Goldrausch - Die Krimi-Cops - E-Book

Goldrausch E-Book

Die Krimi-Cops

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Beschreibung

Es ist auch manchmal Blut, das glänzt … Kriminalhauptkommissar Pit "Struller" Struhlmann ist bedient. Aber so richtig. Zuerst ist die Leiche in Oberkassel gar nicht tot, dann muss er sich um den Einbruch in die Düsseldorfer Kunstsammlung kümmern, wo doch Moderne Kunst aus dem Irak wirklich nicht sein Steckenpferd ist. Als man ihm versichert, dass nichts entwendet wurde, wird er stutzig. Es geht um die Details. Und um Gold. Gold hat die Menschen schon immer kirre gemacht. Gerade als Struller sich so richtig in den Fall reinkniet, wird direkt vor dem Polizeipräsidium ein Flüchtling erstochen. Eine turbulente Mörderjagd führt ihn und seinen Ex-Praktikanten Jensen über die Dächer von Bilk, durch stickige, zu enge Flüchtlingsunterkünfte, zu Krake ins Aquarium und durch viel zu familiär geführte griechische Restaurants. Sie legen sich mit den Mitgliedern der SfD an, den Senioren für Deutschland, und nichts ist wie es scheint, niemand ist der, der er zu sein vorgibt. Alles dreht sich um Gold. Struller und Jensen stellen fest, dass sich ein tödliches Räderwerk in Gang gesetzt hat …

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Vom Autoren-Team bisher bei KBV erschienen:

Stückwerk

Teufelshaken

Umgelegt

Bluthunde

Knock Out

Die Krimi-Cops sind:

Carsten »Casi« Vollmer, Jahrgang 1967, aus Düsseldorf, Ingo »Inge« Hoffmann, Jahrgang 1978, aus Hilden, Carsten »Rösbert« Rösler, Jahrgang 1977, aus Düsseldorf, Martin Niedergesähs, Jahrgang 1977, aus Herongen an der niederländischen Grenze und Klaus »Stickel« Stickelbroeck, Jahrgang 1963, aus Kerken am Niederrhein. In ihren Büchern verarbeiten die Polizisten nach Feierabend mal komische, mal härtere Einsätze der zurückliegenden Schichten. Mit Goldrausch haben sie nun bereits den sechsten witzig-spannenden Kriminalroman um den Düsseldorfer Kriminalhauptkommissar Pit »Struller« Struhlmann und seinen Praktikanten Jensen verfasst. www.krimicops.de

Die Krimi-Cops

Goldrausch

Originalausgabe

© 2018 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Fax: 0 65 93 - 998 96-20

Umschlaggestaltung: Ralf Kramp

unter Verwendung von: © vladk213

und © Nik_Merkulov - www.fotolia.de

Lektorat: Volker Maria Neumann, Köln

Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm

Printed in Germany

Print-ISBN 978-3-95441-409-3

E-Book-ISBN 978-3-95441-419-2

FürJonathan Demme, Roger Moore und Malcolm Young

»Wer es war? Weiß ich noch nicht.Krieg ich raus. Krieg ich immer raus!«KHK Pit »Struller« Struhlmann

phuakhaocha lasad lasad lae lasad phukhanai tonthai khongolklae phuakhao chadaihab phuakkhaoao haiphuakkhao ao haiphuakkhaoneuongchakva phuakhaoaemn phusai thidiNiko aus Laos

Inhalt

Prolog

1. Tag

2. Tag

3. Tag

4. Tag

5. Tag

6. Tag

7. Tag

8. Tag

9. Tag

Schlussakt

Danksagung

Prolog

Wenn Ahmed sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er aus dem Fenster sehen, aus dem einzigen Fenster. Dann sah er das Hafenbecken von Mytilini, sah das Meer. Es war zum Greifen nah, fast konnte er es riechen, auf seiner Zunge schmecken. Es würde nach Salz duften, nach Freiheit. Mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand strich Ahmed über eine der rostigen Metallstangen, die diese Freiheit für ihn und die anderen mehr als zwanzig Gefangenen unerreichbar machten.

Nicht weit entfernt spielte eine Militärkapelle die griechische Nationalhymne, weil irgendwo da draußen eine blau-weiße Fahne gehisst wurde.

Der ältere Mann trat an seine Seite. Eine offene Wunde bedeckte seine linke Wange, die Folge eines Mückenstichs, der sich entzündet hatte. Ahmed ließ sich auf die nackten Füße sinken, drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die kalte Wand. Es war gut, eine Wand im Rücken zu haben.

»Du solltest heute Abend mit uns beten«, sagte der alte Mann.

»Ich bete die ganze Zeit, ich tue nichts anderes.«

»Du solltest … mit uns … beten.«

»Ich bin Christ.«

Seine Stimme wurde flehend. »Wir haben den gleichen Gott.«

Ahmed blickte ihm müde in die Augen. »Mein Gott ist dein Gott, dein Gott ist mein Gott.« Er nickte kaum merklich in den Raum hinein. »Aber mein Gott ist nicht der ihre.«

»Du wirst die Nacht nicht überleben«, zischte der Alte.

»Weiß ich das nicht längst?«

»Sei kein Narr!«

Ahmeds Blick fiel auf die Worte, die jemand mit krakeliger Schrift in die Wand genau gegenüber geritzt hatte. Ich möchte nach Athen. Dann sah er zu den Männern, die mit ihm die viel zu kleine Zelle teilten. Einige schliefen wie tot, einige saßen auf dem blanken Boden und stierten stumpf vor sich hin. Einige starrten ihn an.

»Mein Himmel ist voller Narren.«

Der alte Mann schüttelte seinen Kopf. »Du wirst ihnen schneller begegnen, als dir lieb ist.«

»Und das soll mir Angst machen?«, fragte Ahmed.

In diesem Moment wurde die schwere, graue Eisentür aufgerissen. Die Männer fuhren zusammen, Ahmed hielt die Luft an.

Zwei Wärter drängten in den Raum, einer von ihnen schrie. »Ahmed Hamudi?«

Der alte Mann trat kaum merklich einen Schritt zur Seite.

Ahmed richtete sich auf. »Ich bin Ahmed Hamudi.«

»Mitkommen!«, befahl der Wärter.

Ahmed Hamudi tat wie geheißen.

»Verräter«, zischte einer der Männer, an denen er sich vorbeiquetschen musste.

»Du bist tot«, wisperte ein anderer.

Einer der Aufseher schloss hinter ihnen die Zellentür, der andere winkte ihm, er möge folgen. Ahmed hielt den Blick zum Boden gerichtet. Der Gang, durch den sie wortlos schritten, roch nach Verzweiflung. Nach wenigen Metern dirigierte ihn einer der Wärter in einen kleinen Raum, der Wärter selbst blieb draußen und schloss hinter Ahmed die Tür.

Das kleine Zimmer hatte weiß gekalkte, fleckige Wände und keine Fenster. Neben der blanken Glühbirne, die von der Decke baumelte, rührte ein Ventilator ächzend die stickige, schwülwarme Luft durcheinander.

Darunter stand ein Tisch, dahinter saß ein Mann auf dem einzigen Stuhl im Raum. »Ahmed Hamudi?«

Ahmed nickte.

»Ich gebe dir eine Chance.«

Ahmed rührte sich nicht. Es gab keinen Grund, erneut zu nicken.

»Möchtest du leben? Möchtest du frei sein?«

Acht Wochen später

1. Tag

Struller bog mit dem himmelblauen Zivilwagen schwungvoll nach rechts in die Dominikanerstraße. Sein Partner rutschte auf dem Beifahrersitz unruhig vor und zurück.

»Hausnummer 57, 1. Etage bei Zuckowski, eine Leiche.« Bertie Spurtmann kicherte aufgeregt. »Spannend. Eine Leiche …«

Struller rümpfte vorwurfsvoll die Nase. »Du erinnerst dich grob, wo du zurzeit arbeitest? Düsseldorf, Kriminalkommissariat 11, Todesermittlungen. Da haben wir es hin und wieder tatsächlich mit Leuten zu tun, die nicht mehr leben.«

»Ja.«

»Das ist nicht spannend, sondern doof.«

»Ja, ja.«

»Nicht schön!«

»Nein, nein.«

»Keine Toten wäre besser.«

Bertie nickte heftig. »Natürlich, natürlich. Aber für mich ist das doch alles noch neu.«

»Und nur vorübergehend!«

»Ja, aber das ist soooo toll.«

»Bitte jetzt nicht wieder die Geschichte, wie stolz deine Frau, die Sonnenheilerin …«

»Licht. Lichtheilerin!«

»Die Lichtheilerin ist, dass du bei der Mordkommission aushilfst.«

Nur weil wirklich kein anderer zu packen war, fügte Struller in Gedanken hinzu. Bis auf ihn waren alle Kollegen seit mehreren Tagen in einer Mordkommission gebunden. Zwei libanesische Großfamilien hatten am Stresemannplatz aufeinander geballert und erschreckend häufig getroffen. Was für ein Massaker. Ihn hatte man als Einzigen telefonisch nicht erreichen können …

Tja, und nun war er in dieser schwülwarmen Sonntagnacht unterwegs mit Bertie Spurtmann.

Er warf einen Blick nach rechts auf seinen Kollegen. Bertie hatte seinen 120 Kilo schweren, tropfenförmigen Körper in eine abgewetzte Jeans und einen rot-weiß geringelten Pullover gezwängt. Rot-weiß geringelt … Struller war klar, dass er selbst keine Stilikone war, aber in so einem Outfit fing man keine Gauner. Damit taugte man höchstens als Boje in der Nordsee, um Haie zu erschrecken und Schiffe zu warnen. Manche Menschen hatte der liebe Gott am frühen Montagmorgen geknetet. Ein wenig lieblos.

Struller verlangsamte den Wagen. 53, 55, 57 …

»Da ist was Freies«, brummte Struller und parkte eine Tiefgaragenausfahrt zu.

»Hoffentlich muss von den Anwohnern gleich keiner rausfahren.«

Struller stieg aus. »Die meisten Anwohner sind ja jetzt tot.«

»Und Tote fahren kein Auto«, stimmte ihm Bertie Spurtmann zu.

Wenige Schritte später standen sie vor dem Haus. Oberkassel. Eine feine Adresse. Reiche Leute.

Bertie Spurtmann deutete auf die Krawatte, die vollkommen untypisch um Strullers Hals lag. »Immer noch ungewohnt, also, du mit Krawatte um den Hals.«

»Wo soll ich sie denn sonst tragen? Um den …?«

»Nein, nein! Aber eine Leiche im vornehmen Oberkassel – und du trägst eine Krawatte. Das ist wirklich passend, sehr passend.« Bertie kam näher ran. »Der Aufdruck auf dem Binder, über dem dünnen Schriftzug? Ist das ein Hirsch?«

»Ist es. Der letzte Schrei aus Amerika.«

»Echt?«

»Hirsche sind da total angesagt. Sogar Donald Trump hat neuerdings welche im Garten vom Weißen Haus.«

Spurtmann nickte beeindruckt. Guck an! Hatte er gar nicht gewusst.

Sie stiegen eine schmale Steintreppe hinauf, die Haustür war nur angelegt. Struller stieß sie auf.

»Puh«, sagte Bertie Spurtmann und drückte sich die Nase zu.

Auch Struller rümpfte die seine. Es roch muffig und streng und nicht gut.

»So also riecht der Tod«, flüsterte Bertie, und auf seinen Wangen erschienen hektische, rote Flecken.

Die erste Etage war schnell erreicht, eine hübsche, uniformierte Kollegin mit langen, schwarzen Haaren erwartete sie an der Wohnungstür.

»Kripo Düsseldorf, Mordkommission«, bellte Spurtmann zackig und versuchte vergeblich, unter seinem Bäuchlein die Kriminalmarke hervorzuziehen. »Mein Name ist Spurtmann. Bertie Spurtmann. Das ist mein Kollege, wir übernehmen jetzt.«

Die Kollegin blinzelte irritiert und sagte. »Gut.«

Hinter Spurtmanns Rücken verdrehte Struller die Augen.

Die Kollegin räusperte sich. »Der Nachbar aus dem Erdgeschoss hat Herrn Zuckowski vermisst. Genau genommen wollte er ihn zur Rede stellen, weil der gestern nicht den Flur gewischt hat. Der Nachbar scheint hier der Babo zu sein.«

»Babo?«

»Der Chef. Er hat geklingelt und geklopft, aber niemand hat geöffnet. Drinnen dudelte das Radio, und ihm fiel unangenehmer Geruch auf. Er zog uns hinzu. Tatsächlich läuft dort ein Radio und … es riecht. Der Hausbesitzer wohnt nebenan und hatte einen Zweitschlüssel. Mit dem sind mein Kollege und ich rein in die Wohnung.«

»Richtig. Alles richtig gemacht. Sie müssen sich keine Vorwürfe machen, Kollegin«, säuselte Spurtmann und tätschelte der jungen Polizistin die Schulter.

»Äh …«, setzte diese mit verständnislosem Blick an.

»Herr Zuckowski?«, ging Struller dazwischen.

»Liegt im Wohnzimmer, auf dem Boden.«

Struller nickte und drückte sich an der Kollegin vorbei nach drinnen.

»Sie warten hier«, befahl Spurtmann und folgte Struller.

»Überlass mir bitte das Reden«, erklärte Struller leise auf dem Weg durch den Flur.

»Und was soll ich machen?«

»Arbeitsteilung. Du atmest die schlechte Luft weg!«

Spurtmann nickte und holte tief Luft.

Der Streifenpartner der Polizistin erwartete sie im Wohnzimmer. »Hallo.«

Zu sagen gab es nicht viel. Der Mann mit der blonden Kurzhaarfrisur deutete vor sich auf den Fußboden, dort lag der Einsatzgrund.

Bertie schnappte hörbar nach Luft.

»Genau so ist richtig. Immer kräftig einatmen«, lobte Struller.

Und musterte den Mann. Struller schätzte ihn auf Mitte vierzig, ungefähr sein Alter. Der Mann lag auf dem Bauch, das Gesäß leicht rausgestreckt. Er trug seine strähnigen Haare auffallend lang, ein weißes Feinripp-Unterhemd und hatte die Augen geschlossen.

Struller ließ seinen Blick kreisen.

Spurtmann atmete ein. Und aus. Und ein. Und aus.

Die Wohnung war mit Geschmack eingerichtet. Nichts wild Zusammengewürfeltes, ausgesucht stilvolle, teure Möbelstücke. Das Appartement war sauber und aufgeräumt. Nichts lag da, wo es nicht hingehörte. Gut, mit Ausnahme des Bewohners.

Das Radio lief im Hintergrund immer noch. Was Deutsches. Was Gutes. Wahrscheinlich die Toten Hosen.

Struller trat an eine Küchenzeile. Im Ausguss stand eine leere Flasche Wodka. Und nur ein Glas.

»Hm.« Struller strich sich durchs Haar und wandte sich an den Kollegen der Streife. »Ist der Notarzt schon angefordert, damit er den Tod bescheinigen kann?«

Der Kollege blickte auf seine Armbanduhr. »Ist er. Müsste jeden Moment eintreffen.«

Spurtmann atmete ein. Und aus.

Struller beugte sich über den am Boden liegenden Mann. »Und wie heißt du mit Vornamen?«

»Günther«, sagte die Leiche.

Die drei Männer fuhren zusammen.

»Scheiße!«

»Der lebt!«

Der Mann auf dem Boden schnaufte. »Klar, leb ich.«

Struller knurrte. »Warum stellst du dich tot, Mann?«

»Ich stell mich nicht tot.«

»Warum sagst du denn nichts?«

»Mich hat noch keiner was gefragt«, lallte der Tote.

»Mal den Puls zu fühlen, wäre eine gute Idee gewesen«, mahnte Struller an seinen Kollegen gerichtet mit vorwurfsvoller Stimme Grundsätzliches an.

»Der hat sich überhaupt nicht bewegt«, stammelte der Polizist.

Struller fuhr den Arm aus.

»Nicht anfassen«, flehte die Leiche. »Tut alles weh. Ich hab einen Hexenschuss. Mann, ist das unangenehm.«

»Du hast getrunken.«

»Viel. Sehr, sehr viel.«

»Was stinkt denn hier so?«, fragte Bertie Spurtmann von der Seite dazwischen und mit vom Hecheln rotem Kopf.

»Den Hexenschuss hab ich auf der Toilette bekommen, als ich … also, kann sein, dass ich noch nicht, äh …«

»Schon gut«, unterbrach Struller, denn man musste nicht immer alles so ganz genau wissen.

»Ich wollte zum Telefon. Bis hierhin konnte ich kriechen, weiter ging aber nicht. Ich brauch einen Arzt«, sagte die Leiche.

Struller nickte dem Kollegen zu. »Der Tote bittet um einen Arzt.«

Der Kollege zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Ist ja unterwegs, aber ich mach es noch mal dringend.«

Dem jungen Polizisten war deutlich anzusehen, wie peinlich es ihm war, fälschlicherweise vom Tod des Mannes ausgegangen zu sein und gleich die Kripo hinzugezogen zu haben. »Das ist natürlich doof, dass er nicht tot ist.«

»Günther sieht das sicher anders, was Günther?«

»Das ist mir so unangenehm.«

Struller mahnte mit eindringlicher Stimme. »Günther, du musst weniger trinken.«

»Is jetzt ja sowieso alles leer.«

Struller erhob sich und tippte dem Streifenkollegen auf den breiten Brustkorb. »Sportsfreund, du machst den Schreibkram.«

»Klar.«

»Bau ein paar schöne Adjektive ein.« Er winkte Spurtmann hinter sich her. »Wir sind hier wieder weg. Hexenschuss ist nichts für uns.«

Bertie nickte. »Richtig. Doris hat nebenbei mal einen Lehrgang gemacht. Da ging es um ganz, ganz üble Rückenprobleme. Lendenwirbel, Bandscheibenvorfälle und so was. Sie meint …«

Struller blickte Bertie an. »Atmen, Bertie. Nicht reden. Nur atmen.«

Meik Meier schniefte gelangweilt und blickte auf seine Armbanduhr. 22.40 Uhr.

»Meine Güte.«

Die Schicht wollte aber wieder mal so gar nicht umgehen. So was Doofes. Nachtdienst. Und das bei allerschönstem Septembersommerwetter. Seit Tagen hatte es nicht geregnet. Die Temperatur hatte sich bei 25 Grad eingependelt, und keine noch so kleine Wolke lungerte am Himmel rum. Was man bei so tollem Wetter alles Sinnvolles hätte anstellen können. Vorm Füchschen rumgammeln, an den Kasematten abhängen. Fein den Mädels aufn Arsch und auf die Titten gucken.

»Mann.«

Er wechselte ins Treppenhaus und stieg träge die Stufen runter ins Erdgeschoss. Im rechten Ohr der Stöpsel seines Radios. Der Sender stellte die neue Scheibe der Toten Hosen vor. Klang gut. Hoffentlich ein Lied, das in den nächsten Wochen nicht so durchgenudelt würde wie die Singles der letzten LP. Bei aller Klasse kamen die Stücke einem ja nachher aus den Ohren raus.

Meik schnackte den Lichtschalter an, Leuchtstoffröhren flackerten auf und tauchten den langen Gang in helles Kunstlicht. Er stutzte. Wieso stand am Ende des Flures denn die Tür zum Archiv auf?

»Hallo?«

Was sollte das denn? Hatte sein Kollege die Tür offenstehen lassen, der Idiot.

»Costa.«

Ein Grieche. War sowieso kein Verlass drauf. Gyros konnten die, aber sonst … Meik zog das Funkgerät aus der Jackenaußentasche und drückte die Sprechtaste. »Costa?«

Es knirschte im Funk.

»Costa, melde dich!«

»Wat is?«, meldete sich der Kollege.

»Ist dir eben die Tür im Erdgeschoss aufgefallen?«

»Welche Tür?«

»Die, die offen steht.«

»Malaka, da stand eben keine Tür offen.«

Meik verdrehte die Augen. Bestimmt hatte sein lauffauler Kollege sich die Etage mit dem Archiv gespart. Das Archiv hatte keine Fenster, da kam sowieso keiner unbefugt rein. Der einzige Zugang war über den langen Flur, und bis hier hätte ein Einbrecher nacheinander mehrere Bewegungsmelder ausgelöst.

»Hallo?«, rief Meik trotzdem in den Raum hinein, als er die offen stehende Tür erreicht hatte.

Drinnen antwortete keiner.

Nur plötzlich hinter sich, dieses Geräusch …

Der Passat Kombi rauschte über die Düsseldorfer Straße. Ein Fußgänger flüchtete von der Fußgängerfurt zurück auf den Gehweg. Bertie Spurtmann zog den Kopf ein und rutschte ängstlich tiefer in den Beifahrersitz. »Hier ist fünfzig!«

Struller grunzte. »Nur tagsüber.«

Bertie Spurtmann seufzte. »Meine erste Leiche habe ich mir anders vorgestellt. Irgendwie …«

»… toter?«

Bertie nickte. Ärgerlich. Das war definitiv keine Geschichte, von der er Doris später würde vorschwärmen können. Schade.

Struller bog rechts ab auf die Rheinkniebrücke Richtung Innenstadt. Bertie Spurtmann fuhr den Finger aus und drückte im Statusgeber des Polizeiwagens die Eins.

Struller schnappte erschreckt nach Luft. »Was machst du da?«

»Ich drücke die Eins. Wir sind doch wieder einsatzklar.«

»Einsatzklar? Ein guter Beamter ist nie einsatzklar!«

»Aber …«

»Ein guter Beamter ist immer im Einsatz. Nie einsatzklar!«

»Sorry.«

»Wir machen jetzt Feierabend«, erklärte Struller. »Genug gebrasselt. Drück die Vier für im Einsatz.«

Bertie Spurtmann zitterte einen Zeigefinger Richtung Display.

»Wenn wir jetzt noch einen Einsatz aufgedrückt bekommen, dann werde ich dich töten!«

»Düssel 91/11 für Düssel?«, tönte es aus dem Funk.

Bertie Spurtmann zuckte zusammen. »91/11, das sind wir. Oh Gott …«

Struller griff zum Pyker. »Wir haben Probleme mit dem Statusgeber.«

»Halb so schlimm, eure Eins ist hier angekommen. Das ist günstig. Wir haben eine Alarmauslösung, Ständehausstraße 1, Kunstsammlung, K21. Das Gebäude ist verpostet. Ihr seid die einzige freie Zivilstreife. Fahrt vor und klärt ab, ob der Alarm echt ist.«

Struller blickte Spurtmann an.

»Tötest du mich jetzt?«

»Später«, knurrte Struller.

»Am Haupteingang vorm Kaiserteich wartet einer vom Sicherheitsdienst, der weist euch ein«, fuhr der Kollege der Leitstelle fort.

»Ich hab hier auch einen zum Einweisen«, brummte Struller ins Funkgerät.

»Was?«, fragte der Beamte der Leitstelle.

»Nix«, sagte Struller und bog von der Rheinkniebrücke verbotenerweise nach links in die Elisabethstraße ab.

»Zumindest stehen wir ganz günstig«, flüsterte Spurtmann, denn von hier aus war auf der linken Seite das prächtige Gebäude der Kunstsammlung schon zu sehen.

»Vorm Feierabend steht man nie günstig«, fauchte Struller und passierte einen Streifenwagen der äußeren Absperrung.

Rasant bog er in die Ständehausstraße, scheuchte ein paar Tauben gen Himmel und kam vor der Brunnenplastik mit Vater Rhein und seinen Töchtern zum Stehen. Wenige Meter vor ihnen löste sich ein Mann mit breitbeinigem Schritt aus dem Schatten und winkte ihnen zu. Struller und Spurtmann stiegen aus.

»Machen wir wieder Arbeitsteilung? Soll ich wieder atmen?«, fragte Bertie, der nichts mehr falsch machen wollte.

»Gute Idee.«

Sie erreichten den Mann, der sich schnaufend die dunkelblaue Diensthose hochzog. In seiner rechten Hand hielt er eine große, schwarze Stabtaschenlampe. Menschgewordene Kompetenz.

»Alarmauslösung?«, fragte Struller. »Wo wurde der denn ausgelöst?«

»Im Untergeschoss. Archiv«, erklärte der griechische Sicherheitsmann und schloss hinter sich eine Tür auf. »Das ist schon komisch.«

»Die Alarmauslösung?«

»Nein, die haben wir hier häufiger. Aber, dass mein Kollege sich über Funk nicht meldet.«

Struller und Spurtmann wechselten alarmiert einen Blick.

»Wo ist er denn, der Kollege?«, fragte Struller.

»Auf Rundgang. Vielleicht hat er sich wo hingesetzt und macht ein Nickerchen. Der Kollege Meier kommt aus Magdeburg. Auf die Ossis ist kein Verlass. Vor ein paar Minuten hat er gemeldet, dass im Untergeschoss eine Tür aufsteht.«

Struller schnalzte mit der Zunge. »Da gehen wir zuerst hin.«

Die drei Männer marschierten los.

»Das ist aber kalt hier«, beschwerte sich Bertie Spurtmann nach den ersten fünfhundert Metern und genauso vielen Stufen.

»Wegen der Ausstellungsstücke. Die können Hitze nicht ab und brauchen gleichbleibende Temperaturen. Ist alles voll klimatisiert hier unten. Geht’s Ihnen nicht gut?«

»Wieso?«

»Sie atmen so komisch.«

»Das hat dienstliche Gründe«, erklärte Struller.

»Ach so. Hier durch die Tür, da geht’s jetzt direkt runter ins Erdgeschoss. Warten Sie, ich mache Licht an.«

Der griechische Sicherheitsmann betätigte einen Schalter, Licht schlug in den Kellergang. Struller ging voran, Spurtmann folgte ihm.

Einatmen, ausatmen.

»Gleich links um die Ecke, da ist das Archiv.«

Struller schritt um die Ecke herum und … »Scheiße!«

Die Männer zuckten zusammen. Die Tür zum Archiv stand offen. Aus dem Raum ragten zwei Beine in den Gang hinaus.

»Meik!«, schrie Costa.

»Krankenwagen!«, befahl Struller.

Bertie Spurtmann friemelte umständlich ein Mobiltelefon aus der Jackentasche. Struller und Costa beugten sich über dessen Kollegen. Aus einer Platzwunde am Hinterkopf sickerte Blut in eine sich zügig ausdehnende Blutlache. Struller fühlte vorsichtig am Hals einen Pulsschlag. Der Mann stöhnte unter der Berührung und kam in diesem Moment ächzend zu sich.

»Gott sei Dank, er lebt«, stöhnte Costa.

»Krankenwagen kommt«, flüsterte Bertie Spurtmann.

In gleichen Moment erlosch das Licht im Flur.

Struller zuckte zusammen. »Eine Zeitschaltuhr?«

»Das Licht hätte noch ein paar Minuten lang …«, setzte Costa an.

Das Geräusch kam vom anderen Ende des Ganges.

»Eine Tür!«

Schritte.

»Da rennt jemand weg!«

Struller fuhr den Griechen an. »Sie kümmern sich um diesen Meik.« Er riss dem Sicherheitsmann die Stabtaschenlampe aus den Fingern. »Los, Bertie!«

Struller und Spurtmann schnellten nach vorne. Der Kegel der Taschenlampe tanzte vor ihnen im stockfinsteren Gang. Die Schritte kamen von vorne. Gar nicht weit vor ihnen polterte ein Gegenstand.

»Der ist nicht weit vor uns«, keuchte Spurtmann hektisch und drückte einen Lichtschalter, aber nichts passierte. »Sicherung rausgedreht oder so was.«

»Vorsicht Treppe!«

Sie hasteten die breiten Stufen hoch und stolperten in eine große Ausstellungsfläche. Im letzten Moment duckte Struller sich, sonst wäre er mit dem Kopf gegen einen Bogen aus Metall gerannt, der sich durch den Raum spannte.

Spurtmann stoppte nicht. »Aua!«

Die Taschenlampe dimmte. »Verdammt, Akku ist gleich alle.«

Metallenes Krachen von vorne. Und ein Lichtschein. Eine Tür wurde geöffnet.

»Da lang!«, bellte Struller und riss seine Dienstwaffe aus dem Holster, sicher ist sicher.

Spurtmann hielt sich den Kopf und folgte. Vor ihnen schlug eine Tür zu. Die Taschenlampe war nur noch ein schwaches Glimmen. So ein Pech, verdammt. Nur durch die bodentiefen Fenster warfen Laternen der angrenzenden Parkanlage Licht in die Ausstellungshalle. Sie erreichten die zuvor zugeschlagene Tür, Struller stieß sie auf.

»Hua!«

Er war auf der anderen Seite in eine leichte, dünne, weiche Folie gelaufen, die im Raum gleich hinter der Tür gespannt war. Die Taschenlampe erlosch komplett. Bertie betätigte auch hier vergeblich einen Lichtschalter, es blieb finster.

Schritte am anderen Ende des Raumes.

»Weiter!«, befahl Struller, zerrte sich wild die dünne Folie vom Körper und hastete nach vorne ins Dunkel.

Er stolperte und wäre fast gestürzt. Er war mit dem rechten Fuß in einen Kübel getreten, der mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Irgendetwas Sämiges, Dickflüssiges. Gerade eben noch konnte Struller sich fangen.

Im selben Augenblick schlug ein schmaler Lichtstreifen in den stockdunklen Ausstellungsraum. Der Unbekannte hatte am anderen Ende des Raumes wieder eine Tür geöffnet. Für Sekunden zeigte das Licht die Richtung an. Struller und Spurtmann hetzten weiter. Die Tür wurde sofort wieder zugeschlagen, es schien dunkler zu sein als vorher.

»Hin!«

Unsicher tasteten sich die beiden voran. Bei jedem Auftreten schmatzte Strullers rechter Schuh.

»Au!«, schrie Spurtmann, denn eine Skulptur, irgendein Kunstwerk mit scharfer Kante, hatte ihm einen Riss in die Hose geratscht.

Sie erreichten die Tür. Vorsicht, mahnte sich Struller, jetzt nicht einfach losstürmen, nicht kopflos in eine Falle rennen. Das hatte er erst im letzten Knock-Out-Fall mehr glücklich als tüchtig überlebt! Keinen Anfängerfehler heute!

Vorsichtig drückte Struller die Klinke und stieß die Tür weit auf. Auch dieser Raum war dunkel. Aber zumindest war der Lichteinfall von draußen stärker. Der Raum war eine weitere Ausstellungshalle, die hohe Decke mit bloßem Auge kaum zu erkennen. In der Mitte des mit Parkett ausgelegten Saals befand sich ein würfelähnlicher Metallklotz. Ansonsten war der Raum leer. Feuchter, muffiger Holzgeruch kitzelte Struller in der Nase. Schemenhaft waren links und rechts des Metallquaders lediglich einige karge Skulpturen zu erkennen, die im diffusen Licht bizarre Schatten warfen.

Struller nickte Spurtmann zu. Der schluckte angespannt und verstand erfreulich schnell. Struller hielt sich rechts, Spurtmann versuchte von links, den großen Würfel zu umgehen. So sollten sie den Unbekannten bekommen, denn eine weitere Tür war nicht geöffnet worden, der Kerl musste noch hier mit ihnen im Raum sein.

Draußen vor einem Fenster bemerkte Struller flackerndes Blaulicht, weitere Kollegen trafen ein. Es war totenstill. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, seine Waffe in Augenhöhe.

Oh, gleich haben wir dich, Sportsfreund, gleich haben wir …

Eine Mundharmonika!

»Verdammt!«

Spiel mir das Lied vom Tod. Sein Klingelton! Strullers Handy lärmte in der Jackentasche. Gar nicht so laut, aber in dieser Totenstille dröhnte die Melodie wie ein startender Jumbo über Lohausen. Bestimmt die Leitstelle, die irgendwelche Infos erfragen wollte.

Dann, wie aus dem Nichts: Krachen von links, von der anderen Seite des Würfels. Taumelnde Körper, Schritte. Ein gellender Schrei.

»Bertie«, schrie Struller und schnellte nach vorne.

Struller entdeckte zunächst am Ende des Raumes einen Schatten, der die Tür aufriss, durch die sie gerade in den Würfelraum getreten waren. Struller beobachtete, wie sich der Schatten durch die Tür drückte. Rechts vor sich erkannte er jetzt Bertie. Bertie schrie wie am Spieß. Am Spieß … das traf es genau.

Bertie hing mit seinem Körper in einer Nagelskulptur und hatte sich regelrecht in das Kunstwerk hineingespießt.

»Pit!«, jammerte Bertie weinerlich.

Struller zog das immer noch lärmende Handy an den Mund. »Struller hier …«

»Endlich, Mann, wir brauchen …«, maulte der Polizist am anderen Ende des Handys.

»Ich brauche einen Notarztwagen ins Ständehaus, sofort. Kollege verletzt. Dringend!«, brach Struller dazwischen.

»Schick ich dir!«, reagierte der Mann in der Leitstelle sofort.

Struller legte auf, Bertie hörte auf zu schreien und hing wimmernd in der Metallkonstruktion.

»Arzt kommt, ich bin bei dir«, flüsterte Struller, um seinen Kollegen zu beruhigen.

»Ich steck fest«, wimmerte Spurtmann.

»Halb so schlimm, du hast dich aufgespießt, das wird schon.«

»Oh Mann, oh Mann! Der Kerl hat mich zur Seite geschubst, genau rein in dieses … Dings.«

Im gleichen Moment ging im Nebenraum mit einem riesigen Klatschen irgendetwas gläsern knirschend zu Bruch. Der Unbekannte hatte sich einen eigenen Ausgang gemacht. Hoffentlich lief er draußen den Kräften der Absperrung in die Finger.

Bertie stöhnte. »Ich glaub, ich werde ohnmächtig.«

Struller verpasste seinem Kollegen klatschend eine Ohrfeige. »Glaube ich nicht.«

Bertie stöhnte nochmals, dankbar diesmal.

Sekunden später sandten die Taschenlampen zweier Kollegen Licht in die Dunkelheit und Struller erkannte, was das für ein Dings war, in das Spurtmann gestoßen worden war. Das heißt, er erkannte es natürlich nicht, aber ein Schild neben dem Kunstwerk verriet es ihm.

»Es nagelt …«, las Struller vom Schild ab. »Von Jörg Stricker.«

Struller zog am Glimmstängel und blickte dem Krankenwagen hinterher, der sich Richtung Evangelisches Krankenhaus entfernte. Giftig blies er einen Rauchkringel in die Nacht. Die Jungs der Feuerwehr hatten den Nagel des Kunstwerks abgeflext und Spurtmann samt spitzem Ende in den Krankenwagen getragen. Im Krankenhaus würde man ihm nun den Metallspieß aus … genau … dem Hintern rausoperieren. Denn genau dort hatte sich der Nagel rein- und wieder rausgebohrt.

»Mann, Mann, Mann«, schüttelte Struller den Kopf.

Ein uniformierter Kollege stellte sich neben ihn und seufzte. »Die Fahndung verläuft bis jetzt negativ. Der Typ ist wie vom Erdboden verschluckt.«

»Der Erdboden verschluckt nichts.«

Der Polizist zuckte mit den Achseln. »Leider. Wünsche ich mir ab und zu.«

Struller nahm einen Zug. Er kannte und schätzte den Dienstgruppenleiter aus der Wache im Präsidium. Schon ewig, seit dessen Zeit als Leiter der Motorradstaffel in der damaligen Polizeiinspektion Ost.

»Ich weiß genau, was du meinst. Was sagen die Kollegen aus der Absperrung? Wieso konnten sie den Täter beim Verlassen des Gebäudes nicht festnehmen?«

»Meine Kollegen haben alle Ausgänge abgedeckt. Dass der von innen das Sicherheitsglas einschlägt, damit haben sie nicht gerechnet. Konnte auch keiner mit rechnen! Sie haben die Person noch Richtung Wasserstraße wegrennen sehen, sie aber nicht mehr gekriegt, war zu flott unterwegs. Mensch, Struller, da wird die Sicherheitsscheibe von innen zufällig genau da eingeschlagen, wo das möglich ist? Also, da sollte man auf jeden Fall nachhaken. Übernimmst du eigentlich den Fall?«

»Ganz sicher nicht«, beeilte sich Struller. »Ich bin Mordkommission. Ich mach nur, wenn einer totbleibt. Die Kollegen der Kriminalwache samt Spurensicherung sind angefordert und morgen wird das Einbruchsdezernat übernehmen.«

Plötzlich gellte ein markerschütternder Schrei durch die Nacht. Die beiden Polizisten fuhren herum. Was war denn jetzt wieder Schreckliches passiert?

Ein Mann taumelte, mit den Armen wedelnd, in ihre Richtung. »Wer ist hier verantwortlich? Um Himmels willen, wer ist hier verantwortlich?«

Struller seufzte. »Fragt wer?«

»Sind Sie der Einsatzleiter?«, fragte der etwa Vierzigjährige, der ganz in Schwarz gekleidet war.

Struller blinzelte. Der Mann maß nur knapp eins siebzig. Sein Gesicht hatte was nach vorne Fliehendes, wie bei einer Eidechse. Seine Augen waren allerdings nicht gelb, sondern wässrig-blau. Die dazugehörige, rahmenlose Brille hopste auf einer fast nicht vorhandenen Nase.

Struller deutete stumm auf den uniformierten Kollegen neben sich, der brummte: »Wer sind Sie?«

»Mein Name ist Gerald von Großenberg. Ich bin der Direktor des Museums. Also, nicht der Direktor, aber … verantwortlich.«

»Das trifft sich gut. Ich hab da ein paar Fragen.«

»Ein paar Fragen? Ich habe ein paar Fragen. Was um Himmels willen ist hier passiert?«

»Wir stehen am Anfang unserer Ermittlungen …«, setzte der Erste Polizeihauptkommissar an.

»Mich interessieren doch nicht Ihre dämlichen Ermittlungen. Wer hat veranlasst, dass das Kunstwerk zerstört wird?«, zischte der Echsenmann, und Struller wunderte sich, dass dessen Zunge vorne nicht in zwei Hälften gespalten war.

»Zerstört?«

»Ein Nagel wurde abgetrennt.«

»Der unbekannte Einbrecher hat auf seiner Flucht meinen Kollegen in das Ding gestoßen«, presste Struller mühsam hervor.

Der Mann rang um Fassung. »Ja, und? Da muss man sich doch nicht am Kunstwerk vergreifen?«

»Nun, wir hätten auch die rechte Arschbacke abtrennen können.«

Der uniformierte Kollege nickte sacht. »Das wäre auch eine Möglichkeit gewesen.«

»Veräppeln Sie mich nicht! Man hätte doch die gesamte Situation schonender bereinigen können.«

»Das bot sich nicht so wirklich an, es ging um …«

»Es nagelt … Ein praktisch unbezahlbares Kunstwerk von Jörg Stricker!«

Struller spürte, wie ihm der Kamm schwoll. Unter welchem Stein war dieser durchgeknallte Eidechsen-Typ hervorgekrochen? »Das Eisenstück wird aus meinem Kollegen rausoperiert. Der ist praktisch auch unbezahlbar.«

»Anschließend lass ich es Ihnen zukommen«, ergänzte der Einsatzleiter.

»Zukommen? Per Post oder was? Das Kunstwerk ist derartig vergewaltigt doch nicht mehr dasselbe.«

»Das abgetrennte Stück lässt sich doch problemlos wieder anschweißen«, behauptete Struller trocken. »Merkt keiner.«

Der Verantwortliche schwankte. »Das hat ein Nachspiel!«

»Ja. Für den Kollegen, der hat ein zweites Loch im Hintern«, knurrte Struller.

Der Dienstgruppenleiter der Polizeiwache Bilk räusperte sich eilig. »Jetzt meine Frage. Das Glas rund um die Kunsthalle, das ist doch alles Sicherheitsglas, oder?«

»Selbstverständlich! Sie haben ja keine Ahnung, was das für Werte sind, die bei mir ausgestellt werden!«

»Das stimmt. Allerdings frage ich mich, wie es gelingen kann, dass solch eine Sicherheitsglasscheibe eingeschlagen wird.«

Der Direktor seufzte. »Pech. Das war natürlich Pech.«

»Inwiefern«, hakte der Polizist nach.

»Das ist überall Sicherheitsglas. Damit von außen nicht eingebrochen werden kann. Wir haben aber über die Fronten des Gebäudes verteilt Glasscheiben, die von außen unzerbrechlich sind, von innen aber eingeschlagen werden können. Im Notfall dienen die dann als Fluchtweg.«

»Dann war das eine Fluchtwegscheibe?«

»So kann man das nennen.«

»Dann hat der Täter also zufällig ausgerechnet genau solch eine Spezialscheibe eingeschlagen, obwohl sie als solche nicht zu erkennen war.«

»Das meine ich ja mit Pech.« Von Großenberg senkte den Blick und heftete ihn an Strullers rechtes Bein.

Das Bein steckte bis zum Knie in einem blauen Müllsack, der oben mit Kabelbinder zugeschnürt war.

»Ich bin irgendwo reingetreten«, schniefte Struller tonlos, bevor der Eidechsenmann eine entsprechende Frage stellen konnte.

Dieser runzelte aber nur die Stirn und fragte. »Wenn Sie sonst nichts mehr haben?«

»Die Kollegen der Kriminalwache und die der Spurensicherung sind angefordert und werden sicher noch ein paar Fragen haben. Für uns wäre es das erst mal.«

Von Großenberg zischelte, verschwand zurück ins Museum und fluchte irgendwas von »Vorgesetzter« und »Polizeipräsident« …

Der Polizist beugte sich rüber zu Struller. »Das mit der von innen eingeschlagenen Scheibe soll … Pech gewesen sein?«

»Wohl kaum. Da wusste jemand ganz genau, welche Scheibe er zu zertrümmern hat. Das soll aber nicht mein Problem sein«, flüsterte Struller zurück. »Nur weil ich neugierig bin: Können die Kollegen aus der Absperrung den Flüchtigen beschreiben?«

»Schemenhaft. Dünn, hager, sportliche Figur. Läufer vielleicht. Mit Kapuze über dem Kopf, zu Gesicht und Haaren kann also nichts gesagt werden.«

»Konnten die Kollegen erkennen, womit er die Scheibe eingeschlagen hat? Taschenlampe, Hammer oder so was?«

»Negativ. Nichts gesehen, ich werde …«

Ein zweiter, ohrenbetäubender Schrei gellte aus dem Hausinnern nach draußen. Die Männer zogen den Kopf ein.

»Von Großenberg. Der Typ nervt.«

»Ich hau ab, ist nicht meine Baustelle«, erklärte Struller. »Ich guck mal nach dem Sicherheitsmenschen und meinem Kollegen. Ihr haltet bitte die Fahndung noch aufrecht. Vielleicht habt ihr Glück!«

Bertie Spurtmann schlug die Augen auf und blickte Struller mit geprügeltem Blick Mitleid heischend an. Sein Körper schrie: Ich leide. Struller sah seinem verletzten Kollegen an, dass der sich fühlte wie ein Hähnchen weiland beim Hühner Hugo.

»In deinem nächsten Leben wirst du Fakir«, grinste Struller ihn an.

»Mein Gott, was war das, wo ich reingestoßen wurde? Ist der Flüchtige gefasst worden? Und weiß Doris schon Bescheid?«, wollte Bertie mit verwaschener Stimme wissen.

»Nee, der Drecksack konnte flüchten«, räumte Struller ein. »Du bist in eine Nagelskulptur gestoßen worden, nichts Lebensbedrohliches. Doris weiß noch nichts.«

Bertie kramte in seinen Sachen hektisch nach dem Handy. »Ich muss Doris informieren. Ich bin doch längst überfällig. Du kennst sie doch, die Gute macht sich immer so schnell Sorgen.«

Eilig wählte Bertie die Nummer seiner Erleuchtung, es piepte.

»Hallo Butterblume, dein Mäusebär ist hier«, hörte Struller Spurtmann ins Telefon säuseln. »Mir ist was ganz, ganz Dummes zugestoßen, Sonnenschein.«

Jetzt war es Zeit wegzuhören, wenn er heute Nacht noch in den Schlaf kommen wollte. Mit knappem, stillem Gruß verließ Struller das Zimmer der Notaufnahme und ließ Bertie mit Lichtheilerin und Telefonat alleine.

Es gab Dinge, die musste man nicht mitbekommen.

Das war zwar nicht sein Fall, aber es interessierte ihn schon, was aus dieser Sache werden würde. Vielleicht war was aus der Ausstellung entwendet worden. Ein Stricker. Das stand dann morgen sicher dick und fett in der Zeitung. Mal sehen, welchem armen Hund dieser undankbare Fall aufs Auge gedrückt wurde.

Schlimm war, dass Bertie für die nächsten Wochen ausfallen würde. Wer machte jetzt die Botengänge? Wer besorgte das Frühstück? Mehrere Wochen … Und danach würden sie ihn sicher zunächst auf irgendeiner Führungsstelle parken … Zum Mäusemelken.

Alles blieb nun an ihm hängen. Das war nicht gut. Das war schlecht. Das bedurfte erst mal eines Brainstormings in seiner Stammkneipe. Krakes Aquarium würde er aufsuchen, sobald er einen kurzen Vermerk gefertigt hatte.

Viel zu berichten gab es eh nicht. Den Securitymann Meier, der ebenfalls im EVK lag, hatte Struller unmittelbar vor Spurtmann aufgesucht. Meik aus Magdeburg war zwar nicht lebensgefährlich verletzt, aber die in Strullers Augen total übers Ziel hinausschießenden Ärzte hatten ihren Patienten wegen der Kopfverletzung für erst mal nicht vernehmungsfähig erklärt. War Struller dann auch irgendwie recht gewesen, denn so würden sich morgen die Einbruchssachbearbeiter um dessen Aussage kümmern müssen.

Er musste sich jetzt zunächst um was ganz anderes kümmern. Um was wirklich Wichtiges. Nämlich um sich.

Nur eine knappe Stunde später war Struller auf dem Weg ins Aquarium. Er hatte die Sätze in seinem Bericht kurzgehalten. Es hatte alles auf eine Seite gepasst, das musste reichen.

»Mehr ist manchmal auch weniger!«

Struller parkte den Wagen vor der Kneipe in Unterrath auf dem Seitenstreifen, kletterte müde aus dem Wagen und drückte die Tür zum Aquarium auf …

Stille!

Gedimmtes Licht!

»Krake?«, rief Struller besorgt in den leeren Schankraum.

»Ja«, meldete sich der einarmige Wirt mit schroffer Stimme.

Struller reckte sich über die Theke, denn von dort kam die Stimme. »Was ist denn hier los?«

»Frag nicht, Pit.«

»Tue ich wohl.«

Struller fiel auf, dass Krake einen Hammer in seiner Hand hielt, warum auch immer. »Was willst du mit dem Hammer?«

»Dir den Schädel einhauen, blöde Frage. Was macht man mit einem Hammer?«

»Naja, wenn du so fragst, dann meine ich, dass zu einem Hammer auch ein Nagel gehört.«

»Natürlich gehört zu einem Hammer auch ein Nagel.«

»Ich frage mich dann weiterhin, wie willst du mit nur einem Arm hämmern und gleichzeitig einen Nagel festhalten?«

»Dafür habe ich dich, Pit«, antwortete Krake und grinste verdächtig hinterhältig, als wäre ihm gerade eine fiese Idee gekommen, die sehr viel mit Strullers Daumen zu tun hatte. Und mit der Farbe Blau.

Struller gluckste. »Ich hab dich übrigens noch nie nageln gesehen.«

»Das wird auch so bleiben«, schüttelte sich Krake. »Der Tacker ist kaputt und ich muss was basteln.«

»Was soll es denn werden? Ein Vogelhäuschen?«

»Ich knall dir gleich eine, dann siehst du Vögelchen!«

»Übrigens, wenn du dich hinterm Tresen versteckst, musst du dich nicht wundern, wenn du keine Kunden hast.«

»Hast du mal auf den Kalender und auf die Uhr geguckt? Es ist Sonntagnacht und nach zwölf. Da sind nur noch heimatlose, deprimierende Kerle wie du unterwegs. Das kann einen schon mal hinter den Tresen treiben. Manchmal ist das Elend einfach zu groß.«

Struller checkte derweil das Handwerker-Potpourri, das sich ihm auf der anderen Seite der Theke bot. Krake hatte im fahlen, schummrigen Licht hinter seiner Theke eine kleine Werkstatt aufgebaut. Struller erkannte eine Säge, den defekten Tacker, eine Zange. Mehrere Holzlatten, teilweise zersägt. Und Pappquadrate. Das waren Schilder. Und auf den Schildern …

»Scheißkapitalisten!«, las Struller.

»Genau.«

»Tretet dem Kapitalistenschwein … gegens Bein!«

Krake nickte. »Aber heftig!«

»Weg mit den Kapitalisten? Krake, ich weiß ja, dass du tief in deinem Innersten der ganz soziale Typ bist, aber ein Aufruf zur sozialistischen Revolution? Ich weiß nicht, ob das das Richtige ist.«

»Pit, bei aller Liebe, aber ich muss was tun.«

»Okay, Rosa Luxemburg, du willst was tun? Dann mach mir ein Altbier!«

Krake rollte mit den Augen: »Du kriegst auch gar nichts mit, oder? Liest du keine Zeitung?«

»Den Sportteil. Und Hägar, der Schreckliche. Manchmal noch das Wetter, zu mehr hab ich keine Zeit.«

»Pit, der Wohnungsmarkt«, knurrte Krake.

»Ja. Was ist damit?«

»Dass es in Düsseldorf an allen Ecken und Kanten an bezahlbarem Wohnraum fehlt, hast du aber schon mitbekommen? Jetzt kommt raus, dass irgend so ein Großinvestor hier in der Straße fast alles aufgekauft hat. Auch meine Bude. Du weißt, dass das Aquarium nur gepachtet und meine Wohnung in der zweiten Etage zurzeit nicht vermietet ist.«

Struller schnalzte besorgt mit der Zunge und fing an, sich selbst ein Alt zu zapfen. »Dass die Kneipe nicht dein Eigentum ist, hat mir immer schon etwas Sorge bereitet.«

Krake schwang wütend den Hammer. »Jetzt krieg ich einen Brief. Man will hier alles dämmen und die Pacht schraubt sich auf das Doppelte hoch. In Wahrheit wollen die mich doch nur hier raushaben, damit sie alles einreißen und teure Wohnungen reinbauen können. Ich weiß nicht, ob ich das stemmen kann.«

Struller verstand den Ernst der Lage sofort, schließlich war auch er betroffen. Was sollte er ohne das Aquarium und Krake tun? Nirgendwo konnte er so schön den Deckel rund machen. Und später bezahlen. Zur Not. Wenn überhaupt.

»Okay, Krake, aber was willst du ausrichten?«

»Ich werde die Nachbarschaft mobilisieren, das ganze Viertel!«

Struller war von Krakes Entschlossenheit beeindruckt, denn dessen Stimme erinnerte jetzt an Che Guevara. Fehlte nur noch, dass er seine Fäuste gen Himmel streckte. Also, seine Faust.

»Und weißt du, wie ich das anstelle?«, fragte Krake mit entschlossener Stimme.

»Erpressung?«

»Ich gehe in die Politik. Ich werde kandidieren. Ich habe es mir den ganzen Tag überlegt, ich mach das. Ich bin parteilos. Und ehrlich. Ganz was Neues in der Branche. Ich werde Ortsvorsteher von Unterrath. Das ist der Plan.«

Struller blieb der Mund offen stehen.

»Ich brauche nur noch was Besonderes, um noch bekannter werden. Ich möchte wirken wie Barak Obama.«

Struller musterte seinen Kumpel, der im Kneipenlicht ein wenig bleich daherkam. »Das wird schwierig.« Er musterte nochmals, skeptisch. Von oben nach unten, von rechts nach … »Aus mehreren Gründen.«

»Ich brauche so eine Art Leuchtturmprojekt, damit ich in aller Munde bin.«

»Wie wäre es denn mit einer neuen Frisur?«

Krake griff zu einem der Schilder und reckte es Struller direkt unter die Nase. »Erst mal muss es so was tun.«

Struller las. »Krake goes Bürgermeister!«

»Der Titel meiner Kampagne!«

»Krake? Wie wäre es mit deinem Nachnamen? Du hast doch einen, oder?«

»Natürlich habe ich einen, aber ich lass Krake stehen. Das hat was. So kennt man mich, so liebt man mich. Krake klingt griffig.«

»Glitschig. Krake klingt glitschig. Wabbelig. Saugnäpfe.«

»Krake hat viele Arme, die viel Gutes tun können.«

»Brauchst du für deine Kandidatur und die Kampagne nicht Genehmigungen?«, fragte Struller, der an Dinge wie Wahlregister, die Erlaubnis zum Plakatieren oder ein polizeiliches Führungszeugnis dachte.

»Seit wann interessieren dich Genehmigungen?«, fragte Krake irritiert zurück.

»Sie interessieren mich nicht. Ich will sie ja auch nicht beachten, sondern nur wissen, ob es generell welche zu beachten gäbe.«