Go West - Reise durch die USA - Sandy und Gina Rau - E-Book

Go West - Reise durch die USA E-Book

Sandy und Gina Rau

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Beschreibung

Die 17-jährigen Zwillinge Sandy und Gina wollen Abenteuer! Und wie erlebt man die am besten? Indem man vier Wochen die Ostküste der USA bereist. Und so machen sich die beiden auf, eine andere Welt zu erkunden und viele nette Menschen kennenzulernen. Sie fahren in einem rosa Cadillac durch New York, lassen sich von Delfinen durchs Meer ziehen, genießen den Sonnenuntergang am Mallory Square in Key West, fliehen vor einer wütenden Alligatorenmama, baden im puritanischen Amerika nackt im Pool, erleben einen Hurricane hautnah mit und verbringen eine unvergessliche Zeit! Reisebericht, Ratgeber und amüsant-spannende Geschichte in einem!

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Seitenzahl: 325

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Inhalt

CoverInhaltÜber die AutorinnenTitelImpressumVorspannKarte der USAReiserouteWhat’s up, Gina?ManhataCadillacs und GhettoblasterSquirrelsChincoteagueViel WindMini-TurtlesWinzlinge im NebelCayosPapas

Über die Autorinnen

Die Zwillinge Sandy und Gina Rau haben während ihrer Schulzeit eine Reise durch die USA gemacht. Nach dem Abitur waren sie dann ein Jahr als Backpacker in Australien unterwegs und haben sich entschlossen, Australierinnen zu werden. Gina hat einen Master of Science in Biologie gemacht und erforscht das Verhalten von Opossums, Sandy studiert Fashion Design. Die beiden leben in Adelaide, Australien.

Sandy und Gina Rau

Go West

Reise durch die USA

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2012/2015 Baumhaus Verlag in der Bastei Lübbe AG, Köln

Literarische Umsetzung: Micha Rau, www.micha-rau.org

Lektorat: Barbara Rumold, Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München,

unter Verwendung von Motiven von © getty-images/Amanda Hall;

© FinePic®, München; © getty-images/Jamie Grill

Autorenfoto: © Sandy und Gina Rau

Karte: Reinhard Borner, Wipperfürth

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-8387-1646-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Anmerkung der Autorinnen:

Dieses Buch beruht auf wahren Ereignissen. Um den Erzählfluss zu gewährleisten, mussten wir allerdings die Chronologie des Handlungsverlaufs das eine oder andere Mal verschieben. Die Namen der meisten uns begleitenden Protagonisten entspringen der Fantasie, nicht aber deren reale Vorbilder. Und natürlich können siebzehnjährige Gymnasiastinnen in der Regel nicht so perfekt Englisch sprechen, wie es in den Dialogen rüberkommt. Aber wir haben uns entschieden, die Originalversion der verständlichen Übersetzung zu opfern, damit ihr mehr Spaß habt. Wir hatten ihn jedenfalls. Und da wir Zwillinge sind, wechseln wir uns in jedem Kapitel mit der Erzählung ab, denn wir haben ja schließlich beide viel zu sagen.

Und jetzt: Come on, guys, have fun!

Besucht uns auch auf unserer Website www.ginaundsandyrau.de

Reiseroute

Newark/New York – Washington – Chincoteague Island – Virginia Beach – Outer Banks, North Carolina/Kill Devil Hills – Myrtle Beach – St. Augustine – Palm Beach – Homestead – Everglades – Key Largo – Grassey Key, Marathon – Key West

Die Entfernungen sind amerikanisch in Meilen angegeben. Wenn ihr es umrechnen wollt: 1 Meile entspricht etwa 1,6 Kilometern.

What’s up, Gina?

Es würde eine langweilige Reise werden, so viel stand fest. Unsere Eltern und die Schule hatten das organisiert. Ihr wisst, was ich meine. Was sollte da schon bei rumkommen? Vier Monate Schüleraustausch in New Jersey. Okay, New York liegt gegenüber, das war wenigstens etwas.

Aber sonst? Wir würden zwar in Amerika sein, aber vier Monate zur Schule gehen wie zu Hause auch, und vier Monate bei Trish und ihren Eltern wohnen. So wie Trish es gerade bei uns tat. Und jene zehn Wochen, die Trish bei uns verbrachte, waren nicht sonderlich aufregend. Na ja, für uns nicht, für sie vielleicht schon. Da sie bei uns lebte, musste sie Vollkornbrot zum Frühstück essen, was ihr nicht unbedingt behagte, denn Amerikaner kennen ausschließlich labbriges Brot in Form von viereckigen Gebilden, die man in den Toaster stecken muss. Einen Bäcker sucht man in Amerika vergeblich, es sei denn, es handelt sich um einen deutschen Auswanderer, der sich in den USA niedergelassen hat. Trish kaute also mit unglücklichem Gesicht auf ihrem Vollkornbrot herum, und wenn sie damit fertig war, nahmen wir sie mit zur Schule, wo sie gemeinsam mit neunzehn Klassenkameraden, die mit ihr aus ihrem Heimatort Fairmount zu uns nach Deutschland gekommen waren, versuchte, dem Unterricht zu folgen. Das meiste, was sie verstand, war Bahnhof. Die Schule war für sie vermutlich genauso aufregend wie für mich einst der Konfirmandenunterricht im Gemeindehaus bei Pfarrer Dornberg.

Wenn die Schule aus war, begleitete sie uns zu unseren Freundinnen, am Wochenende auf die eine oder andere Party, und wenn wir Jazzdance-Training oder eine Aufführung hatten, kam sie mit und schaute uns zu. Da sie nicht gerade … hm … schlank war, hing sie meist auf einem Stuhl herum, sprach ein paar Brocken Deutsch und trank Cola.

Wenn man einen Schüleraustausch macht, soll man Land und Leute kennenlernen und etwas erleben. Na ja, vom Land lernte Trish einiges kennen, den Weg zur Schule und zurück zum Beispiel oder den zum Einkaufszentrum, zur Sporthalle und zu der einen oder anderen unserer Freundinnen. Ach, ich vergaß den Weg zum ersten und letzten Museum, das wir mit ihr besuchten. Unsere Eltern wollten ihr etwas Kultur nahebringen, aber nach diesem einen Versuch hatten sie es wieder aufgegeben, denn Trishs Gewicht hatte nicht mehr als zwei Ausstellungsräume durchgehalten.

Ich mochte Trish. Sie konnte besser mit dem Computer umgehen als wir, vor allem mit Computerspielen. Und sie kannte Seiten im Internet, von deren Existenz wir vorher echt keine Ahnung gehabt hatten. Und meine Eltern auch nicht. Da Trish zudem wusste, wie man den Browserverlauf löschte, hatten wir durch sie zwei wesentliche Dinge fürs Leben gelernt.

»Gina«, sagte sie manchmal zu mir. »Deutschland ist eigentlich nicht viel anders als Amerika.«

Nun ja, da sie sich nicht allzu viel bewegte, konnte sie auch nicht sonderlich was kennenlernen. Aber vielleicht hatte sie ja recht. Was ihr auffiel, war, dass wir nicht so viele drive throughs hatten wie die Amerikaner. Zum Bäcker, zur Bank, zum Essen … in Amerika fährt man da nicht nur hin, sondern auch gleich rein, oder wenigstens langsam durch, während einem Angestellte von drinnen alles rausgeben oder in den Wagen werfen. Ich finde das cool. Ab sechzehn darf man da Autofahren! Ich würde gar nicht mehr aus meinem Cabrio rauskommen! Natürlich würde ich ein Cabrio fahren, und zwar einen knallroten 63er Ford Mustang. Die Sache hatte allerdings einen Haken. Erstens besaß ich nicht mehr als fünf Dollar, und zweitens darf man in Amerika zwar mit sechzehn Jahren Autofahren, aber nur, wenn man Amerikaner ist! Wir waren siebzehn und keine Amerikanerinnen. Ein Nichtamerikaner, und das ist ein Deutscher nun einmal, darf erst mit fünfundzwanzig ein Auto mieten. Somit entfiel das Einzige, was einem Jugendlichen in den USA recht früh erlaubt ist, leider für uns. Denn beinahe alle anderen interessanten Sachen darf man erst mit einundzwanzig, zum Beispiel Alkohol trinken …

Als Trish wieder abreiste, stellte ich mir also die vier Monate in New Jersey vor wie vier Monate Urlaub mit Tante Bärbel.

Ein Jahr mussten wir warten, ehe sich unsere Klasse zum Gegenbesuch nach Fairmount aufmachte. Als der Termin näher rückte, deckten uns unsere Eltern mit allerlei Reiseführern und Karten ein. Da konnte man einiges draus lernen. Zum Beispiel, dass ein süßer Nackedei von zwei Jahren, der am Strand mit einer 45er Magnum in der Hand aufgegriffen wird, auf der Stelle verhaftet wird. Aber nicht, weil er einen Revolver dabeihat, sondern weil er nackig herumgekrabbelt ist. Oh Mann, da gäbe es bei uns im Sommer kaum noch kleine Kinder am Strand.

Volljährig ist man im Land der unbegrenzten Möglichkeiten in der Regel mit achtzehn Jahren, so wie in Deutschland. Heiraten kann man in manchen Bundesstaaten schon mit sechzehn Jahren, und Scheidungen gehen recht schnell über die Bühne, in Las Vegas zum Beispiel schon nach sechs Wochen. Wenn man allerdings Geld besitzt, hat man es danach eher nicht mehr, denn Anwälte haben in den USA ein sehr einnehmendes Wesen. Ein Reiseführer gab dem Leser den Rat, in jedem Fall eine gute Privathaftpflichtversicherung abzuschließen, mit einer Deckungssumme von mindestens fünfhundert Millionen Dollar, wenn man nicht riskieren möchte, in Guantanamo zu landen. Ich fragte meinen Vater, ob wir so eine hätten. Wir hatten, und ich war beruhigt.

Übrigens … auch wenn man älter als einundzwanzig Jahre ist, darf man keinen Alkohol unverpackt und sichtbar im Auto liegen lassen. Auch nicht, wenn man selbst stocknüchtern fährt und der Einkauf auf dem Rücksitz liegt. Erwischt einen ein Cop, landet man im Knast. Dasselbe gilt fürs Alkoholtrinken auf offener Straße. Die Flasche oder Büchse darf nicht als solche erkennbar sein, sprich: Man muss sie verpacken. Daher sieht man überall Leute mit Flaschen herumlaufen, die in braune Papiertüten eingewickelt sind. Dann darf man sich auch in Ruhe betrinken.

Merkwürdig, diese Amerikaner. Wir packten die Reiseführer beiseite. Und das war gut so. Denn wie es wirklich abgeht in diesem scheinbar demokratischsten Land der Welt, das kann man nur erfahren, wenn man es selbst erlebt. Außerdem hatten wir ja Trish. Die würde es uns schon zeigen. Nun ja, vier Monate mit der trägen Trish … allzu viel würden wir wohl nicht zu sehen bekommen. Vier Monate mit Tante Bärbel in Amerika. Na toll.

Doch es kam anders.

***

Als ich durch den Security Check ging, musste ich meine Cola in den Container werfen. Sie schien flüssigen Sprengstoff zu enthalten, was mir gar nicht aufgefallen war. Hm, wenn denn alle Getränkedosen in diesem Container Sprengstoff wären, müsste das doch eigentlich ausreichen, den gesamten Flughafen zu atomisieren. Aber das war den Acht-Euro-die-Stunde-Sheriffs am Gate egal. Hauptsache, man ging ohne was zu trinken in den Wartebereich. Ach ja, und ohne Parfum, Rasierwasser, Sonnen- und Gleitcremes. Es sei denn, dozierte der Marshall der Terrorabwehrstreitkräfte, man packt sie in eine durchsichtige Plastiktüte, die man für günstige fünf Euro an der gegenüberliegenden Seite des Terminals erwerben könne. Dann sei der Sprengstoff schön sichtbar, und es wäre kein Problem.

Ich musste an Trish denken. Sie hatte tatsächlich recht gehabt. Amerika und Deutschland unterscheiden sich echt nicht. Aber das konnte ich ihr ja zwölf Stunden später selbst sagen, denn dann würden sie und ihre Familie uns vom Flughafen Newark abholen. Neunzehn weitere Familien würden auf unsere Klassenkameraden warten und uns dann in New Jersey in alle Winde verstreuen. Na ja, nicht ganz, denn sie wohnten allesamt im Umkreis von Fairmount, schließlich besuchten die Kids dort unsere Partnerschule. Wir würden uns also nur in der Schule und zu gemeinsamen Ausflügen sehen. War ja auch Absicht, schließlich sollten wir unser Schulenglisch während des Aufenthalts in den Gastfamilien verbessern. So wie Trish ihr Schuldeutsch. Okay, Auf Wiedersehen und Scheiße hatte sie jetzt drauf.

Zwei Lehrer begleiteten uns übrigens auch, Frau Meyer für uns Mädchen und Herr Lange für die Jungs. Die wohnten ebenfalls bei zwei der Gastfamilien, aber Gott sei Dank nicht bei unserer. Ich war froh, mal vier Monate ohne Aufsicht meiner Eltern zu sein. Die wiederum winkten uns begeistert zu, als uns der Sicherheitsdienst endlich überall abgefummelt hatte und Sandy und ich in den Wartesaal zu den anderen schlendern konnten. Meine Mutter warf uns doch tatsächlich Kusshändchen zu! Mein Gott, war das peinlich! Glücklicherweise war ich die Letzte, sodass keiner der anderen etwas mitbekam. Ich war siebzehn Jahre alt, einen Meter sechsundsiebzig groß und damit ausgewachsen. Das bekommen Mütter wohl erst mit, wenn ihre Töchter sie zu Omas machen.

Ich lächelte gequält, hob den Arm zum Gruß und verschwand um die Ecke.

»Na, hat Mami dir auch genügend Höschen eingepackt?«, fragte unsere beste Freundin und Reisegefährtin Shanine und grinste.

»Ich hab sie in den Container für Sexbomben geworfen«, erwiderte ich. Sie hielt mir die Hand hin, und ich schlug ein.

»Hey, vier Monate Freiheit und scharfe amerikanische boys!«

»Vergiss Meyer und Lange nicht!«, warf ich ein.

»Die wohnen bei Emilia und Robert«, meinte meine Freundin trocken. »Da gehören sie auch hin.«

»Hör mal«, grummelte ich, »wenn die da drüben alle so kräftig sind wie die aus Trishs Klasse, wird es nichts mit den amerikanischen boys.«

»Ist halt ’n Stück mehr Arbeit«, erwiderte Shanine ungerührt.

»Soll auch schlanke boys geben«, kam es von Sandy.

»Amerika ist ein weites Land«, stöhnte ich. »Und ich darf noch nicht Auto fahren.«

In dem Moment rief eine Angestellte der Airline unseren Flug auf, und ich kramte meinen biometrischen Pass hervor, um ihn zum dreiundzwanzigsten Mal checken zu lassen, bevor wir in die Maschine steigen konnten. In die USA könnt ihr übrigens nicht mehr mit eurem alten Reisepass fliegen, selbst wenn er noch gültig ist. Nein, es muss ein biometrischer sein. Als ich auf dem Einwohnermeldeamt war, wurden meine Fingerabdrücke genommen, und ich brauchte eins von diesen furchtbaren neuen Fotos, auf denen man nicht lächeln darf.

Außerdem mussten wir ein Visum beantragen und uns ein Gesundheitszeugnis ausstellen lassen.

»Das reicht nicht«, raunzte mich die Flugbegleiterin an. Mir rutschte das Herz in die Hose. Aus mit der Amerikareise. »Ihr Ticket, bitte!«

Mit einem unterdrückten Fluch holte ich auch noch das Ticket hervor, und dann endlich konnte ich Sandy folgen, die der Schlauch, der uns Touristen ins Flugzeug pumpte, bereits verschluckt hatte.

Als ich neben Shanine in Reihe dreizehn auf Sitz C plumpste, hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass diese Reise nicht unbedingt so verlaufen würde, wie unsere Eltern sich das vorgestellt hatten. Wir schnallten uns an, und dann ging’s los.

Nach Frankfurt.

***

Wenn man das erste Mal nach Übersee fliegt, lernt man schnell, was ein Direktflug, was ein Stopover und was ein Nonstopflug ist. Wir hatten einen Direktflug gebucht. Das bedeutet, dass man nicht direkt fliegt, sondern zum Beispiel wie wir über Frankfurt/Main nach Newark. Fragt mich nicht, warum. Es kann noch schlimmer kommen. Wollt ihr, sagen wir, nach Fort Lauderdale in Florida fliegen, fliegt ihr möglicherweise von Berlin nach London, von da aus zum John-F.-Kennedy-Flughafen in New York, da steigt ihr um nach Atlanta, um von dort nach sechs Stunden Aufenthalt nach Fort Lauderdale zu düsen. Wenn ihr ankommt, seid ihr halb tot, es ist nach Mitternacht, es gibt keine Mietwagen, keine Taxis und keine Hotelshuttles mehr, und ihr werdet verhaftet, weil ihr einen hochtoxischen Pfirsich illegal in eurem Rucksack in die USA eingeführt habt.

Doch ich wollte ja vom Direktflug erzählen. Hab ich jetzt. Also, ein Direktflug bedeutet nur, dass man nicht irgendwo übernachten muss, jedenfalls nicht in einem Hotel. Auf einem Flughafen schon. Es bedeutet weiterhin, dass man sein Gepäck nicht zwischendurch aus- und einchecken muss. In den USA kann euch aber genau das passieren – aufgrund der Sicherheitsbestimmungen, die wegen Osama Bin Laden eingeführt wurden. Wenn man dann weniger als drei Stunden Zeit hat, seinen Anschlussflug zu kriegen, hat man verloren.

Also: Direktflug: nicht direkt, aber irgendwie hin.

Stopover: Man übernachtet irgendwo, meist in tropischen Gewächshäusern.

Nonstop: Man fliegt echt direkt, es sei denn, der Vogel stürzt ab.

So, ich saß also jetzt mit meiner Schwester und neunzehn aufgeregten Klassenkameraden im Flieger, der nonstop von Frankfurt nach Newark unterwegs war. Da wir nicht Businessclass, sondern Holzklasse gebucht hatten, dauerte es mit dem Essen entsprechend lange. Ich hatte mittlerweile gewaltigen Kohldampf. Shanine wiegte den Kopf zu den Klängen ihres iPods hin und her, doch mir blieben nur Donalds Abenteuer aus den Fünfzigern auf dem Flugzeugmonitor schräg vor mir, da ich blöderweise vergessen hatte, den Akku meines eigenen iPods aufzuladen. Da endlich näherten sich aus Reihe neununddreißig kommend die hübschen, sich in Altersteilzeit befindlichen Flugbegleiterinnen mit dem Essenswagen.

»Chicken or beef … chicken or beef … chicken or beef …?«

Die Frage wiederholte sich etwa hundertachtunddreißig Mal, ehe die Mädels bei Reihe dreizehn angelangt waren.

Es gab nur noch beef. Das beef sah aus wie ein breit getretener Schafskötel. Es roch auch so. Ich fragte, was es noch gäbe, und die weißhaarige Flugbegleiterin antwortete mit einem dieser George-Bush-Pressekonferenz-Lächeln, wenn er nach den Massenvernichtungswaffen des Irak gefragt wurde, dass sie nur noch ein koscheres Menü oder Gemüsebrei anbieten könnte.

Ich nahm den Schafskötel.

Nach dem unvergleichlichen Mahl schenkte man uns weiße und grüne Karten, die Einreiseformulare und die Zollerklärungen. Eine Lautsprecherdurchsage ermahnte uns, sie sorgfältig auszufüllen, da es sonst Ärger bei der Kontrolle geben könne. Ich sollte also erklären, dass ich einreisen wollte. Dabei flog ich doch von Deutschland nach Amerika. Was sollte ich sonst tun wollen? Okay, Name, Geburtsdatum, Wohnort und Zieladresse einzutragen war kein Problem. Aber dann. Die CIA wollte wissen, ob ich an einer Geschlechtskrankheit litt, ob ich überhaupt schon mal was mit Jungs hatte, ob mein Herz weniger als fünfzig Mal in der Minute schlagen oder ich an Fußpilz laborieren würde, und ob ich beabsichtigte, einen Terroranschlag zu verüben. Mich reizte es ja ungemein, da irgendwo ein Ja anzukreuzen, aber ich verneinte brav alle Fragen, obwohl ich das mit dem Herzen nicht so genau wusste.

Dann das grüne Formular. Die Zollerklärung. Führte ich mehr als zehntausend US-Dollar ein? Wenn ja, hätte unsere Maschine auf der Stelle umkehren müssen. Ich überlegte eine Weile, aber nein, mehr als zehntausend Dollar hatte ich nicht dabei. Da war ich mir eigentlich sicher. Nächste Frage: Hatte ich Geschenke im Wert von mehr als zehn Dollar dabei? Mir wurde heiß. Unsere Mutter hatte für Trish und ihre Familie Gastgeschenke in meinen Koffer gepackt! Für Trish und ihre beiden Geschwister je eine Büchse, gefüllt mit Berliner Luft, und für ihre Eltern zwei Mauersteine, garantiert 1989 von echten Mauerspechten aus der Berliner Mauer herausgehauen. Dazu noch zwei Kaffeebecher mit dem Brandenburger Tor als Motiv. Ich beschloss, dass der Krempel absolut nichts wert war, und kreuzte Nein an.

Als das Ausfüllen der Karten erledigt war, wollte ich Shanine anstoßen und ein bisschen Blödsinn labern, aber meine Freundin war eingenickt und sabberte mit schief gelegtem Kopf vor sich hin. Sandy saß vier Reihen hinter mir, also schaute ich mir weiterhin Donalds Abenteuer an. Danach lief Bodyguard mit Whitney Houston. Der Film war derart langweilig, dass ich schließlich selbst wegdöste.

Als mich die Flugbegleiterin an der Schulter rüttelte, hatte unser Flieger seine Reiseflughöhe bereits verlassen, und wir befanden uns im Landeanflug. Ich hatte doch tatsächlich mehr als fünf Stunden geschlafen!

»Ihre Karten bitte.«

Ich reichte stolz meine penibel ausgefüllten Formulare hinüber und erntete einen grimmigen Blick.

»Das geht so nicht.«

»Was? Wieso nicht?«

»Sie müssen das in Druckbuchstaben ausfüllen! Haben Sie die Durchsage nicht gehört?«

Hatte ich nicht. Shanine auch nicht. Sie reichte uns mit ihrem George-Bush-Lächeln neue Formulare, und wir schafften es gerade noch so, die Dinger korrekt auszufüllen, bevor die Maschine aufsetzte. Als das Fahrgestell amerikanischen Boden berührte, klatschten Shanine und ich uns ab.

»Yes, we did it!«, rief meine Freundin grinsend.

Als wir aus dem Fenster schauten, erblickten wir einen riesigen gesichtslosen Flughafen. Amerikanisch sah das nicht aus. Aber was hatte ich erwartet? Einen fly through? Doch zwanzig Minuten später lernte ich, wie es auf amerikanischen Flughäfen wirklich zugeht. Denn noch waren wir nicht im Land. Nur auf dem Flughafen. Und der ist nach amerikanischem Gesetz Kriegsgebiet.

Als wir die riesige Abfertigungshalle betraten, dachte ich, mich trifft der Schlag. Dutzende von schwerbewaffneten Polizisten bewachten mindestens tausend Passagiere, die schon da waren, und noch einmal so viele, die durch die Eingänge hereinströmten. Man kanalisierte die Gefangenen, indem man sie durch labyrinthartig angelegte Wege schleuste. So drängelte niemand, und es sollte wohl dadurch schneller und geordneter zugehen.

Als wir nach ungefähr anderthalb Stunden den Kontrollpunkten näher kamen, die wie Kassen in einem Supermarkt nebeneinander aufgebaut waren, bemerkte ich, dass mehrere Beamte mit süßen Hundchen an der Leine die Reihen der Passagiere entlangschlenderten. Die Tiere steckten ihre Nasen in jeden Rucksack und jede Tasche der Reisenden. Plötzlich gebärdete sich einer der Hunde wie wild und schien einen besonders schönen Rucksack am liebsten auffressen zu wollen. Während ich immer näher zum Schalter vorrückte, sah ich, wie der Beamte den Rucksackbesitzer aus der Reihe holte und wegbrachte.

Sandy stieß mich an. »Der hat bestimmt Rauschgift geschmuggelt!«

Ich gab meinem eigenen Rucksack einen Schubs mit dem Fuß, um ihn ein Stück weiterzubefördern. Vor mir waren nur noch Herr Lange und Philipp, dann war ich an der Reihe.

»Rauschgift hab ich extra nicht mitgenommen«, sagte ich ernst. »Nur ein paar Kondome.«

Shanine riss die Augen auf. »Echt?«

»Hm. Ich geb dir eins ab, falls du es brauchst.«

»Mann, danke! Du bist eine echte Freundin.«

»Stimmt, bin ich. Ach, Shanine …«

»Ja?«

»Das war ein Scherz. Alles, was ich an Gummis dabei hab, sind Gummibärchen.«

»Na toll. Dann bist du schuld, wenn ich zu früh Mutter werde.« Sie stieß mich an. »Los, du bist dran!«

Tatsächlich, Philipp war durch, und der Beamte gähnte gerade vor Langeweile. Ich nahm meinen Rucksack auf und trat einen Schritt vor.

»Stop!«

Ich erstarrte. Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Hüne von Cop neben mir und deutete auf meine Füße.

»Gehen Sie bitte erst weiter, wenn Sie dazu aufgefordert werden!«

Ich begann zu schwitzen. Ich hatte den unverzeihlichen Fehler begangen, über die Linie zu treten, bevor ich das auch durfte. Hastig zog ich meinen Fuß zurück.

»First time in the United States?« Der Cop griente. Ich stammelte ein »Yes!«. Der Cop nickte gutmütig und wies mit der Hand auf seinen Kollegen.

»Now it’s your turn.«

Ich vergewisserte mich, dass ich nun wirklich gehen durfte, und trat vor den Mann am Schalter.

»Hi! Your passport, your ticket and your immigration forms, please.«

Ich reichte ihm das Gewünschte und wartete. Doch er war noch nicht fertig.

»Please look straight into the camera!« Ich betrachtete verständnislos die fest auf ein Stativ montierte Kamera. Ehe ich zucken konnte, hatte der Typ ein Foto von mir gemacht.

»And now press your fingers in here, please!«

Die nahmen doch tatsächlich auch noch meine Fingerabdrücke! Während ich meine Fingerspitzen auf das kleine Glasfensterchen drückte, warf ich einen hilflosen Blick auf Sandy. Aber die hatte ganz andere Probleme. Der Hund des Cops, der mich vorhin über die Linie zurückgezogen hatte, interessierte sich sehr für den Rucksack meiner Schwester. Mit einem Mal begann er freudig zu bellen. Sandy wurde blass. Oh Mann, eben hatten wir noch gescherzt, und jetzt war es meine eigene Schwester, die Drogen schmuggelte? Ich war baff. Nun inspizierte der Mann den Rucksack aufs Penibelste, während der Hund mit treuen Augen zu seinem Herrchen aufschaute und Sandy der Todesstrafe entgegensah. Schließlich schien der Polizist das Kokain gefunden zu haben. Triumphierend hielt er Sandy einen Apfel vor die Nase.

»Es ist nicht erlaubt, Lebensmittel in die Vereinigten Staaten von Amerika einzuführen. Ich muss diesen Apfel konfiszieren. Ist das in Ordnung, Ma’am?«

Sandy nickte mechanisch. »Ja … yes, doch.«

Der Cop schritt hinüber zu einer großen Tonne und warf den Apfel hinein zu seinen Brüdern. Mir tippte einer auf den Arm, und ich fuhr zusammen.

»Welcome to the United States!«, sagte der Schalterbeamte freundlich und reichte mir meinen Pass und mein Ticket. »Have fun!«

»Thank you, Sir!«, stotterte ich. Der war jetzt richtig nett. Dann winkte er Sandy, die gerade noch mal der Isolationshaft entgangen war. Ich entfernte mich ein paar Schritte vom Schalter und wartete auf sie und die anderen. Als auch der Letzte unserer Gruppe die Prozedur überstanden hatte, stand es fest:

Wir waren in Amerika!

***

»What’s up, Gina?«, begrüßte mich Trish und umarmte mich, was mir wiederum nicht gelang, da ihre Leibesfülle meinen Armen Grenzen setzte. Einundzwanzig Schüler und zwei Lehrer wurden von zwanzig amerikanischen Familien abgeholt, die jede aus mindestens sechs Personen bestand. Da waren nicht nur Eltern und Geschwister mitgekommen, sondern auch Freunde und Nachbarn. Der Empfang war so herzlich, dass er meine Eindrücke vom Flughafen augenblicklich verblassen ließ. Trishs Eltern waren nicht minder füllig, aber ihre Schwester Liz und ihr Bruder Daniel waren zu meiner Überraschung gertenschlank. Mir war die ganze Familie auf Anhieb sympathisch.

»You must be Gina!«, empfing mich Trishs Vater und quetschte mit seiner fleischigen Pranke meine Hand. »My name is George, and this is my wife Lisa.«

»Nice to meet you!«

Trish hatte ihre Freundin Amanda mitgebracht und Liz ihre Freundin und Nachbarin Susan. Wir umarmten uns alle, als würden wir uns schon Jahre kennen, und wenn ich so einen Blick in die Runde warf, stellte ich fest, dass eigentlich alle Familien die gleiche Herzlichkeit ausstrahlten.

Über hundert Leute blockierten jetzt den Eingang zum Terminal. Schließlich baten uns zwei nette Flughafenangestellte, doch bitte den Weg freizugeben. Nachdem Herr Lange und Frau Meyer letzte Anweisungen gegeben hatten, zerstreute sich die Meute in Richtung Parkplatz. Sandy und ich verabschiedeten uns von Shanine und den anderen und folgten unserer Lebensabschnittsfamilie zu ihrem Wagen. Da Amerikaner des Laufens nicht sehr mächtig sind, nahmen wir einen Shuttle vom Terminal zum Parkplatz. Das war im Übrigen kein Parkplatz, das war ein Parkgebiet, eine Parkregion, ein Parkbundesland. Der Parkplatz war so groß, man hätte auf ihm einen unabhängigen Staat gründen können. Wer sich hier die Reihe und den Stellplatz nicht merkte, würde sich ein neues Auto kaufen müssen.

Der Shuttle hielt, und wir wuchteten unsere Koffer hinaus. George öffnete die Türen eines Vans, der so riesig war, dass er bei der Evakuierung eines ganzen Stadtviertels hätte behilflich sein können. Es war ein Dodge. Wie viele Sitzplätze das Ding hatte, weiß ich nicht mehr. Aber als George, Lisa, Liz, Amanda, Trish, Daniel, Susan, Sandy und ich drin waren, war er noch leer.

George ließ erst den Motor an, als wir alle angeschnallt waren. Der Sound war der Hammer. Die acht Zylinder blubberten vor sich hin, dass es an einen Schiffsmotor erinnerte. Das war genau der Klang, den ich mir für meinen Mustang wünschte, wenn ich denn irgendwann einmal mit wehenden Haaren über die highways in Deutschland fahren würde! Dann ging die Klimaanlage an, und das Ding pustete arktische Luft ins Innere. Ich bekam auf der Stelle eine Gänsehaut, aber außer Sandy schien das niemanden im Geringsten zu stören. Nach einer Woche in den USA wusste ich, dass alle Autos, Busse, Supermärkte und Geschäfte auf -10 Grad Celsius, vielleicht auch Fahrenheit, eingestellt sind. Da siebenundsechzig Prozent der Amerikaner eine dicke Isolierschicht aus Körpergewebe mit sich herumtragen, fällt denen das nicht weiter auf.

Es ging los, und Trishs Vater steuerte seinen Van vom Flughafengelände herunter. Begierig nahm ich alles auf, was ich an Eindrücken während der kurzen Fahrt nach Fairmount sammeln konnte. Fairmount liegt nicht weitab von Newark, ist quasi ein Vorort.

Um es gleich zu sagen: Der Zubringer zum Flughafen und die darauffolgenden Straßen, die wir entlangfuhren, waren weder schön noch ansehnlich, sondern grottenhässlich. Flache, oft leer stehende Gewerbegebäude, teilweise zugewachsene Grundstücke, viele mit For-Sale-Schildern versehen. Hier und da ein Autowrack. Riesige Reklamewände und Strommasten. Amerika ist dermaßen groß, würde man da alle Stromleitungen unterirdisch verlegen, wäre der Staat auf Anhieb pleite. Da er das sowieso schon ist, bleibt es eben bei den altmodischen Masten, die bei jedem Hurrikan, Blizzard oder Eisregen umfallen und die Leute ohne Strom dastehen lassen.

Also, der erste Eindruck von Newark war nicht so doll. George bemerkte mein Gesicht im Rückspiegel und lachte.

»Keine Sorge, das sieht nicht überall so aus.«

»Okay«, sagte ich und war gespannt. Als wir Fairmount erreichten, war ich schon weit zufriedener mit der Umgebung. Wir fuhren durch eine Gegend mit typisch amerikanischen Bungalows. Nicht sonderlich schick, aber gepflegt. Als George dann in die Straße einbog, in der sie wohnten, wusste ich, dass ich mich hier wohlfühlen würde. Reihenhäuschen standen dicht beieinander, jedes nicht mehr als zwei Stockwerke hoch. Manche waren verwinkelt gebaut, hatten eine kleine Terrasse und einen ebenso kleinen Vorgarten.

George bog in die Auffahrt ein, und wir waren da.

»This is our castle!«, sagte Lisa stolz. »Welcome home, Sandy and Gina!«

George nahm ächzend unsere Koffer, dafür nahm Liz meine Hand und führte mich in das Reich der Familie.

Als ich neugierig das Haus betrat, musste ich lächeln. In Amerika ist alles ein wenig größer als bei uns. Die Autos, die Autobahnen (interstates haben bis zu sechzehn Spuren!), die Werbung, die Portionen im Restaurant, die Häuser und deren Einrichtung. Trishs Familie besaß riesige Plüschsofas, aus denen man nicht mehr herausfand, einen gigantischen Fernseher, gegen den unser 117er Flachbildschirm lächerlich wirkte, und einen Kühlschrank, in dem man einen Yeti im Ganzen hätte kühlen können. Aus diesem Kühlschrank wurden wir die ganze Zeit über mit den herrlichsten Köstlichkeiten versorgt. Morgens Speck mit Eiern und lecker fettigen Würstchen! Dazu Toast, kein Vollkornbrot! Abends gab es Steaks vom Grill, deren Umfang einen Carnosaurus befriedigt hätte. Kurz, unsere Mutter hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen wegen der ausgewogenen Ernährung, aber für uns war das der Hit.

Sandy schlief bei Liz mit im Zimmer und ich bei Trish. Sie hatten extra für mich eine Couch gekauft, die man zum Schlafen ausziehen konnte. Das einzige Problem war, dass Trish schnarchte wie ein Panzernashorn. Vor allem in den ersten beiden Nächten machte mich das wahnsinnig, denn durch die Zeitverschiebung war ich nachts um drei hellwach.

Dass wir nur fünf Tage bei Trishs Familie wohnen sollten, konnten wir ja noch nicht wissen.

Manhata

Zwei von den fünf Tagen zeigte Liz uns New York. Ja, Liz und nicht Trish. Das hatte zwei Gründe. Erstens war Trish zu träge und Liz machte es Spaß, und zweitens war Liz bereits einundzwanzig Jahre alt und besaß ein eigenes kleines Auto. Und zwar ein für amerikanische Verhältnisse wirklich kleines Auto. Einen Daihatsu irgendwas. Und den benutzten wir als Shuttle von zu Hause zum Bahnhof des Flughafens Newark. Von dort fahren regelmäßig die New-Jersey-Transitbahnen durch einen Tunnel unter dem Hudson River hindurch direkt ins Herz Manhattans zur Pennsylvania Station, die an der 8th Ave und zwischen der 31st und der 33rd Street liegt. Man zahlt sieben Dollar für eine Fahrkarte – das ist der Preis für ein Parkticket in Manhattan. Für eine Viertelstunde, versteht sich. Daher macht es absolut keinen Sinn, das Auto zu nehmen. Es gibt noch einen Grund, und der ist, dass man in Manhattan in der Regel zu Fuß schneller unterwegs ist als mit dem Auto. Ach ja, noch einen: die Metro, die New Yorker U-Bahn, mit der man ohne Probleme zu den meisten Zielen kommen kann.

Als Liz, Gina und ich am Morgen unseres dritten Tages in Fairmount nach Manhattan aufbrachen, hatten wir uns gut vorbereitet. Ich hatte immer noch Probleme mit der Zeitumstellung, daher hatte ich mir um vier Uhr morgens den Reiseführer aus meinem Koffer geholt und das Wichtigste im Schein meiner Nachttischlampe neben der schnarchenden Trish in mich aufgenommen.

New York verbinden die meisten mit Manhattan, vor allem mit der Skyline von der Halbinsel zwischen dem Hudson und dem East River, aber die Stadt besteht aus fünf Stadtteilen: im Norden die Bronx, früher ein heruntergekommenes Viertel voller Kriminalität, das sich heute sehr gewandelt hat und Künstler wie Intellektuelle anzieht; im südlichen Anschluss daran Manhattan, das neben den Wolkenkratzern etwa neunzig Prozent aller Sehenswürdigkeiten beherbergt (jetzt versteht man schon eher, weshalb die meisten Touristen sich nicht aus Manhattan rausbewegen); südöstlich von Manhattan Brooklyn mit seinen Parks, schönen Wohnhäusern, Museen und der Academy of Music. Dann haben wir noch Queens mit seinen Filmstudios und dem bekannten Sportcenter Flushing Meadows, und zuletzt Staten Island, die südwestlich von Manhattan gelegene Insel, die man mit den Fähren von den Anlegestellen südlich der Brooklyn Bridge aus erreichen kann. Auch hier gibt es Museen und dazu noch ein wenig Historisches wie ein Fort oder Richmond Town.

Man könnte sagen, die Leute arbeiten in Manhattan und wohnen in den übrigen Bezirken. Natürlich gibt es auch in Manhattan Wohnraum, doch die Mieten liegen eher im Bereich des Einkommens von Johnny Depp.

Der normale Tourist hat nicht wochenlang Zeit, jeden Winkel von New York City zu ergründen, sondern beschränkt sich meist auf Manhattan. Und das taten auch Liz, Gina und ich, ganz einfach, weil auch wir nur drei Tage Zeit hatten. Wir waren mit unserer Klasse an einem Mittwoch angereist, und die Zeit in der Highschool sollte am darauffolgenden Montag beginnen. Am Dienstag dann wollte sich Liz auf große Tour begeben. Sie hatte diesen Sommer ihren Collegeabschluss gemacht und sollte im Oktober in der Firma ihres Vaters anfangen. Doch sie hatte mit ihm einen Deal ausgehandelt und durfte nun zehn Wochen durchs Land fahren, bevor das Arbeitsleben begann. Zehn Wochen noch mal so richtig einen draufmachen, Mann, das stellte ich mir toll vor. Die Familie hatte Verwandte und Freunde an vielen Orten in den Staaten, und bei einigen von ihnen hatte sich Liz angemeldet, um eine Übernachtungsmöglichkeit zu haben. Ich war richtig neidisch auf Liz. Jedenfalls war das der Grund, warum sie nur drei Tage Zeit für uns hatte.

Als wir in den Zug Richtung Penn Station stiegen, wurden wir Teil eines Durcheinanders aus Menschen verschiedener Nationen. Asiaten, Schwarzafrikaner, Latinos, Bleichgesichter wie wir und jede denkbare Variante dazwischen bevölkerte die Bahn. Mir fiel ein, dass genau das ja das eigentliche Amerika ausmacht und hier nicht unzählige Nationen zusammen Bahn fahren, sondern nur eine einzige. Nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika. Hatten diese Leute hier alle einen amerikanischen Pass oder erträumte ich mir den Idealzustand?

Ich teilte Liz meine Gedanken mit. Sie überlegte einen Moment.

»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich glaube, ihr beschäftigt euch in Deutschland mehr damit als wir. Man sagt ja, dass Amerika ein melting pot ist.«

Sie warf einen Blick in die Runde. Anzugtypen neben T-Shirt, Schwarz neben Weiß, der eine schlief, der andere hörte Musik, der Nächste starrte aus dem Fenster. Genau wie beiuns, schoss es mir durch den Kopf. Nur dass ich es hier bewusster wahrnahm.

»Aber so ganz stimmt das nicht«, warf Gina ein. »Ein Schmelztiegel würde ja bedeuten, dass sich alles miteinander vermischt. Aber das tut es nicht. Da gibt es doch Little Italy, China Town, und noch andere in sich geschlossene Viertel. Irgendwie bleiben die meisten Einwanderer doch lieber unter sich.« Sie grinste mich an. »Unser Vater würde auch komisch gucken, wenn wir einen schwarzen Chippendale abschleppen würden.«

»Echt?«, rief Liz. »Meiner würde sagen: Und? Hat seine Familie Geld?«

Wir mussten lachen. Aber als der Zug in den Tunnel einfuhr, der uns unter dem Hudson hindurch nach Manhattan bringen sollte, kam mir der Gedanke, dass wir zwar vieles sehen, aber manches nicht wahrnehmen.

»Welcome to Manhata!«, entfuhr es mir.

»Manhattan«, verbesserte mich Liz geistesabwesend.

»Liebe Liz«, dozierte Gina mit erhobenem Zeigefinger, ehe ich etwas sagen konnte. »Weißt du nicht, dass Manhattan früher Manhata hieß? Das war zu der Zeit, als das Land noch den Indianern gehörte, und in ihrer Sprache hieß die Halbinsel Manhata.«

Liz schaute Gina verblüfft an. »Das hab ich nicht gewusst. Ist ja der Hammer, da kommt eine Touristin aus Deutschland und bringt mir Geschichte bei!«

»Ja«, erwiderte ich anstelle meiner Schwester mit bierernstem Gesicht, denn ich hatte den Reiseführer ja auch gelesen. »Manhata hieß das Land bis 1629, dann wurde es den Indianern abgekauft.«

»Und Manhata getauft.«

»Nein«, bemerkte ich grinsend. »Die erste Siedlung hieß NieuwAmsterdam, weil Holländer dort Käse anbauten.«

»Du spinnst!«

»Ja«, antwortete ich lachend. »Aber nur mit dem Käse. Der Rest stimmt.«

»Na ja«, seufzte Liz. »Wir lernen in der Schule die Geschichte der USA und nicht die Manhattans.«

»Mach dir nichts draus.« Gina zuckte mit den Schultern. »Wir lernen ja auch die deutsche Geschichte und nicht die Berlins.«

»Touristen wissen sowieso immer mehr als man selbst.«

»Na, dann kannst du uns ja gleich abfragen, wenn wir durch die Stadt ziehen«, schlug ich vor. »Übrigens fahren wir gerade unter dem HudsonRiver durch, und der heißt so, weil Henry Hudson 1609 der erste Weiße war, der Manhata betreten und man kurzerhand den Fluss nach ihm benannt hat.«

Liz’ dunkelbraune Augen blickten schelmisch. »Ich hasse Touristen! Und noch mehr besserwisserische Touristen!«

In diesem Moment fuhr der Zug in die Penn Station ein, und wir konnten endlich, endlich New York betreten.

***

Allein schon die Bahnhöfe New Yorks sind ein Erlebnis für sich. Als ich gemeinsam mit Liz und Gina die Halle der Penn Station betrat, lief ich automatisch langsamer. In jedem Bahnhof der Welt gibt es ein ähnliches Gewusel von Menschen, die hinein- und hinausströmen, eine Weile warten, was essen, was lesen, sich treffen, umarmen, streiten, begrüßen, verabschieden, abreisen und … für mich das Schönste … ankommen. Aber ich war in New York. Das war ein New Yorker Bahnhof. Das amerikanische Stimmengewirr, die Atmosphäre dieser Halle, alles wirkte auf mich wie der Eintritt zu meinen Kinderträumen, die entstanden waren, als ich mir amerikanische Fernsehserien ansah.

»Ist nur ’n Bahnhof!«, kommentierte Liz und dämpfte meine Euphorie. »Los, kommt mit!«

Das taten wir denn auch.

Wenn man nicht langsam auf die Stadt zufährt und sich so an die näher rückende Skyline gewöhnen kann, sondern wie wir aus einem U-Bahnhof kommt und urplötzlich Marmor, Stein, Stahl und Glas auf einen einstürzen, dann bleibt einem die Luft weg. Obwohl die Gebäude in der 33th Street, auf die wir traten, eigentlich nicht sonderlich beeindruckend sind, ist die Architektur doch so anders als bei uns zu Hause. Unzählige Yellow Cabs, die gelben Taxis, standen am Straßenrand oder fuhren die Straße hinunter. Man konnte glauben, dass keine anderen Fahrzeuge in Manhattan zugelassen wären.

Liz sah auf die Uhr. »Halb zwölf. Jede Menge Zeit. Was meint ihr, wollen wir zur Südspitze laufen? Ist allerdings ein gutes Stück zu Fuß. Was haltet ihr von einem Picknick im Bryant Park und einem Spaziergang über den Broadway?«

»Auf dem Broadway bin ich zu Hause«, sagte Gina.

»Na, denn los!«

Liz übernahm die Führung. Ab und zu musste sie warten, weil meine Schwester oder ich stehen blieben und wieder und wieder irgendetwas bestaunten. Wir liefen ungefähr eine Stunde lang die 8th Ave hinunter, und mit jedem Block wurden die Gebäude höher. Allein die Straße hinunterzuschauen war ein Eindruck für sich. Irgendwann hielt ich an, hielt die flache Hand an die Granitplatte eines Wolkenkratzers und starrte nach oben. Liz betrachtete mich amüsiert von der Seite, als ich mit in den Nacken gerecktem Kopf und offenem Mund dastand und wie eine Närrin aussehen musste.

»Wow!«, entfuhr es mir. »Ist ja unfassbar! Wie zum Teufel baut man das? Und was macht ihr bei Erdbeben?«

Liz lachte schallend. »An der Ostküste gibt es keine Erdbeben. Unter Manhattan liegt Felsgestein. Sand würde diese Massen an Gewicht nicht tragen. Und wie man das baut, kann ich dir zeigen.«

»Hä?«, machte ich. »Du baust Wolkenkratzer?«

»Nein, aber ich kenne eine Stelle, an der sie gerade ein altes Haus abgerissen haben und ein neues hochziehen. Hast du ’n Fernglas dabei?«

»Wie? Ein Fernglas? Nein, hab ich nicht.«

»Na, mal sehen, wie weit sie sind. Vielleicht geht’s auch ohne.«

»Wo gehen wir denn hin?«, fragte Gina. Ich hielt meinen Kopf wieder gerade, weil mein Nacken mittlerweile schmerzte.

»Na, zu einer Baustelle. Liegt auf dem Weg.«

Als wir dann an der Baustelle angelangt waren und Liz wortlos mit ausgestrecktem Arm nach oben wies, konnte ich nicht fassen, was ich sah. Hoch über uns, so hoch, dass ich die einzelnen Gesichter der Arbeiter nicht mehr unterscheiden konnte, ragten Stahlträger aus dem Skelett des noch nicht fertig gestellten Hochhauses hervor und schwebten über der Straße. Auf diesen Trägern turnten Menschen herum! Ich war so verblüfft, dass ich unwillkürlich einen Schritt zur Seite machte. Hastig blickte ich mich um. Niemand hatte die Straße oder den Bürgersteig abgesperrt, der Verkehr floss dahin, und die Menschen liefen ahnungslos unter diesem gefährlichen Schauspiel entlang.

»Das glaub ich nicht«, krächzte ich. »Wenn der runterfällt, ist er Matsch, und ich auch!«

»Der fällt nicht«, sagte Liz überzeugt. »Das sind Mohawks. Sie gehören zu den Irokesen. Man sagt, sie sind das einzige Volk, das kein Schwindelgefühl kennt.«

»Ja, aber …«, warf Gina unbehaglich ein, »… einen Fehltritt werden sie doch wohl kennen, oder?«

»Unfälle mit Mohawks sind so gut wie unbekannt.« Liz hielt die Hand vor Augen, um gegen die Sonne hochschauen zu können. »Die Männer ihres Volkes bauen schon seit mehr als hundert Jahren Wolkenkratzer. Wenn etwas passiert, dann meistens mit einem der anderen Arbeiter.«

Ich schauderte. »Und wenn die da oben zu den anderen gehören?«