trifft ihn. »Ich kann das nicht länger.«
»Und was genau willst du tun?«
»Wieso unternehmt Ihr nichts? Es ist Euer Haus.«
Unterdessen betrachtet Drummond den vorgestreckten Hintern des Mädchens und streicht dann mit einer beinahe behutsamen Geste darüber. »Beim ersten Mal kann es etwas weh tun …«
Callum hat ihm seinen Blick ebenfalls zugewendet. Ich bin mir nicht sicher, was er denkt. Aber ich weiß, dass es dem kleinen Laird nicht egal ist.
Drummond sinniert weiter: »Aber es wird besser, wenn du dich erst einmal daran gewöhnt hast, dass man die Löcher auch noch zu etwas anderem gebrauchen kann, als zum Pissen und Scheißen.« Sein Lachen ist abscheulich.
Ich schiebe Callums Hand beiseite, denn ich kann das nicht zulassen. Und auch keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich werde mich gegen das Schwein werfen, ihm sein Schwert abnehmen und dann …
Doch so weit kommt es nicht. Im Augenwinkel vernehme ich eine Bewegung. McLachlan erhebt sich, gerade als Drummond sein Gemächt packt.
»Jon!«, sagt er so laut, dass Drummonds Kopf herumfährt. »Du willst uns doch nicht die Freude nehmen, dieses Weib als Erste zu beflecken.«
Lachen im Saal. Dann rückt McLachlan so nah an Drummond heran, dass seine Lippen beinahe sein Ohr berühren und nur er und die benachbarten Gäste ihn hören können. So auch ich: »Wie lange ist es noch hin bis zur Niederkunft deiner Frau? Eine Vollmondnacht? Dein Vater würde sich im Grabe umdrehen, du alter Hurenbock. War ihm eine reine Blutlinie nicht immer besonders wichtig? Und jetzt stehst du hier vor aller Augen wie ein wild gewordener Eber und willst diese Frau schänden?«
Man kann förmlich zusehen, wie das Fleisch in Drummonds Hand erschlafft.
Seine Stimme bebt: »Wer bist du, dass du dich für ein Weib stark machst, Kelden McLachlan?«
»Hier geht es nicht um die Frau. Ich appelliere an deine Würde, Laird Jon Drummond.« Das sagt McLachlan laut, bevor er in ein Flüstern übergeht: »Und jetzt scher dich weg von ihr, bevor ich dich am Gehänge packe und dafür sorge, dass du es nie wieder benutzen kannst.«
McLachlans Finger sind zu seinem Schwert gewandert, das griffbereit an seiner Seite steckt. Die beiden Männer fechten einen stillen Kampf aus, der von Begebenheiten aus ihrer Vergangenheit dominiert wird, um die nur die beiden wissen. Niemand im Saal kann voraussagen, was passiert, wenn sich Drummond über den Gastgeber hinwegsetzt. Ob er überhaupt dazu kommt, sich an dem Mädchen zu vergehen, oder es McLachlans Schwert sein wird, das sich vorher in seine Lunge bohrt. Weitere Momente vergehen, in denen nicht einmal das Mädchen zu hören ist. Dann endlich: »Aaaye.« Drummond stößt die junge Frau von sich. »So kann ich sowieso nicht.«
Der Blick, den die Männer daraufhin austauschen, während Drummond sein Glied zurück unter seinen Kilt zwängt, ist alles andere als freundschaftlich. Und in Zukunft wird es die Bindung zwischen den Clans auch nicht mehr sein. McLachlan weiß darum. Trotzdem er Drummond von seinem Vorhaben abhalten konnte, sieht der Laird aus, als hätte er die Niederlage erlitten. Er nickt Drummond hart zu und wartet dann noch, bis das Mädchen von ihrem grobschlächtigen Begleiter aufgelesen wird. Erst, als sie wieder in der Obhut des Auktionators ist, setzt er sich.
Mit einem Mal habe ich das Gefühl, dass McLachlan vorhin gelogen hat, als er abstritt, sich um das Wohl einer Frau zu sorgen. Und dass ich tatsächlich Zeugin seiner Menschlichkeit geworden bin.
Dem Mädchen hilft das leider nicht. Drummond erhält für sie den Zuschlag.
* * *
Und dann … Ich muss zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass sie es ist. Das Mädchen, das schon immer sehr zart war, tritt mit unsicheren Schritten und auf nackten Zehen ins Licht. Es ist kaum noch etwas von ihr übrig.
Als die Flammen sie erreichen, legen sich harte Schatten auf ihren ausgemergelten Körper. Sie fluten Rundungen, die nicht mehr vorhanden sind und schmiegen sich in dürre Täler und knochige Ausbuchtungen. Früher hat ihr Haar die Sonne eingefangen und mit ihr gespielt. Jetzt schafft es nicht einmal der direkte Schein der Kerzen, ihm eine Reflexion zu entlocken. Es ist spröde, stumpf und kaum mehr rot. Ihre unzähligen Sommersprossen sind so zart auf ihre Haut getupft, als hätte sie die meiste Zeit fern von ihr verbracht. Das Fleisch selbst leuchtet unnatürlich hell, wie frisch gefallener Schnee in der Wintersonne. Und seine Kälte nistet in ihren Augen, die abwesend einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand fixieren.
Wie meine damals.
Mein Herz bricht, doch niemand außer mir kann es hören. Es ist ein so tiefer Schmerz, dass etwas in mir sich nie davon erholen wird. Was ist nur mit ihr geschehen? Was hat man ihr angetan? Wieso war ich nicht da, um sie zu schützen?
Ich setze mich auf, weil ich hoffe, dass sie mich sieht. Dass es ihr Hoffnung gibt. Weil sie an das Versprechen denken muss, das ich ihr gegeben habe, und das ich heute wahrmachen werde. Denn ich bin gekommen und ich werde nicht ohne sie gehen. Wie gefährlich es auch sein mag.
Mein Vorhaben bringt uns dem Verderben so nahe, dass ich die Klinge auch selbst führen könnte, die unsere Köpfe von den Schultern trennt. Ein falsches Wort, ein scharfer Schnitt. Wir beide sind dem Tode geweiht, wenn das hier nicht funktioniert.
Doch sie sieht mich nicht. Obwohl sie in meine Richtung blickt, schauen ihre wässrigen Augen direkt durch mich hindurch. Selbst als der Auktionator ihr eine Strähne aus dem Gesicht streicht, lässt sie es teilnahmslos geschehen. Die Hülle tut ihren Dienst, doch ihr Geist ist weit fort.
Dann stellt der Mann sie vor: »Anice, Gentlemen, ist weit gereist, um sich Euch zu präsentieren.«
Ihr Name fährt in mich hinein. Wie oft habe ich ihn schon genannt, nach ihr gerufen, geschrien. Im Spiel, als Spaß, vor Freude, aus Wut und später auch aus Angst. Doch von mir gesprochen, hört er sich anders an. Er klingt vertraut.
Mitfühlend.
Liebend.
Aus dem Mund des Auktionators klingt er leer. Er spricht von einer Fremden, die jedes Mädchen sein könnte. Sie bedeutet ihm nichts.
Er fährt fort: »Lasst Euch nicht täuschen, meine Lairds. So scheu wie sie tut, ist sie keineswegs. Mit dieser Schönheit bekommt Ihr ein tüchtiges Weib, das außerordentlich gut aufsitzen kann.«
Ich schlage die Hand vor den Mund und es ist viel zu laut. Ein Klatschen an der falschen Stelle. Ich spüre, wie Callum und McLachlan ihre Köpfe in meine Richtung drehen. Der Blick des Lairds ist bohrend. Kälte überzieht meine Haut dort, wo er auftrifft, doch ich kann von Anice nicht wegsehen. Denn sie zeigt keinerlei Regung. Jedes Wort ist wahr.
»Ist es nicht so, mein Kind?« Der Mann drängt sie zu einer Antwort.
»Aye«, entweicht es ihr kraftlos. Es bestätigt all meine Befürchtungen. Daraufhin heben sich ihre Augen zur Decke. Wie sie es immer getan hat, wenn sie versuchte nicht zu weinen.
Meine Lippe beginnt zu zittern und ich kann es nur aufhalten, weil ich mir von innen auf die Wange beiße. Ich ertrage es nicht, sie so zu sehen. Die schlimmste Folter nehme ich lieber auf mich, als sie leiden zu wissen. Der Gedanke an das, was ihr zugestoßen sein muss, zerreißt mich. Denn ihr Wesen ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Einfach nicht mehr da.
Der Auktionator könnte so viel über sie sagen. Dass sie herzensgut ist. Dass sie die Sprache der Tiere spricht und stets ihr Vertrauen gewinnt. Dass sie das Geschichtenerzählen liebt und mit Worten bunte Bilder in die Köpfe der Zuhörer malt. Dass sie darüber hinaus handwerklich geschickt ist, Kessel flicken, Öfen reparieren, Räder beschlagen kann. All das macht sie wertvoll, viele Schilling wert.
Stattdessen verkauft er sie als Hure. Als Dienerin, welche die niedersten Triebe und dunkelsten Fantasien befriedigen soll. Weil sie es versteht, bei einem Mann zu liegen. Sie, die immer die kindlichen Flausen einer Liebe im Kopf gehabt hatte, für die sie sich aufsparen wollte. Was ist aus ihnen geworden? Hatte sie geliebt? Die Liebe erlebt? Ist sie freiwillig mitgegangen? Oder zwang man sie? Ihren Körper für ihre Träume zu geben?
Tränen begehren in mir auf, die ich heftig hinunterschlucke. Der Auktionator bietet sie an, damit man sie benutzt, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Keine Herzensgüte, keine Geschichten, kein Flüstern, kein Handwerk. Nur eine kaputte Seele mehr in den Gräbern der Unterworfenen.
Ich muss es verhindern.
Vorsichtig greife ich unter meinen Rock und ziehe lautlos einen kleinen Lederbeutel hervor. Das Material ist warm von meiner Haut und die Münzen darin wiegen schwer in meiner unruhigen Hand. Sie sind nicht nur mein gesamter Besitz, sondern auch all meine Hoffnung. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem ich sie eintauschen werde.
Gegen ihr Leben.
All die Jahre, in denen ich Münze um Münze hineingelegt habe, hatte ich ihn vor Augen. Habe mir vorgestellt, wie nervös ich sein und was ich gleich sagen werde. Wie feucht meine Hände und wie trocken mein Mund sich anfühlen müssen, sodass meine Stimme zittert. Nur das Gefühl habe ich nicht einmal erahnt. Es ist überwältigend und beängstigend.
Die ersten Gebote sind bereits gefallen. Ein Schilling und fünf Pennys. Mein Herz schlägt mit einer solchen Wucht, dass ich das Pulsieren in meiner Kehle spüre. Ich zögere, weil ich vermutlich sterben werde, sobald der erste Ton meine Lippen verlässt. Falls ich überhaupt fähig sein werde, zu sprechen. Aber dann sehe ich zu Anice und die Leere in ihren Augen gibt mir die Kraft, die ich brauche, um nicht feige umzukehren. Hier geht es nicht um mich.
Hier geht es um sie.
Und damit um alles.
»Zwei Schilling!«, rufe ich. So laut und kräftig, so erbittert, dass jeder im Saal es hören kann.
Die Empörung der Anwesenden schlägt daraufhin wie ein Sturm auf mich ein. Einige Köpfe der Lairds schnellen zu mir herum. Andere springen auf, um den Ursprung der Stimme auszumachen, der keiner der ihren sein kann. Endlich sieht auch Anice zu mir und für einen kurzen Moment weiten sich ihre Augen. Erkennen liegt darin. Ja, ich bin gekommen. So, wie ich es versprochen habe. Ich nicke ihr leicht zu und versuche mich an einem Lächeln. Ihr Mundwinkel zuckt ebenfalls.
»Was bildet sich dieses Weibsbild ein?«
Unsere Verbindung bricht ab. Ein Laird, dessen Name mir nicht einfällt, weil ich ihm den Namen ›Hinkebein‹ gegeben habe, hat die Hand auf sein Schwert gelegt, das er vermutlich schneller zücken kann, als er zu Fuß unterwegs ist. Andere Chiefs scheinen amüsiert: »Hört sie euch an!«, bellt Laird McNeacail erheitert. »Schade, um ihren hübschen Kopf. Nicht wahr, McLachlan?«
Er sieht zu meinem Laird. Und der sieht zu mir. Ich erstarre beim Blick in seine Augen, die jetzt sturmgrau sind. Sie sind das Gewitter, das ich gespürt habe, der Donner und der Blitz und all das unausgesprochene Unheil. Darunter bebt seine Brust unter schnellen Atemzügen. Das habe ich nicht kommen sehen. Nicht, dass er solche Mühe haben würde, sich zu beherrschen. Dass es seine Hand sein könnte, die mich enthauptet. Hier, vor aller Augen.
»Was tust du da?« Seine Stimme hebt sich nicht lauter als ein Flüstern zwischen zusammengepressten Zähnen. Trotzdem trifft sie mich so tief, dass ich an seiner Stelle schreien möchte, um die Anspannung zwischen uns zu zerschlagen. Sie schwebt zwischen unseren Sitzen wie eine geschärfte Klinge und hüllt uns in einen Strudel, der alles andere ausblendet. Das Gelächter, die Rufe und Schwerter, die aus ledernen Scheiden gezogen werden. Die größte Bedrohung ist nun mein Laird. Zugleich aber, könnte er Anice’ Retter sein.
»Bitte«, hauche ich und werfe das Ledersäckchen unbemerkt an Callum vorbei auf McLachlans Schoß. Es landet mit leisem Geklimper auf seinem Oberschenkel.
Er senkt seinen Blick für den Bruchteil eines Moments, dann trifft er wieder auf mich.
»Was ist das?«, will er wissen.
»Sieben Schilling und zwei Pennys.«
Das ist genau die Summe, die sich im Inneren befindet und mehr, als ich je besessen habe. Wie oft habe ich die Münzen gezählt, seit ich in sein Haus gekommen bin, und mich vergewissert, dass sie noch da sind. Weil ich Angst hatte, dass man sie entdeckt und mir weggenommen haben könnte.
Jetzt entscheiden sie über Leben und Tod.
»Bitte, mein Laird.« Ich flehe. »Lasst mich auf sie bieten. Sie …« Bei den Göttern, meine Stimme bricht ab. Bitte nicht jetzt. Auch meine Tränen sind nun so nah, dass ich bereits weiß, wie sie schmecken werden. »Sie ist meine Schwester.«
McLachlan zuckt. Eine flüchtige Regung, die man beinahe übersehen könnte, wenn es nicht schon das zweite Mal wäre. Zuerst nannte ich ihn meinen Laird und er reagierte darauf. Vielleicht, weil ich es nie zuvor gesagt habe. Und nun tat er es, weil er erfuhr, wie nah mir das angebotene Mädchen steht. Dass sie meine kleine Schwester ist, das Liebste, das mir seit dem Tod unserer Eltern geblieben ist. Wenn man sie mir heute Abend nicht wieder wegnimmt.
Seither ruht sein Blick unergründlich auf mir und die Momente, die er verstreichen lässt, quälen mich wie niemals etwas zuvor. Der Strudel um uns wird enger. Und auch einige Lairds sind mit ihren Schwertern bereits nähergerückt. Andere empören sich aus der Ferne lautstark, McLachlan solle mich endlich zum Schweigen bringen. Oder mich lauter reden lassen, denn sie wüssten ebenso gern, was ich scheinbar Wichtiges zu sagen habe. Doch seine Selbstbeherrschung scheint grenzenlos. Er hat keine Eile damit, meine Augen abzutasten und darin etwas zu suchen, was nur er zu ergründen weiß. Gleich wird auch die wässrige Linie über den Damm aus Wimpern brechen, wenn er mich nicht augenblicklich erlöst. Ich bete, dass er mir überhaupt antwortet. Meine ungeformte Frage nicht einfach im Raum stehen lässt.
Aber er sagt nichts mehr. Stattdessen sucht er die Aufmerksamkeit des Auktionators und macht eine knappe Handbewegung, von der ich nicht weiß, was sie bedeuten soll. Mein Herz stolpert. Der Auktionator hingegen wirkt, als hätte er sich an seinem Speichel verschluckt.
»Seid Ihr sicher, mein Laird?«
McLachlan nickt verschlossen. »Aye. Sie macht weiter. Sie bietet für das Haus McLachlan.«
Im Saal herrscht Fassungslosigkeit. Aber als sich die Köpfe nacheinander zum Gastgeber des Abends drehen, verstummen die Männer plötzlich. Einer nach dem anderen. Deshalb sehe auch ich zu ihm und erkenne den Grund sofort. Es ist McLachlans Körpersprache, die ihnen Einhalt gebietet. Sie liefert ihnen eine deutliche Erklärung dafür, weshalb er mich nicht längst gezüchtigt oder getötet hat.
Er hat sich bequem in seinem Stuhl zurechtgesetzt. Ein Arm ruht über der Lehne, während sein Hacken auf dem gegenüberliegenden Knie abgelegt ist. Seine nach vorn geschobenen Lenden sprechen eine Sprache, die für jeden offensichtlich ist: Er teilt sein Bett mit mir und Anice soll als unsere Geliebte dazustoßen. Ich bin seine Gespielin, deren Lust von dem Mädchen entflammt wurde, in dem Moment, als man sie zum Kauf anbot.
Nur wir beide wissen, dass er mich nie angerührt hat. Er hat es nicht einmal versucht. Ab und an frage ich mich, wieso das so ist. Weshalb man ihn nie mit einer Frau sieht oder jemandem, den er in sein Bett holt. Warum seine Augen kein einziges Mal anzüglich über die Rundungen einer Frau wandern, weder auf der Burg, noch hier beim Vorführen der Mädchen. Und manchmal auch, ob ihn meine nicht interessieren. Ich bin nicht besonders eitel, aber ich habe schönes Haar und auffällig helle Haut und ich glaube, manchmal schaut man mich dafür an. Nur der Laird sieht nicht länger hin, als nötig.
Einmal habe ich das Gespräch von zwei Mägden mit angehört, die darüber tuschelten, ob der Laird sich zu Männern hingezogen fühlen könnte. Die Eine verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder, weil sie gehört haben wollte, dass es einmal eine Frau an seiner Seite gegeben hatte. Wobei das Eine das Andere ja nicht ausschließe, überlegte sie laut. Überhaupt waren die beiden Frauen sehr daran interessiert, weshalb der Laird über lange Zeit alleinstehend war. Wo er doch so gut aussah. Das merkte die Eine an, woraufhin die Andere verlegen kicherte. Ich gebe für gewöhnlich nichts auf Getratsche, aber tatsächlich war mir der Gedanke mit der Vorliebe für Männer auch schon gekommen. Allerdings umgibt er sich mit ihnen genauso wenig, wie mit dem weiblichen Geschlecht. Eigentlich sieht man nur Callum häufig in seiner Gesellschaft.
Als der Auktionator die Gebote wieder aufnimmt und ich mich ihm gerade zuwenden will, sieht der Laird noch einmal zu mir. Seine Wut ist noch immer da. Er weiß, dass ich ihn benutzt habe.
Dass ein Laird sein Gebot auf Anice abgibt, nutze ich als Möglichkeit, mich abzuwenden und erhöhe auf: »Drei Schilling und fünf Pennys.«
* * *
Das Interesse an Anice ist groß. Weitaus größer sogar, als ich befürchtet habe. Einige der Lairds bieten nur, um McLachlan zu schlagen. Ich habe so etwas geahnt. Jedoch nicht, wie viel einige der Lairds bereit sind zu zahlen, um ihm etwas wegzunehmen, das er begehrt.
Selbst McLachlan schnaubt einige Male. Beim Gebot von Aedan Dow, mit dem er im Streit liegt, seit er sich schlecht über einen befreundeten Clanchief äußerte. Ein weiteres Mal bei Simon Wallace, der bereits mehrere Male sein Zeichen gab und damit den Wert deutlich in die Höhe schnellen ließ.
Und dann kommt er, der Moment, den ich gefürchtet habe: Wallace überbietet mich mit sieben Schilling und drei Pennys. Mehr habe ich nicht. Als ich das Gebot nicht erhöhe, dreht er seinen kahlen Schädel langsam und zufrieden zu mir um. Anschließend sieht er zu McLachlan weiter und entblößt zwischen seinem dunklen Vollbart eine Reihe gepflegter Zähne.
»Niemand mehr?«, ruft der Auktionator in den Raum.
Um sie ein letztes Mal vorzuführen, streicht er Anice die Haare auf den Rücken, die ihr nach vorn gefallen sind, und legt ihr Schlüsselbein frei. Es ist ganz spitz, so hart ragt es über ihrer Brust empor. Anice zuckt zurück und sieht mich an. Es ist, als hätte das Wiedersehen mit mir auch ihre Gefühle zurückgebracht. Sie weint.
Ich presse die Lippen so fest aufeinander, dass meine Zähne von innen hineinschneiden. Keine Tränen. Wenn man dem Laird und seiner Geliebten glauben soll, dann …
Darf.
Ich.
Nicht.
Weinen.
Ich blicke McLachlan an, doch er sieht bereits zu mir. Überrascht öffne ich die Lippen und schnappe nach dem bisschen Luft, das noch nicht zum Schneiden dick geworden ist.
»Helft ihr. Bitte.« Es ist mir egal, dass ich bettle. »Er darf sie nicht mitnehmen.«
Ein anderer Laird gibt unterdessen sein Gebot auf sie ab, doch Wallace erhöht abermals, kaum, dass dieser ausgesprochen hat. Ich kann nicht glauben, dass es dazu kommt. Dass Anice das teuerste Mädchen des Abends und damit zu teuer für mich sein wird. Meine Verzweiflung wächst an und ich sehe keinen Ausweg mehr. McLachlan wechselt einen Blick mit Callum und ich ahne, dass das nächste ein Kopfschütteln sein wird, mit dem er Anice’ Schicksal besiegeln wird. Er wird mir nicht helfen. Er wird sie nicht kaufen. Er wird nicht ihr Retter sein.