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Als Fay ihre Vergangenheit ruhen lassen kann, steht auf einmal ihre alte große Liebe vor ihr. Unweigerlich muss sie sich mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit und der damit verbundenen Trauer auseinandersetzen. In der Hoffnung, einen klaren Kopf zu bekommen, fährt sie kurzerhand in ihre alte Heimat zurück. Dort trifft sie Tobi, der so viel Trauer ausstrahlt, wie Fay sie nur zu gut kennt. Eine Gemeinsamkeit, die verbindet.
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Seitenzahl: 191
Veröffentlichungsjahr: 2020
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„Fay!“, hörte ich meine beste Freundin, quer über den Gang, nach mir rufen. Ich drehte mich um und sah, wie sie bereits auf mich zu rannte. Ihre langen blonden Haare wehten nach hinten und auf ihrem Gesicht war ein breites Grinsen zu sehen. Mir war bewusst, dass die Schüler, die auf dem Gang standen, zu uns schauten. Aber wenn man mit Claire befreundet war, musste man damit leben. Sie war eigentlich immer gut drauf und wild. Vor allem wild.
Es war ihr egal, was andere über sie sagten oder dachten. Darum beneidete ich sie, ich konnte das nicht.
Sie fiel mir mit so einer Wucht um den Hals, dass wir beide gegen die Spinde in unserem Schulflur knallten. Spätestens jetzt hatten wir die Aufmerksamkeit aller, die bereits auf dem Flur unterwegs waren.
„Es ist toll, dass du wieder da bist, ich hab‘ dich echt vermisst.“
Sie löste sich von mir und betrachtete mich von oben bis unten.
„Jedenfalls siehst du wieder gesund aus.“
Ich nickte. „Ich fühle mich auch deutlich besser.“
Die letzte Woche lag ich krank mit der Grippe im Bett.
Mir wurde schnell langweilig und da war so eine Zwangspause nicht gerade förderlich.
„Ich finde das immer noch seltsam, dass dein Vater keinen Besuch zugelassen hat.“ Ich zuckte nur mit den Schultern, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
„Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich jemals so nach der Schule sehnen würde“, sagte ich grinsend, um das Thema etwas zu wechseln.
Heute war zwar der letzte Schultag vor den Herbstferien, aber ich hatte die Nase voll davon, im Bett zu liegen, weshalb ich beschlossen hatte, heute in die Schule zu gehen.
Mein Vater war davon zwar nicht begeistert gewesen, hatte meine Entscheidung aber akzeptiert.
Claire hakte sich bei mir unter und zusammen gingen wir zu unserem ersten Kurs. Mathe.
Dort hatte ich Claire vor ein paar Monaten kennengelernt.
Ich kam mitten im Schuljahr in die Abiturklasse, da mein Vater und ich von Österreich zurück nach Berlin gezogen waren. Er hatte beruflich die Möglichkeit bekommen, wieder hier arbeiten zu können. Er hatte die Möglichkeit mit mir besprochen und zusammen haben wir entschieden, dass es eine gute Entscheidung wäre.
Ich hatte vor Österreich schon einmal in Berlin gewohnt, bevor wir, auch aufgrund des Jobs meines Vaters, dorthin gezogen waren. Damals war meine Mutter noch bei uns. Der Gedanke an sie versetzte mir immer noch einen Stich.
Als ich als Neuling in die Klasse kam, ließ ich meinen Blick schüchtern durch den Raum schweifen, in der Hoffnung, noch einen freien Platz ohne Sitznachbarn zu erwischen, aber natürlich waren alle Tische mit mindestens einem Schüler belegt. Ich mochte es nicht, wenn ich fremde Leute in meiner Nähe hatte. Ich hatte immer Sorge, was sie wohl über mich denken würden. Dass sie etwas an mir sehen, was ihnen nicht passt, oder sonstige Dinge, was sie veranlassen könnte, mich nicht zu mögen. Diese Gedanken machten mir das Leben oft unnötig schwer und ich habe schon oft versucht, sie abzustellen, aber es gelang mir nie länger als ein paar Sekunden. Um mich zu schützen, zog ich mich schon immer freiwillig zurück, was der Grund war, warum ich bis jetzt fast keine Freunde hatte.
So als würden wir uns schon kennen, hob Claire damals die Hand, winkte mir und zeigte auf den freien Platz neben sich. Froh, dass ich nicht noch weiter peinlich in der Tür stehen musste, befahl ich meinen Beinen sich zu bewegen. Mein Gesicht fühlte sich heiß an und ich war mir sicher, dass ich rot wie eine Tomate war. Ich setzte mich und sah auf die Tischplatte und murmelte nur ein Danke.
Die erste Stunde verstrich, ohne dass wir miteinander sprachen. Ich musste in der Stunde eine Vorstellung meiner Person über mich ergehen lassen und versuchte mich danach auf den Unterricht zu konzentrieren und zu verstehen, was der Lehrer da gerade zu erklären versuchte.
In der Pause kam Claire zu mir in die Mensa, setzte sich neben mich und wir kamen ins Gespräch. Und daraus entwickelte sich eine Freundschaft, wie ich sie vorher noch nie hatte.
Sie half mir, mit dem Schulstoff hinterher zu kommen. Sie gab mir ihre Unterlagen und lernte mit mir. Ich schaffte es relativ schnell, all das zu lernen, was ich verpasst hatte.
Nach der Schule gingen Claire und ich zu unserem Jugendtreffplatz, der ganz in der Nähe der Schule war.
Wir hatten dort die Möglichkeit, draußen zu skaten, Tischtennis zu spielen und Trampolin zu springen. Drinnen gab es mehrere kleine Sitzecken und einen Tresen, wo ein Mitarbeiter uns Getränke ausschenkte.
Die Sonne strahlte und wärmte noch ein bisschen.
„Wollen wir heute draußen bleiben?“, fragte ich Claire.
„Ja gerne. Tischtennis?“ Ich nickte.
„Ich geh schnell den Ball und die Kellen holen.“ Ich ging rein und stellte mich an den Tresen und wartete, bis der Typ dahinter Zeit für mich hatte.
„Hey“. Der junge Mann grinste mich schief an und ich lächelte freundlich zurück.
„Hey, ich bräuchte die Tischtenniskellen und den Ball dazu, bitte.“
Er nickte kurz und bückte sich, um die Sachen unter dem Tresen hervorzuholen. Er legte mir die Sachen hin und ich gab ihm als Pfand meinen Ausweis.
Er schaute auf den Ausweis und musste grinsen.
„Viel Spaß, Fay“ – er sagte meinen Namen in einer samtweichen Stimme und grinste erneut. Ich versuchte, die Gänsehaut auf meinen Armen zu ignorieren und lächelte ihn an.
Hatte er gerade mit mir geflirtet?
Ich verwarf den Gedanken, denn ich war mir sicher, er wollte nur nett sein.
Ich drehte mich um und ging raus zu Claire.
Ich ließ meinen Blick über die Menge schweifen und brauchte kurz, um sie zwischen all den Schülern zu finden.
Als ich sie sah, traf es mich wie der Blitz.
Mir fielen die Kellen und der Ball aus der Hand und landeten mit einem Knall auf den Boden.
Einige Schüler schauten verwirrt in meine Richtung, auch Claire sah zu mir und auch der junge Mann, der mit ihr redete, wandte sich ebenfalls in meine Richtung.
Ich atmete schneller, aber es fühlte sich an, als ob mir jemand die Luft abschnüren würde.
Die Luft, die ich einatmete, schien meine Lungen überhaupt nicht zu erreichen. Ich konnte nicht mehr klar denken und vor meinen Augen bildete sich ein Vorhang aus Tränen.
Ich blinzelte, um wieder klar sehen zu können. Mein Bauch verwandelte sich in ein flaues Gefühl und ich hatte Sorge, dass ich mich gleich würde übergeben müssen.
Alles in mir machte eine hundertachtziggrad-Drehung. Ich stand wie versteinert da und traute meinen Augen nicht. Das konnte nicht sein. Das war nicht er. Wieso war er hierhergekommen?
Meine Gedanken überschlugen sich. Ich gab mir größte Mühe, meinen Atem wieder in ein normales Tempo zu bekommen. Aber es gelang mir kaum. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Einen kurzen Moment blieben wir so stehen, dann hob Claire die Hand und winkte mir zu. Ich sah, wie ihr Lächeln einem besorgten Blick wich. Ich war mir sicher, dass ich keinerlei Farbe mehr im Gesicht hatte.
Noch immer konnte ich nur dastehen und ihn anstarren. Er hatte eine abgewetzte Jeans an, dazu trug er ein lockeres weißes T-Shirt und seine braune Lederjacke, die ich nur zu gut kannte.
Er drehte sich zu ihr und ich sah, wie er sie am Handgelenk fasste und ihren Arm runternahm.
Er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ich bekam Gänsehaut, als ich mich erinnerte, wie sich sein Atem an meinem Ohr anfühlte.
Sie schaute kurz zwischen ihm und mir hin und her, nickte dann, drehte sich um und ging zu einer Gruppe von Schülern aus unserer Klasse.
Während sie sich von ihm entfernte, ließ sie mich dennoch nicht aus den Augen.
Er versicherte sich, dass Claire wirklich ging, danach drehte er sich um und ging auf mich zu.
Er suchte meinen Blick und fand ihn auch.
Ich versuchte ihn böse anzufunkeln, aber es gelang mir anscheinend nicht richtig, denn er fing an breit zu lächeln.
Ich verdrehte die Augen und merkte, wie die Wut Überhand gewann.
Bevor er bei mir ankam, hob ich die Kelle und den Ball auf und ging zurück zu dem Typen hinter der Theke.
„Schon fertig? Das war ja eine kurze Runde.“
Er schaute mich verwundert an.
„Ja. Krieg ich meinen Ausweis bitte?“, antwortete ich schroffer als gewollt. Dabei ließ ich den Eingang nicht aus den Augen.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schob er mir den Ausweis rüber.
„Danke“, murmelte ich und ging wieder raus.
Draußen stieß ich mit ihm zusammen.
„Fay“, er hauchte meinen Namen und mir lief sofort ein Schauer über den Rücken.
Damals hatte ich es geliebt, wenn er meinen Namen so sagte. Heute erfüllt es mich mit Schmerz und einer Reihe von Erinnerungen.
Ich drängelte mich an ihm vorbei, doch er folgte mir.
„Fay, jetzt warte bitte.“ Er erfasste mein Handgelenk und blieb stehen. Ich riss mich los und drehte mich zu ihm.
„Was willst du hier, nach allem, was war?“
Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
Mir war klar, dass er sie sich vorher schon zurechtgelegt hatte.
„Ich vermisse dich.“
Das war wohl ein schlechter Scherz. Ich blickte ihn böse an.
„Du vermisst mich?“ Ich zischte so laut, dass einige Schüler um uns herum zu uns rüber schauten. Er hob entschuldigend die Hände.
Er war arrogant wie immer - kam hierher und war der Meinung, ich würde prompt nach seiner Pfeife tanzen.
„Ich meine es ernst. Bitte lass uns reden.“ Er sagte es mit Nachdruck, so, als wäre es ihm wirklich wichtig.
Ich konnte ihm aber nicht glauben und ich wollte es auch nicht.
„Wir haben nichts zu reden.“
Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen und ging Richtung Bushaltestelle.
Gottseidank verstand er das, denn er folgte mir nicht. Ich war mir aber sicher, dass er damit noch nicht lockerlassen würde.
Als ich an der Bushaltestelle stand, klingelte mein Handy. Ich sah auf das Display. Claire. Ich seufzte.
Ich ging ran, auch wenn ich schon wusste, was sie wollte.
„Hey“, begrüßte sie mich.
„Was gibt’s?“, ich versuchte trotzdem freundlich zu klingen.
„Wo bist du grad? Ich hab‘ dich wegstürmen sehen.“
„Stehe an der Bushaltestelle.“
„Ja, ich sehe dich.“ Ich drehte mich nach rechts und sah Claire mit ihrem Handy am Ohr auf mich zu kommen. Ich legte auf und wartete, bis sie bei mir war. Auf ihrem Gesicht lag ein besorgter Ausdruck.
„Willst du drüber reden? Mir erzählen, wer das war? Er hat mir gesagt, dass er dich gesucht hat und gesehen hatte, dass wir miteinander geredet haben. Mehr weiß ich nicht.“
Sie nahm mich in den Arm. Ich schüttelte den Kopf.
„Ich muss selbst einmal verstehen, was hier gerade passiert ist.“
„Okay.“
Ich war ihr dankbar, dass sie da war und mich grad einfach nur in den Armen hielt; ich war noch nicht bereit zu reden, und sie akzeptierte das.
Wir stiegen schweigend in den Bus ein und fuhren wie selbstverständlich gemeinsam zu mir nach Hause.
Vor meiner Haustür angekommen schaute Claire mich fragend an.
„Kann ich dich allein lassen oder soll ich mit reinkommen?“
„Du kannst gerne mit reinkommen.“
Ich habe die ganze Fahrt nachgedacht und ich hätte liebend gern jemanden um Rat gefragt, was ich jetzt am schlauesten machen soll; dann fiel mir ein, dass niemand wusste, was passiert war, außer mein Vater, aber mit dem konnte und wollte ich nicht reden.
Unser Verhältnis war angespannt, seit meine Mutter nicht mehr bei uns war.
Ich wollte, dass Claire wusste, was los war, bevor er ihr es erzählen konnte. Das wäre typisch für ihn. Mir wäre zwar unklar, wie er an Claire rankommen sollte, um ihr alles zu erzählen, aber er fand immer einen Weg, wo anscheinend keiner war.
Sie nickte also nur und ich schloss die Haustür auf. Wir betraten das Haus.
„Ist dein Vater da?“ Ich zuckte mit den Schultern.
„Papa?!“ Keine Antwort.
„Sieht nicht so aus.“
„Gut, denn brauch ich ja nicht Hallo zu rufen.“ Sie grinste. Ich zwang mich, zurückzulächeln.
Wir gingen nach oben in mein Zimmer.
Ich schloss die Tür hinter uns und ich setzte mich auf mein Bett. Claire setzte sich neben mich und schaute mich erwartungsvoll an.
Ich wollte nicht lange überlegen, wie ich es ihr am besten sagen sollte, denn die Gefahr, dass ich einen Rückzieher machen würde, war zu groß.
Also legte ich einfach los.
„Du weißt doch, dass wir vor zwei Jahren nach Österreich gezogen sind. Mein Vater hatte eine bessere Stelle angeboten bekommen, die er nicht ablehnen konnte.“ Sie nickte.
„Als wir unser Haus dort bezogen hatten, kamen unsere Nachbarn nach und nach und haben uns begrüßt und herzlich willkommen geheißen.
Liam kam ebenfalls mit seinen Eltern vorbei, jedoch sagte er nichts, sondern stand einfach nur da und schaute mich an.
Er kam jeden Tag vorbei. Anfangs blieb er einfach draußen stehen. Ich fand das zwar unheimlich, aber irgendwann bin ich dann doch zu ihm vor die Tür und wir setzen uns an den Bürgersteig.
Wir wechselten erst kaum ein Wort. Doch jeden Tag wurden es mehr und so lernten uns besser kennen.
Und von da an entwickelte sich das zwischen Liam und mir.
Wir waren am Ende ein unschlagbares Team, dachte ich jedenfalls. Wir waren so glücklich. Alles fühlte ich perfekt an. Aber kurz bevor wir wieder zurück nach Berlin gekommen sind… ist etwas passiert.“
Ich machte eine Pause und überlegte, ob ich ihr sagen sollte, was genau passiert war.
Ich entschied mich dann aber dagegen.
„Er wandte sich von mir ab und ließ mich alleine.“
Ich wusste, dass Claire keine Ahnung hatte, was ich damit meinte, aber ich konnte es einfach nicht laut aussprechen. Ich konnte noch immer kaum daran denken, ohne dass es mich innerlich zerriss.
Mir rollten ein paar Tränen über die Wangen, der Schmerz fühlte sich an, als wäre das Alles erst gestern passiert.
Claire fragte nicht weiter nach, sondern legte einen Arm um meine Schultern und zog mich fest an sich.
„Danke. Danke, dass du mir vertraust und mir das erzählt hast.“ Ein großer Stein fiel mir vom Herzen und ich fühlte mich gleich viel leichter.
Mir war klar, dass ich ihr trotzdem kaum etwas gesagt hatte, aber uns beiden war klar, dass mich diese paar Sätze alleine schon eine Menge Überwindung gekostet hatten.
Mir rollten noch ein paar einzelne Tränen die Wangen runter, bevor ich mich wieder gesammelt hatte.
Sie wechselte das Thema und den Rest des Abends unterhielten wir uns über alles, nur nicht über Liam. Sie hatte ein gutes Gespür dafür, wann es Zeit war, über etwas anderes zu reden.
Sie versuchte mich abzulenken. Sie drängte mich nicht, sondern ließ mich von mir aus erzählen, egal wie lange es dauern würde.
Dafür hatte ich sie so unglaublich gerne.
„Es ist schon spät. Ich muss langsam nach Hause, sonst dreht meine Mutter völlig durch.“, sagte Claire, nachdem wir meinen Stapel alter Mädchenzeitschriften durchgeschaut hatten.
Wir hatten uns über die seltsamsten Leserfragen und komischsten Artikel lustig gemacht. Hatten uns ausgetauscht, auf welchen Promi wir mal standen und welche Teenie-Filme wir klasse fanden.
Wir haben so viel wie lange nicht mehr gelacht.
„Okay, ich bring dich noch zur Bushaltestelle.“
„Danke.“
Wir gingen gemeinsam runter. Das Licht im Flur war immer noch aus.
„Dein Vater ist noch nicht zuhause?“
„Anscheinend nicht. Wahrscheinlich wieder ´nen langer Tag im Büro.“ Ich zuckte mit den Schultern. Es war nicht selten, dass mein Vater erst spät zuhause war.
Den Weg zur Bushaltestelle legten wir schweigend zurück. Ich hatte das Bedürfnis, etwas zu sagen, aber ich wusste nicht was, also schwieg ich.
„Danke, dass du mir Gesellschaft geleistet hast.“
Ich nahm Claire in den Arm und merkte, wie sie nickte.
Ich wartete, bis Claire in ihren Bus eingestiegen war, ehe ich mich auf den Rückweg nach Hause machte.
Kaum war ich wieder allein, dachte ich darüber nach, was Liam zu mir gesagt hatte.
Ich konnte nicht glauben, dass er hier war, ich wollte es nicht glauben.
Ich konnte mir vor allem nicht erklären, warum. Und würde er jetzt länger bleiben, womöglich sogar hier wohnen oder war er nur zu Besuch?
Ich hoffte sehr, dass er nur zu Besuch war. Ich wollte nicht, dass er blieb. Ich hätte mir gewünscht, er wäre nie hier aufgetaucht.
Ich hasste es, dass er mit seinem Auftauchen alle alten Wunden wieder aufriss. Ich hasste, was er mit mir anstellte.
Ich beschloss, noch einen Spaziergang zu machen, um einen klareren Kopf zu bekommen. Wir hatten leider keinen Park oder ähnliches in der Nähe, also musste ich mit unserer Siedlung vorliebnehmen.
Gedankenverloren lief ich durch die Straßen, als ich plötzlich merkte, dass mir jemand folgte.
Nicht dicht, sondern mit viel Abstand, aber trotzdem entging es mir nicht. Leichte Panik stieg in mir auf.
Aber da er nicht so nah war, versuchte ich mir einzureden, dass ich mir das einbilden würde.
Trotzdem lief ich lief die nächste Straße rechts und die darauffolgende Straße links, aber er blieb an mir dran. Ich hatte es mir also doch nicht eingebildet.
Die Panik in mir wuchs. Ich merkte, wie ich schneller atmete und meine Schritte beschleunigte.
Die Straßenlaternen bestrahlten uns von hinten, so konnte ich seinen Schatten sehen, da er mittlerweile nähergekommen war.
Er war etwas größer als ich, soweit ich das aus dem Schatten erkennen konnte.
Er holte langsam weiter auf und verkürzte den Abstand zwischen uns. Ich merkte, wie mein Herz raste und ich überlegte, was ich jetzt wohl am schlauesten machen sollte. Sowas hatte ich bis jetzt nur im Fernsehen gesehen. Was tat man, wenn einem das in echt passierte? Sollte ich irgendwo klingeln und um Hilfe bitten oder meinen Vater anrufen oder am besten gleich die Polizei? Die Polizei wäre wahrscheinlich die beste Idee, entschied ich und griff nach meinem Handy in der Hosentasche.
Ich holte es raus und stellte fest, dass es aus war.
Akku alle. Ich hatte vergessen es aufzuladen, mal wieder.
Ich verfluchte mich innerlich und die Panik kam zurück. Damit blieb mir nur noch übrig, tatsächlich irgendwo zu klingeln und um Hilfe zu bitten. Ich schaute mich gerade nach einem geeigneten Haus um, wo noch Licht brannte, als eine Windböe von hinten kam und einen Duft mitbrachte, der mir zwar bekannt vorkam, den ich aber erst nicht zuordnen konnte.
Ich brauchte kurz, doch dann traf mich die Erkenntnis und ich blieb so abrupt stehen, dass er in mich hineinlief. Etwas war an daran anders.
Ein anderes Parfüm überdeckte seinen Geruch, was es mir etwas erschwerte.
Jegliche Angst war verschwunden und wurde durch Wut ersetzt.
„Ist das nicht etwas erbärmlich, seiner Ex-Freundin hinterher zu laufen wie ein kranker Psychopath?“
Er seufze. Ein Schauer lief mir den Rücken runter. Ich hatte recht mit meiner Vermutung.
„Was soll ich denn machen? Du redest ja nicht mit mir.“
Ich drehte mich um und stand direkt vor ihm. Zwischen uns passte gerade mal ein Blatt Papier. Ich musste scharf einatmen und versuchte, das Kribbeln in meinem Bauch zu ignorieren.
Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen, damit ich ihn ansehen konnte. Ich sah in seine grünen Augen und merkte, dass ich vergessen hatte, wie gut er aussah. Ich schluckte.
„Ja, Liam, denn es gibt nichts, was wir beide zu bereden hätten. Das mit uns ist Geschichte. Dafür hast du damals gesorgt.“
Ich wollte mich umdrehen, doch er hielt mich am Handgelenk zurück. Ich merkte, wie er mit dem Daumen über mein Armband strich, das ich seit jenem Abend, an dem er es mir geschenkt hatte, immer trug. Ich nahm es nicht einmal zum Duschen oder Schlafen ab.
Es war ein dünnes geflochtenes Stoffarmband. In regelmäßigen Abständen waren blaue Perlen aufgefädelt und als Hingucker hatte es einen Anhänger in Form einer Welle.
„Warum hast du das dann noch?“, fragte er mich mit weicher Stimme.
Da war sie wieder, die Gänsehaut.
„Ich möchte, dass du das hier bekommst. Es soll dich immer an mich und an uns erinnern. Weil deine Augen, genauso wie du, einzigartig sind. Weil ich dich liebe. Weil ich froh bin, dich in meinem Leben zu haben.“
Es lief mir eiskalt den Rücken runter, als ich mich daran zurückerinnerte.
Ich hatte meeresblaue Augen. Das war das Einzige, was ich wirklich an mir mochte und es war das, was andere an mir besonders begeisterte und das Erste, was man an mir bemerkte.
„Ich habe es behalten, weil ich es schön finde.“, log ich. Ich wusste, dass ich mir mit meiner Antwort zu viel Zeit gelassen hatte, sodass Liam klar war, dass ich log.
Denn die Wahrheit war, dass es mich daran erinnern sollte, wie unglaublich schön es damals war, wie sehr ich ihn geliebt hatte und es womöglich immer noch tat.
Ich stellte mir oft vor, wie unser Leben abgelaufen wäre, wenn das Schicksal nicht dazwischengefunkt hätte. Wenn alles gut gegangen wäre.
Wo würden wir dann jetzt sein?
Ich war enttäuscht von mir selbst.
Ich hatte mit einer solch großen Mühe versucht, Liam zu vergessen und war der Meinung, ich hätte es geschafft, doch jetzt, wo er so dicht vor mir stand, brodelten alle Gefühle wieder hoch. Die guten sowie die schlechten.
Ich bekam weiche Knie und mein Herz schlug Purzelbäume.
Ich versuchte mich krampfhaft dagegen zu wehren, aber ich merkte, dass ich es nicht schaffte.
Er erwiderte nichts auf meine Antwort. So standen wir einfach schweigend da und sahen uns nur an. Er schaute mir fest in die Augen und ich konnte nicht anders, als seinem Blick standzuhalten.
Er hielt mich immer noch am Handgelenk. Ich hätte mich von ihm lösen sollen und nach Hause gehen sollen, aber ich konnte nicht.
Meine Beine gehorchten mir nicht.
Plötzlich flackerte etwas in seinen Augen auf und in der nächsten Sekunde hatte er mich schon an sich gezogen und küsste mich. Ich merkte, wie er sanft seine Lippen auf meine legte und so nach Erlaubnis fragte.
Ich hätte es besser nicht tun sollen, aber ich ließ es zu.
Ich hatte ihn so sehr vermisst, jedoch wusste ich tief in mir, dass nichts mehr war wie es mal gewesen war. Gefühle hin oder her. Damals ist so viel passiert, was nie wieder gut zu machen war.
Morgen früh würde ich es bereuen, aber für heute Nacht wollte ich einfach vergessen. Und zwar alles, was passiert war.
Ich merkte, wie die Sonne mich warm im Gesicht streichelte.
Ich blinzelte und brauchte einen Moment, bis ich mich erinnerte, wo ich war.
Schlagartig setzte ich mich auf und sah nach rechts. Liam lag bäuchlings mit dem Gesicht zu mir gewandt, die weiße Hotelbettdecke schlang sich ihm um die Hüfte. Sein Atem ging regelmäßig, seine Augen waren geschlossen, er schlief also noch. Gut. Mein Herz raste trotzdem so schnell, dass ich Angst hatte, er würde davon wach werden.
Ich schaute mich in dem kahl eingerichteten Hotelzimmer um und war beruhigt, dass er zurzeit in einem Hotel wohnte. Das bedeutete, er würde nur kurz hierbleiben. Ich hoffte es zumindest. Und dem Hotel nach zu urteilen hatte er sich genug Geld von seinen Eltern genommen, um dies hier bezahlen zu können.